Sonntag, 21. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Buch hat mich gepackt, wie immer bei Fallada, der zu meinen Favoriten zählt, weil ich seine Menschlichkeit so sehr schätze, die er in seinem Leben (Politik und Gesellschaft) so sehr vermisste. 

Ich habe nicht die Absicht, mich besonders lange über das Buch auszutauschen, weil man es irgendwie selbst gelesen haben sollte. Da ist jede Seite wichtig, von Seite eins bis zur letzten Seite. Ich habe mir ein paar wenige Textstellen markiert, die ich gerne besprechen möchte, aber trotzdem wird es so sein, als würde ich diese Textstellen aus dem Zusammenhang herausreißen. Das ist ja eigentlich bei jedem Buch so, aber bei diesem schmerzt es mich besonders... .


Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, beginnt der Ich-Erzähler und Protagonist namens Erwin Sommer von seinen Eheproblemen und von der Zeit, in der die Ehe gut funktionierte, zu berichten. Eine negative Veränderung, besetzt durch Streitereien über belanglose Dinge, brachte die Ehe ins Wanken. Seine Frau Magda sucht für die Eheprobleme die alleinige Schuld bei ihrem Mann. Desweiteren stellten sich schlechte Geschäfte ein. Erwin Sommer war selbständig und betrieb ein Landesproduktgeschäft, das durch einen selbstverschuldeten Fehler rote Zahlen schreiben ließ.


Erwin Sommer litt schwer unter diesem Fehler, desweiteren klagte er über ein mangelndes Selbstbewusstsein. Mit seiner Frau über die schlechten Geschäfte zu sprechen wagte er nicht, aus Angst, es könnten schwere Vorwürfe hageln. Er sehnt sich nach Geborgenheit, nach Liebe, nach einem Schutzraum, und so verflüchtigte er sich in den Alkoholgenuss, und verfällt immer mehr dem Alkohol bis es zur Sucht ausartete. Jeder merkt ihm seine Suchterkrankung an, nur er selber nicht. Er bagatellisiert sie eher.


Seine Frau Magda wird von einem Mitarbeiter ihres Mannes, ein Kaufmann,  über die schlechten Geschäfte unterrichtet, und so nimmt Magda das Geschäft in die Hände und bucht später Erfolge ab... . 


Erwin Sommer selbst gerät immer mehr in den Strudel des Alkohols und dadurch in die Kriminalität. Flieht von zu Hause, sucht sich in einem Russenviertel eine Bleibe, wo er selbst auch hinterlistig betrogen und beraubt wird... . Erwin Sommer kommt in den Knast, da er seiner Frau einen Mord angedroht hatte und sie diese zur Anzeige brachte. Erwin dagegen hatte eine Mordswut auf seine Frau, die ihm Ärzte und Psychiater auf den Hals hetzte, die ihn wegen der Alkoholkrankheit in eine Heilanstalt einliefern wollten. Doch Erwin konnte fliehen... . 


Erwin Sommer wird kurze Zeit darauf von der Polizei gefasst und kommt in Untersuchungshaft wegen Mordandrohung an seine Frau. Hier in den Gefängnishallen hört die Menschlichkeit auf... . Hier wird Erwin Sommer nur noch SOMMER gerufen, den HERR verschluckten die Wärter und das medizinische Personal. Erwin gibt sich große Mühe, versucht sich im Knast zu bewähren, damit er wieder rauskommt, damit sie ihn in die Heilanstalt einweisen, die er als das kleinere Übel glaubte, bis ihn ein Gefängnisinsasse eines Besseren belehrte:

"Was geschieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wochen in die Anstalt zur Beobachtung auf deinen Geisteszustand. Denkst du, die Anstalt ist besser als ein Kittchen? Schlechter ist sie! Alles Drum und Dran ist genau wie hier, Fressen und Arbeit und Wachtmeister, aber du bist nicht mehr mit vernünftigen Menschen zusammen, sondern mit lauter Idioten! Und dann gibt der Arzt sein Gutachten ab, und du kriegst den Paragraphen 51, und das Verfahren gegen dich wird eingestellt. Aber du wirst für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt und deine dauernde Unterbringung solcher Heilanstalt angeordnet, und da sitzt du, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, kein Hahn kräht nach dir, und langsam bist du unter all den Idioten auch ein Idiot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wollen. Wie du mir erzählt hast, hat deine Alte viel fürs Geschäft übrig; dann tut sie das Geschäft und alles, was dir gehört. Du bist dann bloß noch ein armer entmündigter Trottel, und wenn sie dir zu Weihnachten ein Stück Kuchen und eine Rolle Priem schickt, so ist das schon viel…"

Erwin Sommer bekommt es mit der Angst zu tun und bemüht sich nun nicht mehr um Positivpunkte. Er will im Knast bleiben, doch es gelingt ihm nicht, und wird in die Pflege- und Heilanstalt eingewiesen. Was sein Gefängsniskamerad über diese Einrichtung erzählte, stellte sich später als Wahrheit heraus. Von 56 Insassen gibt es keine sechs, die wieder in die Freiheit entlassen werden sollten. 

Mich hat besonders dieser Bereich interessiert. Glücklicherweise hat sich ja mittlerweile viel geändert. Aber ein Alkoholismus wurde damals mit Diebstahl... gleichgesetzt. Die Menschen wurden entmündigt, und selbst Ärzte hatten starke Vorbehalte gegenüber den Insassen, die immer im Unrecht zurückgelassen wurden. Erwin Sommer bettelt seinen behandelten Klinikarzt an:
"Immer war ich anständig, Herr  Medizinalrat, lassen Sie mich wieder unter anständigen Menschen leben. Geben Sie mir eine Chance…"
Die damalige Einrichtung ist mit der heutigen Forensik zu vergleichen, aber die Inhalte, Konzepte haben sich zu Gunsten der Insassen verbessert. Früher gab es keine Sozialarbeiter und Psychologen, die diese Menschen in Haft / auf Station begleitet hatten.
Viele Insassen glaubten, nach der Strafe in die Freiheit zurückkehren zu können, aber man brachte sie in dieses Krankenhaus mit Strafanstaltscharakter (...). Ihre Zurechnungsfähigkeit war vermindert, es fehlten ihnen die notwendigen Hemmungen, sie waren eine Gefahr für die Gemeinschaft: Die Pforten der >Heil< Anstalt schlossen sich hinter ihnen für immer. Hier gibt es Mörder, Diebe, Sittlichkeitsverbrecher, Urkundenfälscher, religiös Wahnsinnige. Die meisten von ihnen verbüßten erst eine längere oder kürzere Strafe ehe sie hierherkamen.

Die Patienten wurden unterernährt und dadurch brachen viele Krankheiten aus. Ich bekam auch als Leserin den Eindruck, dass man diesem Teil der Gesellschaft keine hohe Lebenserwartung gönnte. Viele Patienten erkrankten tatsächlich schwer durch die Mangelernährung. Viele erlagen ihrer Krankheit. Diese Leute wurden nicht mehr wie Menschen behandelt, sondern eher wie unreife Wesen, die entmündigt wurden:



Ich habe auch beobachtet, dass meine Mitkranken, auch die stumpferen, gerne auf dieses >Sie< reagierten. Es gemahnte sie an die Zeit, dass sie noch Menschen waren, wenn niemand ihnen jeden Schritt befahl, jeden Bissen zuteilte, sich am frühen Abend wie kleine Kinder ins Bett schickte. (…) Irgendwelche Gefühle wurden an einem Erkrankten oder Sterbenden nicht verschwendet, und soviel ist richtig, dass unser Oberpfleger ein harter Mann war, der Sentimentalitäten nicht kannte. Die meisten Kranken schienen ihm unnütze Geschöpfe, die doch zu nichts mehr gut waren. Es war schon besser, sie verschwanden von dieser Erde. Und leider hatte er damit nicht einmal  Unrecht.

Erwin Sommer vermisste bei der Anrede das Sie. Als ein Mitpatient ihn Mit Herr Sommer anredete, fühlte er eine Wohltat:

Herr Sommer und >Sie<, das tut mir gut.
Haben wir es auch Falladas Bücher zu verdanken, dass sich hier im Laufe der Zeit auch eine deutliche Wende abzeichnen konnte? (Psychiatrie Ènquete 1970er Jahre).

Zu dem Krankheitsbild eines Alkoholikers möchte ich nicht allzuviel sagen, Fallada kann darüber besser schreiben als ich... . Aber es ist ziemlich differenziert und so ist es vielfach auch in der Realität. Auch Erwin Sommer brauchte lange Zeit, ehe er sich eingestehen konnte, dass er tatsächlich süchtig ist. Seine widrigen Umstände suchte er mehr im Außen als bei sich selbst. Und auch unter seinen Mitpatienten, so waren alle anderen die Kranken, nur er selbst nicht. Völlige Fehleinschätzung, völlige Verzerrung der Selbstwahrnehmung, keinerlei Krankheitseinsicht:



Ich war etwas anderes als die andern Kranken, ich war völlig gesund und hatte alle Aussicht, bald wieder in die Freiheit zu kommen - dieses kleine Wort >Sie< war wie eine letzte Erinnerung an das bürgerliche Leben, in das bald zurückzukehren ich so ersehnte. (…) Schuld-?! Dachte ich. Was habe ich denn Für eine Schuld?! Die bisschen Bedrohung-(...) Für eine Bedrohung kriegt man höchstens ein Vierteljahr! Das ist gar nichts, das kann man überhaupt nicht rechnen! Sie aber machen sie ein Riesensums daraus, sie schleppen mich ins Gefängnis und Heilanstalt, sie neben mir das > Herr< vor meinem Namen Sommer, Wasser geben sie dir als Fraß, und sie veranstalten Verhöre mit mir, als sei ich ein Muttermörder und der letzte der Menschen!
Seine Frau Magda dagegen zeigte auch keinerlei Einsicht, was sie in der Ehe falsch gemacht haben könnte, und schiebt alles in Form einer Tirade auf ihren Mann ab, der sowieso recht labil ist und kaum Selbstwertgefühl besitzt.

Die Gesellschaft, tja auch dort findet Erwin Sommer keinen Halt, auch nicht in seine Alkohol-Göttin aus einer Kneipe, die er regelmäßig besucht, meist wenn er Stütze sucht.


Die Justiz selbst und das Personal der verschiedenen Einrichtungen zeigten sich auch voller Vorbehalte, so nach dem Motto, einmal Täter immer Täter. Einmal Trinker, immer Trinker. 


So, ich mache jetzt hier Schluss. Was den Trinker angeht, so kommen mir keinerlei Gedanken auf, dass Erwin Sommer recht geschieht... , denn so etwas kann wirklich jedem passieren.  

Wegen der Authentizität, die echt gelungen ist, gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Auch deshalb zehn, weil die Schilderungen und Personenbeschreibungen recht differenziert dargestellt wurden und es nicht nur einen Täter oder ein Opfer gab. Irgendwie waren sie alle Täter und manche waren beides, Opfer und Täter zugleich:



  1. Erwin Sommer
  2. Magda Sommer
  3. Die Justiz
  4. Die Gesellschaft
  5. Wächter und weiteres Gefängnispersonal
  6. Die Anstalten
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

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