Das hat mir nicht wirklich gefallen.
Die Romanheldin in dem Buch
ist Aysel, und sie schildert in der Retrospektive recht einleuchtend die gesellschaftlichen Probleme
ihrer Zeit. Hauptsächlich die Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, im Zweiten
Weltkrieg und bis zur Gegenwart.
Ich hatte Probleme mir vorzustellen, wie eine gesunde Frau ein
Hotelzimmer mietet, um sich nackt ins Bett zu legen und auf den Tod wartet.
Da kann man ja lange auf ihn warten.
Während dieser Zeit, wie oben schon gesagt, macht die Erzählerin eine mentale Zeitreise in die
Vergangenheit und man erfährt dabei viele politische und gesellschaftliche
Ereignisse ihres Landes.
Das Buch hat mich andererseits sehr bereichert, denn so konnte ich
besser verstehen, weshalb das Land noch heute in ihrer gesellschaftlichen
Entwicklung zwischen Orient und Okzident gespalten ist.
Ich gebe zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Die Dozentin Aysel steckt in einer privaten Lebenskrise und zieht sich,
zum Sterben entschlossen, in ein Hotelzimmer zurück. Denn der Konflikt zwischen
gesellschaftlichen Pflichten und ihren eigenen Bedürfnissen spitzt sich zu und
zwingt sie zu dieser Entscheidung. Ihren Tod vor Augen lässt sie noch einmal
ihr Leben Revue passieren, erinnert sich an ihre Schulzeit in der anatolischen
Provinz und die Universitätsjahre in Ankara. Sie selbst gehörte zu der kleinen
Schar von Jungen und Mädchen, den Kindern der Republik, die der Lehrer Dündar
nach seinen kemalistischen Idealen zu einer pflichtbewussten »Armee des
Wissens« erziehen wollte. Ihm hat sie, die Krämerstochter, es zu verdanken,
dass sie studieren durfte. Heute aber will sie nur noch aus ihren eintönigen
Verhältnissen ausbrechen und beginnt eine Beziehung zu einem ihrer Studenten.
Einen Abend nur hatte sie ungezwungen und pflichtvergessen mit ihm verbracht,
nun spürt sie neues Leben in sich keimen. Soll sie die Herausforderung
annehmen?
Aus dem Anhang geht hervor, dass der Roman autobiografisch gefärbt
ist.
Interessant fand ich die politischen und gesellschaftlichen
Ideen des ehemaligen Staatschefs Mustafa
Kemal Atatürk, der Begründer
der Modernen Republik in der Türkei. Er war bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg der Vater der
Nation. Er trennte Staat und Kirche strikt voneinander. Er starb Ende 1938. Atatürk zählt noch
heute für viele TürkInnen als der
Lehrer und gilt noch heute für viele als das Vorbild.
Viele andere BürgerInnen dagegen himmeln eher
Politiker an, die sich gegen Atatürk stellen und für das Festhalten an
Traditionen stehen. Ein gespaltenes Land, so wie der türkische Gegenwartsautor
Orhan Pamuk es in seinen Büchern schon beschrieben hat. Pamuk ist eine Generation
jünger als die Autorin. Demnach gehe ich davon aus, dass die geschilderten
Probleme vielleicht in abgeschwächter Form in der Türkei noch immer vorhanden sind.
Mithilfe der Autorin konnte ich Pamuk nun noch
besser verstehen.
Man kann also nicht sagen, dass die Türkei in
ihren Traditionen feststeckt und dadurch rückständig ist. Und man kann auch
nicht sagen, dass alle türkischen Frauen in ihrem Land Kopftücher tragen. Es
gibt sowohl Kopftuchträgerinnen, als auch die, ohne Kopftuch. Es gibt TürkInnen,
die leben westlich orientiert. Andere eben nicht. Viele Facetten in einem Land.
Erstaunlich fand ich, dass viele Kinder während
ihrer Schulzeit erzogen werden, für das Vaterland zu stehen, und sie werden
darauf vorbereitet, im schlimmsten Fall ihr Leben für die Nation zu opfern. (24). Ob das heute noch so ist,
konnte ich aus dem Kontext nicht herauslesen. In den anderen arabischen Ländern
könnte, mit Ausnahme von Persien / Iran, ich mir das vorstellen. Aber die
Türkei ist kein reines arabisches Land, schon allein auch geografisch gesehen.
Wir setzen unsere Mützen auf, wenn wir zur Schule gehen. Ohnehin hat
unser unsterblicher Atatürk gewünscht, dass wir aufgeklärt und zivilisiert sein
sollen. Was würde einer meiner hiesigen Lehrer wohl gesagt haben, wenn er mich
dort im Sommer mit Kopftuch hätte herumlaufen sehen? (94)
Aysels Eltern schickten zwar ihr Mädchen zur
Schule, aber sie waren in ihrer Erziehung nicht eindeutig frei. Mal befürworteten
sie das Moderne, dann wieder das Traditionelle. Aysel musste immer Gefahr
laufen, dass sie von den Eltern von der höheren Schule vorzeitig abgemeldet werden
würde, um auf das Leben als Ehefrau und Mutter vorbereitet zu werden.
Selbst die Schüler waren in sich zerrissen. Mal
kritisierten sie die Mädchen, wenn sie sich nicht ausreichend modern zeigten,
und zogen sie mit ihren Blicken herab, wenn Mädchen nach der Schule
von Haus aus wieder ein Kopftuch tragen mussten oder wenn ihre Haare zu lang
sind. Auch diese Vorstellung, eine moderne Frau trägt kurze Haare, das war auch
im Deutschland des Zweiten Weltkrieges noch nicht mal der Fall, erschien mir ein wenig absurd.
Vor meiner Lehrerin, die Geschichte unterrichtet, habe ich große
Angst. Sie ist sehr streng und sagt, ich sei sehr hässlich gekleidet. Sie will,
dass ich mir meine Haare wie ein Mädchen aus dem Westen schneiden und mir einen
Bubikopf machen lassen. Doch so etwas will mein Vater nicht einmal hören. (132)
Was sind neben der Demokratie die Maßstäbe einer modernen Gesellschaft? Hier wird die westliche Welt m. E. total unkritisch idealisiert.
Ich finde, dass auch viele LehrerInnen keine
Ahnung hatten von der modernen Lebensweise und wussten nicht, wie man diese Werte an jungen Menschen heranreicht. Sie versuchten Atatürk zwar nachzuahmen, aber ohne wirklich verstanden zu haben, was er unter der Moderne verstand. Man
bestimmt das moderne Verhalten nicht, man hat das nicht dem Kind aufzudrängen,
sondern man lebt es ihnen vor. Das ist meine pädagogische Sichtweise. Eine gesellschaftliche Entwicklung vollzieht sich größtenteils im Stillen eines Menschen. Das Kind ahmt den Erwachsenen nach …
Zeigte sich ein Mädchen dagegen modern, dann
wurde es von dem Jungen, der sie gestern noch als traditionell herabgesetzt hatte, erneut kritisiert, da die moderne Lebensweise sich nicht
für ein türkisches Mädchen ziemen würde.
Ganz schön anstrengend für Menschen, die in so
einer Zerrissenheit groß werden müssen. Sowohl für die Jungen als auch für die Mädchen ...
Kann sich die Hälfte einer Nation zum Himmel aufschwingen, wenn die
andere Hälfte am Boden angekettet bleibt? Die Erfolglosigkeit unserer Nation
geht auf dem schuldhaften Verhalten gegen unsere Frauen hervor. (130)
Eine schöne Metapher ...
Laut Atatürk:
Unsere Frauen müssen gebildeter, wissender und wacher sein als unsere
Männer. Sie sind dazu verpflichtet, wenn sie wahrhaftig die Mütter dieser
Nation sein wollen. Nur wenn eine Frau wirklich frei ist, kann auch der Mann frei sein. (128)
Aysel hat in der Schule heimlich den französischen Reformpädagogen
Jean Jacques Rousseau gelesen. Sie wurde von ihrer Lehrerin dabei erwischt. Die
Lehrerin nahm ihr das Buch ab, und gab es ihr nicht wieder zurück, obwohl das
Buch Eigentum der öffentlichen Bibliothek war. Die Lehrerin zeigte sich
beleidigt, dass Aysel sie nicht um Rat gefragt hatte, welche Bücher sie lesen
könne? Aysel suchte aus dem Grund nicht den Rat der Lehrerin auf, weil sie
sicher war, dass die Lehrerin ihr nur Literatur empfehlen würde, die allein für
die Frau bestimmt ist. Stricken, Nähen, Kochen, etc.
Aysel kämpft sich durch ihre Kindheit und ihre Schulzeit hindurch.
Sie entschied sich für einen Lebensweg, der für ein Mädchen ihres damaligen
Alters nicht sehr leicht war. Selbst als Frau und Dozentin war sie keine
gewöhnliche Frau und man bekommt sehr leicht diese Überdrüssigkeit des
gesellschaftlichen Lebens mit, unter der sie so sehr litt.
Wer mehr wissen möchte, so empfehle ich das Buch, selbst zu lesen.
Mein Fazit
Ich bekomme hierzulande immer wieder mit, wenn
Frauen aus anderen Kulturkreisen mit schweren Urteilen konfrontiert werden.
Oder wenn deutsche Politiker mit einem moralischen Zeigefinger diese Länder
politisch bereisen. Denke gerade an die jüngste Vergangenheit zwischen unserem
Bundespräsidenten Joachim Gauck mit dem türkischen Premier Erdogan. Erdogan
verachtet wegen der modernen Lebensansichten sogar seinen Landsmann Atatürk, wie kann Gauck als
Ausländer denn erwarten, er könne Erdogan von seinen Ideen moralisch überzeugen?
Mit einer VON-OBEN-HERAB-MENTALITÄT á la ICH WEIß WAS RICHTIG IST wird man im Ausland schwer etwas bewegen können.
Vorurteile gegenüber anderen Menschen ist für
mich die größte Sünde überhaupt. Zum Beispiel wenn wir eine Muslimin mit einem
Kopftuch sehen, dann wissen wir nichts von dieser Frau, außer, dass sie ein
Kopftuch trägt. Sie als rückständig abzukanzeln wäre für mich ein hartes
Urteil. Ich
fühle mich durch das Buch in meiner Denkweise bestätigt.
Selbst muslimische Frauen, die an ihren
Traditionen festhalten, haben Respekt verdient, da sie ihre Gründe für ihr
Verhalten haben, es sei denn, sie schaden einem anderen Menschen mit ihren Vorstellungen. Es ist gar nicht so einfach, aus einem System, das sich Familie nennt,
auszubrechen, da die Familie an einem anderen System, Gesellschaft und Politik, gekoppelt ist. Die Angst vor Ausgrenzung ist bei jedem sehr groß und nicht jeder hat diese Kraft, dagegen anzugehen.
Auch wir, Angehörige der westlichen Welt, tun größtenteils nichts
anderes, als uns den gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen anzupassen. So stellt sich mir die Frage, ob wir wirklich so frei sind, wie manche außereuropäische Länder von uns glauben möchten?
Auch bei uns ist fraglich, wie z.B. Demokratie gelebt wird.
Dadurch, dass bei uns der Staat strikt von der
Kirche getrennt ist (Laizismus), sind wir mit Problemen, wie sie oben geschildert werden, nicht in den Maßen konfrontiert, wobei viele Christen hierzulande christlich wählen gehen und
meinen damit die CDU.
______
Was heißt Sterben? Sterben erfordert zu wissen, dass man gelebt hat.
(A. Agaoglu)
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