Sonntag, 11. August 2013

Stefanie Zweig / Nirgendwo war Heimat


Klappentext
»Ich bin fest entschlossen zu vergessen, wer ich war, was ich gelernt habe und was ich kann«, schreibt Walter Zweig am 3. Januar 1938 seiner Frau Jettel. »Ich verspreche Dir, ich werde keine Chance ungenutzt lassen, um Fuß zu fassen in einem Land, von dem ich im Augenblick nur weiß, dass die Menschen dort schwarz sind.« Als Jettel diesen Brief liest, ist sie in Breslau und in Todesangst, ihr Mann unterwegs nach Mombasa. Im letztmöglichen Moment gelingt es ihm, seine Frau und seine fünfjährige Tochter Steffi nach Kenia zu holen. Stefanie Zweig hat die Menschen, die Farben, die Düfte und Tiere, die ihre Kindheit zu einem Erlebnis machten, nie vergessen können, aber auch nicht die Härte, Hoffnungslosigkeit und Not, die das Leben ihrer Eltern belasteten. Die Großeltern und Tanten, die nicht rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, hat sie nie wiedergesehen. Tortz aller Verfolgung kehrt Walter Zweig 1947 in das Land zurück, das er immer noch als Heimat empfindet. Er wird in Frankfurt am Main zum Richter berufen und ein Jahr später Rechtsanwalt. Es ist die Zeit von Trümmern, Hunger und Not, aber auch von Hilfsbereitschaft, Hoffnung und Träumen. Steffi ist nach einem Jahr in Frankfurt so unterernährt, dass sie in die die Schweiz geschickt wird. Ihre Gasteltern, deren Kunstsinn und Bilder bestimmen ihr Leben ebenso wie in ihrer Kindheit die Farm am Fuße des Mount Kenya. Ihrem Vater hat sie, der Liebe wegen, nie gestanden, dass ihr Herz in Afrika geblieben ist. In einem bewegenden Epilog schildert Stefanie Zweig die Zeit von 1948 bis heute. Sie erzählt mit Humor, Distanz und Leidenschaft von Liebe und Schmerz, vom Journalismus, der für sie berufliche Erfüllung wurde, von späten Erfolgen und frühen Erkenntnissen, von den Rosen und Dornen des Lebens.


Autorenportrait
 Stefanie Zweig wurde 1932 in Leobschütz (Oberschlesien) geboren. Im Jahr 1938 zwang die Verfolgung der Nationalsozialisten die jüdische Familie zur Flucht. Sie emigrierte nach Kenia. Dort wurde der Vater, ein Jurist, ein schlecht bezahlter Angestellter auf einer Farm im Hochland. Seine Tochter hat Kenia nie vergessen können und sie ist, wann immer sie konnte, in das Land ihrer Liebe zurückgekehrt. Im Jahre 1947 ging die Familie nach Deutschland zurück. Stefanie Zweig hat dreißig Jahre lang das Feuilleton einer Frankfurter Tageszeitung geleitet. Für ihre Jugendbücher erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Ferner hat sie es ein ganzes Leben lang nicht lassen können, sich mit den Absonderlichkeiten des Alltags zu beschäftigen. Für die in Frankfurt unvergessene Abendpost-Nachtausgabe schrieb sie jahrzehntelang Glossen und Kolumnen, die Frankfurter Neue Presse setzt diese heitere Tradition fort. Dort erscheint jeden Samstag unter dem Titel „Meine Welt“ eine Kolumne von Stefanie Zweig.
Stefanie Zweigs Romane standen wochenlang auf den Bestsellerlisten und erreichten eine Gesamtauflage von über 7 Millionen Exemplaren und wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt. „Nirgendwo in Afrika“ wurde von der preisgekrönten Regisseurin Caroline Link fürs Kino verfilmt. Der Film gewann 2002 sowohl den Bayerischen als auch den Deutschen Filmpreis, und bekam 2003 den „Oscar“ für den besten ausländischen Film verliehen.
Mit dem Buch habe ich gestern begonnen zu lesen.

Die Autorin ist mir durch andere Werke von ihr vertraut.

Gelesen habe ich:

Das Haus in der Rothschildallee                                              
Die Kinder in der Rothschildallee          
Heimkehr in die Rotschildallee                                                
Irgendwo in Deutschland  

Mir haben alle Bücher von ihr gut gefallen.

Das obige Buch, bestehend aus der Korrespondent der Familie Zweig, lese ich auch mit großem Interesse, obwohl sich vieles durch die anderen gelesenen Werke schon wiederholt aber dadurch, dass hier sämtliche Briefe abgedruckt sind, die die Familie Zweig durch ihr Exil in Afrika an Freunden und Familie verfasst hatte, sind die Gefühle, Ängste und die Gedanken der damaligen Menschen noch authentischer geschrieben.. Ein reger Briefwechsel, den ich gerne verfolge.

Mitunter sind den Briefen noch schöne Fotografien der dreiköpfigen Zweig-Familie mit abgedruckt.


Samstag, 10. August 2013

Leo Tolstoi / Die Kreutzersonate



















Klappentext
Auf einer nächtlichen Bahnreise durch das winterliche Russland entspinnt sich zwischen wechselnden Fahrgästen ein Gespräch über Liebe, Ehe, Moral und Gesellschaft. Gegen Ende erzählt der ehemalige Gutsbesitzer Posdnyschew einem Mitreisenden vom tragischen Verlauf seiner Ehe und legt ein erschütterndes Geständnis ab: Zunehmend enttäuscht und von unbegründeter Eifersucht zerfressen hat er seiner Frau das Leben genommen. Meisterhaft setzt Leo Tolstoi die authentische Geschichte in Literatur um und entfaltet subtil das innere Drama seiner Figuren. Zugleich ist dieses bedeutende Alterswerk Ausdruck der eigenen sozialkritischen und moralischen Positionen. 

Autorenportrait
Leo Tolstoi wurde 1828 in Jasnaja Poljana als Sohn eines Grafen und Großgrundbesitzers geboren. 1847 brach er sein Studium ab, um sich um die Verwaltung des elterlichen Gutes zu kümmern. Durch Landreformen versuchte er die Situation der Leibeigenen zu verbessern. Nach Militärdienst und diversen Reisen durch Europa zog er sich schließlich nach Jasnaja Poljana zurück, wo er seine großen Romane schrieb. Tolstois lebenslange Suche nach der geeigneten Lebensform kulminierte 1910 darin, daß er seine Frau verließ, da diese nicht bereit war, sich von den gemeinsamen Besitztümern zu trennen. Er starb kurze Zeit darauf an einer Lungenentzündung.
Von Tolstoi habe ich gelesen:
Der Tod von Iwan Iljitsch
Kindheit und Jugend      
Anna Kararina vor mehr als zwanzig Jahren

Aus meinem Blog musste ich einige Titel russischer Autoren löschen, da ich mir ein Schadprogramm eingefangen hatte.
Aus diesem Grunde habe ich hier auf dieser Seite sowohl die Buchvorstellung als auch die Buchbesprechung stehen. Die separate Buchvorstellung musste ich wieder löschen.


Buchbesprechung

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Ich bewerte sie als eine Erzählung, stand zwar im Buchband nicht dabei, liest sich aber aus dem Kontext heraus. Und nicht nur das. Die Erzählung hatte einen dramatischen Hintergrund. Kann demnach zusätlich auch als Drama durchgehen.

Was typisch für Leo Tolstoi ist, er macht sich viele, viele Gedanken zur Ehe, darüber, ob die Ehe etwas taugt, macht sich jede Menge Gedanken über die Liebe, über das gesellschaftliche Verhalten dazu, s. Klappentext oben.

Ich schreibe mir die wichtigsten Szenen heraus. Im Zug treffen ein paar Fahrgäste zueinander und sie dadurch ins Gespräch kommen. Man nimmt an der Konversation über die Liebe teil. In diesem Abschnitt erlebe ich die Liebe in idealisierter Form. Ein weiblicher Fahrgast ist z.B. der Meinung, dass nur die Liebe die Ehe heiligen würde. Das klingt recht nett, doch man stellt sich automatisch die Frage, was sie unter Liebe versteht?
Die wahre Liebe... Ist diese Liebe zwischen Mann und Frau, dann ist auch die Ehe möglich. 
Die wahre Ehe nur die ist, die von der Liebe geheiligt wird. (13)
Interessant finde ich die These, wenn auch sie nicht ganz neu für mich ist, dass viele Männer sich von Äußerlichkeiten blenden lassen. Kann daraus denn wahre Liebe entstehen, die eher körperorientiert ist und der Mann sich einbildet, dass er die Frau lieben würde?
Merkwürdig, wie vollkommen die Täuschung ist, dass das Schöne und das Gute ist. Eine schöne Frau mag Dummheiten schwatzen, wir lauschen ihr und hören nichts Dummes, hören sogar Gescheites heraus. Sie spricht, sie macht hässliche Dinge, und wir sehen etwas Anmutiges darin. Spricht sie aber weder Dummes noch Hässliches und ist sie schön, gleich bilden wir uns ein, sie sei Wunder wie gescheit und tugendhaft. (27)
Die Frauen spüren jene Erwartungen der Männer und reagieren darauf:
Ihr wollt, wir sollen nur Gegenstand der Sinnlichkeit sein? Gut, wir sind ein Gegenstand der Sinnlichkeit und machen euch zu Sklaven. (35)
Ich finde schon, dass Tolstoi sehr kritisch mit dem eigenen Geschlecht umgeht. Wer kann das schon? Wer schafft es schon, sich ein paar Meter von sich selbst zu entfernen und Gedanken so objektiv zu äußern, als wäre man  davon gar nicht betroffen:
Gehen Sie alle Fabriken durch. Ein ungeheurer Teil von ihnen fertigt unnützen Schmuck, Möbel, Equipagen, Spielereien für die Frauen. Millionen von Menschen, Geschlechter von Sklaven gehen zu Grunde in dieser Galeerenarbeit der Fabriken, nur um die Launen der Weiber zu befriedigen. Wie Fürstinnen auf dem Throne halten die Frauen neun Zehntel des Menschengeschlechts in den Fesseln der Knechtschaft und schwerer Arbeit. Und alles nur, weil man sie erniedrigt hat, weil man ihnen die Gleichberechtigung mit den Männern genommen hat. Und dafür rächen sie sich, indem sie auf unsere Sinnlichkeit einwirken und uns in ihren Nutzen zu fangen suchen. (36)
Ich wusste gar nicht, dass die Frau jemals gleichberechtigt zum Manne stand.

Manchmal triften die Gedanken darüber, was wahre Liebe ist, stark ins Philosophische. Gedanken darüber, ob es sich lohne, das Menschengeschlecht aufrecht zu erhalten, bzw. es weiter fortleben zu lassen, sind auch oft Inhalt der Gespräche. Stark pessimistische Figuren sehen darin keinen Sinn.
" Warum muss es denn fortleben, das Menschengeschlecht?"
" Wie, warum? Dann wären wir doch nicht."
" Warum müssen wir denn sein?"
" Wie, warum? Nun, damit wir leben."
" Und warum leben? Wenn wir kein Ziel haben, wenn uns das Leben ward um des Lebens willen, so ist kein Grund da zum Leben." (42)
Aus meiner Sicht ist der Mensch da, um Erfahrungen zu machen. Und die Erfahrungen sind es, die zur Weiterentwicklung führen.

Der Protagonist der Erzählung ist der ehemalige Gutsbesitzer Posdynschew, der über ein sehr negatives Weltbild verfügt. Auch emotional scheint er recht unreif zu sein, aber auch dieser bekennt sich später zu seinen Handlung mit seiner Frau. Lernt aus seinen Handlungen... .

Kaum waren sie verheiratet, geriet die Frau in eine Depression, da die Ehe etwas Endgültiges dargestellt. Sich bewusst zu werden, dass man sich auf einen Mann für den Rest des Lebens festgelegt hat, kann einen mürbe machen. Wer kann schon sicher sein, dass dies gelingt? Normen und Gesetze diktieren den Menschen Regeln auf.
Was das Widerwärtigste an der Sache ist, (…) ist, dass man in der Theorie annimmt, die Liebe sei etwas Ideales, Erhabenes; in Wirklichkeit ist die Liebe etwas Gemeines, Schweiniches; von ihr zu reden, an sie zu denken ist eine Gemeinheit und eine Schande. Nicht umsonst hat die Natur es so eingerichtet, dass es gemein und hässlich ist. Weckt die Liebe aber Abscheu und Scham, so muss man sie auch so auffassen. Indessen reden sich die Menschen ein, dass das Hässliche und Unsaubere - schön und erhaben ist. (49)
Dadurch, dass der Mensch zu sehr mit Alltagspflichten behaftet ist, so habe er keine Chance, sich wirklich mit seinem eigenen Ich auseinanderzusetzen.
Wir leben in der Stadt. In der Stadt kann der Mensch hundert Jahre leben und merkt es gar nicht, dass er längst tot und verfault ist. Man hat gar keine Zeit, sich mit seinem Ich auseinanderzusetzenn -immer ist man beschäftigt. Geschäfte, geselliger Verkehr, die Gesundheit, die Künste, die Gesundheit der Kinder, ihre Erziehung. Bald muss man diesen und jenen empfangen, bald diesen und jenen besuchen; bald muss man diese sehen oder diese oder jene hören. (69)
Worauf sich in der Erzählung das Dramatische bezieht, möchte ich nicht verraten. Auf den ersten achtzig Seiten, das Büchelchen hat gerade mal 143 Seiten, wunderte ich mich noch immer über den Titel. Erst später lernt man einen Geiger kennen, der Bekanntschaft mit Posdynschews Frau macht, die selbst auch Musikerin ist, und beide eine musikalische Beziehung zu einander entwickeln, zu der Posdynschew recht eifersüchtig reagiert. Eigentlich hat mir die Erzählung erst ab hier gefallen. Das davor war mir zu intellektuell und über die Liebe zu reden empfinde ich als recht mühsam, da jeder eine andere Vorstellung davon hat. Ich bin sicher, dass es eine Liebe gibt, tief im Inneren, die frei von Zwängen ist, und die bei allen gleich ist. Diese aber kann man mit Worten nicht ausschmücken, man würde sie zerreden, aber man muss sich dort hin entwickeln können, sonst bleibt diese Form von Liebe verschüttet.
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Wir lernen auf Erden eine Menge Menschen kennen, aber am wenigsten uns selber!
(Erwin Strittmatter)

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Montag, 5. August 2013

Erwin Strittmatter / Der Laden II (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Ich fühle mich in dem Schreibstil des Autors zu Hause. Strittmatter schreibt einfach toll; fantasievoll, mit Witz und Humor, und er besitzt eine große Beobachtungsgabe.
Die Trilogie des Autors erinnert mich an Marcel Prousts Werke, nur dass Strittmatter eben über seine "Zunft" schreibt, die Zunft der Kleinbürger. Es passiert nicht viel, wer auf Action aus ist, wird sich langweilen, wer Pointen einer Kultur Anfang des 20. Jhrd. sucht, wird sich zufriedenstellen und neugierig sein. Ich gehöre der zweiten Kategorie an... .

Es geht um Esau Matt, der aus der Ich-Perspektive über seine Kindheit schreibt, darin mit eingeschlossen sein umgebendes Umfeld.

Es ist eine Autobiographie und die Eltern von Strittmatter gaben für die Veröffentlichung dieser nur ihr Verständnis, wenn er die autobiographischen Werke anders benennt, z.B. wurde abgemacht, dass der Autor den Literaturfiguren nur fiktiven Namen gibt. Und das tat er dann auch. Ich habe die Eltern als recht positiv und tolerant gegenüber ihren Sohn erlebt, die mir dadurch recht sympathisch wurden.

Was den Humor betrifft, so fand ich ihn getroffen, wie Strittmatter aus der Perspektive eines Kindes die Welt, von der er umgeben ist, zu verstehen versucht. Fast auf jeder Seite gab es etwas, worüber ich schmunzeln oder lachen musste, ohne aber dass die Figuren zu sehr ins Lächerliche gezogen werden. Betrachtet werden die Figuren mit der Logik eines Kindes.

In dem zweiten Band der Trilogie geht es um den größeren Schüler Esau Matt, der von der Grundschule auf die Sekundarstufe I und II wechselt. Bis zum Ende des Buches legt Esau seine Kindheit und Jugend ab.

Esau Matt beobachtet nicht nur die Welt seiner Mitmenschen, nein, sogar auch die der Tiere und geht recht kritisch mit seinen Beobachtungen um:
Ich habe gesehen, wie frisch geschlüpfte Küken nach einem roten Pünktchen auf der Zehenhaut eines Mitkükens pickte, bis dem ein Blutstropfen aus der Zehenhaut trat, und wie dies Küken danach erst recht bedrängt und gehackt wurde, bis er sich in eine Ecke hockte, matt wurde und umkam.Ich begriff nicht, wie das, was sie Rohheit nennen, schon in den Eintagsküken stecken konnte, auf die noch nicht ein Strählchen Sonne gefallen war. Da muss die Rohheit schon im Ei in ihnen gewesen sein oder noch früher, vielleicht schon im Hahnensamen, als er die Henne betrat. (24)
Auch zu den Schlachttieren bildet er sich schon recht früh eine kritische Meinung. Diesbezüglich war er seiner Zeit voraus. Während heute noch viele Menschen Wurst verzehren ohne darüber nachzudenken, geht Eau dazu einen anderen Weg.
In den Grasgarten der Lehnigks bauten die Dorfmaurer ein Schlachthaus, in dem wir als Kinder zusahen, wie Ochsen, Bullen, Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen starben. Im Fleischerladen wurde das Fleisch der getöteten Tiere umbenannt: Rindfleisch verwandelte sich zu Rouladen, Schweinefleisch zu Karbonaden und Schinken. Wir Menschen, wir Tieresser, beruhigen unser Gewissen mit diesen Umbenennungen ein wenig. Wurst, zum Beispiel, lässt uns ganz und gar vergessen, dass sie aus Fleisch von getöteten Tieren besteht; Wurst ist eben Wurst."(319)
Esau Matt, so heißt der Protagonist des Romans, verlässt über der Woche sein Elternhaus, und zieht ein paar Ortschaften weiter weg in die Souterrainwohnung seiner Pensionseltern Juro und Mina Baltin, um den neuen Schulweg zu verkürzen. Die Baltins sind FreundInnen seiner Eltern. An den Wochenenden fährt er wieder zurück nach Hause... . Esau Matt lebt sich gut in seiner Gastfamilie ein. In der Schule zählt er zu den Besten in seiner Klasse.
Als ein Lehrer die Schüler befragt, welchen Beruf der Vater praktizieren würde, so lachten diese Esau aus, als er ihnen mitteilte, dass sein Vater Bäcker sei. Der Lehrer war klug und konnte einschreiten, in dem er passende und wertschätzende Worte zu dem Bäckerberuf von sich gab: "Seid nicht affig. Der Mensch muss essen. Gebacken muss werden." (208) Die Schüler hörten auf zu lachen.

Juro Baltin denkt über Esaus Zukunft nach:
In die Gewerkschaft müsste ich später auch rein, rät Juro. Später, später, immer dieses später! In der Schule sagen sie uns, später werden wir uns über alles freuen, was wir gelernt haben. Weshalb richten sie es nicht so ein, dass wir uns gleich darüber freuen können? (105)
In seinem zarten Kindesalter macht sich Esau auch Gedanken über die Politik. Es gibt nichts, worüber er sich keine Gedanken macht. Er scheint für alles ein gutes Feeling zu haben, eine recht gute Einschätzung der Sachlage aus seiner Umwelt:
Die Regierenden preisen als Fortschritt, was sie tun, und wecken bedenkenlos Bedürfnisse bei den kleinen Leuten, und wenn sie die Bedürfnisse nicht mehr erfüllen können, heißt es, es herrschen ungünstige Zeitverhältnisse. Als ob die Verhältnisse nicht von Menschen, von Stadtvätern und ähnlichen Leuten geschaffen werden. (…) Das Winterhalbjahr ist für die Kleinstädter die Zeit, sich kräftiger zu bilden als im Sommer. Wissen ist Macht, predigen die Studienräte. Aber noch immer gehört die Macht nicht denen, die wissen, sondern denen, die über die Mittel verfügen, den Wissenden ihr Wissen abzukaufen, um Machtinstrumente daraus zu fertigen. (108 / 118)
Esau Matt ist kein gewöhnliches Kind. Schon allein, dass die Mutter einen Laden führt, macht ihn besonders. Einerseits hat das positive Folgen, andererseits auch weniger positive. Damit die Kunden nicht wegbleiben, muss er immer ein tadelloses Verhalten an den Tag legen. Den Laden zu führen, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, ist für die Familie eine hohe Herausforderung. Ich finde, dass die Eltern auch ganz besondere Menschen sind. Auch Esaus Großvater lässt in Esau prägenden Einfluss zurück. In der Schule wird das Nationallied gesungen, doch Esau weigert sich, es mitzusingen:
Am Schluss lässt der Lehrer das Deutschlandlied anstimmen: Deutschland, Deutschland über alles… ich singe nicht mit. Großvater hat mir das Deutschlandlied ausgeredet. Für ihn ist es Patschuli. Wenn die Deitschen über alles sind und überalle hinkriechen, sagt er, wohin sollen wir Wendnschen denn? (119)
Irgendwie ist Esaus Familie mit besonderer Begabung ausgestattet, wenn diese auch mehr auf das alltägliche Leben umgesetzt werden.

Esau bekommt von der Mutter immer wieder aufgetragen, ihre selbst geschriebenen Gedichte auswendig zu lernen. Doch Esau weigert sich mittlerweile:
Ich bin misstrauisch gegen die Gedichte meiner Mutter geworden, weil ich inzwischen viele Gedichte von wirklichen Dichtern hinter mir habe, ganze Gedichtsbücher. Theodor Storm ist mir zum Beispiel verwandter als meine Mutter: es ist so still; die Heide liegt/im warmen mittags Sonnenstrahlen…. (91)
Die Gedichte seiner Mutter behandeln oftmals Küchen und den Haushaltsbereich:
In dem Gedicht meiner Mutter wird erklärt, dass die Fausthandschuhe nicht gegen Kälte, sondern gegen Wärme schützen sollen; es sind Topflappen: dir nicht die Finger zu verbrühen, soll's dieser Handschuhe bemühen… nein, das sag ich nicht auf! (91)
Wieder zurück in die Tierwelt. Das folgende Zitat möchte ich unbedingt festhalten. Esau macht die Bekanntschaft mit einer Schildkröte, die er gefunden hat und wundert sich über die Beschaffung des Schildkrötenpanzers:
Ich bringe die Schildkröte bis zum Wochenende in einer der leeren Duschkabinen des Badekellers unter und füttere sie mit Apfel-und Birnenstücken. Wenn ich nach den Schularbeiten bin, sitze ich bei ihr und stelle mir vor, wie mir zumute sein würde, wenn mir mein Anzug auf dem Buckel festgewachsen wäre. (140)
Esaus Schulleistungen lassen nach, als er in die Pubertät gerät und anfängt sich für Mädchen zu interessieren. Weitere Details dazu sind dem Buch zu entnehmen.
In seine Klasse kommt ein neuer Schüler namens Wullo Kanin, der ein wenig älter als Esau ist, und in der Schule mit dem Stoff nicht zurechtkommt. Esau Matt wird von seinem Klassenlehrer gebeten, Wullo Nachhilfe zu geben. Aus der Nachhilfe wurde nix, da Wullo ganz andere Interessen hegte und Esau auch damit konfrontierte. Mädchen, Kunst, Lust auf freies Leben... . Diese Lebensweise färbte sich auch auf Esau ab, so dass auch seine Schulleistungen dermaßen nachließen, dass seine Versetzung gefährdet war. Wenn auch Wullo Kanins Auftreten für mich nicht wirklich als bewundernswert gilt, so hat mir doch eine Zitat gefallen, das von ihm stammt. Es geht um die kulturellen Errungenschaften verschiedener Länder:
Wullo Kanin ist mir wieder einmal voraus und weiß drauf zu laufen: Er schreibt wortschwällig über die Bedeutung nationaler Heldenlieder. Die Griechen haben ihren Ilias, schreibt er, die Finnen ihre Kalevala, die Nordländer ihre Edda, die Kaukasier ihren Recken im Tigerfell und die Juden das Alte Testament. Jedes Volk will nachweisen, wie zeitig und in welch nachtschwarzer Vorzeit es schon auf den Beinen war, seine Heldentaten zu verüben - und eben, wie wichtig diese Ur Epen den Völkern sind, ihre Daseinsberechtigung und ihr Recht auf Vorherrschaft nachzuweisen. (273)
Dieser Gedanke hat mir recht gut gefallen.

Ich mache hier nun Schluss und gebe dem Buch wegen seiner Differenziertheit an Welt- und Menschenbild zehn von zehn Punkten und freue mich schon auf den dritten Band der Trilogie. Bin neugierig, wie Esau Matt als Erwachsener durch die Welt zieht und wie er sein junges erwachsendes Leben gestalten wird.
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Wir lernen auf Erden eine Menge Menschen kennen, aber am wenigsten uns selber!
(Erwin Strittmatter)

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Dienstag, 30. Juli 2013

Erwin Strittmatter / Der Laden II


Klappentext:

In der Souterrainwohnung der Pensionseltern sehnt sich Esau Matt die Woche über nach seinem Niederlausitzer Heidedorf. Der ewige Familienstreit um den Laden kommt in seinen Träumen nicht vor. Nun gehört Esau nicht richtig zu Bossdom und nicht richtig zu Grodk - bis das Motorrad kommt, mit dem er in die verlottertste Zeit seines Lebens hineinbraust. 

"Es gibt keine Zeit, in der nichts geschieht, denn geschähe nichts, gäbe es keine Zeit, aber beim Erzählen wird die Chronologie zum Mistbeet für Langeweile. Ich will euch nicht langweilen und verzichte auf Chronologie. Ich durchforsche jene meiner Erlebnisse, die mir zu erklären scheinen, wer ich bin. Wenn ihr meint, daß ich das eine oder andere meiner Erlebnisse überbewerte, daß mein Bericht darüber euch nichts gibt, wie die moderne Redewendung lautet, so blättert weiter." Erwin Strittmatter


"Es gibt Zeit, in der nichts geschieht, denn geschähe nichts, gäbe es keine Zeit"


Autorenportrait

Erwin Strittmatter wurde 1912 als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern in Spremberg geboren. Er beendete das Realgymnasium mit 17 Jahren, arbeitete als Bäckergeselle, Kellner, Chauffeur, Tierwärter und Hilfsarbeiter. 1941 wurde er zum Polizei-Reserve-Bataillon 325 einberufen, das später zum Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 umgebildet und 1943 in SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 umbenannt wurde, ohne Teil der SS zu sein. Bis Sommer 1944 war er Bataillons-Schreiber, danach wurde er zur Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei nach Berlin-Spandau versetzt. Bei Verlegung der Dienststelle setzte er sich mit gefälschten Papieren nach Böhmen ab. Ab 1945 arbeitete er erneute als Bäcker, war daneben Volkskorrespondent einer Zeitung und seit 1947 Amtsvorsteher in sieben Gemeinden, später Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller in Schulzenhof bei Gransee. Er starb am 31. Januar 1994.

BD I zu dem Buch habe ich gelesen und ich bin von dem Schreibstil des Autors recht angetan. BD II begeistert mich ebenso.

Montag, 29. Juli 2013

Marie NDiaye / Rosie Carpe (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch beschreibt eine recht anspruchsvolle und anstrengende Familiengeschichte aus Frankreich. Der Erzählstil ist recht fantasievoll und wortgewandt. Mir haben dazu die Erzählstränge noch recht gut gefallen.
Das typische an der Autorin sind die Frauenschicksale, wobei  in dem vorliegenden Band auch Männer auftreten, die verwundbar sind. Nichtsdestotrotz ist aber die Frau das Geschlecht, das schon recht früh schwanger werden und Kinder in die Welt setzen kann, gewollt oder auch ungewollt und dadurch, je nach Alter, mit schweren Problemen konfrontiert wird, wenn sie nicht selbst auf sich auspasst. Und das macht die Frau noch verletzlicher als den Mann.
Mir waren die Figuren ein wenig fremd, konnte nicht wirklich warm mit ihnen werden. Werde deshalb nicht viel zu dem Buch schreiben.

In dem Buch sind alle Figuren so ziemlich einsame Wesen. Die Hauptfiguren sind Rose-Marie, ihr Bruder Lazare, deren Eltern, und der kleine uneheliche und vaterlose Sohn von Rosie namens Titi. Die Eltern wirken recht kühl und reserviert, haben gewisse Vorstellungen davon, was aus den Kindern Lazare und Rosie werden soll. Allerdings erfüllen die Kinder ihre Vorstellungen nicht. Lazare bricht vorzeitig sein Studium ab, während Rosie für die Berufsausbildung die Abschlussprüfung trotz des angestrengten Lernens nicht besteht. Die Eltern kündigen somit ihre Vormundschaft und entlassen die volljährigen Kinder in die Welt, um für sich selbst zu sorgen, ohne dass sie darauf vorbereitet wurden.

Rosies Schicksal kam mir ein wenig paasiv und künstlich vor, aber nicht unglaubwürdig. Nach der nicht bestandenen Prüfung sucht sie sich einen Job in einem Hotel. Der Viezedirektor ist von ihr gleich angetan und stellt sie blind ein. Gleich nach dem Vorstellungsgespräch bekommt Rosie von ihm das Hotel gezeigt, recht liebevoll und väterlich, und wird somit in ihren Aufgaben eingeweiht, und erfährt daraufhin, dass er sie nach der Arbeit sexuell betören wird. Jeden Abend. Rosie lässt dies mit sich machen. Eine junge Frau, die sicherlich woanders hätte Arbeit finden können, und man fragt sich, weshalb sie das nicht tut... .

Rosie leidet ein wenig, dass ihr Sohn Titi nicht so aufwachsen wird wie die anderen Kinder und bezeichnet ihn als den Verlierer der Gesellschaft..

Ihr Bruder gerät auch auf Abwegen, lebt eine Zeit lang auf der Straße und macht krumme Geschäfte... . Rosie, die ihren Bruder über alles liebt, erlebt zum Schluss hin eine bittere Ernüchterung.

Die Eltern von den beiden waren auch ein wenig seltsam. Die Mutter wird im hohen Alter noch mal schwanger, allerdings von einem anderen Mann. Ihr Mann lässt sich dies gefallen, schafft es nicht, die Ehe zu beenden.
Auf welchen Pfaden sich diese Figuren noch begeben werden, und wie sich ihr Schicksal weiter entwickeln wird, ist dem Buch zu entnehmen.

Das Buch erhält von mir aus o. g. Gründen acht von zehn Punkten!
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Das ist nicht meine Mutter, nein. Ich verwechsle das, (...) es ist nur so, dass sie hätte meine Mutter sein können, wenn meine Mutter in der Lage gewesen wäre zu sein, was sie hätte sein sollen. 
(Marie NDiaye)

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Gelesene Bücher 2011: 86







Samstag, 27. Juli 2013

Marie NDiaye / Rosie Carpe

Klappentext

Eine junge Frau steht in der überfüllten Ankunftshalle des Flughafens von Pointe-à-Pitre, an ihrer Hand ein ängstlicher Junge. Die Frau wartet. Sie hat ein Leben hinter sich gelassen, fern in Frankreich, und wartet darauf, daß ein neues beginnt, jetzt und hier, im Tropenparadies Guadeloupe. "Und Lazare?" fragt das Kind. "Wo ist Lazare, Mama?" Eine Reisegruppe nach der anderen wird mit Blumen in Empfang genommen. Aber Lazare kommt nicht.


Marie NDiayes eigenwillige poetische Sprache zieht den Leser in den Sog einer geheimnisvollen, irritierenden Welt. Das erhoffte Paradies stellt sich nicht ein. Rosie Carpe muß erkennen, daß sie ihrer Lebenssituation nicht entfliehen und alte Beziehungen nicht einfach ablegen kann. Auf Guadeloupe trifft sie ihre Familie wieder. Die Begegnung mit den lieblosen Eltern schmerzt sie, die frühere innige Liebe zu ihrem Bruder Lazare ist verschwunden. Dann begegnet sie Lagrand, der Rosie als einziger zu durchschauen scheint und ihr helfen will. Doch die Liebe zu Rosie zieht Lagrand mit hinein in einen Strudel aus Angst und Erinnern. 


Autorenportrait
Marie NDiaye, 1967 in Pithiviers bei Orléans geboren, veröffentlichte mit 17 ihren ersten Roman; weitere Romane und Theaterstücke folgten. Die Autorin lebt seit 2007 mit ihrer Familie in Berlin.

Von der Autorin habe ich gelesen: Drei starke Frauen, das mich recht betroffen gestimmt hatte. Ein lesenswertes Buch.




  

Meine Minibibliothek


Im Literaturforum haben meine Bücherfreund*innen alle ihre Bücher gezählt, mir war das Zählen zu anstrengend, hielt mich damit zurück, bis ich mich auf die Anregung einer Bekannten, die mit Büchern nichts anzufangen weiß, doch noch dazu angespornt gefühlt habe, meine Schätze zu zählen. Bis auf mein Badezimmer sind in jedem Raum bei mir die Bücher aufgestellt, sogar im Flur.

Insgesamt sind es 2153 Bücher auf 68 qm Wohnfläche. Ein wenig mehr als die Bibliothek von Goethes Vater in Frankfurt Main umfasst. Seine Bibliothek hatte eine Größe von 2100 Büchern. 
Nun setze ich die Zählung hier fort. Mit dem PC ist das Zählen jetzt ein Kinderspiel. 

Viele Bücher habe ich allerdings aus verschiedenen Bibliotheken ausgeliehen. Ich bedauere es, dass ich mir keine Liste angefertigt habe von den geliehenen Büchern, die ja geistig gesehen auch zu mir gehören. Irgendwann werde ich wohl aus Platzmangel gezwungen sein, vermehrt wieder Bibliotheken aufzusuchen. Oder ich schaffe mir einen eReader an. Ich kann mich mit diesem Gedanken noch nicht wirklich anfreunden, auch wenn ich die Vorteile darin sehe. Meine Bücherfreund*nnen sind größtenteils davon hellauf begeistert. Sind stolze Besitzer*nnen eines Kindles. Nur noch vereinzelt gibt es welche, die darauf noch verzichten möchten. 
Nicht nur Bücher gibt es bei mir, sondern auch zwei Katzen. Ein Zitat von Unbekannt: 
Man kann im Leben auf vieles verzichten; nur nicht auf Katzen und Literatur. 
Viele Schriftsteller wählen die kleinen Tiger zu ihren Lieblingstieren, wie z.B. Mark Twain, Ernest Hemingway, Haruki Murakami. Wobei ich auch Hunde liebe, und alles, was Fell und vier Beine hat.  


So, nun setze ich hier meine Bücherzählung fort, sobald ich neue Bücher habe... . 

2039 plus 11, 31.12.15
2050 plus   7, 08.11.16
2057 plus 10, 23.01.16
2067 plus   2, 26.01.16
2069 plus   1  27.01.16
2070 plus   2  30.01.16
2072 plus   3  05.03.16
2075 plus   3  19.03.16
2078 plus   7  09.04.16
2085 plus   3  17.04.16
2088 plus   7  20.05.16
2095 plus 13  09.07.16 
2108 plus  6   11.07.16 (v. Anne)
2114 plus 11 22.07.16
2125 plus  3  03.09.16
2128 plus 15 26.10.16
2143 plus 10 21.03.17
2153 plus   1 31.05.17
2154 plus   2 30.06.17
2156 plus 20 Oktober bis Dezember 2017
2176 plus

Ich habe seit einem Jahr, 2020, aufgehört zu zählen, leider. Derzeit müssten es mehr als 2200 Bücher sein.  Aber was soll´s. Es gibt Bücher, von denen ich mich sowieso trennen möchte, dann sind es auch wieder weniger Bücher. 



Donnerstag, 25. Juli 2013

Hanns Josef Ortheil / Das Kind, das nicht fragte (1)

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Eine überaus kritische Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Dienstag, 23.07.2013, 18:41 Uhr

Das Buch langweilt mich. Ich hatte den Klappentext vor dem Kauf nicht gelesen. Hätte ich machen sollen. Und wieder versucht ein Deutscher ins Ausland zu reisen, mit der Voreingenommenheit, das Land an seinen Maßstäben zu zu messen, das dadurch als rückständig bezeichnet wird, während der Deutsche natürlich als der Weiterentwickelte erscheint, der weiß, was richtig und was falsch ist. Ich verachte solche Bücher. Habe heute dann mal ein paar Leserberichte zu dem Buch gesucht und ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da, wenn auch die Mehrheit von dem Buch recht angetan ist. Aber ich bin nicht die Mehrheit und möchte auch nie zu der Masse dazugehören. Ich lese ein Buch mit dem Weltbild, das ich in meinem Kopf habe, so wie es andere mit ihrem Weltbild auch tun. Mein Weltbild ist bunt, differenziert zu Land und Leute und nicht so schwarz weiß, á la; hier die Guten, dort die Bösen, hier die Klugen, dort die Dummen.

Hoch zu Ross bereist der Ethnologe und Protagonist des Romans ein Dorf tief unten in Sizilien. Ich weiß immer so ziemlich genau, was und wie der Protagonist zu gewissen Themen sich mental verhalten wird, ich kann die Szenen dort auch sehr gut voraussehen. Man kennt ja schließlich die Klischees, die hier im Lande so herrschen bezogen auf südliche Länder Europas und diese spiegeln sich auch in diesem Buch wieder.
Ziemliche banale Themen, für einen Ethnologen, nach meinem Begriff viel zu banal und alltäglich. Einfach nur trivial. Die Details dazu sind dem Buch zu entnehmen.
Was ich allerdings genieße, ist die Einfachheit des Schreibstils. Hilft mir, ins Lesen wieder reinzukommen, nach dem ich aus stressbedingten Gründen meinen Lesefluss verloren hatte.

Donnerstag, 25.07.2013, 21:21 Uhr
Ich habe selbst während meines Studiums Feldstudien betrieben und habe dabei gelernt, dass man als ForscherIn wertneutral an die Menschen heranzugehen hat. Das ist der Protagonist nach wie vor nicht. Er ist ziemlich überheblich und genießt es von allen auf der Insel umworben zu werden. Perfektes Auftreten, perfekte Arbeit, ein Meister der Einfühlsamkeit, der Menschenkenner a priori. Natürlich sagt er das nicht zu sich selbst, aber er lässt dies durch seine Figuren aussprechen, mit der Ausnahme:
Meine Forschungen in Madlinca werden (...) ein Jahrhundertwerk geben.
Mit dieser Aussage kann man erkennen, wie sehr der Protagonist von sich eingenommen ist. Doch so banal, wie er seine Studien betreibt, wird sein Meisterwerk schnell wieder aussterben.

Er interviewt den Bürgermeister, und zieht in seinem Kopf die Antworten ins Lächerliche, als der Bürgermeister dem Ethnologe seine Gedanken und Ideen zur kulturellen Weiterentwicklung Mandlinca äußerte, die Kultur weiter voranzutreiben, die eine Vorreiterrolle in Sizilien und in Europa habe:
"Sie sind Jurist?" frage ich. 
"Ja, in der Tat", antwortet er und lächelt zum ersten Mal.
"Das klingt alles fantastisch", sage ich (und meine es absolut wörtlich).
"Ja", antwortet er, "es ist ein ehrgeiziges Programm."
"Wie viel Zeit werden Sie brauchen?"
"Wir haben uns einen Zeitraum von fünf Jahren gegeben."
"Das klingt vernünftig und realistisch" und gebe mir Mühe, nicht zu lachen.
Wenn der Ethnologe einen Sizilianer interviewt, dann immer mit Hintergedanken, witzelt über ihn, zieht ihn gedanklich ins Lächerliche.

Ich finde, das ist dem Ethnologen nicht gelungen, Distanz zu wahren und das eigene Urteil über Menschen zurückzustecken. Dass sich auch auf Sizilien diverse gesellschaftliche Veränderungen vollzogen haben, das scheint an dem Autor vorbeigegangen zu sein. Italien ist schon lange kein Land mehr, das als kinderreich bezeichnet werden kann. Es ist das geburtenschwächste Land innerhalb der EU, dann folgt Spanien und erst an dritter Stelle steht Deutschland. Frauen sind lange nicht mehr nur an den Herd, an Kindererziehung und an Kirche gebunden, doch der Autor scheint auch diese Entwicklung verpasst zu haben. Mein Wissen dazu habe ich nicht aus dem Bereich der Belletristik, sondern aus diversen Fachbüchern, in denen verschiedene Studien zu der gesellschaftlichen Entwicklung Italiens nach zu lesen waren. Wer die Quelle zu den verschiedenen Büchern genannt bekommen möchte, kann mir gerne eine eMail schicken. Ich möchte jetzt hier nicht die ganzen Bücher auflisten.

In dem Buch von Ortheil hatte der Protagonist bis auf Seite 200 nur zwei Frauen interviewt und das sind Deutsche, die nach Italien eingewandert sind. Mit diesen deutschen Frauen hatte der Ethnologe eine freundschaftliche Beziehung entwickelt und sich auch noch in eine von den beiden Schwestern verliebt. Und dann ist es ganz klar, dass diese zwei Frauen nichts Gutes mit den ItalienerInnen erlebt haben... .
 Italiener gibt es in dem Buch hauptsächlich, Männer, die er interviewen kann, da die Männer das Dorf übervölkern. Und so vermittelt er mir den Einruck, dass die Frauen nur in der Kirche sein können oder sie stehen am Herd. In Wahrheit ist es keineswegs so, dass auf der Piazza nur Männer zu sehen sind. Ich finde dieses Buch mehr schlecht als recht, und da fragt man sich, wer hält an verkrusteten Denkgewohnheiten fest?

Ein Beispiel: seiner banalen Themen:

 Der Ethnologe interviewt die deutsche Hotelbesitzerin namens Maria, die zusammen mit ihrer Schwester Paula als junge Frauen eine Reise in den Süden machte und schon am ersten Tag verliebt sich eine von den beiden in den Sizilianer Lucio und sind dadurch auf der Insel geblieben. Und nun das Interview:
Der Ethnologe: "Damals, als ihr beide, Paula und Du, Lucio kennengelernt habt, sind Dir seine Pullover aufgefallen. Was war so merkwürdig an diesen Pullovern?"
Sind das nicht, ironisch gefragt, intelligente Fragen?

Hat nicht jeder Mensch eine besondere Eigenart und auch ein Recht auf Persönlichkeit??

Er beschreibt diese beiden deutschen Frauen als intelligent und weltoffen, während die SizilianerInnen eher nicht in diese Kategorie passen. Das liest sich aus dem Kontext heraus. Später geht dies ganz direkt aus dem Text hervor. Ich spare mir die Zitate.

Man merkt dem Autor an, dass er nur Laie ist und kein echter Ethnologe.

Ortheil nimmt sich das Recht heraus, Sizilien nicht mit Italien zu vergleichen... . Was für ein Blödsinn.

Jedes Land hat seine Ressourcen, und nicht nur Schwächen.

Ich werde das Buch nun abbrechen, habe mehr als die Hälfte durch, und es hat sich alles bewahrheitet, was ich von Anfang an schon vermutet habe. Kein Gedanke war mir fremd, alles erwies sich mir als voraussehbar. Bin ich jetzt die Menschenkennerin?

Der Ethnologe nennt sich Benjamin Merz, hat noch vier um einige Jahre ältere Brüder, die ihn alle bevormunden. Benjamin, der Kleine, zieht sich als Junge immer mehr in sich selbst zurück, schweigt, redet kaum etwas und lässt äußerlich alles über sich ergehen und flieht aber in seine Innenwelt. Er erleidet dadurch ein Kindheitstrauma, das er selbst als Erwachsener noch nicht überwunden hat. Noch als Erwachsener wird er von seinen Brüdern weiterhin bevormundet, noch immer wird muss er such den Kosenamen "Kleiner" über sich ergehen lassen, und flieht schließlich nach Italien, auf die Insel Sizilien, ein Dorf namens Mandlica und stellt dort entsetzt fest, dass ihn seine Vergangenheit einholt und er immer wieder an Personen gerät, die sich ihm verschließen. Mandlica scheint ein Fantasiename zu sein.
Benjamin ist der einzige von seinen Brüdern, der keine Familie gegründet hat und hat auch so kaum Kontakt zu Frauen. Wenn er von einer Frau oder mehrere Frauen emotional - sexuell überzeugt ist, dann geht er platonische Hochzeiten mit diesen ein.

Ein wenig naiv, muss ich sagen, als er davon spricht, und seine vielen mentalen Frauen als real angibt. Ich halte das ganze Buch für total unreif und wenig überzeugend.

Ich habe den Eindruck gewonnen, Merz projiziert seine Minderwertigkeitskomplexe auf die Sizilianer. Sich hervorheben, andere dadurch erniedrigen, zeigt, was Merz selbst für ein abstruses verstecktes Selbstbild von sich hat.
Dadurch, dass das Buch teilweise als autobiographisch deklariert wurde, sehe ich in Merz den Autor, der wohl noch immer an sein Kindheitstrauma zu beißen hat. 

Das Buch erhält von mir vier von zehn Punkten!

Es gibt keine Zeit, in der nichts geschieht, denn geschähe nichts, gäbe es keine Zeit.
(E. Strittmatter)

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Dienstag, 23. Juli 2013

Hanns-Josef Ortheil / Das Kind, das nicht fragte

Klappentext
An einem Frühlingstag im April landet Benjamin Merz mit dem Flugzeug in Catania. Merz ist Ethnologe, und er möchte die Lebensgewohnheiten der Menschen in Mandlica, einer kleinen Stadt an der Südküste Siziliens, erkunden. Er freut sich auf das Frage- und Antwortspiel, auf das er sich gründlich vorbereitet, damit er mit den Einheimischen ins Gespräch kommt. Allerdings muss er große Hemmungen überwinden, um diese Gespräche auch tatsächlich zu führen. Denn Benjamin Merz ist zwar ein kluger Ethnologe, aber ihm fällt es ungeheuer schwer, das zu tun, worauf seine ganze Arbeit aufbaut: Fragen zu stellen. Und das hat seinen Grund. Aufgewachsen ist Benjamin Merz mit vier weitaus älteren Brüdern. Seine Kinderjahre verbrachte er in einer aufgezwungenen Spracharmut. Seine älteren Brüder gaben in der Familie den Ton an, und er als Nachkömmling war schon häufig alleine damit überfordert, zu verstehen, worüber gesprochen wurde. Selbst einfachste Verständnisfragen traute er sich dann nicht zu stellen, und später musste er sich das Fragen mühsam antrainieren. Dafür kann er aber ausgezeichnet zuhören. Und diese Fähigkeit macht ihn in Mandlica, der Stadt der Dolci, zu einem begehrten Gesprächspartner – insbesondere bei den Frauen. Sie beginnen ihm Familiengeheimnisse und verborgenste Liebeswünsche anzuvertrauen … Mit dem Roman »Das Kind, das nicht fragte« schreibt Hanns-Josef Ortheil an dem großen autobiographischen Selbsterforschungsprojekt seiner Kinder- und Jugendjahre weiter. Nach »Die Erfindung des Lebens« und »Die Moselreise« setzt sich der Autor auch in diesem Roman mit dem großen Themenkomplex des Zusammenhangs von Verstummen und Sprechen, Fragen und Selbstfindung auseinander.
Autorenportrait
Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Brandenburger Literaturpreis, dem Thomas-Mann-Preis, dem Georg-K.-Glaser Preis, dem Koblenzer Literaturpreis, dem Nicolas Born-Preis und jüngst dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.

Gelesen habe ich von dem Autor: Die Erfindung des Lebens


Montag, 22. Juli 2013

Der große Gatsby / F. Scott Fitzgerald (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Zu dem Buch gibt es aus meiner Sicht nicht viel zu sagen, werde mich daher kurz halten. Die Details sind dem Buch zu entnehmen. Es gibt Bücher, zu denen ich total viel Lust verspüre, über den Inhalt zu schreiben. Bei dem vorliegenden Buch fehlt mir diese Lust. Sicherlich liegt es an diesen oberflächlichen Menschen, die mich nicht sonderlich angezogen haben. Mir fehlt in dem Buch jegliche Weisheit.

Nun im Groben; es geht um eine amerikanische wohlhabende, oberflächliche und versnobte Gesellschaft auf Long Island. Der Roman spielt im Jahre 1922.
Der Ich-Erzähler Nick Graway befasst sich aus seiner Perspektive mit dem Leben und Ansichten des Protagonisten namens Jay Gatsby und mit dessen gesellschaftlichem Milieu. Nick ist von Beruf Aktienmakler.

Mit Jay Gatsby macht Nick die Bekanntschaft, als er ein altes Haus in West Egg auf Long Island bezieht. Das prunkvolle Nachbarhaus ist das Haus von Jay Gatsby. Gatsby veranstaltet viele Feste und Tanzpartys, an denen auch Nick eingeladen war, ohne dass Gatsby vorher wusste, was Nick für eine Persönlichkeit ist. Es genügte wohlhabend zu sein, alles andere ist nebensächlich und unbedeutend.
In den letzten Wochen hatte ich mich vielleicht fünf oder sechs mal mit ihm unterhalten und dabei zu meiner Enttäuschung festgestellt, dass er im Grunde oberflächlich war. Mein erster Eindruck, dass er eine geheimnisvolle und bedeutende Persönlichkeit sei, war daher allmählich korrigiert worden. Jetzt war er für mich nur noch der Eigentümer des luxuriösen Landhauses neben an. (58 f)
Auf den Partys erscheinen viele junge Leute, ohne sich wirklich zu kennen und ohne das Interesse zu haben, sich näher kennenzulernen.
Es fallen beiläufige Bemerkungen, Fremde werden einander vorgestellt und der Name des neuen Bekannten sofort wieder vergessen. Frauen fallen sich in die Arme, die sich noch nicht einmal dem Namen nach kennen. (39)
Gatsby nimmt ein tragisches Ende, nachdem die Liebe zwischen ihm und der mit Tom Buchanan verheirateten Daisy, die gemeinsam eine kleine Tochter haben, gescheitert ist. Daisy konnte sich zwischen Tom und Gatsby nicht entscheiden... .
Durch Daisy, die eine sehr schlechte Autofahrerin ist, kommt es zu einem Unfall, und verletzt eine Passantin tödlich. Es ist die Ehefrau von Wilson, die durch den Unfall stirbt. Doch Gatsby, der Daisys Beifahrer war, nimmt alle Schuld auf sich. Willson rächt sich an Gatsby für den Tod seiner Frau und erschießt ihn.

Nick lernt Gatsbys Vater kennen, der mit den Nerven fertig war, als er von dem fürchterlichen Tod seines Sohnes erfährt. Stolz zeigt er Nick eine Fotografie, die der Vater von seinem Sohn zugeschickt bekam. Erst dachte ich, dass auf dem Foto sein Sohn abgebildet ist:
"Dieses Bild hat mir mein Sohn geschickt."  Der Vater holte mit zittrigen Händen seine Brieftasche heraus. "Sehen Sie mal". Er zeigte mir ein Foto vom Haus; es war von vielem Anfassen schon fleckig und an den Ecken eingerissen. Stolz zeigt er mir jedes Detail."Sehen Sie - hier!" Dabei vergewisserte er sich immer wieder meiner Bewunderung. Er hatte es schon so oft herum gezeigt, dass dieses Bild für ihn wohl realer war als das Haus an sich. (…) Er hielt mir das Foto noch eine weitere Minute unter die Nase und schien es gar nicht mehr weglegen zu wollen. Schließlich steckte er seine Brieftasche widerwillig ein und zog nun eine zersplitterte Ausgabe des Buchs Hopalong Cassidy aus seiner Tasche."Sehen Sie mal, das ist ein altes Buch aus seiner Jugendzeit. Das zeigt alles". Er schlug die letzte Seite auf und hielt mir das Buch hin. Auf der leeren Seite stand in Druckbuchstaben das Wort STUNDENPLAN und das Datum 12. September 1906." (152)
Auf dem Stundenplan war die gesamte Tagesstruktur minutiös aufgelistet. Darauf war der Vater stolz. Auf die Leistung seines Sohnes, auf das, was er materiell besitzt. Der Vater trauert nicht wirklich um seinen Sohn, sondern mehr um den gehobenen Menschen, den er noch hätte werden sollen, wäre da nicht der Tod zuvorgekommen.

Das Buch ist arm an menschlichen Werten, vielmehr die Figuren darin, nicht das Buch selbst. Nicht nur Nick hat diese menschlichen Werte vermisst, ich ebenso. Deshalb schließe ich nun meine Aufzeichnungen zu dem Buch.

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Samstag, 20. Juli 2013

Der große Gatsby / F. Scott Fitzgerald

Klappentext
Der große Gatsby ist ein gesellschaftskritischer Roman, der im New York der 1920er Jahre spielt. Im Mittelpunkt steht die Verkörperung des amerikanischen Traums, das Streben nach Geld, Macht und Liebe, und schließlich dessen Scheitern.


Autorenportrait
Mit dem großen Erfolg seines Romanerstlings 'This Side of Paradise' und mit 'The Great Gatsby' wurde F. Scott Fitzgerald (1896-1940) zum literarischen Wortführer jener Ära, für die er das Schlagwort 'Jazz Age' prägte. Er hat das glitzernde New York der Zwischenkriegsjahre, das sich für die Rhythmen von Duke Ellington und Louis Armstrong begeisterte, zeitdokumentarisch eingefangen, ohne die Frage auszublenden, ob dieser Glanz trügerisch sei. Seine Helden, kaum verhüllte Porträts Fitzgeralds, strotzen vor Selbstbewußtsein und leiden zugleich an ihrem Ausbeuten der eigenen Seele.

Von dem Autor habe ich auch  Der seltsame Fall des Benjamin Button gelesen, wobei mir erst die Buchverfilmung in die Hände geriet, die mir nicht gefallen hatte. Anschließend besorgte ich mir das Buch, von dem ich wiederum sehr angetan war.
Aufmerksam wurde ich auf das Buch über andere Bücher, das mich neugierig stimmte.





Donnerstag, 18. Juli 2013

Mohammed Hanif / Eine Kiste explodierender Mangos (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Das Buch ist interessant geschrieben und ebenso recht belastend, was ja auch das Thema mit sich bringt, deshalb werde ich mich zu diesem Buch nur kurz halten. Denn mich hatte das Buch arg deprimiert. Aber weggucken, das wollte ich auch nicht.
Der Titel ist recht interessant und hat eine starke, symbolische Bedeutung, auf die ich aber nicht eingehen möchte, um die Spannung oder vielmehr die Neugier nicht vorwegzunehmen.

Pakistanische Kriegsliteratur, herrschende Militärdiktatur, Kalter Krieg; was mich schon auf den ersten einhundert Seiten recht betroffen gestimmt hat.
Der Ich-Erzähler, Luftwaffenkadett Ali Shigri, befindet sich in Vernehmungshaft. Es geht um ein abgestürztes pakistanische Militärflugzeug  des Präsidenten Zia ul-Haq. Es wird nun untersucht, ob der Absturz die Folge eines Attentats ist. In dem Militärflugzeug befand sich auch der US-Botschafter Arnold Raphael und verschiedene Generäle.

Es steht erst einmal jeder unter einem Generalversacht, der in irgendeiner Weise mit dem Flugzeugabsturz zu tun hatte.
Die Militärpolizei versucht herauszubekommen, welche Abneigungen bzw. menschliche Schwächen die Inhaftieren haben, um sie damit zu foltern. Ali Shigir z. B. hasst öffentliche Toiletten. Und in genau einer wird er eingesperrt, die eklig, unsauber ist. Shigir verbringt die Nacht in der Toilette stehend, um sich nicht auf den ekelhaften Boden zu legen. Stehend, gehend, groß war der Raum nicht. Ich stelle mir das schrecklich vor. Eine ganze Nacht stehen zu müssen.
"Ich strecke meine Arme und konzentriere mich auf die Lektüre."
Lektüre? Ein wenig sarkastisch gemeint. Mit Literatur bezeichnet Shigir das mit Kot und Blut versehene Geschreibsel an den Wänden. Menschen, die hier ebenso gefangen waren, schreiben über ihr Leid... .
Inhaftierte müssen sich auch psychologische Tests unterziehen, um an das Innenleben derjenigen Menschen einzudringen. Diese Tests werden von Ärzten gestellt und in der Ausführung betreut. Gibt man absichtlich falsche Antworten an, kann es zu einem falschen Persönlichkeitsbild führen, und das Leben nochmals existentiell gefährden... .
Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, dann muss sie dem Gericht beweisen, dass sie schuldlos war. Mädchen, die durch die Vergewaltigung entjungfert wurden, müssen beweisen, dass sie vor der Vergewaltigung noch Jungfrau waren. Überhaupt ist die Frau in dem Buch immer eine Schuldperson, unabhängig davon, wie sie sich verhält. Ein Beispiel mit First Lady, die abwehrende Haltung ihres Mannes ihr gegenüber, und sie selbst, weil sie es nicht anders kennt, die abwehrende Haltung westlicher Frauen gegenüber:
Der Informationsminister schickte ihr die Ausschnitte, die sie meist vor ihrem Mann versteckte, weil er stets etwas an ihrer Erscheinung auszusetzen hatte. Wenn sie Make - up truck, beschuldigte er sie, westliche Frauen nachzuäffen. Trat sie ungeschminkt auf, mäkelte er, sie sehe eher tot als eine First Lady aus. Unentwegt predigte er ihr, dass sie als First Lady eines islamischen Staates ein Vorbild für andere Frauen sein müsse. (...) Das erste, was die First Lady an einem Bild schockierte, war die Masse von dem nackten Fleisch, das aus der Bluse der weißen Frau quoll. Sie wusste sofort, dass dieses Weib eines dieser neuen BHs mit Drahtbügelverstärkung trug, die die Brüste anhoben und größer scheinen ließen. Mehrere der anderen Generalsgattinnen hatten solche BHs, besaßen jedoch zumindest den Anstand, hochgeschlossene Blusen darüber zu tragen, so dass die verbesserte Form sich nur andeutete. Die Frau auf dem Bild hingegen trug eine Bluse, die so weit ausgeschnitten war, dass die Hälfte ihrer Brüste frei lag, und zwar derart hoch gedrückt und zusammen gepresst, dass der diamante Anhänger um ihren Hals beinahe in ihrem Dekollté verschwand.Und daneben ihr Gemahl - der Mann der Wahrheit; der Mann des Glaubens; der Mann, der den Frauen zur besten Sendezeit Anstand predigte; der Mann, der Richterinnen Nachrichtensprecherin feuerte, weil sie sich weigerten, einen Dupatta um den Kopf zu tragen; der Mann, der nicht gestattete, dass in einer Fernsehserie zwei Kissen nebeneinander auf einem leeren Bett lagen; der Mann, der die Kinobetreiber dazu zwang, jedes ungedeckte Stückchen Arm oder Bein auf den Filmplakaten zu übermalen-, dieser Mann saß da und starrte so entrückt und selbstvergessen auf die beiden Kugeln aus weißem Fleisch, dass man meinen konnte, seine eigene Frau sei ohne ein solches Paar auf die Welt gekommen, (124f).
Wenn man solche Bücher liest, dann muss man aufpassen, dass man nicht alle Menschen aus dieser Welt als altmodisch und rückständig betrachtet. Denn auch in dieser Welt gibt es Menschen, die sich nach religiöser, politischer und gesellschaftlicher Freiheit sehnen. Und das sind nicht einmal wenige.

Menschen, die sich mit westlicher Literatur befassen, leben gefährlich. Werden solche Bücher bei ihnen gefunden, dann kommen sie ins Gefängnis, werden gefoltert und angeklagt. Dabei muss ich immer wieder an Franz Kafka denken, denn diese Welt in dem Buch hat starke Kafkaeske Züge. Was Menschen aus der westlichen Welt innerlich an Bedrohung erleben, erleben andere äußerlich. Ich kenne viele Leute, die Kafka für pessimistisch hielten. Ohne wirklich etwas getan zu haben, kommen Menschen in den Knast, nur weil eine Regierung das für richtig hält. Nichtige Gründe, banale Gründe kann Menschen in die existentielle Not bringen. Grundlos. Kafka ist alles andere als pessimistisch. Kafka ist durch und durch real.

Andersdenkende jeglicher Art sind vom Militär nicht erwünscht. Abfälliges Verhalten gegenüber Menschen anderer Kulturen wird in dem Buch mehrmals beschrieben, während die eigene Kultur glorifiziert wird.
General Zia hatte zugesehen, wie ihn die Indiras in einen weißen Baumwollsari gehüllter Leib Feuer fing. Einen Moment lang hatte es gewirkt, als würde sie aufstehen und davonlaufen, aber dann war ihr Schädel explodiert. Der General dankte Allah, dass er ihnen Pakistan geschenkt hatte und ihre Kinder diese Hölle auf Erden nicht jeden Tag mit ansehen mussten. (80)
Mit diesem Zitat beende ich somit meine Gedanken zu dem Buch. Wie gesagt, obwohl uns hier vieles bewusst ist, was die Lebensweise arabisch - islamisch gesitteter Länder betrifft, stimmt es mich nach wie vor betroffen, und es mir immer wieder von neuem deutlich wird, wie viele Verbrechen unsere Menschenwelt trägt... . Wie viele Morde tagtäglich weltweit verübt, wie viele Verletzungen zugefügt werden. Eine Hölle nach dem Tod? Ein Fegefeuer? Für mich ist die Erde das Fegefeuer und die Hölle. Eine schlimmere Hölle kann ich mir nicht mehr vorstellen.
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Mit den guten Dingen im Leben ist es wie mit der Geburt eines Kindes. Neunzig Prozent sind Warten.
(James A. Michener)

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Freitag, 12. Juli 2013

Mohammed Hanif / Eine Kiste explodierender Mangos

Klappentext
Am 17. August 1988 explodiert wenige Minuten nach dem Start in Richtung Islamabad das Flugzeug des pakistanischen Präsidenten Zia ul-Haq. An Bord befinden sich neben dem Militärdiktator und treuesten Verbündeten der USA im Afghanistankrieg auch einige seiner ranghöchsten Generäle und der US-Botschafter Arnold Raphel. Bis heute ist es eine der großen offenen Fragen in der gewaltreichen Geschichte Pakistans, ob es sich bei dem mysteriösen Absturz um einen Unfall oder um ein Attentat handelte.Mohammed Hanif greift dieses Ereignis auf und entwickelt daraus einen Roman mit anarchischer Komik und schwarzem Humor. Hatte der CIA seine Finger im Spiel? Waren es pakistanische Generäle, unglücklich über ihre bevorstehende Pensionierung? Geschah es wegen des Fluchs einer blinden Frau? Oder durch ein Geschenk der All Pakistan Mango Farmers Cooperative?Auch könnte der Erzähler, der Luftwaffenkadett Ali Shigri, verantwortlich sein, der seine eigenen Pläne verfolgt. Ebenso sein Freund Obaid, der jede Frage des Lebens mit einem Spritzer Eau de Toilette und einem Rilke-Zitat beantwortet und plötzlich verschwindet. Oder ist es am Ende doch Leutnant Bannon, der aus seinem Vietnamtrauma in Marihuanaträume fällt?»Eine Kiste explodierender Mangos« ist eine vielschichtige und brillant erzählte Satire über Männer, Macht und Militär, die vor dem historischen Hintergrund auch die Verstrickungen der gegenwärtigen globalen Politik aufdeckt.

Autorenportrait
 Mohammed Hanif, geboren 1965 in Okara/Pakistan, war Pilot der pakistanischen Luftwaffe, bevor er eine Karriere als Journalist einschlug. Ende der neunziger Jahre übersiedelte er mit seiner Familie nach London. Er schrieb Theaterstücke und Drehbücher und absolvierte das renommierte Creative Writing Programme der University of East Anglia. Im Herbst 2008 kehrte er nach Pakistan zurück und arbeitet dort als Korrespondent der BBC. Er lebt in Karachi.»Eine Kiste explodierender Mangos« ist sein erster Roman, der bereits kurz nach Erscheinen für den Man Booker Prize nominiert wurde.
Das ist das zweite Buch, das ich von dem Autor lese. Gelesen habe ich  Alice Bhattis Himmelfahrt, das mir recht gut gefallen hat. Entdeckt habe ich den Autor auf der Frankfurter Buchmesse 2012. Und so sowohl dieses als auch das Cover des anderen Buches fand ich recht originell.





James A. Michener / Dresden Pennsylvania (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch ist interessant aufgebaut und erzählt aus der Perspektive von vier Menschen, die man alle als BibliophilInnen bezeichnen kann.
Zu Beginn erzählt der Schriftsteller Lukas Yoder, der dabei ist, sein drittes Buch zu vermarkten, später werden es vier und man bekommt das ganzen Prozedere mit zwischen Verlagswesen, Lektorin und Leserschaften.
Lukas Yoder kommt aus Pnnsylvania Dutsch Country und man erfährt, dass die Menschen, die dort leben, ehemals aus Deutschland kamen und versuchen in Amerika an ihre Traditionen festzuhalten. Dies fand ich schon interessant, es hat mich an viele AusländerInnen in Deutschland erinnert, die auch ein kleines Asyl bilden und halten darin an ihren Traditionen fest und merken mit der Zeit gar nicht, dass die Traditionen im eigenen Land sich schon längst verändert haben. Oftmals werden diese Menschen von vielen Deutschen als rückständig bezeichnet. Gut zu wissen, dass Deutsche im Ausland auch nichts anderen tun, als die AusländerInnen hier. Ausgewanderte Menschen, die zwischen Tradition und Moderne stehen, stellt sich oftmals als ein Prozess heraus, der konfliktreich erlebt werden kann, aber nicht unüberwindlich ist. Lukas Yodar entscheidet sich am Ende des Romans für die Moderne.
Dieses Kapitel fand ich ein wenig zäh, weil alles, was mit dem Vertreiben des Buches so minutiös berichtet wurde, die ganzen Details aus dem Verlagswesen wurden geschildert, dass es mich ein wenig gelangweilt gestimmt hatte. Die Wende kam schließlich mit dem zweiten Kapitel, ohne Lukas Yoder aus den Augen zu verlieren.

Das Leben der Lektorin Yvonne Marmelle wird in diesem Kapitel vorgestellt, das ich richtig spannend fand. Sie erzählt von ihrer Kindheit und wie sie es geschafft hat, in das Verlagswesen bei Kinetic als ganz junger Mensch ohne jegliche Vorkenntnisse hineinzukommen und sich innerhalb kürzester Zeit zu einer beliebten und kompetenten Lektorin hochgearbeitet hat. Eigentlich hätte sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten sollen, und in der Textilindustrie arbeiten, nach dem man sie aus finanziellen Nöten vorzeitig von der Schule nahm:
In so ein Leben lasse ich mich nicht ein zwängen. Es gibt eine Welt der Bücher, der Ideen, und ich werde mir den Zutritt in dieser Welt erkämpfen. Ich floh aus dem Bezirk mit seinen belebten Straßen und der enormen Vitalität. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich jetzt nach einer Stelle umsehen sollte. Da kamen mir vage die Worte eines Dozenten in den Sinn, der in Professor Fineschreibers einen Gastvortrag gehalten und dabei gesagt hatte: "An der Madison Avenue gibt es diese Anhäufung von Verlagen, die bestimmen den geistigen Kurs der Nation" . (149)
Yvonne Marmelle besitzt eine besondere Fähigkeit; sie setzt sich für ihre AutorInnen ein, die sie entdeckt. Sie entwickelt ein echtes Gespür für gute Bücher und ist in der Lage, aus einem Stapel abgelehnter Manuskripte noch gute herauszufischen. Und sie bringt all ihre Kraft auf, die von ihr entdeckten AutorInnen verantwortungsvoll zu begleiten und zu fördern.
Durch sie lernt man viele AutorInnen kennen. Darunter befanden sich Persönlichkeiten, die das Zeug zum Schreiben zwar hatten, sie sich aber selbst so sehr im Wege standen, dass schließlich das Buchprojekt platzen musste. Narzisstische Persönlichkeiten, die nicht in der Lage waren, konstruktive Kritik anzunehmen.

Anschließen lernt man den Literaturkritiker Karl Streibert kennen. Ein begabter Wissenschaftler, der recht schnell sich hocharbeiten konnte. Er dozierte an verschiedenen Universitäten und hatte die Absicht, junge, begabte AutorInnen zu fördern. Sein Ziel war, ihnen das Schreiben nicht auszureden, sondern sie darin zu ermuntern.
Wenn Sie sich die Empfindungen nicht vorstellen können, die Ihre Figuren bewegen, und sich nicht mit ihnen zu identifizieren vermögen, wird nie ein Schriftsteller aus Ihnen, ganz gleich, wie scheußlich ihr Verhalten, wie edel, wie aufopfernd, wie banal, Sie müssen sich dahin bringen, nicht nur die Situation, sondern auch das Innenleben eines Charakters zu spüren.(236) (...) ein Künstler ist ein schöpferischer Mensch und darf kein normales Leben führen. Er sollte seine geistige Nahrung bei Freunden und Vertrauten finden, die so sind wie er. Seine Aufgabe besteht darin, die Gesellschaft mit einem frischen und notwendigerweise manchmal bittereren Bild ihrer selbst zu konfrontieren und das höchste Gut in dieser Welt das Verhalten in dem ein Mensch gemessen wird, ist unverbrüchliche Treue zu seinen Freunden - was immer die Konsequenzen sein mögen. (266)
Das muss man dem jungen Professor lassen, über die Technik weiß er Bescheid, ist darin Fachmann, ein wahrer Experte.

Dennoch entwickelt er sich aus meiner Sicht zu einem ganz gewöhnlichen Literaturkritiker, der Bücher nach seinen Maßstäben beurteilt. Ich fand diese Figur unsympathisch. Ich finde es überraschend, dass Charles Dickens, William Makepeace Thackery, John Steinbeck, Ernest Hemingway zu den minderwertigen Autoren bezeichnet werden. Da war ich recht verblüff.
Als Kontrast zu den vier guten Schriftsteller
haben wir vier Schriftsteller, die einige Popularität erreicht haben, deren Werk jedoch unter ästhetischen Gesichtspunkten minderwertig erscheinen. Wiederum in chronologischer Reihenfolge: Sinclair Lewis, Pearl S. Buck, Ernest Hemingway, und John Steinbeck.
Thackery wird ein paar Seiten vorher als minderwertig beschrieben. Gar nicht einfach, Schriftsteller zu sein, wenn man bedenkt, welchen Urteilen man ausgesetzt wird. Literaturkritiker sind aus meiner Sicht oftmals die Schlimmsten.
Hemingway war ein großer Poseur, kein großer Schriftsteller. Er tat bescheiden und als ob er in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden wollte - trug jedoch einen unverkennbaren Bart. Er posierte als unverletzbarer Macho - aber als es hart wurde, beging er Selbstmord. Er hat verdient zu bleiben, wo er jetzt ist. Junge Autoren sollen hören, was ich über ihn zu sagen habe. (301)
Professor Karl Streibert hatte auch einen Lehrer, zu dem er hinaufschauen konnte. Er wurde stark von Professor Devlan beeinflusst. Zwischen ihnen entwickelte sich auch eine Freundschaft, da sie sich in ihrem Wesen sehr ähnelten. Was das kreative Schreiben anbelangt, erfuhr Karl Streibert von seinem Freund folgenden Ratschlag:
Sieh zu, dass du zunächst einmal die Figuren ganz klar vor Augen hast und dass sie authentisch sind. Führe sie dann durch die Verwicklungen des Handlungsgeschehens. Lass sie durch ihr Handeln die großen Wahrheiten entdecken, auf denen der Roman beruht - nach allem, was du mir erzählst, Karl, tust du das nicht. Du stellst deine Aussage, deine Ideen vornan. (327f)
Doch auch dieser so hochbegabte Mensch ist Prüfungen ausgesetzt und hat die Absicht, selbst auch Romancier zu werden. Seine Bücher sind dermaßen intellektuell, dass sie in der Gesellschaft wenig Beliebtheit erfahren. Ab wann ist ein Buch gut? Wenn kaum einer sie versteht? Karl Streiberts Bücher werden hauptsächlich von Universitätsprofessoren gelesen und anerkannt. Doch er macht auch die bittere Erfahrung, dass er als Romanautor nichts taugt und so frage ich mich, ob da nicht ein wenig Neid dahinter steckt, und dadurch andere AutorInnen aggressiv attackieren und herabsetzen muss, die nicht seinem Standard entsprechen? Die Bücher von Lukas Yoder wertet der Professor als trivial, sentimental und mittelmäßig ab, doch da ist die Lektorin Yvonne Marmelle, die sich für Yoder einsetzt, und ihn wie ein Löwe verteidigt.

Als nächstes lernt man die große Leserin Jane Garland kennen. Neben Jane Garland gibt es noch ihren Neffen, Vollwaise, ein hochbegabter junger Mann, der schon im Alter von 22 Jahren an der Universität einen Lehrauftrag zum Kreativen Schreiben erhalten hat. Sein Name ist Timothy Tull. Timothy ist ein begnadeter Schriftsteller, der von Professor Streibert hochgelobt und in die sichere Schriftstellerbahn gelenkt wird.
 Jane Garland steht für Yoder ein, die alle seine Bücher gelesen und zu schätzen gelernt hat und verteidigt diese vor dem Kritiker ebenfalls vehement.
Es kommt zu einer Begegnung dieser vier Menschen, die alle unmittelbar miteinander zu tun bekommen, und es sich im Laufe der Zeit zwischen ihnen zu einer interessanten und tiefen freundschaftlichen Beziehung entwickelt. Selbst der Professor entwickelt sich zu einer Person, die auch mir sympathisch werden könnte. Und diese Entwicklung fand ich recht schön.
Fast am Ende angelangt, wird man noch im Hause Garland von einem dramatischen, kriminellen Ereignis erfasst, auf das ich nicht eingehen werde, um nicht zu viel vorwegzunehmen.

Jane Garland finde ich auch eine recht interessierte Persönlichkeit, die durch den Kontakt mit obigen Personen viel dazugelernt hat und macht folgende Selbsterkenntnis, nach dem sie von ein paar schweren Schicksalsschlägen eingeholt wurde, die mit tiefen menschlichen Verlusten einhergehen, als sie zusätzlich Trost in den Büchern fand:
In meinem schmerzlichen Verlust fiel mir auf, dass zwei Dinge in den Vordergrund zu treten schienen. Wie in jeder Lebenskrise fand ich auch diesmal Erleichterung durch Lesen, und ich hielt mich einmal an Lieblingsbücher, die mich in anderen Lebensphasen bezaubert hatten (…). Es waren, wenn ich so sagen darf, Bücher mehr oder weniger gleicher Art, Geschichten in der großen Form herkömmlichen Erzählens mit einer traditionell verwendeten Sprache und stammten allesamt von europäischen Schriftstellern. Als Ausgleich las ich die neuesten, gut besprochene Romane junger amerikanischer Autoren, und einige waren so frisch und entzückend, und sogar gewagt, dass ich ein intellektuell befriedigendes Leben führte. Auf Ratgeber zum Leben im Schmerz oder zum Überleben nach dem Verlust eines geliebten Menschen war ich nicht angewiesen. Ich bezog meine Therapie aus den großen Gedanken und Abenteurern, wie sie in Weltsprachen erzählt worden sind. Der zweite Faktor, der mir half, nicht den Verstand zu verlieren, war ein überraschendes Moment.
Ich war in einer anständigen Familie groß geworden, hatte einen anständigen Mann geheiratet, der in einer anständigen Firma arbeitete und in einer anständigen amerikanischen Stadt wohnte. Ich war auch, könnte man meinen, im gesellschaftlichen Sinn verarmt, denn zu meinem Freundes und Bekanntenkreis gehörten keine Schwarzen, keine Juden und sehr wenige Katholiken. In meiner Familie gab es keine Vorurteile gegenüber solchen Menschen, auch nicht gegenüber Slaven und Polen, aus denen die Arbeiterschaft der Stahlhütte bestand; meine Eltern erzogen mich nur so, dass ich diese Menschen ignorierte. Ich fand nicht einmal Gefallen an den doch recht amüsanten Pennsylvaisch-Deutschen  am Rande unserer Gesellschaft." (505f)
Hier beende ich nun meine Aufzeichnungen, und kann jedem empfehlen, der oder die Bücher liebt und sich gerne über das Leben anderer BücherliebhaberInnen beschäftigen möchte, ob es nun AutorInnen oder LeserInnen sind.

Ich gebe dem Buch acht von zehn Punkten. Auch wenn ich anfangs ein wenig ungeduldig war, so ist es dem Autor gelungen, mich wieder in voller Konzentration zurückzuholen. Es ist eben Geschmackssache. Die einen mögen es, das ganze Prozedere eines Schriftstellers mit zu erleben,
anderen wiederum wird es mit der Zeit langweilig. Ich gehörte zu der zweiten Kategorie.

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Mit den guten Dingen im Leben ist es wie mit der Geburt eines Kindes. Neunzig Prozent sind Warten.
(James A. Michener)

Gelesene Bücher 2013: 45
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86














Samstag, 6. Juli 2013

James A. Michener / Dresden, Pennsylvania



Hintergrund
Dresden Pennsylvania - James A. Michener ---> Die Pennsylvania Dutch (Deutsche) im östlichen Pennsylvania haben eine faszinierend bewegende Geschichte. Die Amischen, wie sie in USA genannt werden, sind in ihrem Festhalten an den alten Traditionen und einer "simplen", naturgemäßen Lebensweise vielleicht dem Untergang geweiht. Aber haben sie einen eigenen Charm und üben auf den modernen Stadtmenschen mit seinem erfolgsorientierten Streben eine große Anziehungskraft aus und wecken Sehnsüchte... - Hier spielt Micheners Roman, im westlich von New York gelegenen Dresden, im Herzen von Pennsylvania, eine Gründung deutscher Einwanderer. Hier lebt auch der Schriftsteller Lukas Yoder, der in ländlicher Abgeschiedenheit gerade seinen letzten großen Roman fertiggestellt hat. Doch der Frieden trügt. Die Veröffentlichung seines Werkes wird zu einer dramatischen - und tödlichen - Auseinandersetzung um ein neues Lebensgefühl zwischen Tradition und Moderne. Eine erbitterte literarische Fehde, begletet von einem mysteriösen Mord...

Autorenportrait auf Wikipedia
Micheners Eltern sind unbekannt. Laut seinen Papieren wurde er am 3. Februar 1907 in New York geboren, jedoch sind tatsächlich weder sein Geburtsdatum noch sein Geburtsort bekannt.[1]Als Waise wuchs Michener bei seiner Pflegemutter Mabel Michener inDoylestown, Pennsylvania auf. Er arbeitete zunächst als Lehrer und als Lektor. ImZweiten Weltkrieg, während seines Einsatzes im Südpazifik, entstand auf dervanuatuischen Insel Espiritu Santo sein erstes Buch Die Südsee, eine Sammlung von lose zusammenhängenden Kurzgeschichten. Für dieses Buch erhielt er 1948 den Pulitzer-Preis.

Das Buch habe ich diese Woche von meiner Literaturfreundin Anne geschenkt bekommt, die es kürzlich selbst auch gelesen hatte und sie von dem Inhalt sehr angetan war. Sie ist der Meinung, dass das Buch mir auch gefallen könnte, und so hat sie mich darauf recht neugierig gestimmt.

Der Autor ist mir unbekannt.


Freitag, 5. Juli 2013

Hans Fallada / Bauern, Bonzen und Bomben





Klappentext
Falladas erster großer Roman: Das Psychogramm einer Staatsbefindlichkeit.In diesem Buch erfährt man, wie Politik auf dem Lande in der Weimarer Republik aussehen konnte, im Spannungsfeld einer politisch hellhörig gewordenen Gesellschaft zwischen Linken und Rechten, Arbeitern und Bauern.


Autorenportrait im Klappentext
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938).»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«

Gelesen habe ich von Fallada:

1. Damals bei uns daheim
2. Der Trinker                                                
3. Ein Mann will nach oben                                                          
4. Jeder stirbt für sich allein                                                        
5. Kleiner Mann – großer Mann – alles vertauscht                    
6. Kleiner Mann, was nun?                                                            
7. Wer aus dem Blechnapf frißt
8. Wolf unter Wölfen


Ich fand alle Bücher gut geschrieben.
Mit obigem Titel konnte ich aber nicht wirklich warm werden. Hatte es schon mal angelesen und wieder abgebrochen. Ich möchte es jetzt noch einmal versuchen.


Nachtrag, Sa. 06.07.2013, 12:23 Uhr 
Das Buch habe ich nun ein zweites Mal wieder abgebrochen und weiß nun, woran das liegt. Es treten in dem Roman nur Männer auf, und nur ganz selten eine Frau, und dann auch nur im Hintergrund. Mir ist diese Männerwelt einfach zu trocken.
Schon der Titel ist irgendwie mit Männlichkeit überfrachtet, wenn ihr versteht, was ich meine. Weiß nicht, wie man das noch besser ausdrücken könnte.