Lesen mit Anne
Eine Buchbesprechung zur o. g.
Lektüre
Eine sehr schöne und recht umfangreiche Biografie hat der
Autor Peter Walther uns LeserInnen hinterlegt. Das ist nun zwar nicht meine
erste Biografie zu Rudolf Ditzen alias Hans Fallada gewesen, aber die beste.
Mein Bild, das ich von Fallada hatte, konnte nun gut abgerundet werden. Viele
neue Informationen konnten sich mir Dank Walther erschließen. Eine sehr gut
recherchierte Biografie mit einem Anhang von mehr als 80 Seiten.
Es ist eine sehr reiche Biografie, die zusätzlich mit vielen Fotos versehen ist und ist allen LeserInnen zu empfehlen, die mehr
von Hans Fallada erfahren möchten. Ich werde mich hier auf ein paar wenige
Themen beschränken, Themen, die mich sehr beschäftigt haben. Weiteres ist unbedingt
dem Buch zu entnehmen.
Hans Fallada oder Rudolf Ditzen? Ich
gebrauche hier den Künstlername. Wie es zu dem Künstlernamen kam, ein
Pseudonym, der dazu diente, die Herkunftsfamilie zu schützen.
Mit welchen persönlichen Gedanken
habe ich das Buch beendet? Damit, dass Hans Fallada ein sehr reicher Mensch
war. Nicht nur materiell, sondern auch ideell. Geld und Liebe waren reich
vorhanden. Aber er verspielte sein
Geld, investierte es hauptsächlich in verschiedenen Drogen, und vor allem auch
seine Liebe verspielte er. Er hatte viele Menschen um sich, die ihn liebten. Er
aber trat auf diese Liebe, als sei sie ein schmutziger Lumpen. Ihm war das
durchaus bewusst, er litt auch darunter und nahm dadurch immer wieder neue
Anstrengungen in Angriff, sein Leben in positive Bahnen zu lenken, um auch
seine Ehe mit seiner ersten Frau Suse zu retten. Aber er scheiterte nach jedem
Besserungsversuch. Er erlitt jedes Mal erneut einen Rückfall. Ihn aber
anzuprangern, ist nicht meine Absicht, denn er war Mensch und hatte massive
Probleme mit dem Menschsein, mit sich selbst, mit seinen Eltern, mit der
Gesellschaft und vor allem mit Frauen. Doch primär behandelte Fallada sich
selbst am schlechtesten, weshalb ihn so früh, im Alter von 54 Jahren, der Tod durch eine Überdosis an Morphium ereilte. Ich fand sein Leben sehr, sehr traurig. Mir standen am Ende die Tränen
in den Augen. Keine Sorge, das Buch ist nicht zu sentimental verfasst. Es ist
Falladas Leben, das mich von der ersten bis zur letzten Seite sehr bewegt
hat. Die letzten Seiten waren für mich die traurigsten.
Hans Fallada war schon in seiner
Jugend recht auffällig und entpuppte sich zum Sorgenkind der Familie, obwohl er
1893 als erster Sohn nach zwei Mädchen der langersehnte Wunsch seiner Eltern
war. Zweieinhalb Jahre später folgte ein weiterer Sohn namens Ulli, der es
schaffte, die Erwartungen der Eltern zu erfüllen. Umso mehr wurde der ältere
Bruder in den Schatten gestellt …
Die Eltern pflegten einen guten
gesellschaftlichen Stand. Der Vater war von Beruf Kammergerichtsrat und musste
sich häufig für seinen Sohn schämen ...
Auch Falladas Mutter kommt aus einer
sehr gebildeten und wohlhabenden Familie. Falladas Eltern ließen den Kindern angeblich
nichts fehlen, und trotzdem frage ich mich, ob die Liebe, die sie Hans gegeben haben, ausgereicht hat? Ich glaube
eher nicht, da er ein Kind war, das die Erwartungen der Eltern schon recht früh
enttäuschen musste.
Doch fragt man sich nach dem Sinn
seines Lebens, dann habe ich als Leserin den Eindruck gewonnen, dass er diese
Erfahrungen, vor allem auch die wenig guten, machen musste, weil sie zu seinem
Leben gehört haben. Er wäre sonst nie der Schriftsteller geworden, der er war.
Hans Fallada war psychisch krank und
dadurch auch sehr auffällig. Er litt durch schlechte Erbanlagen an schweren Depressionen
und an einer Neurose. Im späteren Alter kamen noch andere psychische
Belastungen hinzu, wie z.B. Psychopathie, Alkohol und Morphinabhängigkeit.
Diese psychischen Probleme begleiteten ihn durch das ganze Leben. Nicht selten
sehnte er sich den Tod herbei und dachte oft an einen Suizid, den er im
jugendlichen Alter mit seinem Freund, der ebenso suizidale Absichten hegte, ausüben
wollte …
In der Schule wurde er schon von
seinen Lehrern gemobbt, weil er sich wie ein „Mädchen“ benahm. Er trug lange
Haare, und bei jeder kleinsten schulischen Belastung weinte er im Unterricht
sofort los. Ein Lehrer war so dreist und flocht ihm Zöpfe, indem er auch an
ihnen zog. Der Lehrer machte den kleinen Hans zum Gespött der Klasse, was seine
Lebenssituation schon in diesem jungen Alter negativ geprägt hat. „Dieses ewige
Heulen“ bezeichnete der Lehrer als leicht schwachsinnig. Auch die Eltern
hielten den Sohn für beschränkt. Dass
er aber begabt war, zeigte sich, als das Kind auf eine andere Schule versetzt
wurde. Er zählte auf der neuen Schule zu den besten Schülern ... Außerdem
spielte Hans leidenschaftlich gerne mit Puppen ...
Schon recht früh besuchte Hans zur
psychischen Stabilisierung und Genesung Sanatorien. Später wurde er durch
ärztliche Anordnung in der Landwirtschaft eingesetzt, damit er durch
körperliche Arbeit psychisch gestärkt werden konnte. Und hier beginnt
eigentlich Falladas schriftstellerische Karriere. In diesem neuen Milieu
sammelt er jede Menge Stoff für seine späteren Bücher. Er lernt die Lebensweise
und den Sprachjargon einfacher Menschen kennen und internalisiert sie. Durch
seine Sensibilität saugt er sie wie ein Schwamm in sich auf, sodass man den
Eindruck gewinnen konnte, dass er einer von ihnen war, doch
Fallada war nie (…) einzig der >>Kleine
Mann<<, für den die Leser ihn häufig hielten. Obwohl er den Standesdünkel
seiner Eltern ablehnte, war ihm stets bewusst, wo er herkam, eben nicht von
>>unten herauf<<. Er hat die
verschiedenen Lebenssphären kennengelernt und in ihnen den Stoff für seine
Literatur gefunden. Häufig ist es die Atmosphäre der ungewaschenen Füße, wie
Kurt Tucholsky es treffend nannte, die Fallada am besten einfängt. Die schrägen
Typen sind es, die ihn interessieren und die er literarisch mit der größten
Überzeugungskraft gestaltet. Sosehr er Teil des Milieus wird, das er schildert
– nie geht er ganz darin auf, immer bleibt er im Abstand des Beobachters.
(2017, 434f).
Wobei Fallada in allen seinen
Büchern Biografisches miteinfließen lässt. Ein Gemisch zwischen Fiktion und
Wirklichkeit ist in seinen Büchern behaftet. Auch die Figuren entsprechen
Charaktere von Menschen, mit denen er im realen Leben zu tun bekam. Manche Namen
tauchen aus dem realen Leben in seinen Büchern auf. Suse, seine erste Frau,
nannte ihn immer Junge und Murkel ist der Spitzname seiner Tochter.
Beide Namen stehen im Buch Kleiner Mann,
was nun?
Fallada war ein Frauenheld. Er wurde
von allen Frauen bedingungslos geliebt, aber er behandelte sie alle sehr
schlecht. Weiteres ist dem Buch zu entnehmen.
Ich fragte mich zudem, wie Fallada
politisch einzuordnen war? Er war 21 Jahre alt, als der Erste Weltkrieg
ausbrach und 46 beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Immerhin gehörten
Falladas Bücher im Nazi - Deutschland nicht zu den Büchern, die der Bücherverbrennung
zum Opfer fielen. Auf den letzten Seiten fand ich für mich hilfreiche
Antworten, denn es gab Episoden, wo man den Verdacht hegen konnte, Fallada
würde mit den Nazis partizipieren. Ich war erleichtert, dass mein Verdacht dazu
nicht erhärtet werden konnte. Aber wie kam ich denn darauf? Fallada hegte
starke patriotisch-nationalistische Gefühle. Auch wünschte er, der Weltkrieg
würde von Deutschland gewonnen werden, damit sein Land die Weltherrschaft erlangen
könnte. Ich wunderte mich über seine politische Haltung, die doch von Nazi-Ideologien
behaftet zu sein schien. Auch andere, vor allem Journalisten, haben sich
gefragt:
Wie war es nur möglich, dass er – wie er selbst sagt –
zu >zwölf Jahren erzwungenen Schweigens, Ertragens, ohnmächtigen
Sichwehrens< verurteilte arme Fallada-Ditzen ausgerechnet während der
Nazizeit literarische Erfolge verzeichnen konnte, die von kaum einem anderem
Schriftsteller erreicht worden sind? (386)
Eine Antwort fand ich auf Seite 437:
Es gibt keinen Zweifel, dass der Mensch und Künstler
Fallada das Nazi-Regime verabscheut hat. Und dennoch gab es Zeiten, in denen er
dem Druck und der Indoktrination erlegen war. Der Essayist Johannes Gross hat
mit Blick auf die Nachgeborenen einmal beobachtet: >>Je länger das Dritte
Reich tot ist, umso stärker wird sein Widerstand gegen Hitler und die
Seinen.<< Bücher wie das Gefängnistagebuch und Lebensgeschichten wie die
von Fallada schützen vor Selbstgerechtigkeit beim Rückblick auf die Geschichte,
sie schützen davor, abzustürzen auf dem schmalen Grat von moralischem
Relativismus und einem wohlfeilen Urteil, das sich auf das Wissen unserer Zeit
stützt.
Mein Fazit
zu dem Buch?
In einer Menschenwelt muss man viel
tun, um sich ein wenig Liebe zu verdienen, man ackert dafür, und es ist nicht
gesagt, ob man die Liebe schließlich bekommt, nach der der Mensch so sehr
lechzt. Fallada hat diese Liebe ganz umsonst bekommen. Dies hat mich sehr
beschäftigt, wobei mir bewusst ist, dass im Elternhaus schon Fehlstellungen
gelegt wurden, auch wenn die Eltern ihr Bestes für die Kinder gegeben haben.
Fallada hatte neben seiner schweren
seelischen Erkrankung schriftstellerisch so viel Stoff in sich zu bewältigen,
dass auch dies ihn noch zusätzlich bedrängte. Er musste sich leerschreiben, und damit dies möglich
war, konsumierte er dabei viel Alkohol, und wenn dies nicht ausreichte,
versorgte er sich noch zusätzlich mit Morphium.
Das Ungeborene, dem er noch nicht zum Leben verholfen
hatte, peinigte ihn, und als vollendete sich die Welt erst im Wort, dichtete er
dem Leben nach und erfand sich zu Lust und Leid seine Geschöpfe, die einzigen,
die ihm etwas Licht und Lebenswärme spendeten in der lebenslangen Haft seiner
grauen Vereinsamung. (437)
Und ich beende nun meine
Buchbesprechung mit einem Zitat, das mir meine Gedanken zu Fallada bestätigt
und das mir aus der Seele spricht:
Wir alle sind in unseren Anlagen gefangen. Die Sucht
war nichts, wonach Fallada gestrebt hätte, sie hat ihn ereilt in Phasen der
Schwäche, die regelmäßig und untrennbar auf Zeiten künstlerischer Anspannung
folgte. (Ebd.)
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte:
Differenzierte Sichtweisen
2 Punkte:
Authentizität der Biografie
2 Punkte: Gut
recherchierter Stoff, informativ
2 Punkte: Frei von
Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
|
Zwölf von zwölf Punkten.
Telefongespräch mit meiner Lesepartnerin Anne-Marit Strandborg:
Mit Anne hatte ich ein
recht ausführliches Telefongespräch. Auch sie ist von der Biografie sehr
angetan. In wenigen Punkten unterscheiden sich unsere Ansichten. Siehe Kommentare, die noch folgen werden.
23.05.2017
Nun habe ich via WhatsApp durchbekommen, dass auch Anne, die die Biografie heute beendet hat zu lesen, sich mittlerweile mit Fallada ausgesöhnt hat. Sie haderte erst wegen der komplizierten und ungerechten Frauenproblematik.
Hier geht es zu Annes Buchbesprechung.
Weitere Informationen zu dem Buch
Ich möchte mich recht herzlich beim Aufbau-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar bedanken.
Gebunden mit Schutzumschlag, 527 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03669-0
Erschienen 2017.
25,00 € *)
Inkl. 7% MwSt.
Und hier geht es auf die Verlagsseite vom Aufbau.
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Gelesene Bücher 2017: 19
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86