Donnerstag, 18. Juli 2013

Mohammed Hanif / Eine Kiste explodierender Mangos (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Das Buch ist interessant geschrieben und ebenso recht belastend, was ja auch das Thema mit sich bringt, deshalb werde ich mich zu diesem Buch nur kurz halten. Denn mich hatte das Buch arg deprimiert. Aber weggucken, das wollte ich auch nicht.
Der Titel ist recht interessant und hat eine starke, symbolische Bedeutung, auf die ich aber nicht eingehen möchte, um die Spannung oder vielmehr die Neugier nicht vorwegzunehmen.

Pakistanische Kriegsliteratur, herrschende Militärdiktatur, Kalter Krieg; was mich schon auf den ersten einhundert Seiten recht betroffen gestimmt hat.
Der Ich-Erzähler, Luftwaffenkadett Ali Shigri, befindet sich in Vernehmungshaft. Es geht um ein abgestürztes pakistanische Militärflugzeug  des Präsidenten Zia ul-Haq. Es wird nun untersucht, ob der Absturz die Folge eines Attentats ist. In dem Militärflugzeug befand sich auch der US-Botschafter Arnold Raphael und verschiedene Generäle.

Es steht erst einmal jeder unter einem Generalversacht, der in irgendeiner Weise mit dem Flugzeugabsturz zu tun hatte.
Die Militärpolizei versucht herauszubekommen, welche Abneigungen bzw. menschliche Schwächen die Inhaftieren haben, um sie damit zu foltern. Ali Shigir z. B. hasst öffentliche Toiletten. Und in genau einer wird er eingesperrt, die eklig, unsauber ist. Shigir verbringt die Nacht in der Toilette stehend, um sich nicht auf den ekelhaften Boden zu legen. Stehend, gehend, groß war der Raum nicht. Ich stelle mir das schrecklich vor. Eine ganze Nacht stehen zu müssen.
"Ich strecke meine Arme und konzentriere mich auf die Lektüre."
Lektüre? Ein wenig sarkastisch gemeint. Mit Literatur bezeichnet Shigir das mit Kot und Blut versehene Geschreibsel an den Wänden. Menschen, die hier ebenso gefangen waren, schreiben über ihr Leid... .
Inhaftierte müssen sich auch psychologische Tests unterziehen, um an das Innenleben derjenigen Menschen einzudringen. Diese Tests werden von Ärzten gestellt und in der Ausführung betreut. Gibt man absichtlich falsche Antworten an, kann es zu einem falschen Persönlichkeitsbild führen, und das Leben nochmals existentiell gefährden... .
Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, dann muss sie dem Gericht beweisen, dass sie schuldlos war. Mädchen, die durch die Vergewaltigung entjungfert wurden, müssen beweisen, dass sie vor der Vergewaltigung noch Jungfrau waren. Überhaupt ist die Frau in dem Buch immer eine Schuldperson, unabhängig davon, wie sie sich verhält. Ein Beispiel mit First Lady, die abwehrende Haltung ihres Mannes ihr gegenüber, und sie selbst, weil sie es nicht anders kennt, die abwehrende Haltung westlicher Frauen gegenüber:
Der Informationsminister schickte ihr die Ausschnitte, die sie meist vor ihrem Mann versteckte, weil er stets etwas an ihrer Erscheinung auszusetzen hatte. Wenn sie Make - up truck, beschuldigte er sie, westliche Frauen nachzuäffen. Trat sie ungeschminkt auf, mäkelte er, sie sehe eher tot als eine First Lady aus. Unentwegt predigte er ihr, dass sie als First Lady eines islamischen Staates ein Vorbild für andere Frauen sein müsse. (...) Das erste, was die First Lady an einem Bild schockierte, war die Masse von dem nackten Fleisch, das aus der Bluse der weißen Frau quoll. Sie wusste sofort, dass dieses Weib eines dieser neuen BHs mit Drahtbügelverstärkung trug, die die Brüste anhoben und größer scheinen ließen. Mehrere der anderen Generalsgattinnen hatten solche BHs, besaßen jedoch zumindest den Anstand, hochgeschlossene Blusen darüber zu tragen, so dass die verbesserte Form sich nur andeutete. Die Frau auf dem Bild hingegen trug eine Bluse, die so weit ausgeschnitten war, dass die Hälfte ihrer Brüste frei lag, und zwar derart hoch gedrückt und zusammen gepresst, dass der diamante Anhänger um ihren Hals beinahe in ihrem Dekollté verschwand.Und daneben ihr Gemahl - der Mann der Wahrheit; der Mann des Glaubens; der Mann, der den Frauen zur besten Sendezeit Anstand predigte; der Mann, der Richterinnen Nachrichtensprecherin feuerte, weil sie sich weigerten, einen Dupatta um den Kopf zu tragen; der Mann, der nicht gestattete, dass in einer Fernsehserie zwei Kissen nebeneinander auf einem leeren Bett lagen; der Mann, der die Kinobetreiber dazu zwang, jedes ungedeckte Stückchen Arm oder Bein auf den Filmplakaten zu übermalen-, dieser Mann saß da und starrte so entrückt und selbstvergessen auf die beiden Kugeln aus weißem Fleisch, dass man meinen konnte, seine eigene Frau sei ohne ein solches Paar auf die Welt gekommen, (124f).
Wenn man solche Bücher liest, dann muss man aufpassen, dass man nicht alle Menschen aus dieser Welt als altmodisch und rückständig betrachtet. Denn auch in dieser Welt gibt es Menschen, die sich nach religiöser, politischer und gesellschaftlicher Freiheit sehnen. Und das sind nicht einmal wenige.

Menschen, die sich mit westlicher Literatur befassen, leben gefährlich. Werden solche Bücher bei ihnen gefunden, dann kommen sie ins Gefängnis, werden gefoltert und angeklagt. Dabei muss ich immer wieder an Franz Kafka denken, denn diese Welt in dem Buch hat starke Kafkaeske Züge. Was Menschen aus der westlichen Welt innerlich an Bedrohung erleben, erleben andere äußerlich. Ich kenne viele Leute, die Kafka für pessimistisch hielten. Ohne wirklich etwas getan zu haben, kommen Menschen in den Knast, nur weil eine Regierung das für richtig hält. Nichtige Gründe, banale Gründe kann Menschen in die existentielle Not bringen. Grundlos. Kafka ist alles andere als pessimistisch. Kafka ist durch und durch real.

Andersdenkende jeglicher Art sind vom Militär nicht erwünscht. Abfälliges Verhalten gegenüber Menschen anderer Kulturen wird in dem Buch mehrmals beschrieben, während die eigene Kultur glorifiziert wird.
General Zia hatte zugesehen, wie ihn die Indiras in einen weißen Baumwollsari gehüllter Leib Feuer fing. Einen Moment lang hatte es gewirkt, als würde sie aufstehen und davonlaufen, aber dann war ihr Schädel explodiert. Der General dankte Allah, dass er ihnen Pakistan geschenkt hatte und ihre Kinder diese Hölle auf Erden nicht jeden Tag mit ansehen mussten. (80)
Mit diesem Zitat beende ich somit meine Gedanken zu dem Buch. Wie gesagt, obwohl uns hier vieles bewusst ist, was die Lebensweise arabisch - islamisch gesitteter Länder betrifft, stimmt es mich nach wie vor betroffen, und es mir immer wieder von neuem deutlich wird, wie viele Verbrechen unsere Menschenwelt trägt... . Wie viele Morde tagtäglich weltweit verübt, wie viele Verletzungen zugefügt werden. Eine Hölle nach dem Tod? Ein Fegefeuer? Für mich ist die Erde das Fegefeuer und die Hölle. Eine schlimmere Hölle kann ich mir nicht mehr vorstellen.
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Mit den guten Dingen im Leben ist es wie mit der Geburt eines Kindes. Neunzig Prozent sind Warten.
(James A. Michener)

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