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Montag, 10. Dezember 2018

Erich Kästner / Als ich ein kleiner Junge war (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Eine wunderschöne Erich-Kästner-Autobiografie, die nicht nur mich glücklich macht, sondern auch meine Lesegruppe. Ich liebe Kästners Humor, der uns schon im Vorwort erfüllt hat. Seine Art zu schreiben finden wir genial. Auffällig sind auch die vielen geduldigen Aufzählungen, die mich jedes Mal zum Lachen gebracht haben.

In meiner Besprechung werde ich nicht alle autobiografische Daten aufzählen, sondern nur das Notwendigste.

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Bevor der kleine Erich 1899 in Dresden geboren wird, bekommt man es erst mal mit Leuten zu tun, die für ihn später eine große Rolle spielen werden. Genannt werden hier die Augustins und die Kästners. Nicht, dass diese beiden Familien aus Liebe zueinanderfanden, speziell was die werdenden Eltern des kleinen Erichs betrifft. Aber sie fanden zueinander und das ist die Hauptsache, denn sonst gäbe es auch keinen Erich … Die Mitglieder der Familie Kästner kamen alle aus verschiedenen Handwerksberufen.

Die Herkunft
Christian Gottlieb Kästner, der Großvater, kam aus einer sächsischen Kleinstadt und lebte mit seiner Frau in Penig und war Tischlermeister. Sie hatten elf Kinder, wovon fünf im Kleinkindalter gestorben sind. Emil Kästner, Erichs Vater, 1867 geboren, erlernte das Sattler und das Tapezierhandwerk.

Ida Amalia Kästner, Erichs Mutter, 1871 geboren, kommt auch aus einer sächsischen Familie und hieß mit Mädchennamen Augustin. Auch sie stammt mit sieben Brüdern und vier Schwestern aus einer Großfamilie, die in einem Bauernhaus wohnten.

Ida wurde mit 16 Jahren Stubenmädchen und verrichtete dadurch sämtliche im Haus anfallenden Hausarbeiten.

Mit zwanzig Jahren lernte sie Emil Kästner kennen, als ihre Tante den 24-jährigen jungen Mann ins Haus einlud. Obwohl Ida keinerlei Liebe für Emil empfand, ließ sie sich dennoch auf eine Bindung ein, da die Liebe, laut der Tante, sich in der Ehe noch entwickeln könne.

Am 31.07.1892 wurden Ida Augustin und Emil Kästner in einer protestantischen Dorfkirche getraut. Auch wenn es keine Liebesheirat war, und mehr eine Zweckehe, wäre Erich niemals geboren, wenn sich das Paar nicht füreinander entschieden hätte. Siehe dazu passendes Zitat am Ende dieser Besprechung.

Hierbei fällt mir parallel dazu ein Spruch aus der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ein:
Die Welt kann so schlecht nicht sein. Denn sie hat uns Erich Kästner geschenkt. 
So schlecht kann also auch diese Heirat nicht sein ... 
Das Ehepaar verließ die Heimat, da Emil als Sattlermeister nicht mehr genug verdiente. Sie zogen nach Dresden zu Emils Onkel, der seinem Neffen bessere berufliche Aussichten versprach.

Emil und Ida wünschten sich Kinder, doch leider wollte es damit nicht sofort klappen. Erst Jahre später wurde Ida schwanger. 1899 brachte sie schließlich ihr erstes und letztes Kind zur Welt, als sich mit Erich ihr Kinderwunsch erfüllte. Die Eltern liebten ihren Sohn über alles. Erstrecht, weil sie die Erfahrung machen mussten, dass es für sie nicht so leicht war, Kinder zu bekommen.

Aber das Geld reichte nicht, und so wollte Ida mit zum Lebensunterhalt beitragen. Ein Zimmer in ihrer Wohnung wurde an einem Lehrer untervermietet. Jahre später erlernte Ida das Friseurhandwerk und machte sich nach der Ausbildung damit selbstständig.

Erich wusste recht schnell, was er später für einen Beruf ergreifen wollte. Er wusste so ziemlich genau, dass er sich zu einem künftigen  Lehrer berufen fühlte. Vorbilder hatte er schließlich durch die Untermieter genug. Zog ein Lehrer wieder aus, zog ein anderer Lehrer ein …

Erich liebte Bücher und lernte recht schnell die Welt der Buchstaben kennen.
Ich las, als wäre es Atemholen. Als wäre ich sonst erstickt. Es war eine fast gefährliche Leidenschaft. Ich las, was ich verstand und was ich nicht verstand. >>Das ist nichts für dich<<, sagte meine Mutter, >>das verstehst du nicht!<< Ich las es trotzdem. Und ich dachte: >>Verstehen denn die Erwachsenen alles, was sie lesen?<< Heute bin ich selber erwachsen und kann die Frage sachverständig beantworten: Auch die Erwachsenen verstehen nicht alles. Und wenn sie nur läsen, was sie verstünden, hätten die Buchdrucker und die Setzer in den Zeitungsgebäuden Kurzarbeit. (2017, 82)

Erich war nicht nur ein intelligentes Kind, er war auch ein sehr empathischer kleiner Mensch, der ziemlich genau die Stimmung seiner Mutter wie ein Schwamm in sich aufnahm. Die Mutter litt an einer Depression und war dadurch suizidgefährdet. Mehrmals versuchte sie über eine Brücke zu springen, wäre nicht ihr Sohn gewesen, der das zu verhindern wusste … Das machte Erich sehr traurig, und besorgt suchte er den Rat eines Arztes auf, der seine Familie gut kannte. Ein wundervoller Arzt, der Kinder ernst zunehmen wusste.
>>Sie erzählen ihr nicht, dass ich hier war?<< >>Na, erlaube mal! Natürlich nicht“<<  >>Und Sie glauben nicht, dass sie wirklich von der Brücke … vielleicht ... eines Tages…?<<  >>Nein<<, sagte er, >>das glaube ich nicht. Auch wenn sie alles um sich her vergisst, wird ihr Herz an dich denken.<< Er lächelte. >>Du bist ihr Schutzengel.<<

Leider stand die Mutter doch mehrmals auf der Brücke, aber es war immer Erich, der das Schlimmste zu verhindern wusste. Wie der Arzt schon sagte, Erich war der Schutzengel seiner Mutter.

Zum Schreibkonzept
Auf den 189 Seiten ist Erich Kästners Kindheit und Jugend in sechzehn Kapiteln und Unterkapiteln unterteilt. Es gibt ein Vorwort und ein Nachwort. Sehr schön fand ich im Vorwort die Anrede an die Kinder und an die Nichtkinder 😃. Kästner spielt mit der Sprache, und lockert damit auch schwere Themen auf. Eine flüssige und leicht verständliche Autobiografie. Schade, dass sie so früh schon aufhörte. Mich hätte es noch interessiert, wie Erich als Erwachsener seinen Weg machte und was aus seinen Eltern geworden ist.

Cover und Buchtitel  
Die Zeichnung auf dem Cover finde ich witzig, aber im Buch gibt es eine Szene, die genau dieses gezeichnete Kind beschreibt.

Eine besondere Szene, die mir gefallen hat
Das Kapitel Folgeschwere Hochzeiten fand ich richtig spannend, als Erichs Mutter, erfolgreiche Friseurin, von einer unbekannten Kundin namens Fräulein Strempel aufgesucht wurde. Aufgrund ihrer Heiratspläne vereinbarte das ältere Fräulein mit Erichs Mutter einen Frisiertermin, der an dem Hochzeitstag bei der Kundin für acht Uhr bei sich zu Hause angesetzt war, um zehn Damenköpfe festlich herrichten zu können. Als Frau Kästner das Fräulein zum vereinbarten Termin aufsuchte, und an der Türe klingelte, wurde sie von einer unbekannten Dame abgewiesen, da hier kein Fräulein Strempel wohnen würde. Ida Kästner wurde gefoppt. Niedergeschlagen ging sie wieder nach Hause. Ein Verlustgeschäft musste nun materiell und immateriell verkraftet werden, wäre nicht Erich, der das Ganze wieder ins Lot bringen konnte. Erich hatte sich nämlich das Gesicht dieser Dame eingeprägt. Durch Zufall läuft sie ihm eines Tages über den Weg und Erich spioniert ihr unauffällig hinterher. Detektivisch bekommt er heraus, dass sie in einem Kaufhaus in einer Damenabteilung arbeitet … Erich sucht den Geschäftsführer auf, und erzählt ihm von dem Betrug. Der Geschäftsführer schickt die Verkäuferin mit Erich nach Hause, damit sie mit der Mutter eine Ratenzahlung vereinbaren konnte, um für den Schaden aufzukommen.

Warum das Fräulein diesen Betrug veranlasst hatte, werde ich nicht verraten.

Meine Meinung
Eine gelungene Autobiografie. Nicht nur der erwachsene Erich Kästner ist mir sympathisch, sondern auch der junge ist mir durch dieses Buch noch mehr ans Herz gewachsen, sodass ich vorhabe, im neuen Jahr ein Erich-Kästner-Leseprojekt mit auf meinem Blog zu nehmen. Mich zieht nicht nur sein Schreibstil an, sondern auch zu seinem Humor und zu seinem Charakter fühle ich mich ganz besonders hingezogen. 
Wenn man sich überlegt, von welchen Zufällen es abhängt, dass man eines Tages in der Wiege liegt (…). Wenn der junge Sattler von Penig nicht nach Döbeln gezogen wäre, sondern beispielsweise nach Leipzig oder Chemnitz, oder wenn das Stubenmädchen Ida nicht ihn geheiratet hätte (…) wäre ich nie auf die Welt gekommen. Dann hätte es nie einen gewissen Erich Kästner gegeben, der jetzt vor seinem Schreibblock sitzt und euch von seiner Kindheit erzählen will! Niemals!Das täte mir, bei Lichte betrachtet, sehr leid. Andrerseits: Wenn es mich nicht gäbe, könnte es mir eigentlich gar nicht leidtun, dass ich nicht auf der Welt wäre! Nun gibt es mich aber, und ich bin im Grunde ganz froh darüber. Man hat viel Freude davon, dass man lebt. Freilich auch viel Ärger. Aber wenn man nicht lebte, was hätte man dann? Keine Freude. Nicht einmal Ärger. Sondern gar nichts! Also, dann habe ich schon lieber Ärger. (38f)

Der kleine Erich hatte Glück, so tolle Eltern zu haben, die zulassen konnten, dass der kleine Mann sein vollstes innere Potenzial entfalten konnte. Es gab und es gibt noch immer viel zu viele kleine Menschen, die von ihren Eltern ihre Ideale ausgeredet bekommen haben.

Mein Fazit
Durch diese Autobiografie kann ich nun auch die Kinderbücher vom Hintergrund her besser verstehen. Vor allem das Buch Pünktchen und Anton brachte mich sehr häufig zum Nachdenken, auch, als dieses Buch später verfilmt wurde. Wie konnte ein kleiner Junge wie Anton seine kranke Mutter versorgen? Er übernahm komplett den ganzen Haushalt, kochte für sie und half in einer Kneipe aus, in der die Mutter arbeitete. Um die Stelle nicht zu verlieren, ersetzte Anton auch hier seine kranke Mutter. Ein kleiner Erwachsener war er für mich und mir diese Rolle zu übertrieben erschien. Aber nun weiß ich, woher dieser Hintergrund stammt. Der kleine Erich hatte sich auch sehr häufig um seine kranke Mutter gekümmert und übernahm wie der kleine Anton jede Menge Aufgaben im Haushalt, bis die Mutter wieder bei Kräften war.

Für mich und für meinen Lesekreis ist dies eine sehr interessante und sehr lesenswerte Autobiografie gewesen. Viele ältere Mitleserinnen konnten Parallelen zu ihrem eigenen Leben ziehen, und man dadurch leicht ins Gespräch kam. Es hat mir großen Spaß gemacht, das Buch mit meiner Runde zu lesen.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten
_____________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

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Samstag, 4. August 2018

David Foenkinos / Lennon (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ähnlich wie Charlotte hat mir auch Lennon gut gefallen. Foenkinos ist es mit seiner fiktiven Romanbiografie gelungen, das Leben des Musikers authentisch widerzugeben.

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt und zu den Buchdaten. 

Die Handlung
John Lennon befindet sich gerade in einer Psychoanalyse. Auf der Couch arbeitet er sein Leben auf. Er hatte kein einfaches Leben. Seine Probleme fingen schon in seiner Kindheit an, eigentlich schon mit seiner Geburt, als die Bomben zu Beginn des Zweiten Weltkrieges fielen ... Um seine Seele zu retten, fing Lennon als Erwachsener mehrere Therapien an, darunter befanden sich auch unkonventionelle Methoden, wie z. B. indische Meditationen á la Maharishi Yogi. Er hatte vonseiten der Eltern keine Geborgenheit und auch keine Liebe erfahren, da die Eltern eigene Probleme zu wälzen hatten. Die Details hierzu sind dem Buch zu entnehmen.

Die Schwester der Mutter namens Mimi hat sich für John eingesetzt und so konnte der kleine Junge hier etwas von der Liebe erfahren, als sie das Kind zu sich nahm.

Obwohl John bei der Tante und dem Onkel ein neues Zuhause hat finden können, vermisste er vor allem seine Mutter schmerzlichst.

Lennons Lieder waren alle biografisch besetzt. Seinen gesamten Seelenschmerz hat er in die Lieder hineingelegt. Obwohl er mit seinen Songs fast die ganze Welt beherrschte, war er ein sehr einsamer Mensch. Er konsumierte Drogen, um seine inneren Wunden nicht mehr spüren zu müssen. Allerdings haben die Drogen das Gegenteil bewirkt. Sie haben ihm nicht nur Energie geraubt, sondern auch sein Ego zerstört. John Lennon war Pazifist, doch die Suche nach dem Frieden bedeutete für ihn letztendlich, den Frieden in sich selbst zu finden, da er eine zerrissene Persönlichkeit war. Durch den Verlust seiner Eltern musste John Lennon heftige Identitätskrisen durchlaufen, bis er eine Japanerin namens Yoko trifft, mit der er sich zusammentut, obwohl er mit einer anderen Frau verheiratet war und mit ihr einen gemeinsamen Sohn hatte. Lennon konnte dem Jungen kein richtiger Vater werden, da er selbst keinen richtigen Vater hatte. Sein eigener Vater benutzte ihn, instrumentalisierte ihn, wenn es zwischen den Eltern zu einem starken Zerwürfnis kam. 

Zu Yoko fühlt sich Lennon seelisch hingezogen, in ihr findet er emotional Halt, in ihr findet er eine seelische Heimat ... Zwischen Yoko und Lennon entwickelte sich aus meiner Sicht eine stark symbiotische Bindung ...

Zum Schreibkonzept
Auf der ersten Seite ist in englischer Sprache ein kleiner Textauszug aus einem Interview mit John Lennon abgedruckt. Eine Seite später beginnt das Buch mit einer Einleitung. Dann geht es mit der ersten Therapiesitzung los. Die Therapieeinheiten bestehen in diesem Buch aus 18 Sitzungen. Die Therapeutin oder der Therapeut bleibt im Hintergrund, äußert sich mit keiner Silbe, was typisch für eine Psychoanalyse ist. Lennon spricht in der Ich-Perspektive. Das Buch endet mit einem Epilog. Anschließend gibt es ein kurzes Nachwort von David Foenkinos. Das Nachwort fand ich sehr interessant, weil hier ersichtlich wird, wie der Autor Lennons Leben in seinem Buch bearbeitet hat. Das Buch ist gut lesbar, da es mit vielen kurzen Absätzen aufgebaut ist.

Cover und Buchtitel? 
Beides finde ich für mich sehr ansprechend und gut getroffen. Das Motiv fand ich gut ausgewählt. Die Brille, die Lennon erst verhasst war, gehörte zu ihm wie ein körperliches Organ …

Eine Frage, die ich mir gestellt habe, auf die es aber keine Antwort gibt
Man hört immer wieder, dass Künstler zu ihrem Stoff gelangen, wenn sie existenziell ein kompliziert, bewegtes Leben zu verwinden hatten. John Lennon hat, wie ich oben schon geschrieben habe, sein ganzes Seelenleid in seine Liedtexte gelegt. Trotz (überflüssigen) Ballast genossen seine Lieder internationale Beliebtheit. Es gibt keine Generation, die John Lennon nicht kennt. Sein musikalisches Talent hat er von seinen Eltern geerbt. Vater hat gerne gesungen, Mutter spielte Banjo, allerdings ohne berufliche, künstlerische Ambitionen verfolgt zu haben. Meine Frage wäre hierzu: Wie wäre es John Lennon mit seiner musikalischen Kunst ergangen, wenn er eine geborgene Kindheit erlebt hätte? Seine Liedtexte wären nie entstanden, denke ich mal. Die Liebe als Fundament für ein stabiles Leben, für eine stabile Partnerschaft, insgesamt für ein gesundes Seelenleben. Wenn ein Kind von seinen Eltern sich angenommen und geliebt fühlt, dann ist es auch imstande, das Chaos der Welt außerhalb des eigenen Selbst zu überstehen. Aber wie würden die Liedertexte aussehen? Oder welche Meinung hätte John Lennon dazu gehabt? Lennon sehnte sich nach einem stabilen Leben. Ich hatte häufig den Eindruck, dass ihm ein gesundes Seelenleben lieber gewesen wäre als seine Kunst. 


Meine Meinung zu dem Buch
Ich konnte mich sehr gut in das Innenleben des Beatles Sänger hineinversetzen. Ich fand nicht nur das Leben von John Lennon interessant. Spannend fand ich auch die Ereignisse, wie die Gruppe The Beatles zusammenfand und wie sie wieder auseinandergetrieben wurden. Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Mein Fazit?
Eine sehr gelungene, eine sehr empathische Romanbiografie.

Vielen Dank an den DVA-Verlag für das Leseexemplar.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte:Sehr gute  Recherchen
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten.
________________
Musik ist eine Weltsprache
       (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2018: 30
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Gelesene Bücher 2012: 94
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Samstag, 7. Juli 2018

Helmut Böttiger / Wir sagen uns Dunkles (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Eine Liebesbeziehung zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann, wie ich sie nicht erwartet habe, obwohl der Buchtitel darauf hingewiesen hat, dass Dunkles, Schweres zwischen ihnen stehen könnte, über das sie sprechen müssten. Ich konnte anfangs, vor dem Lesen dieses Buches, nur spekulieren, was das Dunkle bedeuten könnte, da ich den Klappentext überflogen habe, weil ich selbst meine Entdeckungen machen wollte. Immerhin habe ich an der Universität studiert, an der Ingeborg Bachmann doziert hatte. In der U-Bahn-Station, Bockenheimer Warte in Frankfurt Main, ist an der Wand ein Hörsaal der Goethe-Universität abgebildet, auf der Ingeborg Bachmann als Dozentin zu sehen ist.

Hier geht es zur Erinnerung zum Klappentext und zu den Buchdaten.

Sie sagen sich Dunkles, tauschen sich darüber aus, weil es Zeit wird, das Dunkle nicht weiter zu verdrängen, sondern es an die Oberfläche zu holen. Dieses Dunkle ist eine Gemeinsamkeit, die Celan und Bachmann miteinander zwar teilen, aber in einer entgegengesetzten Form. Obwohl sie beide, aus meiner Sicht, sich geistig sehr ähneln, quasi wie Zwillingsseelen auf mich gewirkt haben, so sind es die politischen Umstände, die unterschiedliche Herkunft und die unterschiedlichen Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die sie getrennt haben. Während Celan ein Verfolgter der Nazis war, war Bachmann vom Leben eine begünstigte Österreicherin, wie Böttiger das so schön ausgedrückt hat.
Paul Celan und Ingeborg Bachmann lernten sich in Wien 1948 kennen. Zwischen ihnen beiden entstand eine Liebesbeziehung, die leider auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten war.

Paul Celan
Paul Celan war ein deutscher Jude. Nicht nur, dass er selbst in Rumänien im Arbeitslager von 1942 bis 1945 eingesperrt wurde, und man ihn dort zu Zwangsarbeit verurteilt hatte, verlor er auch seine Eltern, die nach Transnistrien, Ukraine, abtransportiert und dort im KZ ermordet wurden. Ein schweres Trauma für den Sohn Paul, der das Arbeitslager wie durch ein Wunder überlebt hat, er aber für den Rest seines Lebens gezeichnet war.

Celan wurde am 23.11.1920 in Czernowitz, damals noch Rumänien, geboren. Seine Gedichte sind geprägt von diesen horriblen Erlebnissen des Nationalsozialismus. Eigentlich ist der Name Celan ein Pseudonym, das abgeleitet wurde aus dem Geburtsnamen Antschel, der später mit Ancel rumänisiert, und daraus das Anagramm Celan gebildet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete Celan erst nach Österreich und zog später weiter nach Frankreich, wo er in Paris bis zu seinem Freitod, 1970, lebte. Paul Celan ertränkte sich in dem Fluss der Seine.
1947 wurde in Bukarest das Gedicht Die Todesfuge auf Rumänisch gedruckt und veröffentlicht. Das Gedicht erschien in der Zeitschrift namens Contemporalus.

Ingeborg Bachmann
Die österreichische Lyrikerin und Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, nur sechs Jahre jünger als Paul Celan, wurde am 25.06.1926 in Klagenfurt, die Hauptstadt vom Bundesland Kärnten, geboren und ist 1973 in Rom durch einen Brand in ihrer Wohnung ums Leben gekommen. Sie war gerade mal 47 Jahre alt. Die Art und Weise wie Bachmann umkam, hat sich für mich aus dem Buch wie ein passiver Suizid herausgelesen. Sie litt an einer Polytoxikomanie, sodass sie in ihrem Medikamentenwahn nicht bemerkt hat, wie sie durch eine brennende Zigarette die Wohnung und sich selbst in Brand gesetzt hat.

Auch Ingeborg Bachmann ist von den Nazis geprägt, da die Nationalsozialisten schon in den Anfängen der 1930er Jahre in Kärnten einmarschiert sind. Bachmanns Vater trat zu dieser Zeit in die NSDAP ein. Der Einmarsch Hitlers Truppen prägte Bachmanns Kindheit massiv. Ein Auszug aus ihrem Tagebuch:
(…) diese ungeheure Brutalität, die spürbar war, dieses Brüllen, Singen und Marschieren - das Aufkommen meiner ersten Todesangst. Ein ganzes Heer kam da in unser stilles, friedliches Kärnten … (40f)

Über die zusätzlichen Schrecken des Krieges gibt es eine Szene, die ich mir unbedingt herausschreiben musste. Eine Szene, die ich erschreckend und faszinierend zugleich finde:
Obwohl Nachbarn durch Bombenabwürfe getötet worden sind, flüchtete sie nicht mehr in den Bunker, wo sie es wegen der schlechten Luft und der >>stumpfen, stummen Massen<< kaum aushält. Sie stellt sich einen Sessel in den Garten und liest dort: "Ich habe mir fest vorgenommen, weiter zu lesen, wenn die Bomben kommen“. (2018, 46).
Auch Ingeborg Bachmann ist ein traumatisiertes Kind. Dass der Vater Nazianhänger war, das muss man auch erst mal verkraften, besonders nach dem Krieg, als die Naziverbrechen immer mehr ans Licht kamen. Bachmann zog es nach Italien, wo sie in Rom ihr Leben als freie Schriftstellerin bis zu ihrem Tod fortsetzte. 

Celan schrieb mehrere Gedichte, die er seiner Geliebten gewidmet hat.
Corona zählt zu den vierundzwanzig Gedichten in Mohn und Gedächtnis. Ingeborg Bachmann fand dieses Gedicht als das schönste, das Paul Celan für sie geschrieben hat.
Momente aus >>Corona<< werden zu Formeln, die im weiteren Verlauf ihrer Beziehung wie eine gegenseitige Versicherung verwendet werden. (…) Die >>Gedichte<< sind auf jeden Fall das Maß ihrer Beziehung, sie sind ihre Grundlage. Und zu ihrer Eigenart gehören wesentlich auch dunkle Stellen – es ist die Form von Dunkelheit, die in >>Corona<< vielleicht ihren vollkommensten Ausdruck findet. (…) >>Corona<< wurde in Wien geschrieben. Dieses Gedicht scheint auf eine verborgene viel mehr über die Beziehung zwischen Bachmann und Celan auszusagen, als es konkrete Daten und Dokumente vermögen. (51f)

Mehr möchte ich nicht verraten und verweise Weiteres auf das Buch.

Das Schreibkonzept
Eine literaturwissenschaftliche Doppelbiografie, die in einer sachlichen Sprache abgefasst wurde. Auf den 270 Seiten ist das Buch in vierzehn Kapiteln gegliedert, die kurz und präzise geschrieben sind. Auf einigen Seiten sind von Celan und Bachmann Schwarz-Weiß-Fotografien abgebildet. Auch ein paar wichtige Gedichte der beiden LyrikerInnen kann man dem Buch entnehmen. Die Gedichte sind sehr ausdrucksstark und bespickt mit vielen Metaphern.

Wir sagen uns DunklesCover und Buchtitel
>>Wir sagen uns Dunkles<<, diese Verszeile ist der Code ihrer Liebe. (51), denn es wird Zeit, dass man weiß und man aufhört, die Schatten, die der Nationalsozialismus in vielen Teilen Europas geschlagen hat, noch weiter stumm zu ertragen. Mich hat sowohl das Cover als auch der Buchtitel angesprochen.

Meine Meinung
Zwei sehr traurige Schicksale an Menschen, die mir mehr als sympathisch waren. Mich haben sie sehr bewegt und gleichzeitig traurig gestimmt. Bachmann und Celan reden über das Dunkle hauptsächlich aber in Dichtform. Opfer war nicht nur Celan, auch Bachmann war ein Opfer ihrer Zeit, wie ich oben schon geschrieben habe.
Es sind die Gedichte, die Celan und Bachmann zusammenbringen, aber die politische unterschiedliche Herkunft sie beide getrennt hat. Sowohl Bachmann als auch Celan waren psychisch gesehen keine gefestigten Persönlichkeiten, beide sterben auf eine tragische Art und Weise.
Ein wenig störend fand ich in dem Buch die vielen Interpretationen zu den beiden DichterInnen. Es blieb dadurch wenig Raum für eigene Gedanken. Für LeserInnen, die zuvor noch keine Biografien dieser beiden Persönlichkeiten gelesen haben, können die vielen Interpretationen ein wenig anstrengend wirken. Ansonsten habe ich durch das Buch viel Neues erfahren können. 
  
Mein Fazit?
Wären die Gedichte von diesen beiden DichterInnen nicht so furchtbar traurig, fände ich sie wunderschön. Denn wie kann Dunkles, Grauenvolles schön sein?  In dieser Doppelbiografie habe ich eine Liebesbeziehung erlebt, die ich nach außen hin allerdings als sehr still wahrgenommen habe, nach innen wiederum sehr laut. Oder besser gesagt, für mich wirkte das innerliche Leben dieser beiden äußerst sehr sensiblen Menschen lauter als das äußere …
Abgesehen von einer einzigen Abweichung fand ich das Buch von dem Literaturkritiker Hans Böttiger sehr gut recherchiert und interessant ausgefüllt. Ich bin sehr froh, dieses Buch gelesen zu haben. Es ist zwar mit seinen 272 ein dünnes Buch, aber reichlich gefüllt mit weiteren Fakten und Informationen, die ich hier in meiner Besprechung nicht erwähnt habe, um anderen LeserInnen nicht zu viel vorwegzunehmen. Ein sehr lesenswertes Buch für Menschen, die sich näher mit diesen beiden außergewöhnlichen DichterInnen befassen möchten.

Weitere Informationen zu dem Buch
Das Gedicht Corona habe ich gesprochen auch auf Youtube gefunden, das ich von der Ausdrucksweise nicht nur gedruckt so schön finde ... 



Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Literaturwissenschaftliches, gut recherchiertes Buch
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten.

Vielen Dank an den DVA-Verlag und an das Bloggerportal für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.
___________________
Gelesene Bücher 2018: 27
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Sonntag, 5. November 2017

Guinevere Glasfurd / Worte in meiner Hand (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe mich gefragt, zu welchem Genre dieses Buch passen könnte? Ist es ein Historischer Roman? Eine Biografie? Eine Romanbiografie? Ein fiktionales Buch? Wenn man dem Klappentext glauben möchte, dann wird der Inhalt des Buches als eine wahre Geschichte deklariert. Und so habe ich mich zum Schluss gefragt, ob der Verlag überhaupt das Nachwort gelesen hat, denn im Nachwort steht  explizit, dass der Roman erfunden sei.

Ich würde sagen, der Roman hat durchaus auch biografische Züge. Die beiden Protagonisten René Descartes und Helena Jans van der Strom hat es wirklich gegeben. René Descartes ist als französischer Philosoph bekannt, aber wer war Helena van der Strom? Die Antwort darauf liefert ja schon der Klappentext. Allerdings lebten sie Mitte des 17. Jahrhunderts. Descartes wurde 1596 geboren, in einer Zeit, aus der es schwierig sein muss, Material zu diesem Thema zusammenzustellen.

Deshalb besteht das Buch aus einem Mix von allem. Dort, wo der Autorin Fakten gefehlt haben, füllte sie die Lücken in einer recht kreativen fabulierfreudigen Form.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein: 
Amsterdam, 1630er Jahre. Helena Jans van der Strom arbeitet als Magd bei einem Buchhändler. Ein großes Glück für sie, denn sie kann lesen und schreiben und geht mit offenen Augen durch die Welt. Der neue Hausgast ihres Herrn fasziniert sie: Er arbeitet ununterbrochen, und Helena ist angewiesen, ihn „Monsieur“ zu nennen. Der Fremde zieht viele Besucher an, und sie erfährt seinen echten Namen: René Descartes. Sie ist zu neugierig, um Distanz zu wahren. Und auch Descartes ist schon bald von ihrem Charme und Wissensdurst eingenommen. Sie verlieben sich, was unmöglich ist: Sie ist Calvinistin, er Katholik. Sie ist nur eine einfache Magd, er Europas aufstrebender Philosoph. Die beiden sind zwei kühne, mitreißende Geister, die sich von dem Standesdünkel des Goldenen Zeitalters in Holland nicht aufhalten lassen.

Mir hat das Buch gut gefallen. Es liest sich recht flüssig und man kommt schnell und leicht in die Handlung rein.

Helena war eine sehr mutige Frau, wie sie mit Kind ihr Leben hat einrichten wollen … Mutig, sich überhaupt auf eine Beziehung einzulassen, sich hingezogen fühlen zu einem Mann mit einem großen Standesunterschied, in der diese Art von Bindung  perspektivisch wenig zu bieten hat …

Außerdem war sie sehr begabt, konnte sich das Schreiben und Lesen selbst beibringen, sie war darin nur noch nicht geübt.

Sie war gerade mal 18 Jahre alt, als sie als Magd in Amsterdam gelebt hat, in einem Haus eines Engländers namens Mr. Sergeant, dessen Frau verstorben war. Helena wollte in diesem Haus gerne ihre Schreibfertigkeit vervollständigen. Sie fühlte sich hier geradezu berufen, da Mr. Sergeant über eine Bibliothek verfügte, und er darin viel Zeit schreibend zubringt.  Mr. Seargent stellte Helena auf die Probe, wollte wissen, ob sie tatsächlich schreiben konnte. Aber Helena wusste nicht mal, wie eine Schreibfeder zu halten war, und so fiel sie durch diesen Test. Im Geheimen macht sie Trockenübungen, da Papier rar war. Papier besaßen nur die Gebildeten. Mister Seargent schenkte ihr eine Tafel und Kreide, sodass sie auf der Tafel ihre zu tätigen Einkäufe festhalten sollte …

In dem Haus des Engländers lernt sie den viel älteren Descartes kennen, der für eine bestimmte Zeit zusammen mit seinem Diener namens Limousin hier logieren sollte.

Helena und Descartes fühlen sich sexuell zueinander hingezogen, und zwischen ihnen beiden entwickelt sich eine heimliche Bindung. Descartes erkennt recht schnell, dass Helena nicht irgendeine Magd war, sondern eine junge Frau, die hungrig nach Bildung ist. Er ist es, der ihr zeigt, wie man eine Schreibfeder zu bedienen hat, und lässt ihr reichlich viel Schreibpapier, Tinte und Schreibfedern zum Üben zukommen … Wenn alles verbraucht war, sorgte er immer wieder für Nachschub.

Die sexuelle Beziehung mit Descartes wird immer komplizierter, denn schon bald erwartet Helena ein Kind von ihm. Es ist Limousin, der zwischen dieser heimlichen Liebe Verdacht schöpft, auch ist er es, der als Erster merkt, dass Helena schwanger ist …  

Sie verlässt das Haus des Engländers und zieht bei einer Hebamme ein, um bei ihr ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie sollte dort auch wohnen, Descartes hatte alles arrangiert, damit seine junge Liebe nicht auf der Straße mit dem Kind leben musste. Mit einem kleinen Kind ist die Arbeit als Magd nicht mehr durchzuführen. Nach der Geburt des Kindes, nach ca. einem Jahr, zieht es sie allerdings wieder zurück nach Hause. Sie ist enttäuscht, dass Descartes sie nicht besuchen kommt, nicht mal um nach seinem Kind zu sehen. Descartes ist viel beschäftigt, seine intellektuelle Arbeit steht immer an vorderster Stelle. Das nimmt ihm Helena übel …

Und so verlässt Helena mit ihrer Tochter heimlich das Haus der Hebamme und macht sich auf nach Leiden, wo ihr Elternhaus steht. Mit Descartes wollte sie nichts mehr zu tun haben, und beschließt, das Kind alleine großzuziehen ...

Man sieht ihr die gesellschaftliche Stellung an, eine Waschfrau auf der Straße geigt ihr unverblümt die Meinung, als Helena diese bei ihrer Tätigkeit beobachtet und sie sich an die schwere Arbeit als Magd beim Engländer zurückerinnert:
>>Weißt du, was ich denke, wenn ich sehe, wie du mit deinem kleinen Mädchen spazieren gehst, das Haar lose, wenn alle anderen hier schwer arbeiten, um grauen Stoff weiß zu bekommen? Zu fein, um eine Magd zu sein, nicht fein genug, um die Ehefrau zu sein, das denke ich. Was bist du, wenn du weder das eine noch das andere bist?<< (2015, 342)

Sie verheimlicht der Mutter den Namen des Vaters ...

Zu Hause kann sie aber nicht auf Dauer bleiben. Irgendwann setzt die Mutter ihr eine gewisse Frist, wann sie das Haus wieder verlassen soll, um woanders einen Neuanfang zu starten. Es gäbe genug alleinstehende Männer, Witwer, die Helena trotz des Kindes heiraten würden ...

Helena versucht, über Jobs für sich und für ihre Tochter Francine zu sorgen. Sie schreibt ein Lehrbuch, aus dem Kinder das Alphabet lernen könnten. Sie stellt ihr Manuskript einem Buchhändler vor, aber er lehnt es ab, da niemand Bücher von einer Frau kaufen würde. Sie versucht es mit Zeichnungen … 

Irgendwann taucht Descartes auf, der in Leiden überall nach ihr gesucht hat, und sie auch im Elternhaus findet. Die Mutter befand sich für mehrere Wochen auf Reisen bei der Schwester. Obwohl sie ein gemeinsames Kind haben, ist Descartes für sie noch immer nur der Monsieur und redet ihn auch mit Monsieur an ...

Descartes lernt sein kleines Töchterchen kennen und liebt es auch abgöttisch. Aber aufgrund gesellschaftlicher Konventionen schafft er es nicht, sich seiner Familie zu stellen und versteckt sie stattdessen. Francine nennt den Vater Onkel, sie wird nie erfahren, dass der Onkel der Vater ist. Als das Mädchen größer wird, stellt sie Fragen, weshalb Descartes der Onkel sei, und für die Mutter nur der Monsieur …

Mehr möchte ich nun nicht verraten. Wer mehr wissen möchte, so verweise ich Weiteres auf das Buch. Es gibt in dem Buch noch Vieles zu entdecken. 


Mein Fazit?

Es war für mich nochmals interessant, daran erinnert zu werden, wie schwer es eine Frau vor unserer Zeit hatte. Noch schwerer allerdings hatten es die Frauen, die aus der unteren Schicht kommen und es nicht üblich war, sie zu bilden und sie gezwungen waren, ihre bescheidene Existenz mit schwerer Arbeit zu sichern. Gerade die Arbeit als Magd war ein Rund-um-die-Uhr-Job. Niemand käme auf die Idee, dass eine einfache Frau wie Helena schreiben und lesen konnte. Descartes war anders eingestellt, er hatte sogar dafür gesorgt, dass seine Tochter alphabetisiert wird. Aber alles versteckt, niemand sollte dahinterkommen. Helena war eine begabte junge Frau, die es intellektuell hätte weit bringen können, wenn man sie nur gelassen hätte. Wie fest diese gesellschaftlichen Banden sind, wird in diesem Buch deutlich. Selbst die Gebildeten hatten es nicht geschafft, diese Schwellen zu überschreiten. Sie hatten ihren guten Ruf zu wahren. Niemand würde sich mehr für die intellektuelle Arbeit Descartes interessieren, wenn herausgekommen wäre, mit welcher Frau er zusammen war, von welcher Frau er eine Tochter besaß. Obwohl es so schwer war, hoffte Helena insgeheim, er würde zu ihr und zu dem Kind stehen, und sich als Familie zeigen.


Meine Bewertung?

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von zwölf Punkten.

 Weitere Informationen zu dem Buch

·         Historischer Roman
·         Hardcover
·         Hardcover mit Schutzumschlag
·         432 Seiten
·         The Words in my Hand
·         Aus dem Englischen übersetzt von Marion Balkenhol.
·         ISBN-13 9783471351239
·         Erschienen: 07.08.2015

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