Sonntag, 12. Oktober 2014

Mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse Oktober 2014

Gestern, den 11.10.2014 bin ich um neun Uhr aus dem Haus, um zur Buchmesse zu fahren. Schon der Darmstädter Bahnhof war voll, der Zug übervoll, viele hatten das gleiche Ziel. Im Zug schaute ich mir nochmals meine Liste an von den Verlagen, die bekannte AutorInnen eingeladen haben. Dieses Jahr hatte ich die Verlage direkt angeschrieben, auf facebook ging das ziemlich leicht, sodass sie mir ihre Veranstaltungskalender zugelinkt hatten.



Im Zug war es noch schlimmer. Eng angeschmiegt mit zig fremden Leuten. Viele mussten bis zum Frankfurter Hauptbahnhof stehen.
Das Stehen hat im Zug schon begonnen. Auch ich stand, und das Stehen setzte sich im Laufe des Tages immer wieder fort, wenn man an Lesungen teilnehmen wollte.

Und wie immer waren auch in diesem Jahr viele maskierte junge Leute unterwegs. Die meisten waren einfach nur bunt. Selten, dass mir jemand begegnet ist, dem die Kostümierung ins literarische Zeitalter versetzt tatsächlich geglückt ist. Das Foto unten gefällt mir recht gut. Eine vornehme Dame aus dem 18. Jhrd.


Aber das Wichtigste ist, dass es Spaß macht. 

Dort angelangt, musste ich mich erst orientieren, auf meinem Plan stand die für elf Uhr terminierte halbstündige Lesung des Kinder- und Jugendbuchautors Paul Maar. Und den wollte ich nicht verpassen. Der Autor wurde vom Oetinger Verlag eingeladen. 



Hier ist er, Paul Maar, der sein Manuskript zum neuen Buch in seinen Händen hält und daraus liest. Das Buch wird erst zum Frühjahr nächsten Jahres gedruckt und veröffentlicht.
Paul Maar ist bekannt von seinen Sams-Geschichten, der kleine rothaarige Kerl mit den vielen Sommersprossen, ein außergewöhnliches Wesen ... 

Der Galimat bildet die Hauptfigur seines neuen Buches. Auch ein fremdes Wesen, wo erst keiner weiß, woher es kommt. 

Ein kurzer Auszug aus der Frankfurter Allgemeine:
Der Galimat (...), der eines Tages bei Jim im Kinderzimmer sitzt, hat eher Pumucklgröße, ist aber nach unseren Maßstäben ebenso ungezogen wie das Sams: Er spuckt gerne auf den Boden. Andererseits besteht der Galimat auf der Höflichkeitsgeste, das letzte Wort seiner Rede doppelt zu sagen. Damit der andere weiß, wann er antworten kann. (...) Jim kann diesen neuen Kumpel gut gebrauchen, weil er ein fotografisches Gedächtnis hat und dazu eine Art Klugscheiß-Tourette. Wenn also jemand einen Begriff gebraucht, muss Jim gleich eine lexikalische Erklärung dazu aussprechen. Das macht ihn in seiner Klasse nicht sonderlich beliebt. Sein Onkel und seine Tante, bei denen er lebt, fördern sein Talent jedoch mittels eines seltsamen Spiels, bei dem er für jede korrekt wiedergegebene Definition eine weitere Scheibe Wurst auf sein Brötchen bekommt.
Paul Maar war mir sehr sympathisch und er schaffte es, die Kinder zum Lachen zu bringen. Nicht nur die Kinder ... Die Großen lachten mit.
Paul Maar scheut keine Fremdwörter in seinen Kinderbüchern, weil er diese spielerisch grammatikalisch in seine Geschichte einzubauen weiß. Zum Beispiel die Mehrzahl von Lexikon? Lexikone? Lexikons? Nein, Lexika. Viele Erwachsene, studierte und nichtstudierte, wissen das nicht einmal und sagen Lexikas, doppelte Mehrzahl.

Ich werde mir das Buch nun nicht kaufen, hätte ich Kinder, dann ja. Es ist aber immer gut zu wissen, was es Neues in der Kinder- und Jugendbuchliteratur so gibt. Zum verschenken von Büchern oder zum weiterempfehlen ...

Paul Maar hatte ein paar Gedichte vorgelesen, die mir auch sehr gut gefallen haben. Den Gedichtband JAguar und NEINguar mit Wortspielereien habe ich mir gekauft.



Paul Maar nimmt sich Zeit für seine jungen und älteren LeserInnen und gibt eine Signierstunde ..., s. Foto unten.




Vor dem Signieren schaute Paul Maar jedem/r LeserIn in die Augen, dann malte er ein Bild und signierte das Buch. Er signierte mit verschiedenen Zeichnungen, in meinem Buch signierte er mit der Zeichnung einer Maus.



Dies war Paul Maar. Ich schaute wieder auf meinen Plan und ich hatte bis zur nächsten Lesung noch etwas Zeit und ging ein wenig durch die verschiedenen Buchstände.

Der nächste Autor war Martin Walser. Merkwürdigerweise musste ich an Siegfried Lenz denken, der kürzlich verstorben ist, und der sicher auch auf die Buchmesse gekommen wäre, um für seine LeserInnen zu lesen. Martin Walser ist nämlich auch nicht mehr jung, schafft es kaum noch, sich alleine auf den Beinen zu halten und man dankbar dafür ist, dass er sich trotzdem die Mühe gemacht hat, zu kommen, um vor seinem Publikum zu lesen.





Auch hier hatte ich einen schlechten Stehplatz und konnte sein Profil nur seitenfrontal aufs Foto bekommen. 

Ein paar Anekdoten musste ich mir aufschreiben, um sie hier in meinem Blog zu verewigen. Der Autor hat über seine drei Tagebücher erzählt und daraus gelesen. Das letzte Tagebuch ist das neueste und die Fortsetzungen der beiden vorherigen, das nun aufgelegt wurde ... Ich kenne die Tagebücher selber nicht. Doch zuerst eine kurze Passage aus der Frankfurter Allgemeine:
"Shmekendike Blumen – Ein Denkmal für Sholem Yankev Abramovitsh” heißt dieses Buch, das eine Dokumentation von Walsers Begeisterung für den Autor ist, der, so erzählt Walser, zunächst auf Hebräisch geschrieben habe, bis ihm klar geworden sei, dass er die Juden so mit seinen Büchern nicht erreiche. Martin Walsers Verhältnis zum Judentum ist ja bekanntlich kein Unproblematisches, aber darum geht es in diesem Buchmessengespräch natürlich nicht – es ist eher eine charmante Plauderrunde zwischen Walser, der das Publikum zu schwärmerischen Lachsalven treibt und Greiner, der sich in seiner Rolle als Stichwortgeber und regelmäßig von Walser freundlich Korrigierter ganz wohl zu fühlen scheint. Die erste Belehrung betrifft den Titel des Buches: “Shmeken” auf Jiddisch bedeutet nämlich ebenso wie im von Walser mit Hingabe praktizierten Alemannisch “Riechen”. Das kennt man auch aus dem Schweizerdeutschen. “Du schmeckst gut.” bedeutet also “Du riechst gut.” Und Walser sagt, er habe mit diesem Titel auf die “liebenswürdige wie schwerwiegende Herkunft ” des Jiddischen hinweisen wollen. Jiddisch sei ein deutscher Dialekt. Das bringt ihn dann später zu dem Ausspruch, das “Wahnsinnige” in “unserem schuldigen Mitmachen” (beim Judenmord) zeige sich ja “vollends” darin, dass man “Menschen umgebracht habe, die Deutsch sprachen.”
Passend dazu brachte er das Publikum zum Lachen, obwohl der Hintergrund ein ernster ist. Walser zeigt immer wieder, wieviel Humor er hat:
Ich bin die Asche einer Glut, die ich nie war. 
Solche wie mich verachte ich, mich aber nicht.  
Der Moderator stellte ihm die Frage, wie er seine Bücher schreiben würde? Mit Hand? Mit Schreibmaschine? Mit PC?
Nein, mit Hand und "ich muss auf dem Tisch liegen, um zu schreiben". 
Alles hat gelacht, jeder hat sich wohl den schweren Walser liegend und schreibend auf dem Schreibtisch vorgestellt.

M. W. gab keine Signierstunde. Niemand wollte ihn noch zu sehr beanspruchen. Ich war einfach nur froh und dankbar, dass ich ihn überhaupt erleben durfte.

Die nächste Autorin, die sich für ihre LeserInnen die Zeit nahm. Es ist die Kriminalautorin Ingrid Noll mit ihrem neusten Werk Hab und Gier. Das Buch ist allerdings im Diogenes Verlag schon seit Februar 2014 auf dem Markt. Trotzdem ist es noch ihr neustes Buch.


Den Moderator fand ich auch recht witzig, der Ingrid Noll als die Mörderin vorzustellen wusste , die die meisten Morde begangen habe, hihihi ...

Im folgenden der Klappentext ihres Buches, aus dem sie gelesen hat:
Der kinderlose Witwer Wolfram macht seiner ehemaligen Kollegin Karla ein Angebot: Wenn sie ihn pflegt bis zu seinem Tod, vermacht er ihr sein halbes Erbe, bringt sie ihn wunschgemäß um, sein ganzes, eine Weinheimer Villa inklusive ... Die Ruhe der Rentnerin Karla ist dahin. Lange schon hatte die Bibliothekarin Karla vom Rentnerdasein geträumt: sich zurücklehnen und endlich in Ruhe selber lesen. So gibt sie mit 60 ihren Job in der Stadtbücherei auf. Mit einigen Kollegen hält sie lose Kontakt - bis zu einer folgenschweren Einladung. Beim »Gabelfrühstück« macht ihr der kinderlose Witwer Wolfram todkrank ein Angebot: Falls sie sich um seine Beerdigung und die Inschrift auf seinem Grabstein kümmert, erbt sie ein Viertel eines Vermögens. Pflegt sie ihn bis zu seinem Tod, erbt sie die Hälfte. Und bringt sie ihn wunschgemäß um, bekommt sie alles, eine Villa in Weinheim inklusive ... Die Ruhe der Rentnerin ist dahin.
Die Autorin würde in der Regel nur Menschen umbringen, die sie partout nicht leiden könne. Sie hetzt die Figuren gegeneinander auf, bis es zum Knall kommt. I. N. beklagt allerdings, dass die Figuren nicht immer das machen, was sie gerne möchte ... Und das deprimiert sie manchmal ;).
Es gibt kein reines Happy-End, aber sie bestraft ihre Täter schon, allerdings nicht mit Zuchthaus, sondern in Form von Krankheit, oder anderes.

Da ich selbst gar keine Krimis gerne lese, die meisten sind einfach nur grottenschlecht, sind mir zu gekünstelt, in dem eine Spannung hineininsziniert wird, die mir so unwirklich erscheint. Und so hat mich Ingrid Noll auf ihr Buch neugierig gemacht, denn ich glaube, dass die Handlungen bei ihr wesentlich authentischer geschrieben sind.



Eine letzte Frage wurde der Autorin gestellt:
Wen werden Sie als nächstes umbringen?Antwort: Habe es schon getan. Möchte aber nicht mehr verraten. 
Einfach köstlich. Lässt vermuten, dass ihr nächstes Buch schon geschrieben ist und sich in Bearbeitung befindet. 
Auch Ingrid Noll gab eine Signierstunde ...

Ich bekam das Buch auf der Messe von dem Diogenes Verlag aus besonderen Gründen geschenkt. Sozusagen ein Diogenes Dedikationsexemplar, s. unten. Ich wollte das Buch erst am Stand kaufen, aber ich kam zu spät, denn Ingrid Noll las in der Halle 3.1. Ihre Bücher waren allerdings in der Halle 3.0 ausgestellt. Ich hätte früher kommen sollen, lt. der Mitarbeiterinnen. Das hätte man nur wissen müssen und so frage ich mich, warum die Verlage ihre AutorInnen nicht dort lesen lassen, wo deren Bücher auch ausgestellt sind?  Nach der Lesung wurden nämlich keine Bücher mehr von der Autorin verkauft. Und so hatte mir dann der Verlagschef Daniel Kehlmann das Buch einfach geschenkt und ich konnte schließlich doch noch eine Signatur bekommen. Dafür bin ich auch sehr, sehr dankbar. Ich musste aber versprechen, das ist die Bedingung dieses Dedikationsexemplars, ;) dass ich das Buch in dreifacher Weise verschenken würde. Also, dreimal einkaufen und dreimal verschenken. Kein Problem, da ich sehr gerne Bücher verschenke. siehe Fussnote 1 unten:

Das Buch landet auf meinem kleinen SuB, mit dem Ziel, es bald lesen zu können. Es wird mich immer an die diesjährige Buchmesse erinnern und das Kennenlernen dieser sympathischen Autorin, die sich ebenfalls Zeit für ihre LeserInnen genommen hat. 

Ich würde am liebsten allen drei AutorInnen persönlich nochmals danken. Ich erinnere mich an die Buchmesse aus dem letzten Jahr. Die meisten bekannten AutorInnen lasen nur für ihre Fachkreise. Ich hatte mich daraufhin bei den Verlagen beschwert, da schließlich wir, die normalen Leute, die potentiellen LeserInnen sind. 

So, mittlerweile war es schon 15:00 Uhr vorbei und so machte ich mich auf den Weg, das Gastland Finnland aufzusuchen, worauf ich mich über viele Monate zuvor schon sehr gefreut hatte. 

Ein wenig war ich enttäuscht. Verglichen zu den Vorländern der letzten Jahre kam mir Finnland ein wenig spärlich vor. Zu wenige Projekte, was das Vorstellen ihrer Kuluren betreffen? Nein, so im Nachhinein würde ich sagen, dass die Finnen nur sehr bescheiden waren. Sie haben sich mehr auf ihre Gedichte und der Pädagogik beschränkt. Es wurden AutorInnen eingeladen, die in mehreren Sprachen ihre Gedichte vorgetragen haben. Der Fokus war demnach auf Gedichte gelegt, die ich selbst auch sehr schön fand. 

Nicht nur mir haben die Gedichte gefallen. Anderen auch. Die Gedichtbände waren nämlich schon vergriffen, konnte mir keins mehr kaufen.

Finnland ist für die besondere Pädagogik seines Nachwuchses bekannt. Die Finnen legen sehr viel Wert auf die Förderung aller Kinder. Auch die Kinder von Migranten gehören dazu. Finnland ist ein sehr kleines Land und kein Kind darf ihnen verloren gehen. Das Land investiert in die Jugend, da die Jugend die Zukunft ist, das heißt, sie sind die Arbeitskräfte von morgen, die das Land wirtschaftlich vorantreiben ...
Deshalb geht es nun ins Kinderzimmer:






Auf dem Foto rechts befinden sich an den Rändern der beiden Seiten Hebel, die sich hin- und her schieben lassen, damit sich die Figuren auf den Quadraten verändern können. Überall auf den Bildern sind Bücher abgebildet.


Was diese Puppen im Einzelnen symbolisieren, da konnte sich wohl jeder selbst eine Meinung bilden.

Ein Kunstwerk möchte ich gerne noch hinzufügen: Viele kleine, bunte Buntstiftstummel sind zu eine Kette aneinandergereiht. Ich bereue es, dass ich sie mir nicht gekauft habe. Ich hätte sie sicherlich nicht angezogen, aber zum Andenken wäre sie recht nett gewesen, sie immer mal wieder in Händen zu halten. Ein Wertgegenstand, der nicht immer aus Gold oder Silber bestehen muss.

Ich verlasse nun das Kinderzimmer und den Kreativstand und begebe mich an den Buchstand, auf dem viele finnische Bücher lagen, die ins Deutsche übersetzt sind. Eines davon habe ich mir gekauft. Ein Buch von Hannu Rattila mit dem Titel Kontinental Drift.



Und hier der Klappentext
Wenn Familien auseinanderdriften: Gibt es einen Weg zurück?Sie waren beste Freundinnen, Paula und Sara, zwei vernachlässigte Mädchen, die alles teilten, die erste Liebe, die Träume vom Leben, die Wünsche nach Glück. Als Teenager hingen sie auf dem Flughafen Helsinki herum, machten ihre Leidenschaft für fremde Länder und weite Reisen schon bald zum gefährlichen Job – und verloren sich schließlich aus den Augen.Doch dann, Jahre später, beobachtet Sara zufällig, wie ihre ehemalige Schulfreundin, hochschwanger und in Handschellen, aus einer Iberia-Maschine in einen Grenzschutzbus geführt wird. Was sie nicht weiß: dass man Paula in die Psychiatrie bringt und dass sie von dort bald verschwinden wird. Wenig später erhält Paulas Mutter Pirjo per Email Tagebücher zugesandt. Es dauert eine Weile, bis sie das eigene Kind darin erkennt. denn die Verfasserin bezeichnet sich nach einer Figur in Twin Peaks als Laura Palmer. Als Pirjo das begreift, macht sie ihren früheren Mann ausfindig, Johan Lampen, Offizier der Küstenwache, der sich vor Jahren dazu entschieden hat, keine Rolle im Leben seiner Tochter spielen zu wollen. Nun begibt er sich auf die weltweite Suche nach ihr – um wieder zusammenzuführen, was vor Jahren aufgrund von Missverständnissen und Sprachlosigkeit auseinanderdriftete wie vor Urzeiten die Kontinente .
So, ich habe mit dem Buch in der Tüte Finnland wieder verlassen und machte mich auf den Weg nach Hause. Unterwegs dahin wurde ich von einer anderen Besucherin angehalten mit der Bitte, das Motiv auf der Tüte fotografieren zu dürfen. Mir war das Motiv noch gar nicht aufgefallen, da es sich auf der anderen Tütenseite befand.

Als sie fertig mit dem Foto war, nahm ich das Motiv auch ins Visier. Und es ist tatsächlich von der Idee her ein beachtenswertes Motiv.

Am Bücherstand wurde ich erst gefragt, ob ich eine Tüte haben wollte. Da mein Rucksack vollgestopft war, bejahte ich die Frage, und ich im Nachhinein ganz froh über den vollen Rucksack war, sonst hätte ich die Tüte abgelehnt.


Mit dieser Tüte hatte ich den Eindruck, dass ich von dem Beginn der Buchmesse bis zum Ende richtig beschenkt wurde. Ich hatte eine Welt betreten, die so völlig anders ist, als die meines Alltags.

Adieu, adieu an alle, die gestern und auch heute noch auf der Buchmesse verweilten. Ich war heute in Gedanken bei der Buchmesse.

Alle Jahre wieder. Das ist ein Trost, wobei ich die Frankfurter Buchmesse nicht wirklich für besucherfreundlich halte. Aber dadurch, dass ich drei bedeutende AutorInnen erleben durfte, entschädigt das schon alles. Im nächsten Jahr ist Indonesien der Ehrengast.


So, heimwärts geht´s. Gegen 18:00 Uhr war ich recht müde zu Hause eingekehrt. Ich habe mit meiner Bücherfreundin Anne telefoniert, und über meine Erlebnisse berichtet.

Schön fand ich auch, dass viele aus meinem Bekanntenkreis die Buchmesse im Fernsehen mitverfolgt haben, und sie alle an mich denken mussten. Nicht jeder wusste, dass ich tatsächlich dort war, aber sie konnten sich das einfach denken, sogar meine Mutter war in Gedanken bei mir, die mit so etwas gar nichts zu tun hat.

Was hat mir an der Buchmesse nicht gefallen? Dass man untersucht wurde, Taschen und Rucksäcke, ob man spitze Gegenstände bei sich tragen würde.
Ich stellte die Frage, ob sich hier TerroristInnen oder FundamentalistInnen  aufhalten würden?

__________
Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)







Samstag, 11. Oktober 2014

Gail Tsukijama / Die Straße der tausend Blüten

Klappentext
Tokio 1939. In der Straße der tausend Blüten wachsen zwei Brüder ohne ihre Eltern auf, liebevoll umsorgt von ihren Großeltern. Wie diese träumen sie von einer Zukunft, die fest in den Traditionen des alten Japan verankert ist. Doch bald bricht im Land eine neue Zeit an, in der es keinen Platz mehr für die alten Werte zu geben scheint. Werden Hiroshi und Kenji ihren Weg in einer veränderten Welt finden? 


Autorenporträt
Die Autorin ist in San Franzisko geboren, wohnt derzeit in Kalifornien. Die Mutter ist Chinesin, der Vater Japaner. 
Das Buch ist im Handel nicht mehr verfügbar. Nur noch antiquarisch.

Ich selbst habe das gebundene Buch recht preisgünstig  im Restseller-Laden Jokers erhalten. Die Autorin ist mir unbekannt.


Freitag, 10. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha ( 7)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4

Siebte von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre

Es hat sich wieder viel Stoff angesammelt, werde aber stark raffen. Konzentriere mich hier hauptsächlich auf die Beziehung zwischen Albertine und dem Icherzähler Marcel. Kurz gehe ich auf zwei weitere Figuren ein, die in diesem Band viele Seiten gefüllt haben, und ich mir sicher bin, dass sie in den Folgebänden wieder auftreten werden.

Die Figur, die mir im vierten Band besonders sympathisch war und die mir am intellektuellsten erschien, ist der Baron Charlus. Ein sensibler Mensch, der sich tatsächlich um vieles Gedanken zu machen weiß, obwohl er es in der Gesellschaft als Homosexueller nicht einfach hat, akzeptiert zu werden. Er zeigt sich recht modern und aufgeklärt in seiner Menschen- und Weltanschauung; bunte Kleider zum Beispiel wurden allgemein eher als geschmacklos empfunden, die bei einigen anderen im schlimmsten Fall sogar hurenhafte Assoziationen hervorrufen. Ein kleiner Abriss aus einer Konversation zwischen Monsieur Brichog, Monsieur Charlus, Madame de Cadignan und Monsieur M. Proust.
>>Also welche Bedeutung hat das schon für uns, die wir weder über das Privileg verfügen, darin spazieren zu gehen, noch jene Dame kennen, noch Adelstitel führen?<< Brichot nämlich ahnte nicht, dass man sich für ein Kleid und einen Garten wie für ein Kunstwerk interessieren kann und dass Monsieur de Charlus die kleinen Gartenwege der Madame de Cadignan wie in der balzacschen Novelle vor sich sah. 
Das war wieder ein wunderschönes Zitat.

Und die Figur, die mir partout nicht sympathisch war, das ist der Geiger Morel, auch wenn Monsieur Charlus sehr um den Kontakt mit ihm bemüht ist. Er sieht Morel gerne, schätzt ihn, fördert ihn in seiner Musikkunst, etc. Erst glaubte ich, dass Charlus sich sexuell zu ihm hingezogen fühlt, doch diesen Verdacht fand ich noch nicht bestätigt.
Morel versucht sich öffentlich gut darzustellen, und doch tritt auch er als Geiger ins Fettnäpfchen und sich in die peinliche Lage bringt, zwei bedeutende französische Virtuosen miteinander zu verwechseln.
Morel ist hauptsächlich bei Madame Verdurin sehr beliebt, die seine Musik liebt, und jede musikalische Panne gelassen hinnimmt.

Morel zeigt Probleme im Umgang mit Proust, der ihn aufgrund seiner Herkunft nicht zu achten weiß, da Proust nur ein Bourgeoise ist. Doch Proust zählt ihm auf, mit welchen bedeutenden Leuten der Vater verkehren würde. Morel imponiert das partout nicht.

Damit zeigt der Autor, dass ihm eine gute gesellschaftliche Stellung auch wichtig ist, und er sich bemüht, in den höheren Kreisen dazuzugehören. Aber er gehört dazu, denn er ist insgesamt recht gefragt und beliebt, fast allen Angehörigen der gehobenen Gesellschaft ist es wichtig, dass er an den gesellschaftlichen Veranstaltungen regelmäßig teilnimmt. Die Soireen und die Mattinees finden in der Häufigkeit statt, zu vergleichen mit einem Menschen, der berufstätig ist. Die einen gehen zur Arbeit, andere besuchen gesellschaftliche Aktivitäten. Die Teilnahme daran wird von einem erwartet, gehört zum täglichen Pflichtprogramm dazu. 
Man muss beobachtet haben, wie der Arzt Cottard (…) nach außen zu einer festen Haltung gelangt war, und wissen, aus wie viel Liebesverdruss, wie vielen Niederlagen ihres Snobismus der scheinbare Hochmut und allgemein unterstellter Antisnobismus der Fürstin Scherbatow sich entwickelt hatte, um zu verstehen, dass innerhalb der Menschheit die Regel-von der es natürlich Ausnahmen gibt-darin besteht, dass die harten Menschen Schwache sind, die keine Gegenliebe gefunden haben, und nur die Starken, die sich eben keine Gedanken darüber machen, ob man sie mag oder nicht, jene Sanftmut aufbringen, die der gemeine Mann für Schwäche hält. 
Das ist auch ein schönes Zitat, mit viel Weisheit umhüllt.
Man verstößt lieber ein Familienmitglied, wenn es den familiären und den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entspricht, als das Gesicht in der Gesellschaft zu verlieren. Habe das schon in allen Gesellschaftsschichten beobachten können, sowohl im Inland als auch im Ausland.

Vielleicht für mich noch einmal zu dem vierten Band grob zusammengefasst:
Sodom und Gomorrha werden als die Sexualität der Männer (Sodom) und die der Frauen (Gomorrha) dargestellt. Mit beiden Arten setzt sich der Autor und Icherzähler Marcel Proust ausführlichst auseinander, und nach meiner Beobachtung und Einschätzung ist er nirgends wirklich glücklich. Lt. meiner Recherchen ist es ihm nicht geglückt, Liebesbeziehungen zu halten, geschweige denn sich mit einem Mädchen zu vermählen. 

In eine der letzten Buchbesprechungen hatte ich geschrieben, dass Proust von seinen Müttern nicht wirklich abgenabelt ist und fühle mich aus den Begebenheiten vieler Szenen auch bestätigt, s. Beispiel mit Madame de Guermantes weiter unten. Des Weiteren fällt mir auf, dass männliche Familienangehörige so gut wie keine Rolle spielen. Der Vater war mal kurz im ersten Band präsent, der seiner Frau riet, mit Marcel ein wenig strenger in der Erziehung vorzugehen. Nicht, weil der kleine Marcel untadelig war, nein, weil er mütterliche Liebkosungen zwingend einzufordern wusste. Im ersten Band gab es folgende Szene, die ich gerne wieder aufschreibe: Die Eltern hatten bis spät in die Nacht Gäste bei sich. Marcel wurde zeitig ins Bett geschickt, ohne einen Gutenachtkuss, da die Mutter mit den Gästen beschäftigt war. Marcel plagte dadurch die Schlafstörung. Als die Gäste schließlich gegangen waren, lauschte der kleine Marcel, ob seine Mutter nun endlich nach oben kommen würde, um ihm einen Gutenachtkuss zu geben. Die Kinderzimmertür hatte er leicht geöffnet gehalten. Als die Eltern mitbekommen hatten, dass der Junge noch nicht schlief, weil er keinen Gutenachkuss bekommen hatte, zeigten sich beide, Vater und Mutter, Marcel gegenüber verärgert ...
Der Junge genoss eine exzessive, wohlbehütete Kindheit.

Im erwachsenen Leben zeigen sich gehäuft Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen, doch ganz speziell Frauen/Mädchen gegenüber. Er erkennt, dass er oftmals Phantomen nachjagt. Kreaturen, die nur in seiner Einbildungskraft existieren, die er quasi in reale Wesen hineinprojiziert.
Er läuft Frauen / Mädchen hinterher, diese Szenen werden auch im ersten Band dargestellt. Damals hatte er sich in Madame de Guermantes verliebt, die vom Alter her seine Mutter hätte sein können. Er spürte ihre Gehwege auf, mit dem Ziel, ihr öffentlich zu begegnen. Heute würde man dafür den Begriff Stalking gebrauchen. Madame de G. hatte sich von ihm belästigt gefühlt. Natürlich sollte dies unauffällig sein, doch sie kam ihm recht schnell auf die Schliche.
Albertine und Madame de Guermantes bekamen für mich die tiefe Monotonie, die allegorische Bedeutung einer Art von Linie, der mein Charakter stetig folgte. Es war natürlich, aber trotzdem nicht gleichgültig; sie erinnert mich daran, dass mein Schicksal es war, immer nur Phantome zu verfolgen, Wesen, deren Wirklichkeit zu einem guten Teil nur in meiner Einbildungskraft bestand; es gibt tatsächlich Wesen - und das war bei mir seit meiner Jugend schon so; für die alles, was einen festen, von anderem feststellbaren Wert besitzt, Vermögen, Erfolg, hohe Stellungen, überhaupt nicht zählt; was Sie brauchen, sind Phantome. Um ihretwillen opfern sie alles Übrige, setzen sie alles ins Werk, alles tritt für sie hinter der Begegnung mit einem solchen Phantom zurück. Dieses aber braucht nicht lange, um wieder zu entschwinden; dann läuft man einem anderen nach, um schließlich zu dem früheren zurückzukehren. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich um Albertine bemühte, das Mädchen, das ich im ersten Jahr vor dem Meer erblickt hatte. 
Zurück zum Liebespaar Marcel und Albertine.

Marcel lädt Albertine dazu ein, gemeinsam mit ihm von Balbec aus nach Hause, zurück nach Paris zu reisen - Albertine zeigt sich zurückhaltend, da es sich nicht schickt,  als junges Mädchen alleine mit einem jungen Mann sich auf Reisen zu begeben. Sorgen macht sie sich um ihre Tante, die das nicht für gut heißen würde. Es würde Gerede geben, das die Tante enttäuschen würde. Proust schlägt ihr vor, sich als seine Cousine auszugeben oder aber auch sich als ein fast verlobtes Paar zu bekennen.
Sie äußert weiterhin Bedenken:
„Würde es nicht merkwürdig aussehen, wenn ich bei Ihnen wohnte? Und in Paris wird man ja wissen, dass ich nicht Ihre Cousine bin."
„Gut! Dann sagen wir eben, wir seien so gut wie verlobt. Was macht das, wo sie doch wissen, dass es nicht stimmt?" Der Hals Albertines, der ganz auf ihrem Hemd hervortrat, war mächtig, golden, kräftig gekörnt. Ich küsste sie in so einer Weise, wie ich meine Mutter geküsst hätte, um einen Kinderschmerz zu beschwichtigen, von dem ich damals glaubte, ich werde ihn niemals aus meinem Herzen reißen können. 
Auch hier finde ich erneut die Assoziation mit den Küssen seiner Mutter aus den Kindertagen. In den letzten Buchbesprechungen beschrieb ich die visuelle Szene mit den Küssen auf den Mund seiner Großmutter, die ich als die zweite Mutter bezeichnet hatte. Ebenso der großmütterliche Schmerz, der weggeküsst werden sollte, kommt auch hier in seiner Beziehung zum Tragen. Diese sind, auf Albertine bezogen, alles andere als Liebesküsse.

Immer wieder erlebe ich ihn in den Beziehungen zu Frauen recht ambivalent und widersprüchlich. Er selbst schreibt von einem zerrissenen Herzen, in das Albertine hervorzudringen vermochte.
Hundert Jahre hätte ich suchen können, um herauszufinden, wie die Pforte, die sich hinter ihr schloss, sich noch einmal wieder öffnen ließe. Jener Worte hatte ich eine kurze Weile nicht mehr gehört, solange Albertine eben bei mir war. Während ich sie küsste, wie ich meine Mutter in Combray geküsst hatte, um meine Angst zu beschwichtigen, glaubte ich beinah an die Unschuld Albertines, doch dachte ich wenigstens nicht mehr unablässig an die Entdeckung ihres Lasters.
Aus meiner Sicht klingt das ein wenig neurotisch. Ist er durch die Mütter zu sehr verweichlicht? Zu viel Mutterliebe kann eben auch ähnliche Symptome hervorrufen, wie bei einem Menschen, dem die Mutterliebe in seiner frühkindlichen Entwicklung gefehlt hat.
Albertines Laster? Hier spricht wieder der Marcel in seinem Wahn nach Vollkomenheit, der sich eine perfekte Welt wünscht, in der sich perfekte Menschen bewegen.

Die Mutter befürwortet die Beziehung mit Albertine nicht. Marcel würde mit ihr unnötig zu viel Geld veräußern und außerdem sei er durch sie innerlich recht aufgewühlt und unruhig. Er beendet die Beziehung.

Proust ist ein Träumer, imaginiert immer wieder romantische Liebesszenen, die er in Wirklichkeit nicht zu leben weiß. Darauf seine Mutter, die ihren Schützling vor Liebeskummer weinend vorfindet:
>>Nun<<, sagte meine Mutter, >>hast mir nichts Schlechtes über sie gesagt, sondern nur, sie langweile dich ein wenig und du seiest ganz froh, dass du den Gedanken an eine Heirat mit ihr aufgegeben hast. Das ist doch kein Grund, so sehr zu weinen. Bedenke, dass deine Mama heute abreist und schrecklich traurig wäre, wenn sie ihren großen Jungen in diesem Zustand zurücklassen müsste.<< 
Wenn ich dieses Zitat lese, dann bekomme ich den Eindruck, eine Mutter spricht zu ihrem kleinen Jungen, wenn ich nicht wüsste, dass der Kleine schon längst erwachsen ist ...
Überrascht war ich schließlich am Ende des Buches über eine Wende, auf der letzten Seite, mit der ich nicht gerechnet hatte, als Marcel der Mutter verkündet:
Ich heirate Albertine.
Demnach muss er die Beziehung wieder neu aufgenommen haben. Aber, wie oben schon geschrieben, werden diese Heiratsabsichten nur Absichten bleiben, da er dafür die seelische Reife einfach nicht aufbringen kann.
Nun habe ich genug von der Beziehung(sunfähigkeit) zwischen Marcel und Albertine geschrieben.

Dies ist meine letzte Buchbesprechung zum vierten Band Sodom und Gomorrha, mit dem Proust die damaligen Homosexuellen arg schockiert haben soll ...

Wenn alles gut geht, werde ich im Dezember mit dem fünften Band fortfahren, Den sechsten hatte ich aus persönlichen Gründen vorziehen müssen. Ich komme leicht wieder rein, wenn ich mir meine Notizen herauskramen werde.

__________
„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

Gelesene Bücher 2014: 68
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Mittwoch, 8. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (6)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Sechste von sieben Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ein paar Vorgedanken ...

In einer Literaturzeitschrift hatte ich mal vor mehreren Jahren gelesen, dass in den Werken Auf der Suche nach der verlorenen Zeit über tausend Figuren existieren würden. Dies hatte mich dermaßen abgeschreckt, weil ich unmöglich über diese tausend Personen schreiben, geschweige denn mir alles behalten kann. Dies war wohl der Grund, weshalb ich von Proust erst genug hatte. In mir spürte ich zu diesem Zeitpunkt eine innere Bremse. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um es nun neu zu wagen, allerdings habe ich meinen Anspruch etwas heruntergeschraubt. Ich lese Proust auf meine Weise, und z.B. nicht auf die Weise von Literaturwissenschaftlern. Ich ziehe für mich das Beste heraus. Trotzdem habe ich die tausend Leute im Hinterkopf und stehe ein wenig unter dem Zwang, mir so viel wie möglich von diesen tausend Leuten zu behalten oder gar aufzuschreiben ...
Und ich mache gerne eigene Entdeckungen, und lasse mich nicht gerne von Sekundärliteratur leiten und beeinflussen. Wie sagen Prousts Leute? Ein Original zu sein ist besser als eine Kopie. Diesen Anspruch hab ich, wenn ich über meine gelesenen Bücher schreibe. Natürlich gebrauche ich auch Lexika, aber sie werden nicht zu meinen Hauptlektüren gemacht. 

Weiter geht´s.
Am letzten Montag, dem sechsten Oktober, habe ich ein paar Sätze zu Prousts Wach- und Traumzustand geschrieben. Hundertfünfzig Seiten weiter entdecke ich eine so schöne bildhafte Textstelle, in der sich Proust zu diesen beiden Bewusstseinszuständen selbst äußert. Ich muss diese Textstelle unbedingt aufschreiben, sie geht mir sonst verloren, da ich nicht vorhabe, die Bände ein zweites Mal zu lesen. Es ist ein wunderschönes Zitat:
Ich trat in den Schlaf ein, der wie eine zweite Wohnung ist, über die wir verfügen und in die wir, nachdem wir die Erste verlassen, uns für die Nacht begeben. Sie hat ihre eigene Läutevorrichtung, und wir werden darin manchmal durch das Geräusch einer Schelle geweckt, das wir ganz deutlich an unserem Ohr vernehmen, obwohl niemand geläutet hat. Sie hat ihre Bedienten, ihre besonderen Besucher, die uns dort zu einem Ausgang abholen, sodass wir uns anschicken aufzustehen, wenn wir mit einem Mal dadurch, dass wir fast übergangslos in die andere Wohnung zurückgewandert sind, die wir im Wachzustand innehaben, genötigt sind festzustellen, dass das Zimmer leer und niemand gekommen ist. Die Rasse, die es bewohnt, gleicht der der ersten Menschen androgyner Natur. Ein Mann erscheint dort nach einer Weile in Gestalt einer Frau. Die Dinge dort haben das Talent, zu Menschen, die Menschen aber das, zu Freunden und Feinden zu werden. Die Zeit, die für den Schläfer während eines solchen Schlafes zerrinnt, ist absolut verschieden von der Zeit, in der er sein Leben als wahrer Mensch verbringt. Manchmal ist ihr Lauf sehr viel rascher, eine Viertelstunde erscheint dann ein Tag zu sein, manchmal auch sehr viel langsamer, denn man meint, nur einen leichten Schlummer getan zu haben, und hat dabei den ganzen Tag geschlafen. Dann fährt man mit dem Wagen des Schlafs in Tiefen hinab, in denen die Erinnerung ihn nicht mehr einzuholen vermag und an deren Pforten der Verstand den Rückzug antreten musste. Das Gespann des Schlafs zieht wie das der Sonne in so gleichmäßigem Schritt dahin, in einer Atmosphäre, in der kein Widerstand es mehr aufzuhalten vermag, dass es eines kleinen von außen kommenden meteorischen Steinchens bedarf (…), und den regelmäßigen Schlaf zu treffen (…) ihn in einer jähen Kurve war unter Auslassung aller Zwischenetappen zur Wirklichkeit zurückzuführen, durch dem Leben schon nahe gelegenen Regionen hindurch-in denen der Schläfer bald die noch ziemlich wirren, aber bereits wahrnehmbaren, wenn auch entstellten Geräusche des Lebens hören kann; und ihn mit unerhörter Plötzlichkeit beim Erwachen landen zu lassen. Man erwacht dann aus solchem Tiefschlaf jeweils in einem Morgengrauen, ohne zu wissen, wer man ist, da man ja niemand ist, vielmehr neu und zu allem bereit, denn das Gehirn ist entleert von jener Vergangenheit, die das dahinter zurückliegende Leben war.
Marcel Proust ist abends oder nachts, wenn er von La Raspéliere zurückkehrt, recht müde, da ihn die vielen Soireen einfach auch anstrengen.
Ginge mir persönlich ähnlich, so viele Menschen um einen herum kosten auch viel menschliche Energie.

Dieser Snobismus, der die Proustbände dominiert, und der sicher auch recht anstrengend ist, ihn zu ertragen, findet man auch unter den einfacheren Leuten. Prousts Zimmerkellner spricht von seiner Schwester, die einen reichen Mann geheiratet hat und sich eine Menge darauf einbilden würde. Proust verteilt oft großzügig Trinkgelder, die von dem Zimmerkellner mit großer Dankbarkeit auf fast unterwürfiger Art entgegengenommen wird, und erzählt ihm von dem Los seiner Schwester:
Guten Abend, mein Herr. Oh! Danke, mein Herr. Wenn alle Leute ein so gutes Herz hätten, gäbe es bald keine Armen mehr. > Aber<, sagt meine Schwester, > es muss immer welche geben, damit ich jetzt, wo ich reich bin, sie gelegentlich anscheißen kann.<
Warum schreibt Proust diese Szene auf? Will er damit deutlich machen, dass Geld den Menschen verdirbt, egal in welcher Kaste er sich befindet?

Endlich erlebe ich eine Szene, in der Proust es schafft, sich der Liebe mit Albertine hinzugeben. Albertine ist allerdings diejenige, die den ersten Schritt wagt, sodass sich beide Liebkosungen hingeben. Doch hatte sie zuvor eine Flasche Apfelwein getrunken. Mut angetrunken? Für eine Frau zur damaligen Zeit war der erste Schritt sehr mutig …
Sie schien dann tatsächlich zwischen uns beiden den Abstand nicht mehr ertragen zu können, der sie gemeinhin nicht störte; unter ihrem Leinenrock drängten ihre Beine sich an meinen, dicht an meine Wangen brachte sie die ihren, die blass geworden war, über den Wangenknochen aber heiß und rot, mit etwas glühendem und Verwelktem, wie es die Mädchen aus den Vorstädten haben. In solchen Augenblicken verwandelte sie fast ebenso schnell wie ihre Persönlichkeit auch ihre Stimme, sie verlor die ihre, um eine andere, heisere, kecke, ja fast gemeine anzunehmen. Es wurde Nacht. Welche Freude war es für mich, sie so dicht neben mir zu fühlen mit ihrem Schal und ihrer Toque, und daran zu denken, dass man immer so, Seite an Seite, alle Liebenden trifft! Ich hegte vielleicht Liebe zu Albertine, wagte aber nicht, sie etwas davon merken zu lassen; wenn also Liebe in mir war, so konnte sie nur die eine Wahrheit ohne Wert sein, bis ich sie durch die Erfahrung hätte wirklich erproben können; so aber schien sie mir nicht realisierbar und auf einer anderen Ebene als mein Leben zu liegen. Was meine Eifersucht betraf, so trieb sie mich dazu, Albertine so wenig wie möglich allein zu lassen, obwohl ich wusste, dass sich völlige Heilung nur finden konnte, wenn ich mich für immer von ihr trennte. Ich konnte Eifersucht sogar verspüren, wenn ich mich neben ihr befand, richtete es aber dann so ein, dass der Umstand nicht wiederkehrte, durch den sie in mir geweckt worden war.
Nun, aber das obige Zitat sagt schon alles. Zeigt die Beziehungsstörungen, die Proust hat und man ist schon darauf vorbereitet, dass die Beziehung mit Albertine scheitern wird. Aber das habe ich schon vorausgesehen. Nach fünf Proust-Bänden lernt man ihn schon kennen, auch intuitiv. Die Eifersucht nimmt ebenfalls krankhafte Züge an. Marcel und Albertine gehen essen, und der Kellner trifft den Blick Albertines.
Ein paar Minuten lang hatte ich das Gefühl, dass man die Person, die man liebt, dicht neben sich und doch nicht bei sich haben kann. Die beiden sahen aus, als befänden sie sich in einem geheimnisvollen Zwiegespräch, das stumm verlief infolge meiner Anwesenheit und vielleicht bereits eine Fortsetzung früherer Begegnungen war, von denen ich nichts wusste, oder auch nur eines Blickes, den er ihr zugeworfen hatte, bei dem ich aber jedenfalls der störende Dritte war, vor dem man sich verbirgt. Selbst als er sich, von seinem Chef energisch zurückgepfiffen, entfernt hatte, schien es, als ob Albertine, während sie weiter aß, das Restaurant und die Gärten keineswegs nur mehr als eine beleuchtete Rennbahn ansah, auf der bald hier, bald da vor wechselnden Dekorationen der göttliche Läufer mit schwarzem Haar wieder erscheinen würde.
Aber das Schöne an Proust ist, ihm sind seine Schwächen auch bewusst …

Ein paar Seiten später erfährt man, dass er von Albertine mit so vielen Küssen bedacht wurde, dass er es schon als ein Vorrat an Küssen betrachten konnte für die Zeit, in der ohne sie war.

Albertine zeigt großes Interesse an der Architektur, sie ist durch Proust auf dieses Interessengebiet gestoßen und bittet Marcel, sich mit ihr Kirchen und Bauwerke anzuschauen. Er konnte ihr den Wunsch nicht erfüllen und lehnte ab, erfand Ausreden, doch der eigentliche Grund war, dass er sich die schönen Dinge nur alleine anzuschauen in der Lage sei.

Mein Verdacht hat sich bestätigt, dass Proust nur mit sich alleine zu tiefen Gedanken fähig ist. Jeder Austausch mit jemand anderen würde ihn geistig und seelisch zu sehr zerstreuen.

Ein anderes Ereignis hat mich ein wenig belustigt. Hat mich amüsiert. Proust erfährt die Begegnung mit einem Gerichtspräsidenten. Sie tauschen sich aus. Der Gerichtspräsident erfährt dabei von Proust die gesellschaftlichen Abendaktivitäten bei den Verdurins in La Raspéliere:
Ah! Sie fahren nach La Raspéliere ! Ich muss ja sagen, Madame Verdurin mutet Ihnen wirklich viel zu mit einer Stunde Eisenbahnfahrt im Dunkeln, nur damit Sie bei ihr zu Abend essen, und dann kommt auch noch die Rückfahrt um zehn Uhr abends bei diesem mörderischen Wind. Da sieht man allerdings, dass Sie offenbar nichts zu tun haben.
Eigentlich geht es diesem Menschen gar nichts an, mit was sich Proust die Zeit vertreibt. Aber inhaltlich gesehen hat er schon recht. Aber Proust weiß dies auch, denn er hat nicht umsonst seinen sieben Bände den Titel Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gegeben.
Prousts Reaktion auf den Gesprächspartner? Klar, sein Gesprächspartner sei einfach nur neidisch, dass er als ein vielbeschäftigter Mensch diese Zeit nicht zur Verfügung stehen habe, um an Soireen teilzunehmen und tat ihn als gedankenlos ab, denn schließlich könne man sonst keinen Hamlet schreiben oder ihn gar lesen ...

Das ist wohl auch wahr, aber diese Leute schreiben ja nicht, und sie lesen nicht wirklich viel, obwohl sie über eine mannigfaltige Bibliothek verfügen … Man bekommt mal mit, dass jemand z.B. ein Buch von Balzac dabei hat, aber doch mehr um zu zeigen, dass er weiß, wer Balzac ist, aber nicht um des Zweckes willen.

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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)


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Montag, 6. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (5)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (4)

Fünfte von sieben Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe nun mehr als die Hälfte durch und es gibt noch immer Klatsch- und Tratschgeschichten bei den vornehmen Leuten, mit denen sie sich ihre Zeit vertreiben, die nicht mehr zurückzuholen ist. Manchmal gibt es Ausnahmen, in dem die Konversationen auch mit Themen wie z. B. der Kunst, Musik, Literatur, Philologie und der Etymologie … betrieben werden. Èmile Zola z. B. war vielen recht unsympathisch, da er in der Dreyfusaffaire involviert war und sich dadurch politisch unbeliebt gemacht hatte und durch eine provokante politische Schrift, die er zur Aufklärung der Dreyfusaffaire publizierte, einen Skandal hervorrief. Zola musste fliehen, um einer Verhaftung zu entgehen. 

Doch auch hier, wenn es um wirklich interessante Themen ging, schaffen es diese vornehmen Leute nicht, länger an einem interessanten Gesprächsstoff zu verweilen und verfallen immer wieder in das alte Gesprächsmuster, in dem sie wieder über andere sich auslassen. Es würde Damen geben, die Mozart nicht von Bach zu unterscheiden wüssten.
Mit der Etymologie befassten sich die Leute ausführlicher, in dem sie französische Namen aus der Pflanzenwelt analysierten. 

Was haben diese Menschen für Erwartungen? Sie befürworten einerseits Menschen mit einer hohen Allgemeinbildung, andererseits aber lehnen sie diese gebildeten Menschen ab, wenn es ihnen nicht gelingt, das Wissen so anzuwenden, dass es sich wie ein Original und nicht wie eine Kopie anfühlt…

Marcel Proust befindet sich wieder auf Reisen. Von Balbec aus fährt er gemeinsam mit anderen Bekannten mit  dem Zug nach La Raspéliere, ein Landsitz in der Nähe von Balbec, um an der Soiree der Madame und des Monsieurs Valdurin teilzunehmen. Die einzige Dame, von der Proust kein schlechtes Bild hat und er ihr sogar sehr wertschätzend gegenübertritt.

Es wird nun wieder über Monsieur de Charlus gesprochen, homosexuell, von dem sich die anderen recht angeekelt fühlen. Noch heute gibt es viele Vorurteile gegenüber sexuell andersorientierten Männern und Frauen, obwohl sich schon so viele Schriftsteller damit befasst haben; und die wird es aus meiner Sicht auch morgen noch geben.
Zudem hat der Homosexuelle, der sich in Gegenwart eines anderen Homosexuellen befindet, nicht nur ein unvorteilhaftes Abbild seiner selbst vor Augen, das sogar bei völliger Lieblosigkeit ihn in seiner eigenen Liebe kränken würde, sondern ein anderes, ein lebendiges Selbst, das in gleicher Weise handelt wie er und also auch imstande ist, ihm in seinem Liebesleben Schaden zuzufügen.
Interessant fand ich auch die Begebenheit eines Kunstprofessors namens Elstir, der wegen seiner stilvoll mit Aquarell gemalten Bilder hoch angesehen ist, und in seinem Atelier viel arbeiten würde, wäre da allerdings nicht seine Frau, die im Gegensatz zu ihm einen schlechten Ruf genießt. Seine Frau wird als schmutzig und wenig ansehnlich bezeichnet, die keinesfalls zum Professor passen würde. Madame Verdurin hatte Elstir die Hochzeit mit dieser Frau erfolglos abgeraten. Madame Verdurin würde keine Frauenzimmer empfangen wollen und ihre Loge sei schließlich kein Stundenhotel …
Böse Worte ...

Doch Elstir brach den Kontakt zu den Verdurins vorzeitig ab. Er war auf deren Gesellschaft nicht angewiesen. 
Sie hatte es ihm gesagt, dass die Frau, die er liebte, dumm, schmutzig, leichtfertig sei und gestohlen habe. Diesmal jedoch war es ihr mit dem Bruch nicht geglückt. Gebrochen hatte Elstir zwar, doch mit dem Haus Verdurin, und er beglückwünschte sich dazu, wie Bekehrte die Krankheit oder den Schicksalsschlag segnen, der sie zur inneren Einkehr auf den Weg des Heils gebracht hat. (…) Denn schon zu den Zeiten, als Elstir dem kleinen Kreis angehörte, kam es vor, dass er ganze Tage mit irgendeiner Frau verbrachte, die Madame Verdurin mit Recht oder Unrecht für eine >>Schnepfe<< erklärte, was ihrer Meinung nach bei einem gescheiten Mann nicht ging.
Marcel Proust selbst ist ein Philosoph, wenn er außerhalb jener Gesellschaft ist, zu Hause, bei sich im Zimmer, auf seinem Bett (das Bett ist ein wichtiger Lebensort für ihn) geht er vielen interessanten Gedanken nach. Die Gedanken sind oftmals so tief, schon fast meditativ, dass er sogar von ihnen träumt, und er im Wachzustand nicht mehr sicher ist, was von seinem geistigen Stoff Traum oder Wirklichkeit ist. Da beides nicht auseinanderzuhalten ist, bezeichne ich persönlich beides als die Wirklichkeit von Proust. Die bewusste und die unbewusste Wirklichkeit ...
Proust denkt viel über die Kunst nach, über die Natur, sogar über die Schlafstörung ...

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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

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Samstag, 4. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (4)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4

Unter Berücksichtigung der Buchbesprechungen dieses Bandes von eins bis drei setze ich die vierte fort. Doch zuvor verlinke ich die drei Buchbesprechungen, die ich vor zwei Jahren geschrieben habe. Mir hatte es an Ausdauer gefehlt, weshalb ich das Buch nicht beenden konnte.

Erste Buchbesprechung

Zweite Buchbesprechung

Dritte Buchbesprechung



Vierte von sieben Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Weiter geht’s. Immer wieder wird man mit der Arroganz der vornehmen Leute wie Fürsten, Barone und Adligen konfrontiert, kurz; die Gesellschaft der Aristokraten, die sich zwischen Abwertung und Vorurteilen den  Mitmenschen gegenüber bewegt. Innerhalb dieser Schichten gibt es durchaus hierarchische oder noch besser gesagt kastenförmige Unterschiede, trotzdem haben alle eines gemeinsam: Es wird überall abgelästert. Jede Schicht stellt sich über die andere. Und immer wieder nimmt man an den gesellschaftlichen Konversationen teil, an den Soirees, die eher oberflächlich verlaufen. Diese Leute tun nichts anderes als reden, reden, reden:
Nichts dergleichen jedoch schien Madam de Citri das Recht zu geben, Eigenschaften zu verachten, die den ihren  glichen. Sie fand alle Menschen idiotisch, aber in ihrer Unterhaltung, ihren Briefen zeigte sie sich den Leuten, denen sie so viel Verachtung entgegenbrachte, eher unterlegen. Sie hatte im übrigen in sich ein solches Zerstörungsbedürfnis, daß die Vergnügungen, die sie suchte, als sie dem Gesellschäftsleben mehr oder weniger entsagt hatte, eine nach der anderen furchtbare, ersetzende Wirkung zu spüren bekamen.
Marcel Proust befindet sich erneut in Trauer, hat den Tod seiner Großmutter noch nicht ganz verwunden. In Gedanken geht er seinen Erinnerungen nach, die er mit seiner Großmutter erlebte. Mir scheint, sie war wie eine zweite Mutter zu ihm. Er fragt den Vater nach ihrer Adresse, was mich ein wenig irritiert hatte, wo sie doch tot ist. Sollte die Frage etwa lauten, ob die Adresse ins Jenseits führt? ... Marcel glaubte eigentlich an sowas nicht, aber es gibt so manches, in dem Proust eher widersprüchlich erscheint ...
 Er sah den Kummer, den die Großmutter erlitt und der erwachsene Enkel versuchte visuell diese mit Küssen auf dem Mund zu verscheuchen, (234).
Proust war durchaus auch ein Melancholiker, der zu leiden fähig ist.
Niemals mehr aber würde ich jenes Zucken in ihrem Gesicht ausleuchten können und jenes Leiden ihres Herzens oder vielmehr des meinigen; denn da die Toten nunmehr in uns existieren, treffen wir unermüdlich uns selbst, wenn wir uns hartnäckig an die Schläge erinnern, die wir ihnen versetzt haben. An jene Schmerzen, so grausam sie waren, klammerte ich mich mit aller Macht, denn ich spürte, daß sie aus der Erinnerung hervorgingen, die ich von meiner Großmutter hatte, und der Beweis waren, dass diese Erinnerung wahrhaft in mir gegenwärtig war. Ich fühlte, dass meine Erinnerung nur im Schmerz gründete, und hätte gewollt, dass sich die Nägel noch tiefer in mich eindrückten, die das Gedenken an sie in mir befestigten. Ich versuchte nicht, das Leiden zu mildern, es zu verschönern, mir einzubilden, meine Großmutter sei nur abwesend und vorübergehend unsichtbar, (…).
Dass Proust zu tiefen Gefühlen fähig ist, zeigt sich auch an folgendem Zitat:
Jetzt, wo ich etwas zu müde bin, um mit anderen zu leben, scheinen mir diese alten so ganz allein zugehörigen Gefühle, die ich durchlebt habe, wie es nun mal die Manie aller Sammler ist von großem Wert. Ich schließe mir selbst mein Herz auf, als wäre es eine Vitrine, und betrachte nacheinander alle die Liebeserlebnisse, die anderen niemals widerfahren werden.
Mir gefällt einfach seine Ausdrucksweise, die reich an Bildern ist.

Proust witzelt gerne über die Charaktere anderer Leute. Auch ihn erlebe ich versnobt, denn es gibt niemanden, deren Seele er nicht auf einen Sezierteller legt, und sie mit einem spitzen Messer zerlegt. Selbst den Liftboy seines Hotels analysiert er aufs Schärfste. (Marcel ist wieder nach Balbec gereist) Für mich ist Proust ebenso eine recht witzige Figur. Mein Tipp: Proust sollte sich selbst mal auseinandernehmen ...

Eine ihm unbekannte Figur mit dem Namen Cancan hält Proust erst für einen Hund. Als dürfe kein Mensch Cancan heißen ... Und als könne der Mensch seine Namenswahl beeinflussen ... 
Madame Cambremer befindet sich in der Konversation mit dem jungen Marcel. Man kann sich mit ihm nicht unterhalten, ohne dass er währenddessen nicht irgendwelche Vergleiche in die Menschen hineinlegt:
Während Madame Cambremer die Worte so heißer hervorbrachte, daß es schien, als bewege sie Kieselsteine in ihrem Mund. Dann kam das Zurückschlucken des Speichels und das instinktive Abwischen des - gemeinhin als amerikanisch bezeichneten - Schnurrbärtchen mit dem Taschenbuch.
Trotzdem, seine Bilder, die er zum Ausdruck gebraucht, gefallen mir sehr gut ...

Proust ist auch auf dem Gebiet der Liebe mehr als ambivalent und widersprüchlich. Eine echte Liebe habe ich bis jetzt vermisst. Es spielt sich viel in Gedanken ab, die ich als geistige Liebe bezeichnen möchte. Seiner Jugendliebe Albertine zeigt er sich gleichgültig, obwohl er innerlich vor Eifersucht brodelt, als er dem Gerücht nachgeht, Albertine sei in eine Frau namens Andrée verliebt. Man beobachtete sie auf einem Ball, als sie beide engangeschmiegt miteinander tanzen. Eiseskälte entsteht in Prousts Herzen. Er stellt Albertine zur Rede, doch sie versichert ihm, dass sie sich von der Homosexualität ebenso angewidert fühlt wie er. So ganz richtig konnte Proust nicht überzeugt werden, denn er ertappt sie immer wieder aufs Neue, wenn sie hübschen Frauen nachschaut. Albertine allerdings erträgt diese Proust-Kälte nicht, und läuft ihm hinterher, reist ihm schließlich bis nach Balbec nach. Genau das wollte Proust erwirken ...
Ich kenne keine Liebesszene, in der Proust eine seiner Geliebten geküsst hätte. Auch hier wird viel zu viel geredet, gemutmaßt und spekuliert. Ist das Liebe? Ist Proust überhaupt fähig zu einer wahren Liebe? Aus meiner Sicht ist Proust von seinen beiden Müttern (Mutter und Großmutter) nicht wirklich abgenabelt. Ein erwachsener junger Mann, der davon träumt, die Großmutter auf den Mund zu küssen, ist schon sehr außergewöhnlich ... Damit möchte ich nicht ausdrücken, dass Trauer um eine geliebte Person aus der Verwandtschaft nicht erlaubt ist. 

Um sich zu rächen, gibt er an, in Andrée verliebt zu sein ...
Im übrigen sollte meine Eifersucht auf die Frauen, die Albertine vielleicht liebte, ein jähes Ende finden.
Ich erlebe Proust zudem hypochondrisch, was sich an den obigen Zitaten zusätzlich belegen lässt, auch aus den anderen Werken geht dies hervor, und er ist überheblich, überheblich wie es die meisten anderen Leute seines Standes sind, hypochondrisch, wie nur er es sein kann. Dazu ist er noch ein verwöhnter junger Mann, und es amüsiert  mich, dass sich endlich jemand finden konnte, der ihm mal ordentlich das Gesicht einseift. Es ist Céleste Albaret, seine Botin und Haushälterin, die im Beisein ihrer Schwester Marie es wagt, mit einer großen Portion Ironie das zu sagen, was sich andere nicht trauen. Die Schwestern befinden sich in Marcels Hotelzimmer, während er das Frühstück einnimmt:
Oh, dieser kleine dunkle Teufel, mit Haaren wie pechschwarze Häherfedern, wie schlau und wie boshaft er ist! Ich weiß nicht, woran Ihre Mutter gedacht hat, als sie Sie unter dem Herzen trug, denn Sie haben alles von einem Vogel an sich. Schaue nur, Marie, sieht er nicht genauso aus, als ob er sich die Federn glatt streicht? Und wie flink er den Hals wenden kann! Er sieht so leicht aus, dass man meint, er lerne gerade fliegen. Ach! Sie haben Glück, dass sie sich ihre Eltern unter den Reichen haben aussuchen dürfen; was wäre sonst aus ihm geworden, wo Sie doch so verschwenderisch sind? Da wirft er jetzt sein Hörnchen fort, weil es das Bett berührt hat. Hoppla, jetzt vergisst er auch noch seine Milch, warten Sie nur, damit ich ihnen eine Serviette umbinde, Sie wissen ja doch nicht, wie man das macht; niemals habe ich jemanden gesehen, der so dumm und so ungeschickt ist wie Sie. (…) Er ist ein Herr und will uns zeigen, dass wir einen Herrn vor uns haben. Man kann ihm zehnmal die Betttücher wechseln, wenn es nötig ist, aber er gibt nicht nach. Die von gestern hatten sowieso ausgedient, aber heute sind sie gerade erst frisch bezogen, und sicher müssen sie jetzt für ihn gleich wieder gewechselt werden. Ach! Ich hatte recht, als ich sagte, er sei nicht dafür gemacht, als Armer geboren zu sein. Sieh nur, wie seine Haare sich sträuben. Er plustert sich auf, wenn er zornig ist, genau wie die Vögel es tun. Ach, du armer, kleiner Federbalg!
Mich hat dieses  Zitat und das unten folgende besonders aufgeheitert, denn nun stehe ich nicht alleine mit meinen Beobachtungen da. 

Doch Céleste ist noch lange nicht fertig:
Er kann die unbedeutendsten Dinge tun, man meint immer, man sieht den gesamten Adel Frankreichs ;) bis zum Pyrenäen in jeder seiner Bewegungen. (…) Ach! Diese Stirn, die so rein aussieht und doch so viele Dinge verbirgt, diese Wangen, die so freundlich und fröhlich sind wie das Innere einer Mandel, die kleinen seidigen Hände mit ihrem Plüsch darauf, die dabei doch Nägel haben wie Krallen ;) … Sieh nur, Marie, jetzt trinkt er seine Milch mit einer Andacht, die mir Lust macht, ein Gebet zu sprechen.
Das geht noch weiter, aber lest selbst. Und doch, ist das nicht eine schöne poetische Sprache? 

Nachgedanken:
Ich könnte mir vorstellen, dass Proust über die leeren Gespräche seines Kreises selbst recht angwiedert ist, aber er ist so darin verwoben, dass er selbst nicht anders kann, als sich über diese zu belustigen. Er wirkt auf mich wie ein Chamäleon. Man muss ein wenig wie die anderen werden, um nicht aufzufallen. Und das ist ihm gut gelungen. Denn damit hat er uns die Lebensweise jener Gesellschaft nahebringen können. Kann man so eine Gesellschaft ertragen, wo jeder über jeden spricht, ohne selbst ein wenig wie diese zu werden? Ich glaube nicht. Sonst wäre Marcel langweilig geworden und er hätte die Türen hinter sich zugezogen. Welches Leben hätte er denn dann führen können? Niemals wären diese Bücher zustande gekommen, wobei sich vieles auch wiederholt. Mir wurde schon nach dem ersten Band deutlich, was unter Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zu verstehen ist.

Für mich hat sich des Rätsels Lösung schnell offenbart, auch wenn ich nicht alles habe herausziehen können, was z.B. ein Literaturwissenschaftler zu deuten vermag. 
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„Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.
Manchmal, die Kerze war kaum gelöscht,
fielen mir die Augen so schnell zu,
dass keine Zeit blieb, mir zu sagen:
Ich schlafe ein.“
(Marcel Proust)

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Philipp Michel-Thiriet / Das Marcel Proust Lexikon


Ein Nachschlagewerk
Was eine Madeleine ist, weiß wohl jeder Proustliebhaber, aber wissen Sie auch, wo Combray liegt? Oder können Sie sagen, wer die Vorbilder für den lasterhaften und homosexuellen Baron Charlus waren oder die zwielichtige Odette de Crécy oder für Albertine, die den Erzähler in eine Orgie der Eifersucht versetzt? Solche Fragen und noch viel mehr beantwortet das Marcel-Proust-Lexikon mit großer Genauigkeit. Lexikalisch geordnet, infor miert es über das Leben Prousts, seine Schulerfolge und Pseudonyme, Neigungen und Vorlieben, seine Ärzte und Krankheiten, seinen Militärdienst und seine Wohnungen, seine Dienstboten und seine Reisen, seine Verwandtschaft und seine Liebesaffären mit Frauen und Männern und gibt Auskunft über Inhalt, Orte und Personen seines Werks. 
Wenn man mehrere Jahre benötigt wie ich, Proust Bände zu lesen, dann ist das folgende Proust Lexikon mehr eine große Unterstützung. Vor allem, wenn man gewisse Bände überspringt, und nicht immer die Reihenfolge von BD 1 bis BD 7 einhält. Weil ich mit dem vierten Band gar nicht zurecht kam, musste ich ihn bis zum 6. Band überspringen. Auf den nächsten Versuch kommt es an. Ich lese jetzt den vierten Band, bin nun schon auf der vierhundersten Seite und die Chancen stehen gut, ihn zu Ende zu lesen. Im Dezember nehme ich mir den fünften Band vor.

Ich kann Proust nur während meiner Urlaubszeit lesen, wenn ich viel Ruhe habe. Auch das musste ich erst herausfinden.

Proust hat 17 Jahre für diese sieben Werke benötigt. Eine Lebensaufgabe. BD 7 wurde erst nach Prousts Ableben durch den Bruder Robert veröffentlicht.

Da ich mir auch vieles aufschreibe, komme ich gut rein, auch dann noch, wenn ich einen Band übersprungen habe …

Die zweite Abbildung: Prousts Aufzeichnungen in Rohform, Quelle:  Klicke hier: Marcel Proust
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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

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Freitag, 3. Oktober 2014

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (4)

Klappentext
Sodom und Gomorrha beginnt mit einer spektakulären Szene, der Be­gegnung zweier Männer, die von der Natur füreinander geschaffen sind: Baron von Charlus und der Westenmacher Jupien. Endlich öffnet Proust seinem Romanhelden die Augen; Marcel erhält Antwort auf die bisher unverstandenen Zeichen der Homosexualität. Nach der mondäncn Welt der Guermantes tun sich nun neue Welten auf: Sodom, die Welt der männlichen, und Gomorrha, die Welt der weiblichen Homosexualität.

Autorenporträt
Marcel Proust wurde am 10. Juli 1871 in Auteuil geboren und starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ist zu einem Mythos der Moderne geworden.Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem – nur vermeintlich müßigen - Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. „In Swanns Welt“, der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band, „Im Schatten junger Mädchenblüte“, wurde Proust 1919 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der „Suche nach der verlorenen Zeit“ wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.
Diesen Band gehe ich nun das zweite Mal an. Das erste Mal musste ich es abbrechen, es ging einfach nicht an mich. Versuche es nun erneut. Mich hat es ein wenig angewiedert, dass Proust sich von den Homosexuellen angewiedert gefühlt hat, lol.

Ich hatte schon jeder Menge Zitate gesammelt, die hole ich wieder hoch, und füge sie in die hiesige Buchbesprechung ein.

Mir fehlen in meiner Sammlung noch drei Bände. Proust kann man nicht mal über Nacht lesen, nein ich lese ihn im Schneckentempo. Das heißt, ich bin mit diesen Bänden schon seit mehreren Jahren beschäftigt.

Ich habe sie nicht alle der Reihenfolge gelsen, sondern von 1-3, BD 6, nun lese ich BD 4, im Dezember 2014 habe ich vor BD 5 zu lesen, und BD 7 Ostern 2015. Mal schauen, wie weit ich kommen werde.
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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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Régis de Sá Moreira / Das geheime Leben der Bücher (1)

Lesen mit Anne

Nur ein paar Sätze zu dem Buch. Mir hat das Buch gar nicht gefallen. Es hat mich eher gelangweilt. Es ist dermaßen oberflächlich und wenig authentisch geschrieben. Diese merkwürdigen skurrilen Gestalten, die als Kunden den Buchladen betreten und schnell auch wieder verlassen, fand ich nicht wirklich anziehend und habe den Sinn ihres Auftretens und besonders in der gesamten Geschichte nicht erfassen können. Da hat mir der Klappentext besser gefallen, als der eigentliche Inhalt des Buches. Im folgenden gebe ich erneut den Klappentext rein:
Auch Bücher brauchen Liebe!
Viele wünschen sich, sie könnten von Luft und Liebe leben. Er, der Buchhändler, lebt vom Lesen, denn nur dann hat er das Gefühl, geliebt zu werden. Seine Buchhandlung ist sein Universum, die Bücher sind seine Schützlinge. Und bei jedem Klingeln seiner Türglocke ist er immer wieder bereit, seine frohe Botschaft zu verkünden: Lesen hilft und macht glücklich ...
Meine Bücherfreundin Anne hat es ähnlich empfunden, zumal sie noch jede Menge Rechtschreibfehler entdeckt hatte ... Das Buch wirkt auf mich, als habe der Autor es schnell mal über Nacht geschrieben.

Auch den Titel fand ich irreführend, nicht wirklich passend ... Eigentlich geht es hier um das geheime Leben des Buchhändlers, der Tag und Nacht in dem Laden verweilt und sich hauptsächlich mit Kräutertees ernährt.

176 Seiten? Keineswegs, denn es gibt viele große Absätze und viele leere Seiten.

Dadurch, dass ich mit dem Buch so gar nichts anfangen kann, beende ich nun meine Buchbesprechung.

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten.

Der anzuklickende Link führt zu Annes Buchbesprechung

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Für kleine Lebewesen wie uns
ist die Weite des Raums nur durch Liebe erträglich.
(Matt Haig zitiert Carl Sagan)

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Mittwoch, 1. Oktober 2014

Régis de Sá Moreira / Das geheime Leben der Bücher

Lesen mit Anne ...

Klappentext
Auch Bücher brauchen Liebe!
Viele wünschen sich, sie könnten von Luft und Liebe leben. Er, der Buchhändler, lebt vom Lesen, denn nur dann hat er das Gefühl, geliebt zu werden. Seine Buchhandlung ist sein Universum, die Bücher sind seine Schützlinge. Und bei jedem Klingeln seiner Türglocke ist er immer wieder bereit, seine frohe Botschaft zu verkünden: Lesen hilft und macht glücklich ...

Autorenporträt
Régis de Sá Moreira, Sohn einer Französin und eines Brasilianers, wurde 1973 geboren. Er wuchs in Frankreich auf und lebt zur Zeit in Paris, wo er als freiberuflicher Autor arbeitet. 
Unser zweites Buch, das Anne und ich nun gemeinsam lesen. Ich habe schon ein bisschen geschnuppert, und es riecht nach mehr ...

Das Buch hat Anne aus unserer gemeinsamen SuB-Liste ausgesucht ...





Montag, 29. September 2014

Isabel Allende / Inés meines Herzens (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch überhaupt nicht gefallen. Das zweite Allende Buch, das mich wenig inspiriert hat. Ich habe mich von Seite zu Seite durchgequält und dies bis zum bitteren Ende. Nichtsdestotrotz hat sich das Durchhalten gelohnt, denn nun ist mir bewusst, wie die Spanier nach Südamerika kamen, um bestimmte Länder wie z B. Chile im Goldfieber zu erobern. Sie kamen mit dem Schiff angereist und machten sich dran, den Kontinent auszuplündern, bis sie schließlich in Chile ihre zweite Heimat fanden. Die Spanier gründeten auch die Hauptstadt Santiago ... Sie machten die Indios zu ihren Sklaven, zu ihren Untertanen, was sich allerdings gerächt hat ... Viel Gewalt von Beginn an bis zum Ende, Gewalt auf die makaberste Art und Weise mit den verschiedensten mittelalterlichen Methoden ... So was muss ich nicht haben. Man hätte die Gewaltverbrechen ein wenig abkürzen können. Die zweite Form von Gewalt ist der Kannibalismus. Da ich beim Lesen so stringent durchgehalten habe, werde ich nicht das Bedürfnis haben, mich lange mit der Buchbesprechung aufzuhalten.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Als junge Frau verlässt Inés Suárez im 16. Jahrhundert ihr Heimatland Spanien, um auf dem wilden südamerikanischen Kontinent nach ihrem verschollenen Ehemann zu suchen. Ihn wird sie nicht mehr lebend finden, dafür aber ihre große Liebe: den Feldherrn Pedro de Valdivia, mit dem sie sich gegen alle Widerstände an die Eroberung Chiles macht. 
Wenn man den Klappentext so liest, dann glaubt man, dass das Buch eine reine Liebesgeschichte ist. Das ist es aber nicht. Nicht nur. Inés ist eine recht fortschrittliche Frau, die es wagt, sich mit den Männern dem südamerikanischen Kontinent anzunähern. Sie zeigt auch Kampfgeist ...

Wenn da nicht die Indios wären, die ihr Land heftigst zu verteidigen versuchen. Der Krieg zwischen den Indios und den Spaniern bewegt sich in die Jahrzehnte.

Das Gute ist, die Spanier wurden am Ende von den Indios besiegt. Inés erkennt den Schaden, den sie und ihre Landsleute den heimsichen Menschen gegenüber begangen haben. Ein Schaden, der nicht wieder gut zu machen ist. Die Arroganz, die die Spanier zudem noch mitbrachten, ist, die Einheimischen als unzivilisiert und rückständig abzutun. Dabei sind sie es, die Indios, die in Freiheit leben und nicht abhängig sind von materiellen Gütern. Ein junger Indio, Lautaro, der sich für mehrere Jahre geschickt in die Lebensweisen der Spanier einzuschmuggeln wusste und dort für eine Weile lebte, um heimlich deren Kampfarten kennenzulernen und fand heraus, wie er die Spanier kriegerisch ausspielen konnte.
Als Lautaro wieder zurückehrt zu seinem Volk, beginnt der Krieg von neuem. Lautaro rächte sich an den Soldaten, speziell auch den Hauptverantwortlichen namens Valdivia:
Schließlich, als der Morgen des dritten Tages graute und Lautaro sah, dass Valdivia starb, goss er ihm geschmolzenes Gold in den Mund, damit der genug bekäme von diesem Metall, das er so mochte und das über die Geschundenen in den Minen so viel Leid brachte. (389)
Dass Gold nicht das Wichtigste auf Erden ist, das machte dieser junge Indio und sein Volk den Spaniern deutlich.

Inés erkennt das Verbrechen, das an den Naturmenschen begangen wurde:
Wie in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt, zogen grauenhafte Bilder vor meinen Augen vorbei. Ich sah die Körbe voller abgetrennter Hände und Nasen hier in meinem Haus, durch meinen Hof schleppten sich Indios in Ketten, andere starben, auf Pfähle gespießt; es roch nach versengtem Menschenfleisch, und abends trug der Wind das Knallen von Peitschen zu mir. Unermessliches Leid hat diese Eroberung gekostet … (390).
An dieser Stelle mache ich nun Schluss. Da mich diese Epoche, Anfang des 16. Jahrhunderts, sowieso nicht sonderlich interessiert, denn man spürt noch die Nachwehen des Mittelalters, war es vorauszusehen, dass mich das Buch nicht packen wird. Die Themen sind immer dieselben. Auch diese potentielle Gewaltakten waren mir zu übertrieben …

Das Buch erhält von mir fünf von zehn Punkten.

Mein Fazit:
Das Buch würde ich kein zweites Mal lesen.
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Man kann in den Dreck fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)

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