Donnerstag, 5. Dezember 2013

Jane Austen / Emma (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch und habe in den mehr als siebenhundert Seiten viel Geduld und Ausdauer bewiesen. In Jane Austens Büchern wiederholen sich die Themen von Buch zu Buch, auch wenn die Geschichten andere sind. Es wird in den hohen Kreisen viel geklatscht und getratscht, dass ich nach mehr als dreihundert Seiten ein wenig müde davon geworden bin. Es werden naive Theorien zu anderen Menschen entworfen, ohne sie auf die Echtheit hin zu überprüfen. Ob es jetzt Marcel Proust ist, Jane Austen oder Charles Dickens, überall findet man in der gehobenen Gesellschaftsschicht eine lästernde Gesellschaft vor.

Ich habe mir ein paar Szenen gemarkert, damit meine Statements nicht einfach so lose hier stehen bleiben, sonst komme ich mir selbst wie ein Lästermaul vor. Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Emma Woodhouse weiß genau, was andere wollen – ohne jemals danach gefragt zu haben. Wohlmeinend mischt sie sich in das Leben ihrer Freunde und Nachbarn ein. Und ein Chaos des Begehrens nimmt seinen Lauf. Die Komödie, die sich daraus entspinnt, ist nicht nur ein pointiertes Porträt der englischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert. 
Ja, Emma tut den ganzen Tag nichts anderes, als das Schicksal anderer Leute zu lenken. Sie analysiert auf triviale Art die Charaktere der Menschen ihres näheren Umfelds. Sie versucht Paare miteinander zu verkuppeln, oder andere Bindungen, die in ihren Augen nicht passen, auszureden. Ihr Vater, Mr. Woodhouse, selbst eine skurrile Figur, warnt seine Tochter:
Ach, mein liebes Kind, lass das lieber, dass Ehe stiften und prophezeien, denn alles, was du sagst, trifft ein. Bitte, stifte keine Ehen mehr. (16)
Emma ist eine junge Frau von einundzwanzig Jahren und sie besuchte einst ein Mädchenpensionat, dessen Ziele und Inhalte, wie und in was Mädchen gefördert werden sollten, vielleicht erklärbar macht, weshalb Emma so viel Trivialität an Themen verbreitet und ihre GesprächspartnerInnen wie ein Strudel neugierig mit hineinzieht:
Emma besuchte ein richtiges ehrbares, altmodisches Internat, wo ein vernünftiges Maß an Kenntnissen zu einem vernünftigen Preis geboten wurde; und wo man Mädchen hinschicken konnte, damit sie auf dem Wege seien und sich ein bisschen Bildung aneigneten, ohne die Gefahr, dass sie als Wunderkinder zurückkamen.(31)
Den Mädchen eine Bildung zu ermöglichen, in ein Internat zu stecken, damit sie aus den Füßen seien,  und sie aber gleichzeitig nicht als Wunderkinder zurückkommen sollen, das muss man so richtig in sich setzen lassen... . Das könnte aber erklären, weshalb Emma in ihrem Verhalten so extrem extrovertiert ist. Keinen Gedanken und kein Gefühl kann sie für sich behalten.

Unaufhaltsam sind die Gespräche geprägt von Heiraten mit dem richtigen Partner aus dem gleichen Stand. Emma versucht zwar erst Ehen zu stiften, sie selbst aber hat gar nicht vor zu heiraten. Ihre Freundin Harriet macht sich Sorgen um Emma:
"Du lieber Gott! Aber was wollen Sie denn tun? Wie ihre Zeit verbringen, wenn Sie älter werden?"
"Wie ich mich kenne, Harriet, habe ich einen unternehmenden, regen Geist und mancherlei Interessen, an denen ich einen unabhängigen Rückhalt habe, und ich sehe nicht ein, warum es mir mit vierzig oder fünfzig schwieriger sein sollte, mich zu beschäftigen, als mit einundzwanzig."(132)
Es klingt, als heirateten die Leute aus purer Langeweile... .

Später erfährt man, dass Emma durch ihre Einmischung in die Privatsphären anderer Leute in böse Schwierigkeiten gerät. Aber es ist ja nicht nur Emma, die ihren Kopf voller Gedanken zu anderen Leuten Leben und Gewohnheiten hat, nein, es sind auch andere, die ihren Mund zu voll nehmen. Glücklicherweise sind das nicht nur Frauen, auch Männer tun oftmals in ihren gemeinsamen Gesprächen nichts anderes.
Mit unleidlicher Eitelkeit hatte sich Emma eingebildet, in die geheimsten Gefühle der anderen eingeweiht zu sein, mit unverzeihlicher Überheblichkeit hatte sie die Geschicke anderer Menschen lenken wollen. Nun wurde ihr bewiesen, dass sie sich in allem getäuscht hatte; und sie war nicht einmal untätig dabei gewesen - sie hatte Unheil gestiftet. (622)
Emma zerriss sich um so mehr das Maul, wenn Paare sich aus unterschiedlichen Ständen bildeten. Das durfte gar nicht sein. Und so kam es vor, dass manche Bindung versteckt und ohne ihres Wissens geschlossen wurde.

Sie bringt ihre naive Freundin Harriet, gewollt oder ungewollt, in emotionale Schwierigkeiten. Harriet ist nur eine Freundin, aber keine Frau ihres Standes. Nun hat sich Harriet durch Emmas Einfluss in einen Mann verliebt, der ihr gesellschaftlich weit höher steht als sie selbst und mit der Zeit gerät Emma dadurch in heftige Selbstzweifel, als ein Freund sich über Emmas Verhalten äußerst kritisch zu äußern weiß:
Ach, hätte sie doch niemals Harriet aus ihrer Verborgenheit herausgezogen! Hätte sie sie doch gelassen, wo sie hingehörte, wo sie (...) an ihrem Platz war! Hätte sie doch nicht mit einer Dummheit, die keine menschliche Zunge ausdrücken konnte, verhindert, dass sie den braven jungen Mann heiratete, der sie glücklich machen und ihr ein achtbares Heim in ihrem Stande bieten wollte - dann wäre alles gut, dann wären alle diese schrecklichen Folgen nicht.Wie konnte Harriet jetzt nur so anmaßend sein, ihre Augen zu Mr. K. zu erheben! Wie wagte sie es, sich zu der Einbildung zu versteigen, sie sei die Auserkorene eines solchen Mannes, und fest daran zu glauben! Aber Harriet war nicht mehr so bescheiden, so zaghaft wie früher. Sie hatte offenbar kein Gefühl dafür, wie wenig sie geistig und ihrer Herkunft nach an ihn heranreichte. (…) Ach, war dies nicht Emmas Werk? Wer anders hatte sich so eifrig bemüht, Harriet Rosinen in den Kopf zu setzen, als sie allein? Wer anders als sie selber hat ihr eingeschärft, sie müsse nach oben streben, sie habe Anspruch auf einen höheren gesellschaftlichen Rang? Wenn die einst so bescheidene Harriet eitel geworden war und hoch hinaus wollte, so war auch dies nur ihre eigene Schuld. (625f)
Als dann schließlich doch eine Bindung unterschiedlichen Standes eingegangen wird, gerät Emma in einen schockähnlichen Zustand, weil diese aus ihrer Sicht und aus der Sicht der Gesellschaft aus der Norm gerät.

Zum Ende hin wendet sich doch alles zum Guten. Da es hier nicht um Action und um gekünstelte Spannung geht, erlaube ich mir, mich kurz über das Ende auszulassen. Wie trivial die Dialoge oftmals geführt werden, möchte ich mit einem letzten Zitat darstellen. Zum Ende hin lassen sich Emma und ihr Gesprächspartner über das Aussehen einer guten Bekannten aus:
"Haben Sie einen solchen Teint gesehen, so klar, so zart? Und doch nicht eigentlich hell. Nein, hell kann man's nicht nennen. Ist es nicht ein ganz ungewöhnlicher Teint und dazu ihre dunklen Wimpern und Haare - eine ganz einzigartige Haut? So einzigartig wie die Dame, die darin steckt. Und nur ein Hauch von Farbe, eben so, dass es schön ist."
"Ich habe ihren Teint immer bewundert", erwiderte Emma, "aber ist mir nicht, als hätten Sie einmal an ihm ausgesetzt, er sei zu blass? Als sie zum ersten Mal von ihr sprachen? Haben Sie das ganz vergessen?" (725)
 Warum verhalten sich Menschen derart?


Mein Fazit:

Natürlich ist es nicht die Autorin selbst, die gerne tratscht und polemisiert, nein, es sind ihre ZeitgenossInnen gewesen, die sich damit ihre Zeit vergeudet haben. Jane Austen hält in ihren Büchern den damaligen Menschen höchstpersönlich den Spiegel vor. Ich bezeichne das Buch schon als eine sehr wichtige Literatur, sozial und gesellschaftskritisch, emanzipiert zugleich, und die Fähigkeit beim Aufzeigen bestimmter Verhaltensmuster der Leute. Das Getratsche der Menschen erfolgte aus meiner Sicht nicht, weil sie von Natur aus so gestrickt waren, nein, sie litten eher an einer krankhaften und notorischen Langweile. Sie hatten einfach zu viel Zeit. Sicher haben sie zu viel Hauspersonal gehabt, die die Arbeiten für sie verrichteten, für die sie sich selbst zu schade fanden. Sie hätten mehr arbeiten sollen, das hilft über die Langeweile hinweg. :-).

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
(Marcel Proust)
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