Es gibt Rezensionen, die leben von schönen Zitaten ...
Ein wundervolles Buch, das mir aus der Seele spricht …
Eine
Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Dieses Buch hat
mich tief berührt. An einigen Stellen kamen mir sogar die Tränen,
obwohl der Inhalt nicht übertrieben gefühlvoll ist. Eigentlich ist es recht
ausgewogen zwischen Gefühl und Intellektualität.
Wer kennt das noch:
Wenn die Chemie zwischen
zwei Menschen stimmt, fühlen sich diese besonders
zueinander hingezogen.
Man könnte auch sagen, ich verwende hierzu den Goethebegriff, sie stehen
seelenverwandt zueinander. Ich habe diesmal wieder die Erfahrung gemacht, dass
die Chemie sogar zwischen einem Buch und einer Leserin identisch sein
kann. Benedict Wells
gibt mir gerade das Gefühl hierfür. Noch dazu ist er ein so junger Autor,
der eine wahnsinnig reife Seele haben muss, der sich in vielen Themen, die die
Menschheit schon immer beschäftigt hat, auskennt. Sehr beeindruckend, wie er
schreibt. Die ganze Geschichte habe ich von der ersten bis zur letzten Seite mit
Spannung verfolgt. Ich bin tief beeindruckt ...
Zur Erinnerung
gebe ich erneut den Klappentext rein:
»Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind:
Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.« Jules und seine beiden Geschwister
wachsen behütet auf, bis ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen. Als
Erwachsene glauben sie, diesen Schicksalsschlag überwunden zu haben. Doch dann
holt sie die Vergangenheit wieder ein. Ein berührender Roman über das
Überwinden von Verlust und Einsamkeit und über die Frage, was in einem Menschen
unveränderlich ist. Und vor allem: eine große Liebesgeschichte.
Mich hat der
Protagonist und Ich-Erzähler Jules sehr beschäftigt, der Jüngste unter seinen beiden
Geschwistern, obwohl Liz, die Schwester und Marty,
der Bruder, nicht
weniger interessant sind. Sie alle sind Persönlichkeiten, die nicht mit der
Masse gehen. Und jede Figur hat ihre ureigenste Art,
belastende Ereignisse zu verarbeiten.
Carson McCullers
zählt zu meinen Favoriten und ich habe mich riesig gefreut, als die amerikanische
Buchautorin auch in diesem Roman eine sehr wichtige Rolle spielt, so
haben sich meine Eindrücke, sich zu dem Buch Wells hingezogen zu fühlen, recht
bald bestätigt. Ich verfolgte gespannt die Gedanken von Jules und Alva, als sie sich über
mein Lieblingsbuch Das
Herz ist ein einsamer Jäger ausgelassen haben. Alva ist Jules Jugendfreundin und beide machen ebenso recht früh schon die Bekanntschaft mit der
schwererträglichen
Einsamkeit, die ganz besonders Jules zu
überwinden versucht, da er diese Einsamkeit eigentlich satt hat, während Alva das
Positive in ihr sieht:
Ja, aber das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose
Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist
Geborgenheit. (2016, 171)
Schon Jules Vater
war ein sehr weiser Mann, der immer bemüht war, seinen Kindern untypische
Lebenshilfen mit auf den Weg zu geben. Kurz vor seinem Tod sprach er zu seinem
Jüngsten:
Am wichtigsten ist, dass du deinen wahren Freund findest,
Jules. (…) Ein wahrer Freund ist jemand, der immer da ist, der dein ganzes
Leben an deiner Seite geht. Du musst ihn finden, das ist wichtiger als alles,
auch als die Liebe. Denn die Liebe kann vergehen. (33)
Dies ist eine so weise Sichtweise, die ich unbedingt festhalten möchte.
Jules ist anders
als andere Kinder, auch ist er anders als seine Geschwister. Er ist ein Träumer.
Macht sich viele Gedanken über Bücher und selbst schreibt er auch
Kurzgeschichten. Eine seiner Geschichten handelt von Bibliotheken, in der die Bücher
nachts, wenn alle BesucherInnen längst schlafen, miteinander kommunizieren.
Manche Bücher beschweren sich über die schlechten Plätze in ihren Regalen
hinterster Reihe. Ich musste dabei so an Walter Moers
Bücher denken.
Nach dem Tod der
Eltern werden
die drei Kinder in ein Internat gesteckt. Eine so ziemlich kalte Atmosphäre, in
der sie mit ihrer Trauer alleine fertig werden mussten. Es gibt nur eine jüngere
Verwandte, eine Tante, mütterlicherseits, die aber nicht in der Lage war, die
Kinder bei sich aufzunehmen. Sie hält aber den Kontakt
zu ihnen aufrecht.
Liz, die Älteste zwischen den drei Geschwistern, passte sich dem
System im Internat nicht an, und ging recht schnell eigene Wege
und gerät zeitweilig auf die schiefe Bahn ... Marty war eher der angepasste Typ, aber auch ein
Einzelgänger, der sich ausschließlich mit Büchern und Computerspielen
beschäftigt, und der sich wenig um die Nöte seines jüngeren Bruders Jules
kümmert, der von den Kameraden im Internat ein wenig gemobbt wird ...
Als Alva, elf
Jahre alt, neu ins Internat und in Jules Klasse kommt, fühlen sich die beiden recht bald nahe. Alva
stammt aus einer Familie, die sehr problembehaftet ist. Auch in ihrem Leben hat
das Schicksal mehrfach kräftig zugeschlagen, doch die Kinder reden nicht
darüber. Alva und Jules gehen kurz eine Schulbeziehung ein, die aber
auseinanderbricht. Für Jules ist das schwer zu verkraften. Doch später kommen
beide wieder zusammen …
Seit ich aufs Internat gekommen war, hatten wir uns fast
jeden Tag gesehen. Alva war meine Ersatzfamilie geworden und mir in vielerlei
Hinsicht vertrauter als meine Geschwister oder meine Tante. Doch in den letzten
Jahren hatte sie sich verändert. Noch immer gab es Momente, in dem ich ihr ein
seltenes, unbeschwertes Lachen entlocken konnte oder in denen wir uns beim
Musikhören ansahen und einfach wussten, was der andere gerade dachte. (79)
Marty schafft das
Abitur, geht auf die Universität und lernt dort seine zukünftige Frau namens
Elena kennen. Marty ist eher ein trockener Typ, der sich wenig aus Gefühlen
macht. Jules konfrontiert ihn mit der Frage, ob er Elena lieben würde, Marty
weicht der Frage ein wenig aus, da er an keine Liebe glauben würde. Liebe sei
„nur ein dummer literarischer Begriff, nur chemische Reaktionen“.
Die Kinder mussten
sich schon recht früh mit ernsten Themen befassen. Durch den tödlichen Unfall
ihrer Eltern wurde ihnen recht bald der Tod bewusst, der auf einen Schlag
Menschen, die sie lieben, hinwegraffen kann. Jules spricht von einigen Leuten, die gar nicht
mal wissen
würden, dass sie
sterbliche Wesen seien,
so selbstverständlich würden sie das Leben hinnehmen.
Mich stimmte dies
sehr nachdenklich, da auch mir solche Gedanken seit frühster Jugend recht vertraut sind.
Die Jugend hatte Jules
noch nicht überwunden, als er ein weiteres emotional schweres Ereignis, was
seine Jugendliebe Alva betrifft, bei ihr zu Hause hinnehmen musste.
Während ich die Treppen hinunterlief, verspürte ich
einen unglaublichen Zorn. Ich hatte
keine Lust mehr, nur ein Junge zu sein, ich wollte alles Jugendliche loswerden,
ich hätte es aus mir herausgeprügelt, wenn ich gekonnt hätte. (103)
Während Jules
öfters mit seinem Schicksal hadert, geht Marty recht verstandesbetont mit
seinem Leben um. Nicht nur einmal fühlten sich Liz und Jules vom Schicksal
betrogen oder gar verraten. Marty dagegen:
>>Nun ja. Es gibt kein Schicksal, genauso wenig wie es
einen Gott gibt. Es gibt gar nichts oder nur uns Menschen, was in etwa dasselbe
ist. Es ist also völlig absurd zu hadern. Tod ist Statistik, und die scheint
momentan gegen uns zu sein, aber irgendwann, wenn alle Menschen um uns herum
einschließlich mir selbst gestorben sind, wird sie sich wieder ausgeglichen
haben, so einfach.<<
Jules´ Leben nimmt
immer wieder eine Wende ein, gut und weniger gut, gewollt oder vom Schicksal
gelenkt. Manche schweren Themen scheinen sich aus der Kindheit zu wiederholen …
Wie der Roman
weitergeht, möchte ich nicht verraten. Aber er ist sehr vielversprechend.
Zeigt, wie sich das Leben dieser Kinder im erwachsenen Alter weiter entwickeln
wird. Der Autor lässt uns LeserInnen lange an dieser Familiengeschichte teilhaben,
selbst noch Jahrzehnte später. Ich kann nur noch
sagen, dass weiterhin jede Menge passieren wird ...
Mein Fazit?
Die ganze
zeitlose und
romanhafte Erzählung hatte etwas Tiefgründiges, in der man recht häufig mit Weisheit gesegnet wird. Viele traurige Szenen bekommt man,
wie im richtigen Leben, zu lesen, die aber nicht alle hoffnungslos stimmen
lassen ... Und der Buchtitel hält, was er verspricht ...
Auch wenn Marty
z. B. einen wirklich
trockenen Menschentyp darstellt, nimmt sein Wesen in den reiferen Jahren mehr
Empathie und Verständnis für das außergewöhnliche Leben seiner beiden
Geschwister Jules und Liz ein. Das zeigt mir, dass der Mensch nicht
festgelegt ist auf angeborene Charakterzüge und Erziehung. Das fand ich
wunderbar.
Und hier meine
neueste Art, ein Buch zu bewerten:
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck
(Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte:
Differenzierte Charaktere
2 Punkte:
Authentizität der Geschichte
2 Punkte:
Fantasievoll, ohne, dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von
Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und\oder Rassismus
Das Buch erhält
von mir zehn von zehn Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch
Gebundene Ausgabe: 354 Seiten
Verlag: Diogenes; Auflage: 5 (24. Februar 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3257069588
ISBN-13: 978-3257069587
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