Freitag, 12. Juli 2013

James A. Michener / Dresden Pennsylvania (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch ist interessant aufgebaut und erzählt aus der Perspektive von vier Menschen, die man alle als BibliophilInnen bezeichnen kann.
Zu Beginn erzählt der Schriftsteller Lukas Yoder, der dabei ist, sein drittes Buch zu vermarkten, später werden es vier und man bekommt das ganzen Prozedere mit zwischen Verlagswesen, Lektorin und Leserschaften.
Lukas Yoder kommt aus Pnnsylvania Dutsch Country und man erfährt, dass die Menschen, die dort leben, ehemals aus Deutschland kamen und versuchen in Amerika an ihre Traditionen festzuhalten. Dies fand ich schon interessant, es hat mich an viele AusländerInnen in Deutschland erinnert, die auch ein kleines Asyl bilden und halten darin an ihren Traditionen fest und merken mit der Zeit gar nicht, dass die Traditionen im eigenen Land sich schon längst verändert haben. Oftmals werden diese Menschen von vielen Deutschen als rückständig bezeichnet. Gut zu wissen, dass Deutsche im Ausland auch nichts anderen tun, als die AusländerInnen hier. Ausgewanderte Menschen, die zwischen Tradition und Moderne stehen, stellt sich oftmals als ein Prozess heraus, der konfliktreich erlebt werden kann, aber nicht unüberwindlich ist. Lukas Yodar entscheidet sich am Ende des Romans für die Moderne.
Dieses Kapitel fand ich ein wenig zäh, weil alles, was mit dem Vertreiben des Buches so minutiös berichtet wurde, die ganzen Details aus dem Verlagswesen wurden geschildert, dass es mich ein wenig gelangweilt gestimmt hatte. Die Wende kam schließlich mit dem zweiten Kapitel, ohne Lukas Yoder aus den Augen zu verlieren.

Das Leben der Lektorin Yvonne Marmelle wird in diesem Kapitel vorgestellt, das ich richtig spannend fand. Sie erzählt von ihrer Kindheit und wie sie es geschafft hat, in das Verlagswesen bei Kinetic als ganz junger Mensch ohne jegliche Vorkenntnisse hineinzukommen und sich innerhalb kürzester Zeit zu einer beliebten und kompetenten Lektorin hochgearbeitet hat. Eigentlich hätte sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten sollen, und in der Textilindustrie arbeiten, nach dem man sie aus finanziellen Nöten vorzeitig von der Schule nahm:
In so ein Leben lasse ich mich nicht ein zwängen. Es gibt eine Welt der Bücher, der Ideen, und ich werde mir den Zutritt in dieser Welt erkämpfen. Ich floh aus dem Bezirk mit seinen belebten Straßen und der enormen Vitalität. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich jetzt nach einer Stelle umsehen sollte. Da kamen mir vage die Worte eines Dozenten in den Sinn, der in Professor Fineschreibers einen Gastvortrag gehalten und dabei gesagt hatte: "An der Madison Avenue gibt es diese Anhäufung von Verlagen, die bestimmen den geistigen Kurs der Nation" . (149)
Yvonne Marmelle besitzt eine besondere Fähigkeit; sie setzt sich für ihre AutorInnen ein, die sie entdeckt. Sie entwickelt ein echtes Gespür für gute Bücher und ist in der Lage, aus einem Stapel abgelehnter Manuskripte noch gute herauszufischen. Und sie bringt all ihre Kraft auf, die von ihr entdeckten AutorInnen verantwortungsvoll zu begleiten und zu fördern.
Durch sie lernt man viele AutorInnen kennen. Darunter befanden sich Persönlichkeiten, die das Zeug zum Schreiben zwar hatten, sie sich aber selbst so sehr im Wege standen, dass schließlich das Buchprojekt platzen musste. Narzisstische Persönlichkeiten, die nicht in der Lage waren, konstruktive Kritik anzunehmen.

Anschließen lernt man den Literaturkritiker Karl Streibert kennen. Ein begabter Wissenschaftler, der recht schnell sich hocharbeiten konnte. Er dozierte an verschiedenen Universitäten und hatte die Absicht, junge, begabte AutorInnen zu fördern. Sein Ziel war, ihnen das Schreiben nicht auszureden, sondern sie darin zu ermuntern.
Wenn Sie sich die Empfindungen nicht vorstellen können, die Ihre Figuren bewegen, und sich nicht mit ihnen zu identifizieren vermögen, wird nie ein Schriftsteller aus Ihnen, ganz gleich, wie scheußlich ihr Verhalten, wie edel, wie aufopfernd, wie banal, Sie müssen sich dahin bringen, nicht nur die Situation, sondern auch das Innenleben eines Charakters zu spüren.(236) (...) ein Künstler ist ein schöpferischer Mensch und darf kein normales Leben führen. Er sollte seine geistige Nahrung bei Freunden und Vertrauten finden, die so sind wie er. Seine Aufgabe besteht darin, die Gesellschaft mit einem frischen und notwendigerweise manchmal bittereren Bild ihrer selbst zu konfrontieren und das höchste Gut in dieser Welt das Verhalten in dem ein Mensch gemessen wird, ist unverbrüchliche Treue zu seinen Freunden - was immer die Konsequenzen sein mögen. (266)
Das muss man dem jungen Professor lassen, über die Technik weiß er Bescheid, ist darin Fachmann, ein wahrer Experte.

Dennoch entwickelt er sich aus meiner Sicht zu einem ganz gewöhnlichen Literaturkritiker, der Bücher nach seinen Maßstäben beurteilt. Ich fand diese Figur unsympathisch. Ich finde es überraschend, dass Charles Dickens, William Makepeace Thackery, John Steinbeck, Ernest Hemingway zu den minderwertigen Autoren bezeichnet werden. Da war ich recht verblüff.
Als Kontrast zu den vier guten Schriftsteller
haben wir vier Schriftsteller, die einige Popularität erreicht haben, deren Werk jedoch unter ästhetischen Gesichtspunkten minderwertig erscheinen. Wiederum in chronologischer Reihenfolge: Sinclair Lewis, Pearl S. Buck, Ernest Hemingway, und John Steinbeck.
Thackery wird ein paar Seiten vorher als minderwertig beschrieben. Gar nicht einfach, Schriftsteller zu sein, wenn man bedenkt, welchen Urteilen man ausgesetzt wird. Literaturkritiker sind aus meiner Sicht oftmals die Schlimmsten.
Hemingway war ein großer Poseur, kein großer Schriftsteller. Er tat bescheiden und als ob er in der Öffentlichkeit nicht erkannt werden wollte - trug jedoch einen unverkennbaren Bart. Er posierte als unverletzbarer Macho - aber als es hart wurde, beging er Selbstmord. Er hat verdient zu bleiben, wo er jetzt ist. Junge Autoren sollen hören, was ich über ihn zu sagen habe. (301)
Professor Karl Streibert hatte auch einen Lehrer, zu dem er hinaufschauen konnte. Er wurde stark von Professor Devlan beeinflusst. Zwischen ihnen entwickelte sich auch eine Freundschaft, da sie sich in ihrem Wesen sehr ähnelten. Was das kreative Schreiben anbelangt, erfuhr Karl Streibert von seinem Freund folgenden Ratschlag:
Sieh zu, dass du zunächst einmal die Figuren ganz klar vor Augen hast und dass sie authentisch sind. Führe sie dann durch die Verwicklungen des Handlungsgeschehens. Lass sie durch ihr Handeln die großen Wahrheiten entdecken, auf denen der Roman beruht - nach allem, was du mir erzählst, Karl, tust du das nicht. Du stellst deine Aussage, deine Ideen vornan. (327f)
Doch auch dieser so hochbegabte Mensch ist Prüfungen ausgesetzt und hat die Absicht, selbst auch Romancier zu werden. Seine Bücher sind dermaßen intellektuell, dass sie in der Gesellschaft wenig Beliebtheit erfahren. Ab wann ist ein Buch gut? Wenn kaum einer sie versteht? Karl Streiberts Bücher werden hauptsächlich von Universitätsprofessoren gelesen und anerkannt. Doch er macht auch die bittere Erfahrung, dass er als Romanautor nichts taugt und so frage ich mich, ob da nicht ein wenig Neid dahinter steckt, und dadurch andere AutorInnen aggressiv attackieren und herabsetzen muss, die nicht seinem Standard entsprechen? Die Bücher von Lukas Yoder wertet der Professor als trivial, sentimental und mittelmäßig ab, doch da ist die Lektorin Yvonne Marmelle, die sich für Yoder einsetzt, und ihn wie ein Löwe verteidigt.

Als nächstes lernt man die große Leserin Jane Garland kennen. Neben Jane Garland gibt es noch ihren Neffen, Vollwaise, ein hochbegabter junger Mann, der schon im Alter von 22 Jahren an der Universität einen Lehrauftrag zum Kreativen Schreiben erhalten hat. Sein Name ist Timothy Tull. Timothy ist ein begnadeter Schriftsteller, der von Professor Streibert hochgelobt und in die sichere Schriftstellerbahn gelenkt wird.
 Jane Garland steht für Yoder ein, die alle seine Bücher gelesen und zu schätzen gelernt hat und verteidigt diese vor dem Kritiker ebenfalls vehement.
Es kommt zu einer Begegnung dieser vier Menschen, die alle unmittelbar miteinander zu tun bekommen, und es sich im Laufe der Zeit zwischen ihnen zu einer interessanten und tiefen freundschaftlichen Beziehung entwickelt. Selbst der Professor entwickelt sich zu einer Person, die auch mir sympathisch werden könnte. Und diese Entwicklung fand ich recht schön.
Fast am Ende angelangt, wird man noch im Hause Garland von einem dramatischen, kriminellen Ereignis erfasst, auf das ich nicht eingehen werde, um nicht zu viel vorwegzunehmen.

Jane Garland finde ich auch eine recht interessierte Persönlichkeit, die durch den Kontakt mit obigen Personen viel dazugelernt hat und macht folgende Selbsterkenntnis, nach dem sie von ein paar schweren Schicksalsschlägen eingeholt wurde, die mit tiefen menschlichen Verlusten einhergehen, als sie zusätzlich Trost in den Büchern fand:
In meinem schmerzlichen Verlust fiel mir auf, dass zwei Dinge in den Vordergrund zu treten schienen. Wie in jeder Lebenskrise fand ich auch diesmal Erleichterung durch Lesen, und ich hielt mich einmal an Lieblingsbücher, die mich in anderen Lebensphasen bezaubert hatten (…). Es waren, wenn ich so sagen darf, Bücher mehr oder weniger gleicher Art, Geschichten in der großen Form herkömmlichen Erzählens mit einer traditionell verwendeten Sprache und stammten allesamt von europäischen Schriftstellern. Als Ausgleich las ich die neuesten, gut besprochene Romane junger amerikanischer Autoren, und einige waren so frisch und entzückend, und sogar gewagt, dass ich ein intellektuell befriedigendes Leben führte. Auf Ratgeber zum Leben im Schmerz oder zum Überleben nach dem Verlust eines geliebten Menschen war ich nicht angewiesen. Ich bezog meine Therapie aus den großen Gedanken und Abenteurern, wie sie in Weltsprachen erzählt worden sind. Der zweite Faktor, der mir half, nicht den Verstand zu verlieren, war ein überraschendes Moment.
Ich war in einer anständigen Familie groß geworden, hatte einen anständigen Mann geheiratet, der in einer anständigen Firma arbeitete und in einer anständigen amerikanischen Stadt wohnte. Ich war auch, könnte man meinen, im gesellschaftlichen Sinn verarmt, denn zu meinem Freundes und Bekanntenkreis gehörten keine Schwarzen, keine Juden und sehr wenige Katholiken. In meiner Familie gab es keine Vorurteile gegenüber solchen Menschen, auch nicht gegenüber Slaven und Polen, aus denen die Arbeiterschaft der Stahlhütte bestand; meine Eltern erzogen mich nur so, dass ich diese Menschen ignorierte. Ich fand nicht einmal Gefallen an den doch recht amüsanten Pennsylvaisch-Deutschen  am Rande unserer Gesellschaft." (505f)
Hier beende ich nun meine Aufzeichnungen, und kann jedem empfehlen, der oder die Bücher liebt und sich gerne über das Leben anderer BücherliebhaberInnen beschäftigen möchte, ob es nun AutorInnen oder LeserInnen sind.

Ich gebe dem Buch acht von zehn Punkten. Auch wenn ich anfangs ein wenig ungeduldig war, so ist es dem Autor gelungen, mich wieder in voller Konzentration zurückzuholen. Es ist eben Geschmackssache. Die einen mögen es, das ganze Prozedere eines Schriftstellers mit zu erleben,
anderen wiederum wird es mit der Zeit langweilig. Ich gehörte zu der zweiten Kategorie.

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Mit den guten Dingen im Leben ist es wie mit der Geburt eines Kindes. Neunzig Prozent sind Warten.
(James A. Michener)

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