Dienstag, 21. Oktober 2014

Selma Lagerlöf / Marbacka

Klappentext
Selma Lagerlöf verbringt eine ereignisreiche und glückliche Kindheit auf dem elterlichen Gut Marbacka. Dort zieht sie auch den jungen Gänserich groß, der später in ihrem bekanntesten Buch "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" die Leser verzaubert. Im Mittelpunkt ihrer Erzählungen stehen ihre Familie und das Gut selbst, das immer wieder erweitert und verschönert wird. So bringt uns die berühmte Autorin das harte, aber auch idyllische Leben auf einem abgelegenen Gutshof im Schweden aus vergangenen Zeiten nahe.

Autorenporträt
Selma Lagerlöf  geboren1858 auf Gut Mårbacka in der heutigen Gemeinde Sunne, Värmland, Schweden; † 16. März 1940 ebenda) war eine schwedische Schriftstellerin. Sie ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen des Landes und gehört zu den schwedischen Autoren, deren Werke zur Weltliteratur zählen. 1909 erhielt sie als erste Frau den Nobelpreis für Literatur und wurde 1914 als erste Frau in die Schwedische Akademie aufgenommen. Sie verfasste religiöse, fantasievolle und heimatverbundene Werke sowie Kinderbücher. Ein sehr bekanntes Werk Lagerlöfs ist Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen, das sie 1906 schrieb. (Wikipedia)
Bekannt ist mir die Autorin nicht durch ihre Bücher, sondern durch ihre Kinderfilme, wie z.B. Nils Holgersson, den ich mir als Kind angeschaut habe.




Montag, 20. Oktober 2014

Isabell Allende / Mein Leben, meine Geister (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Abend noch durch bekommen, und es hat mir sehr gut gefallen. Es  umfasste gerade Mal zweihundertsechzig Seiten und habe jede Menge Zettelchen darin haften, wegen der für mich vielen wichtigen Gedanken der Autorin und teilweise auch wegen der schönen Zitate.

Ich kann diese Lektüre jeder/m LeserIn empfehlen, die oder der sich näher mit Isabel Allendes Leben als Kind, als Mensch, als Feministin, als Ehefrau, als Mutter, Großmutter … und als Schriftstellerin befassen möchte. Sie geht auch viel auf ihre geschriebenen Bücher ein. Es finden zwischen ihr und ihrer Gesprächspartnerin Zapata viele und recht ausführliche Buchbesprechungen statt. Eine Kunst, so viele Themen auf so wenigen Seiten zustandezubringen. 

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Mit jedem Wort, das ich schreibe, gebe ich mich zu erkennen", sagt Isabel Allende, und auch in diesem Interviewband zeigt sie sich so persönlich und unverstellt wie in ihren Büchern, in denen sie immer einen Teil ihrer eigenen Geschichte verarbeitet. Die Trauer um den Tod ihrer Tochter Paula, Chile, ihr Leben in Kalifornien, jugendlicher Übermut und politisches Engagement, ihre Romane und Erzählungen, aber auch der nicht immer einfache Alltag mit ihrem zweiten Mann Willi und der großen Familie unter einem Dach und natürlich ihre große Leidenschaft, die Literatur- über (fast) alles spricht Isabel Allende hier vertraut und offen mit ihrer Freundin, der Literaturprofessorin Celia Correas Zapata. Vom Geisterhaus bis zu Porträt in Sepia: Das Leben und die Innenansichten einer außergewöhnlichen Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat, und einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen dieser Zeit, die in diesen Gesprächen tut, was sie am besten kann: erzählen - ernsthaft, aber immer mit einem Augenzwinkern.
Die Autorin schreibt, wie sie spricht. Ich sehe zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache kaum einen Unterschied. Ihre Ausdrucksweise erlebe ich zudem als recht fantasievoll:
Schreiben ist ein langsamer, stiller und einsamer Prozess. Jedes Buch ist eine ins Meer geworfene Flaschenpost; ich weiß nicht, welche Ufer es erreicht und in wessen Hände es gelangt. Es ist immer eine wunderbare Überraschung, wenn ich Zuschriften von begeisterten Lesern bekomme, denn das bedeutet, dass jemand meine Seiten gelesen hat, dass sie nicht vom Meer verschluckt wurden. (15)
Ich habe mir die Frage gestellt, was die Autorin mit ihrem Schreiben bezwecken möchte und welche Ziele sie darin verfolgt? Möchte sie mit ihren Büchern die Welt verändern? Oder schreibt sie des Schreibens willen? Ich habe folgende Antwort erhalten:
Wenn ich schreibe, geht es mir nicht darum, grundlegende Erkenntnisse zu vermitteln, eine Botschaft zu verkünden oder die Geheimnisse des Universums zu erklären, ich versuche einfach nur, im Ton eines vertrauten Gespräch zu erzielen. Ich habe keine Antworten, nur Fragen, immer dieselben Fragen, die mich ständig verfolgen.
Isabel Allende war schon als Kind mit einer blühenden Fantasie ausgestattet. Sie verschlang ihre Bücher und "feierte" die Literaturfiguren wie echte Helden, die sich plötzlich aus den Büchern nach außen hin selbstständig machen. Sie las oft nachts unter der Decke mit einer Taschenlampe. Dazu Zapata:
Eine fantastische Welt nimmt Isabel gefangen, und sie entwickelt die Vorstellung, die Figuren aus den Büchern würden die Seiten verlassen und im Dunkeln durch das Haus wandern. Hexen, Piraten und allerlei andere Bösewichter schleichen um sie herum, und in den Spiegel erscheint der allgegenwärtige Teufel, sodass sie schneller an ihnen vorbeihuscht, um dem Bösen nicht ins Gesicht schauen zu müssen. (43)
I. A. verarbeitet in ihren Werken Teile ihres Lebens. Vieles davon ist Wirklichkeit, die in ein literarisches Muster verpackt ist, vieles ist aber auch Fiktion.
Alles, was ich schreibe, hat autobiografische Elemente. Wenn du Angst , Liebe, Traurigkeit, Leidenschaft, Verlangen und alles, was es sonst noch an Gefühlen gibt, nie selbst erlebt hast, wie willst du sie dann beschreiben? In meinen Liebesszenen fließen Dinge ein, die ich erlebt habe, aber häufig nur in meiner Fantasie. (155) 
Da Isabel als Südamerikanerin mit vielen verschiedenen ethnischen Gruppen zu tun hat, auch mit Menschen anderer Hautfarbe, hat sie sich in ihrem Leben und in ihren Büchern viel mit dem Menschenbild auseinandergesetzt. Gerade durch den Rassismus, der z.B. vermehrt auch in Amerika grassiert, war sie gewzungen, sich dieser Thematik zu stellen. Sie gebraucht leider oft den Begriff Rasse, der bei uns in Deutschland mittlerweile, bezogen auf Menschen, umstritten ist. Selbst im DUDEN wird darauf hingewiesen.

Sprachtipp:
Ob der biologische Begriff der Rasse auch auf Menschen Anwendung findet, ist inzwischen wissenschaftlich höchst umstritten. Wenn auf entsprechende Unterschiede Bezug genommen werden muss, sollten deshalb Ausweichformen wie Menschen anderer Hautfarbe gewählt werden.
© Duden - Das Synonymwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2010 [CD-ROM]

Zu welchen Erkenntnissen Allende kommt, fand ich interessant und plausibel, denn innerlich sind sowieso alle Menschen gleich und äußerlich sind alle Menschen  verschieden. Den Menschen auf die Hautfarbe zu reduzieren, das war nicht Allendes Stil.
Die Welt ist sehr groß, aber wir Menschen sind über allen mehr oder weniger gleich. Wir haben zwar versschiedene Kulturen, Sprachen, Traditionen und Hautfarben, empfinden aber Gefühle wie Angst, Liebe, Habgier oder Zärtlichkeit alle auf die gleiche Art und Weise. Ich habe gelernt, mich mit dieser großen Menschenmasse, von der ich nur ein winziges Teilchen bin, zu identifizieren. (49f)
Diesen Prozess der Identifikation mit allen Menschen der Erde habe ich auch mitgemacht, dadurch, dass ich ebenfalls mit mehreren unterschiedlichen Kulturen und Sprachen aufgewachsen bin. Und über diese Entwicklung bin ich sehr stolz, weil sie mich bereichert hat. Viele Menschen leiden unter Xenophobie, haben Angst, Fremde könnten ihnen etwas wegnehmen. Nun, noch mehr freut es mich, zu wissen, dass auch andere diesen Entwicklungsprozess durchlaufen sind, auch wenn es nicht sehr viele sind, die ich persönlich kenne. 

Isabel Allende wird weltweit gedruckt und gelesen. Es taucht die Frage auf, ob im Ausland die Verlage versucht hätten, das Manuskript zu kürzen?
Nein, aber meine finnischen Verleger haben mich einmal gefragt, ob sie fünfzehn Prozent des Buches streichen dürften, weil es in ihrer Sprache zu lang sei. Fünfzehn Prozent wovon? Von jedem Satz? Von jeder Seite? Ein Roman ist doch keine Salami. (83)
Hier musste ich so lachen. Das Buch mit einer Salami zu vergleichen …

I. A. hat recht spät ihr erstes Buch herausgebracht. Sie war Anfang vierzig, als Das Geisterhaus erschien. Was hat sie denn die Jahre davor gemacht?
Bis dahin hatte ich mich immer nur an der Peripherie der Literatur bewegt, ich hatte Zeitungsartikel, Kindergeschichten, Drehbücher, zwei in mehrere Sprachen übersetzte Romane und Millionen von Briefen geschrieben, fühlte mich aber noch nicht als Schriftstellerin. (99)
Dazu Zapata:
Neben ihrer Arbeit als Redakteurin und Fernsehmoderatorin schrieb Isabel Allende damals Kindergeschichten und Theaterstücke. Anfang der siebziger Jahre wurden außer dem Botschafter noch zwei musikalische Komödien aufgeführt, die viele Leute in Chile zum Lachen brachten. (90) 
Sie hatte Glück und jede Menge Fähigkeiten. Ohne ein politikwissenschaftliches Studium schlug sie die Journalistenlaufbahn ein. Aber sie unterrichtete auch an einer Schule. Es war ihr wichtig, finanziell unabhängig zu sein, und erst, als sie mit ihren Büchern leben konnte, gab sie den Lehrauftrag und weitere Neben- bzw. Hauptbeschäftigungen, die nichts mit Literatur zu tun hatten, auf.

Auch der Humor wurde thematisiert, sowohl in Allendes Büchern als auch im realen Leben. Isabels Gedanken haben mich recht nachdenklich gestimmt, denn Humor würde oft auf Kosten anderer gäußert werden:
Humor enthält immer auch eine Dosis Grausamkeit. Über irgendjemand oder irgendetwas muss man sich lustig machen … es gibt aber auch harmlosere Grausamkeiten. (58)
Dabei wird speziell auf das Buch Aphrodite eingegangen, das wohl seeeehr humoristisch sein soll, und sich von den anderen Werken dadurch ein wenig abheben würde. Da ich Aphrodite noch nicht gelesen habe, kann ich wenig dazu sagen.

I. A. setzt sich in ihren Romanen auch mit Gut und Böse auseinander. Ihre Ideen hierzu finde ich sehr schön:
Zapata: In allen deinen Büchern setzt du dich auf die eine oder andere Weise mit dem Guten und dem Bösen auseinander. Das Böse wird durch korrupte Systeme verkörpert; Macht korrumpiert, so deine Aussagen.
Allende: Es sieht so aus, als hätte ich mehr Sympathie für die Unterwelt als für die Obrigkeit. (113f) 
Allende hat nicht nur Achtung vor ihren Büchern, noch viel mehr hat sie Achtung vor ihren LeserInnen.
Was ist ein Buch, bevor es jemand aufschlägt und liest? Doch nur ein Stapel am Rand zusammengeleimter Blätter … es sind die Leser, die ihm Leben einhauchen.
Dieses Zitat finde ich wunderschön.

Der Umgang mit Literatur? Mit dem nachfolgenden Zitat fühle ich mich sehr bestätigt, denn es gibt nicht nur eine Weise, mit Büchern umzugehen, nein, es gibt mehrere verschiedene, auch wenn uns die LiteraturwissenschaftlerInnen weismachen möchten, dass nur die ihrige die richtige sei:
Jeder Leser wird meine Romane auf seine Weise lesen, und so unterschiedlich wie die verschiedenen Interpretationen ausfallen mögen, so unterschiedlich sind auch die Kritiken gewesen.
Auf meine Frage hin, was Allende denn mit Geistern und esoterischen Themen zu tun hat? Konnte ich kaum eine Antwort finden, außer, dass ihre Großmutter, die in  Das Geisterhaus als die Clara auftritt, sehr medial gewesen sein soll, und wohl wirklich Geister gesehen habe. Allendes Mutter legte Tarotkarten. Und sie selbst? Sie spricht davon, als wären die Geister das Selbstverständlichste von der Welt, ohne dass diese von Zapata in Frage gestellt werden. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Wie so viele andere SchriftstellerInnen fechtet auch Isabel Allende oftmals innerhalb ihrer Geschichten einen Kampf mit ihren Figuren aus, mit denen so schwer fertig zu werden sei:
Ich musste diesen Geschöpfen viel von meinem eigenen Leben geben. Sie sind äußerst gefräßig: Sie verschlingen alles.
In dem Buch gibt es noch recht viel über ihr Leben und ihre Kindheit zu lesen, auch total interessant, selbst wenn ich diese Lebensphasen hier nicht erwähnt habe. Lest selbst.

Wegen dieser Vielschichtigkeit an Themen und der klaren und fantasievollen Sprache erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.

Mit dem Hintergrund dieses Buches freue ich mich nun noch mehr auf die ungelesenen Werke, die ich mir peut á peut noch vornehmen werde.
______
Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 70
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Freitag, 17. Oktober 2014

Isabel Allende / Mein Leben, meine Geister

Klappentext

Mit jedem Wort, das ich schreibe, gebe ich mich zu erkennen", sagt Isabel Allende, und auch in diesem Interviewband zeigt sie sich so persönlich und unverstellt wie in ihren Büchern, in denen sie immer einen Teil ihrer eigenen Geschichte verarbeitet. Die Trauer um den Tod ihrer Tochter Paula, Chile, ihr Leben in Kalifornien, jugendlicher Übermut und politisches Engagement, ihre Romane und Erzählungen, aber auch der nicht immer einfache Alltag mit ihrem zweiten Mann Willie und der großen Familie unter einem Dach und natürlich ihre große Leidenschaft, die Literatur - über (fast) alles spricht Isabel Allende hier vertraut und offen mit ihrer Freundin, der Literaturprofessorin Celia Correas Zapata. Vom Geisterhaus bis zu Porträt in Sepia: Das Leben und die Innenansichten einer außergewöhnlichen Frau, die trotz vieler Schicksalsschläge nie den Humor verloren hat, und einer der meistgelesenen Schriftstellerinnen dieser Zeit, die in diesen Gesprächen tut, was sie am besten kann: erzählen - ernsthaft, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Autorenporträt
Isabel Allende wurde am 2. August 1942 in Lima/Peru geboren. Nach Pinochets Militärputsch am 11. September 1973 ging sie ins Exil. 1982 erschien ihr erster Roman La casa de los espíritus (dt. Das Geisterhaus, 1984), der zu einem Welterfolg wurde. Der dänische Regisseur Bille August verfilmte den Roman 1993. Allende arbeitete unter anderem als Fernseh-Moderatorin und war Herausgeberin verschiedener Zeitschriften. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. Ihr Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
Habe mir von meinem Allende-Buch-Stapel obigen Titel ausgesucht, weil mich der Titel neugierig gestimmt hat, wobei ich nicht wirklich weiß, was mich erwartet.
... meine Geister? Alle Bücher von Allende, die ich bisher gelesen habe, sind auch mit esoterischen Themen besetzt. Diese Themen behandeln mediale Figuren, die übersinnliche Fähigkeiten besitzen. Was ist davon Fiktion? Was Wirklichkeit?

Nun war Allendes Großmutter tatsächlich jemand, die sehr hellsichtig gewesen sein soll. Und diese Großmutter taucht unter einem anderen Namen auch in ihrem Werk Das Geisterhaus auf.

Alle ihre Werke seien ein Gemisch zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Eigene Erlebnisse würde die Autorin in ihre Geschichten verpacken. Sie würde dadurch auch ihr Leben verarbeiten.

Das Buch enthält hauptsächlich Intervieuws von eine ihrer besten Freundinnen namens Celia Correas Zapata
Allende spricht so, wie sie schreibt. Ich höre ihr auch in diesem Buch so gerne zu. Und es beinhaltet so viel Weisheit. Ich bin wieder mal tief von ihr beeindruckt. 

Die schönen Zitate, die mich schon auf den ersten Seiten beglückt haben, hebe ich mir für später auf.

Folgende Bücher habe ich von der Autorin gelesen:

  1. Amandas Suche 
  2. Das Geisterhaus
  3. Das Portrait aus Sepia
  4. Das Siegel der Tage
  5. Die Insel unter dem Meer
  6. Die Stadt der wilden Götter
  7. Fortunas Tochter
  8. Inés meines Herzens
  9. Mayas Tagebuch

Lesen muss ich noch:
  1. Aphrodite
  2. Der unendliche Plan
  3. Eva Luna
  4. Mein erfundenes Land
  5. Mein Leben, meine Geister
  6. Paula
  7. Von Liebe und Schatten
Nr. 1, 2 und 7 müssen noch angeschafft werden.




Donnerstag, 16. Oktober 2014

Gail Tsukiyama / Die Straßen der tausend Blüten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich jetzt wenig darüber schreiben werde. Ich mache immer mehr die Erfahrung, dass es gute Bücher gibt, über die man fast unendlich lang schreiben möchte und andere gute, da genügt es, die Bücher nur gelesen zu haben. 

Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Tokio 1939. In der Straße der tausend Blüten wachsen zwei Brüder ohne ihre Eltern auf, liebevoll umsorgt von ihren Großeltern. Wie diese träumen sie von einer Zukunft, die fest in den Traditionen des alten Japan verankert ist. Doch bald bricht im Land eine neue Zeit an, in der es keinen Platz mehr für die alten Werte zu geben scheint. Werden Hiroshi und Kenji ihren Weg in einer veränderten Welt finden? 
Die Einen nennen den Krieg Zweiter Weltkrieg, die Anderen nennen ihn den Pazifikkrieg. Es ist abhängig davon, wo man sich zu dieser Zeit, 1939, gerade auf dem Globus befindet. Doch egal wie sich der Krieg nennt, die Kriege zeigen alle die selben Gesichter; es wird auf die zivile Bevölkerung keine Rücksicht genommen, geschossen wird auch auf Kinder; es gibt nicht genug zu Essen; die einen verhungern im Krieg, andere werden Opfer von Bombenanschlägen, um nur ein paar wenige Schlagwörter zu gebrauchen … Und die, die zu den Überlebenden zählen, erleiden viele Verluste; Schuldgefühle,  weil sie z.B. überlebt haben und andere nicht, machen sich in der Seele dieser Menschen breit. Im schlimmsten Fall erleiden einige eine posttraumatische Belastungsstörung, die selbst noch nach Jahren nicht überwunden ist und diese unbewusst auf die nächste Generation übertragen wird ... Die Lebensmittelknappheit herrscht selbst dann noch, als der Krieg schon längst zu Ende ist. Japan musste vor den Amerikanern kapitulieren ... Und Japan hat viele Jahre gebraucht, um sich von dem Krieg wieder zu erholen. Mich hat das Buch sehr nachdenklich gestimmt. Sich immer wieder die Szene vor Augen halten, wie Jugendliche nach dem Krieg Leichen von den Straßen bergen. Diese Szene hat mich tief berührt.

Man bekommt demnach viele Menschenschicksale mit, die eine ganze Nation erschüttern lassen.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, nennen sich die beiden Protagonisten Hiroshi und Kenji. Hiroshi ist zwei Jahre älter als Kenji. Beide wachsen unterschiedlich auf, beide geben unterschiedliche Persönlichkeiten ab, beide respektieren sich gegenseitig in ihrem Anderssein.

Im Gegensatz zu Hiroshi kann sich Kenji partout nicht an seine Eltern erinnern. Sie haben beide Elternteile durch ein Bootsunglück, verursacht durch ein menschliches Versagen über Dritte, verloren …
Es sind die Großeltern, auch ganz tolle Leute, die ihnen viele Geschichten zu den Eltern erzählen. Demnach haben die beiden Jungen schon recht früh erfahren müssen, was es bedeutet, Menschen zu verlieren, und auch noch die, die ihnen am nähesten standen. Verlusterlebnisse nehmen durch den Ausbruch des Pazifikkrieges immer mehr zu. Unzählige Kinder werden zu Waisen und leben auf der Straße …

Die Großeltern dieser beiden Jungen suchen oft das Grab der ertrunkenen Eltern auf. Sie bringen Lebensmittel mit; viele Schalen werden mit Reis gefüllt, mit Gemüse, Früchten, Kuchen, und diese auf das Grab gestellt; damit die Geister der Verstorbenen nicht hungern müssen.
Das fand ich recht interessant.

Die Kinder werden erwachsen, trotz des Krieges schaffen sie es, erwachsen zu werden. Der ganze Stolz gilt den Großeltern, die die kleinen Jungen zu Männern verholfen haben und nicht mal der Krieg es geschafft hat, ihnen das Leben zu nehmen. Natürlich hatten sie auch Glück ...

Hiroshi wird ein spiritueller Kämpfer des Sumo-Ringens und Kenji geht dem Beruf der Kunst nach und wird Maskenschnitzer, obwohl er ein Studium der Architektur absolviert hat.

Beide Jungen heiraten und erleben durch ihre Partnerinnen heftigste Schicksalsschläge.

Ich möchte nicht mehr verraten ...

Man bekommt viele interessante zwischenmenschliche Beziehungen mit, und man nimmt an vielen Geschichten teil. Protagonisten? Sie, die restlichen noch unerwähnten Figuren, sie sind alle auf ihre Weise Helden. Die Überlebenden, die die Fähigkeit, das Glück und den Mut hatten, zu überleben. Und andere, die den Mut hatten, sich das Leben zu nehmen, weil der seelische Leidensdruck ein zu großer war ... Wahre Geschichten und Fabelgeschichten ... Es gab nichts in dem Buch, das belanglos auf mich wirkte. Mich hat alles fasziniert. Von der ersten bis zur letzten Seite. Und nichts war übertrieben dargestellt. 

Würde es noch weitere Bücher von der Autorin geben, so würde ich sie mir alle anschaffen. Es ist schade, dass viele gute Bücher, aus welchen Gründen auch immer, so unauffällig vom Markt wieder verschwinden. Sicher sind die geringen Verkaufszahlen daran schuld. 

Ich habe mich hier wirklich in Japan versetzt gefühlt ...

Das Buch ist authentisch geschrieben. Es ist gut recherchiert. Die Sprache ist fantasievoll und recht flüssig gewählt. Die Figuren waren alle recht differenziert dargestellt.

Aus diesen Gründen erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten.
______
Manchmal geschehen die Dinge vielleicht auch,
 damit wir die Gelegenheit erhalten,
etwas über uns selbst zu erfahren.
(Gail Tsukiyama)

Gelesene Bücher 2014: 69
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 12. Oktober 2014

Mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse Oktober 2014

Gestern, den 11.10.2014 bin ich um neun Uhr aus dem Haus, um zur Buchmesse zu fahren. Schon der Darmstädter Bahnhof war voll, der Zug übervoll, viele hatten das gleiche Ziel. Im Zug schaute ich mir nochmals meine Liste an von den Verlagen, die bekannte AutorInnen eingeladen haben. Dieses Jahr hatte ich die Verlage direkt angeschrieben, auf facebook ging das ziemlich leicht, sodass sie mir ihre Veranstaltungskalender zugelinkt hatten.



Im Zug war es noch schlimmer. Eng angeschmiegt mit zig fremden Leuten. Viele mussten bis zum Frankfurter Hauptbahnhof stehen.
Das Stehen hat im Zug schon begonnen. Auch ich stand, und das Stehen setzte sich im Laufe des Tages immer wieder fort, wenn man an Lesungen teilnehmen wollte.

Und wie immer waren auch in diesem Jahr viele maskierte junge Leute unterwegs. Die meisten waren einfach nur bunt. Selten, dass mir jemand begegnet ist, dem die Kostümierung ins literarische Zeitalter versetzt tatsächlich geglückt ist. Das Foto unten gefällt mir recht gut. Eine vornehme Dame aus dem 18. Jhrd.


Aber das Wichtigste ist, dass es Spaß macht. 

Dort angelangt, musste ich mich erst orientieren, auf meinem Plan stand die für elf Uhr terminierte halbstündige Lesung des Kinder- und Jugendbuchautors Paul Maar. Und den wollte ich nicht verpassen. Der Autor wurde vom Oetinger Verlag eingeladen. 



Hier ist er, Paul Maar, der sein Manuskript zum neuen Buch in seinen Händen hält und daraus liest. Das Buch wird erst zum Frühjahr nächsten Jahres gedruckt und veröffentlicht.
Paul Maar ist bekannt von seinen Sams-Geschichten, der kleine rothaarige Kerl mit den vielen Sommersprossen, ein außergewöhnliches Wesen ... 

Der Galimat bildet die Hauptfigur seines neuen Buches. Auch ein fremdes Wesen, wo erst keiner weiß, woher es kommt. 

Ein kurzer Auszug aus der Frankfurter Allgemeine:
Der Galimat (...), der eines Tages bei Jim im Kinderzimmer sitzt, hat eher Pumucklgröße, ist aber nach unseren Maßstäben ebenso ungezogen wie das Sams: Er spuckt gerne auf den Boden. Andererseits besteht der Galimat auf der Höflichkeitsgeste, das letzte Wort seiner Rede doppelt zu sagen. Damit der andere weiß, wann er antworten kann. (...) Jim kann diesen neuen Kumpel gut gebrauchen, weil er ein fotografisches Gedächtnis hat und dazu eine Art Klugscheiß-Tourette. Wenn also jemand einen Begriff gebraucht, muss Jim gleich eine lexikalische Erklärung dazu aussprechen. Das macht ihn in seiner Klasse nicht sonderlich beliebt. Sein Onkel und seine Tante, bei denen er lebt, fördern sein Talent jedoch mittels eines seltsamen Spiels, bei dem er für jede korrekt wiedergegebene Definition eine weitere Scheibe Wurst auf sein Brötchen bekommt.
Paul Maar war mir sehr sympathisch und er schaffte es, die Kinder zum Lachen zu bringen. Nicht nur die Kinder ... Die Großen lachten mit.
Paul Maar scheut keine Fremdwörter in seinen Kinderbüchern, weil er diese spielerisch grammatikalisch in seine Geschichte einzubauen weiß. Zum Beispiel die Mehrzahl von Lexikon? Lexikone? Lexikons? Nein, Lexika. Viele Erwachsene, studierte und nichtstudierte, wissen das nicht einmal und sagen Lexikas, doppelte Mehrzahl.

Ich werde mir das Buch nun nicht kaufen, hätte ich Kinder, dann ja. Es ist aber immer gut zu wissen, was es Neues in der Kinder- und Jugendbuchliteratur so gibt. Zum verschenken von Büchern oder zum weiterempfehlen ...

Paul Maar hatte ein paar Gedichte vorgelesen, die mir auch sehr gut gefallen haben. Den Gedichtband JAguar und NEINguar mit Wortspielereien habe ich mir gekauft.



Paul Maar nimmt sich Zeit für seine jungen und älteren LeserInnen und gibt eine Signierstunde ..., s. Foto unten.




Vor dem Signieren schaute Paul Maar jedem/r LeserIn in die Augen, dann malte er ein Bild und signierte das Buch. Er signierte mit verschiedenen Zeichnungen, in meinem Buch signierte er mit der Zeichnung einer Maus.



Dies war Paul Maar. Ich schaute wieder auf meinen Plan und ich hatte bis zur nächsten Lesung noch etwas Zeit und ging ein wenig durch die verschiedenen Buchstände.

Der nächste Autor war Martin Walser. Merkwürdigerweise musste ich an Siegfried Lenz denken, der kürzlich verstorben ist, und der sicher auch auf die Buchmesse gekommen wäre, um für seine LeserInnen zu lesen. Martin Walser ist nämlich auch nicht mehr jung, schafft es kaum noch, sich alleine auf den Beinen zu halten und man dankbar dafür ist, dass er sich trotzdem die Mühe gemacht hat, zu kommen, um vor seinem Publikum zu lesen.





Auch hier hatte ich einen schlechten Stehplatz und konnte sein Profil nur seitenfrontal aufs Foto bekommen. 

Ein paar Anekdoten musste ich mir aufschreiben, um sie hier in meinem Blog zu verewigen. Der Autor hat über seine drei Tagebücher erzählt und daraus gelesen. Das letzte Tagebuch ist das neueste und die Fortsetzungen der beiden vorherigen, das nun aufgelegt wurde ... Ich kenne die Tagebücher selber nicht. Doch zuerst eine kurze Passage aus der Frankfurter Allgemeine:
"Shmekendike Blumen – Ein Denkmal für Sholem Yankev Abramovitsh” heißt dieses Buch, das eine Dokumentation von Walsers Begeisterung für den Autor ist, der, so erzählt Walser, zunächst auf Hebräisch geschrieben habe, bis ihm klar geworden sei, dass er die Juden so mit seinen Büchern nicht erreiche. Martin Walsers Verhältnis zum Judentum ist ja bekanntlich kein Unproblematisches, aber darum geht es in diesem Buchmessengespräch natürlich nicht – es ist eher eine charmante Plauderrunde zwischen Walser, der das Publikum zu schwärmerischen Lachsalven treibt und Greiner, der sich in seiner Rolle als Stichwortgeber und regelmäßig von Walser freundlich Korrigierter ganz wohl zu fühlen scheint. Die erste Belehrung betrifft den Titel des Buches: “Shmeken” auf Jiddisch bedeutet nämlich ebenso wie im von Walser mit Hingabe praktizierten Alemannisch “Riechen”. Das kennt man auch aus dem Schweizerdeutschen. “Du schmeckst gut.” bedeutet also “Du riechst gut.” Und Walser sagt, er habe mit diesem Titel auf die “liebenswürdige wie schwerwiegende Herkunft ” des Jiddischen hinweisen wollen. Jiddisch sei ein deutscher Dialekt. Das bringt ihn dann später zu dem Ausspruch, das “Wahnsinnige” in “unserem schuldigen Mitmachen” (beim Judenmord) zeige sich ja “vollends” darin, dass man “Menschen umgebracht habe, die Deutsch sprachen.”
Passend dazu brachte er das Publikum zum Lachen, obwohl der Hintergrund ein ernster ist. Walser zeigt immer wieder, wieviel Humor er hat:
Ich bin die Asche einer Glut, die ich nie war. 
Solche wie mich verachte ich, mich aber nicht.  
Der Moderator stellte ihm die Frage, wie er seine Bücher schreiben würde? Mit Hand? Mit Schreibmaschine? Mit PC?
Nein, mit Hand und "ich muss auf dem Tisch liegen, um zu schreiben". 
Alles hat gelacht, jeder hat sich wohl den schweren Walser liegend und schreibend auf dem Schreibtisch vorgestellt.

M. W. gab keine Signierstunde. Niemand wollte ihn noch zu sehr beanspruchen. Ich war einfach nur froh und dankbar, dass ich ihn überhaupt erleben durfte.

Die nächste Autorin, die sich für ihre LeserInnen die Zeit nahm. Es ist die Kriminalautorin Ingrid Noll mit ihrem neusten Werk Hab und Gier. Das Buch ist allerdings im Diogenes Verlag schon seit Februar 2014 auf dem Markt. Trotzdem ist es noch ihr neustes Buch.


Den Moderator fand ich auch recht witzig, der Ingrid Noll als die Mörderin vorzustellen wusste , die die meisten Morde begangen habe, hihihi ...

Im folgenden der Klappentext ihres Buches, aus dem sie gelesen hat:
Der kinderlose Witwer Wolfram macht seiner ehemaligen Kollegin Karla ein Angebot: Wenn sie ihn pflegt bis zu seinem Tod, vermacht er ihr sein halbes Erbe, bringt sie ihn wunschgemäß um, sein ganzes, eine Weinheimer Villa inklusive ... Die Ruhe der Rentnerin Karla ist dahin. Lange schon hatte die Bibliothekarin Karla vom Rentnerdasein geträumt: sich zurücklehnen und endlich in Ruhe selber lesen. So gibt sie mit 60 ihren Job in der Stadtbücherei auf. Mit einigen Kollegen hält sie lose Kontakt - bis zu einer folgenschweren Einladung. Beim »Gabelfrühstück« macht ihr der kinderlose Witwer Wolfram todkrank ein Angebot: Falls sie sich um seine Beerdigung und die Inschrift auf seinem Grabstein kümmert, erbt sie ein Viertel eines Vermögens. Pflegt sie ihn bis zu seinem Tod, erbt sie die Hälfte. Und bringt sie ihn wunschgemäß um, bekommt sie alles, eine Villa in Weinheim inklusive ... Die Ruhe der Rentnerin ist dahin.
Die Autorin würde in der Regel nur Menschen umbringen, die sie partout nicht leiden könne. Sie hetzt die Figuren gegeneinander auf, bis es zum Knall kommt. I. N. beklagt allerdings, dass die Figuren nicht immer das machen, was sie gerne möchte ... Und das deprimiert sie manchmal ;).
Es gibt kein reines Happy-End, aber sie bestraft ihre Täter schon, allerdings nicht mit Zuchthaus, sondern in Form von Krankheit, oder anderes.

Da ich selbst gar keine Krimis gerne lese, die meisten sind einfach nur grottenschlecht, sind mir zu gekünstelt, in dem eine Spannung hineininsziniert wird, die mir so unwirklich erscheint. Und so hat mich Ingrid Noll auf ihr Buch neugierig gemacht, denn ich glaube, dass die Handlungen bei ihr wesentlich authentischer geschrieben sind.



Eine letzte Frage wurde der Autorin gestellt:
Wen werden Sie als nächstes umbringen?Antwort: Habe es schon getan. Möchte aber nicht mehr verraten. 
Einfach köstlich. Lässt vermuten, dass ihr nächstes Buch schon geschrieben ist und sich in Bearbeitung befindet. 
Auch Ingrid Noll gab eine Signierstunde ...

Ich bekam das Buch auf der Messe von dem Diogenes Verlag aus besonderen Gründen geschenkt. Sozusagen ein Diogenes Dedikationsexemplar, s. unten. Ich wollte das Buch erst am Stand kaufen, aber ich kam zu spät, denn Ingrid Noll las in der Halle 3.1. Ihre Bücher waren allerdings in der Halle 3.0 ausgestellt. Ich hätte früher kommen sollen, lt. der Mitarbeiterinnen. Das hätte man nur wissen müssen und so frage ich mich, warum die Verlage ihre AutorInnen nicht dort lesen lassen, wo deren Bücher auch ausgestellt sind?  Nach der Lesung wurden nämlich keine Bücher mehr von der Autorin verkauft. Und so hatte mir dann der Verlagschef Daniel Kehlmann das Buch einfach geschenkt und ich konnte schließlich doch noch eine Signatur bekommen. Dafür bin ich auch sehr, sehr dankbar. Ich musste aber versprechen, das ist die Bedingung dieses Dedikationsexemplars, ;) dass ich das Buch in dreifacher Weise verschenken würde. Also, dreimal einkaufen und dreimal verschenken. Kein Problem, da ich sehr gerne Bücher verschenke. siehe Fussnote 1 unten:

Das Buch landet auf meinem kleinen SuB, mit dem Ziel, es bald lesen zu können. Es wird mich immer an die diesjährige Buchmesse erinnern und das Kennenlernen dieser sympathischen Autorin, die sich ebenfalls Zeit für ihre LeserInnen genommen hat. 

Ich würde am liebsten allen drei AutorInnen persönlich nochmals danken. Ich erinnere mich an die Buchmesse aus dem letzten Jahr. Die meisten bekannten AutorInnen lasen nur für ihre Fachkreise. Ich hatte mich daraufhin bei den Verlagen beschwert, da schließlich wir, die normalen Leute, die potentiellen LeserInnen sind. 

So, mittlerweile war es schon 15:00 Uhr vorbei und so machte ich mich auf den Weg, das Gastland Finnland aufzusuchen, worauf ich mich über viele Monate zuvor schon sehr gefreut hatte. 

Ein wenig war ich enttäuscht. Verglichen zu den Vorländern der letzten Jahre kam mir Finnland ein wenig spärlich vor. Zu wenige Projekte, was das Vorstellen ihrer Kuluren betreffen? Nein, so im Nachhinein würde ich sagen, dass die Finnen nur sehr bescheiden waren. Sie haben sich mehr auf ihre Gedichte und der Pädagogik beschränkt. Es wurden AutorInnen eingeladen, die in mehreren Sprachen ihre Gedichte vorgetragen haben. Der Fokus war demnach auf Gedichte gelegt, die ich selbst auch sehr schön fand. 

Nicht nur mir haben die Gedichte gefallen. Anderen auch. Die Gedichtbände waren nämlich schon vergriffen, konnte mir keins mehr kaufen.

Finnland ist für die besondere Pädagogik seines Nachwuchses bekannt. Die Finnen legen sehr viel Wert auf die Förderung aller Kinder. Auch die Kinder von Migranten gehören dazu. Finnland ist ein sehr kleines Land und kein Kind darf ihnen verloren gehen. Das Land investiert in die Jugend, da die Jugend die Zukunft ist, das heißt, sie sind die Arbeitskräfte von morgen, die das Land wirtschaftlich vorantreiben ...
Deshalb geht es nun ins Kinderzimmer:






Auf dem Foto rechts befinden sich an den Rändern der beiden Seiten Hebel, die sich hin- und her schieben lassen, damit sich die Figuren auf den Quadraten verändern können. Überall auf den Bildern sind Bücher abgebildet.


Was diese Puppen im Einzelnen symbolisieren, da konnte sich wohl jeder selbst eine Meinung bilden.

Ein Kunstwerk möchte ich gerne noch hinzufügen: Viele kleine, bunte Buntstiftstummel sind zu eine Kette aneinandergereiht. Ich bereue es, dass ich sie mir nicht gekauft habe. Ich hätte sie sicherlich nicht angezogen, aber zum Andenken wäre sie recht nett gewesen, sie immer mal wieder in Händen zu halten. Ein Wertgegenstand, der nicht immer aus Gold oder Silber bestehen muss.

Ich verlasse nun das Kinderzimmer und den Kreativstand und begebe mich an den Buchstand, auf dem viele finnische Bücher lagen, die ins Deutsche übersetzt sind. Eines davon habe ich mir gekauft. Ein Buch von Hannu Rattila mit dem Titel Kontinental Drift.



Und hier der Klappentext
Wenn Familien auseinanderdriften: Gibt es einen Weg zurück?Sie waren beste Freundinnen, Paula und Sara, zwei vernachlässigte Mädchen, die alles teilten, die erste Liebe, die Träume vom Leben, die Wünsche nach Glück. Als Teenager hingen sie auf dem Flughafen Helsinki herum, machten ihre Leidenschaft für fremde Länder und weite Reisen schon bald zum gefährlichen Job – und verloren sich schließlich aus den Augen.Doch dann, Jahre später, beobachtet Sara zufällig, wie ihre ehemalige Schulfreundin, hochschwanger und in Handschellen, aus einer Iberia-Maschine in einen Grenzschutzbus geführt wird. Was sie nicht weiß: dass man Paula in die Psychiatrie bringt und dass sie von dort bald verschwinden wird. Wenig später erhält Paulas Mutter Pirjo per Email Tagebücher zugesandt. Es dauert eine Weile, bis sie das eigene Kind darin erkennt. denn die Verfasserin bezeichnet sich nach einer Figur in Twin Peaks als Laura Palmer. Als Pirjo das begreift, macht sie ihren früheren Mann ausfindig, Johan Lampen, Offizier der Küstenwache, der sich vor Jahren dazu entschieden hat, keine Rolle im Leben seiner Tochter spielen zu wollen. Nun begibt er sich auf die weltweite Suche nach ihr – um wieder zusammenzuführen, was vor Jahren aufgrund von Missverständnissen und Sprachlosigkeit auseinanderdriftete wie vor Urzeiten die Kontinente .
So, ich habe mit dem Buch in der Tüte Finnland wieder verlassen und machte mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs dahin wurde ich von einer anderen Besucherin angehalten mit der Bitte, das Motiv auf der Tüte fotografieren zu dürfen. Mir war das Motiv noch gar nicht aufgefallen, da es sich auf der anderen Tütenseite befand.

Als sie fertig mit dem Foto war, nahm ich das Motiv auch ins Visier. Und es ist tatsächlich von der Idee her ein beachtenswertes Motiv.

Am Bücherstand wurde ich erst gefragt, ob ich eine Tüte haben wollte. Da mein Rucksack vollgestopft war, bejahte ich die Frage, und ich im Nachhinein ganz froh über den vollen Rucksack war, sonst hätte ich die Tüte abgelehnt.


Mit dieser Tüte hatte ich den Eindruck, dass ich von dem Beginn der Buchmesse bis zum Ende richtig beschenkt wurde. Ich hatte eine Welt betreten, die so völlig anders ist, als die meines Alltags.

Adieu, adieu an alle, die gestern und auch heute noch auf der Buchmesse verweilten. Ich war heute in Gedanken bei der Buchmesse.

Alle Jahre wieder. Das ist ein Trost, wobei ich die Frankfurter Buchmesse nicht wirklich für besucherfreundlich halte. Aber dadurch, dass ich drei bedeutende AutorInnen erleben durfte, entschädigt das schon alles. Im nächsten Jahr ist Indonesien der Ehrengast.


So, heimwärts geht´s. Gegen 18:00 Uhr war ich recht müde zu Hause eingekehrt. Ich habe mit meiner Bücherfreundin Anne telefoniert, und über meine Erlebnisse berichtet.

Schön fand ich auch, dass viele aus meinem Bekanntenkreis die Buchmesse im Fernsehen mitverfolgt haben, und sie alle an mich denken mussten. Nicht jeder wusste, dass ich tatsächlich dort war, aber sie konnten sich das einfach denken, sogar meine Mutter war in Gedanken bei mir, die mit so etwas gar nichts zu tun hat.

Was hat mir an der Buchmesse nicht gefallen? Dass man untersucht wurde, Taschen und Rucksäcke, ob man spitze Gegenstände bei sich tragen würde.
Ich stellte die Frage, ob sich hier TerroristInnen oder FundamentalistInnen  aufhalten würden?

__________
Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)







Samstag, 11. Oktober 2014

Gail Tsukijama / Die Straße der tausend Blüten

Klappentext
Tokio 1939. In der Straße der tausend Blüten wachsen zwei Brüder ohne ihre Eltern auf, liebevoll umsorgt von ihren Großeltern. Wie diese träumen sie von einer Zukunft, die fest in den Traditionen des alten Japan verankert ist. Doch bald bricht im Land eine neue Zeit an, in der es keinen Platz mehr für die alten Werte zu geben scheint. Werden Hiroshi und Kenji ihren Weg in einer veränderten Welt finden? 


Autorenporträt
Die Autorin ist in San Franzisko geboren, wohnt derzeit in Kalifornien. Die Mutter ist Chinesin, der Vater Japaner. 
Das Buch ist im Handel nicht mehr verfügbar. Nur noch antiquarisch.

Ich selbst habe das gebundene Buch recht preisgünstig  im Restseller-Laden Jokers erhalten. Die Autorin ist mir unbekannt.


Freitag, 10. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha ( 7)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4

Siebte von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre

Es hat sich wieder viel Stoff angesammelt, werde aber stark raffen. Konzentriere mich hier hauptsächlich auf die Beziehung zwischen Albertine und dem Icherzähler Marcel. Kurz gehe ich auf zwei weitere Figuren ein, die in diesem Band viele Seiten gefüllt haben, und ich mir sicher bin, dass sie in den Folgebänden wieder auftreten werden.

Die Figur, die mir im vierten Band besonders sympathisch war und die mir am intellektuellsten erschien, ist der Baron Charlus. Ein sensibler Mensch, der sich tatsächlich um vieles Gedanken zu machen weiß, obwohl er es in der Gesellschaft als Homosexueller nicht einfach hat, akzeptiert zu werden. Er zeigt sich recht modern und aufgeklärt in seiner Menschen- und Weltanschauung; bunte Kleider zum Beispiel wurden allgemein eher als geschmacklos empfunden, die bei einigen anderen im schlimmsten Fall sogar hurenhafte Assoziationen hervorrufen. Ein kleiner Abriss aus einer Konversation zwischen Monsieur Brichog, Monsieur Charlus, Madame de Cadignan und Monsieur M. Proust.
>>Also welche Bedeutung hat das schon für uns, die wir weder über das Privileg verfügen, darin spazieren zu gehen, noch jene Dame kennen, noch Adelstitel führen?<< Brichot nämlich ahnte nicht, dass man sich für ein Kleid und einen Garten wie für ein Kunstwerk interessieren kann und dass Monsieur de Charlus die kleinen Gartenwege der Madame de Cadignan wie in der balzacschen Novelle vor sich sah. 
Das war wieder ein wunderschönes Zitat.

Und die Figur, die mir partout nicht sympathisch war, das ist der Geiger Morel, auch wenn Monsieur Charlus sehr um den Kontakt mit ihm bemüht ist. Er sieht Morel gerne, schätzt ihn, fördert ihn in seiner Musikkunst, etc. Erst glaubte ich, dass Charlus sich sexuell zu ihm hingezogen fühlt, doch diesen Verdacht fand ich noch nicht bestätigt.
Morel versucht sich öffentlich gut darzustellen, und doch tritt auch er als Geiger ins Fettnäpfchen und sich in die peinliche Lage bringt, zwei bedeutende französische Virtuosen miteinander zu verwechseln.
Morel ist hauptsächlich bei Madame Verdurin sehr beliebt, die seine Musik liebt, und jede musikalische Panne gelassen hinnimmt.

Morel zeigt Probleme im Umgang mit Proust, der ihn aufgrund seiner Herkunft nicht zu achten weiß, da Proust nur ein Bourgeoise ist. Doch Proust zählt ihm auf, mit welchen bedeutenden Leuten der Vater verkehren würde. Morel imponiert das partout nicht.

Damit zeigt der Autor, dass ihm eine gute gesellschaftliche Stellung auch wichtig ist, und er sich bemüht, in den höheren Kreisen dazuzugehören. Aber er gehört dazu, denn er ist insgesamt recht gefragt und beliebt, fast allen Angehörigen der gehobenen Gesellschaft ist es wichtig, dass er an den gesellschaftlichen Veranstaltungen regelmäßig teilnimmt. Die Soireen und die Mattinees finden in der Häufigkeit statt, zu vergleichen mit einem Menschen, der berufstätig ist. Die einen gehen zur Arbeit, andere besuchen gesellschaftliche Aktivitäten. Die Teilnahme daran wird von einem erwartet, gehört zum täglichen Pflichtprogramm dazu. 
Man muss beobachtet haben, wie der Arzt Cottard (…) nach außen zu einer festen Haltung gelangt war, und wissen, aus wie viel Liebesverdruss, wie vielen Niederlagen ihres Snobismus der scheinbare Hochmut und allgemein unterstellter Antisnobismus der Fürstin Scherbatow sich entwickelt hatte, um zu verstehen, dass innerhalb der Menschheit die Regel-von der es natürlich Ausnahmen gibt-darin besteht, dass die harten Menschen Schwache sind, die keine Gegenliebe gefunden haben, und nur die Starken, die sich eben keine Gedanken darüber machen, ob man sie mag oder nicht, jene Sanftmut aufbringen, die der gemeine Mann für Schwäche hält. 
Das ist auch ein schönes Zitat, mit viel Weisheit umhüllt.
Man verstößt lieber ein Familienmitglied, wenn es den familiären und den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht, als das Gesicht in der Gesellschaft zu verlieren. Habe das schon in allen Gesellschaftsschichten beobachten können, sowohl im Inland als auch im Ausland.

Vielleicht für mich noch einmal zu dem vierten Band grob zusammengefasst:
Sodom und Gomorrha werden als die Sexualität der Männer (Sodom) und die der Frauen (Gomorrha) dargestellt. Mit beiden Arten setzt sich der Autor und Icherzähler Marcel Proust ausführlichst auseinander, und nach meiner Beobachtung und Einschätzung ist er nirgends wirklich glücklich. Lt. meiner Recherchen ist es ihm nicht geglückt, Liebesbeziehungen zu halten, geschweige denn sich mit einem Mädchen zu vermählen. 

In eine der letzten Buchbesprechungen hatte ich geschrieben, dass Proust von seinen Müttern nicht wirklich abgenabelt ist und fühle mich aus den Begebenheiten vieler Szenen auch bestätigt, s. Beispiel mit Madame de Guermantes weiter unten. Des Weiteren fällt mir auf, dass männliche Familienangehörige so gut wie keine Rolle spielen. Der Vater war mal kurz im ersten Band präsent, der seiner Frau riet, mit Marcel ein wenig strenger in der Erziehung vorzugehen. Nicht, weil der kleine Marcel untadelig war, nein, weil er mütterliche Liebkosungen zwingend einzufordern wusste. Im ersten Band gab es folgende Szene, die ich gerne wieder aufschreibe: Die Eltern hatten bis spät in die Nacht Gäste bei sich. Marcel wurde zeitig ins Bett geschickt, ohne einen Gutenachtkuss, da die Mutter mit den Gästen beschäftigt war. Marcel plagte dadurch die Schlafstörung. Als die Gäste schließlich gegangen waren, lauschte der kleine Marcel, ob seine Mutter nun endlich nach oben kommen würde, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Die Kinderzimmertür hatte er leicht geöffnet gehalten. Als die Eltern mitbekommen hatten, dass der Junge noch nicht schlief, weil er keinen Gutenachkuss bekommen hatte, zeigten sich beide, Vater und Mutter, Marcel gegenüber verärgert ...
Der Junge genoss eine exzessive, wohlbehütete Kindheit.

Im erwachsenen Leben zeigen sich gehäuft Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen, doch ganz speziell Frauen/Mädchen gegenüber. Er erkennt, dass er oftmals Phantomen nachjagt. Kreaturen, die nur in seiner Einbildungskraft existieren, die er quasi in reale Wesen hineinprojiziert.
Er läuft Frauen / Mädchen hinterher, diese Szenen werden auch im ersten Band dargestellt. Damals hatte er sich in Madame de Guermantes verliebt, die vom Alter her seine Mutter hätte sein können. Er spürte ihre Gehwege auf, mit dem Ziel, ihr öffentlich zu begegnen. Heute würde man dafür den Begriff Stalking gebrauchen. Madame de G. hatte sich von ihm belästigt gefühlt. Natürlich sollte dies unauffällig sein, doch sie kam ihm recht schnell auf die Schliche.
Albertine und Madame de Guermantes bekamen für mich die tiefe Monotonie, die allegorische Bedeutung einer Art von Linie, der mein Charakter stetig folgte. Es war natürlich, aber trotzdem nicht gleichgültig; sie erinnert mich daran, dass mein Schicksal es war, immer nur Phantome zu verfolgen, Wesen, deren Wirklichkeit zu einem guten Teil nur in meiner Einbildungskraft bestand; es gibt tatsächlich Wesen - und das war bei mir seit meiner Jugend schon so; für die alles, was einen festen, von anderem feststellbaren Wert besitzt, Vermögen, Erfolg, hohe Stellungen, überhaupt nicht zählt; was Sie brauchen, sind Phantome. Um ihretwillen opfern sie alles Übrige, setzen sie alles ins Werk, alles tritt für sie hinter der Begegnung mit einem solchen Phantom zurück. Dieses aber braucht nicht lange, um wieder zu entschwinden; dann läuft man einem anderen nach, um schließlich zu dem früheren zurückzukehren. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich um Albertine bemühte, das Mädchen, das ich im ersten Jahr vor dem Meer erblickt hatte. 
Zurück zum Liebespaar Marcel und Albertine.

Marcel lädt Albertine dazu ein, gemeinsam mit ihm von Balbec aus nach Hause, zurück nach Paris zu reisen - Albertine zeigt sich zurückhaltend, da es sich nicht schickt,  als junges Mädchen alleine mit einem jungen Mann sich auf Reisen zu begeben. Sorgen macht sie sich um ihre Tante, die das nicht für gut heißen würde. Es würde Gerede geben, das die Tante enttäuschen würde. Proust schlägt ihr vor, sich als seine Cousine auszugeben oder aber auch sich als ein fast verlobtes Paar zu bekennen.
Sie äußert weiterhin Bedenken:
„Würde es nicht merkwürdig aussehen, wenn ich bei Ihnen wohnte? Und in Paris wird man ja wissen, dass ich nicht Ihre Cousine bin."
„Gut! Dann sagen wir eben, wir seien so gut wie verlobt. Was macht das, wo sie doch wissen, dass es nicht stimmt?" Der Hals Albertines, der ganz auf ihrem Hemd hervortrat, war mächtig, golden, kräftig gekörnt. Ich küsste sie in so einer Weise, wie ich meine Mutter geküsst hätte, um einen Kinderschmerz zu beschwichtigen, von dem ich damals glaubte, ich werde ihn niemals aus meinem Herzen reißen können. 
Auch hier finde ich erneut die Assoziation mit den Küssen seiner Mutter aus den Kindertagen. In den letzten Buchbesprechungen beschrieb ich die visuelle Szene mit den Küssen auf den Mund seiner Großmutter, die ich als die zweite Mutter bezeichnet hatte. Ebenso der großmütterliche Schmerz, der weggeküsst werden sollte, kommt auch hier in seiner Beziehung zum Tragen. Diese sind, auf Albertine bezogen, alles andere als Liebesküsse.

Immer wieder erlebe ich ihn in den Beziehungen zu Frauen recht ambivalent und widersprüchlich. Er selbst schreibt von einem zerrissenen Herzen, in das Albertine hervorzudringen vermochte.
Hundert Jahre hätte ich suchen können, um herauszufinden, wie die Pforte, die sich hinter ihr schloss, sich noch einmal wieder öffnen ließe. Jener Worte hatte ich eine kurze Weile nicht mehr gehört, solange Albertine eben bei mir war. Während ich sie küsste, wie ich meine Mutter in Combray geküsst hatte, um meine Angst zu beschwichtigen, glaubte ich beinah an die Unschuld Albertines, doch dachte ich wenigstens nicht mehr unablässig an die Entdeckung ihres Lasters.
Aus meiner Sicht klingt das ein wenig neurotisch. Ist er durch die Mütter zu sehr verweichlicht? Zu viel Mutterliebe kann eben auch ähnliche Symptome hervorrufen, wie bei einem Menschen, dem die Mutterliebe in seiner frühkindlichen Entwicklung gefehlt hat.
Albertines Laster? Hier spricht wieder der Marcel in seinem Wahn nach Vollkomenheit, der sich eine perfekte Welt wünscht, in der sich perfekte Menschen bewegen.

Die Mutter befürwortet die Beziehung mit Albertine nicht. Marcel würde mit ihr unnötig zu viel Geld veräußern und außerdem sei er durch sie innerlich recht aufgewühlt und unruhig. Er beendet die Beziehung.

Proust ist ein Träumer, imaginiert immer wieder romantische Liebesszenen, die er in Wirklichkeit nicht zu leben weiß. Darauf seine Mutter, die ihren Schützling vor Liebeskummer weinend vorfindet:
>>Nun<<, sagte meine Mutter, >>hast mir nichts Schlechtes über sie gesagt, sondern nur, sie langweile dich ein wenig und du seiest ganz froh, dass du den Gedanken an eine Heirat mit ihr aufgegeben hast. Das ist doch kein Grund, so sehr zu weinen. Bedenke, dass deine Mama heute abreist und schrecklich traurig wäre, wenn sie ihren großen Jungen in diesem Zustand zurücklassen müsste.<< 
Wenn ich dieses Zitat lese, dann bekomme ich den Eindruck, eine Mutter spricht zu ihrem kleinen Jungen, wenn ich nicht wüsste, dass der Kleine schon längst erwachsen ist ...
Überrascht war ich schließlich am Ende des Buches über eine Wende, auf der letzten Seite, mit der ich nicht gerechnet hatte, als Marcel der Mutter verkündet:
Ich heirate Albertine.
Demnach muss er die Beziehung wieder neu aufgenommen haben. Aber, wie oben schon geschrieben, werden diese Heiratsabsichten nur Absichten bleiben, da er dafür die seelische Reife einfach nicht aufbringen kann.
Nun habe ich genug von der Beziehung(sunfähigkeit) zwischen Marcel und Albertine geschrieben.

Dies ist meine letzte Buchbesprechung zum vierten Band Sodom und Gomorrha, mit dem Proust die damaligen Homosexuellen arg schockiert haben soll ...

Wenn alles gut geht, werde ich im Dezember mit dem fünften Band fortfahren, Den sechsten hatte ich aus persönlichen Gründen vorziehen müssen. Ich komme leicht wieder rein, wenn ich mir meine Notizen herauskramen werde.

__________
„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

Gelesene Bücher 2014: 68
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Mittwoch, 8. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (6)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Sechste von sieben Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein paar Vorgedanken ...

In einer Literaturzeitschrift hatte ich mal vor mehreren Jahren gelesen, dass in den Werken Auf der Suche nach der verlorenen Zeit über tausend Figuren existieren würden. Dies hatte mich dermaßen abgeschreckt, weil ich unmöglich über diese tausend Personen schreiben, geschweige denn mir alles behalten kann. Dies war wohl der Grund, weshalb ich von Proust erst genug hatte. In mir spürte ich zu diesem Zeitpunkt eine innere Bremse. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um es nun neu zu wagen, allerdings habe ich meinen Anspruch etwas heruntergeschraubt. Ich lese Proust auf meine Weise, und z.B. nicht auf die Weise von Literaturwissenschaftlern. Ich ziehe für mich das Beste heraus. Trotzdem habe ich die tausend Leute im Hinterkopf und stehe ein wenig unter dem Zwang, mir so viel wie möglich von diesen tausend Leuten zu behalten oder gar aufzuschreiben ...
Und ich mache gerne eigene Entdeckungen, und lasse mich nicht gerne von Sekundärliteratur leiten und beeinflussen. Wie sagen Prousts Leute? Ein Original zu sein ist besser als eine Kopie. Diesen Anspruch hab ich, wenn ich über meine gelesenen Bücher schreibe. Natürlich gebrauche ich auch Lexika, aber sie werden nicht zu meinen Hauptlektüren gemacht. 

Weiter geht´s.
Am letzten Montag, dem sechsten Oktober, habe ich ein paar Sätze zu Prousts Wach- und Traumzustand geschrieben. Hundertfünfzig Seiten weiter entdecke ich eine so schöne bildhafte Textstelle, in der sich Proust zu diesen beiden Bewusstseinszuständen selbst äußert. Ich muss diese Textstelle unbedingt aufschreiben, sie geht mir sonst verloren, da ich nicht vorhabe, die Bände ein zweites Mal zu lesen. Es ist ein wunderschönes Zitat:
Ich trat in den Schlaf ein, der wie eine zweite Wohnung ist, über die wir verfügen und in die wir, nachdem wir die Erste verlassen, uns für die Nacht begeben. Sie hat ihre eigene Läutevorrichtung, und wir werden darin manchmal durch das Geräusch einer Schelle geweckt, das wir ganz deutlich an unserem Ohr vernehmen, obwohl niemand geläutet hat. Sie hat ihre Bedienten, ihre besonderen Besucher, die uns dort zu einem Ausgang abholen, sodass wir uns anschicken aufzustehen, wenn wir mit einem Mal dadurch, dass wir fast übergangslos in die andere Wohnung zurückgewandert sind, die wir im Wachzustand innehaben, genötigt sind festzustellen, dass das Zimmer leer und niemand gekommen ist. Die Rasse, die es bewohnt, gleicht der der ersten Menschen androgyner Natur. Ein Mann erscheint dort nach einer Weile in Gestalt einer Frau. Die Dinge dort haben das Talent, zu Menschen, die Menschen aber das, zu Freunden und Feinden zu werden. Die Zeit, die für den Schläfer während eines solchen Schlafes zerrinnt, ist absolut verschieden von der Zeit, in der er sein Leben als wahrer Mensch verbringt. Manchmal ist ihr Lauf sehr viel rascher, eine Viertelstunde erscheint dann ein Tag zu sein, manchmal auch sehr viel langsamer, denn man meint, nur einen leichten Schlummer getan zu haben, und hat dabei den ganzen Tag geschlafen. Dann fährt man mit dem Wagen des Schlafs in Tiefen hinab, in denen die Erinnerung ihn nicht mehr einzuholen vermag und an deren Pforten der Verstand den Rückzug antreten musste. Das Gespann des Schlafs zieht wie das der Sonne in so gleichmäßigem Schritt dahin, in einer Atmosphäre, in der kein Widerstand es mehr aufzuhalten vermag, dass es eines kleinen von außen kommenden meteorischen Steinchens bedarf (…), und den regelmäßigen Schlaf zu treffen (…) ihn in einer jähen Kurve war unter Auslassung aller Zwischenetappen zur Wirklichkeit zurückzuführen, durch dem Leben schon nahe gelegenen Regionen hindurch-in denen der Schläfer bald die noch ziemlich wirren, aber bereits wahrnehmbaren, wenn auch entstellten Geräusche des Lebens hören kann; und ihn mit unerhörter Plötzlichkeit beim Erwachen landen zu lassen. Man erwacht dann aus solchem Tiefschlaf jeweils in einem Morgengrauen, ohne zu wissen, wer man ist, da man ja niemand ist, vielmehr neu und zu allem bereit, denn das Gehirn ist entleert von jener Vergangenheit, die das dahinter zurückliegende Leben war.
Marcel Proust ist abends oder nachts, wenn er von La Raspéliere zurückkehrt, recht müde, da ihn die vielen Soireen einfach auch anstrengen.
Ginge mir persönlich ähnlich, so viele Menschen um einen herum kosten auch viel menschliche Energie.

Dieser Snobismus, der die Proustbände dominiert, und der sicher auch recht anstrengend ist, ihn zu ertragen, findet man auch unter den einfacheren Leuten. Prousts Zimmerkellner spricht von seiner Schwester, die einen reichen Mann geheiratet hat und sich eine Menge darauf einbilden würde. Proust verteilt oft großzügig Trinkgelder, die von dem Zimmerkellner mit großer Dankbarkeit auf fast unterwürfiger Art entgegengenommen wird, und erzählt ihm von dem Los seiner Schwester:
Guten Abend, mein Herr. Oh! Danke, mein Herr. Wenn alle Leute ein so gutes Herz hätten, gäbe es bald keine Armen mehr. > Aber<, sagt meine Schwester, > es muss immer welche geben, damit ich jetzt, wo ich reich bin, sie gelegentlich anscheißen kann.<
Warum schreibt Proust diese Szene auf? Will er damit deutlich machen, dass Geld den Menschen verdirbt, egal in welcher Kaste er sich befindet?

Endlich erlebe ich eine Szene, in der Proust es schafft, sich der Liebe mit Albertine hinzugeben. Albertine ist allerdings diejenige, die den ersten Schritt wagt, sodass sich beide Liebkosungen hingeben. Doch hatte sie zuvor eine Flasche Apfelwein getrunken. Mut angetrunken? Für eine Frau zur damaligen Zeit war der erste Schritt sehr mutig …
Sie schien dann tatsächlich zwischen uns beiden den Abstand nicht mehr ertragen zu können, der sie gemeinhin nicht störte; unter ihrem Leinenrock drängten ihre Beine sich an meinen, dicht an meine Wangen brachte sie die ihren, die blass geworden war, über den Wangenknochen aber heiß und rot, mit etwas glühendem und Verwelktem, wie es die Mädchen aus den Vorstädten haben. In solchen Augenblicken verwandelte sie fast ebenso schnell wie ihre Persönlichkeit auch ihre Stimme, sie verlor die ihre, um eine andere, heisere, kecke, ja fast gemeine anzunehmen. Es wurde Nacht. Welche Freude war es für mich, sie so dicht neben mir zu fühlen mit ihrem Schal und ihrer Toque, und daran zu denken, dass man immer so, Seite an Seite, alle Liebenden trifft! Ich hegte vielleicht Liebe zu Albertine, wagte aber nicht, sie etwas davon merken zu lassen; wenn also Liebe in mir war, so konnte sie nur die eine Wahrheit ohne Wert sein, bis ich sie durch die Erfahrung hätte wirklich erproben können; so aber schien sie mir nicht realisierbar und auf einer anderen Ebene als mein Leben zu liegen. Was meine Eifersucht betraf, so trieb sie mich dazu, Albertine so wenig wie möglich allein zu lassen, obwohl ich wusste, dass sich völlige Heilung nur finden konnte, wenn ich mich für immer von ihr trennte. Ich konnte Eifersucht sogar verspüren, wenn ich mich neben ihr befand, richtete es aber dann so ein, dass der Umstand nicht wiederkehrte, durch den sie in mir geweckt worden war.
Nun, aber das obige Zitat sagt schon alles. Zeigt die Beziehungsstörungen, die Proust hat und man ist schon darauf vorbereitet, dass die Beziehung mit Albertine scheitern wird. Aber das habe ich schon vorausgesehen. Nach fünf Proust-Bänden lernt man ihn schon kennen, auch intuitiv. Die Eifersucht nimmt ebenfalls krankhafte Züge an. Marcel und Albertine gehen essen, und der Kellner trifft den Blick Albertines.
Ein paar Minuten lang hatte ich das Gefühl, dass man die Person, die man liebt, dicht neben sich und doch nicht bei sich haben kann. Die beiden sahen aus, als befänden sie sich in einem geheimnisvollen Zwiegespräch, das stumm verlief infolge meiner Anwesenheit und vielleicht bereits eine Fortsetzung früherer Begegnungen war, von denen ich nichts wusste, oder auch nur eines Blickes, den er ihr zugeworfen hatte, bei dem ich aber jedenfalls der störende Dritte war, vor dem man sich verbirgt. Selbst als er sich, von seinem Chef energisch zurückgepfiffen, entfernt hatte, schien es, als ob Albertine, während sie weiter aß, das Restaurant und die Gärten keineswegs nur mehr als eine beleuchtete Rennbahn ansah, auf der bald hier, bald da vor wechselnden Dekorationen der göttliche Läufer mit schwarzem Haar wieder erscheinen würde.
Aber das Schöne an Proust ist, ihm sind seine Schwächen auch bewusst …

Ein paar Seiten später erfährt man, dass er von Albertine mit so vielen Küssen bedacht wurde, dass er es schon als ein Vorrat an Küssen betrachten konnte für die Zeit, in der ohne sie war.

Albertine zeigt großes Interesse an der Architektur, sie ist durch Proust auf dieses Interessengebiet gestoßen und bittet Marcel, sich mit ihr Kirchen und Bauwerke anzuschauen. Er konnte ihr den Wunsch nicht erfüllen und lehnte ab, erfand Ausreden, doch der eigentliche Grund war, dass er sich die schönen Dinge nur alleine anzuschauen in der Lage sei.

Mein Verdacht hat sich bestätigt, dass Proust nur mit sich alleine zu tiefen Gedanken fähig ist. Jeder Austausch mit jemand anderen würde ihn geistig und seelisch zu sehr zerstreuen.

Ein anderes Ereignis hat mich ein wenig belustigt. Hat mich amüsiert. Proust erfährt die Begegnung mit einem Gerichtspräsidenten. Sie tauschen sich aus. Der Gerichtspräsident erfährt dabei von Proust die gesellschaftlichen Abendaktivitäten bei den Verdurins in La Raspéliere:
Ah! Sie fahren nach La Raspéliere ! Ich muss ja sagen, Madame Verdurin mutet Ihnen wirklich viel zu mit einer Stunde Eisenbahnfahrt im Dunkeln, nur damit Sie bei ihr zu Abend essen, und dann kommt auch noch die Rückfahrt um zehn Uhr abends bei diesem mörderischen Wind. Da sieht man allerdings, dass Sie offenbar nichts zu tun haben.
Eigentlich geht es diesem Menschen gar nichts an, mit was sich Proust die Zeit vertreibt. Aber inhaltlich gesehen hat er schon recht. Aber Proust weiß dies auch, denn er hat nicht umsonst seinen sieben Bände den Titel Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gegeben.
Prousts Reaktion auf den Gesprächspartner? Klar, sein Gesprächspartner sei einfach nur neidisch, dass er als ein vielbeschäftigter Mensch diese Zeit nicht zur Verfügung stehen habe, um an Soireen teilzunehmen und tat ihn als gedankenlos ab, denn schließlich könne man sonst keinen Hamlet schreiben oder ihn gar lesen ...

Das ist wohl auch wahr, aber diese Leute schreiben ja nicht, und sie lesen nicht wirklich viel, obwohl sie über eine mannigfaltige Bibliothek verfügen … Man bekommt mal mit, dass jemand z.B. ein Buch von Balzac dabei hat, aber doch mehr um zu zeigen, dass er weiß, wer Balzac ist, aber nicht um des Zweckes willen.

__________

„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)


Gelesene Bücher 2014: 66
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86