Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Mir hat das Buch sehr gut gefallen,
wenn es auch meine Erwartungen nicht ganz erfüllt hat. Ich dachte erst, nachdem
ich den Klappentext gelesen habe, das Buch behandelt thematisch einen
traumatisierten Kriegsheimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg.
Zur Erinnerung gebe ich erneut den
Klappentext rein:
Als Eugen
Faber nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in seine Heimatstadt zurückkehrt,
liegt seine Welt in Trümmern: Er ist zum Außenseiter geworden, zum Fremden in
seiner eigenen Familie. Jakob Wassermanns wiederentdeckter Roman ist ein
erschütterndes und bewegendes Zeugnis der Entwurzelung einer ganzen Generation.Sechs Jahre
hat sich der junge Architekt Eugen Faber in russischer Gefangenschaft nach
seiner Frau, seiner großen Liebe und Seelenverwandten, gesehnt und schließlich
eine gefährliche Flucht auf sich genommen. Doch das Leben ist inzwischen
weitergegangen. Seine Frau erkennt er kaum wieder, sein kleiner Sohn kann sich
nicht an ihn erinnern. In seinem Beruf wird er nicht mehr gebraucht, und auch
Ideologien bieten ihm keinen Halt. Zunehmend verzweifelt versucht er, sich in
eine Welt einzufügen, die nicht mehr die seine ist.
Ich finde
schon, dass der Klappentext dazu einlädt, diese Vorstellung, diese Erwartung in sich entstehen zu lassen ...
Das Buch ist sehr tiefgründig, dass
ich fast auf jeder Seite Post-it haften habe, obwohl mir von Anfang an
bewusst ist, dass ich die meisten Blättchen nicht bearbeiten kann. Mich haben
die Gedanken des Protagonisten Eugen Faber so sehr fasziniert, dass ich nicht
anders konnte, als sie mit den Blättchen festzuhalten.
Eugen Faber lernt man als einen sehr
ernsten Menschen kennen, der später sogar misanthropische Züge entwickelt. Aber
mit dem Hintergrund, den Faber mitbringt, ist das eher menschlich, obwohl man
sehr wenig erfahren hat, welche Erlebnisse er in seiner russischen Gefangenschaft
erlitten hat. Wie konnte seine Flucht von Sibirien nach China gelingen? Wie hat
er es geschafft, wieder nach Hause zu kommen? Dieses und anderes hätte mich
interessiert und es wunderte mich, dass meine Fragen so unbeantwortet geblieben
sind. Erst im Anhang entnahm ich schließlich, dass der Roman kein
(traumatisierter) Heimkehrroman darstellen würde.
Es werden in dem Buch viele Themen
behandelt, wie z. B. die Ehe, Politisches, Pädagogisches, Gesellschaftliches. Aber
von den Kriegserfahrungen erfährt man nur am Rande etwas ...
Als Faber sich wieder in seiner
Heimatstadt befindet, geht er nicht nach Hause zu seiner Frau und zu seinem
Kind, nein, er sucht seinen Freund Jakob Fleming auf, ein guter Onkel der Familie, und bittet um Asyl
für ein paar Tage. Eine zerrissene Persönlichkeit, die am liebsten vor sich
selbst fliehen würde, so kommt er mir vor. Sehr ernst und nachdenklich wirkt er
auf mich. Seine Gedanken, seine Verstimmtheit nehmen sogar krankhafte Züge an
... Und so erfährt Faber von Fleming über die kriegsbedingten Veränderungen
innerhalb seiner eigenen Familie und über seine Herkunftsfamilie ...
Er entnahm die traurige Notiz, dass
sein Vater, von Beruf war er Arzt, nicht mehr am Leben sei, und seine
selbstbewusste Mutter namens Anna, die sich für die Frauenrechte einsetzte,
auch nicht mehr dieselbe war. Auch sie
hat ihren Tribut an die Zeit bezahlt wie wir alle, so Fleming. (2016,39)
Jakob Fleming war mir total
sympathisch. Nicht nur weil seine Wohnung bis zur Wohnungsdecke voller Bücher
ist, nein, auch weil er der Familie Faber, speziell Martina, Eugen Fabers Frau,
seelsorgerisch zur Verfügung stand. Auch Fleming ist von Beruf Arzt.
Seine Frau Martina schließt sich
während des Krieges, in der Zeit als Eugen einberufen wurde und nicht mehr zu
Hause lebte, einer sozialpädagogischen Organisation an, die heimatlose und
seelisch-körperlich vernachlässigten Kindern ein Zuhause bietet. Gegner dieser
Einrichtung bezeichnen diese als eine Krüppelfabrik.
Martina wollte lernen, von ihrem Mann unabhängig zu leben, weshalb sie diese
Herausforderung mit den misshandelten Kindern auf sich nahm.
Als sich Faber wieder nach Hause
begibt, sind ihm seine Frau und auch sein kleiner Sohn Christoph fremd. Und vor
allem mit seinem Sohn zeigte Faber Schwierigkeiten, sich mit ihm zu beschäftigen ... Zudem
versteht er Martinas berufliche Veränderung nicht wirklich einzuordnen, als
sie versucht hatte, es ihm zu erklären, dass ihr die Zeit zu lang schien,
um auf Fabers Rückkehr zu warten. Sie hatte das dringende Bedürfnis,
sich in der Gesellschaft nützlich zu machen und sie wollte aufhören,
wirtschaftlich von ihrem Mann abhängig zu sein. Mit emanzipierten Frauen hat
Eugen keine wirklichen Erfahrungen …
Ebenso Fabers Schwester Clara wundert
sich über Fabers Rückzug von der Familie. Auch sie nimmt eine Wesensveränderung
wahr und bespricht diese mit ihrem Mann Hergesell:
Es zieht ihn
ja auch nicht zu uns, zu mir oder zu Mutter. Es treibt ihn nur weg von daheim.
Am liebsten ginge er von sich selber weg. Daraufhin Hergesell:
>>Das
mag wohl wahr sein, (…), er ist eine entwurzelte Existenz. Wohin gehört er? Er
weiß es nicht. Was erstrebt er? Er weiß es nicht. Wo sind seine tieferen
Verpflichtungen? Er hat keine. Von solchen Menschen wimmelt unsere Welt jetzt,
und bei den meisten bedarf es nur des Stichworts, und sie werden… nun, sie
werden was sie eben sind. (…) Und ich glaube, bei Eugen rächt sich das am
bittersten. Er steht nicht. Er ist kein Mensch, der steht. Er ist ein Mensch,
der flieht.<< (115f)
Auch wenn man das dem Buch und der
Thematik nicht wirklich ansieht, verbirgt es doch auch eine kleine und
komplizierte Liebesgeschichte. Der unglückliche Eugen Faber verliebt sich in
eine andere Frau namens Fides und Fides verliebt sich in Eugen … Eugen glaubt, diese Frau sei viel feinfühliger
als seine Martina, und er fühlt sich zu Fides seelisch sogar hingezogen ... Aber mehr ist dem Buch zu entnehmen.
Mein Fazit
zu dem Buch?
Ich habe nicht nur das Buch mit
großem Interesse gelesen, sondern auch das Nachwort fand ich äußerst
interessant, aus dem zu entnehmen ist, wie andere bekannte Autoren literarisch
zu Jakob Wassermann standen. Thomas Mann z. B. vermisste mehrfach den Humor. Ja, das stimmt, das kann ich selbst auch bestätigen, aber
gestört hat mich das nicht. Arthur Schnitzler empfand Wassermanns Werke als
nicht besonders intellektuell tiefgründig, während Stefan Zweig Wassermann eher lobend
gegenüberstand. Wassermanns Schreibstil hätte tiefes, psychologisches Potenzial. (409)
Ich schließe mich Stefan Zweigs
Meinung an. Den psychologischen Tiefgang findet man auch in diesem Buch. Wie ich eingangs schon beschrieben habe, ist Faber ein Mensch, der starke innere Nöte erlitten hat, und er gezwungen ist, sich
ihnen zu stellen, bzw. sich mit diesen Nöten auseinanderzusetzen,
bis er, das hoffe ich, seinen inneren Frieden wieder gefunden hat, und wieder gesellschaftsfähig wird. Ob er das schafft, dies lässt der Autor Jakob Wassermann
offen.
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte:
Differenzierte Charaktere
2 Punkte:
Authentizität der Geschichte
2 Punkte:
Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von
Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
|
Zwölf von zwölf Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch
€ 26,95 [D] inkl. MwSt. € 27,80 [A] | CHF 35,90*
(* empf. VK-Preis)
Gebundenes Buch, Leinen mit SchutzumschlagISBN: 978-3-7175-2416-8
Erschienen: 26.09.2016
Und hier geht es auf die Verlagsseite von Manesse.
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Es gibt nicht nur eine Blutgeschwisterschaft;
es gibt auch Wahlgeschwister. Das festeste Band,
das auf Erden existiert.
(Jakob Wassermann)
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