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Montag, 25. Februar 2019

Han Kang / Deine kalten Hände (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Ein Roman über einsame, ernste und traurige Menschen

Leider hat mir das Buch nicht durchgehend gefallen, obwohl die Autorin schon gut schreiben kann, aber hier hat sie mich auf den letzten 150 Seiten nicht mehr überzeugen können. Ich habe mich schwergetan, da die Spannung und das Interesse, das mich anfangs gepackt hat, nicht zu halten war. Viel zu viel wurde über Gibpsabdrücke gesprochen, dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, was ich zu Beginn alles gelesen hatte.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorinnenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Handlung müsste schnell erzählt sein.

Eine Schriftstellerin bekommt ein Tagebuch eines Bildhauers namens Jang Unhyong zugetragen, mit der Bitte, es schriftstellerisch zu bearbeiten. Das Tagebuch besitzt den Titel Ihre kalten Hände.
Jang Unhyong fertigt von seinen Probandinnen verschiedene Abdrücke des menschlichen Körpers ab. Es ist nicht irgendein Körper. Je unästhetischer der Leib eines Menschen für Jang ist, desto mehr fühlt er sich von der Person angezogen. Obwohl sich die Schriftstellerin überhaupt nicht für Bildhauerei interessiert, bleiben ihre Blicke vor den Abdrücken hängen, als sie diese im Theater zum ersten Mal zu sehen bekommt.

Das Ziel seiner Arbeit ist, hinter die menschliche Fassade zu schauen. Was verbirgt sich symbolisch gesehen unter der Haut eines Menschen? Yang arbeitet an dem menschlichen Körper, als habe er eine Zwiebel vor sich. Wie eine Zwiebel häutet er den Körper Schicht für Schicht. 

Obwohl sich die Schriftstellerin erst verweigert hat, das Tagebuch zu bearbeiten, konnte sie schließlich doch nicht anders, als es sich zur Brust zu nehmen, vermehrt auch, da der Künstler zusammen mit einer anderen Person verschollen ist.

Das Buch ist sehr symbolträchtig, aber die Autorin verrät ganz viel, was diese Bilder bedeuten könnten. Aber es bleibt trotzdem noch viel Raum für eigene Interpretationen.

Welche Szene hat mir gar nicht gefallen?
Ich fand es ganz schrecklich, als der kleine Jang  beschuldigt wurde, das Geld seiner größeren Schwester gestohlen zu haben, da angeblich nur er hätte wissen können, wo die Schwester das Geld aufbewahrt habe. Jang wurde von dem Vater mit dem Gürtel solange ausgepeitscht, bis er zugegeben hatte, dass er das Geld entwendet habe …

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Mir hat gut gefallen, dass Jang L. ein wenig innere Heimat hat zukommen lassen, auch wenn der Ausgang mit ihr desaströse Züge bekam.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Keine

Welche Figur war mir antipathisch?
Mir hat E. überhaupt nicht gefallen. Sie schien mit elf Fingern geboren zu sein, und macht daraus ein großes Drama, da sie angibt, in ihrer Schulzeit von den Mitschüler*innen deswegen mit einem Spitznamen, der wie ein Stigma gewirkt haben muss, gemobbt worden zu sein.

Meine Identfikationsfigur
Keine

Cover und Buchtitel
Mir hat das Cover von Anfang an nicht gefallen. Aber da mich asiatische Schriftsteller*innen faszinieren, wollte ich das Buch trotzdem lesen  ... Der Buchtitel hält, was er verspricht.

Zum Schreibkonzept
Der Prolog war schon gewöhnungsbedürftig. Selten habe ich einen zu lesen bekommen, der sich über mehrere Kapitel hinzog. Insgesamt sind es hier elf. Anschließend geht es mit einem Vorwort weiter, bevor der erste Teil des Buches beginnt. Zusammengenommen umfasst das Buch auf den 313 Seiten drei Teile und endet mit einem mehrteiligen Epilog. Auf der allerletzten Seite ist ein Nachwort zu entnehmen. Ich fand das alles ein wenig zu geballt.  

Im Prolog spricht die Schriftstellerin in der Ichperspektive, im Vorwort gibt die Autorin das Wort an Jang weiter, der bis zum Ende des dritten Teils die Geschichte aus seiner Sicht wiedergibt.

Im ersten Teil geht es erst mal autobiografisch mit Jang Unhyong weiter. Jang gibt Einblicke in seine Herkunft und Kindheit. Hier wird deutlich, weshalb er den Beruf zu einem Bildhauer seiner Art ergriffen hat.

Im zweiten Teil ist Jang bereits erwachsen, und macht Bekanntschaft mit der jungen L., die über 90 Kilo wiegt. Die vielen Kilos hat L. sich schon in der Jugend angefressen gehabt, um sich vor ihrem Stiefvater zu schützen, der sie sexuell missbraucht hatte. In dem Körperabdruck von L. möchte Yang für sich einen Sarg daraus machen, in dem er sich bestatten lassen möchte, wenn für ihn eines Tages die letzte schlagen wird.

Im dritten Teil lernt Jang E. kennen, eine Frau, die mit elf Fingern geboren wird. E. ist auch eine Figur, zu der sich Yang hingezogen fühlt.

Den Schluss fand ich gut, denn hier wurden wieder alle Fäden zusammengeführt. Die Schriftstellerin kommt an dieser Stelle erneut zu Wort, sodass sich der Anfang mit dem Ende fügt.

Meine Meinung
Bis zum Ende des zweiten Teils fand ich das Buch psychologisch fundiert erzählt. Im dritten Teil flachte es zunehmend ab. Die Figur E. hat aus meiner Sicht nicht mehr reingepasst, sodass ich mich gefragt hatte, ob die Autorin sich die Zusammenhänge hier aus den Fingern gesaugt hat? Die Thematik plätscherte so vor sich hin. Außerdem haben mich die viel zu vielen Gespräche über die Gipsabdrückte vom Wesentlichen abgelenkt. Viele Details gingen mir verloren, die ich mir gedanklich in den ersten beiden Teilen erworben hatte.

Mein Fazit
Ein Roman über einsame Figuren, ein Roman, in dem der Künstler Jang sich mit seinen Probandinnen symbiotisch zu verbinden versucht. Die Ursache dazu ist in der Kindheit zu suchen.

Auch wenn ich dem Roman keine volle Punktzahl erteilen möchte, besitzt die Autorin auf jeden Fall großes Potenzial zu schreiben. Vielleicht hätte sie sich mit dieser Geschichte noch etwas Zeit lassen sollen, oder es wäre gut gewesen, wenn sie ihr Buch nach dem zweiten Teil mit einem runden Abschluss beendet hätte.

Deshalb nur acht von zwölf Punkten.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
0 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Acht von zwölf Punkten.

Weitere Information zu dem Buch
Hier geht es zur Leserunde von Whatchareadin.

Vielen herzlichen Dank für das Leseexemplar vom Aufbau-Verlag. Auch ein großes Dankeschön an das Bücherforum Whatchareadin.

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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 09
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
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Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 3. Februar 2019

Kent Haruf / Abendrot (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  
  
Seit dem letzten Sonntag bin ich mit dem Buch durch. Aus Zeitmangel habe ich meine Rezension noch nicht schreiben können. Ich musste mir durch den Stress eine kleine Auszeit nehmen. Aber ich hatte den ganzen letzten Sonntag gelesen, sodass ich es zeitig ausgelesen hatte ...

… denn es hat mich dermaßen fasziniert, hat mich gefangen genommen,  sodass ich unbedingt wissen wollte, welche Entwicklung diese Geschichte samt ihren Figuren bis zum Schluss eingeschlagen hat. Einige Persönlichkeiten sind mir durch die ersten beiden Bände vertraut gewesen, andere wiederum sind neu hinzugekommen.

In diesem Buchband werden mehrere Familien behandelt, die in ihrer Lebenswelt problematisch und konfliktbehaftet aufgefallen sind. Auch die innere und äußere Einsamkeit spielt hier bei vielen, bei Jung und Alt, eine große Rolle. Oftmals hat man hier den Eindruck, dass die Kinder seelisch stärker sind als die Erwachsenen, obwohl man ihnen die unbeschwerte Kindheit genommen hat. Die Auswirkung der verlorenen Kindheit bekommen sie aus meiner Sicht häufig erst später, wenn sie erwachsen sind, zu spüren.

Da wir dieses wunderbare Buch in der Leserunde auf Whatchareadin gelesen haben, werde ich mich hier kurzhalten.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Ich beginne mal mit der mir bekannten Personengruppe, mit der Wahlfamilie:

Victoria Roubideaux und die McPheron-Brüder
Das sind die auf der Farm lebenden McPheron-Brüder, Harold und Raymond. Victoria Roubideaux und ihr Kleinkind Katie lebten noch bei ihnen. Die beiden Brüder haben sich sehr liebevoll um Victoria und Katie gekümmert. Victoria musste allerdings mit ihrer Tochter die Zelte abbrechen, um in Fort Collins ihr Studium anzutreten. Durch ein schweres Unglück eines der Brüder kommt Victoria mit ihrer Tochter wieder zurück auf die Farm, um für den zurückgebliebenen Bruder zu sorgen. Dieser tragische Unfall hat auch uns Leser*innen schwer getroffen. (Um die Spannung nicht zu nehmen, halte ich mich bedeckt, welcher McPheron verunglückt ist). Die beiden Brüder lebten von der Gesellschaft zurückgezogen und hatten nur einander. Seit dem 14. Lebensjahr lebten sie elternlos auf dieser Farm. Die Mutter verstarb recht früh, der Vater ist unbekannt. Eine eigene Familie haben beide Brüder nie gegründet ... 

Zur Erinnerung
... Bis ein junges Mädchen namens Victoria, vermittelt durch eine Bezugsperson, bei ihnen auftaucht. Die Brüder nahmen das Mädchen bei sich auf und gaben ihr bei ihnen ein neues Zuhause. Da die junge Victoria, damals noch schulpflichtig, schwanger war, wurde sie von der eigenen Mutter verstoßen und von den fremden alten Männern aber aufgenommen … 

Die sozialschwache Familie Wallace
Betty und Luther Wallace leben mit ihren beiden Kindern Richie und Joy Rae in einem Wohnwagen und werden regelmäßig von der Sozialarbeiterin Rose Tyler betreut. Beide Eltern sind kognitiv eingeschränkt und besonders Luther wirkt sehr naiv. Da die Familie nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommen kann, bekommt sie vom Sozialamt Essensmarken ausgestellt. Die Eltern haben schon ein Kind an eine Pflegefamilie verloren. Das älteste Mädchen namens Donna wurde den Eltern aus der Familie genommen, da hier eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hat. Besonders die Mutter, die unter massiven psychosomatischen Beschwerden leidet, vermisst ihre Tochter schmerzlichst und sie versucht immer wieder, Kontakt zu ihr aufzunehmen, obwohl sie die Erlaubnis dazu nicht hat ...

Eines Tages taucht Bettys Onkel auf, ein Versager auf allen Ebenen, verliert einen Job nach dem anderen, hat keinen festen Wohnsitz und säuft Alkohol was das Zeug hält und nistet sich in dem schon beengten Wohnwagen ein, und lebt auf den Kosten dieser armen Familie. Der Onkel ist zudem gewalttätig und gefährdet die Existenz von Richie und Joy Rae …

Familie Kephart
Der elfjährige Dj lebt bei seinem Großvater Walter Kephart. Auch Dj verlor seine Mutter recht früh, sodass er seitdem bei dem Großvater lebt, was Dj zu schätzen weiß. Er übernimmt sämtliche Verantwortung für den kränklichen Großvater, der rau wirkt und niemals ein liebes Wort für den Jungen übrighat. Neben der Schule schmeißt Dj den Haushalt, kocht, putzt und geht anderen Nebenjobs nach. Auch hier erlebt das Kind keine unbeschwerte Kindheit.

Familie Wells
Die mittlerweile alleinerziehende Mary Wells wurde von ihrem Mann verlassen, der in den hohen Norden gezogen ist. Mary hofft, dass ihr Mann wieder zurückkommt. Sie leidet psychisch massiv unter dem Verlust ihres Mannes. Eine neue Beziehung mit einem anderen Mann zog sie noch weiter in die Tiefe, da auch diese zum Scheitern verurteilt war …  Die beiden Mädchen Dena und Emma sind dadurch häufig auf sich allein gestellt …

Dies sind für mich die wichtigsten Figuren, wobei andere, die ich nun nicht erwähnt habe, auch bedeutend sind, siehe Diskussion aus der Leserunde.
 
Cover und Buchtitel
Gefällt mir gut, das Cover sieht wie ein Gemälde aus. Auf dem Bild könnte die Ranch von den McPheron-Brüdern abgebildet sein. Über den Buchtitel muss ich noch ein wenig nachdenken.

Zum Schreibkonzept
Eine Widmung auf der ersten Seite und ein religiöser Dichtvers auf der folgenden, geschrieben von Henry F. Lyte, der mir sehr gut gefallen hat. Hier bittet jemand um den Beistand Gottes für die Hilflosen. Passt wunderbar zu dem Buch.
Das Buch ist auf den 416 Seiten in vier Teilen gegliedert. Die Anzahl der Kapitel sind fortlaufend, insgesamt 46. Auf der letzten Seite befindet sich eine Danksagung.

Meine Meinung
Wie die beiden anderen Bände fand ich auch den vorliegenden sehr authentisch und sehr empathisch geschrieben. Kent Haruf schafft es immer wieder, sich seelisch und mental in seine Figuren hineinzufühlen und für sie zu sprechen. Er verurteilt niemand, er beschreibt die Dinge und die Menschen so wie sie sind. Das hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn man hier den Eindruck gewinnen kann, dass es zu viele Verlierer*innen gibt, so muss ich sagen, Nein, das tut es nicht, es gibt bei vielen der Figuren positive Wandlungen, die so wohltuend sind, weil der Autor auch an das Gute im Menschen glauben lässt. Demnach ist es auch ein Buch über Freundschaft.

Mein Fazit
Ein Autor, den ich gerne bei mir auf meinem Blog stehen habe. Leider ist Kent Haruf nicht mehr am Leben. Neue Bücher kann er daher keine mehr schreiben. Insgesamt aber hat er sechs Bücher geschrieben, drei davon sind im Diogenes Verlag erschienen, und ich hoffe, dass der Verlag die anderen drei Bände auch noch vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzen wird. Dadurch, dass man schlecht aufhören kann zu lesen, hat dieses und die beiden anderen Bücher Lied der Weite und Unsere Seelen bei Nacht, absolutes Suchtpotenzial. 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Sehr gute Übersetzung
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten

Hier geht es zur Leserunde von Whatchareadin.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars und auch an Whatchareadin ein großes Dankeschön für das Auswählen dieses wunderbaren Buches.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 05
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Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Dienstag, 15. Januar 2019

Dörte Hansen / Mittagsstunde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Ein wunderschönes Buch, das mich nicht mehr losgelassen hat. Auch wenn ich anfangs etwas Mühe hatte, reinzukommen, habe ich es trotzdem von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Eine versierte, literarische Sprache, eine differenzierte Figurenbeschreibung, ein interessantes norddeutsches Familienporträt.

Dadurch, dass wir das Buch im Bücherforum besprechen, werde ich hier nur die wichtigsten Fakten beschreiben. Am Ende der Besprechung verlinke ich meine Seite mit der auf Whatchareadin. Ich habe dort ein paar schöne Zitate hinterlassen, und werde morgen Abend mich weiter an der Diskussion beteiligen. 

Hier geht es zum Klappentext, zur Vita der Autorin, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.


Die Handlung
Die Handlung spielt in Brinkebüll, eine kleine Ortschaft im Norden Deutschlands.
Auf den ersten Seiten lernt man Marret Feddersen kennen, eine merkwürdige Figur, die überall in der Ortschaft tagtäglich den Untergang preist. Doch die Apokalypse lässt bis dato noch auf sich warten ;-). Marret scheint intellektuell ein wenig retardiert zu sein, hört permanent Schlagerlieder, die nicht nur von einer heilen Liebeswelt singen … Marret stammt aus einer dreiköpfigen Familie. Der angebliche Vater, Sönke Kröger, hat noch vor Marrets Geburt in die Familie Feddersen hineingeheiratet. Sönke besitzt eine Gaststätte und ist noch als Landwirt tätig. Ella Feddersen, Marrets Mutter, ist eine sehr stille und stark introvertierte Figur, die Probleme innerhalb der Familie innerlich eher aushält, als dass sie sie anspricht. Als Sönke im Krieg war, musste sie ihren Mann auf dem Feld und in der Kneipe ersetzen. Als der Krieg vorbei war und Sönke nichts hat von sich hören lassen, rechnete Ella nicht mehr mit seiner Rückkehr …  Marret ist ein Nachkriegskind …

Eine weitere wichtige Figur ist Ingwer Feddersen, der uneheliche Sohn von Marret. die damals 17-jährige Marret wollte das Kind nicht, und so versuchte sie es durch verschiedene Selbstverletzungen abzutreiben …

Ingwer wurde trotzdem geboren und wuchs bei Sönke und Ella auf. Marret kümmerte sich nur wenig um ihr Kind.

Als Ingwer schulpflichtig wurde, entpuppte er sich zum Klassenbesten, sodass er nach der Grundschule das Gymnasium außerhalb von Brinkebüll besuchte. Sönke hatte eigentlich mit ihm andere Pläne. Er wollte, dass Ingwer beruflich in seine Fußstapfen tritt. Durch den weiteren Bildungsweg über Studium und Promotion entfremdeten sich Sönke und Ingwer immer mehr voneinander. Seinen Wohnsitz verlegte Ingwer nach Kiel, etwa 100 Kilometer von Brinkebüll entfernt, wo er an der Universität eine Dozentenstelle innehat ... Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Ingwer in einer Dreier-WG ... Eine feste Bindung hat er nicht, eine klassische Ehe als Institution lehnte er ab. Es ist für mich noch nicht ganz klar, ob die Mitglieder in dieser Dreier-WG, zusammengesetzt aus Ingwer, Claudius und Ragnhild, ihr sexuelles Liebespotential in ihrer Dreiecksbeziehung entfalten.

Als promovierter Landvermesser kehrt Ingwer beruflich nach vielen Jahren wieder nach Brinkebüll zurück und ist erstaunt, wie sehr sein Heimatdorf sich verändert hat. Es sind kaum noch Landwirte zu sehen. Viele haben Land und Hof verkauft … Brinkebüll wird modernisiert …

Sönke und Ella, 90 Jahre alt, sind mittlerweile alte Leute, die Unterstützung in der Pflege und im Haushalt benötigen ...

Welche Szene hat mir gar nicht gefallen?
Besonders abstoßend habe ich den eher selbstgerechten Dorfschullehrer namens Steensen erlebt, als er seine Schüler geschlagen hat, wenn sie nicht pariert haben. Vom Schulamt wurde durch die 1968er Bewegung die antiautoritäre Erziehung an den Schulen vorgeschrieben, an die sich Steensen bis zu seiner Pensionierung nicht halten wollte. Auch wenn er gerecht gewirkt hat, reicht mir das nicht ... 

Welche Szenen haben mir besonders gut gefallen? Drei Szenen
1) Gefallen hat mir, dass Marret von der Gesellschaft und von ihrer Familie wegen der unehelichen Schwangerschaft nicht verstoßen wurde. Marret selbst hatte allerdings keine Ahnung, wie das Kind aus ihrem Körper geboren werden soll. Früher sprach man nicht über die Sexualität, auch nicht über Verhütung und nicht über die Geburt eines Neugeborenen. Ella hatte auch nicht den Mut, Marret aufzuklären. Aus der Schulbibliothek lieh sie sich den Atlas über die Anatomie des menschlichen Körpers. Mit Hilfe dieses Atlas` half sie ihrer Tochter, die bevorstehende Geburt verständlich zu machen ... Wie Marret diese Informationen aufgefasst hat, ist dem Buch zu entnehmen. Bücher können viel, aber doch nicht alles ... 

2) Wahnsinnig angenehm fand ich, als Sönke den kleinen schreienden Säugling Ingwer, der erst kaum zu bändigen war, ihn als kleines Bündel auf seiner Männerbrust in seiner Jacke gewärmt hat und ihn so überall hin mitgetragen hat. Sönke wirkte vom Charakter her sehr spröde und trocken, dass ich ihm diese Form von Liebe niemals zugetraut hätte, wo doch die Hebamme den Tipp gegeben hatte, das Kind einfach schreien zu lassen.

3) Gefallen haben mir auch die Szenen, in denen Ingwer Sönke und Ella in Brinkebüll gepflegt hat, als er sich beruflich dafür für ein Jahr eine Auszeit nimmt, um sich um die alten Eltern/Großeltern zu kümmern. Ella entwickelte schleichend eine Demenz, während Sönke körperlich stark geschwächt und pflegebedürftig ist.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Ella Feddersen.

Welche Figur war mir antipathisch?
Ragnhild Dieffenbach, Dipl. Ingenieurin, die, als Ingwer als Endvierziger in eine Midlife-Crisis gerät, kommt sie ihm mit naiven psychologischen Theorien, in der er sich nicht verstanden gefühlt hat. Ich vermisste bei ihr die Empathie und Ingwer sicher auch.

Meine Identifikationsfigur
Ingwer Feddersen.

Cover und Buchtitel 
Vosicht Spoiler
Das Cover hat mir sehr gut gefallen. Und den Titel Mittagsstunde, was darunter gemeint ist, wird später auf verschiedenen Seiten deutlich. Vor der Modernisation von Brünkebüll wurde die Mittagsstunde als Ruhezeit zelebriert, und nach der Modernisation wurden diese Ruhezeiten aufgelöst, als sich mit ihr auch ganz Brinkebüll aufgelöst hat. Die Städter zogen aufs Land, um die Natur zu erleben, und die jungen Leute zogen vom Land in die Stadt, weil für sie der Beruf als Landwirt nicht mehr lukrativ genug war.

Zum Schreibkonzept
Die Zeiten, in denen die Handlung sich abspielt, sind nicht chronologisch aufgebaut. Sie pendelt zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Marret muss Ende der 1940er Jahre geboren worden sein, Ingwer kam Anfang bis Mitte der 1960er Jahre auf die Welt.

Meine Meinung
Wie ich anfangs schon geschrieben habe, hat mir das Buch sehr zugesagt. Die Lebensweise der Dorfbewohner*innen war so prägnant, dass mich das tief berührt hat. Die Autorin hat es geschafft, die Figuren so zu beschreiben, dass es für mich möglich wurde, in das Innenleben dieser Menschen zu schauen, das voller Abgründe ist. Auf mich wirkten all diese Menschen innerlich sehr einsam, nur jeder auf seine eigene Weise. Probleme wurden nicht angesprochen. Es war üblich, sie zu ertragen. Jede Figur wirkte auf mich wie eine einsame Insel. Daher auch ein sehr nachdenkenswertes Buch. Aber ob die Themen wirklich so spezifisch sind, dass man sie nur in Brinkebüll finden kann, das glaube ich eher nicht. Kürzlich hatte ich zwei italienische Autoren gelesen, auch darin ging es um italienische Dörfer, um Landflucht, um Modernisierung dieser Dörfer, und die Italiener waren dort ähnlich nach innen gekehrt wie die Menschen aus dem hohen Norden von Deutschland. Auch sie konnten nicht offen über ihre Probleme reden ... 

Mein Fazit
Eine faszinierte und sehr lesenswerte Familienbiografie mit ihren Besonderheiten an Lebensweisen in einer Dorfgemeinschaft.  

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Sehr gute Übersetzung
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten

Klare Leseempfehlung.

Weitere Information zu dem Buch
Vielen herzlichen Dank an den Penguin Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.

Ein herzliches Dankeschön auch an die Moderator*innen des Bücherforums Whatchareadin für das Engagement.

Hier geht es zu der Leserunde.

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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 03
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 31. Dezember 2018

Vera Buck / Das Buch der vergessenen Artisten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Was für ein tolles Buch. Ich habe es fast gefressen, weil es mich von der ersten bis zur letzten Seite so gezogen hat. Ich fand die Thematik total spannend und brisant. Ein Schmöker? Nein, für mich war es ein historischer Roman über Zirkusartist*innen im Nationalsozialismus, über die die Autorin wahnsinnig gut recherchiert hat.

Dadurch, dass das Buch im Bücherforum von Whatchareadin besprochen wird, werde ich mich hier kurzhalten. Hier auf meinem Blog möchte ich wirklich nicht zu viel verraten, auch, weil ich jeder Leser*in denselben Lesegenuss gönnen möchte, den ich auch hatte. Wem aber meine Besprechung zu oberflächlich ist, diese verweise ich auf die Buchdiskussion auf Whatchareadin.

Hier geht es zur Leserunde.

Hier geht es zum Klappentext, Autorinporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Zu Beginn der Geschichte bekommt man es mit der Kindheit von Mathis Bohnsack zu tun, der 1887 in Langweiler zur Welt gekommen ist. Er kommt aus einer Bauernfamilie, in der 13 Jungen geboren wurden, wovon Mathis der Jüngste unter ihnen ist. Er ist nicht nur das jüngste, sondern auch das schwächste Kind. Mathis erkrankte an der Kinderlähmung und lahmt dadurch mit einem Bein. Auf dem Feld ist er nicht zu gebrauchen und hilft stattdessen der Mutter im Haushalt. In dieser Familie geht es durch die vielen Männer recht rau zu … Unter den Geschwistern herrscht auch viel Neid, da die älteren Brüder auf dem Feld hart arbeiten müssen, während Mathis durch seine Behinderung eher geschont wird.

Eines Tages zieht für zwei Tage ein Zirkus in dieses langweilige Kaff ein, das den Namen Langweiler verdient hat. Mathis, mittlerweile 15 Jahre alt, verbringt dort während dieser Frist die meiste Zeit. Das zieht noch mehr Neid bei den Brüdern an, da sie während der gesamten Artistenzeit bis spät abends auf dem Feld arbeiten mussten. Aus Rache verhauen sie Mathis, während der Vater dabei zuschaut und auch er danach auf den Jungen einschlägt. Was für einen schwächlichen Sohn ich habe … Die Mutter, die immer auf Mathis` Seite steht, ist zu schwach, ihren Jungen gegen so vielen Männern im Haus zu verteidigen ...

Mathis erntet nicht nur bei den Brüdern immerzu Prügel, auch von seinen zwei besten Freunden wird er wegen eines Mädchens verhauen.

Mathis lässt die Prügel über sich ergehen. Ein Grund, nun seine Familie zu verlassen? Mathis fühlt sich zu dem Artisten Meister Bo und seiner Durchleuchtungsmaschine  hingezogen, als er darauf ein Skelett eines Menschen gesehen hat. Heute würde man zu dieser Maschine Röntgenapparat sagen.

Tatsächlich verlässt Mathis 1902 nach diesen Prügeln in der Nacht unauffällig das Elternhaus und lässt eine Nachricht für die Mutter zurück.

Meister Bo, dem diese Maschine gehört, nimmt den Jungen bei sich auf, da er einen Assistenten gut gebrauchen kann. Aber es war nicht leicht, ihn von Mathis Künsten zu überzeugen. Außerdem war Mathis noch minderjährig, aber der Junge hörte nicht auf, den Meister von sich zu überzeugen …

Mathis verliebt sich in die Maschine. Er spricht mit ihr, er pflegt sie immer aufs Neue, damit die gute alte Dame immer funktionsträchtig bleibt … Außerdem bestimmt diese Maschine seine Zukunft. Aber das konnte er damals noch nicht wissen ... 

Dass Röntgenstrahlen schädlich sind, das wusste man zu der damaligen Zeit noch nicht. Mathis verliert durch diese Maschine ein paar seiner Finger … Aber er kann es nicht lassen, die Beziehung zu dieser Maschine bleibt ungetrübt, obwohl er mittlerweile weiß, dass die Röntgenstrahlen schädlich sind. 

Meister Bo stirbt an einer gefährlichen Infektionskrankheit und so findet Mathis mit der Durchleuchtungsmaschine seines Meisters bei anderen Artist*innen einen neuen Platz.
Später, nach mehreren Jahren, lernt er eine Frau namens Meta Kirschbacher kennen. Meta sieht wie ein muskulöser Kerl aus. Sie stemmt Gewichte wie ein Mann und nimmt es auch mit den Boxern auf. Auf der Bühne gibt es keinen Mann, der sie besiegen kann und so macht sich Meta dadurch bei den Männern unbeliebt, die sie zu schwerwiegenden Folgen führen … Auch die Presse äußert sich zu Metas Kraftakt recht abfällig ... 

Im Jahr 1935 ist Hitler an der Macht, und so befinden sich die ganzen Artist*innen in Gefahr. Zirkusleute verschwinden einfach so, unauffällig, bis sie vermisst werden. Menschen, die anders sind, will Hitler aus der Gesellschaft schaffen … Kleinwüchsige, siamesische Zwillinge, geistig Behinderte, Homos, Transvestiten, ... damit sie sich nicht vermehren können, um zu verhindern, dass sie eines Tages die Gesellschaft in Überzahl bestimmen. Deshalb müssen sie eliminiert werden ...

Mathis will ein Buch schreiben. Das Buch der vergessenen Artisten, damit diese Artisten, die verschwunden sind, nicht vergessen werden. Er bezieht ganz klar Stellung gegen Hitler und sein Regime ...  

Ob er es zum Buch schafft, möchte ich nicht verraten.

Meta, die mittlerweile mit Mathis zusammen ist, hat einen geistig behinderten jüngeren Bruder. Er heißt Ernsti und ist total unangenehm, da er sich immer zwischen der Beziehung seiner Schwester und Mathis mischt, weil er eifersüchtig ist … aber Meta liebt ihren Bruder abgöttisch und verteidigt und schützt ihn vor jeder unangenehmen Situation. Man fragt sich, weshalb Meta die blinden Flecken ihres Bruders nicht sehen will, obwohl er ein absoluter Zerstörer ist? Ernsti zerreißt Mathis` Manuskript, zerreißt seine Kleider, nimmt alle Gegenstände auseinander, wenn ihm langweilig ist, weil sich seine Schwester angeblich nicht sorgfältig um ihn kümmert. Er fängt Katzen und erschlägt sie …  Er hat Tötungspotenzial und Meta weiß es nicht mal… Auf Ernsti hat es Hitler abgesehenen … Die, die noch nicht eingefangen wurden, begeben sich auf die Flucht, tauchen woanders unter, obwohl sie alle ihre Träume haben. Mathis träumt von seinem Buch, Meta träumt von einem freien Artistenleben in Amerika ... 

Meta und Mathis bekommen es immer wieder mit der Gestapo zu tun …

Cover und Buchtitel
Gefällt mir beides richtig gut. Die Frau auf dem Cover könnte Meta sein, aber sie sieht darauf viel zu weiblich aus. Im Buch hat sie eher ganz massive männliche Züge. Sie ist stark korpulent und muskulös. Denn auch auf diese Menschen setzt Hitler seinen Rotstift, da solche Frauen, die Männern körperlich überlegen sind, sind für Hitler eine Gefahr. Keine Frau der Welt darf den Mann dominieren. Hitler sieht in solchen autonomen Frauen eine potentielle Gefahr, die den Männern die Macht absprechen, weshalb er sie lieber an dem Herd haben möchte.

Welche Szene hat mir gar nicht gefallen?
Mich hat dieser Ernsti genervt und dass Meta ihm keine Grenzen aufzeigen konnte. Ja, er ist behindert, und hat durch den Tod seiner Eltern im Heim viel Schlimmes erlebt aber deswegen muss ich ihn nicht lieben. Er weiß schon sehr gut, mit welchem raffiniertem Muster er Menschen austricksen und ihnen schaden kann.

Welche Szene hat mir gefallen?
Es hat mir gefallen, dass es in dieser schweren Zeit wie dem Nationalsozialismus viele Menschen gegeben hat, die Zivilcourage bewiesen haben. Überall auf der Welt gibt es gute und weniger gute Menschen. Das Nazideutschland ist davon nicht ausgenommen. Und dies hat die Autorin gut aufzeigen können. Die Charaktere sind hier alle sehr differenziert. Nur in der Biografie von Hitler hat mir etwas gefehlt. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass im Stammbaum Hitlers es auch einen Juden gegeben haben soll. Einen jüdischen Großvater über mehrere Ecken. Davon hat die Autorin leider nichts geschrieben, denn das könnte seinen Wahn gegen Juden zusätzlich erklären. Hitlers Vater war schon sehr cholerisch. Welche Verhaltensmuster muss dann erst der Vater des Vaters gehabt haben und sie auf den Sohn übertragen hat? Wobei das nicht heißen muss, dass eine subotimale Kindheit alles entschuldigen kann ... 

Meine Identifikationsfigur
Keine

Zum Schreibkonzept
Auf den 750 Seiten bekommt man es mit zwei Parallelen zu tun. Die Geschichte beginnt mit einem Prolog, der ins Jahr 1935 führt. In dem Prolog lernt man schon das Paar Mathis und Meta kennen. Auf Meta hat es ein Bildhauer namens Thorak abgesehen, der von ihrem Körper gerne eine Steinstatue herstellen möchte. Sie wird von den Nazis als Mannsweib bezeichnet. Ist diesem Thorak zu trauen, der ein Hitlerliebender ist? Thorak, der sich von seiner jüdischen Frau hat scheiden lassen, um rein zu sein? Meta und Mathis sind kritisch und durchschauen die Politik auch, aber sie wissen nicht, wie sie ihn umgehen können, da sie von dem Bildhauer erpresst werden …

Das anschließende erste Kapitel beginnt in Langweiler in der Zeit von 1902. Das zweite Kapitel spielt in Berlin in der Zeit von 1935. Diese beiden Zeitepochen wechseln einander ab, was ich richtig spannend fand. Das Buch beinhaltet insgesamt 40 Kapitel. Danach endet es mit Die letzte Seite. Mit dem Ausgang auf dieser letzten Seite war ich nicht ganz so erfüllt, darauf werde ich mich im Forum noch stärker beziehen. Anschließend gibt es ein Nachwort und Dankesworte zu lesen. Auf den allerletzten Seiten werden alle Figuren historisch gelistet.

Meine Meinung
Die Autorin scheint über ihren Stoff ziemlich gut recherchiert zu haben. Sabine, meine Lesefreundin, hat sich die Mühe gemacht und hat gegoogelt und so konnte sie in Erfahrung bringen, dass es viele von den Figuren tatsächlich gegeben hat. Wie ich oben geschrieben habe, hat sich die Autorin im Abschlusskapitel selbst auch zu ihrer Entstehungsthematik und zu ihren Figuren geäußert.

Mein Fazit
Mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, wie sensationsgierig Leute sein können. Ich fand es sehr traurig, dass Menschen, die anders geartet sind, keinen Platz in der Gesellschaft finden, und sie gezwungen sind, ihr Anderssein in einem Zirkus zur Schau zu stellen. Ich kann für mich sagen, wie froh ich bin, noch nie einen Zirkus von innen betreten zu haben. Sonst immer nur wegen der Tiere, nun auch wegen der Menschen. Ja, und wie traurig, dass diese Menschen durch Hitler ihre Daseinsberechtigung abgesprochen bekommen haben.

Ein sehr lesenswerter historischer Roman zum Nationalsozialismus und zu den Zirkusartisten im Überlebungskampf mitten im Naziregime.

Meine Punkteverteilung:
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Literaturwissenschaftliches, gut recherchiertes Buch
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten. Klare Leseempfehlung

Vielen Dank an den Limes-Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars. 

Vielen Dank auch an Whatchareadin für diese tolle Leseempfehlung und für das Engagement mit dem Verlag. 

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Damals … lachten wir über Hitler.
Ein Verrückter, sagten wir, ein Hanswurst,
ein Idiot; von der Sorte haben wir viele.
(Vicki Baum, zitiert von Vera Buck)

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