Sonntag, 16. Juni 2013

Jonathan Coe / Der Regen, bevor er fällt (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist recht authentisch geschrieben, ist psychologisch prägnant und auch sehr lebensnah. Hier wird nichts beschönigt. Es zeigt das nackte Leben der Romanfiguren. Jonathan Coe, als sei er Psychologe von Beruf, zeichnet original die Gesichter seiner fiktiven Personen auf, und was sich dahinter verbirgt. Die Idee, wie er das Thema behandelt hat, fand ich originell und hat mich fasziniert. Anfangs habe ich mir ein wenig schwer getan, in das Geschehen reinzukommen, weil so viele Namen gefallen sind, die ich noch nicht zuordnen konnte. Das änderte sich aber im Laufe der Romangeschichte.

Ich werde nicht zu viel verraten, weil ich jedem die selbe Überraschung gönnen möchte, die ich selbst durch die Geschichte erfahren habe.

Der Roman behandelt eine größere Familiengeschichte, die über mehrere Frauengenerationen geht, und alle mit einem schweren Schicksal behaftet sind.

Die Hauptdarstellerin ist Rosamunde, der man diese Geschichte, die erzählt wird, zu verdanken hat. Rosamunde ist allerdings im Alter von 73 Jahren verstorben, und sie an ihre Nichte zweiten Grades mit dem Namen Imogen eine Erbschaft hinterlässt. Die Erbschaft besteht aus einer Geldsumme und aus zwanzig Fotos, nummeriert von eins bis zwanzig, die alle der Reihe nach auf Tonband beschrieben werden, so dass daraus eine ganze Geschichte entsteht. Imogen ist blind, dies erfährt man schon zu Beginn des Romans, es aber spannend bleibt zu erfahren, woran Imogen erblindet ist und weshalb sie sich bei Pflegeltern auffindet. Aufgrund ihrer Blindheit werden die Fotos aufs Band beschrieben.
Rosamanundes Nichte Gill, die auch Teilerbin wird, bekommt durch ihre verstorbene Tante in schriftlicher Form die Aufgabe zugetragen, Imogen aufzusuchen, und ihr die Erbschaft zu überbringen. Imogen  ist wie verschollen. Gill gibt mehrere Suchanzeigen auf. Erst zum Ende des Romans erfährt man zu Imogens Verbleib... . Wo lebt die mittlerweile junge erwachsene Imogen? Was ist mit ihr passiert? Dies erfährt man eigentlich erst am Schluss der Geschichte. Mit Imogens eingetretem Ausgang hatte ich allerdings nicht gerechnet und kam für mich total überraschend.

Die Protagonistinnen der Romanhandlungen sind Rosamunde, Beatrice, Batrices Tochter Thea, und später Theas Tochter Imogen.

Beatrice und Rosamunde sind Cousinnen. Beatrice ist drei Jahre älter. Rosamunde ist von ihrer Familie für eine bestimmte Zeit an Beatrices Familie abgegeben worden. Rosamunde war zu der Zeit acht Jahre alt. Zwischen Rosamunde und Beatrice entsteht eine außergewöhnliche Freundschaft, beide gingen eine Blutsweihe ein und bezeichneten sich dadurch als Blutsschwestern, wobei Beatrice eher Mitleid mit Rosamunde hatte, als sie von den Eltern für kurze Zeit verlassen wurde. Es sind die späten Jahre des zweiten Weltkriegs und die Jahre danach. Beatrice hatte kein wirkliches Interesse zu dem Mädchen Rosamunde. Hauptsächlich ihr Mitleid verband sie mit ihrer Cousine.
Die beiden Mädchen erleben einige Abenteuer in ihrer gemeinsamen Kinderzeit und bleiben auch im erwachsenen Alter auf merkwürdige Art und Weise verbunden.

Beatrice wird im Alter von achtzehn Jahren schwanger und ist durch die gesellschaftlichen Konventionen gezwungen, den Erzeuger zu heiraten, ohne dass echte Liebe zwischen dem jungen Paar bestand. Zur Welt kommt Thea und Thea ist kein Wunschkind. Das bekommt Thea ziemlich schnell von ihrer Mutter zu spüren. Beatrice verliebt sich in einen Kanadier, und beschließt, die Ehe zu brechen und mit ihrem neuen Liebhaber nach Kanada auszuwandern. Thea, mittlerweile drei Jahre alt, steht im Weg, sie bekommt keinen Platz in dieser neuen Beziehung zugewiesen. Rosamunde, die zusammen mit ihrer Freundin Rebecca lebt, wird von Beatrice gebeten, Thea bei sich aufzunehmen, bis sich ihre Verhältnisse geglättet haben.

Beatrice wird nie richtig erwachsen, schiebt unbewusst die Verantwortung ihrer Tochter zu, dass ihre Geburt ein Fehler sei.

Thea wächst zu einem sehr sensiblen Mädchen heran. Der Regen, bevor er fällt, stammt aus ihrem Kindermund. Sie liebt nämlich den Regen, noch bevor er gefallen ist. Rosamund klärt sie auf:
"Weißt du, so etwas wie einen Regen, bevor er fällt, gibt es nicht. Er muss erst fallen, sonst ist es kein Regen." Es war reichlich blödsinnig, einem kleinen Mädchen so etwas erklären zu wollen. Ich bereute schon, überhaupt damit angefangen zu haben. Doch Thea schien überhaupt keine Schwierigkeiten zu haben, diesen Gedanken zu begreifen, im Gegenteil - denn nach einigen Augenblicken sah sie mich an und schüttelte mitleidig den Kopf, als stellte es Ihre Geduld auf eine harte Probe, über so etwas mit einem Dummkopf zu diskutieren."Natürlich gibt es so etwas nicht", sagte sie."Gerade deshalb ist es ja mein Lieblingsregen. Es kann einen doch auch etwas glücklich machen, das es gar nicht wirklich gibt, oder etwa nicht?" Und damit rannte sie grinsend weg, hinunter zum Wasser, hochzufrieden, dass ihre Logik einen so dreisten Sieg davongetragen hatte. (178)
Etwas zu lieben, was es gar nicht gibt, habe ich mir so erklärt, dass es die Mutterliebe ist, die Thea vermisst. Sie weiß unbewusst, dass sie von ihrer Mutter nicht geliebt wird. Beatrice war zu jung für ein Kind, zu jung für eine Ehe. Mit achtzehn Jahren ist man lebenshungrig, und man muss oftmals einige Partnerschaften erst ausprobieren, bevor man eine Ehe eingeht. Diese Zeit hat Beatrice allerdings nicht gehabt, die Konventionen waren zu sehr vorgegeben. Beatrice war auch in den folgenden Jahren nicht reflektiert genug, um die Verantwortung für die Geburt Theas zu übernehmen. Sie behandelte ihr Kind weiterhin schlecht, machte ihr immer wieder Vorwürfe, dass es besser gewesen sei, sie wäre nie geboren worden. Thea fühlt sich der Mutter ohnmächtig ausgeliefert, wächst mit einer inneren Leere auf, und ihre Gefühle erstarren immer mehr zu Eis. Thea begreift sich als ein Defekt, als ein Fehler, der nie hätte begangen werden sollen. Sie ist selbst davon überzeugt, dass sie nie hätte geboren werden sollen. Doch wie kann ein Kind die Geburt verhindern? Erwachsene Menschen, die sich in ihrer Sexualität nicht beherrschen können, um ein Kind zu verhüten, sind nicht in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Thea hat nie wirklich ihren inneren Frieden finden können:

Ich war ein Fehler, und das bin ich zu einem gewissen Grad auch in meinen eigenen Augen bis heute geblieben. Dieses Wissen lässt einen niemals los, kann nie rückgängig gemacht werden. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden und damit zu leben. (294)

Über die Generationen hinweg entsteht ein gewisses emotionales Muster, das in die nächste Generation psychogenetisch weiter vererbt wird. Doch wer trägt die Schuld? Geht es überhaupt um Schuld? Manchmal müssen Dinge geschehen, weil sie gelebt werden müssen, und die Erfahrung bewertet nicht in gut und schlecht. Sie will gelebt werden in all ihren Facetten. Deutlich wird das auch ganz besonders anhand des Hundes Bonaparte. Bonaparte war der vielgeliebte Hund von Beatirces Mutter und der Hund durch Beatrices Verhalten auf Nimmerwiedersehen ausreißt. Wer mehr dazu wissen möchte, verweise ich auf das Buch.
Nichts war zufällig. Es gab ein Muster, irgendwo musste in all dem ein Muster zu finden sein ... (297).
Als Thea schließlich schwanger wird, und Imogen zur Welt bringt, werden die Probleme nicht kleiner, sie werden eher noch weiter fortgesetzt und das Drama erreicht mit Imogens Existenz den Höhepunkt. Rosamunde wollte gerne Imogen bei sich aufnehmen, wie sie damals Thea bei sich aufgenommen hatte. Sie ist eigentlich die einzige aus der Familie, die dieses emotionale System durchschaut. Sie hatte das Bedürfnis, Imogen bei sich aufzunehmen, um ihr die Liebe zu geben, die ihre Mutter ihr nicht hat geben können:
Und auf diese Weise könnte vielleicht, über die Generationen hinweg, die Ungerechtigkeiten ein bisschen zurechtgerückt werden. So sahen jedenfalls die Möglichkeiten für die Zukunft aus, die ich mir in dieser Situation zusammen fantasiert hatte. (253)
Doch dem Wohlfahrtsamt sagte Rosamundes Lebensweise nicht zu, und verweigert ihr das Kind. Jeglicher Bezug zur Familie wurde dem Kind dadurch genommen. Rosamunde war durchaus ein Mensch, der Liebe geben konnte. Ihre Lebensweise befanden sich auch nicht im Sinne der gesellschaftlichen Regeln.

Was wird aus Beatrice und Rosamundes Freundschaft? Gelingt es Gill, Imogen aufzufinden und ihr das Erbe zu überreichen? Was ist aus Thea geworden? Wie gestaltet Thea die Beziehung zu Rosamunde, die einst ihre Ersatzmutter war? Wird das Band zwischen Thea und Rosamunde gebrochen? Warum lebt Imogen in einer Pflegefamilie bzw.bei  Adoptiveltern? Was ist mit Thea passiert, die nicht in der Lage war, für ihr Kind zu sorgen? Das waren alles Fragen, die mich schon auf den ersten Seiten beschäftigt hatten.

Mein Fazit
Ich habe vieles unerwähnt gelassen, weil ich die Spannung nicht nehmen möchte. Wobei es hier nicht um die Spannung geht, die man aus Krimis kennt. Es ist eher das Interesse, das zu der Lebensweise der vielen unterschiedlichen Frauen  immerzu steigt und man wächst als Leserin so richtig in die Geschichte(n) rein. Das ist dem Autor sehr gut gelungen... .
Einen Aspekt habe ich noch weggelassen und möchte ihn doch noch einbringen... .
Man fragt sich beim Lesen immer wieder, wo der Mann in seiner Verantwortung geblieben ist? Ist es die Absicht des Autors, dass die Männer hier eine so geringe Rolle spielen? Sowohl die Frauen, als auch die Kinder, bleiben mit ihrem Schicksal allein. Die Männer tragen oft keinerlei Konsequenzen davon. Beatrices erster Mann freute sich, als er eines Tages nach Hause kam, und eine leere Wohnung vorfand. Kind und Mutter waren fort. Wo bleiben die Vatergefühle? Warum hat er wenigstens nicht um sein Kind getrauert?  Entweder kamen die Männer in dem Buch zu kurz, oder aber die Einstellung der Männer war eben so, wie sie im Buch beschrieben wurden. Ein Abbild der Realität zu der damaligen Zeit? Für mich waren sie eher wie Schattenfiguren anzusehen.
Aber mir ist auch durchaus bewusst, dass es Frauen gibt, die sich immer wieder einer bestimmten Sorte von Männern unterziehen, mit denen sie im Laufe ihres Lebens zu tun haben. Das hat nichts mit der Zeit zu tun, das Problem ist eher zeitlos.

Und trotzdem bleibt mir die Frage noch offen, wie ein männlicher Autor dazu kommt, nur Frauenschicksale zu erfinden? Kennt er sich mit dem anderen Geschlecht wirklich besser aus als mit dem eigenen? Es geht hier hauptsächlich um Frauenschicksale. Es ist kein Mix der beiden Geschlechter. Da ich keine Literaturwissenschaftlerin bin, gelingt es mir nicht, diese Frage zu beleuchten und lasse sie unbeantwortet stehen. Vielleicht muss ich ein paar Bücher mehr von dem Autor lesen, um ihn besser begreifen zu können.

Das Buch ist keineswegs sentimental geschrieben, und auch nicht von übertriebenen Emotionen beladen, dennoch sind mir zum Schluss die Tränen gekommen.
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Zu den zu Beginn der Buchbesprechung schon erwähnten positiven Punkten fühlte ich mich zudem auch von der literarischen Sprache des Autors recht angezogen.
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Es kann auch etwas glücklich machen, was es gar nicht wirklich gibt
(Jonathan Coe)

Gelesene Bücher 2013: 40
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86













Freitag, 14. Juni 2013

Jonathan Coe / Der Regen, bevor er fällt



Klappentext
Eine Handvoll Fotos und ein Stapel selbst besprochener Tonbänder, das ist Rosamonds Vermächtnis an Imogen, die blinde Enkelin ihrer Cousine Beatrix. Darauf beschreibt Rosamond Schlüsselszenen der Familie und findet nach und nach Worte für jene Tat, die zu Imogens Erblindung führte. – Eine Geschichte dreier Generationen von Frauen, ein bewegender Roman über das verzweifelte Streben nach Liebe und dem Lebensglück.



Autorenportrait im Klappentext
Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Für seine Bücher wurde er u.a. mit dem John Llewellyn Rhys Prize, dem Prix du Meilleur Livre Étranger und dem Prix Médicis Étranger ausgezeichnet. Zwei seiner bisher neun Romane wurden verfilmt. Zuletzt erschien bei DVA "Der Regen, bevor er fällt" (2009). Jonathan Coe lebt heute mit seiner Familie in London.

Auch dieser Autor ist mir neu. Habe die ersten fünfzig Seiten durch und es gefällt mir recht gut. Hoffe, dass es auch so bleibt.
Ich freue mich immer darüber, neue AutorInnen weltweit zu entdecken.






Donnerstag, 13. Juni 2013

Cecilia Ahern / Zeit deines Lebens (1)

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 Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Das Buch löste in mir gemischte Gefühle aus und kann mich auch nicht eindeutig zu dem Buch bekennen. Es wirkt sehr seicht, ist aber recht fantasievoll, greift wohl die Probleme aus einem modernen Irland auf. Irlands neumodische Probleme, die alle Industrieländer gemeinsam haben, so steht auch in dieser Buchwelt das Leistungsdenken an vorderster Stelle. Bisher habe ich meist Bücher zu Irland gelesen, in denen es um das Elend des Landes ging. Armut, Alkoholismus, verkorkste Partnerschaften, Vergewaltigungen, Religionskrieg zwischen den Katholiken und den Protestanten. Mit dem obigen Buch scheint nun eine neue Generation heranzuwachsen.

Das Thema fand ich nicht schlecht, doch die Art und Weise, wie es behandelt wurde, machte mich schwankend.

In dem Roman existieren zwei Geschichten. In der einen geht um einen vierzehnjährigen Jungen, dessen Eltern geschieden sind. Der Vater hat neu geheiratet und eine weitere Familie gegründet. Es ist Weihnachten  und am Weihnachten ist der Junge gewöhnt, zu Hause Truthahn zu essen. Nun ist der Truthahn für zwei Personen zu groß. Der Junge nimmt sich den eingefrorenen Truthahn, und so macht er sich mit ihm auf den Weg zum Haus seines Vaters. Als er von draußen die schöne weihnachtliche Atmosphäre durchs Fenster beobachtet, die sein Vater mit der neuen Familie genießt, gerät er in Rage und wirft den Truthahn durch die Scheibe ins Wohnzimmer.
Nun sitzt der Junge auf dem Polizeirevier und hört sich von dem Inspektor eine Geschichte an und erst am Schluss wird dem Leser bewusst gemacht, was die erste Geschichte mit der zweiten Geschichte auf sich hat..

Der Protagonist der zweiten Geschichte nennt sich Lou Suffern, ist anfang dreißig und ist Familienvater zweier Kleinkinder. Seine Frau Ruth ist Hausfrau und Mutter. Lou und Ruth haben zusammen studiert, Ruth war die Bessere von beiden, schaffte ihren Universitätsabschluss planmäßig und sie musste für ihre ausgezeichneten Noten auch nicht viel lernen. Sie gab Lou Nachhilfe. Und vielleicht muss Lou nun seiner Frau nachträglich beweisen, dass auch er fähig ist und zu Höherem taugt.
Lou ist karrieregeil, tut alles für seinen Beruf, um auf der Karriereleiter aufzusteigen und vernachlässigt dabei ganz seine Familie und sein gesamtes Privatleben.
Er war gewissenhaft, pünktlich und in seinem Beruf ein meisterhafter Zeitmesser. Doch im normalen, privaten Leben benahmen sich wie eine kaputte Taschenuhr. In seinem Streben nach Vollkommenheit und Erfolg verfügte er über scheinbar grenzenlose Energien. Doch genau das - sein Perfektionismus, sein Ehrgeiz, seine immer höhere gesteckten Ziele-führte dazu, dass er in diesem ständigen Höhlenflug das allerwichtigste aus den Augen verlor. In seinem Terminplan war kein Zeitfenster für diejenigen eingeplant, die ihm auf vielerlei Weise hätten mehr geben und größere Zufriedenheit schenken können als irgend ein noch so sagenhafter neuer Geschäftsabschluss. (35)
Die Familie leidet darunter, und so gerät Lou zunehmend unter familiärem Druck. Bis er den obdachlosen Gabe kennenlernt, zu dem sich Lou hingezogen fühlt und ihm in seiner Dubliner Firma einen Job verschafft. Gabe ist aber kein gewöhnlicher Obdachloser. Er entpuppt sich immer mehr zu Lous Doppelgänger, so dass mir dann die Idee aufkam, dass Gabe mehr die freie Seele ist, verkörpert Lous eine Ich-Hälfte seines Inneren, die für Spontanität, Gefühl, Fantasie und für unbewusstes Wissen steht. Die andere Ich-Hälfte steht für Rationalität und Wissenschaft. Lou schafft es nicht, beide Ich-Hälften in sich so zu integrieren, dass sie nicht wie Feinde nebeneinander stehen...Gabe ist ein weiser Mann, der dazu über viele Ressourcen und Kompetenzen verfügt. Von Menschenseite her weiß er immer so ziemlich genau, was Lou braucht, und spiegelt ihm seine privaten Probleme wieder. Gabe ist immer zur rechten Stelle da, so dass Lou sich allmählich von ihm bedroht fühlt. Als Gabe dann auch in der Firma beliebt wird, man schätzte seine Fähigkeiten, bereut Lou es allmählich, der Firma Gabe vermittelt zu haben. Lou entwickelte Ängste, Gabe könnte seine Position streitig machen und seinen Platz einnehmen, obwohl Gabe nur Postbote fürs ganze Haus der Firma ist... .

Gabe konfrontiert Lou immer wieder mit seinen menschlichen Schwächen. Von einem Kollegen, der wiederum neidisch auf Lous berufliche Erfolge blickt, versucht dieser Kollege ihm seinen Ehrgeiz auszureden. Der Job würde aus Menschen Monster machen und sagte ihm indirekt, dass Lou ein Monster sei. Auch wenn mir dieser Kollege nicht sympathisch ist, da er versuchte gegen Lou zu intrigieren, um den Aufstieg zu torpedieren, ist aus meiner Sicht trotzdem an dem Monstervergleich etwas Wahres dran. Dennoch liegt es nicht nur an dem Job, sondern an dem, der es mit sich machen lässt.

Fazit
Gefallen hat mit die menschliche Seite des Buches, die der jungen Autorin so wichtig ist. Lou gewann diese menschliche Seite wieder, die durch seinen Beruf verschollen war. Mit der Hilfe von Gabe, was Lou aber nicht sofort bewusst war, konnte er sie wieder zurückerlangen. Die neuen Erkenntnisse brachten ihn zu einem Sinneswandel und veränderte kurzweilig sein Leben in positiver Form, doch aus meiner Sicht ein wenig spät. Spät deshalb, weil, angelehnt an ein bestimmtes schicksalhaftes Ereignis, diese Erkenntnisse langfristig nicht weiter gelebt werden konnten... Ihr müsst schon selber lesen, wenn ihr wissen wollt, was damit gemeint ist... .
Der vierzehnjährige Junge durchlief durch Lous Lebensgeschichte ebenso einen Sinneswandel, der ihn von seinem Hass dem Vater gegenüber befreite. Er erkannte, dass jeder Mensch mit dem anderen Menschen, den man liebt, für immer verbunden bleibt, auch wenn man das nach außen hin nicht sehen kann.
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Du sollst Menschen, die du liebst, nicht für selbstverständlich nehmen... 
(Cecilia Ahern)

Gelesene Bücher 2013: 39
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Sonntag, 9. Juni 2013

Cecilia Ahern / Zeit deines Lebens



Klappentext
Lou Suffern ist ein "BWM", ein Beschäftigter Wichtiger Mann. So wichtig und beschäftigt, dass er den 70. Geburtstag seines Vaters vergisst, seine Frau leichthin betrügt und seinem kleinen Sohn noch nicht ein einziges Mal die Windeln gewechselt hat.
Eines Tages verwickelt ihn ein Obdachloser namens Gabriel in ein Gespräch. Lou fühlt sich dem Unbekannten seltsam verbunden und verschafft ihm kurzerhand einen Job - was nun wirklich nicht seine Art ist. Doch auch Gabriel hat ein Geschenk für Lou: ein rätselhaftes Mittel, durch das Lou ein anderer wird ... 



Autorenportrait
Cecelia Ahern ist eine der erfolgreichsten Autorinnen weltweit. Sie wurde 1981 in Irland geboren und studierte Journalistik und Medienkommunikation in Dublin. Mit 21 Jahren schrieb sie ihren ersten Roman, der sie sofort international berühmt machte: ›P.S. Ich liebe Dich‹, verfilmt mit Hilary Swank. Danach folgten Jahr für Jahr weitere weltweit veröffentlichte Bücher in Millionenauflage. Die Autorin wurde für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet, schreibt auch Theaterstücke und Drehbücher und konzipierte die TV-Serie ›Samantha Who?‹ mit Christina Applegate sowie einen Zweiteiler für das ZDF. Cecelia Ahern lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Norden von Dublin.www.cecelia-ahern.de

Der Klappentext liest sich vielversprechend. Mal schauen, wohin mich dieses Buch treiben wird. Bin schon ganz neugierig.

Petra Reski / Ein Land so weit (1)

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Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre


Das Buch hat mich nicht unbedingt gefesselt...  Zudem hat es sich als eine Autobiographie von Petra Reski herausgestellt. Ich habe das Buch allerdings nicht gekauft, weil ich unbedingt wissen wollte, wer Petra Reski ist, denn so bekannt ist sie ja nun nicht, sondern weil ich mehr über die Preußen und deren Lebensart erfahren wollte. Ich kann nicht sagen, woran es gelegen hat, dass mich das Buch so gar nicht angezogen hat. Vielleicht hat es an der Art gelegen, wie Petra Reski ihre Großfamilie, die eine Hälfte aus Schlesien und die andere aus Ostpreußen kommend, hat sprechen lassen. Ich denke, es war die Erzählart, die mir nicht zugesagt hat. Sie selbst hat viel den Geschichten ihrer Vorfahren erzählend erfahren, die sie dann an ihre LeserInnen im selben Erzähstil weiter geben wollte. Den Schreibstil an sich, den fand ich nicht schlecht. Vielleicht werde ich am Ende dieser Buchbesprechung herausgefunden haben, woran es gelegen haben könnte, dass mich die Erzählerin nicht gepackt hat.

Das Buch hat allerdigs zu dem Buch von Remarque gepasst, siehe vorletztes Posting, das ich davor ausgelesen habe, denn auch hier las man von Flüchtlingen und von Kriegsverbrechen. 

Frauen, die von russischen Soldaten vergewaltigt, und anschließend schwanger wurden, versuchten das Kind mit dem Konsum von schwarzem Kaffee abzutreiben. Es gab aber auch Frauen, die nicht in der Lage waren, das Kind abzutreiben, und entschieden sich, es stattdessen auszutragen.

Das Buch wird in einem Zeitraffer erzählt. Vor allem der zweite Weltkrieg kommt hier zum tragen, als Petra Reski noch gar nicht geboren war, sie aber alle Hintergründe durch ihre alten Großeltern und Großonkel und Tanten erfuhr, speziell auch, als sich ihre Verwandten auf der Flucht befanden.
Selbst die Zeitrechnung in meiner Familie orientierte sich an der Flucht, es gab ein Leben vor der Flucht und ein Leben nach der Flucht, und das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Vor der Flucht, das war Ostpreußen und Schlesien, nach der Flucht, das war Ruhrgebiet. Die Flucht, die Flucht, immer die Flucht. Die Geschichte von der Flucht wurde jedes Mal erzählt, wenn zwei Erwachsene zusammenkamen. Sie begann mit ALS DER RUSSE KAM und endete damit, dass geweint wurde. Sie bewirkte, dass ich den Russen für die Verkörperung des Bösen schlechthin hielt. Als ich sechs war, kaufte mir meine Mutter eine Jacke, die wie ein Kosakenkittel geschnitten war. Sie nannte sie Russenkittel. Ich habe die Jacke gehasst.
Viele traurige Szenen, die der zweite Weltkrieg mit sich brachte. Die Vertreibung aus Schlesien in einem Fall, im anderen Fall die Vertreibung aus Polen durch die Russen. Selbst nach dem zweiten Weltkrieg, 1945 - 1947,  vertreiben die Polen die zurückgebliebenen Deutschen aus dem Land. Petras Großmutter, die einst im dicksten Winter auf der Flucht war, und ihr Säugling durch eine Krankheit während der Flucht starb, musste sie ihn in eine offene Grube legen und zurücklassen. Die Erde war vereist, man konnte die Toten nicht begraben. (Die Daten wurden von mir hinzugefügt, gehen nicht aus dem Buch hervor).

Verlust der Heimat, wird auch hier deutlich, zwischen Polen und Deutschland. Die selben Kämpfe, die man zwischen Oberösterreich und Italien, zwischen Straßburg und Deutschland schon kennt, nur jedes Land versuchte auf seine spezifische Art und Weise mit dem Heimatverlust, den der Krieg den Menschen verursachte, fertig zu werden. 
Und meijn Sohn, der sagte immer: Mamma, wenn dich jemand frägt, woher du bist, sag nicht aus Polen! Ich sag: Warum nicht? Ach, das heert sich so schlecht an, Polen. Sag mal, du bist von Ostpreußen, ja. Na, so hat er mich immer so gelernt. Na, und die Frauen, die frugen. Wenn wir so rauskamen, dann haben sie gefragt: Von wo sind sie denn? Na, ja. Sacht ich: von Ostpreußen. Ob die das verstanden, wejiß ich nicht. (…) Natürlich wollten die Polen nach dem Krieg nicht, dass deutsch gesprochen wurde, aber die Deutschen wollten vor dem Krieg nicht, das polnisch gesprochen wurde.
In dem Buch tauchten einige Probleme auf, was die Einhaltung von Sitten und Gebräuche betraf. Petra Reski verlor ihren Vater als sie gerade mal zwei Jahre alt war. Er starb an einer Krankheit, das muss 1960 gewesen sein, da die Autorin, lt. Autorenportrait im Klappentext, 1958 geboren wurde. Als die Mutter sich wieder neu verheiraten wollte, wurde sie von der gesamten Sippschaft gemieden. Petra Reski, die nicht gerne ein Mädchen war, verglich die Benachteiligung ihres Geschlechtes mit der Benachteiligung von den Schwarzen in Amerika. 
Ein Mädchen zu sein ist hier ebenso schlecht wie ein Neger in Amerika.
Als Petra verwundert feststellte, weshalb es in Reussen keine Juden gab, fragte sie ihre alten Verwandten, doch diese schwiegen oder weichten der Frage aus.

Ich mache nun hier Schluss, schwierig über ein Buch zu schreiben, das mir nicht zugesagt hat.


Mein Fazit:
Viele Themen fand ich einerseits interessant, andererseits waren sie zu geballt, subjektiv erzählt von zu vielen Familienmitgliedern, die ich schlecht verinnerlichen konnte. Außerdem fehlten die Daten. Auch als Petra Reski eingeschult wurde, wann war das? Es war schwierig, sich die Zeitabstände zwischen den Generationen vorzustellen, wenn so völlig die Zeitangaben fehlen. Es wäre mir leichter gewesen, wenn diese mit angegeben wären.

Aber der Konflikt, die innere Zerrissenheit der Menschen, die zwischen Polen und Deutschland sich entwickelte, kam sehr gut rüber.
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Jeder war wahrscheinlich für irgendjemand ein guter Mensch. Und für einen andern das Gegenteil.
                       (Erich Maria Remarque)

Gelesene Bücher 2013: 38
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Samstag, 8. Juni 2013

Petra Reski / Ein Land so weit



Klappentext
Als Kind hat Petra Reski die sentimentalen Geschichten, die ihre Familie über Ostpreußen erzählte, nicht mehr hören können. Doch dann führt sie der Zufall in das Heimatdorf ihres Vaters. In den Bewohnern des Dorfes findet sie ihre Großeltern wieder. Die Erzählungen vom Leben und Überleben verbinden sich mit der Geschichte ihrer Familie. Und der lang vergessene Klang der Sprache ruft Erinnerungen an die Kindheit wach. Eine sehr persönliche Annäherung an das Thema Heimat. Und eine ungewöhnliche Familiengeschichte, wunderbar witzig und melancholisch erzählt wie ein großer Roman ... 

Autorenportrait
Petra Reski wurde 1958 im Ruhrgebiet geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Redakteurin beim Stern und bei Cosmopolitan, bevor sie sich 1991 als freie Autorin in Venedig niederließ. Seither ist sie für Zeitschriften wie GEO, Amica, Brigitte, Zeit und Merian sowie für den Rundfunk tätig.

DIe ersten fünfzig Seiten habe ich gelesen und so wahnsinnig gut gefällt mir das Buch nicht. Da es aber nur 350 Seiten hat, werde ich wohl durchhalten... .

Freitag, 7. Juni 2013

Erich Maria Remarque / Zeit zu leben und Zeit zu sterben (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Wie alle Remarque - Bücher so hat mir auch dieses Buch gefallen. Gefallen in der Art, dass es meine Aufmerksamkeit gefordert hat. Denn wem gefallen schon solche Themen wie Kriege, Verbrechen und Unmenschlichkeit.
Remarque kennt keine Tabus, er bricht sie allesamt und drückt sie völlig ungeschminkt aus. Frauen, die von russischen Soldaten vergewaltigt wurden, und sie mit der Vergewaltigung alleine blieben, da sie von ihren Ehemännern missgedeutet wurde... . Jünglinge, kaum aus den Kinderschuhen entwachsen, wurden mit den Massentötungen konfrontiert und ihnen ausgesetzt. Hierzu lieferte Remarque brutalste Bilder. Darin waren auch Kinderleichen abgebildet. Der Krieg kennt keine Grenzen, was das Töten von Menschen betrifft.

Zeitgenossen lehnten Remarques Bücher auch noch nach dem Ende des Krieges ab und warfen ihm vor, dass er kein Kriegserfahrener sei und sich schließlich nur im Exil verdrückt habe... .
Die zentrale Frage des Buches ist, ob ein Soldat ein Mörder oder ein Held ist? Ich finde, dass diese Frage nicht leicht zu beantworten war, wobei für mich jeder Mensch, der einen anderen tötet, ein Mörder ist.  Wer sind die Guten und wer sind die Bösen? In dem Buch fand ich eine Textstelle, die diese Frage für mich ein wenig relativiert hat.

Der Protagonist und Soldat des Romans Ernst Graeber erhält nach zwei Jahren Dienst an der Front endlich Urlaub. Als er in seine Heimat zurückkehrt, erkennt er seine Stadt nicht wieder, da sie völlig zerstört, zerbombt vor ihm lag. Auch seine Eltern kann er nicht mehr finden... . Ernst macht innerlich dadurch eine Wandlung durch und stellt sich viele Fragen als Mensch und als Soldat und durchläuft während seines dreiwöchigen Urlaubs eine völlige Bewusstseinserweiterung:
Soll ich wieder zurück an die Front? Ich kann mich weigern. Dann werde ich gehängt oder erschossen. Oder ich kann desertieren. Dann werde ich ziemlich sicher in kurzer Zeit gefangen - man kann sich da auf die Organisation und die Informanten verlassen. Und wo kann ich mich verstecken? Jeder, der mir Schutz gibt, riskiert selbst sein Leben. Abgesehen davon werden sie Rache an meinen Eltern nehmen. Das mindeste wäre Konzentrationslager für sie. Sie werden dort sterben. Was kann ich sonst tun? Zurückgehen an die Front und nichts tun, um mich zu verteidigen? Das wäre Selbstmord. (185)
Ausweglosigkeit? Ja, dieses Gefühl hatte ich nach dem Lesen dieser Textstelle. Deswegen möchte ich auf keinen Fall mit den damaligen Menschen ins Gericht gehen. Jeder Täter war gleichzeitig Opfer seiner Zeit. Im Krieg gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer im übertragenen Sinn. Das ist nicht das erste Mal, dass man sich mit solchen Fragen beschäftigt und hoffe, es wird auch nicht das letzte Mal sein. Der Nationalsozialismus hat aus den Menschen Bestien gemacht. Auch unter den Zivilisten... . Vielleicht wäre es besser, sich dagegen zu stellen, auch auf die Gefahr hin, das eigene Leben zu risksieren, denn riskieren tut der Mensch, der Soldat an der Front sein Leben auch. Helden sind für mich nämlich nicht die Soldaten, sondern die Menschen, die für das Leben kämpfen, statt Leben zu zerstören... . Der Soldat führt Befehle aus und glaubt damit Gutes zu tun... .
Interessant fand ich die Rassentheorie und welche Auswirkungen diese auf die Soldaten hatten:
"Russen sind Arier. Wir waren mit ihnen verbündet. ""Es sind Untermenschen. Bolschewistische Untermenschen. Keine Arier. So sind die Bestimmungen."
"Du irrst dich. Polen, Tschechen und Franzosen sind Untermenschen. Die Russen befreien wir von den Kommunisten. Sie sind Arier. Die Kommunisten natürlich ausgenommen. Vielleicht keine Herrenarier wie wir. Einfache Arbeitsarier."
"(...) Wir sind Herrenmenschen, das ist klar. Die anderen sind Untermenschen. Aber was sind nun eigentlich einfache Menschen?"
" Schweden. Oder Schweizer."
"Wilde. Weiße Wilde natürlich." (72f)
In Remarques Büchern ist immer auch eine Liebesgeschichte gepackt. So auch in dem hiesigen Buch.  Hier erfährt man, wie Ernst Graeber sehr schnell eine Bindung zu einem Mädchen eingeht, die ihm von Kindesbeinen oberflächlich bekannt ist und sie ihm damals nicht wirklich sympatisch war, änderte er seine Einstellung zu dem Mädchen, so dass die Beziehung noch innerhalb seiner Urlaubszeit verehelicht wurde, ohne dass sich die PartnerInnen auch wirklich gegenseitig kennen. Das Mädchen selbst ist kein gewöhnliches Mädchen. Der Vater lebte recht auffällig, nicht im Sinne der Nazis, kam dadurch ins KZ, so dass das Mädchen immer auf der Hut sein musste, um das eigene Leben und das Leben ihres Vater nicht noch weiter zu gefährden... . Krieg kann einsam machen, und nachdem Ernst seine Eltern vorerst nicht wiedergefunden hat, sucht er in der Partnerschaft etwas Stabilisierendes. Doch er macht die nüchterne Erfahrung, dass die Ängste über die Ehe eher noch zugenommen haben, indem er nun nicht nur sein Leben, sondern auch das seiner Frau zu befürchten begann.

Dadurch, dass es in dem Buch ein Nachwort gibt, mit ähnlichen Zitaten, wie ich sie im Buch auch markiert habe, werde ich meine Buchbesprechung hierzu nicht unnötig ausweiten. Tim Westphalen, ein Literaturwissenschaftler, kann die Eindrücke im Nachwort zu dem Buch besser beschreiben als ich es tue und beende hiermit meine Buchbesprechung.

Insgesamt erhält das Buch von mir zehn von zehn Punkten, da Remarque es gelungen ist, die Figuren in dem Buch authentisch wiederzugeben. Das Thema fand ich nicht übertrieben dargestellt, nein, ebenso das Thmema habe ich auch recht wirklichkeitsnah erlebt.

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Jeder war wahrscheinlich für irgendjemand ein guter Mensch. Und für einen andern das Gegenteil.
(Erich Maria Remarque)

Gelesene Bücher 2013: 37
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Sonntag, 2. Juni 2013

Erich Maria Remarque / Zeit zu leben und Zeit zu sterben



Klappentext
Der junge Soldat Ernst Graeber erhält für einige Wochen Fronturlaub - und lernt in den letzten Tagen des Dritten Reiches die Liebe seines Lebens kennen. Angst, Terror und Verfolgung lassen ihn erst jetzt die ganze Sinnlosigkeit des Krieges erkennen. Aber es ist zu spät - er muß zurück in den Krieg... 

Autorenportrait
Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher “Im Westen nichts Neues” und “Der Weg zurück” wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1941 lebte Remarque offiziell in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.
Von dem Autor habe ich einige Bücher gelesen, darunter befinden sich auch die Klassiker zur Antikriegsliteratur Im Westen nichts Neues und Arc de Triomphe. Mir haben sie alle gefallen und im Regal befinden sich noch einige ungelesene Bände, die ich mir in Zeitabständen alle noch vornehmen werde... .




Samstag, 1. Juni 2013

Steve Tesich / Der letzte Sommer (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hat mir sehr gut gefallen und ich gebe ihm zehn von zehn Punkten. Die Charktere der Literaturfiguren sind psychologisch fundiert und gut getroffen. Der Ausdrucksstil ist spitz und sehr fantasievoll.

Der Roman spielt im Jahre 1961 in Indiana, in East Chicago. Der Protagonist nennt sich Daniel Price, wobei Price eher eine Metapher ist, die ich nicht verraten möchte. Daniel Price ist 17 Jahre alt und steht zusammen mit seinen beiden Freunden Billy Freund und Larry Misiora vor dem High - Scool Abschluss. Auf die Beziehung dieser drei Jugendliche gehe ich nicht im Besonderen ein, ist aber auch bemerkenswert...

Auf den ersten Seiten bin ich über das Musikinstrument der Geige gestolpert. Die Geige sei der Aristokrat unter den Musikinstrumenten. Irgendwie ist da was dran. Der Vergleich hat mir zumindest gut gefallen. Mit Musik hat das Buch ansonsten wenig zu tun... . East Chicago ist eher eine Arbeitergegend, in der es viele Fabriken gibt... . Daniels Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter Reinemachefrau... .

Die Mutter ist Einwanderin und kommt aus Jugoslawien, ist serbisch orthodox, und spricht gebrochen amerikanisch... . Sie mag keine Katholiken und auch keine Deutschen. Sie befragt ihren Sohn, ob er schon eine Freundin habe, und hofft, dass sie keine Deutsche sei. Daniel negiert ihre Frage. Daraufhin die freudige Reaktion der Mutter:
Ah gut. Du bist schlauer Junge. Gott im Himmel, der hat großes Herz. Er liebt alle Leute... Er liebt sogar Katholiken und Deutsche. Deshalb brauche ich sie nicht zu lieben.
Natürlich gefällt mir dieses Pauschalurteil nicht, aber ihre Antwort ist recht originell. Am Ende des Buches erfährt man schließlich den Grund ihrer Abneigung den Deutschen gegenüber. Sie habe im zweiten Weltkrieg alle Brüder im Kampf gegen die Deutschen verloren... . Mir selbst ist jemand bekannt, der alle Franzosen verhasst sind, da ihr Großvater in eines der beiden Weltkriege, welchen Weltkrieg, den habe ich mir nicht genau gemerkt, in Frankreich gekidnappt und dort hingerichtet wurde.

Daniel Price und seine beiden Freunde gehen in die selbe Abschlussklasse und bekommen von der Lehrerin die Aufgabe, ein Gedicht zu verfassen, da in jedem Menschen ein Dichter wohnen würde. Sein Freund Billy scheibt ein Gedicht darüber, dass jeder Mensch eine Insel sei. Price gefällt das Gedicht, merkt sich aber nur eine Zeile und geht damit zu seiner erst kürzlich kennengelernten Freundin Rachel. Er erzählt ihr von der Hausaufgabe mit dem Gedicht und Rachel will natürlich wissen, was er für ein Gedicht geschrieben habe und antwortet ihr, dass er die Verse wieder vergessen habe und erzählte ihr, dass der Mensch eine Insel sei... .

Daniel Price hat endlich eine Freundin und wünscht sich Sex mit ihr. Noch ist er Jungfrau... . Er macht die Erfahrung, dass es nicht ausreicht, ein Mädchen zu lieben, nein, und dass die Art von Liebe Gegenliebe verlangt. Wenn Daniel mit Rachel zusammen ist, gebraucht er ständig den Begriff Liebe und will immer wieder bestätigt haben, dass Rachel ihn auch liebt. Rachel spricht nicht gerne über Liebe und gibt ihm zu verstehen, dass er zu oft den Begriff gebrauchen würde und ob er nicht spüren könne, wenn er geliebt werde... . In der Tat wirkt der Begriff Liebe ein wenig inflationär, obwohl Daniel es ernst mit ihr meint... . Doch Daniel ist mit seinen 17 Jahren noch recht unerfahren und meint zu glauben, dass die wahre Liebe darin bestehen würde, unaufhörlich und immer aufs Neue über die Liebe sprechen zu müssen... .Rachel wirkt reifer als Daniel. Sie weiß, dass Liebe sich verändern kann... . Wahrscheinlich ist Rachel geprägt durch ihre geschiedenen Eltern... . Doch auch Daniel kommt nicht aus einem harmonischen Elternhaus.

Daniels Vater hat Krebs. Diesen Schicksalsschlag kann er nun gar nicht gebrauchen, zu sehr ist er mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Die Krankenhausbehandlungen sind recht teuer, die Krankenversicherung für Arbeitnehmer greift nur begrenzt. Die Mutter, die über ein Ersparnis von knapp zehntausend Dollar verfügt, berät sich mit ihrem Sohn, wie sie sich verhalten solle, zumal der Vater entschlossen war, zu Hause sterben zu wollen. Die Krebserkrankung sei sehr fortgeschritten, eine Heilung sei nach Angaben der Ärzte ausgeschlossen. Wenn keine Heilungsaussichten mehr bestehen, dann sieht die Mutter nicht ein, die stationäre Behandlung fortzusetzen und sie damit unnötige Kosten weiter auf sich nimmt. "Keine Hoffnung ist sehr teuer in Amerika, Daniel, was sollen wir tun?" Daniel möchte seinen Vater nicht zu Hause haben. Am liebsten hätte er der Mutter geantwortet, sie solle das Geld ausgeben und den Vater von ihm fernhalten. Er hat Angst, der Vater könne ihn mit der Krankheit anstecken, oder ihn gar mit der Problematik belasten. In Gedanken, weit in die Zukunft gereicht, liebte Daniel seinen Vater dafür, dass er gestorben ist.

Daniel ist ein Träumer. Verwandelt die Realität in eine Wunschvorstellung. Selbst nachts in seinen Träumen versucht er Menschen, und ganz besonders seine Freundin, mit seinen Suchtideen psychologisch zu manipulieren:
Ich schlief und träumte, dass Wörter, die ich hinschrieb, das Blatt Papier verließen, und in die Herzen von Menschen, die ich kannte, eindrangen. Das Wort >anbeten< flog von der Seite direkt in Rachels Herz.
Desweiteren ist er zu sehr eingenommen was die Vorstellung von Liebe betrifft. Verhält sich Rachel gegenüber recht besitzergreifend, glaubt zu wissen, wie ein Liebespaar sich zueinander zu verhalten habe. Nervend ist, dass er immer wieder versucht, in Rachel einzudringen, sie auszufragen, was sie über ihn denken und wie sehr sie ihn lieben würde. Ein Paar, das sich wahrhaftig lieben würde, so Daniel, täten verrückte Dinge und sie würden alles voneinander wissen, und pflegten auch keine Geheimnisse, doch Rachel erwidert dazu, dass Menschen, die sich lieben, tatsächlich verrückte Dinge tun würden, "aber das Einzige, was sie nicht tun, ist, sich alles zu sagen."

Dass Daniel ständig nach Liebesbeweisen aus ist, ist sicher auch auf das Verhalten seines Vaters zurückzuführen. Der Vater, der von seiner Familie geliebt werden will, ist nicht in der Lage, seinem Sohn die Liebe zu geben, die ein Kind braucht, um gesund aufzuwachsen. Hier werden die Rollen vertauscht. Vater sucht beim Sohn Liebesbesteuerungen, Sohn versucht sie ihm zu geben, gelingt ihm aber nicht, ist überfordert. Eigentlich ist es die Aufgabe des Vaters, dem Sohn Liebe zu zeigen, nicht nur, weil er der Vater ist, nein, sondern auch weil er der Ältere und der Reifere ist. Der Vater als eine Vorbildfunktion versagt hier vollkommen. Er traktiert stattdessen den Sohn mit üblen Vorwürfen und leisen Beschimpfungen über die mangelnde Sohnesliebe. Er quält seinen Sohn mit üblen psychologischen Manipulationen, ähnlich macht Daniel dies mit Rachel. Er manipuliert sie auch permanent. Beide, sowohl Vater als auch Sohn, tun dies völlig unbewusst, um zu erfahren, wie sehr sie geliebt sind. Der Vater vom Sohn, der Sohn von seiner Freundin.

Was ist denn Rachel für ein Typ Mensch? Sie ist ein verspieltes aber auch ein verschlossenes Mädchen. Je mehr Daniel versucht in sie einzudringen, desto weniger gibt sie ihre Gefühle preis... . Sie erzählt Daniel von einem Freund, der ihr ein Päckchen schenkte. Es war ein Geschenk, das sie nie geöffnet hatte. Und dadurch, das sie das Päckchen geschlossen hielt, war es für sie das schönste Geschenk in ihrem ganzen Leben. Rachel liebt Überraschungen und hütet sie so, als dürften diese mit der Wirklichkeit nicht in Berührung kommen, vielleicht um nicht desillusioniert zu werden. Diese Szene fand ich auch recht originell.
Rachel pflegt eine enge Beziehung zu ihrem Vater, zu eng, so dass für Daniel kein Platz ist, kommt sich in dieser Vater-Tochter Beziehung wie ein Eindringling vor.

Beide, sowohl Daniel, als auch Rachel haben an ihren Vätern zu knabbern. Der eine liebt zu stark, der andere ist zu abweisend... . Am Ende des Buches erfährt man eine Überrraschung aus Rachels Familie... .

Daniels Mutter spürt den Liebeskummer ihres Sohnes und konfrontiert ihn mit folgender Ansicht:
Wenn man zu sehr liebt, wenn der Mann nichts liebt als die Frau, nicht mal Gott, nicht mal sich selbst, nicht mal seine Seele, wenn der Mann nur die Frau liebt, legt er Ziegelsteine aufeinander, jeden Tag legt er Ziegelsteine aufeinander mit seiner Liebe, jeden Tag bringt er wieder einen Ziegelstein, und jeden Tag sieht die Frau, dass der Mann eine Mauer um sie baut, ein Gefängnis, um sie zu beschützen und zu behalten. So sehr lieben, das ist, wenn er sie tot macht. (…) Und also die Frau, sie bricht aus dem Gefängnis aus. Sie ist nicht tot. Sie lebt. Also rennt sie zu einem anderen Mann, zu einem Haus, wo sie wieder eine Frau sein kann. Ja Daniel. Ich bin eine Mutter. Ich bin eine Ehefrau. Aber immer bin ich eine Frau. Es ist etwas, was Gott mir gegeben hat, und es ist etwas, was ein Mann lieben kann, aber nie fort nehmen kann.(386)
Daniels Mutter ist schon ein Original, ein Unikat, das man nur mit sich selbst vergleichen kann. Das ist positiv gemeint. Sie taugt nicht nur als Mutter besonderer Art...

Sie führt gegenüber ihrem Mann mit viel Weisheit die Sterbebegleitung durch. Eine besonders glückliche Ehe habe sie zwar nicht geführt, dennoch ist sie frei von Hass und Hader dem Mann gegenüber, dadurch, da sie in der Lage ist, ihr vergangenes Leben mit ihm so anzunehmen und zu akzeptieren wie es war... .

Als sie und ihr Sohn sein Grab aufsuchen und es pflegen, ist sie empört über die vielen ungepflegten Gräber, ausgefüllt mit Wucherpflanzen und Unkraut. Sie macht sich auf zusammen mit ihrem Sohn und ihren vielen serbischen Freundinnen das Unkraut auf diesen Gräbern zu rupfen... .

Ich beende nun meine Aufzeichnung und habe mir die für mich wichtigsten und originellsten Szenen notiert. Viele andere bedeutende Szenen musste ich im Buch zurücklassen, um nicht zu viel vom Inhalt vorwegzunehmen.


Mein Fazit: 

Unter dem Buchtitel Der letzte Sommer hatte ich mir erst etwas ganz anderes vorgestellt...  Insgesamt hat das Buch meine ganze Neugier gefasst, so dass der Autor an mir eine neue Leserin gewonnen hat, und halte Ausschau nach weiteren Büchern von ihm.

Mich hat das Buch sehr stark an Elfriede Jelineks Werk Die Klavierspielerin erinnert. Auch dieses Buch kann ich sehr empfehlen. Allerdings ist Jelineks Buch um einiges härter was Inhalt und Handlungen der Personen betreffen.




Das Buch wurde verfilmt, und hier die DVD



Und hier ein Filmausschnitt zur DVD




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Im Herzen der Menschen gibt es leere Orte,
und in sie dringt das Leid ein,
damit sie fühlbar zu existieren beginnen.
                      Léon Loy
(Steve Tesich)


Gelesene Bücher 2013: 36
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 26. Mai 2013

Steve Tesich / Ein letzter Sommer



Klappentext
East-Chicago, 1969: Daniel Price, der 18jährige Held und Ich-Erzähler, schließt zusammen mit seinen Freunden Larry und Billy die Highschool ab. Die unbeschwerten Tage sind gezählt: Die Zukunft warte auf sie, wird den drei Freunden gesagt, aber sie haben keine Ahnung, wo. Vor ihnen liegt ein Sommer der Entscheidungen und viel schneller als erwartet trennen sich ihre Wege – Billy wählt das ruhige Leben in East-Chicago, Larry die Revolte und Daniel bleibt zunächst unentschlossen – nur nicht, als er sich in die unergründliche Rachel verliebt. Sie ist für ihn das Versprechen einer großen weiten Welt, die Flucht aus den Konflikten seiner schönen, exotisch anmutenden Mutter mit seinem krebskranken, verbitterten Vater. Doch Daniels Liebesglück ist überschattet von einem Familiengeheimnis Rachels, das ihn immer tiefer in den Sog seiner widersprüchlichen Gefühle zieht.Steve Tesich schildert in Ein letzter Sommer die Komplexität des Erwachsenwerdens – poetisch, liebevoll und mit analytischem Blick. Im Zentrum stehen jugendliche Hoffnungen, ambivalente Gefühle und eine kraftvolle Liebesgeschichte, die das Leben des Helden verändern: Daniel geht aus diesem letzten Sommer der unterschiedlichsten Empfindungen zwischen Tod und unerfüllter Sehnsucht wie neugeboren hervor und tritt, ausgestattet mit dem nötigen Rüstzeug, in die Welt hinaus.

Autorenportrait im Klappentext
Steve Tesich wurde 1942 in Jugoslawien geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film Breaking Away und für Garp und wie er die Welt sah. Tesichs erster Roman Ein letzter Sommer erschien 2005 auf Deutsch bei Kein & Aber und war ein überwältigender Erfolg. Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
Der Autor selbst ist mir unbekannt. Sollte mir das hiesige Buch gut gefallen, dann habe ich einen neuen Autor gefunden, dessen Buchreihe ich fortsetzen werde. Ich habe das ganz gerne, von einem Autor mehrere Bücher zu lesen, denn nur so lernt man einen Autor kennen.

Entdeckt habe ich das Buch bei Oxfam, das ich für nur 3,95 € erworben habe.
Habe aber gesehen, dass es das Buch mittlerweile auch als TB gibt.

Ausgesucht hat das Buch für mich Anne aus meinem großen und aus meinem kleinen SuB, als ich schon wieder in Entscheidungsschwierigkeiten steckte.



Thomas Hardy / Herzen im Aufruhr (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre



Der Protagonist des Romans nennt sich Juda Fawley, ein Waisenkind, das bei seiner Tante aufwächst, die ihn nicht sonderlich gut behandelt, aber keinesfalls so schlecht mit ihm umgeht, wie es den Waisenkindern aus Dickens Büchern oft ergeht. Die Tante gibt ihm immer wieder zu spüren, dass es besser gewesen wäre, wenn er wie die Eltern mit in den Tod getrieben worden wäre. Das stelle ich mir für ein Kind grausam vor, unter solchen Umständen aufzuwachsen.

Juda liebt Bücher, was auf dem Land unüblich ist und versucht sich autodidaktisch Latain und Altgriechisch beizubringen. Desweiteren liest er viele Bücher aus dem Abendland. Sein Ziel ist, in die Großstadt Christminster zu reisen, die Stadt der vornehmen und gelehrten Leute. Im Alter von 19 Jahren lernt er allerdings eine junge Frau namens Arabella Donn kennen, die sich Hals über Kopf in Juda verliebt und sie es schafft, ihn an sich zu binden. Aus ist es mit dem Lesen und der Gelehrsamkeit. Die Freundin täuschte eine Schwangerschaft vor, als er sich seiner Ziele wegen von ihr zu trennen beabsichtigte. Es kommt zu einer Vermählung, doch die Ehe scheiterte kurzerhand.

Juda ist mir auch deshalb so sympathisch, weil er Mitleid mit Tieren hat, die von Menschen schlecht behandelt wurden. Als Junge wurde er auf dem Feld eines Bauern zum Vogelverscheuchen eingestellt. Juda, als die lebende Vogelscheuche sozusagen. Juda bekam Mitleid mit den Vögeln, da sie auch nur fressen wollten um zu leben, so ließ er den Vögeln ein paar Saatkörner picken. Der Bauer beobachte den Vorfall, schlug ihn windelweich und entließ ihn.

Später, kurz nach der Vermählung mit Arabella, wurde ein Schwein geschlachtet. Dadurch, dass der Schlächter nicht rechtzeitig kam, musste er und seine Frau das übernehmen. Die Frau redete auf Juda ein, das Schwein so zu schlachten, dass es einen langsamen Tod stirbt, damit das Fleisch dadurch eine höhere Qualität erlangen könne und man auf dem Markt dafür mehr Geld bekommen würde. Juda tat das Schwein leid und er tötete es so, dass es binnen kürzester Zeit sterben konnte. Dennoch quiekte das Schwein hoffnungslose Schreie aus... .

Juda war anders als die meisten Männer seines Dorfes Marygreen. Er war sensibel. Und er war gelehrig, war in der Lage, sich Bücher anzueignen, für die er im Dorf verspottet wurde. Sein Dorfschulleher Richard Phillotson, der Marygreen verließ, auch wegen ehrgeiziger beruflicher Ziele, beschaffte ihm die Lehrwerke zu den alten Sprachen. Richard Phillotson bleibt bis zum Ende des Romans eine wichtige Figur.

Im zweiten Teil  sucht mein junger Held seinen Platz in der Welt. Mittlerweile ist er in die Gelehrtenstadt Christminster eingereist und hat dort im Handwerk Arbeit gefunden. Er bewarb sich an einem College und machte den Fehler, sich dem Direktor nicht als ein Autodidakt in Latein und Altgriechisch vorzustellen, vielleicht hätte er damit dem Rektor imponiert und ihm eine große Fähigkeit gezeigt, nein, er stellte sich als ein Arbeiter vor, und erwähnte mit keinem Laut sein Selbststudium. Der Rektor riet ihm von einem Studium ab, und er solle sein Glück als Arbeiter weiter vervollständigen. Armer junger Mann. Auch mit der Liebe scheint es nicht so recht zu klappen.

Das waren Teil I und Teil II von acht Teilen in mehre Kapiteln untergliedert.

In den weiteren Abläufen bestimmen gesellschaftliche Konventionen das Leben der damaligen Menschen. Und nicht nur das. Der Roman spielt in einem kinderfeindlichem England. Juda und seine neue und junge Partnerin Susanna Bridehead gehen eine Wildehe ein, aus der mehrere Kinder geboren werden. Ständig befindet sich diese junge Familie auf der Flucht, immer auf der Suche nach einem Platz in der Welt.
Der Roman spielt im Viktorianischen England, das bestimmt ist durch Tratsch und Klatsch und dadurch anders denkenden Menschen das Leben schwer gemacht wird.

Ich liebe Bücher, deren Verläufe sich nicht voraussehen lassen und das ist dem Autor gelungen. Obwohl seine Absicht primär darin lag, seine Leser zu schockieren, durch die miserablen gesellschaftlichen Umstände im damaligen England. Mich hat Hardy schockiert... . Seine Leser hatte er damals auch schockiert und zwar in dem Maße, dass sie Hardys Werk abgelehnt hatten. Vor allem die Kirche verschmähte das Buch.

Die Beziehung zwischen Juda und Sue endet mit einer Tragödie, die für mich völlig unerwartet erschien. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit so einer tragischen Entwicklung.

Das Buch habe ich bis zum Schluss mit großem Interesse gelesen. Vor allem die letzten fünfzig Seiten erweisen sich mir besonders spannend. Ich habe das Werk als ein ganz besonderes Buch erlebt. Es ist so besonders in seiner Art, dass ich diesmal meine Buchbesprechung nicht in einem so breitem Umfang gestalten werde wie sonst. Ich werde die Zitate weglassen, weil ich der Meinung bin, dass jede oder jeder interessierte Leser von der ersten Seite an beginnen sollte, die Erfahrungen selber zu machen, ohne sie von mir auf eine Spur zu bringen. Diese vielen Überraschungen, die ich selbst erfahren habe, gönne ich jedem anderen auch.

Thomas Hardy ist ein Zeitgenosse von Charles Dickens auch wenn 28 Jahre zwischen ihnen liegen. Ich habe beide Schreibstile miteinander verglichen und mir hat Hardy, obwohl ich großer Fan von Dickens bin, besser gefallen, hat mich mehr überzeugt, da Hardy überhaupt authentischer mit Gefühlen und Emotionen umgeht als Dickens es tat. Bei Dickens fließen mir zu viele Tränen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Zu viel Rührseligkeit, für mich zu sentimental. Und bei Dickens errate ich meist so ziemlich genau die Abläufe, bei Hardy fand ich Überraschungen vor.

Herzen im Aufruhr ist ein Buch, das an das Shakespeares Drama Romeo und Julia erinnern lässt. Aber bitte nicht gleich denken, dass sich Sue und Juda sich das Leben nehmen... .

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Wegen der Authentizität im Auftritt und Charaktere der Figuren und wegen der Vielfalt an Ideen und wegen des interessanten Aufbaus der Thematik!

_________
Ich habe sowohl ein Herz als ihr und bin nicht geringer denn ihr;
und wer ist, der solches nicht wisse?                        
                                                    Hiob XII, 3
(Thomas Hardy)

Gelesene Bücher 2013: 35
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Sonntag, 19. Mai 2013

Thomas Hardy / Herzen im Aufruhr


 

Klappentext
Der Kampf zwischen Fleisch und Geist kann tödlich enden", sagt der englische Dichter Thomas Hardy, und kaum ein anderer Roman führt das so schonungslos vor Augen wie "Herzen im Aufruhr": Er erzählt von der innigen Begegnung zweier junger Menschen in Südengland am Ende des 19. Jahrhunderts, ihrer kompromisslosen Liebe zueinander und der zerstörerischen Macht eines grausamen Schicksals. Der Steinmetz Juda Fawley und seine Kusine Sue Bridehead lieben sich, doch Juda ist auf dem Papier der Gatte einer Frau, die ihn kuzr nach der Hochzeit verlassen hat. Sue gibt den Werbungen des alternden Lehreres Phillotson nach und entdeckt zu spät, dass die Ehe mit dem ungeliebten Mann eine körperliche und seelische Qual für sie ist... "Jude the Obscure" löste nach seinem Erscheinen 1895 bei Kritikern und Publikum einen Sturm der Entrüstung aus und blieb daher der letzte von Hardys (Hardy, Thomas 1840 - 1928) berühmten "Wessex"-Romanen - und zugleich sein letztes erzählendes Werk überhaupt. 

Autorenportrait aus Wikipedia
Der Sohn eines Baumeisters ging nach der Architektenlehre nach London. 1867 kehrte er nach Dorset zurück und begann, neben seiner Arbeit als Kirchenrestaurator zu schreiben. 1871 erschien der erste seiner berühmten „Wessex“−Romane, die alle in seiner heimatlichen Umgebung angesiedelt sind. 1878-1881 lebte er wieder in London, ab 1883 wieder in Dorchester. Hardy hinterließ ein umfangreiches Werk, darunter 14 Romane, viele Kurzgeschichten mit sehr unterschiedlichem Umfang und fast 1.000 Gedichte. Die Veröffentlichung von Jude the Obscure verursachte einen Skandal, nach dem er sich entschloss, keine Romane mehr zu schreiben. Nach 1895 schrieb er nur noch Gedichte.
Hardys Geburtshaus „Hardy’s Cottage“ in Higher Bockhampton, in dem er bis zum 35. Lebensjahr gewohnt hat und das spätere Wohnhaus „Max Gate“ in Dorchester sind im Besitz des National Trust.Das Spektrum der Werke Hardys reicht von der realistischen und detailreichen Schilderung des Landlebens bis hin zur Darstellung des Unerwarteten, Außergewöhnlichen, Verdächtigen, vom Tragischen bis zum Humorvollen. Dabei versucht er Sentimentalitäten zu vermeiden. Oft bedient er sich des Tons der mündlichen Erzählung, beispielsweise in A Tradition of Eighteen Hundred and Four (in Wessex Tales).
Von dem Autor habe ich noch keine Werke gelesen, allerdings befindet sich auf meinem großen SuB noch ein weiteres Buch von ihm. Bin gespannt, welche Erfahrungen mich mit dem Buch erwarten werden. Leider ist ANACONDA der einzige deutschsprachige Verlag, der die Werke von Hardy noch auflegt. Schade, da mir die Übersetzung von Anaconda aus anderen Büchern nicht immer als gelungen erschienen ist.



Jörg Utschakowski u. a. / Vom Erfahrenen zum Experten (1)

Ein Résumé



In dem Buch  sind jede Menge Aufsätze geschrieben, alle von verschiedenen AutorInnen. Vieles wiederholt sich regelrecht in der Ansicht, was das Thema betrifft: Betroffene Menschen in die Arbeit mit psychisch kranken Menschen einzubinden, die als Peers, Peergroups oder als Peersupport  bezeichnet werden. Vorreiter war Amerika später folgten Neuseeland, Schweiz, Deutschland, Holland, Kanada und Österreich.

Peergroup ist ein Fachbegriff aus der Sozialpädagogik, Pädagogik und aus der Soziologie und ist auf Charles H. Cooley zurückzuführen. Cooley lebte von 1864 bis 1929 und war Amerikaner.
In der Fachliteratur werden Peergroups als Bezugsgruppen beschrieben, die sich aus Menschen zusammensetzen, die Gemeinsames oder gewisse Ähnlichkeiten in der Lebenserfahrung verbindet. Auf unserem Fachgebiet werden Peergroups bezeichnet, die über eine psychiatrische Erkrankung verfügten und die als Betroffene in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen eingesetzt werden. Kurz gesagt: Psychisch kranke Menschen helfen psychisch kranken Menschen.

Dann gibt es noch die Peer Supports: Betroffene unterstützen Betroffene in Selbsthilfegruppen. Sie lernen Gruppen zu gründen, Vorträge zu halten, Diskussionen zu führen, auf Gruppenkrisen einzugehen und Fragen von Gruppenteilnehmern zu beantworten. Klare Rollenverteilung in Unterstützende und Unterstützte muss trotzdem erkenntlich sein.

Aus der Selbsthilfegruppe helfen Betroffene Betroffenen in Beratungsangeboten wie z. B in Beschwerdestellen für Betroffene, bei der Medikamentenberatung oder bei einer unabhängigen Patientenfürsprache. Peersupports werden auch in Schulen eingesetzt.

Auf dem Gebiet der Psychiatrie haben sie gegenüber den Professionellen eine unterstützende Funktion. Sie ergänzen das, was viele Professionelle durch die fachliche Distanz zu wenig mitbringen würden, denn „Professionell Tätige haben (…) oft gelernt, bewusst eine professionelle Distanz zu wahren und sich mit ihren eigenen Erfahrungen nicht oder nur wenig einzubringen. (…) In begrenztem Umfang sollten Fachpersonen bereit sein von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten. Dabei kann es sich um die Bewältigung von Alltagsschwierigkeiten , je nach Umständen aber auch um eigene Krisenerfahrungen handeln“.  (S. 44f. )

Viele psychisch kranke Menschen sind unzufrieden mit den professionellen Handlungsangeboten. Diese werden oft als hinderlich wahrgenommen. Peersupports werden als hilfreiche Ergänzung empfunden.

Sie helfen bei dem Prozess der Entstigmatisierung, beim Aufräumen von Vorurteilen und bei der Verbesserung von mehr Lebensqualität.

Verbesserung psychiatrischer Versorgung sei aus der Sicht der AutorInnen ohne Expertenwissen durch Erfahrung nicht möglich.

Es liegen Übersichtsstudien vor, Vergleichsgruppen mit Teams ohne Peers. Die Studien zeigten, dass in der Psychiatrie der Einsatz von Experten durch Erfahrung zu keiner schlechteren Qualität geführt habe. Im Gegenteil: sie führte

• zu einer größeren Lebenszufriedenheit
• zur Reduzierung von Lebensproblemen
• zum besseren Umgang mit der Erkrankung

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Informationen,  Aufklärung und die gemeinsame Erfahrung.

In dem Buch werden mehrere Experten unterschieden:

1. Experten durch den Beruf (Professionelle)
2. Experten durch Erfahrung (Betroffene)
3. Experten durch Begleitung (Angehörigen und Laien)

Aufgaben und Methoden befinden sich noch in der Entwicklung.

Die Arbeit mit Peers hat ihre Wurzeln im Empowerment und Recovery.

Der Begriff Empowerment - Selbstbefähigung oder Selbstbevollmächtigung - entnommen aus den amerikanischen Emanzipationsbewegungen; gesellschaftlich benachteiligte Gruppen wehrten sich und waren nicht mehr bereit, Diskriminierung und Unterdrückung hinzunehmen. Sie entwickelten dadurch mehr Selbstbewusstsein und Emanzipation.

Recovery - Gesundung, Genesung; oder die Wiedererlangung von Gesundheit. Die ersten Vertreter des Recovery-Ansatzes waren Betroffene, die von professioneller Seite als chronisch psychisch krank bezeichnet wurden, die sich mit dieser negativen Prognose allerdings nicht abgefunden haben und wider Erwarten genesen sind.

In der traditionellen Psychiatrie würden viele psychisch kranke Menschen als unheilbar diagnostiziert. Im Recovery-Ansatz ist unter Genesung nicht die Symptomfreiheit gemeint. Er sei vielmehr als ein Prozess zu verstehen in der Auseinandersetzung des Betroffenen mit sich selbst und seiner Erkrankung. Dieser Prozess kann dazu führen, dass der Betroffene trotz seiner psychischen Erkrankung in der Lage ist, ein zufriedeneres, hoffnungsvolleres und aktiveres Leben zu führen.

„Hier werden Vorstellungen von gesund-krank, wertvoll-wertlos, früher-heute aufgehoben (es ist eben ganz normal, sich nicht immer gut zu fühlen, sich manchmal im Bett verstecken zu wollen, am eigenen Wert zu zweifeln, sich mit Arbeit, Einkaufen, Alkohol oder Ähnlichem zu betäuben oder manchmal antriebslos zu sein. (Jeder Mensch kennt die eine oder andere psychische Krise.)“ S. 35
„Es ist daher die Aufgabe des Teams und der Organisation insgesamt, das Potential mit den Peer-Spezialisten nutzbar zu machen, wertzuschätzen und sich zu einer neuen professionellen Kultur zu bekennen, in der Grenzen anders gesetzt werden und in der andere Formen von Beziehung und Unterstützung zum Tragen kommen als in den traditionellen Strukturen“, (78f) 

Die Aufgabe des Teams und der Organisation

Die Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen erfordert:

- dauerhafte Unterstützung und Förderung
- Die Wahrnehmung von Machtunterschieden sollten verstanden und richtig gemanagt werden
- Die Rollen und Aufgaben der Peers sollten klar definiert und transparent gemacht werden (S. 78)

Gesundheit und Krankheit werden hier relativiert.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert 1947 Gesundheit als vollkommen psychisch und geistiges und soziales Wohlbefinden. Sind alle Menschen krank? Wer kann nach dieser Definition gesund sein? (35)

Krankheitsbewältigung verlaufe bei jedem anders. Genesung sei auch bei schweren psychischen Erkrankungen möglich. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, alle Symptome überwunden zu haben, oder gar krisenfest zu sein. Sie würden nur seltener auftreten und seien nicht mehr so sehr belastbar. Genesung könne mit, ohne oder trotz professioneller Hilfe eintreten. Fachliche Unterstützung sei nur ein Faktor unter vielen, der Genesung fördern kann, aber nicht muss.

Auch Hoffnung und Vertrauen gehören ebenso zum Recovery-Ansatz. Hierbei werden Krisen nicht als Katastrophen verstanden, sondern als zum Menschen zugehörig. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Krisen erfahren kann. Zuversichtlich zu sein bedeutet, selbst wenn ein Mensch immer wieder psychisch erkrankt, dennoch zu ihm zu stehen und ihm das Gefühl geben, dass er es schaffen kann, die Krankheit zu überwinden oder ihm einen angemessenen Umgang mit der Erkrankung zutrauen.

Die Arbeit mit Peers in der psychiatrischen Versorgung kann für professionell Tätige eine besondere Herausforderung sein. In Form von Selbstreflexion kann sie weg von dem defizitären Blick, Fremdbestimmung und Resignation führen.

Doch auch Peers stehen vor Herausforderungen: Bei „unausgesöhnten Anteilen“ bestehe die Gefahr, diese auf KlientInnen zu projizieren.
„In der Arbeit mit Peers geht es darum, Erfahrungswissen und traditionelles Wissen zusammenzubringen. Eine neue Kultur aufzubauen, die neue Wege in der Unterstützung für die Klientinnen und Klienten ermöglicht, aber auch eine Kultur, in der die Lebens- und Krisenerfahrung aller Beteiligten Raum bekommt und als Ressourcen genutzt werden können.“ (79).
Bezogen ist dies auch auf professionell Tätige. D. h., dass sie im Zentrum ihrer Qualifizierung in der Lage sein sollten, Menschsein gleichberechtigt neben nützliches Fachwissen zu stellen.

Weg von einem defizitären Bild - hin zu mehr Toleranz und Gemeinschaft, mehr Normalität und Vielfalt, und zu mehr Gleichberechtigung.

Zum Abschluss ein Zitat von Christian Morgenstern, das mich sehr angesprochen hat und aus dem Buch zu entnehmen war:
"Wer am Menschen nicht scheitern will, trage den unerschütterten Entschluss des Durch - ihn - lernen - Wollens wie einen Schild vor sich her".
Was hat mir nicht gut an dem Buch gefallen?

Differenzierungen zu den Profis kamen mir irgendwie zu kurz. Im Studium der Heil- und der Sozialpädagogik wird das Menschenbild immer wieder hinterfragt, was auch zur Entstigmatisierung, zum besseren Verständnis u.a.m., beiträgt.

Deshalb die Frage: Wer sind die Profis in dem Buch, die zu ihrer Klientel eine zu große Distanz aufbauen? Das hat bei vielen Leserinnen, Soz.-Päds., mit denen ich mich über das Buch austauschte, zu Irritationen geführt.

Des Weiteren ist zu wenig auf die mögliche Problematik von seitens der Peers eingegangen worden… . Nicht jede subjektive Erfahrung muss auch für andere richtig sein. Nicht jede subjektive Erfahrung ist auf andere übertragbar... . Allerdings ist auch nicht jede objektive Theorie auf andere übertragbar. Ein Mix von beidem wäre aus meiner Sicht eine gesunde professionelle Haltung, entspricht allerdings auch als ein Appell dieser multiplen Autor*innen dieses Buches.

Ich selbst fand das Buch recht gut, auf jeden Fall lesenswert.

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Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an
(E. T. A. Hoffmann)

Gelesene Bücher 2013: 34
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 16. Mai 2013

Jörg Utschakowski u. a. / Vom Erfahrenen zum Experten



Wie Peers die Psychiatrie verändern

Klappentext
Peers werden Menschen genannt, die selbst Psychiatrieerfahrungen haben undnun zunehmend in die fachliche Begleitung z.B. psychotischer Menscheneinbezogen werden. Der wesentliche Effekt ist, dass diese Personen ihre eigenenErfahrungen positiv und sinnvoll nutzen können und das von vielen Betroffenen als glaubwürdig und hilfreich angesehen wird. Viele Peers sind bereits in der Fortbildung tätig und qualifizieren sich mit geeigneten Bildungsabschlüssen. Was im englischsprachigen Raum schon sehr weit fortgeschritten ist, wird jetzt in Deutschland immer mehr Verbreitung finden.In diesem Buch werden die aktuellen Erfahrungen und die Rahmenbedingungen der Peer-Arbeit dargestellt, ergänzt durch viele praktische Hinweise, wie Peers gezielt ausgebildet und bei der bezahlten psychiatrischen Arbeit beteiligt werden können oder wie man selbst als Peer aktiv werden und sich qualifizieren kann.
Das Buch ist die praktische Umsetzung der Recovery-Bewegung, es unterstreicht die zunehmend anerkannte Bedeutung der qualifizierten Einbeziehung von Psychose erfahrenen in die psychiatrische Arbeit. 
Ich lese das Buch berufsbedingt. Dadurch, dass ich es hier zu Hause lese, nehme ich es mit in meine Sammlung auf. In der Regel lese ich Fachtexte auf meiner Dienststelle... . Ich habe mich über meine Kollegin sehr gefreut, die mir das Buch überreicht hat mit der Bitte, es zu lesen und darüber im Team zu referieren. Ich habe es als eine Wertschätzung erfahren. In unserer Dienststelle werden zukünftig in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen nicht nur Professionelle tätig sein, seit neustem werden psychiatrieweit auch Betroffene, Erfahrene (Peers) mit ins Boot geholt, da sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung über besondere Ressourcen verfügen, die in der Arbeit mit psychisch Kranken förderlich sein können, wie zum Beispiel Wissen durch Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung. Meine Kollegin begleitet ein Peermitglied, das sich derzeit in Vorbereitungskursen und Praktika befindet.

Ich habe schon ein paar Seiten gelesen und finde das Thema recht interessant... .



Sonntag, 12. Mai 2013

Helene Hanff / 84, Charing Cross Road (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Dieses kleine Büchelchen von gerade mal 158 Seiten hatte ich in ca. drei Stunden durch und es enthält dennoch recht viel Fülle und Inhalt. Interessant fand ich zu lesen, dass Helene Hanff als eine absolute Buchliebhaberin keine Romane gelesen hatte, bis sie schließlich Jane Austen entdeckt hatte, von der sie mehr als begeistert war.
Sie lebte in einer recht kleinen Wohnung, bewohnte wohl eher ein Zimmer, besaß nur drei Bücherregale, und Bücher, die für sie keinen geistigen Wert besaßen, schmiss sie fort und stößt dabei auf Missmut bei anderen LeserInnen ihres Bekanntenkreises:
Ich besitze nur drei Bücherregale und nur noch sehr wenige Bücher, die ich wegwerfen kann. Jedes Jahr im Frühjahr mache ich Bücher-Großputz und werfe die hinaus, die ich nie wieder lesen werde, so wie ich alte Kleider, die ich nie wieder tragen werde, wegwerfe. Alle Welt ist darüber schockiert. Meine Freunde sind komisch mit Büchern. Sie lesen alle Bestseller, und das so schnell wie möglich, ich glaube, sie überspringen viel. Und sie lesen nie etwas zweimal, weshalb sie sich ein Jahr später an kein einziges Wort mehr erinnern können. Aber sie sind tief schockiert, wenn ich ein Buch in den Papierkorb werfe oder es fort gebe. Wie sie mich dabei ansehen: man kauft ein Buch, man liest es, man stellt es ins Regal, man öffnet es nie wieder im ganzen Leben, aber man wirft es nicht weg! Nicht, wenn es ein gebundenes Buch ist! Warum nicht? Ich für meine Person kann mir nichts weniger heiliges vorstellen als ein schlechtes oder auch ein mittelmäßiges Buch. (87f)
Helene Hanff schrieb auch in Büchern rein, die aus der Bibliothek geliehen waren... . Die Frau hatte echt Selbstbewusstsein. Die freundschaftliche Beziehung zu dem englischen Buchhändler und Antiquar Frank Doel fand ich recht spannend, zeugte von gegenseitiger hoher Achtung und Respekt... . Eine Freundschaft, die zwischen New-York und England keine Entfernung kennt...
 Helene Hanff berichtet in einem Brief von dem Dilemma der ausgeliehenen Bibliotheks - Bücher, wenn ihr die Zeit zu lange wird, bis die bestellten Bücher aus England eintreffen:
Sie lassen mich hier sitzen und lange Randbemerkungen in Bibliotheksbücher schreiben, die mir nicht gehören. Eines Tages wird das herauskommen, und sie werden mir den Bibliotheksausweis wegnehmen. (19)
Auf der selben Seite bittet Helene Hanff um Bücher von Dichtern, die Liebe machen können. Fand ich originell ausgedrückt, obwohl es auf den zweiten Blick eher ein gewöhnlicher Gedanke ist.

Helene Hanff würde sehr gut in das Zeitalter des Internets passen:
Bitte schicken Sie mir auch die "Oxford Gedichte". Kümmern Sie sich niemals darum, ob ich etwas bereits aufgetrieben haben könnte. Ich sehe mich nirgendwo anders mehr um. Warum soll ich den ganzen Weg bis zur 17. th Street hinunter laufen, um schmutzige, schlecht gemachte Bücher zu kaufen, wo ich bei Ihnen saubere, schöne Exemplare kaufen kann, ohne mich von meiner Schreibmaschine fortzubewegen? Von meinem Stuhl aus ist mir London viel näher als die 17. th Street. (28)
Helena Hanff kauft nur gebrauchte Bücher. Neue kommen für sie nicht in Frage. Je mehr Gebrauchsspuren ein Buch aufweist, desto mehr Leben strahlt es für sie aus.
Ich liebe Widmungen auf dem Vorsatz und Randnotizen; ich mag das Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn ich Seiten umschlage, die jemand vor mir bereits umblätterte, und Abschnitte lese, auf die jemand, der schon lange nicht mehr lebt, meine Aufmerksamkeit gelenkt hat. (48)
Ich selbst achte immer darauf, und dies ganz besonders bei den Taschenbüchern, dass ich sie beim Lesen nicht zu sehr knicke, denn ich bekomme dabei das Gefühl, Ihnen das Rückgrat zu brechen. Helene Hanff scheint dies gar nicht stören, und so hat jeder seine Art, wie er seine Bücher kultiviert.

Helene Hanff zeigt sich den Engländern gegenüber recht großzügig, schickt jede Menge Fresspackete, was ich so sehr sympatisch fand. In England waren die Lebensmittel zu der Zeit noch immer stark rationiert. Man schreibt das Jahr 1951 und die Engländer leiden noch immer unter der Nachwirkung des Zweiten Weltkrieges. Wer kann das schon, so natürlich großzügig zu sein? In der Regel gibt man immer schnell zurück, was man bekommen hatte. Helene Hanff konnte würdevoll geben, während die Engländer würdevoll nehmen konnten.
Ich schicke Ihnen Grüße aus Amerika - das ein treuloser Freund ist, der Millionen ausgibt, um Japan und Deutschland wieder aufzubauen, während er England verhungern lässt. Eines Tages, so Gott will, werde ich herüber kommen und mich persönlich für die Sünden meines Landes entschuldigen (und wenn ich nach Hause komme, wird sich mein Land sicher für die meinen zu entschuldigen haben). (49)
Interessant zu lesen, dass es Amerika für den Wiederaufbau Deutschlands zu verdanken war.

Sie entdeckt in der Bücherei New-Yorks Jane Austen und ist, wie oben schon gesagt, völlig hingerissen von dem Buch. Schmunzeln musste ich darüber, dass sie der Bibliothek das Buch so lange vorenthält, bis ihr ein Exemplar aus England zugekommen ist:
Es wird Sie begeistern zu erfahren, (von mir, die ich Romane hasse!),dass ich mich endlich an Jane Austen gemacht habe und über Stolz und Vorurteil ganz aus dem Häuschen geraten bin, über ein Buch, das ich nicht zur Bücherei zurückbringen kann, ehe Sie ein Exemplar für mich aufgetrieben haben. (82)
Humor hatte Helene Hanff auch jede Menge. Mehrmals wurde sie von Frank Doel auf einen Besuch nach England eingeladen. Es kam wiederholt nicht dazu, und diesmal da ihre Zähne saniert werden mussten, die mit einem hohen Kostenaufwand verbunden waren. Zu der Zeit, 1952, sollte die englische Königin Elisabeth II gethront werden. Dazu Helene Hanff:
Habe ich Ihnen erzählt, dass (mein Zahnarzt) mir letztes Frühjahr sagte, ich müsse alle meine Zähne überkronen oder ziehen lassen? Ich entschied mich für die Kronen, da ich mich an Zähne gewöhnt habe. Aber die Kosten sind einfach astronomisch. Deshalb wird Elisabeth den Thron ohne mich besteigen müssen. Zähne sind das einzige, was ich in den nächsten Jahren gekrönt sehen werde. (88)
Es ist nie zu der Reise nach England gekommen. Sie fand immer ein Hindernis, weshalb es shcließlich nicht zu der Reise kam. Als man in England versuchte sich von Helene Hanff ein Bild zu machen, boykottierte sie. Man sah eine junge, talentierte Akademikerin vor sich, mit gestylten Klamotten, so machte sie das Bild zunichte, indem sie schriftlich ein gegenteiliges Bild von sich gab, das absolut nicht diesen Vorstellungen entsprach. Schlechte Kleidung, schlichte Frisur, eine gewöhnliche Frau ohne akademische Ausbildung. Im Nachwort entnimmt man folgendes:
Jahr für Jahr werden Reisepläne geschmiedet, und mit gleicher Regelmäßigkeit tun sich Hindernisse auf, die die Verwirklichung des Traums vereiteln. Vielleicht schreckte Helene Hanff insgeheim sogar davor zurück, ihren Freunden real zu begegnen, aus der Angst heraus, dass die Realität mit der herrlichen Leichtigkeit der Korrespondenz nicht mithalten könnte. (157)
Sie selbst war schon auch neugierig auf England  speziell auf das Antiquariat und überlegte sich doch zu reisen, in der Buchhandlung zu erscheinen, die Bücher zu durchwühlen, ohne sich zu erkennen zu geben. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, dass eine Freundschaft allein von der Korrespodenz lebt, weil sie aus dem Geistigen heraus entsteht. Ich finde solche Freundschaften auf ihre Weise sehr schön, weil sie auf Äußerlichkeiten nicht angewiesen ist.
Was als nüchterne Geschäftskorrespondenz begann, entwickelte sich zum Wechselspiel der Gedanken und Gefühle zwischen Menschen, die sich nie begegnet waren und die dennoch zu Freunden wurden. Natürlich tauschen sich Helene Hanff und ihr Gegenüber, der findige Antiquar Frank Doel, über Bücher aus: über das Gefühl, seltene Editionen anfassen, die Seiten als erster aufschneiden oder eine brillante Goldprägung bewundern zu dürfen. Die Büchernärrin Helene Hanff weiß mit den Schätzen umzugehen, die ihr Frank Doel und seine Mitarbeiterinnen ans Herz legen; sie ist eine kritische Leserin, weist mit Empörung hässliche Ausgaben oder missratene Übersetzungen zurück und kann schon im nächsten Augenblick ihre Begeisterung über ein exquisites Fundstück aus den unerschöpflichen Beständen der Charin Cross Road kaum zähmen.(155 f)


Mein Fazit:

Da es keine reine oder gewöhnliche Geschäftsverbindung zwischen Helene Hanff und Frank Doel war (Kunde und Verkäufer), und die Korrespondenz der beiden aus meiner Sicht sehr charismatisch wirkte, in der nicht nur der Verkauf und nicht nur die Bücherliebe im Vordergrund stand, sondern in gleicherweise auch die Liebe zum Menschen, wenn auch in erster Linie über die Bücher ausgedrückt, was ein gemeinsames Hobby zwischen Helene Hanff und dem Antiquar Frank Doel ausmachte. Viele Geschäftspartner bleiben den Kunden gegenüber distanziert, wo einzig und allein das Kaufen und Verkaufen im Vordergrund stehen bleibt.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten... .
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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

Gelesene Bücher 2013: 32
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Helene Hanff / 84, Charing Cross Road



Klappentext
"Schicken Sie Dichter, die Liebe machen können, ohne zu sabbern." Sie liebte Bücher über alles, aber kurz nach dem Krieg war genau daran nur schwer zu kommen. So machte die Amerikanerin Helene Hanff eine Buchhandlung in Europa ausfindig, über die sie ihre ziemlich spezielle Lektüre fortan per Post bestellte. Und nicht nur das: Schon bald begann ein hinreißender Briefwechsel zwischen der spitzzüngigen Amerikanerin und ihrem englischen Antiquar - er sollte zwanzig Jahre dauern und die beiden Akteure schließlich weltberühmt machen. Die Drehbuchautorin Helen Hanff gab dabei den Ton an und eroberte den schüchternen Antiquar nach und nach mit ihrer rauen Herzlichkeit.

Autorenportrait im Klappentext
Helene Hanff, 1917 in Philadelphia geboren, war als Theaterautorin nur mäßig erfolgreich und schlug sich mit dem Verfassen von Schulbüchern und Drehbüchern durch. Berühmt sollte sie allerdings durch diesen Briefwechsel mit dem Antiquar Frank Doel werden. Das Buch erschien im Original bereits 1970 und wurde in Amerika und England zu einer Art Kultbuch. Bis zu ihrem Tod 1997 schrieb sie „Briefe aus New York“ für die BBC und einige autobiografische Bücher.
Dieses Buch hat meine Literaturfreundin Anne für mich aus meinem großen SuB ausgesucht. Inhaltlich kam es mir recht bekannt vor, bis ich durch meine Recherchen in Erfahrung bringen konnte, dass es eine Verfilmung dazu gibt.


Ich werde mir unbedingt den Film auf DVD zulegen. Es ist immer wieder schön zu lesen und zu sehen, dass es noch andere BibliophilInnen gibt, bei denen die Bücher an erster Stelle stehen.