Samstag, 11. Mai 2013

Jussi Adler Olsen / Das Alphabethaus (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich mit gemischten Gefühlen gelesen. Anfangs fand ich es schon recht spannend und interessant, dann später ließ meine Konzentration nach, als sich die Ereignisse für mich nicht wirklich glaubhaft bzw. lebensecht erwiesen. Das war in dem Lazarettzug, als die beiden englischen Protagonisten James und Bryan, beide Piloten, im Winter 1944 über deutschem Himmel flogen und das Flugobjekt von den SS-Soldaten abgeschossen wurde, und beide mit Fallschirm sich zu Boden retteten. Nun befanden sie sich auf der Flucht, gejagt von deutschen Soldaten, als sie sich in einen Lazarettzug Richtung Westen retteten. Was sie nicht ahnten, war, dass in dem Zug hauptsächlich vom Krieg geschädigte SS-Offiziere lagen. Eigentlich alles hohe Leute, keine gewöhnlichen Soldaten... .

Nun erwiesen sich mir die Ereignisse, wie oben schon gesagt, in dem Zug als wenig glaubhaft. Erst werfen sie einen Sanitäter über Bord, anschließend betraten sie einen Zugabteil, der nicht bewacht war, und warfen zwei tote oder halbtote Offiziere aus dem Fenster, legten sich auf deren Bahre und nahmen deren Identität an, nach dem sie die Krankenakte studiert hatten. Bryan nahm die Identität des Offiziers mit dem Namen von der Lyen, James die von Gerhard Peukard an... .

Bryan und James sind beste Freunde und kennen sich von Kindheit an. Ihre Freundschaft unterzieht sich nun seit dem Sturz auf dem Boden des deutschen Reichs einer schweren Prüfung... . Ohne die Entwicklung zu ahnen, stellt man sich immer wieder als besorgte Leserin die Frage, ob die beiden es schaffen, zusammen zu bleiben... . Sie wurden später in ein Sanatorium für geistig kranke Menschen verlegt. Hier arbeiten alle Ärzte und Pflegekräfte für die SS. Die Kranken wurden Versuchen mit Medikamenten unterzogen... . Aber nicht in der Form, wie ich es mir erst ausgemalt hatte. Ich dachte schon, dass die Menschen dort  bis zu ihrem Tod gequält werden würden, wie z.B. die Entfernung von Organen, etc. ... .
Der Öffentlichkeit blieb das Schicksal dieser Patienten meist verborgen, denn eine SS - Offizier konnte einfach nicht Kai geistesgestört aus dem Krieg zurück kehren. Das hätte die Größe des Dritten Reiches beschmutzt und nicht zuletzt unvorhersehbare Konsequenzen für das Vertrauen in die Meldung von der Front gehabt. Nichts durfte in der Bevölkerung Zweifelsfällen hinsichtlich der Verwundbarkeit seiner Helden. Die Familien der Offiziere wären entleert, das hatte der Sicherheitsoffizier den Ärzten immer und immer wieder eingeschärft. Und: ein toter Offizier war alle Mal besser als ein Skandal. (103)
In dem Sanatorium, mit dem Namen Alphabethaus, befanden sich Kranke, die als Simulanten entlarvt wurden. Diese sind im Beisein der anderen Patienten zur Abschreckung hingerichtet worden. Gnadenlos... . Sie galten als feige Kriegsdienstverweigerer .. . Bryan und James mussten gut ihr Spiel spielen, wenn sie als Simulant nicht durchschaut werden wollten. Und sie spielten ihr Spiel gut, doch außer sie selbst gab es noch drei weitere. Die drei anderen machten sich über James und Bryan her, es entwickelte sich eine Art Mobbing mit schwersten Folgen, die tödlich enden konnte. Damit verbunden begann ein potentieller Kampf ums Überleben in dreifacher Wirkung. Vor allem das Bockengesicht  Kröner machte sich über die beiden her, wissend oder ahnend, dass James und Bryan nicht zu den Kranken gehörten. Die Absicht, sie aus dem Verkehr zu ziehen, entwickelte sich dadurch in der Vermutung, dass James und Bryan die Wahrheit dieser drei Kiegsverbrecher kennen würden, und sie diese verraten könnten... .
Das Verhalten Kröners und seiner Kumpane war also völlig logisch gewesen, denn sie wussten genauso gut wie Bryan, was mit entlarvten Simulanten passierte.Dann war aber auch Schluss mit der Logik. Vor ihm saß ein Mensch, für den diese Dinge keine Bedeutung mehr haben konnten. Warum sollte er für längst vergangene Geschichten sein Leben aufs Spiel setzen? Was konnte man ihm jetzt noch anhaben? Bryan sah ihn an. (370)
Bryan gelang die Flucht aus der Anstalt und ließ James zurück. James litt durch die Mediakmentisierung und den Elektroschocks unter Apathie und Bryan konnte nicht länger warten, bis er sich erholte. Es war sehr ungewiss, ob sich James jemals erholen würde.

Die Flucht aus der Anstalt hatte mich auch nicht überzeugt, wenn man bedenkt, dass draußen überall SS-Soldaten zur Wache standen und die Anstalt mit Stachelzaun umgeben war... .

Einen Zeitsprung, man befindet sich im Jahre 1972. Bryan hatte mittlerweile geheiratet und eine Familie gegründet, wurde Arzt und war im Forschungssektor in der Herstellung von Medikamenten tätig. Er war wohlhabend und lebte gut, wäre da nicht das Trauma der damaligen Zeit mit den Nationalsozialisten gewesen. Gewissengeplagt gegenüber seinem Freund James begibt Bryan sich auf Spurensuche, reist nach Deutschland, nach Freiburg, in der Hoffnung, seinen Freund lebend wiederzufinden. Er fühlt sich als Verräter, damals ohne seinen Freund die Flucht ergriffen zu haben.

James befindet sich noch immer in den Klauen seiner Übeltäter. Kröner & Co haben es zu Geld gebracht, ein Sanatorium gegründet mit unsauberen Geschäften u. a. m. Als SS-Offiziere galten sie als Kriegsverbrecher, laufen noch immer mit falscher Identität herum, haben noch immer Angst. James könnte sie ausliefern. James war für Kröner und ganz besonders für Lankau kein richtiger Mensch mehr:
Der Depp war fast so was wie ein Haustier für ihn. Ein Maskottchen im Käfig. Ihr Kätzchen, ihr Äffchen. Einzig Lankau hatte das in all den Jahren gesehen. (392)
Dieser Treubruch Bryans gegenüber seinem Freund bereitete ihm selbst nach achtundzwanzig Jahren Kriegsende seelische Schmerzen. Ob es ihm gelingt, seinen Freund zu finden und diesen Treuebruch wieder gut zu machen, lasse ich hier offen... . Das Buch hat mehr als fünfhundert Seiten, seid gewiss, dass zwischendrin noch viel passieren wird.


Mein Fazit:

Was habe ich selbst für eine Meinung, dass Bryan ohne James geflüchtet ist? Mein Urteil fällt als Leserin nicht ganz so streng aus.  Als Leserin hatte ich großes Verständnis für Bryan. Wem wäre geholfen, wenn beide zurückgeblieben wären? Wenn beide ihr Leben ließen? Es war schließlich Bryan, der immer und immer wieder  nach Fluchtwegen gesucht hatte, während James eher passiv blieb. Bryan zeigte sich seinem Freund gegenüber recht bemüht, bis er eines Tages diese Qual in dem Sanatorium nicht weiter ertrug. Er musste fliehen. Auch Bryan stand unter Elektroschocks und dem Medikamenteneinfluss, auch er war dem Mobbing unter den Insassen ausgeliefert.  Aus der Sicht einer Betroffene allerdings würde ich wahrscheinlich anders drüber denken.

Was mich an dem Buch zufrieden gestimmt hatte, war, dass es dem Autor gelungen ist, mich zu überraschen. Viele Handlungen und Geschehnisse waren für mich schwer absehbar, nicht wirklich berechenbar, lediglich der Schluss entsprach ein wenig meiner Vorstellung, in der Überlegung, wie das Buch wohl enden könnte.

Zwischendrin packte es mich wieder und kann sagen, auch wenn meine Erwartungen sich nicht ganz erfüllten, so habe ich das Buch insgesamt dennoch gerne gelesen und empfehle es mit gutem Gewissen weiter.

Dass nicht alles so authentisch war wie ich es mir gewünscht hatte, erlebe ich oft in Krimis / Thriller, wenn die Spannung künstlich erzeugt werden muss, die Protagonisten nicht sterben dürfen, und es dazu noch nach schnellen Lösungen verlangt, wenn neue Aktionen in Kraft treten.

Weshalb sich die Anstalt  Das Alphabethaus schreibt, hat sich mir nicht erschließen können.

Insgesamt gebe ich dem Buch sieben von zehn Punkten!

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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

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