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Donnerstag, 3. Dezember 2015

Carla Guelfenbein / Der Rest ist Schweigen (1)

Lesen mit Anne ...

Eine von zwei Buchbesprechungen

Das Buch gefällt mir recht gut, muss aber sagen, dass ich ein wenig gebraucht habe, um mich reinzufinden. Die IcherzählerInnen wechseln nach jedem Kapitel und man benötigt etwas Zeit, bis man weiß, welche Figur nun aus deren Perspektive spricht. Wenn man aber die Figuren so langsam kennengelernt hat, dann fällt der Wechsel von der einen Stimme in die nächste auch nicht mehr so schwer. Manchmal sind die Geschichten auch zeitversetzt. Das ist ebenso ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Die südamerikanische Schriftstellerin, die in England Biologie und Design studiert hat, kann wunderbar schreiben. Man findet einen super tollen kreativen Ausdruck vor, dazu noch sehr lebendig und sprachlich vielseitig. Gefällt mir gut. Damit mich am Ende nicht die vielen schönen Zitate erschlagen werden, schreibe ich jetzt ein paar Zeilen, auch damit sich mir die vielen Buchstaben von meinem geschriebenen Text nicht lösen und vor meinen Augen schwimmen. (Ja, ich sehe sehr schlecht, trotz neuer Sehhilfe, und meine Augen haben sich deutlich verschlechtert.)

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein. Wer ihn noch in Erinnerung hat, der kann den Klappentext gerne überspringen.
Das Wort trifft den kleinen Tommy wie ein Schlag, als er bei einem Familienfest unter dem Tisch hockt und lauscht: Selbstmord. Seine geliebte Mutter hat ihn freiwillig verlassen. Während der zarte Junge sich auf die Suche nach der verschwiegenen Wahrheit macht, ringen sein Vater, der arrivierte Chirurg, und dessen zweite Frau Alma ihrerseits mit all dem Unsagbaren, Ungesagten, an dem sie fast zu ersticken drohen. Wie Planeten mit einem heißen Kern aus Sehnsucht kreisen Tommy, Juan und Alma umeinander und bleiben sich auf ihren Umlaufbahnen doch fern. Erst als das Leben brutal dazwischenfährt, scheint so etwas wie Nähe wieder möglich - doch der Preis ist hoch.Clara Guelfenbein macht ihren Figuren ein Geschenk: sie lässt sie reden, von sich und denen, die sie lieben. In wechselnden Stimmen entfaltet sich so das Drama einer modernen Familie - bestürzend in seiner Unausweichlichkeit, aber auch voller Zärtlichkeit und Hoffnung.
Vielleicht bin ich mit den vielen unterschiedlichen Icherzählern so irritiert gewesen, weil ich nur mit Tommy gerechnet habe, der die Menschen beobachtet und über diese spricht, wobei der Klappentext seine Leserinnen darauf vorbereitet, dass auch andere aus Tommys Familie zu Worte kommen.

Tommy, der sich von seiner Mutter, die noch leben könnte, wäre sie nicht freiwillig aus dem Leben geschieden, verlassen fühlt, wird vielleicht für sein Leben geprägt sein. Obwohl er eine Stiefmutter hat, die ihn liebt wie ihr eigenes Kind, denkt Tommy immer wieder an seine leibliche Mutter. Den Grund des Suizids konnte er noch nicht in Erfahrung bringen.

Würdet ihr lieber leiden oder tot sein? fragt der kleine Tommy seine Stiefmutter Alma und deren Jugendfreund Leo, der bei ihnen auf Besuch ist. Als die beiden unisono mit Leiden geantwortet haben, dachte der Junge an seine Mutter, die sich für den Tod entschieden hatte.

Tommy rechnet aus, wie viele Formen es geben könnte, sich selbst in den Tod zu treiben.

Mit welchen ernsten Gedanken schon kleine Kinder beschäftigt sind. Das Schicksal, das sie dazu treibt.

Leo und Alma lesen sehr gerne, lieber als alles andere auf der Welt. Als Leo von Alma die Frage gestellt bekommt, weshalb das Lesen für ihn so wichtig sei, kommt folgende Antwort:
Wahrscheinlich weil ich beim Lesen in eine Welt hineingehen kann, die neben meiner herläuft. 
Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen.

Doch Leo liest nicht nur gerne, er schreibt auch recht viel. Alma ist sicher, dass er ein guter Schriftsteller abgeben würde.
Wieso bist du dir da so sicher? fragt Leo ein wenig ungläubig und gleichzeitig hoffnungsvoll.
Weil du gut lügst, war die Antwort.
Eine recht interessante Antwort, über die ich gestolpert bin, da für mich die belletristischen Bücher eine andere Form von Wahrheit in sich tragen. Eine Wahrheit, die zum Beispiel ins Unbewusste führt.

Nachtrag zu Tommys leiblicher Mutter
Habe noch vergessen zu erwähnen, dass auch der Leserin der Grund des Suizids noch verschlossen ist. Man erfährt lediglich, dass Tommys Mutter, namens Soledads, als eine zartbesaitete Persönlichkeit beschrieben wird. Sie hatte Kunstgeschichte studiert und durch die Krankheit ihres Sohnes gab sie ihre Karriere auf. Tommy wurde mit drei Jahren an einer schweren Herzerkrankung operiert und die Mutter verbrachte jede Minute mit ihrem Kind. Eine Wesensänderung nahm Tommys Vater, Juan, allmählich wahr.


Dienstag, 3. November 2015

Daniel Pennac / Wie ein Roman (1)

Lesen mit Anne


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wie schon gesagt, das Buch hat mich nicht besonders angesprochen  und werde auch nicht viel dazu schreiben. Und Anne hat es auch nicht gefallen. Sie hat das Buch nach siebzig Seiten abgebrochen.

Das Buch war mir ein wenig zu belehrend, zu wegweisend, vielleicht, weil ich selber aus der Pädagogik komme, und mir die Theorien nicht unbekannt sind. Mir war das Buch definitiv zu trocken. Habe nicht viel Neues erfahren …

Ich wusste nicht, zu welchem Genre das Buch einzustufen ist. Durch die hohen pädagogischen Anforderungen war es für mich erst als ein Erziehungsratgeber auf dem Gebiet der Literatur zu verstehen, und am Ende war es für mich auch ein Plädoyer vor allem für alle Deutschlehrer, Eltern, für Literaturwissenschaftler, aber auch für die Leser selbst.

Denn, das Recht Nummer drei, ein Buch nicht zu Ende zu lesen, hat mich als Leserin arg angesprochen, da ich mir bei einem Fehlgriff immer mit dem Abbrechen sehr schwertue und quäle mich oftmals bis zur letzten Seite. Anne hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Hätte ich auch, wäre das Buch sehr viel umfangreicher an Seiten ausgefallen.

Wie ist es für (junge) Menschen, die gar keine Bücher lesen? Wie verhält man sich dabei als Deutschlehrer? Als Eltern? …
Schon das Bildmotiv auf dem Cover hilft, diese Frage zu beantworten. Man sollte z.B.  einem (jungen) Menschen, der es nicht gewohnt ist, Bücher zu lesen, die Literatur nicht mit moralischen Maßstäben herantragen. Kein Buch aufstülpen, nichts aufzwingen. Am besten auch den gehobenen Zeigefinger schön unten lassen, :-) . Besser sei es, in ihm die Neugier zu wecken, sodass der ungeübte (junge) Leser selbst Lust auf´s Lesen bekommt … Daniel Pennac weiß, wovon er schreibt, er selbst ist Französischlehrer und er schlägt mehrere Methoden vor, sodass ich dazu auf das Buch verweisen möchte.

Mir hat außerdem folgendes Zitat gut gefallen:

Man bemüht sich gerade (an Grundschulen) eifrig um bessere Lesemethoden. Man erfindet Lesekästen und Karten. Man macht aus der Kinderstube eine Druckerei. (…) Es ist ein Jammer! Das sicherste Mittel, das man aber immer wieder vergisst, ist natürlich der Wunsch, lesen zu lernen. Erweckt diesen Wunsch im Kinde; lasst eure Kästen und Würfel sein, und jede Methode ist ihm Recht. Das unmittelbare Interesse ist die einzige Triebfeder, die sicher und weit führt. (…).
Noch ein grundsätzliches Wort möchte ich anfügen: gewöhnlich erreicht man sicher und rasch, was man nicht übereilt.

Pennac zitiert aus dem Buch Emil oder über die Erziehung, von Jacques Rousseau.

Jacques Rousseau habe ich selbst auch in meinem Studium gelesen. Wie schön, daran wieder erinnert zu werden.

Wie kommt es, dass manche Bücher uns mehr liegen als andere? Dazu gibt es ein schönes Zitat:

Der große Roman, der sich uns widersetzt, ist nicht unbedingt schwieriger als irgend ein anderer. Zwischen ihm, so groß er auch sein mag, und uns, durchaus fähig, ihn zu >>verstehen<<, wie wir meinen, findet eine bestimmte chemische Reaktion nicht statt.

Wie im richtigen Leben mit unseren Mitmenschen. Stimmt die Chemie, umso leichter lässt sich der Umgang miteinander gestalten. Aber manchmal, so meine Sicht, versteht man ein Buch tatsächlich nicht ...

Zu Annes Buchbesprechung


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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 63
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86







Montag, 5. Oktober 2015

J. R. Moehringer / Knapp am Herz vorbei (1)

Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun bin ich mit dem Buch durch, das sich als eine Biografie zu einem versierten Bankräuber namens Willie Sutton erwiesen hat, der tatsächlich existiert hat. Geboren ist Sutton im Jahre 1901 in Boston, Bundesstaat New-York. Eine sehr interessante Persönlichkeit, die ein wenig den Geist des Robin Hoods besitzt.

Diese Lektüre hat mich nicht mehr losgelassen. Habe jede Seite mit vollem Interesse verfolgt. Der Autor hat mich mit diesem Buch schlichtweg geschwängert an Gedanken, lol. Das sind so viele, die ich hier nicht alle festhalten kann. Ein tolles Buch zu Amerika und seiner Gesellschaft. Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten … Von wegen. So einfach ist das dann doch nicht. Das Land, das es nur mit den Wohlhabenden gut meint. Das angeblich freie Amerika produziert sowohl Gewinner als auch Verlierer, wobei die Gewinner die Wohlhabenden sind, die ihren Wohlstand  zu vermehren wissen. In der Zeit der Depression, dem Bankencrash, der Weltwirtschaftskrise. Amerika, das parallel dazu mehr als 14 Mio. Arbeitslose bis zum Ende der 1930er Jahre zählte.

Das Buch erinnert mich deutlich an den deutschen Autor Hans Fallada. Die Nöte der Menschen, die aus den unteren Gesellschaftsschichten stammen, haben es schwer, zu überleben.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
New York, Weihnachten 1969. Willie Sutton packt seine Bücher ein und räumt die Zelle. Endlich Freiheit. Nach siebzehn Jahren. Doch die Zeit hat ihre Bedeutung verloren. Mit einem Fotografen und einem Reporter fährt er durch das verschneite New York auf den Spuren seiner legendären Vergangenheit: Die Kindheit im irischen Viertel, der erste Raub, dann 200 Banküberfälle, ohne je einen einzigen Schuss abzufeuern - und immer wieder Bess, die ihm das Herz brach. Wie ein Puzzle setzt sich Seite für Seite Suttons Leben zusammen. Was dabei Wirklichkeit und was Erfindung war, werden wir nie erfahren. Aber was macht das schon. 
In der Welt gibt es keinen Platz für mittellose Menschen. Willie gehört dazu. Nachdem er die Schule beendet hatte, er ging nicht auf eine weiterführende Schule, obwohl er Klassenbester war, da sich die Familie diese nicht leisten konnte, versuchte er auf dem freien Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden.
Immer mal wieder kurze Arbeitsstellen, mit immer neuen Entlassungen, obwohl Willie fleißig war, doch die miese wirtschaftliche Lage konnten neuen Angestellten nur befristete Verträge anbieten.

Willie wälzt sämtliche Stellenangebote durch, doch alle verlangen beste Referenzen und Berufserfahrung. Selbst zum Tellerwäscher werden Kompetenzen und Referenzen eingefordert … Wie soll ein Schulabgänger      Berufserfahrung nachweisen können? Wie, wenn ein Berufsanfänger diese Chance nicht mal bekommt?

Für mich zählt Willie zu den Verlierern der Gesellschaft. Schon seine Kindheit verlief schräg. Seine erste Liebe mit Bess erweist sich auch als recht kompliziert, die genauso wenig Beständigkeit zeigt … Willie fühlt sich zu einer Prostituierten namens Wingy hingezogen, der eher in ihr eine Freundschaft sucht und kein Liebesleben ...

Den ersten Raubüberfall verursachte Willie durch Bess, die ihn dazu brachte, den Tresor ihres Vaters zu knacken …

Willie entwickelte sich zu einem Serientäter. Dadurch, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, erwarb er viel Sympathie unter dem Volk. Während seiner Einbrüche gab es keine Toten und auch keine Verletzten. Und mit dem erworbenen geraubten Geld bereicherte er auch andere bedürftige Menschen. Er lebte nach dem Motto, wenn die Reichen mir keine Arbeit geben können, dann muss ich mir holen, was andere zu viel haben.

Die Einbrüche machte Willie zu seiner Berufung … Er war damit nicht allein. Er hatte Komplizen. Doch Willie erwies sich als der Sanfteste von allen …

Er wusste, dass seine Einbrüche nicht rechtens waren, sie waren falsch, jawohl, das wusste er, aber es sei auch falsch, dass er Hunger hatte, und kein Geld, um sich Nahrung zu beschaffen.

Willie war nicht nur ein Räuber, nein, er war auch eine echte Leseratte. Er konnte ganze Stunden in Bibliotheken zubringen. Er war auch ein Fan von Marcel Proust. Er las alle seine Bände im Knast. Die Journalisten berichteten darüber in den Zeitungen, und so wurden die Buchläden von Lesern bestürmt, die, beeinflusst durch Willie, nun auch alle Proust lesen wollten ...
Als die Bücher im Knast knapp wurden, lernte er ganze Bücher auswendig, um sie für immer im Kopf zu behalten. Eine starke Leistung …

Mein Fazit?
Das Buch liest sich wie ein Krimi, nur ist es besser als ein Krimi. Viel authentischer, während Krimis oftmals szenisch zu künstlich dargestellt werden, weil die Aktionen eher erfunden sind. Moehringer ist durch seine journalistische Tätigkeit näher an kriminalistiche Fälle. Man merkt dem Autor seine Professionalität und seine Erfahrung an. Und er ist nicht irgendein Journalist. Nein, er ist aus meiner Sicht ein ganz besonderer, schreibbegabter und ein empathischer, menschlicher noch dazu, der den Menschen, die es schwer in der amerikanischen Gesellschaft haben, seine Stimme leiht.

Anne ist ebenso von dem Buch angetan. Wir werden uns am kommenden Freitag telefonisch austauschen ...

Annes Buchbesprechung

Geeignet ist das Buch nicht, so seid gewarnt, für VeganerInnen ...  Tieren gegenüber findet man recht heftige Szenarien, die mich schon regelrecht geschüttelt haben, aber Realität pur. Weltweit werden Tiere brutalst geschändet und jedes Land auf eine besondere Art und Weise. Auch die tierhafte Nahrung hat mich geschüttelt. 

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten …

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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 55
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 7. September 2015

David Gilmour / Unser allerbestes Jahr (1)

Unser allerbestes Jahr
Lesen mit Anne ... 

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mit dem Buch bin ich nun durch. Es war aus meiner Sicht nicht besonders toll, aber schlecht war es auch nicht. Ein zweites Mal würde ich es allerdings nicht lesen.

Eine interessante Perspektive eines Vaters, David Gilmour, der sich sehr für die pädagogische Erziehung seines Sorgenkindes engagiert.

Das Buch beginnt gleich mit einem passenden Zitat von dem französischen Dichter Michel de Montaigne
Das größte und folgenschwerste Problem des menschlichen Wissens liegt wohl dort, wo es um seine Anwendung auf die Erziehung der Kinder geht.
Das Buch ist als ein Erfahrungsbericht zu sehen. Keine Fiktion, sondern geschrieben nach einer wahren Begebenheit der Familie Gilmour. Im Hintergrund wirken noch andere nahe Bezugspersonen mit.

Recht mutig von dem Autor, so viel von sich und seinem Sohn Jesse preiszugeben. Im Nachwort ist allerdings zu entnehmen, dass Jesse u.a. mit der Publikation dieses Buches sich einverstanden gaben. Mutig auch von Jesse.

Jesse ist sechszehn Jahre alt und kommt in der Schule nicht mehr mit, verliert die Lust daran. Der Vater zwingt ihn nicht, weiter zur Schule zu gehen und macht ihm den Vorschlag, ihn von der Schule abzumelden, wenn er im Gegenzug sich bereit erklärt, drei Mal in der Woche mit ihm bestimmte Filme anzusehen. Die Filme werden alle von dem Vater ausgewählt, mit dem Ziel, seinen Sohn in der schweren pubertären Phase unterstützend zu begleiten. Die Filme dienen demnach alle als pädagogisches Medium.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Eltern sind auch nur Menschen. Und was macht man mit einem Sohn, der nicht mehr in die Schule gehen möchte? David, der Vater, schlägt Jesse einen ungewöhnlichen Handel vor: freie Kost und Logis, aber drei Filme pro Woche. Von Truffaut über Hitchcock bis hin zu ›Basic Instinct‹. Nachmittage und Abende gemeinsam auf dem Sofa. Kein Kurs in Filmgeschichte, sondern viel Zeit zum Reden über falsche Freundinnen, die richtigen Drogen, verlorene und gefundene Liebe. Und darüber, wie lebenswichtig Leidenschaft ist. Ein wahres und weises, zärtliches und urkomisches Buch über gebrochene Herzen im Film und im wirklichen Leben und darüber, dass Erwachsenwerden nichts mit dem Alter zu tun hat. 
Jesse hat jede Menge Probleme mit seinen Beziehungen, begleitet von starkem Liebeskummer, den er auch oft mit Drogen versucht zu kompensieren. In diesen schweren Zeiten ist sein Vater immer für ihn da, er fängt ihn auf, manchmal mit eigenen Worten, manchmal aber auch mit bestimmten Filmen, in denen Jesse die Möglichkeit hat, Parallelen zu seinem eigenen Leben zu finden.
>>Du weißt, was Lawrence Durrell gesagt hat, Jesse. Wenn du über eine Frau wegkommen möchtest, verwandle sie in Literatur.<<
Das fand ich ein sehr schönes Zitat.

Liebeskummer scheint wohl der stärkste seelische Schmerz eines jungen Menschen überhaupt zu sein. Zumindest glauben das viele. Jesses Vater versucht seinen Sohn davor zu schützen und merkt aber, dass er ihn nicht schützen kann, weil jeder junge Mensch durch diese Erfahrung selbst gehen muss. Jesse konfrontiert seinen Vater immer wieder mit der Frage, ob der Schmerz noch weiter zunehmen könne, oder ob er die Grenze schon erreicht habe?
Was ich ihm nicht sagte, war, dass es vermutlich noch schlimmer wurde, viel schlimmer sogar, bevor es besser wurde, bevor er im Schlaraffenland der Gegenwart landete, wo man aufwacht und denkt: Hmm, ich glaube, ich habe eine Blase an der Ferse. Lass mal sehen. Ja, tatsächlich! Was für ein paradiesischer Zustand! Wer hätte das gedacht?
Das fand ich auch ein schönes Zitat.

Jesse bezeichnete die Mädchen, die mit dem Partnerverlust besser umzugehen scheinen als er selbst, als die wahren Siegerinnen des Lebens. Die Reaktion des Vaters fand ich richtig gut:
>>Das Leben ist lang, Jesse. Du weißt nicht, wer diese Runde gewinnt.<< 
In dem Buch werden jede Menge Filme besprochen und ich muss sagen, dass mich dies ein wenig überfordert hat. Ich kenne nur wenige Filme, die in dem Buch vorgestellt und diskutiert werden, weshalb ich mich zu diesen Konversationen ausgeschlossen gefühlt habe.

Ausnahmen waren z. B. der Spielfilm mit Audrey Hepburn,  Frühstück bei Tiffany.  Es wurde die Szene behandelt, in der die Protagonistin mit dem Handtuch als Turban um den Kopf gewickelt mit ihrer Gitarre auf der Treppe sitzt, und ein melancholisches Lied spielt, als dann der gutaussehende Schriftsteller an seiner Schreibmaschine sitzend von der Musik  abgelenkt wird und mit dem Schreiben aufhört, ans Fenster läuft, das Rollo hochzieht, das Fenster öffnet, und er die junge Frau anlächelt. Dieser Song gefällt mir recht gut, habe ich sogar bei mir auf dem PC gespeichert. Auch das Buch besitze ich.

Hitchcocks Vögel kenne ich auch. In meiner Jugend war dies mein Lieblingsfilm. Das war's aber dann auch schon mit den im Buch mir bekannten Filmen.

Mit den Büchern hatte ich mehr Glück. Ich kannte sie alle, über die gesprochen wurde. Marcel Proust, Virginia Woolf, etc., allerdings waren die Buchgespräche eher zweitrangig.

David Gilmour, gut situiert, befindet sich jedoch selber in einer Krise, da er arbeitslos ist und auf neue berufliche Herausforderungen wartet. Er möchte seinem Sohn unbedingt ein Vorbild sein und weiß in seiner eigenen Lebenskrise nicht, ob es ihm gelingt. Auch er, die fünfzig Lebensjahre überschritten, wirkt ein wenig unbeholfen und wacklig auf den Beinen. Auch auf der Suche nach einer neuen Wohnung kommt David mit den Schwierigkeiten nicht zurecht und wirkt selbst ein wenig pubertär. Der Mensch hat eben solange er lebt niemals ausgelernt. 
Ich wartete auf einen Job, das stimmt, aber ich wartete nicht auf das Leben. Das Leben war da, gleich neben mir auf dem Sofa. Ich wusste, schon als es passierte, wie schön es war-, obwohl ich natürlich auch gleichzeitig wusste, dass uns am Ende der Straße die Ziellinie erwartete.
Er diskutiert auch mit Jesse ein wenig die Frage, wann das Leben eines Menschen anfangen würde? Für den einen erst mit fünfzig, für einen anderen früher, Jesse dagegen war recht klug und sagt, das Leben beginne für ihn von der Geburt an.


Mein Fazit?

Eine gute Idee von dem Autor, ein Buch über sein Erziehungskonzept und dessen Methode und Umsetzung zu schreiben, ich mir aber immer sagte, dass er auch Glück hatte, dass sein Sohn sich bereit erklärt hat, den Handel mit seinem Vater einzugehen und ihn auch einzuhalten. Er hätte weiterhin die Schule boykottieren, und die Filme verweigern können. Das tat der Junge aber nicht.

Andererseits fand ich es sehr löblich, dass David Gilmour seinem Sohn keinen Druck machte, und ihn nicht in die Schule gepeitscht hat. Für den Vater war dieser Schritt allerdings auch ein Wagnis, da er nicht voraussehen konnte, wie sich der Sohn mit Hilfe seines Vaters weiterentwickeln würde. Aber das weiß man in der Kindeserziehung nie ...

Und ich werde mich hüten, darüber zu berichten.

Zu Annes Buchbesprechung

@ Anne

Deine Buchbesprechung hat mir recht gut gefallen, Anne. Ich dachte mir schon, dass du mit den Filmen aus dem Buch mehr anfangen konntest als ich, da ich einen völlig anderen Filmgeschmack habe ... Z.B. diesen Al Caponefilm, den ich nur vom Hörensagen kenne, würde ich mir nie und nimmer anschauen. Ich suche keine Action in Filmen, sondern eher Lebensweisheiten. 

Annes Reaktion, siehe Kommentare ... 

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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 48
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Montag, 6. Juli 2015

Tracy Chevalier / Zwei bemerkenswerte Frauen (1)

Lesen mit Anne ...


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die Autorin ist Jahrgang 1962 und trotzdem schreibt sie dieses Buch, das sich aus meiner Sicht wie ein Klassiker liest. Mich erinnert der Roman stark an Jane Austen. Ihre Themen und der Stil lassen sich wunderbar mit Jane Austen vergleichen ...
Keine Seite war langweilig oder sentimental. Nein, jede Buchseite habe ich mit großem Interesse verfolgt.

Als ich die Hälfte des Buches erreicht hatte, fragte ich mich, welche von den beiden bemerkenswerten Frauen mir näher standen? Das war eindeutig die junge Mary Anning, doch am Ende gewann auch Elizabeth Philpot meine Sympathie zurück  ...

Der Schluss ist vielversprechend …

Dem Anhang konnte entnommen werden, dass der Roman ein autobiografischer ist. Mary Anning hat es wohl tatsächlich gegeben …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

England, 1830: Elizabeth Philpot, eine junge Frau aus besseren Kreisen, deren Familienerbe nicht zu einem standesgemäßen Leben in London reicht, wird von ihrem Bruder in den kleinen südenglischen Küstenort Lyme Regis abgeschoben. Was ihr zunächst wie eine Verbannung vorkommt, erweist sich als glückliche Fügung, denn am Strand nehmen seltsame Steine sie völlig gefangen: Fossilien. Und hier in Lyme Regis begegnet sie Mary, einem Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, das die Familie mit dem Verkauf von Fossilien über Wasser hält und dabei spektakuläre Funde macht. Die beiden so unterschiedlichen Frauen widmen ihr Leben den rätselhaften Versteinerungen. Doch dann verlieben sich beide in denselben Mann.

Es existieren zwei Erzählperspektiven im Wechsel zwischen Mary und Elizabeth. Diese Form von Schreibstil liebe ich, weil man durch die unterschiedlichen Existenzen an unterschiedlichen Gedankengängen teilhaben darf.

Die junge Mary ist um viele Jahre jünger als Elizabeth. Doch nicht nur das Alter trennte diese beiden Frauen, sondern auch der Standesunterschied. Mary gehört der Arbeiterklasse an und Elizabeth zählt zwar nicht zu den Reichen, aber doch zu der gehobenen Klasse. Mich nervte es manchmal, wie sehr Elizabeth der kleinen Mary deutlich zu spüren gibt, dass sie ein armes mittelloses Arbeiterkind sei und sie auch bei der Partnerwahl dies nicht vergessen solle, als sich beide in denselben Mann verliebt hatten ... Doch eine Leidenschaft hatten sie gemeinsam: Beide Frauen waren Fossilienjägerinnen, wobei Mary darin die Erfahrenere und Wissende war:

Schon bald nach unserer Ankunft im Morley Cottage erkor ich Fossilien zu meiner neuen Leidenschaft. Irgendein Zeitvertreib brauchte ich schließlich: ich war fünfundzwanzig, würde wahrscheinlich niemals heiraten und suchte nach einer Liebhaberei, die meine Tage ausfüllen konnte. Das Leben einer Dame kann unendlich öde und langweilig sein.

Frauen waren zu der damaligen Zeit ab einem bestimmten Alter dazu verdammt, partnerlos zu bleiben. Eine Frau wurde erst dann als Frau angesehen, wenn sie verheiratet war und unter der Obhut ihres Mannes stand. Wenn jemand mit spätestens fünfundzwanzig Jahren noch nicht den Bund der Ehe eingegangen ist, galt sie als alt und blieb dann schließlich meist bis zu ihrem Lebensende ehelos.

Elizabeth stammt aus einer siebenköpfigen Familie. Verheiratet waren nur die Schwester Francis und der Bruder John, der nach dem Ableben der Eltern das Regiment seiner Schwestern übernahm … Und somit war Elizabeth nach dem Umzug von London nach Lyme mit ihrem neuen Hobby gut beschäftigt, auch wenn sie manchmal unter der Langeweile klagte, von der vermögende Damen hauptsächlich betroffen waren …

Elizabeth verzweifelt allerdings nicht an ihrer Partnerlosigkeit. Sie ist in der Lage, auch das Positive darin zu sehen, denn sie hat mehr Zeit zur Verfügung, von der verheiratete Frauen nur träumen können.

Marys Mutter Molly hegte anfangs Vorurteile gegenüber den drei Philpot-Schwestern, besonders weil sie nicht verheiratet waren. Sie sah es nicht gern, dass ihre Tochter Mary die Zeit mit Elizabeth verbrachte:

Aus der Sicht Elizabeths:

Ich wusste, dass Molly Anning nicht viel von mir hielt, denn ich verkörperte alles, was Mary nicht werden sollte: unverheiratet und von Fossilien besessen. Ich konnte Mollys Sorgen nachvollziehen.
Auch meine Mutter hätte mir ein anderes Leben gewünscht, und sogar ich selbst hatte vor ein paar Jahren noch andere Träume. Doch jetzt lebte ich eben, wie ich lebte, und es war gar nicht so schlecht. In mancherlei Hinsicht hatte ich mehr Freiheiten als verheiratete Frauen.

Mary hatte es schwer, in den Kreisen der Wissenschaftler aufgenommen zu werden. Ohne den Funden versteinerter Lebewesen wären die Wissenschaftler allerdings aufgeschmissen. Und Mary hatte es mit genügend Wissenschaftlern zu tun:

Aus Elizabeths Sicht:

William Buckland wusste Marys Talent zwar ehrlich zu schätzen, lebte aber so sehr in seiner eigenen Welt, dass er sie nicht als Frau wahrnahm. Wie sehr einen dies verletzen kann, hatte ich selbst kurz erfahren dürfen.

Interessant fand ich, dass mich Tracy Chevaliers Schreibstil an Jane Austen erinnerte, wie ich anfangs schon geschrieben habe. Tatsächlich wird die Autorin Jane Austen hier im Kontext auch noch erwähnt und zeigt doch, dass ich einen guten Riecher hatte. Elizabeth mochte die Autorin partout nicht, während ihre jüngste Schwester Margaret regelrecht für Austen schwärmte, da sie eine leidenschaftliche Belletristikleserin war, während Elizabeth ein Faible für Fachliteratur hegte: 

Während sich die Philpot-Schwestern über Marys Liebeskummer beratschlagten, Molly Anning hatte sie um Hilfe gebeten, da Mary vor Liebeskummer sich grämte, so war es Margaret, die das meiste Mitgefühl für Mary aufbringen konnte und nach einer außergewöhnlichen Idee verlangte, die bei den Schwestern auf Ablehnung stieß:

Wir warteten auf Margaret, um uns gemeinsam zu beraten. Als unsere Schwester abends heimkam, setzten wir uns ans Feuer und sprachen über Molly Annings Brief. Margaret war in ihrem Element. Dies war eine Situation wie aus einem der Romane, die sie so gerne las, zum Beispiel aus der Feder von Miss Jane Austen, die Margaret damals, bei unserem ersten Besuch in Lyme, im Ballsaal gesehen zu haben glaubte. In einem der Bücher von Miss Austen kam sogar Lyme vor, aber ich las keine Romane und wollte mich dazu auch nicht überreden lassen. Das wahre Leben war viel komplizierter, denn dort löste sich nicht alles in Wohlgefallen auf, weil die Heldin den richtigen Mann fand. Wir Philpot-Schwestern waren das beste Beispiel dafür, wie unerfreulich es in der Wirklichkeit ausgehen konnte. Ich brauchte keine Romane, um mich daran zu erinnern, was mir entgangen war.

 Eigentlich habe ich Jane Austen nicht so in Erinnerung, die Love-Storys mit einem schnulzigen Happy End schreibt, sie setzte sich eher gesellschaftskritisch mit der Stellung der Frau aus dem neunzehnten Jahrhundert auseinander. Nun, vielleicht liegt es an Elizabeth, die keine Ahnung von Austens Bücher hat …


 Nachdem es zwischen Mary und Elizabeth wegen einer Liebschaft und Eifersüchteleien zwischen den Frauen gekracht hat, trennten sich die Wege der beiden und Elizabeth nahm in sich durch die Trennung dieser Freundin eine gewisse innere Einsamkeit wahr. Elizabeth fühlte sich in der Gesellschaft nicht wohl, fühlt sich von ihren Mitmenschen als unverheiratete Frau nicht ausreichend beachtet:

Ich merkte, dass ich sowohl von Frauen als auch von Männern angestarrt wurde-ich war eine Außenseiterin. Plötzlich fühlte ich mich allein und schutzlos, die Luft um mich herum wirkte kalt, still und leer. Mir war, als irrte ich durch die Straßen, und ich befürchtete, im nächsten Moment gegen etwas zu prallen. Ich ging an einem Mann vorbei, der mich mit dunkel funkelnden Augen ansah, dann an einem anderen, der mir mit übertriebener Freundlichkeit einen guten Tag wünschte, bis er mein unattraktives, längst nicht mehr junges Gesicht sah und schnell weiterging.

Wie oberflächlich Menschen nur sein können, die andere Menschen nur nach dem äußeren Schein beurteilen. Viele Frauen haben innere Qualitäten …

Mary selbst wünscht sich auch ein Leben mit einem Mann und hat nicht die Absicht, sich auf Dauer mit toten Objekten zu befassen. Sie hoffte, dadurch aus der Armut ausbrechen zu können … Plötzlich tritt ein Mann namens Colonel Birch in ihr Leben, der mit Mary flirtet, sich aber mehr für die Fossilien zu interessieren scheint. Elizabeth versucht Mary den Mann auszureden, bis es erneut zu Wortkeilereien zwischen den beiden Frauen kommt. Aus Marys Sicht: 

Bei den Gefühlen überwogen Wut und Trauer, und zusammen ergaben die beiden Eifersucht. Genau, jetzt begriff ich es richtig, Elizabeth Philpot war eifersüchtig, weil ich so viel Aufmerksamkeit von Colonel Birch bekam. Wie konnte sie nur? Sie hatte nie ihre Möbel verkaufen oder verbrennen müssen, um ein Dach über den Kopf und es warm zu haben. Sie hatte mehrere Tische und nicht nur einen einzigen. Sie ging nicht bei jedem Wetter und Gesundheitszustand hinaus, um stundenlang und bis ihr der Kopf brummte, Fossilien zu suchen. Sie hatte keine Frostbeulen an Händen und Füßen, keine eingerissenen Fingerkuppen, die vom Lehm, der sich darin eingegraben hatte, grau waren. Und Nachbarn, die hinter ihrem Rücken über sie redeten, hatte sie auch nicht. Sie hätte Mitleid mit mir haben sollen, stattdessen beneidete sie mich.

Ich habe es Mary tatsächlich gegönnt, Colonel Birch für sich zu gewinnen. Das wäre es doch mal gewesen, dass sich ein Mann zu einer Frau bekennt, ohne die gesellschaftlichen Konventionen zu beachten. Wie viele Neider sich den Mund wund geredet hätten, das wäre nur zu köstlich.


Elizabeth war so eifersüchtig, dass sie sogar den Colonel warnte, und sie ihn auf den Standesunterschied aufmerksam machte. Das war auch der Grund, weshalb Elizabeth sich bei mir unbeliebt gemacht hat. Mary gab es ihr noch einmal ordentlich in verbaler Form, gebrauchte Schimpfwörter wie alte Jungfer und altes Fossil, als Elizabeth sie daran erinnerte, sie habe nach einer Gesteinslawine Marys Leben gerettet:

Aus Marys Sicht:
Der Wind nahm noch einmal Kraft auf und schwoll zum Orkan an. Ich brüllte so laut und wütend, dass Miss Elizabeth zurückwich. >>Ja, Sie haben mir das Leben gerettet! Und ich werde mein Leben lang die Last spüren, Ihnen dankbar sein zu müssen. Was ich auch mache, ich werde Ihnen immer unterlegen sein. Und wenn ich noch so viele Riesenbestien finde und Geld verdiene, niemals werde ich Ihre gesellschaftliche Stellung haben. Warum können Sie mir denn nicht wenigstens Colonel Birch lassen? Bitte?<< 
Auch Mary fühlt sich einsam, ihr ist bewusst, wie schwer es ist, in gewisse gesellschaftliche Kreise reinzukommen. 
Nie würde mich irgendjemand Miss Mary nennen, ich würde einfach immer nur Mary Anning sein. Und trotzdem war ich auch nicht wie die anderen Menschen aus der Arbeiterklasse. Ich steckte irgendwo dazwischen, und so wird es immer bleiben. Das machte mich zwar frei, aber auch einsam. 
Wie die Geschichte nun ausgehen wird, und was sich noch alles ereignet hat, möchte ich nicht weiter verraten.

Der Roman erhält von mir zehn von zehn Punkten …

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Nur Tote bleiben für immer siebzehn.
(Haruki Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 36
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86










  

Montag, 8. Juni 2015

Malala Yousafzai / Ich bin Malala (1)

Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch ist recht eindrucksvoll und inhaltsreich geschrieben. Auch steckt es voller Weisheit:

Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern.

Es gibt wohl zwei verschiedene Buchausgaben. Einmal die Jugendbuchausgabe und einmal die Ausgabe für Erwachsene aus dem Droemer Verlag. Diese beiden unterschiedlichen Bände waren mir mit meinem oberflächlichen Blick erst gar nicht aufgefallen, bis ich auf Annes Buch gestoßen bin, das im Fischerverlag als KJB (Kinder- und Jugendbuch) erschienen ist. Mich wunderte erst, weshalb Anne so viel früher mit dem Lesen fertig war als ich, sodass ich, neugierig wie ich war, beide Inhaltsverzeichnisse miteinander vergleichen musste und ich dadurch festgestellt habe, dass meine Ausgabe über einige Seiten mehr verfügte und in der Jugendbuchausgabe einige Kapitel fehlten. Und sehr wahrscheinlich war der Schreibstil in der Jugendbuchausgabe noch kindgerecht angepasst. Im Nachhinein leuchtet mir das ein, denn viele Begebenheiten, die in meinem Buch beschrieben worden sind, sind alles andere als jungendtauglich. Ich empfehle diesen Band erst ab sechzehn Jahren, wobei man es dem Buch anmerkt, dass Malala nicht alleine an dem Buch gearbeitet hat. Sicher waren noch mehrere Erwachsene am Werk.

Viele Szenen stimmten mich recht nachdenklich, einige erwiesen sich mir als starker Tobak, tatsächlich nicht für Kinder geeignet. Andererseits erleben Kinder in vielen Ländern Kriege, und niemand fragt, ob Kriege jugendtauglich sind.

Beim Frühstück legte ich meinen Brüdern nahe, fortan von Frieden zu sprechen statt vom Krieg. Wie immer hörten sie nicht auf mich und spielten weiter Krieg. Khushal hatte einen Spielzeughubschrauber und Atal eine Pistole aus Pappe, der eine rief >>Feuer!<< Und der andere >>Stellung beziehen!<<

Ich konnte nicht über die Seiten rasen. Ich konnte nur langsam lesen und langsam verdauen.

Viele Zettelchen liegen wieder zwischen den Seiten
 und ich leider nicht alle bearbeiten kann. Das gäbe ein zweites Buch J.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

Das Mädchen, das die Taliban erschießen wollten, weil es für das Recht auf Bildung kämpft,
am 9. Oktober 2012 wird die junge Pakistanerin Malala Yousafzai auf ihrem Schulweg überfallen und niedergeschossen. Die Fünfzehnjährige hatte sich den Taliban widersetzt, die Mädchen verbieten, zur Schule zu gehen. Wie durch ein Wunder kommt Malala mit dem Leben davon. Als im Herbst 2013 ihr Buch "Ich bin Malala" erscheint, ist die Resonanz enorm: Weltweit wird über ihr Schicksal berichtet. Im Juli 2013 hält sie eine beeindruckende Rede vor den Vereinten Nationen. Barack Obama empfängt sie im Weißen Haus, und im Dezember erhält sie den Sacharow-Preis für geistige Freiheit, verliehen vom Europäischen Parlament. Malala Yousafzai lebt heute mit ihrer Familie in England, wo sie wieder zur Schule geht. 

Erstaunlich, wie wichtig für Malala die Schule ist. Sehr reif für ihr Alter. Während man ihr von den Taliban in Pakistan den Schulbesuch verweigerte, wurde sie von ihren Brüdern beneidet, die auch lieber zu Hause bleiben würden. Vielen SchülerInnen ist gar nicht bewusst, wie gut sie es haben, noch dazu kostenlos die Schule besuchen zu dürfen ...

Auch mir war es in dem Alter nicht bewusst, eher selbstverständlich, 
da bei uns die Schulpflicht zählt.

Vieles, was die junge Autorin schreibt, kennt man ja schon aus der Presse. Aber lesen und es selbst erfahren sind weltweite Unterschiede. Außerdem differenziert die Presse oftmals nicht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Menschen, die in solchen repressiven Ländern aufwachsen und dort leben, Achtung verdient haben. Die einen riskieren ihr Leben, wenn sie sich gegen das gesellschaftliche und politische System auflehnen, andere passen sich an, weil sie nicht den Mut und die Kraft haben, sich gegen das System aufzulehnen und dann gibt es wiederum andere, die für das System stimmen und sie Mitmenschen, die es nicht tun, brutalst aus der Gemeinschaft verstoßen. Die Letztgenannten verdienen natürlich keine Achtung, sondern eine hohe Gefängnisstrafe, deren mörderische Taten oftmals straflos begangen werden.

Wenn Mädchen verschwanden, dann nicht immer, weil sie verheiratet worden waren. Zum Beispiel die hübsche fünfzehnjährige Seema. Alle wussten, dass sie in einen Lehrer verliebt war. Manchmal kam er vorbei, und sie sah ihn unter ihren langen dunklen Wimpern hervor an, um die alle Mädchen sie beneideten. In unserer Gesellschaft bringt ein Mädchen, das mit einem Mann flirtet, Schande über die Familie. Aber für Männer ist es in Ordnung! Später sagte man uns, Seema habe sich umgebracht. Wir fanden heraus, dass ihre eigene Familie sie vergiftet hatte.

Nach diesem Zitat stellte sich mir die Frage; wie kann das möglich sein, das eigene Kind zu töten, und dass nur, weil die gesellschaftlichen Normen wichtiger sind? Das ist absurd, kann man kaum glauben, aber es ist Realität pur. Es geht hier um das Wohl des Kindes, das unter Schutz gestellt werden sollte …

Die Taliban, die den Koran so auslegen, wie es ihnen passt, schätze ich auch eher so ein, dass sie Frauen verachten, weil sie um ihre Macht fürchten.
Pakistan wird als ein schönes, naturreiches und gesellschaftlich als ein friedliebendes Land beschrieben, wären da nicht die Terroristen, die ihren Ursprung in Afghanistan haben, die mit fundamentalistischer Gewalt Menschen anderer Lebensweisen zu bekehren versuchen. Sie behandeln Frauen, als wäre es schon ein Verbrechen, als Frau geboren zu werden. Sie bedenken nicht, dass  sie ohne die Frauen gar nicht auf der Welt wären ...

Die Taliban sind gegen Bildung, weil sie glauben, ein Kind, das Bücher liest oder Englisch lernt oder sich mit Naturwissenschaften auseinandersetzt, würde verwestlicht werden. Ich hielt dagegen: >>Bildung ist Bildung. Wir sollten alles lernen und dann selbst entscheiden, welchen Weg wir einschlagen wollen.<< Bildung ist weder islamisch noch westlich, Bildung ist menschlich.

Malala und ihre Schulkameradinnen, die tagtäglich auf ihrem Schulweg befürchten mussten, von den Taliban ermordet zu werden, zeigt, wie früh sich diese Kinder mit Zerstörung und mörderischer Gewalt auseinandersetzen mussten. Wie menschliche Ängste sich weltweit relativieren lassen, zeigt nachfolgendes Zitat:

Die geheime Schule ist unser stiller Protest. (…) Wären wir erwischt worden, wären wir ausgepeitscht oder sogar abgeschlachtet worden wie unsere Schulkameradin Shabana. Manche Menschen haben Angst vor Gespenstern, andere vor Spinnen oder Schlangen - wir hatten in jenen Tagen Angst vor unseren Mitmenschen.

Kinder, die in Kriegsländern aufwachsen, nehmen die Kriege in ihren Spielen auf, um den Krieg verarbeiten zu können. Sie werden mit Leichen konfrontiert, mit öffentlicher Hinrichtung, u.v.m.. Diese Bilder prägen den Alltag auch kleiner Menschen:

Eines Tages sah ich meinen kleinen Bruder Atal wie wild in unserem Garten graben.
>>Was tust du da?<<, fragte ich ihn.
>>Ich schaufle ein Grab<<, antwortete er.
Unsere Zeitungen waren voll von Mord und Totschlag, und es war nur natürlich, dass Atal Särge und Gräber im Kopf hatte. Die Kinder spielten nicht mehr Verstecken oder >>Räuber und Gendarm<<, sondern >>Armee gegen Taliban<<. Aus den Zweigen der Bäume bauten sie ihre Raketen, und Stöcke waren ihre Kalaschnikows. Das waren ihre Terrorspiele.

In der westlichen Welt werden viele Kinder vor Gefahren in Übermaß geschützt, während Kindern, die gewalterfahren sind, regelrecht der Schutz fehlt.

Über diese grauenvollen Taten möchte ich mich allerdings nicht weiter auslassen, diese darf sich ruhig jeder selbst mit dem Lesen des Buches aneignen. Und dass Malala Opfer eines terroristischen Anschlags über die Taliban wurde, das ist weltweit bekannt und muss hier nicht nochmal darüber geschrieben werden. Außerdem wird der Anschlag schon im Klappentext erwähnt.

Malala war eine mutige Jugendliche. Sie war schon mit neun Jahren mit viel Wissen und Weisheit ausgestattet. Viele Erwachsene tragen nicht mal zur Hälfte dieses Wissen, das dieses Kind besitzt. Dank ihres Vaters, der seine Erstgeborene wertschätzend empfangen und erzogen hatte, und in seinem kleinen Mädchen schon von Geburt an einen wunderbaren Menschen sah, den er förderte …
Anders die Mutter. Sie freute sich nicht, als sie das Mädchen geboren hatte. Sie wünschte sich einen Sohn. Die zweite Geburt wurde schließlich ein Junge und die Mutter beabsichtigte, für ihren Sohn eine schöne Wiege bauen zu lassen, doch der Vater war dagegen, da für Malala auch keine schöne Wiege gebaut wurde ...
Um Missverständnissen entgegenzutreten: Malalas Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, war auch mit ihrer Kraft ein herausragender Mensch und sie vieles in der Gesellschaft zu bewegen wusste. Sie liebte ihre Tochter, auch wenn Malala erst ein Junge hätte werden sollen.

Als Malala geboren wurde, gab es kein  Fest, auch, weil die notwendigen
 Mittel dafür nicht aufgebracht werden konnten:

In unserer Tradition wird am siebten Lebenstag eines Kindes in der Familie ein Fest namens Woma gefeiert, (…) zu dem Verwandte, Freunde und Nachbarn das Neugeborene bewundern kommen. Meine Eltern hatten für mich keine solche Feier abgehalten, weil sie sich die Ziege und den Reis zur Verköstigung der Gäste nicht leisten konnten, und mein Großvater wollte nichts beisteuern, weil ich kein Junge war. Als meine Brüder dann auf die Welt kamen und mein Großvater die Feier bezahlen wollte, wies mein Vater ihn zurück, weil er es für mich nicht getan hatte.

Malalas Vater war auch ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Indem er Schulen gründete, sorgte er noch dafür, dass jedes Kind, arm oder reich, Mädchen oder Junge, zur Schule kommen konnte. Leider wurden viele Mädchenschulen in Pakistan von den Terroristen in die Luft gesprengt. Dass Malala den Anschlag überlebt hat, grenzt an ein großes Wunder. Viele Mädchen erlagen den Anschlägen ...

Und nun noch etwas zur Literatur:

Da mich immer neugierig macht, was AutorInnenen für Erfahrungen mit den Büchern anderer AutorInnen machen, gebe ich zum Schluss ein Leseerlebnis Malalas zu Paulo Coelho wieder. Malala zitiert aus Coelhos Buch Der Alchimist:

>>Wenn du etwas ganz fest willst, 
dann wird das Universum darauf hinwirken, dass du es erreichen kannst<<.

Dazu Malala:

Ich glaube, Paulo Coelho ist noch nie
 einem Taliban oder einem unserer unfähigen Politiker begegnet.


Meine Fazits

Auch wenn Anne und ich zwei unterschiedliche Ausgaben hatten, konnten wir uns telefonisch wunderbar austauschen. Es ist nun für mich gut zu wissen, dass es auch eine Jugendbuchausgabe gibt, die man einem jungen Menschen bei Gelegenheit schenken kann, ohne befürchten zu müssen, ihn damit seelisch zu überfordern ...

Spätestens nach diesem Buch müsste jedem klar geworden sein, dass nicht jeder Mensch aus dem islamischen Glauben ein Terrorist und nicht jeder traditionell oder rückständig ist. Es gibt viele verschiedene Gründe, weshalb sich eine muslimische Frau für das Tragen eines Kopftuchs entschieden hat. Viele sogar, um sich in der Männerwelt zu emanzipieren …

Da das Buch 2014 den Friedensnobelpreis erhalten hat, spare ich mir eine Punkteverteilung.

Zum Abschluss fallen mir zu Malalas Buch der Liedermacher Herbert Grönemeyer ein: Kinder an die Macht und das Jugendbuch von Erich Kästner Die Konferenz der Tiere.


Miras und Annes Sub-Liste

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Lange muss der Rohdiamant geschliffen werden, ehe aus ihm ein winziger Brillant wird.
(Malala Yousafzai)

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Montag, 4. Mai 2015

Robin Sloan / Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra (1)


Lesen mit Anne ...

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Aus meiner Sicht ist dies das schlechteste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Man wird sich diesmal mit dem Klappentext begnügen müssen, den ich erneut reingeben werde:
Als Clay Jannon seinen Job als Webdesigner verliert, meldet er sich auf eine Stellenanzeige hin bei Mr. Penumbra, der in San Francisco eine alte, verstaubte Buchhandlung betreibt, die rund um die Uhr geöffnet ist. Clay übernimmt die Nachtschicht, und bald ist ihm klar, dass hier irgendetwas nicht stimmt: Die Kunden kaufen nichts, sondern leihen die Bücher nur aus, drei Stockwerke hohe Regale beherbergen riesige Folianten, die keine Texte beinhalten, sondern nur ellenlange Reihen aus Buchstaben. Nach und nach findet Clay heraus, dass Mr. Penumbra und seine Kunden einem uralten Geheimnis auf der Spur sind. Mit der Unterstützung seiner Freundin Kat und seines ältesten Kumpels Neel, sowie der Weisheit von Mr. Penumbra, macht sich Clay daran, dieses Geheimnis zu lüften. Ein Geheimnis, das bis in die Anfangszeiten des Buchdrucks zurückreicht-
Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra ist ein spannendes literarisches Rätsel und ein inspirierendes und philosophisches Buch voller einzigartiger Charaktere und visionärer Ideen.
Die letzten drei Zeilen des Klappentextes kann ich partout nicht bestätigen. Die ersten hundertfünfzig Seiten fand ich ansprechend, der Schreibstil gut gewählt, auch nicht zu trocken, eher fantasievoll. Doch danach ging es bei mir nur noch bergab. Habe mich wirklich von Seite zu Seite gequält, bis ich gar nicht mehr mitbekommen habe, was in der Story vor sich ging. Ich habe sie einfach nicht verstanden. Viel zu PC-lastig, besonders was Google, Twitter, Kindle und Co betrifft.

Ich gebe erneut das Autorenporträt rein, um nochmals zu erinnern, aus welcher Branche der Autor kommt, denn diese hat sicherlich Einfluss auf das hiesige Buch:
Robin Sloan wurde 1979 in der Nähe von Detroit geboren und hat an der Michigan State University Wirtschaftswissenschaften studiert. Er hat für Twitter und verschiedene andere Onlineplattformen gearbeitet ...
Auch mit den Figuren konnte ich nicht warm werden ...

Das habe ich selten erlebt, dass meine Neugier und das Interesse zu dem möglichen Ausgang der Geschichte im Keime so erstickt wird, dass ich keine Lust mehr hatte zu erfahren, wie das Buch ausgehen wird. In den letzten zehn Seiten habe ich kapituliert.

Es geht um eine, wie schon der Titel sagt, sonderbare Buchhandlung, die auf mysteriöse Art und Weise geführt wird. Es sind verschiedene verschlüsselte Codes, die über den Computer via Google, Twitter ... dechiffriert werden müssen, damit der Buchladen weiter als Buchladen existieren kann ...

Heute Abend telefoniere ich mit Anne. Mal schauen, welche Leseerfahrung sie mit dem Buch gemacht hat.

Ich habe nun einige Bücher über Bücher gelesen, und die meisten sind, einfach mal salopp gesagt, nur grottenschlecht. Bin wirklich enttäuscht. Ein schlechter Mix zwischen Vision und Wirklichkeit ... Sehr künstlich, wenig authentisch ...

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten ...

Telefonat mit Anne: 
Sehr abweichend war Annes Leseerfahrung von meiner nicht sonderlich. Sie war nur geduldiger als ich, indem sie den Ablauf bis zum Ende mitverfolgen konnte.

Und hier geht es mit Mausklick zu Annes Buchbesprechung
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Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

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Dienstag, 14. April 2015

J. R. Moehringer / Tender Bar (1)

Lesen mit Anne …

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich am Samstagabend ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Zwischendrin gab es mal eine kleine Durststrecke, aber ansonsten war das Buch recht interessant und fantasievoll geschrieben.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:

Eine Bar ist vielleicht nicht der beste Ort für ein Kind, aber bei Weitem nicht der schlechteste. Vor allem das »Dickens« nicht, mit seinen warmherzigen und skurrilen Figuren: Smelly, der Koch, Bob der Cop mit seiner dunklen Vergangenheit oder Cager, der Vietnam-Veteran. Für den kleinen JR, der alleine mit seiner Mutter wohnt, sie alle sind bessere Väter, als seiner es jemals war. JR wird erwachsen, und erfüllt sich seinen Traum: Er geht nach Yale. Die Bar wird JR sein Leben lang begleiten. Dort hört er zum ersten Mal Sinatra, sieht Baseballspiele im Fernsehen, und trinkt sein erstes Bier. Und bekommt all das, was er braucht: Mut, Zuversicht und die Gewissheit, dass es nicht immer nur die Guten oder die Bösen gibt, dass Bücher Berge versetzen können und dass man an gebrochenem Herzen nicht stirbt. Ein abwechselnd herzzerreißender und urkomischer Roman über tapfere Kinder, mitfühlende Männer und starke Mütter. Und darüber, dass Träume auch wahr werden können - wenn man für sie kämpft.
Wenn man bedenkt, wie viel Armut es in Amerika gibt und wie wenig sie in den deutschen Medien dargestellt wird, wenn das Land stattdessen hauptsächlich von der glänzendsten Seite gezeigt wird, dann ist es gut, dass es amerikanische AutorInnen gibt, die über ihr Leben dort berichten, das alles andere als glorreich ist.
J. R. Moehringer, Jahrgang 1964, schreibt in seinem Erstlingswerk über sein Leben in Amerika. Aufgewachsen ist er auf    Long Island, eine Insel, die zum Bundesstaat New Yorks gehört, befindet sich demnach auf der Landkarte ganz oben östlich, angrenzend zu Kanada.
Ich habe nämlich oft den Eindruck, je höher man geht, desto kühler wirken die Menschen.

Und auch hier erlebe ich manche AmerikanerInnern vielfach kühl, stark leistungsorientiert und recht aggressiv. Auch der Rassismus kommt hier wieder zum Tragen, wenn auch oberflächlich betrachtet nur geringfügig … Ich belasse es bei diesen Schlagwörtern, sollte ich nicht dazu kommen, diese näher aufzuführen. Jeder aufmerksame Leser dieses Buches wird selbst dahinter kommen, in welchen Zusammenhängen diese gemeint sind ...

Viele Zettelchen kleben wieder zwischen den Seiten, sodass ich schauen muss, welche ich für meinen Blog verwenden werde.

Schon auf den ersten Seiten bin ich über einen Begriff wie z.B. Identitätsdiebstahl gestolpert. Und in der Tat, der Autor befindet sich über viele, viele Jahre auf Identitätssuche, wie sich dies auch auf seine Initialen J. R. schließen lässt, die keine wirklichen Initialen sind. Eigentlich soll der wahre Name John Joseph Moehringer verborgen bleiben. Der Name des Vaters.
Die Suche nach der Identität erweist sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch …

Moehringer kennt seinen Vater kaum, der von der Mutter getrennt lebt, und der sich weigert, Unterhalt für sie und das Kind zu zahlen. Als die Mutter versucht hat, den Unterhalt gerichtlich einzuklagen, drohte der Mann, sein eigenes Kind zu kidnappen … Doch auch ihr Leben wird oft von ihm bedroht …

J. R. fehlte der Einfluss von Männern, da er hauptsächlich von Frauen umgeben ist. Um männliche Vorbilder zu finden, begibt er sich schon im Kindesalter in eine Bar, benannt nach dem Romancier Charles Dickens, in der auch sein Onkel Charlie als Stammkunde verkehrt. 
Eine Lektion, eine Geste, eine Geschichte, eine Philosophie, eine Haltung - ich nahm von jedem Mann in Steves Bar etwas mit. Ich war ein Meister im Identitätsdiebstahl, was damals noch ein harmloses Vergehen war. Ich wurde sarkastisch wie Cager, melodramatisch wie Onkel Charlie, ein Grobian wie Joey D. Ich wollte solide sein wie Bob the Cop, cool wie Colt, und meine Wut rechtfertigte ich, indem ich mir einredete, sie sei auch nicht schlimmer als der selbstgerechte Zorn von Smelly. Irgendwann wandte ich alles, was sich im Dickens gelernt hatte, bei Leuten an, die mir außerhalb der Bar begegneten - bei Freunden, Geliebten, Eltern, Vorgesetzten und sogar Fremden.  
Moehringers Vater ist beim Radio tätig. Sehnsuchtsvoll lauscht der kleine Sohn der väterlichen Stimme aus dem Radiosender.
Mein Vater war ein vielseitig begabter Mann, doch sein wahres Genie lag im Verschwinden. Ohne Vorwarnung änderte er seine Schichten oder wechselte die Sender. Ich konterte, indem ich ein Kofferradio mit hinaus auf die Vortreppen nahm, wo der Empfang besser war. Mit dem Radio auf dem Schoß wackelte ich an der Antenne, drehte langsam den Senderknopf und kam mir verloren vor, bis ich wieder die Stimme fand. 
Traurig, wie sehr sich ein kleiner Junge nach seinem Vater sehnt. Ganz unabhängig davon, wie zerstritten die Eltern untereinander sind.

Die Armut in dieser Familie, die Familie seiner Mutter, ist recht groß, dass die Mutter und deren Geschwister, Ruth und Charlie, es finanziell nicht schafften, von den eigenen Eltern unabhängig zu leben. Immer wieder, besonders die Schwestern, zogen sie zu ihnen zurück, weil das Geld für die Miete nicht ausreichte. Charlie, Single, wagte es erst gar nicht, auszuziehen:
In Opas Haus hat jeder mindestens ein Laster - Trinken, Rauchen, Spielen, Lügen, Fluchen, Faulsein. Mein Laster war die Stimme.
Doch der Großvater hatte auch Humor. Als der Hund voller Flöhe war, und die Kinder den Großvater darüber in Kenntnis setzten, erwiderte er, dass sie das nicht weitersagen sollten, denn sonst wollten andere auch alle einen Floh haben. Darüber musste ich sehr schmunzeln.

Das Haus des Großvaters war recht ärmlich ausgestattet, aber nicht, weil der Patriarch kein Geld besaß, es instand zu setzen, nein, weil er ein alter Geizkragen sei, und dies nicht nur auf materieller Ebene bezogen:
Opa gebe keine Liebe weiter, sagte meine Mutter, als hätte er Angst, sie könnte eines Tages knapp werden. Als sie, Tante Ruth und Onkel Charlie aufwuchsen, hatte er sie alle drei ignoriert und ihnen nie Aufmerksamkeit oder Liebe geschenkt. Sie beschrieb einen Familienausflug am Strand, als sie fünf war. Als sie sah, wie lieb der Vater ihrer Cousine Charlene mit seinen Kindern spielte, bat meine Mutter, Opa im Wasser, sie auf seine Schultern zu setzen. Das machte er auch, trug sie dann aber über die Wellen hinaus, und als sie weit draußen waren und meine Mutter kaum noch den Strand sehen konnte, bekam sie Angst und flehte ihn an, er möge sie absetzen. Da warf er sie ins Wasser. Sie ging unter, landete auf dem Grund, schluckte Salzwasser. Sie kämpfte sich wieder an die Oberfläche, schnaubte nach Luft und sah Opa lachen. Du wolltest doch abgesetzt werden, sagte er zu ihr, ohne ihre Tränen zu beachten. Als meine Mutter alleine aus der Brandung schwankte, hatte sie eine frühreife Eingebung: Ihr Vater war kein guter Mensch. 
Moehringers Mutter war begabt, durfte vom Elternhaus her aber keine höhere Schule besuchen. Ihr Sohn J. R. zeigt Mitleid mit ihr, sodass der Kleine eine hohe Verantwortung auf sich lädt, denn er sieht recht früh, was in der Familie so alles falsch läuft. Die Erwartungen der Mutter, er solle in der Schule sein Bestes geben, damit er später Jura studieren, und gegen den Vater klagen könne, nimmt er auf sich. Ob später was daraus wird, wird sich zeigen. Doch das genügte ihm nicht, denn auch die Großmutter impft ihm ein, er solle gut auf die Mutter achtgeben und für sie sorgen. Hier findet ein Rollentausch statt, indem ein Kind mit der Verantwortung eines Erwachsenen ausgestattet wird. Eigentlich sollte es andersherum sein:
Bei meinem Schwarzweißbild von der Welt reicht es nicht, wenn ich mein Bestes gab. Ich musste perfekt sein. Um für meine Mutter zu sorgen und sie ans College zu schicken, mußte ich sämtliche Fehler eliminieren. Durch Fehler war unsere Zwangslage überhaupt erst entstanden - Oma hatte Opa geheiratet, Opa hatte meiner Mutter das Studium verweigert, meine Mutter hatte meinen Vater geheiratet- und wir mussten weiter für sie zahlen. Ich musste diese Fehler korrigieren, indem ich neue vermied, perfekte Noten erzielte, dann ein perfektes College besuchte, danach Jura studieren und am Ende meinen unperfekten Vater verklagen konnte. Aber wie sollte ich perfekt sein, wenn die Schule immer schwerer wurde, und wenn ich nicht perfekt war, wären Mutter und Oma enttäuscht von mir und ich wäre nicht besser als mein Vater, und dann würde meine Mutter wieder singen und weinen und auf ihren Taschenrechner einhacken, um die Finanzen zu überprüfen - solche Gedanken schwirrten mir auf dem Spielplatz durch den Kopf, wenn ich anderen Kinder beim  Tetherball Spielen zuschaut. 
Demnach wurde Moehringer Junior schon ganz früh im Leben mit belastenden Themen konfrontiert, mit denen er sich herumschlug. Er wuchs mit vielen Problemen heran, oftmals zermürbten ihn die Sorgen seiner Mutter. Doch seine Mutter, ganz anders als die Großmutter, eine recht starke Persönlichkeit, versuchte ihm die Sorgen zu nehmen: 
Ich mache mir keine Sorgen über etwas, das nicht passiert. 
Moehringer zelebriert diesen Gedanken wie ein Mantra seine gesamte Kindheit hindurch.

Nun existieren aber auch andere Personen außerhalb der Familie. Moehringer fühlt sich gezwungen, sich mit vierzehn Jahren einen Job zu suchen, um der Mutter finanziell ein wenig unter die Arme zu greifen. Da er Bücher liebt, suchte er einen Aushilfsjob in einer schlecht laufenden Buchhandlung. Er lernte zwei Brüder kennen, die für den Laden verantwortlich waren. Aber das waren eher komische Vögel, doch für Moehringer eine große pädagogische Hilfe:
Bill und Bud schienen sich vor Menschen zu fürchten, vor allen Menschen, außer ihnen selbst, und das war mit ein Grund, weshalb sie sich im Lagerraum versteckten. Der andere Grund war ihr permanentes Lesen. Sie lasen pausenlos. Sie hatten alles gelesen, was jemals geschrieben worden war, und sie waren versessen darauf, alles zu lesen, was jeden Monat neu herauskam, und zu diesem Zweck mussten sie sich von der Welt abschotten wie Mönche im Mittelalter. Obwohl beide Mitte dreißig waren, wohnten sie noch bei ihren Müttern, hatten nie geheiratet und strebten offenbar auch nicht an, auszuziehen oder zu heiraten. Abgesehen vom Lesen hatten sie kein Bedürfnis und außerhalb des Ladens keine Interessen, wobei ihr Interesse an mir von Tag zu Tag wuchs. Die Frage nach meiner Mutter, meinem Vater, Onkel Charlie und den Männern; meine Beziehung zum Dickens faszinierte sie. Sie wollten wissen, warum Steve der Bar einen literarischen Namen gegeben hatte, und daraus entwickelte sich ein Gespräch über Bücher allgemein. Bill und Bud kamen schnell dahinter, dass ich Bücher liebte, aber nicht sehr viel über sie wusste. Mittels einer Reihe rascher, bohrender Fragen fanden sie heraus, dass ich nur das Dschungelbuch und die Minutenbiografien gut kannte. Sie waren entsetzt und wütend auf meine Lehrer.  
Bill und Bud erwiesen sich ein wenig wie Pseudolehrer im Bereich der Literatur. Sie gaben dem Jungen viele Tipps zur Jugendliteratur, wie z.B. Bücher von Jack London, von Mark Twain etc. …Moehringer kannte nicht viele AutorInnen, obwohl er im Haus seines Großvaters, im Kellerraum, viele Bücher entdeckte, die er wie geheime Schätze behandelte, doch darunter fand er zu wenige Bücher, die jugendtauglich waren.

Bücher würden sogar helfen, das innere Chaos eines Menschen wieder in Ordnung zu bringen. Psychische Stabilität, die Moehringer fehlte, und bezeichnete sich selbst als einen Neurotiker …

Moehringer schafft den Übergang von der höheren Schule auf die Universität. Bill und Bud empfehlen ihm die Universität in Yale. Eine recht anspruchsvolle Bildungseinrichtung und Moehringer sich nicht sicher ist, ob er dafür gut vorbereitet ist. Er bewirbt sich auf Anraten dieser Brüder trotzdem. Folgende Szene zwischen der Mutter und dem Sohn hat mich tief berührt, auch wenn die Handlung ein wenig trivial klingt:
Meine Mutter gab mir ein Geschenk, das sie im Souvenirladen gekauft hatte, einen Brieföffner mit den Yale-Insignien."Damit kannst du deinen Zulassungsbrief öffnen", sagte sie. 
Es zeigt, wie wichtig es der Mutter ist, den Sohn auf der Yale-Universität zu sehen. Ein Wunsch auf ein Studium, das ihr selbst nicht gegönnt war.

Perfektionismus? Leistungsstreben? Schon am Anfang dieses Textes wies ich darauf hin. Moehringer bewarb sich nach seinem erfolgreichen Studium als Volontär bei der Zeitung New York Times. In einem seiner Artikel beging er einen kleinen Schreibfehler, der allerdings übertrieben große Auswirkungen hatte. Er schrieb Kelly statt Kelley. Für dieses Missverständnis war nicht nur Moehringer verantwortlich, aber er alleine musste die Konsequenzen tragen, die in ihm eine ziemlich niedergedrückte Stimmung auslösten. In der Dickensbar sprach er über sein Leid und fand ein wenig Trost bei einem seiner Kumpane. Sein Fehler wäre nur minimal, den man leicht ausradieren könne. Probleme anderer Art dagegen, da helfe kein Radiergummi ... Doch nicht nur in der Zeitung werden perfektionistisches Denken und Handeln erwartet. Auch in seiner Familie, bei seiner Tante Ruth, die diese Haltung in übertriebener Form auf den eigenen Sohn überträgt, wird man damit konfrontiert.

Dazu hat der Autor ein wunderschönes Zitat aufgeführt, der von dem großen Dramaturg William Shakespeare stammt und das ich unbedingt hier festhalten möchte:
Durch Fehler, sagt man, sind die besten Menschen Gebildet, werden meist umso viel besser, Weil sie vorher ein wenig schlimm.
Selbst in der Liebe hatte der junge Moehringer nicht besonders viel Glück und gebraucht auch hier eine schöne Metapher. Er bezeichnet die Liebe als etwas ganz Zerbrechliches, vergleicht sie mit Schnittblumen, indem die Liebe schneller als diese sterben würde. Ein schöner Vergleich, so finde ich.

Am Schluss dieser Autobiografie kommt Moehringer, was die Suche nach seiner männlichen Identität betrifft, zu einer weisen Erkenntnis, die ich mit einem Zitat belegen werde, das diese Buchbesprechung zunächst auch abschließen wird:
Während ich nach vorn gebeugt auf dem zweihundertjährigen Sofa saß und in die grünbraunen Augen meiner Mutter sah, wurde mir klar, dass sie alle Eigenschaften verkörperte, die ich mit Männlichkeit verband: Härte, Ausdauer, Entschlossenheit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit, Mut. Vage war ich mir dessen immer bewusst gewesen, doch als ich jetzt zum ersten Mal einen Blick auf die Kriegerin erhaschte, die sich hinter ihrer Ausdrucksmine verbarg, begriff ich es vollständig und konnte es zum ersten Mal in Worte fassen. So lange hatte ich gesucht und mir gewünscht hinter das Geheimnis zu kommen, wie man ein guter Mann wird, dabei hätte ich nur dem Beispiel einer einzigen überaus guten Frau folgen müssen. 
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Telefonischer Austausch mit Anne:

Auch Anne war von dem Buch recht angetan, wenn auch nach dem zweiten Anlauf, wobei ich mich anfangs auch schwer getan hatte, reinzukommen. Der Prolog wirkte auf mich ein wenig befremdlich ... Unsere Eindrücke waren recht ähnlich. Anne konnte noch ein paar persönliche Vergleiche zu ihrem eigenen Leben ziehen.
Sie erwähnte noch den Fiesling J.R. aus der 1980er US-Serie Dallas und dies sicher nicht schön ist, mit so einem Typen namensverwandt zu sein.



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Alleinsein hat nichts damit zu tun, wie viele Menschen um dich herum sind.
(J.R. Moehringer)

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