Freitag, 26. August 2016

Dörte Hansen / AltesLand (1)

Lesen mit Tina

Ich habe das Buch am Freitag, 26.8., schon beendet. Ich bin nur nicht dazu gekommen, eine Rezension dazu zu schreiben. Zu dem Buch bin ich ein wenig zwiegespalten. Einerseits fand ich die Themen in dem Buch recht interessant, andererseits bin ich sehr schlecht in die Lebensgeschichten reingekommen. Gerade am Anfang hatte ich so meine Mühe und musste erneut zur ersten Seite zurückblättern, weil sich mir die Namen einfach nicht einprägen wollten. Als schließlich beim zweiten Anlauf die Namen der Figuren Gesichter bekamen, wurden sie mir allmählich vertraut, aber ich konnte mir nicht jede Figur merken und nicht jede Figur fand ich interessant. Die Atmosphäre in dem Buch fand ich außerdem arg unterkühlt und mit Ausnahmen von Anne und Karl Eckhoff waren mir die anderen Figuren schier unsympathisch. Das habe ich selten bisher gehabt. Aber es kommt vor und deshalb fällt es mir so schwer, über dieses Buch eine Rezension zu schreiben.
Der Schreibstil hat mir auch nicht immer zugesagt, manchmal wirkten die Sätze auf mich wie abgehackt ... Über manche Szenen musste ich allerdings lachen, wirkten recht lustig, humoristisch. 

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Das „Polackenkind“ ist die fünfjährige Vera auf dem Hof im Alten Land, wohin sie 1945 aus Ostpreußen mit ihrer Mutter geflohen ist. Ihr Leben lang fühlt sie sich fremd in dem großen, kalten Bauernhaus und kann trotzdem nicht davon lassen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo ehrgeizige Vollwert-Eltern ihre Kinder wie Preispokale durch die Straßen tragen – und wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel mehr gemeinsam, als sie ahnen. 
Außerdem waren das für mich viel zu viele Personen, auf so wenigen Buchseiten. Jeder Mensch hat darin so seine eigene Geschichte. Es gab demnach jede Menge Geschichten zu lesen … Mir war dies allerdings ein wenig zu überfrachtet, einfach auch, weil die Themen und die Menschen recht ernst waren.

Ich tat mir sehr schwer mit Vera Eckhoff. Eine recht kalte Person, die im Wald sämtliche Wildtiere abknallt und sie ohne mit der Wimper zu zucken zu Wurst verarbeitet. Das waren sehr blutige Szenen. Die Autorin hat diese recht detailliert beschrieben, als Vera die abgeschossenen Tiere zerlegt hat. Man hörte dabei die Knochen knacken. Auch wenn Vera Eckhoff ihre ureigene Psychologie hat, weshalb sie so geworden ist, wie sie ist, habe ich trotzdem kein Verständnis für ihre Gier nach Fleisch ... Erst im höheren Alter hörte sie mit dem Töten auf.  Leider hat sie ihr Trauma als Flüchtlingskind nicht aufgearbeitet … Auch ihre Mutter hat ihr Trauma nicht aufgearbeitet und verlässt ihre Tochter, bis die Vergangenheit sie schließlich einholt …

Karl Eckhoff, der Sohn von Ida Eckhoff, kommt nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Hinkefuß zurück. Seine Mutter erkennt die inneren Nöte ihres Sohnes nicht. Auch Karl ist durch den erlebten Krieg traumatisiert. Aber für die Mutter, die nicht in der Lage ist, in das Innere ihres Sohnes zu schauen, vergleicht ihn stattdessen mit zurückgekehrten Soldaten, denen verschiedene Körperteile fehlen,  betrachtet Karls Leid als gering. Karl habe es nicht so schwer erwischt und so bagatellisiert sie   seinen Hinkefuß. Karl hat nicht den Mut, über seine Kriegserlebnisse zu sprechen. Ida Eckhoff, auch eine sehr kalte Person, die Opfer ihrer eigenen Kälte wurde ...

Karl war mir sympathisch, weil er es war, der sich um die kleine Vera gekümmert hat. Er hat ihr Spielsachen gebaut, Schlittschuhe geschenkt, sie auf der Schaukel bis zu den Baumkronen angestoßen. Doch Karl war psychisch sehr angeschlagen, zog sich in seine eigene Welt zurück. Später war es Vera, die sich verantwortungsbewusst um Karl gekümmert hat …

Die kleine Vera sprach auch nur das Nötigste, beobachtete aber recht intensiv ihre neue Welt, ihre neue Heimat, in der hauptsächlich Plattdeutsch gesprochen wurde ...

Flüchtlinge waren in dem Dorf nicht erwünscht und sie wurden als Polackenpack beschimpft. Vera kam mit ihrer Mutter aus Ost-Preußen. Sie wird hier alt, verlebt in dem alten Land über sechzig Jahren …

Bis eines Tages ihre Nichte Anne mit ihrem kleinen Sohn Leon auftaucht … Anne ist alleinerziehende Mutter. Christoph, der Vater des Kindes, hat eine neue Freundin, Marion, Lektorin eines Buchverlages. Christoph schreibt Krimis. Er nimmt sein Kind regelmäßig zu sich ...
Anne, die sich verantwortungsvoll um Leon kümmert, und sich immer für ihr Kind einzusetzen weiß, war mir sehr sympathisch gewesen. Sie muss allerdings lernen zu akzeptieren, dass Leon ein neues Geschwisterchen bekommt und Christoph nicht mehr ihr Partner ist. Marion ist hochschwanger ...

Anne ist Vegetarierin und ernährt auch Leon vegetarisch. Die Erzieherin nimmt die vegetarische Haltung nicht wirklich ernst, da Leon im Kindergarten Gulasch als seine Lieblingsspeise auserkoren hat … Ich fragte mich, welche Haltung hat die Autorin selbst zu einer fleischlosen Ernährung? Was will sie denn beweisen, dass Leon Fleisch mag, dass vegetarischessen sinnlos ist? Dass Fleisch schmecken  kann, das zweifelt niemand an, man kann trotzdem auf Fleisch verzichten. Außerdem weiß Leon gar nicht, dass Gulasch das Fleisch eines getöteten Tieres ist …

Ich mache nun hier Schluss.


Telefongespräch mit Tina, Freitag, 26.08.16, um 18:00 Uhr

Ich werde nicht das ganze Gespräch hier festhalten können, aber es soll gesagt sein, dass der Austausch zwischen uns beiden sehr schön und recht intensiv war.

Viele Blickpunkte konnten wir gemeinsam teilen. Auch Tina kam z. B. anfangs schwer rein. Über Annes Musikerfamilie haben wir gesprochen, die für Anne unglücklich verlaufen ist, da ihr jüngerer Bruder von dem musikalischen Talent her ihren Platz eingenommen hat, weshalb Anne schließlich eigene Wege gegangen ist, und sie die Musik ganz aufgegeben hat und stattdessen in eine Tischlerlehre geht. Tina fand Anne auch am sympathischsten. Aber Tina hatte Vera gegenüber mehr Verständnis als ich es aufbringen konnte. Bei mir hört das Verständnis bei Menschen auf, die Tiere schlecht behandeln.

Tina fand die Tierszenen auch zu blutig, aber die Tiere würden nicht so leiden wie die Nutztiere in der Massentierhaltung, die z. B. noch nie Sonnenlicht gesehen haben. Ja, da hat sie wohl recht. Das ist trotzdem nicht schön, da Tiere auch Familien haben und sie mit dem Abknallen aus dem Leben herausgerissen werden.

Wie klischeehaft war das Buch in der Frage, ob es immer Mütter sind, die sich um die Kinder kümmern? Wo bleiben da die Väter? Ich fand das nicht klischeehaft, sondern ein Teil unserer Realität. Ich habe heute mal wieder drei befreundete Mütter gesehen, die alle drei einen Kinderwagen vor sich hergeschoben haben. In Darmstadt gibt es viele familienfreundliche Gaststätten und es sind überwiegend die Mütter, die dort mit ihren Kindern und ihren Freundinnen einkehren.

Tina und ich freuen uns schon auf unser nächstes Buch, das wir Ende September gemeinsam lesen werden.

Und hier geht es per Mausklick zu Tinas Buchbesprechung.


Mein Fazit?

Auch wenn mir das Buch nicht besonders gut gefallen hat, hat es mich als Leserin sehr betroffen gestimmt. Nun habe ich aber so gar nichts zu dem Buchtitel geschrieben. Ich möchte nur kurz anfügen, dass das Landleben sehr hart ist, es aber von den Städtern stark idealisiert wird, die die Lebensweise der Bauern abwertend betrachtet haben und sie diese für mehr oder weniger primitiv hielten.

Dann kommt hinzu, dass die ProtagonistInnen keine Psychohygiene betrieben haben, und ihnen nichts anderes übrig blieb, als mit dem Trauma bis zu ihrem Lebensende zu leben. Karl litt für den Rest seines Lebens recht heftig unter der Posttraumatischen Belastungsstörung, weil er keine Gelegenheit fand, sich mit seinen Kriegserlebnissen auseinanderzusetzen. Dabei fällt mir das Buch von dem Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich Die Unfähigkeit zu trauern ein, dass Menschen, die ihr Trauma nicht aufarbeiten, sie gezwungen seien, die Geschichte zu wiederholen.

Sieben von zehn Punkten.

1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

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