Eine Buchbesprechung zur
o. g. Lektüre
Das Buch fand ich sehr
spannend. So viele interessante Themen und Gedanken wurden darin angeschnitten
und besprochen. Als es allerdings um die Schauspielerei ging, zwei Profis, die
sich über ihr Metier austauschen, war ich ein wenig überfordert, ich konnte
diesbezüglich so gar nicht mitreden …
Zwei Schauspielkollegen
verbringen die ganze Nacht zusammen mit reichlich viel Wein in der Wohnung von
Oskar Werner und betreiben dort Konversation, wobei Michael Degen eher dazu
gezwungen wurde, die Nacht mit dem schroffen und leidigen Werner dialogisch und
monologisch auszuharren ...
Allerdings die
Lebensbeschreibungen, wenn auch eher in Fragmenten, fand ich zu beiden recht
interessant. Wobei Michael Degen sich eher bedeckt hielt. Ihm war es wichtig,
sich über seinen Kollegen auszutauschen, aber manchmal brachte O. W. ihn doch
dazu, etwas von sich zu offenbaren, und so gab Degen von sich ein paar wenige,
aber sehr bedeutende Lebensereignisse preis.
Ich habe die Buchvorstellung
auf Facebook, in unseren Literaturkreis, gepostet. Eine
Userin machte mich daraufhin auf den Film Fahrenheit
451 aufmerksam, in dem Oskar Werner die Hauptrolle spielt. Ich kannte den
Film bisher nicht, habe aber das Buch von Ray
Bradbury vor langer Zeit gelesen. Ich habe mir sogleich auf Amazon die DVD
bestellt und freue mich sehr darauf.
Ein paar Seiten später sprechen
die beiden Schauspieler sogar selbst über diese Buchverfilmung. War ja
eigentlich zu erwarten.
Oskar Werner war in seinem
Beruf als bedeutender österreichischer Film- und Bühnenschauspieler recht
erfolgreich. Mit fünfzehn Jahren bekam er seine erste Rolle im Wiener
Burgtheater. Aber er wirkte in dem Gespräch mit Michael Degen ein wenig
verbittert, und er schien ein schwer umgänglicher Zeitgenosse gewesen zu sein. Am Leben
gescheitert? Oskar Werner hatte keine besonders schöne Kindheit. Er ist kein
Wunschkind gewesen, was ihm schwer zu schaffen machte. Seine suizidgefährdete
Mutter hätte ihn abgetrieben, würde es ihre Konfession zulassen. Die Eltern, die
keine glückliche Ehe führten, trugen ihren Zwist vor dem Jungen aus. Das Kind
verkroch sich unter den Tisch, während sie sich stritten … Auch der
Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hinterließen zusätzlich Spuren in
Werners Seele. Er wurde 1922 geboren, ein Jahr vor Hitlers Putschversuch ...
Das Leben bezeichnete er selbst als die reine Hölle und zitiert Dantes Inferno,
das im Vergleich dazu nichts dagegen sei.
Während des Zweiten Weltkriegs,
als er noch ein junger Mann war, sah er sich als Nazigegner gezwungen, zu
desertieren, auch wenn er damit sein Leben riskierte. Gefangengenommene Deserteure
wurden von den Nazis kurzerhand niedergeknallt, wie dies aus den Gesprächen zu
entnehmen war. Aber Werner hatte Glück, er und seine junge Familie konnten
diese schweren Zeiten überleben … Psychisch gesehen hatte aber Oskar Werner
durch die vielen schlechten Lebensumstände einen Schaden genommen und um diesen
nicht zu spüren, griff er zum Alkohol, mit dem er bis zu seinem Tod, 1984, sein
Leben ein wenig erleichtern wollte ... Beruflicher Erfolg kann zum inneren
Frieden beitragen, ersetzt aber keine anderen inneren Werte, die der Mensch
braucht, um zu einem glücklichen Leben zu kommen.
Oskar Werner bedeutete seine
Schauspielerei alles. Mit dem Theater sei er verheiratet, der Film aber sei
seine Geliebte. Diese Vergleiche fand ich sehr schön und sie zeigen, wie sehr
er mit seinem Beruf verbandelt war.
Probleme hatte er mit seinem
Familiennamen Bschließmayer, mit dem er sich keine Karriere als Schauspieler
vorstellen konnte:
Wie beginnt man denn sein Leben, wenn man mit dem Namen Oskar Josef Bschließmayer auf die Welt kommt? Wenn ich heute darüber nachdenke, wäre ich am liebsten gleich wieder in den Mutterleib zurückgekrochen. Was für eine Karriere hätte man mit einem solchen Namen schon machen können, wenn man, einmal angenommen, kein Komödiant hätte werden wollen?
Dieses Zitat musste ich
unbedingt rausschreiben. Die Sehnsucht, wieder zurück in den Mutterleib zu
kehren, ist für mich psychologisch gesehen sehr prägnant und zeigt die innere
Not, die dieser Mensch ein Leben lang erlitten hat.
Oskar Werner sollte also sein
Künstlername werden. 1946 wurde der Name amtlich beglaubigt. Wie er zu dem
Namen Werner kam, das lasse ich
offen, da ich nicht zu viel verraten darf. Hat aber etwas mit Werner Kraus zu tun …
Auch wenn mir manche Gespräche
über die Schauspielerei zu hoch waren, konnte ich doch auch für mich
Interessantes finden, vor allem als Oskar Werner sich gedanklich zu anderen
SchauspielerInnen äußert. Zum Beispiel sei Werner Kraus Schauspieler geworden,
um nicht er selbst zu sein. Das fand ich irgendwie psychologisch interessant.
Ein Mensch, der nicht er selbst sein möchte, und permanent in andere
Identitäten flüchtet. Ich versuchte, mir so eine Persönlichkeit vorzustellen. Anders
bei O. W., der nur eine Rolle wirklich gut spielen konnte, wenn er einige ihrer
Charakterzüge bei sich selbst wiederfinden konnte.
Außerdem bezeichnete O. W.
Werner Kraus politisch als einen Nazimitläufer … Vielleicht aber hatte Werner
Kraus keinen Mut, diese antisemitischen Rollen zu boykottieren … Ein Mensch,
der vor sich selber flieht, ist nicht stabil genug, sich gegen Autoritäten zu
widersetzen. Und schon gar nicht gegen so eine Verbrecherregierung, wie das
Nazideutschland sie war, in dem alle Menschen eliminiert wurden, die nicht in dieses
System passten. Vielleicht ist Werner Kraus doch kein Antisemit gewesen, er hatte
eben nur Angst vor einer Hinrichtung …
Ein weiteres Zitat, das zu
meinem obigen Gedanken passt, möchte ich unbedingt festhalten. Gedanken aus der
Sicht von O. W.:
Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent ist, dann ist er kein Nazi.
Richtig spannend fand ich auch
zusätzlich die vielen provokativen Fragen, die O. W. an seinen Gesprächspartner
Michael Degen gestellt hat. Ich musste so schmunzeln, als er fragte, ob Michael
Degen nicht neidisch auf ihn gewesen sei, wegen der besseren Rollen, die ihm
zugewiesen wurden? Oder wegen seiner erfolgreichen Filme in Hollywood? Ich
fand, dass Degen sehr souverän diese Fragen beantworten konnte …
Ja, zwischen diesen beiden
Schauspielern schien O. W. der Erfolgreichere gewesen zu sein, aber der
Glücklichere war für mich nach meiner Beobachtung durch dieses Buch auf jeden
Fall Michael Degen. Er wirkte viel gelassener und ausgeglichen. Ein jüdisches
Kind, das den Nationalsozialismus überlebt hat. Auch er war Opfer seiner Zeit.
Aber Degen kommt aus einem stabileren Elternhaus, in dem er sich geliebt gefühlt
hat ...
Hier mache ich nun Schluss.
Jedem Fan von Michael Degen und Oskar Werner kann ich zu diesem Buch raten. Ein
paar wenige Gedanken habe ich herausgeschrieben, aber zu entdecken gibt es noch
jede Menge weitere.
Mein
Fazit?
Mich stimmt das Buch noch immer
sehr nachdenklich. Traurig fand ich, als O. W. seine Schauspielkarriere durch
den Alkohol beenden musste. Er schaffte es nicht, seinen inneren Frieden zu
finden. Eine große Blamage auf der Bühne führte durch verschiedene geistige
Aussetzer zu seinem letzten Auftritt ... Ich hatte tiefes Mitgefühl, als sich
die Zuschauer über ihn lustig machten und ihn auf der Bühne auslachten. Andere
Besucher ergriffen in der Pause regelrecht die Flucht ...
Michael Degen ist es sehr gut
gelungen, diese Konversation zwischen ihnen beiden zu porträtieren. Ich bin auf
seine weiteren Werke gespannt. Hauptsächlich autobiografische.
Das Buch erhält von mir zehn
von zehn Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch:
Ich möchte mich recht herzlich für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Bücherverlag bedanken.
- Taschenbuch: 256 Seiten
- Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (22. April 2016)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3499242052
- ISBN-13: 978-3499242052
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Ich hätte zwei Leben gebraucht,
doch ich habe nur eines gehabt.
(Spruch auf einem Grabstein)
(Bernardo Atxaga)
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