Mittwoch, 25. Juni 2014

Luigi Malerba / Römische Gespenster (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich inhaltlich nicht sonderlich angespornt. Wenn es vom Seitenumfang her dicker gewesen wäre als die 232 Seiten, dann hätte ich es garantiert abgebrochen. Lediglich die letzten dreißig Seiten haben mich gepackt, sodass ich schließlich doch für mein Durchhalten und für meine Geduld entschädigt wurde. Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
Ein großer Eheroman über unausgesprochene Gefühle, subtile Beziehungskämpfe, Liebe und Lebensweisheit. Sehr kurzweilig, mit Gusto! Dabei hat alles mit einem Witz begonnen.Clarissa kommt ihrem Mann auf die Schliche, weil sie aus dem Mund einer anderen einen Witz hört, den sie sofort wiedererkennt. Was tun? Die kluge Clarissa wartet erst einmal ab und schreitet dann zur Rache. Gesprochen wird in ihrer Ehe nicht, aber gelesen. Der Gatte Giano, Städteplaner und mit der Dekonstruktion in Großstädten beschäftigt, hat daher eine listige Idee: Er bringt die Affäre peu à peu zu Papier. Und natürlich lässt Giano die beschriebenen Seiten so in der Wohnung herumliegen, dass Clarissa sie finden und lesen muss …Luigi Malerba lässt diesmal seine Figuren unglaubliche Wechselbäder durchleben.Einmal erzählt er, einmal sie, sodass wir die gleichen Ereignisse aus dem Blickwinkel der Frau und des Mannes erleben. Ist es wirklich dieselbe Ehe?
Eigentlich gibt es nicht mehr zu sagen, als schon im Klappentext steht. Gelegentlich erfährt man neben den Eheproblemen auch etwas über das Weltbild der beiden Ehepartnern, über die politische Lage weltweit. Doch ich möchte trotzdem versuchen zu beschreiben, wie ich das Buch erlebt habe. Hauptsächlich Clarissa hat mich stark beschäftigt.

Was mir gut gefallen hat, ist, dass der Inhalt frei von Klischees ist. Die Probleme werden nicht hysterisch-emotional ausgetragen, sondern eher im Stillen und in verkopfter Form. Das fand ich gut, mal diese Art von Italiener in der Literatur zu erleben. Dies ist der Grund, weshalb ich lieber ausländische Literatur lese, die nicht vom deutschen Autor geschrieben ist. Denn dieser lässt Südländer eher so auftreten, wie sie seinen Vorstellungen entsprechen, in der Form, wie ein Südländer zu denken, zu fühlen und auszusehen hat. Mir fällt dabei die deutsche Fernsehwerbung ein, als eine schwarzhaarige italienische Frau in dem Streit mit ihrem Mann die Teller aus dem Fenster wirft. Auch in deutschen Büchern findet man ausschließlich schwarzhaarige und emotionsträchtige Italiener. Solche Bilder findet man hier in diesem Buch keineswegs. Es gibt viele Möglichkeiten, eine nicht funktionierende Ehe zu verarbeiten bzw. sich mit ihr auseinanderzusetzen. Da ich selber aus einer italienischen Familie stamme, kann ich bestätigen, dass es solche und solche Italiener gibt. Wobei ich gerade sehe, dass die Protagonisten auf dem Cover auch wieder als dunkelhaarig und dunkeläugig abgebildet sind. Und der Teint sieht aus, als hätten sie beide die Hepatitis, (lol). Deutsche Verlage erlauben eben keine hellen Südländer.

Warum aber hat mich das Buch nicht gepackt? Weil mich solche Themen, Themen wie Partnerschaft, problembeladene Partnerschaft, die sehr langwierig sein können, und so komplex noch dazu, mich letztendlich einfach langweilen. Was kümmern mich Partnerschaftsprobleme anderer Leute? Das ist auch der Grund, weshalb ich keine Liebesromane lese. 
Doch weshalb habe ich mir das Buch denn dann gekauft? Weil ich immer neugierig bin, wie ein ausländischer Autor sein Land und sein Leben darin beschreibt. Das allein hat mich neugierig gemacht.

Interessant fand ich die Idee, wie das Paar in dem Buch die Eheprobleme angeht. Schwer zu durchschauen und keineswegs nach so einem billigen Muster gemacht.

Giano, Universitätsprofessor, schreibt ein Buch. In dem Buch kommen alles Leute darin vor, mit denen er im wirklichen Leben zu tun hat. Allerdings stehen diese Figuren alle unter einem Pseudonym. In dem Buch tauchen hauptsächlich Sexpartner auf, die seiner Frau und seine eigenen. Beide, er und seine Frau Clarissa, lieben sich einerseits, andererseits scheinen sie in ihrer Ehe (sexuell) nicht ausgefüllt zu sein. Clarissa hat überhaupt keine Probleme, all die Figuren in dem Buch zu identifizieren. Auch sich selbst findet sie wieder. Das ist wohl Gianos Absicht, dass die Figuren leicht zu durchschauen sind. Seine Feder ist sein Speer.

Die Erzählperspektiven wechseln sich ab zwischen Giano und Clarissa in der Reihenfolge.

Giano und Clarissa reden nicht über ihre Eheprobleme, sondern sie versuchen, es mit sich alleine auszumachen. Beide sind zwar eifersüchtig, behalten es aber für sich. Giano lässt sein Buch offen liegen, als sei es Absicht. Er möchte, dass seine Frau darin liest und sie die Wahrheit über seinen Seitensprung mit Irina erfährt. In umgekehrter Folge zeigt er ihr, dass auch er Bescheid weiß über Clarissas Sexpartner Zandel, der von Beruf Architekt ist. Clarissa liest in dem Buch, aber sie behält es für sich und Giano fragt sich abends, ob Clarissa aus dem Buch gelesen hat? Was ist denn nun Fiktion und was ist Realität? Beides ist so miteinander verwoben, dass es schwierig ist, diese beiden Welten auseinanderzuhalten. Das wird Clarissa am Schluss zum Verhängnis. 
Wir werden nie wissen können, Giano und ich, an welchem Punkt wir mit unseren gegenseitigen Treuebrüchen sind, denn über dieses Thema gibt es keinen Dialog zwischen uns (…). Wir haben 20 Jahre in fester häuslicher Toleranz zusammengelebt und können nun nicht, nach so langer Zeit, damit beginnen, Selbstkritik zu üben und uns alles frei heraus ins Gesicht zu sagen, wie gewisse Freunde unserer Generation, die alle sehr schlecht geendet haben, mit Nervenkrisen und Rechtsanwälten. Auf Giano und mich weist man hin als ein vorbildliches Ehepaar und wir dürfen die Welt nicht enttäuschen. (210)
Giano macht hin und wieder mal den Versuch, das eine oder das andere auszusprechen, aber er bereut es schnell wieder:
Ich sage etwas und gleich dann bereue ich, es gesagt zu haben. Auch ich habe meine Verzweiflungsmomente und von Zeit zu Zeit verstecke ich mich im Badezimmer und Weine-ohne Tränen und ohne Worte. Die Worte dazu leiht mir ein alter italienischer Dichter in einem verblichenen Buch, das ich zufällig geöffnet habe, als ich die Bibliothek in Ordnung brachte. Der Dichter teilt seine Verzweiflung mit der ganzen Welt und sieht, wie die Sterne, der Mond und die nächtlichen Rufe den Tod seiner Liebsten beweinen. (215)
Welch ein Tau
Oder Weinen in jenen
Vom hellen Antlitz der Sterne,
Vom Mantel der Nacht versprühten Tränen?
Und warum groß
Der weiße Mond
Ein reines Gewölk kristallener Tropfen
Dem feuchten Gras in den Schoß?
Warum in dunkeler Luft wie Klage
Tönte, tönte es rings
Vom Wehen der Windel bis hin zum Tage?
Zeichen vielleicht, daß du
Dich wegbegeben,
O meines Lebens leben? (215) 
Giano ist also ein Mensch, der mit Hilfe von Literatur versucht, sich emotional zu reinigen.

Clarissas sexuelle Gefühle sind fast unersättlich. Sie versteht sich selbst nicht, und befürchtet, sich zu einer Nymphomanin zu entwickeln. Ihr sexueller Partner namens Zandel ist an Krebs erkrankt und liegt im Sterben. Sie flüchtet dadurch in eine andere sexuelle Beziehung, wie von Giano schon erwartet. Es ist ein junger Student ihres Mannes. Doch tief in ihr macht sich eine starke Trauer um den Verlust Zandels breit. Um die Trauer nicht zu spüren, wird sie richtig süchtig nach Sex, der ihr unbewusst helfen soll, negative Emotionen auszuleben, bzw. sie rauszulassen.

Sie weiß, dass es Zandel bald nicht mehr geben wird. An diesen Gedanken muss Clarissa sich langsam gewöhnen. Sie stellt fest, dass nur die echten Personen sterblich sind, während die fiktiven dagegen unsterblich. Im Folgenden ein Zitat aus der Sicht Clarissas, das mir sehr gut gefallen hat, weil es einfach auch der Tatsache entspricht.
Bekanntlich haben viele Schriftsteller sich für ihre Romane von wirklichen Personen anregen lassen. So kommt es auch, daß die erfundenen Personen sehr viel langlebiger sind als ihre leibhaftigen Modelle. Die menschlichen Modelle der Romane und Erzählungen etwa von Thomas Mann oder Italo Svevo-seit vielen Jahren sind sie nun bereits tot, während ihre jeweiligen literarischen Figuren sich auf den Buchseiten noch immer bester Gesundheit erfreuen. Ich weiß nicht, wie lange es Gianos Roman geben wird, aber wenn er wirklich gedruckt wird, hat das gedruckte Papier eine längere Lebenszeit als Zandel (…) aber vermutlich auch länger als wir, die wir eine normale Lebenserwartung haben. Armer Zandel und auch wir Armen, die wir weder einen Thomas Mann noch Italo Svevo haben, die uns bequem und auf längerer Dauer in irgendeinem schönen Buch unterbringen. Und du sollst ja nicht glauben, dass ich meinen Mann verachte, weil er nicht Thomas Mann oder Italo Svevo ist.
Diese neue Beziehung mit dem jungen Studenten durchschaut Giano ebenfalls und dichtet dieser Person eine epidemische Krankheit an, die zum Ende der Beziehung führt. Als Clarissa dies liest, wirft es sie dermaßen aus der Bahn, dass ich nun aufhören möchte, weiter darüber zu erzählen.

Das Ende fand ich richtig Klasse, wie Giano sein Buch zum Abschluss gebracht hat, und unter welchem Einfluss Clarissa dadurch stand.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Das Thema ist literarisch anspruchsvoll, es hat Tiefe, die Sprache ist recht fantasievoll und ist frei von Klischees. 
Dass mir die Thematik nicht so sehr auf dem Herzen gelegen hat, ist schließlich nicht die Schuld des Autors. 
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung,
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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Sonntag, 22. Juni 2014

Luigi Malerba / Römische Gespenster

Klappentext

Ein großer Eheroman über unausgesprochene Gefühle, subtile Beziehungskämpfe, Liebe und Lebensweisheit. Sehr kurzweilig, mit Gusto!
Dabei hat alles mit einem Witz begonnen.
Clarissa kommt ihrem Mann auf die Schliche, weil sie aus dem Mund einer anderen einen Witz hört, den sie sofort wiedererkennt. Was tun? Die kluge Clarissa wartet erst einmal ab und schreitet dann zur Rache.
Gesprochen wird in ihrer Ehe nicht, aber gelesen. Der Gatte Giano, Städteplaner und mit der Dekonstruktion in Großstädten beschäftigt, hat daher eine listige Idee: Er bringt die Affäre peu à peu zu Papier. Und natürlich lässt Giano die beschriebenen Seiten so in der Wohnung herumliegen, dass Clarissa sie finden und lesen muss …
Luigi Malerba lässt diesmal seine Figuren unglaubliche Wechselbäder durchleben.
Einmal erzählt er, einmal sie, so dass wir die gleichen Ereignisse aus dem Blickwinkel der Frau und des Mannes erleben. Ist es wirklich dieselbe Ehe?
Ein Meisterwerk an Erzählkunst und Gefühlsverwirrung!


Autorenporträt
Luigi Malerba wurde 1927 in Berceto bei Parma geboren. Er gehörte zu den Gründern des Gruppo 63, schrieb Theaterstücke, Drehbücher, Erzählungen und Romane. Der phantasievolle Geschichtenerzähler, der zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Italiens zählt, starb 2008 in Rom.

Der Autor ist mir unbekannt. Entdeckt habe ich ihn antiquarisch bei Bücher-Oxfam. Nun bin ich gespannt.




Samstag, 21. Juni 2014

Carson McCullers / Frankie (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wieder ein McCullers Buch, in dem es um Persönlichkeiten geht, die tief in der inneren Einsamkeit stecken.

Die Protagonistin in dem Roman ist, wie der Buchtitel schon verrät, die zwölfjährige Frankie, die nun genug davon hat, Kind zu sein und sich nichts sehnlichster wünscht, als in die Welt der Erwachsenen einzutauchen. Frankie ist eine Halbwaise. Die Mutter starb bei ihrer Geburt. Der Vater,
Juwelier von Beruf, ist einundvierzig Jahre alt, der seit dem Tod seiner Frau eine farbige Köchin namens Berenice Sadie Brown eingestellt hat. Nebenbei ersetzte sie Frankie ein wenig die Mutterrolle. Dann gibt es noch den sechsjährigen Vetter John Henry West.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
›Frankie‹ ist die Geschichte eines Reifeprozesses und einer großen Sehnsucht, der Sehnsucht, dabei zu sein: beim Leben der Erwachsenen, hier bei der Hochzeit des Bruders, der von einer fremden Frau entführt wird. Frankies Ruf ›Nehmt mich mit!‹, der ungehört dem abreisenden Paar nachhallt, ist der verzweifelte Ruf, den jedes alleingelassene Kind kennt.
Die Geschichte spielt im Sommer des Zweiten Weltkriegs, in der Frankie in eine Identitätskrise gerät. Sie hat noch einen älteren Bruder, der in diesem Sommer die Absicht hat, zu heiraten. Frankie will indirekt mitgeheiratet werden. Sie erträgt die Einsamkeit nicht mehr. Mit dieser Mitheirat würde sich ihr ein Wir bilden.
Die beiden sind mein >Wir<. Gestern und während der ganzen zwölf Jahre ihres Lebens war sie nur Frankie gewesen. Sie war nur ein >Ich< und ging für sich allein herum und musste für sich selber handeln. Alle anderen hatten ein >Wir< - alle, nur sie nicht. Wenn Berenice >Wir< sagte, so meinte sie Anträge und die Großmutter, ihre Loge oder die Kirchengemeinde. Das >Wir< ihres Vaters war sein Laden. Alle Klubmitglieder haben ein >Wir<, zu dem sie gehören und von denen sie reden können. Die Soldaten in der Armee können >wir< sagen, sogar die Verbrecher, die man aneinanderkettet. Aber die alte Frankie hatte kein >Wir< gehabt, höchstens das >Wir< des schrecklichen Sommers, das aus ihr und Jean Henry und Berenice bestand; und das war das allerletzte >Wir<, das sie gewollt hatte. Das alles war nun plötzlich vorbei und ganz anders. Es gab ihren Bruder und seine Braut; und eigentlich hatte sie es schon gewusst, als sie die beiden das erste Mal sah: Die beiden sind mein >Wir<! (74)
Die Idee mit dem „Wir“ fand ich einen supergenialen Gedanken. Deutlicher kann der Kampf gegen die Einsamkeit gar nicht mehr ausgedrückt werden.
Sie stand in der Ecke des Brautzimmers und hätte gern gesagt: „Ich liebe euch beide so sehr. Ihr seid mein Wir. Bitte nehmt mich mit nach der Hochzeit, denn wir gehören zusammen."
In den späteren Zitaten folgen noch weitere geniale Beispiele. Frankie hatte einfach genug davon, sich selbst zu sein. Ein weiterer Gedanke folgt, der mich tief beeindruckt hat:
Das war der Sommer, als Frankie es satthatte, Frankie zu sein. Sie hasste sich, wusste nichts mit sich anzufangen, war zu nichts nütze und lungerte den ganzen Tag über in der Küche herum; schmutzig, gierig, gemein und traurig. Sie verdiente es wirklich nicht, auf der Welt zu sein, und außerdem war sie ein Verbrecher. Hätte das Gericht Bescheid gewusst, sie wäre verurteilt und ins Gefängnis gesperrt worden. Aber Frankie war nicht immer ein Verbrecher und Taugenichts gewesen. Bis zum April war sie ihr ganzes Leben lang wie die anderen Leute gewesen. Sie war Mitglied in einem Klub und hatte gute Zeugnisse nach Hause gebracht. Jeden Samstagvormittag half sie ihrem Vater bei der Arbeit, und Samstag Nachmittag ging sie ins Kino. (39f) 
Frankie war ein sehr fantasiebegabtes Kind. Die Fantasien waren wichtig, um durch diese schwierige Phase, die die Pubertät mit sich brachte, zu gehen. Ihre Gedanken waren nicht immer leicht, sie nachzuvollziehen. Sie hatte genaue Vorstellungen davon, wie sie die Welt gerne hätte. Sie ging zur Blutspende, damit ihr Blut in den Adern von Menschen aus anderen Ländern und Kontinenten weiter zirkulieren konnte. Darin sah sie eine Verbindung zu den Menschen aus aller Welt. 
Sie beschloss, Blut zu spenden. Sie wollte dem Roten Kreuz wöchentlich einen Liter geben, dann würde ihr Blut in den Adern von Australiern, Franzosen und Chinesen über die ganze Welt verbreitet sein, und sie wäre mit all diesen Menschen verwandt. (42) 
An diesem Zitat wird noch einmal deutlich, wie sehr Frankie unter ihrer Einsamkeit litt und wie sehr sie sich nach anderen Menschen sehnte. Doch zu ihrem Missmut wurde sie aufgrund ihres so jungen Alters abgelehnt, was Frankie den Ärzten arg übel nahm.

Auch wünschte sich Frankie eine Insel, auf der Menschen so viele Kriege führen konnten, wie sie wollten. Nur kriegsenthusiastische  Menschen sollten auf dieser Insel leben.
Der Krieg und die Welt - alles war zu schnell, zu riesig und fremd. Wenn sie zu lange über die Welt nachdachte, bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie fürchtete sich nicht vor den Deutschen oder vor Bomben oder vor Japanern. Sie fürchtete sich, wenn man sie nicht mitmachen ließ in diesem Krieg und weil es ihr so vorkam, als habe sich die Welt irgendwie von ihr getrennt. (42f)
Frankie fehlte es an Mutterliebe. Sie klammerte sich stark an den Vater und schlief noch bis zum zwölften Lebensjahr mit ihm in einem Bett, bis der Vater schließlich Einhalt gebietet:
Als ihr Vater und sie eines Abends im April zu Bett gingen, sah er sie plötzlich an und sagte: "Wer ist denn diese zwölf Jahre alte, langbeinige Zikade, die immer noch bei ihrem alten Papa schlafen will?" Seitdem war sie zu alt, um noch länger mit ihrem Vater zusammen zu schlafen. Sie musste oben in ihrem Zimmer allein schlafen. Sie nahm es ihrem Vater übel, und die beiden sahen einander schief von der Seite an. Sie mochte nicht länger zu Hause bleiben. (44) 
Dieses Ausladen aus dem ehelichen Bett ihres Vaters verschärfte die Krise um einiges und so gibt sich Frankie gefährlichen Tagträumereien hin.

Frankie ist 1,67 m groß. Sie verzieh es sich nicht, dass sie so groß war und nannte sich selbst langer Lulatsch, der es nicht verdiente, auf der Welt zu sein. Von den Kindern wurde sie der Größe wegen verspottet. Sie bekam die Frage gestellt, ob es ihr dort oben nicht zu kühl sein würde? (Lol)

Der Hauptaufenthaltsort in diesem Buch ist die Küche. Frankie tauscht sich gerne mit der Köchin Berenice aus. Berenice bekommt sehr deutlich die schwermütigen Gedanken dieses jungen Menschen mit. Frankie würde den ganzen Tag nichts anderes tun, als zu denken und über ihre Gedanken zu sprechen.

Dass sich Frankie stark nach Liebe sehnt, und sie diese sich bei Berenice holt, fand ich folgendes Zitat ein wenig traurig, denn nicht nur Frankie will geliebt werden, sondern auch der kleine John Henry:
Frankie legte das Messer, mit dem sie spielte, auf den Tisch und setzte sich Berenice auf den Schoß und lehnte das Gesicht gegen ihren Hals. Ihr Gesicht war schweißnass, genau wie Berenices Hals, und beide rochen salzig und sauer. Ihr rechtes Bein lag über Berenices Knien und zitterte. Als sie den Fuß auf den Boden stellte, zitterte es nicht mehr. John Henry kam (…) angeschlürft und schmiegte sich eifersüchtig an Berenice. Er legte seinen Arm um ihren Hals und hielt sich an ihrem Ohr fest. Dann versuchte er, Frankie von ihrem Schoß zu schubsen, und kniff Frankie ins Bein.„Lass Frankie in Ruhe", sagte Berenice, „sie hat dir nichts getan."
„Ich bin krank", jammerte er. 
„Aber nein, das bist du nicht. Sei brav und gönn deiner Cousine das bisschen Liebe." (201)
Nun habe ich sehr viele Zitate eingebracht, weil mir die Textstellen so gut gefallen haben. Mit in die Hochzeit ihres Bruders eingezogen zu werden, und schließlich mit dem vermählten Paar mitzuziehen, wurde immer mehr zur Täuschung ihrer eigenen Einbildungskraft, die sie weiterhin in eine schwere Krise stürzte. Berenice hatte sie liebevoll davor gewarnt, dass ihr Bruder sie unmöglich ins neue Leben mitnehmen könne, doch sie wollte ihr nicht glauben. Sie hegte Suizidgedanken und die Absicht, sich mit dem Revolver ihres Vaters zu töten. Frankie packt eines späten Abends ihren kleinen Koffer, klaut dazu die Geldbörse ihres Vaters, und reißt aus. Sie will raus in die Welt, wenn sie auch noch nicht weiß, wie und wohin. Suizid oder nicht? Lest einfach selbst.

Ich mache hier nun Schluss, doch glaubt nicht, dass ich alle Szenen beschrieben habe. Es gibt noch andere, sehr interessante Begebenheiten zwischen Frankie und ihren Mitmenschen, zwischen dem kleinen John Henry und nicht zu vergessen zwischen Berenice und deren Leben mit den vielen Ehen und Scheidungen.

Und auch der Rassismus fand hier seinen Platz. Die schwarze Köchin Berenice sehnt sich nach einer Welt, in der es zwischen den Schwarzen und den Weißen eine Gleichbehandlung gibt und die frei ist von Diskriminierungen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Es ist authentisch geschrieben, literarisch tiefgründig, anspruchsvoll und sehr fantasievoll.
______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
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Donnerstag, 19. Juni 2014

Carson McCullers / Frankie


Klappentext

›Frankie‹ ist die Geschichte eines Reifeprozesses und einer großen Sehnsucht, der Sehnsucht, dabeizusein: beim Leben der Erwachsenen, hier bei der Hochzeit des Bruders, der von einer fremden Frau entführt wird. Frankies Ruf ›Nehmt mich mit!‹, der ungehört dem abreisenden Paar nachhallt, ist der verzweifelte Ruf, den jedes alleingelassene Kind kennt.

Autorenporträt
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus (Georgia), gestorben 1967 in Nyack (New York), dort begraben. McCullers wollte eigentlich Pianistin werden. Mit 500 Dollar fuhr sie 18-jährig alleine nach New York, um an der renommierten Juilliard-Musikschule zu studieren. Das Geld verschwand auf mysteriöse Weise, doch sie blieb in New York, arbeitete als Sekretärin, Kellnerin, Barpianistin und beschloss, Schriftstellerin zu werden. Der Erfolg ihres Erstlings, ›Das Herz ist ein einsamer Jäger‹, machte die 23-Jährige zum literarischen ›Wunderkind‹. Mit 23 erlitt sie den ersten von drei Schlaganfällen, ihr Leben wurde bestimmt durch die Krankheit, der sie ihr Werk abrang, und durch Einsamkeit, besonders nach dem Selbstmord ihres Mannes 1953.
»Wie alle genialen Dichter überzeugt sie uns davon, daß wir im Leben etwas übersehen haben, was ganz offenkundig vorhanden ist. Sie hat das unerschrocken ›goldene Auge‹.«
Das vierte Buch, das ich von der Autorin lese.

Das Herz ist ein einsamer Jäger 
Uhr ohne Zeiger
Die Autobiografie

Und mir haben sie alle gut gefallen.






Dienstag, 17. Juni 2014

Eileen Chang / Das Reispflanzerlied (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mich recht betroffen gestimmt, wobei mir die historischen Ereignisse Chinas nicht unbekannt waren. Trotzdem, diese Unmenschlichkeit in der Politik stimmt mich immer wieder aufs Neue betroffen und nachdenklich. Erstaunlich, zu welchem primitiven Verhalten das Volk getrieben wurde.  Menschlichkeit wurde ihnen mit rigiden Erziehungsmethoden ausgetrieben. Damit sind jetzt nicht nur die Kinder gemeint, auch erwachsene Menschen sind umerzogen worden. Die Menschen wurden einem verzweifelten Existenzkampf ausgesetzt.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
China, 50er Jahre: Der junge Bauer Jin'gen und seine Frau kämpfen ums Überleben, aber auch um ihre Hoffnung, die sie mit dem Aufbruch in den Kommunismus verbanden. Unversöhnlich prallen Staat und Individuum aufeinander, und es beginnt ein makabrer Totentanz. Eileen Chang erzählt einfühlsam und menschlich ein modernes Drama. Seit der Bodenreform ist der Bauer Jin'gen sein eigener Herr, doch die Ernte reicht kaum, um ihn und seine Familie zu ernähren. Als der Landbevölkerung eine Sonderabgabe zugunsten der heldenhaften Soldatenfamilien aufgezwungen wird, steht ihre Existenz auf dem Spiel: Die Bauern werden elendig verhungern, wenn sie der Partei folgen- jener Partei, von der sie sich so viel erhofft hatten. In ihrer Not wagen die Dorfbewohner das Unmögliche, den Aufstand gegen die Machthaber- mit katastrophalen Folgen. 
Im Anhang gibt es eine recht gute Dokumentation dazu zu lesen. 

Die Autorin verfügt über eine recht poetische, metaphorische Sprache, von der ich sehr angetan war.

Gleich auf der siebten Seite bekommt man eine Welt Chinas vorgestellt, die sehr ärmlich ist und in der die Sonne alt geworden sei. Die gealterte Sonne ist für mich ein Symbol dafür, dass das Volk schon recht lange unter seinen Problemen zu leiden hatte. Die Menschen befanden sich politisch zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus. Konterrevolutionäre wurden hart bestraft.

Wenn ein Paar vermählt wurde, so mussten sie den Grund für die Wahl der Partnerschaft angeben. Die Antwort durfte niemals lauten, dass es eine Liebesheirat werden solle, sondern die Arbeit und die Tüchtigkeit des Partners, der Partnerin sollte im Vordergrund stehen.
„Weil er oder sie gut arbeitet." So hatte man es ihnen aufgetragen, denn jede andere Antwort hätte nur lästige Fragen und womöglich Unannehmlichkeiten zur Folge gehabt. (13)
Der Versuch, die Menschen kommunistisch zu leiten, ist vollends gescheitert und eigentlich eher eine böse Farce. Den Menschen wurden nur Versprechungen gemacht …

Im eigenen Land konnten die Menschen nicht reisen, wie sie wollten. Sie brauchten für alles eine Reisegenehmigung.

Die Menschen waren so arm, obwohl der Kommunismus versprochen hatte, z. B. alle Lebensmitteln mit anderen etc. zu teilen. Und wer nichts zu teilen hatte, vor allem an die Milizionäre, der wurde gezwungen, sich Güter und Bares zu leihen. Ziemlich makaber. Wobei das Teilen recht einseitig war. Z.B. die Milizionäre nahmen sich einfach, was sie brauchten. 
Im Folgenden ein kleiner Dialog einer Familie im Austausch über die Armut:
Ihr seid nicht die Einzigen, die zu leiden haben. Bei uns ist es noch viel schlimmer. Unser Schwein muss dran glauben. Und weil wir kein Geld haben, zwingt man uns, bei Verwandten zu borgen.
Jeder achtete auf den anderen. Es gab keine Privatsphäre mehr, jeder kontrollierte das Verhalten und den Besitz seines Nachbarn. Wer davor noch keine Paranoia hatte, der wird spätestens in solch einer Gesellschaft paranoid. Die Politik macht Menschen zu Unwesen. Selbst Angehörige lebten gegenüber ihren Verwandten arg misstrauisch. Es herrschte eine große Angst, sich mitzuteilen. Sie lebten nach dem chinesischen Sprichwort: Einen Flaschenhals kann man verkorken, aber einen Mund nicht. Jeder wurde dem anderen Feind statt Freund. Sie bezahlten im schlimmsten Fall mit dem Leben, sollten sie sich nicht an die Gesetze halten. Viele Menschen litten so stark an Hunger, dass sie, wenn möglich, versteckt gierig Nahrung zu sich nahmen. Sie mussten sogar á la Big Brother bei offener Tür wohnen, denn sonst hegte man den Verdacht, dass Besitz verheimlicht und versteckt gehalten wurde. Es ging sogar so weit, dass jeder in die Teller seiner Nachbarn blicken konnte. Wer mehr besaß, aber nichts abgab, wurde denunziert. Es gab Menschen, die über mehrere Lebensmittel verfügten, weil sie z.B. in der Stadt hart dafür gearbeitet hatten. Dennoch mussten sie sich ärmlich ernähren, sonst hätte man ihnen den Überschuss an Lebensmitteln weggenommen. Diese Leute mussten die Armut vortäuschen.
Im schlimmsten Fall würden sie Zigarettenkippen von der Straße auflesen, die sie zu neuen Zigaretten drehen konnten, würden Mülleimer nach Brauchbarem durchwühlen oder Fahrzeugen über die Steigung der Brücken hinweghelfen, vielleicht sogar betteln oder hin und wieder Lebensmittel aus Einkaufskörben stibitzen (54).
Es gab einen Lehrer namens Gu, der den Auftrag erhielt, eine Winterschule zu betreiben. Gu war ursprünglich Journalist. Ich gebe nun einen kleinen Dialog wieder, zwischen Gu und dem Kader Wang. Wang ist gegenüber dem einfachen Volk Kader und gegenüber dem Lehrer Genosse: 
„Genosse Wang, gibt es hier in der Nähe einen Damm?"
"Einen Damm?", wiederholte Wang überrascht, als der Bericht über seine Karriere als Zeitungsmann so unvermittelt abgewürgt wurde. "Nein, wieso? Möchtest du einen Damm besichtigen?" An dem plötzlichen Interesse und dem breiten Lächeln seines Gegenübers erkannte Gu, dass Wang misstrauisch geworden war. „Nein, ich dachte nur, dass ein Damm vielleicht helfen könnte, sommerlichen Überschwemmungen Einhalt zu gebieten."
"Der Fluss tritt nie über die Ufer."
"Aber eigentlich sollte er das", erklärte Gu. Ich überlege gerade, ob man daraus eine Geschichte entwickeln könnte."
"Ja, aber …"  Wang starrte ihn verwundert an. "Warum solltest du eine erfinden, wo es doch in diesen großartigen Zeiten überall reale Geschichten gibt?" (111f)
Muss man dazu noch was sagen?

Gute Autoren haben es im heutigen China noch immer schwer, sich als Schriftsteller zu etablieren. Viele leben bei sich zu Hause im Exil, indem sie Ausgangssperre aufgedrückt bekommen, andere flüchten ins Ausland.

Das Buch endet sehr tragisch.

Es erhält von mir zehn von zehn Punkten. 

______
Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
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 solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

Gelesene Bücher 2014: 39
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
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Sonntag, 15. Juni 2014

Das Reispflanzerlied / Eileen Chang

Klappentext
China, 50er Jahre: Der junge Bauer Jin'gen und seine Frau kämpfen ums Überleben, aber auch um ihre Hoffnung, die sie mit dem Aufbruch in den Kommunismus verbanden. Unversöhnlich prallen Staat und Individuum aufeinander, und es beginnt ein makabrer Totentanz. Eileen Chang erzählt einfühlsam und menschlich ein modernes Drama. Seit der Bodenreform ist der Bauer Jin'gen sein eigener Herr, doch die Ernte reicht kaum, um ihn und seine Familie zu ernähren. Als der Landbevölkerung eine Sonderabgabe zugunsten der heldenhaften Soldatenfamilien aufgezwungen wird, steht ihre Existenz auf dem Spiel: Die Bauern werden elendig verhungern, wenn sie der Partei folgen- jener Partei, von der sie sich so viel erhofft hatten. In ihrer Not wagen die Dorfbewohner das Unmögliche, den Aufstand gegen die Machthaber- mit katastrophalen Folgen. 

Autorenporträt
Eileen Chang, eigentlich Zhang Ailing, geboren 1920 in Shanghai, veröffentlichte ihre ersten Erzählungen 1942 in der von Japanern besetzten Stadt Schanghai. 1952 ging sie zunächst nach Hongkong und Taiwan, 1955 dann in die USA, wo sie an verschiedenen Universitäten unterrichtete. Sie starb 1995 in San Francisco.
Das Buch habe ich bei Jokers preisgünstig erworben. Ein Restseller. Der Klappentext hatte mich neugierig gestimmt. Vom Genre her wird wird das Buch unter moderner Klassiker eingereiht.





Samstag, 14. Juni 2014

Charlotte Bronté / Villette (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die Protagonistin und die Icherzählerin ist die junge Engländerin Lucy Snowe, die sich erst mal ziellos auf ein Schiff begibt, in Frankreich ankommt, und auf  Empfehlungen einer Schiffspassagierin nach Villette fährt, um sich in einem Mädcheninternat als Englischlehrerin zu bewerben. Obwohl sie zum Unterrichten gar kein Examen besitzt, und sonst auch keinerlei Referenzen nachzuweisen hat, bekommt sie nach einer harten Eignungsprüfung über die strenge Direktorin Madame Beck nun endlich den Lehrauftrag als Englischlehrerin. Englischlehrerinnen in Frankreich waren zur damaligen Zeit schwer zu finden. Lucy Snowe macht nun ihre Erfahrungen mit den Franzosen. Auf was ich besonders großen Wert lege, bevor ich meine Punkte verteile, ist eine differenzierte Beobachtungsgabe, mit der Charlotte Bronté in hohem Maße ausgestattet war. Der Autorin ist es gelungen, die Franzosen sehr differenziert darzustellen. Ihre Personenbeschreibungen sind frei von Klischees und Stereotypen. Das mag ich sehr. 
Was die Thematik betrifft, gebe ich zur Erinnerung noch einmal den Klappentext rein:
Im Mittelpunkt von Charlotte Brontës drittem großen Roman steht erneut eine bewegende Frauenfigur: Nach einer glücklos unsteten Jugend findet die unscheinbare Lucy Snowe in der Fremde Anstellung im Mädchenpensionat der kaltherzigen Madame Beck. Als ihre aufkeimende Liebe zum jungen Schularzt Dr. John unerwidert bleibt, droht die Einsamkeit sie zu erdrücken. Doch dann entdeckt Lucy ihre Zuneigung zu dem eigenwilligen Literaturprofessor Paul Emanuel. 
Lucy Snowe erwies sich mir als eine recht sympathische Persönlichkeit. Für ihre Zeit war sie sehr aufgeklärt. Ihr intellektuelles Auftreten stieß besonders bei Monsieur Paul, französischer Literaturprofessor des Internats, auf Widerstand.
Eine Frau mit Verstand war offenbar eine Art lusus nturae, ein unseliger Zufall, ein Ding, für das es in der Schöpfung weder Platz noch Verwendung gab, das weder zur Ehefrau noch zur Arbeit taugte. (544f)
Auch wirkte Lucy recht sensibel und es gelang ihr, hinter die Fassaden ihrer französischen Mitmenschen zu schauen. Die anderen Figuren kamen mir ein wenig narzisstisch vor. Mir war, als würde Lucy für deren Eitelkeit benutzt werden, mit der sie permanent konfrontiert wurde. Nicht nur bei den Mädchen, nein auch bei den Erwachsenen. Auch dem Schularzt Dr. John, in den sich Lucy verliebt hatte, musste sie fortlaufend zu seiner Person Fragen beantworten.
Lucy wirkte auf mich sehr einsam. Die Einsamkeit erlebte sie als recht schmerzvoll, zudem besaß sie ein recht labiles Nervenkostüm. Ihre Kolleginnen in dem Internat waren Durchschnittsmenschen, von denen sie sich zurückzog.

Besonders qualvoll erlebte sie Monsieur Paul, der sie immer wieder auf die Probe gestellt hat. Als Protestantin hatte Lucy es nicht leicht, aber sie schlägt sich immer wieder tapfer durch und ist um Widerworte nicht verlegen. Sie kann aber auch schweigen, wenn der aggressive Gegenpart sie noch weiter attackiert.

Lucy hegt große Pläne. Sie spart für ihr eigenes Pensionat. Sie möchte nicht immer bei Madame Beck angestellt bleiben. Auch Madame Beck ist eine recht kuriose Erscheinung. Sie ist neugierig und wühlt in Lucys Privatsachen, wenn Lucy selbst nicht im Raum ist. Doch Lucy bemerkt das sehr wohl, behält es aber für sich.

Lucy wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob sie gerne unterrichten würde. Und die Leute zeigten sich entsetzt, als sie ihre Lehrtätigkeit nicht als Berufung angibt. Von einer Frau würde man erwarten, dass sie alles, was sie tut, aus reiner Menschenliebe zu erfüllen habe. Doch auch hier ist Lucy nicht verlegen und entgegnete, dass sie in erster Linie für sich selber sorgen müsse, um finanziell unabhängig leben zu können, um somit niemandem zur Last zu fallen.

Lucy zeigt sich oft rebellisch, gerade weil Monsieur Paul sie immer wieder von Neuem provoziert.
"Sie sehen blass aus in ihrem Schlummer. Klagt Sie das Heimweh?"
"Heimweh - dazu muss man ein Heim haben. Ich habe keins."
"Dann brauchen Sie umso mehr einen Freund, der auf Sie achtgibt. Miss Lucy, ich kenne kaum jemand, der dringender als Sie einen Freund nötig hat. Selbst Ihre Fehler verlangen gebieterisch nach ihm. Sie brauchen jemanden, der Sie kontrolliert, der Ihnen den Kopf zurechtrückt und Sie im Zaum hält."
Die Vorstellung, >>man müsse mich im Zaum halten<<, war Monsieur Paul nicht auszutreiben. (557)
Eine Schülerin spielt ihr einen Streich, sodass Lucy glaubt, unter Wahnvorstellungen zu leiden. Sie verfällt erneut einem Schwächeanfall. Am Schluss des Buches klärt sich allerdings alles auf.

In dem Internat unterrichtet auch eine Deutschlehrerin namens Fräulein Anna Braun. Interessant fand ich die von Lucy dargelegte Personenbeschreibung:
Unsere Deutschlehrerin, Fräulein Anna Braun, war eine wackere, derbe Frau von etwa fünfundvierzig Jahren. Vielleicht hätte sie in den Tagen der Königin Elisabeth leben sollen, denn sie verzehrte regelmäßig zum ersten und zweiten Frühstück Rindfleisch mit Bier. Außerdem schien ihr ehrliches, gerades deutsches Gemüt grausamen Zwang durch das zu leiden, was sie unsere englische Zurückhaltung nannte. Wir bildeten uns zwar ein, dass wir sehr herzlich mit ihr umgingen, aber wir klopften ihr nicht auf die Schulter, wenn wir uns dazu herbeiließen, sie auf die Wange zu küssen, so geschah dies in aller Ruhe und ohne explosives Schmatzen. 
Mehr möchte ich nun nicht verraten. Wie typisch für alle Bronté-Bücher sind nicht nur die traurige Kindheit, von der die Protagonistinnen oftmals heimgesucht werden, typisch sind auch die Lehrberufe, die ergriffen werden, und auch die Liebesgeschichten gehören wie selbstverständlich immer dazu. So auch in diesem Buch. Besonders Monsieur Paul, der Lucy so oft attackierte, tat es letztendlich nur, weil er eine heimliche Liebe zu ihr in sich entdeckt hat. Ob sie von Lucy erwidert wurde, möchte ich auch dazu nicht mehr verraten.

Das Buch erhält von mir neun von zehn Punkten. Wie anfangs schon beschrieben, haben mir die differenzierten Personenbeschreibungen sehr zugesagt. Auch der literarische Schreibstil hat mir gefallen. Der einzige Nachteil ist, dass in dem Buch sehr viele Konversationen in französischer Sprache abgehalten werden, ohne dass eine Übersetzung über eine Fußnote der jeweiligen Seiten gesetzt wurde. Die Autorin setzt französische Sprachkenntnisse wahrscheinlich voraus. Der Kontext lässt sich zwar auch ohne die Kenntnisse der französischen Sprache gut verstehen, aber ich bin sicher, dass man das eine oder andere Wesentliche verpasst hat.

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Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen
 haben ihre Berechtigung, 
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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Dienstag, 3. Juni 2014

Charlotte Bronté / Villette


Klappentext

Im Mittelpunkt von Charlotte Brontës drittem großen Roman steht erneut eine bewegende Frauenfigur: Nach einer glücklos unsteten Jugend findet die unscheinbare Lucy Snowe in der Fremde Anstellung im Mädchenpensionat der kaltherzigen Madame Beck. Als ihre aufkeimende Liebe zum jungen Schularzt Dr. John unerwidert bleibt, droht die Einsamkeit sie zu erdrücken. Doch dann entdeckt Lucy ihre Zuneigung zu dem eigenwilligen Literaturprofessor Paul Emanuel. "Villette" (1853) ist der letzte zu Lebzeiten erschienene Roman Brontës, die zuvor mit "Jane Eyre" einen grandiosen Erfolg feierte und deren Werke seither zum Kanon der englischen Literatur gehören.


Autorenporträt
Die Schwestern Charlotte, Emily und Anne Brontë gehören bis heute zu den meistgelesenen Autorinnen des 19. Jahrhunderts.Als Töchter eines englischen Pfarrers wuchsen sie in der Abgeschiedenheit eines abgelegenen Pfarrhauses in West Yorkshire auf, wo sie bis zu ihrem Lebensende blieben. Bereits als Kinder verfaßten die Schwestern gemeinsam mit ihrem Bruder Branwell (1817-1848) die Erzählungen aus Angria. Als der Bruder jedoch alkohol- und drogenkrank wurde, waren die Schwestern aufgrund des frühen Todes der Mutter und der mangelnden Unterstützung des Vaters auf sich alleine gestellt.Ihre Werke erschienen zeitlebens unter den männlichen Pseudonymen Currer Bell (Charlotte), Ellis Bell (Emily) und Acton Bell (Anne).
Charlotte Brontё (1816-1855), die älteste der drei Schwestern, arbeitete u.a. als Lehrerin und Gouvernante, nachdem sie in Brüssel an der Privatschule der Madame Heger Französisch gelernt hatte. Der erst posthum veröffentlichte Roman Der Professor handelt von ihrer unerfüllten Liebe zu Hegers Ehemann und zählt zusammen mit Jane Eyre zu ihren größten Erfolgen.






Montag, 2. Juni 2014

Sabine Weigand / Die Markgräfin (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Unabhängig von dem Klischee, die Autorin beschreibt die Italiener äußerlich alle gleich, mit einem olivefarbenen Teint, dazu noch schwarzhaarig und klein, hat mir das Buch recht gut gefallen.

Sabine Weigand hat sich die Mühe gemacht, den Italiener zu beschreiben, so wie sie ihn sieht. Und ich mache mir jetzt die Mühe, diesem Bild zu widersprechen.

Ich mag nun mal keine Klischees. Ich stamme aus einer italienischen Familie, und bei uns hat niemand einen oliven Hautton. Und wir sind nicht alle schwarzhaarig. Mein Vater war der Einzige mit den schwarzen Haaren und in der übrigen Verwandtschaft gibt es recht viele blondhaarige Italiener, sowohl mütterlicherseits, als auch väterlicherseits. Mein Bruder und ich waren als Kind hellblond. Meine Mutter u. a. haben blaue Augen. Meine Haut ist so hell wie Milch, das heißt, ich bin nicht dunkel auf die Welt gekommen. Und ich bin nicht einmal sonnengebräunt, weil ich mich nicht in die Sonne lege. Warum erfinden deutsche Autoren nur solche südländische Menschenbilder? Die dunkleren Italiener sind genauso sonnengebräunt wie andere Europäer auch, nur dass im Süden die Sonnenmonate eben länger andauern, als in den höheren Regionen Europas. Kleine Italiener? Ich kenne so viele Deutsche, die auch klein sind. Und so viele Italiener, die eine ganz normale Körpergröße haben. Klein, groß, mittel etc. Es ist alles vertreten. Vom Hauttyp bis zur Haarfarbe und wiederum bis zur Körpergröße.

Und die Gebärdensprache? Schaut euch mal deutsche Politiker im Parlament an, wie sehr sie mit ihren Händen gestikulieren. 

Warum werden die Südländer alle in Stereotypen gepackt und zu Exoten gemacht? Das würde ich gerne mal wissen. 

Unsere Welt ist bunt und nicht schwarzweiß. Ich kann nichts dafür, wenn viele Deutsche solche Vorstellungen in ihren Köpfen mit sich tragen, die mich langsam anwidern, weil sie auch ein wenig diskriminierend wirken. Zwischen Blond und Schwarz gibt es auf der Farbskala noch jede Menge Zwischentöne.

Die Protagonistin in dem Buch, mit dem Namen Markgräfin Barbara von Brandenburg, ist eine schwarzhaarige Persönlichkeit gewesen und wurde als untypisch deutsch beschrieben. Mir ist aufgefallen, dass die Markgräfin auf dem Cover mit einem unvollständigen Profil dargestellt ist. Der obere Teil des Kopfes fehlt. Vielleicht sollten die schwarzen Haare verborgen werden, da Bilder über Gefühle sehr einprägsam sind. 

Nicht nur die deutsche Markgräfin war dunkel, viele andere Deutsche sind es ebenso. Ich denke dabei sogar an Goethe, der dunkle Haare, dunkel Augen und einen leicht dunklen Hautteint hatte. 

Rein wissenschaftlich betrachtet ist diese Beschreibung von Menschen schwarz oder weiß einfach nicht korrekt. Wer sind die Südländer? Italiener, Spanier ...Türken, Arabar, Afrikaner, etc. ein sehr undifferenziertes Bild, sie alle in eine Schublade stecken zu wollen, während die Italiener sehr wohl den Unterschied zwischen sich und den Arabern sehen, wobei selbst unter den Arabern es noch unterschiedliche Schattierungen gibt. In Indien leben dunkel- und hellhäutige Inder.  
Jeder Mensch sieht anders aus. Wir sind alle verschieden. Und das ist auch gut so. Wieso kommt das bei vielen Autoren aus dem Norden nicht an? Es wäre sehr langweilig, würden tatsächlich alle Italiener klein und dunkel aussehen, und alle Deutschen groß und hell.

Ich erwarte von guten Schriftstellern eine differenziertere Beobachtungsgabe, die sich in ihren Werken widerspiegeln soll und die von dem Durchschnittsmenschen abweicht... Manche bereisen mit ihrem Menschenbild im Kopf die Welt, sehen aber auch nur das, was sie sowieso schon in sich tragen, und fühlen sich in ihrer Wahrnehmung bestätigt, und dann schreiben sie darüber Bücher, was sie in ihren Köpfen so krampfhaft festhalten und aufs Blatt bringen ... Die blonden und andersfarbigen Italiener werden erst gar nicht wahrgenommen, weil sie nicht mit deren inneren Vorstellung, wie ein Italiener auszusehen hat, korrespondiert.

So, genug damit. Ich werde diesen Text aber immer wieder zu den Buchbesprechungen hinzukopieren, wenn ich als Leserin wieder mit solchen Stereotypen konfrontiert werde. Es muss sich ja jemand mal auflehnen.

Nun komme ich zu der eigentlichen Buchbesprechung:

Es existieren zwei Geschichten in dem Buch. Zum einen wird die im Mittelalter lebende Markgräfin Barbara von Brandenburg beschrieben und zum anderen geht es um ein Forscherteam aus dem Jahre 2002. Beide Geschichten treten parallel auf. Die zweite Geschichte bezieht sich auf die erste.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein.
Mit zehn ist sie verheiratet. Mit zwölf Witwe. Mit fünfzehn heiratet sie den König von Böhmen. So steht es in den Chroniken. Als sie endlich ihr eigenes Leben führen will, sperren ihre Brüder sie ein. Ihre Spur verliert sich 1542. Bis in unseren Tagen ein geheimnisvoller Fund die Geschichte der Markgräfin Barbara von Ansbach enthüllt. »Eine Geschichte von Machtgier, Intrigen, Liebe und Verrat.«
2002: Der Kastellan Gregor Haubold findet in den Schlossgemäuern eine kleine Truhe mit einem Babyskelett darin. Haubold begibt sich mit noch anderen Männern auf die Suche nach der Herkunft dieser Gebeine. Mir hat dieser Teil des Buches nicht wirklich gefallen, lediglich der Schluss, den fand ich gut, als man schließlich noch mit einer recht wichtigen Info, bezogen auf die Markgräfin, konfrontiert wird, als man eigentlich aus der ersten Geschichte schon dachte, dass sie zu Ende ist und man mit allen wichtigen Auskünften genährt wurde. Da ich ja nicht zu viel verraten möchte, halte ich mich hierin bedeckt.

Wie aus dem Klappentext hervorgeht, wurde Barbara mit acht Jahren versprochen und mit zehn Jahren verheiratet. Sie hatte Glück, denn ihr Gemahl namens Heinrich von Groß-Glogau nahm Rücksicht auf die sexuelle Unreife seiner so jungen Frau. In der ersten Hochzeitsnacht drang er nicht in sie ein.
Heinrich ist kein schön aussehender Mann, aber dafür sehr menschlich und sehr gütig. Er schenkte Barbara als ein Willkommensgruß einen Welpen.
Heinrich von Groß-Gogau war ein Alchimist. Barbara wollte unbedingt in dieses Werk miteinbezogen werden und Heinrich ließ es zu. Barbara wuchs zu einer wissbegierigen Persönlichkeit heran. Das war außergewöhnlich für eine (werdende) Frau der damaligen Zeit. Barbara lernte, Heinrich wegen seiner Güte zu lieben.

Heinrich erklärt ihr den Begriff der Alchemie:
Das Wort Alchemie kommt aus dem Arabischen, müsst ihr wissen. Der Begriff al kimia lehnt sich an das ägyptische chem an, das heißt schwarz, und auch an das griechische chym , womit das Schmelzen und Gießen von Metallen gemeint ist. (56)
Leider stirbt Heinrich, als Barbara gerade mal zwölf Jahre alt ist.

Barbara hat noch mehrere Geschwister. Zwei Schwestern und zwei Brüder. Das jüngste Kind Albrecht war Barbaras Lieblingsbruder. Er war ihr Ein und Alles. Leider wächst Albrecht zu einer Persönlichkeit heran, die Barbara in Erstaunen versetzt. Der süße, kleine, niedliche Bruder wurde später ein in der Öffentlichkeit gefürchteter Mann. Untreu, verlogen, korrupt. Selbst Barbara gegenüber, die ihn einst verhätschelt hatte, weil sie ihn so liebte, klammerte er nicht aus. Keine Sonderbehandlung. Der erwachsene Albrecht nahm keine Rücksicht, er verstieß sie, als Barbara sich politisch gegen gewisse Bräuche aufzulehnen wagte, und sie ihr eigenes Leben leben wollte. Sie wurde auf die Burg, weit oben im Gebirge, verstoßen und für viele Jahre wie eine Gefangene gehalten.
Du bist rechtmäßige Königin von Böhmen; dafür, dass dich dein Gemahl nicht annimmt, kann ich nichts. Und du bist ein Mitglied der Familie. Deine Bestimmung ist nur eines: nützlich zu sein für das Ansehen des Hauses. Ob du traurig oder froh bist, schert nicht-nicht uns und nicht dem lieben Gott. Eigene Wünsche stehen dir mitnichten nicht zu. Also lass uns in der Zukunft mit solch unsinnigen Bitten in Ruhe. (141)
Dieses Zitat klingt noch recht harmlos. Barbara bittet, um sich die Zeit zu vertreiben, um Literatur. Sehr ungewöhnliche Bitten:
Unsere Schwester lass um Bücher bitten. Das soll ihr keines wegs gepasirt werden, weil wir meinen, dass ihr Sturheit auch davon herkombt, dass sie zu viel aus Büchern gelernt und gelesen hat, was dem Geist und der Anlage des Geistes eines Weibes schlecht zuträglich ist. (236) (Mittelalterliche Schreibweise)
Barbara war im Volk ein sehr beliebter Mensch. Während Albrecht die Menschen wirtschaftlich und existenziell in den Abgrund trieb, wandte sich das Volk schließlich um Hilfe an Barbara:
Als die Räte sich verabschiedet hatten, hörte Barbara, wie Wolf von Wirsberg im Hinausgehen zum alten Trockau sagte: "Die hat Herz und Verstand am rechten Fleck. Ewig schade, dass sie bloß ein Weib ist." Von diesem Zeitpunkt an lag die Regierung des Fürstentums mit in Barbaras Händen. (469f)
Im Schloss wird ein neuer Kaplan eingestellt, der sich in Barbara verliebt. Über diese Liebe ist er recht unglücklich, da er katholischer Priester ist und von ihm die absolute Keuschheit verlangt wird:
Mein Wollen und Streben an geht seithero nur zu ihr hin, die ich doch nie erreichen kann. So ist es doch wahr, dass das Weib die Sünde und die Versuchung in die Welt gebracht! Gibt es ein schwereres Joch als das eines Priesters, der nicht mehr Herr über seinen eigenen Körper ist? O guter Herr Jesus, heile mich von meinen unkeuschen Gedanken! (519f)
Nun überwinden sich doch beide, entgegen aller Konventionen, Barbara und der Priester, sich auf die Liebe einzulassen.
Albrechts Regierung ist weiterhin vernichtend, die viele Menschenleben einfordert. Barbara überredet den Priester zu einem Mortbeten. Mit Hilfe von Schwarzer Magie soll Albrecht zu Fall gebracht werden. Es kommt zu einem Verrat.
Wie man sich das für diese Zeit wohl denken kann, wird der Priester hingerichtet. Barbara ist verzweifelt und trauert sehr um ihre Liebe. Sie wendet sich an den neuen Kaplan und teilt sich ihm mit:
Ach, Vater, da gäbe es so vieles. Tausend Dinge, die ich ihm aber nicht mehr sagen kann. Dass er meine Liebe war, mein Leben, das weiß er. Da sind alle Worte zu wenig. Kennt ihr den griechischen Philosophen Plato? Er sagt, dass im Ursprung die Menschen zwei Köpfe, vier Arme und vier Beine gehabt hätten. Doch als Strafe für die Lästerung und der Götter hätten die Unsterblichen sie in zwei Teile gespalten. Seither muss jeder Mensch seine fehlende zweite Hälfte suchen und ist erst glücklich und vollkommen, wenn er sie gefunden hat. (…) Jakob Tiefenthaler war meine zweite Hälfte, Vater. Die Zeit mit ihm hat alles aufgewogen, was sich in den Jahren vorher an Unglück erlebt habe, und wird auch aufwiegen, was noch kommt. Er muss heute für seine Teilnahme an diese unselige Verschwörung bezahlen, zu der ich selber ihn gedrängt habe. (645)
Ich mache nun hier Schluss, damit ich nicht ins Detail gehe, und ich dadurch die Spannung nehmen würde.

Barbara war mir eine sehr sympathische, interessante und eine sehr starke Frau. Was sie durchgemacht hat, was ihr Bruder ihr alles zugemutet hatte, lässt einen fast schon sprachlos werden.

Ich habe mich schwer getan, über das Buch zu schreiben.

Das Buch ist sehr lesenswert. Sehr bewegend und gut recherchiert.

Eigentlich mag ich keine Bücher aus dem Mittelalter. Sie sind mir zu gewaltträchtig und so sind die Kämpfe, die zum Mittelalter einfach dazugehören, auch hier nicht ausgeblieben. Und auch in diesem Buch finden verschiedene grauenvolle Prozesse der Hinrichtung statt.

Manche Textstellen sind so wiedergegeben, wie die Autorin es getan hat, die die Schreibweise, wie sie im Mittelalter üblich war, übernommen hat.

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Alle Religionen und alle unterschiedlichen Kulturen haben ihre Berechtigung, 
solange sie anderen nicht schaden. (M. P.)

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Dienstag, 27. Mai 2014

Sabine Weigand / Die Markgräfin

Klappentext
Mit zehn ist sie verheiratet. Mit zwölf Witwe. Mit fünfzehn heiratet sie den König von Böhmen. So steht es in den Chroniken. Als sie endlich ihr eigenes Leben führen will, sperren ihre Brüder sie ein. Ihre Spur verliert sich 1542. Bis in unseren Tagen ein geheimnisvoller Fund die Geschichte der Markgräfin Barbara von Ansbach enthüllt. »Eine Geschichte von Machtgier, Intrigen, Liebe und Verrat - die Geschichte einer Frau, die tatsächlich gelebt hat: fesselnd bis zur letzten Seite.«


Autorenporträt
Sabine Weigand stammt aus Franken. Sie ist Historikerin und arbeitet als Ausstellungsplanerin für Museen. Dokumente aus Nürnberg waren der Ausgangspunkt ihres Romans ›Das Perlenmedaillon‹, das wahre Schicksal einer Osmanin am Hof August des Starken liegt dem Roman ›Die Königsdame‹ zugrunde. In ›Die Seelen im Feuer‹ bilden die Hexenakten von Bamberg die historische Romanvorlage, bei ihrem ersten Roman ›Die Markgräfin‹ war es die reale Geschichte der Plassenburg bei Kulmbach, bei ›Die silberne Burg‹ die Bestallungsurkunde einer jüdischen Ärztin, in ›Die Tore des Himmels‹ das Leben der Hl. Elisabeth und in ›Das Buch der Königin‹ das Schicksal der Konstanze von Sizilien.
Mein erstes Buch von der Autorin. Klingt recht interessant. Hoffe, dass das auch so bleibt.








Montag, 26. Mai 2014

Andrea De Carlo / Als Durante kam (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich durch und bin noch immer ungehalten. Kann mich nicht entscheiden zwischen gutes und weniger gutes Buch. Dann entscheide ich mich für die Mitte. Ein mittelmäßiges Buch.

Der Roman spielt in Mittelitalien. Pietro ist der Icherzähler und die Hauptfigur der Handlungen. Er ist zusammen mit seiner österreichischen Freundin Astrid von Beruf Weber. Sie leben ländlich und sind selbstständig. Die Beziehung besteht schon seit über sieben Jahren.
Sie genießen es einerseits, beruflich für sich zu sein, doch es kommt auch mal vor, dass sie unter einem enormen Druck stehen, immer rechtzeitig Aufträge reinzubekommen. Manchmal sind sie so knapp bei Kasse, dass es nicht einmal für die Lebenshaltungskosten reicht.
Eines Tages erscheint wie aus dem Nichts ein Pferdetrainer, Anfang vierzig, namens Durante, gibt an, Medizin studiert zu haben und stellt das Leben nicht nur der beiden WeberInnen auf den Kopf.



Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Als Durante ins Val di Poggio kommt, verändert sich alles. Denn er sagt, was er denkt, und er tut, was er sagt. Faszinierend, finden die Frauen. Irritierend, finden die Männer. Pietro und Astrid leben in den Hügeln östlich des Apennins, weben Stoffe von Hand und verkaufen sie an Privatkunden oder kleine Geschäfte. Ein einfaches, gutes Leben – das ist es, was sie schon immer wollten und nun seit einigen Jahren führen. Ganz allein sind sie nicht in der Gegend: Das Val di Poggio ist ein zeitgeistiger Mikrokosmos – manch einer ist hierher gezogen, um einen Hof zu restaurieren, ein kleines Hotel mit Reitstall zu betreiben oder um naturnah zu leben. An einem heißen Nachmittag im Mai erscheint ein Fremder vor dem Haus von Pietro und Astrid. Seltsam: Der Hund, der sonst immer bellt, lässt sich streicheln. Astrid ist fasziniert, Pietro irritiert. Durante fragt die beiden bloß nach dem Weg zu einem Hof. Doch das allein reicht, um das Paar zutiefst zu verstören. Wie schon in ›Zwei von zwei‹ prallen in diesem Roman unterschiedliche Welten und Vorstellungen aufeinander. Wobei gerade dadurch auch wundersame Freundschaften entstehen.
Durante ist eine Persönlichkeit, die mit seinem Charisma fast alle Menschen und Tiere zu verzaubern vermag, und niemand weiß, wie er das macht. Besonders Frauen gehen ganz in ihm auf. Auch Astrid und deren Schwester Ingrid. Ingrid befindet sich auf Besuch.

Seit Durante bei Astrid und Pietro aufgetaucht ist, geraten die beiden permanent aneinander. Astrid, die, so scheint es, Durante verehrt, ohne ihn zu kennen, und Pietro, der ihm misstraut, gibt es ständig Zank wegen dieses Typens. Stimmt die Beziehung zwischen den beiden schon lange nicht mehr? War es Durante, der ihnen dies unbewusst widerspiegelte?
Mir waren diese vielen Streitereien der beiden ein wenig lästig. Nicht, weil diese nicht sein dürfen, sondern weil es dann ab einem gewissen Grad einfach anstrengend wird, weiter zu lesen. Aber die gehoffte Wende kam ja dann doch noch...

Als schließlich Ingrid auftauchte, die unbedingt Durante kennenlernen wollte, wurde Astrid eifersüchtig, als sich Ingrid vier Nächte lang mit Durante abgab.

Es stellt sich heraus, dass Durante jede Menge Familien hat. Unverheiratet mit der einen Frau, geschieden mit der anderen. Eine in Venedig und eine in der Schweiz, andere wurden nicht erwähnt, sondern nur angedeutet. Durante versucht sein Leben so zu leben, wie es ihm passt, und er nimmt keinerlei Rücksicht auf andere Leute. Verantwortlich zu sein für etwas, das scheint für Durante nicht zu existieren.

Astrid verreist in ihr Heimatland und Pietro, so ist es wie alle Jahre geplant, bleibt zurück und reist später nach. Nun ist Pietro gefordert, Durantes sonderbare Lebensansichten näher kennenzulernen und zu tolerieren. Die beiden kommen sich näher …

Ich fragte mich zwischendrin, ob es fair ist, sich von den Frauen immer wieder zu trennen? Dann sagte ich mir, klar, denn auch die Frauen sind verantwortlich dafür, mit wem sie eine Bindung eingehen. Später allerdings änderte ich ein wenig meine Meinung, denn aus den Bindungen gehen auch Kinder hervor, und für die ist Durante sehr wohl verantwortlich.

Durante taucht in den Familien sporadisch auf, damit die Kinder ihn nicht vergessen. Die Familien haben einen Patchwork-Charakter.
Durante stellt die Erziehung der Mütter indirekt infrage, verschwindet dann wieder, wenn es brenzlig wird. Klar, dass die alleinerziehenden Mütter sich dagegen auflehnen.

Durante hilft anderen dabei, sich selbst zu finden, auf ihr Gefühl zu hören, und die inneren Widersprüche zu beseitigen. Mut zu haben zu einem kompromisslosen Leben.

Habe eine Textstelle gefunden, die ich nun zitieren werde. Ich gebe einen längeren Dialog zwischen Pietro und Durante wieder:
„Was glaubst du, wie du bist?" fragte Durante.
"Na ja, manchmal sehe ich mich zufällig von außen und bin ganz anders, als ich zu sein meinte."
"(…) Wichtig ist, dass du weiter glaubst, der zu sein, für den Du dich hältst."
"Auch wenn ich weiß, dass die anderen mich nicht anders sehen als ich selbst?"
"Die anderen gibt es nicht."
"Ach nein?"
"Nein (…). Es gibt die andere und den anderen, viele andere Individuen, Schluss, aus."
"Mag sein, (…) aber wenn man sie alle zusammennimmt, können sie einen ganz schön einschüchtern."
"Du bist es, der ihnen diese Macht verleiht (…). Du bist es, der sie alle zusammentut. Sie wissen es gar nicht."
"Demnach müsste ich sie mir als lauter einzelne Personen vorstellen?"
"Ja, und jede ist genauso besorgt wie du beim Gedanken an die anderen."
"Mag sein, (…). Aber das ändert nichts daran, dass jeder einzelne andere mich weiterhin anders sieht, als ich mich sehe."
"Ist das nicht faszinierend?"(…) "Gibt es deiner Meinung nach auch keinen objektiven Sinn?", fragte Pietro. "Im Leben?" 
Durante schüttelte den Kopf: „Den musst du für dich erfinden, den Sinn. Und immerzu neu erfinden."
„Ja?“"
"Du darfst aber nie zu vernünftig werden, (…). Denn selbst wenn du dich völlig den Regeln der sogenannten Realität unterwerfen würdest, würdest du entdecken, dass die sogenannte Realität an irgendeinem Punkt zu Ende ist."
„Stimmt", sagte Pietro.
„Hab keine Angst, dir vorzustellen, du seiest ein Romanheld, (…)".
Das klingt ja alles ein wenig psychophilosophisch. Überzeugt mich aber nicht, solange es die Kinder gibt, die er gezeugt hat und für die er keine Verantwortung übernimmt.

Deshalb mache ich nun an dieser Stelle Schluss. Das Buch kann ich durchaus weiter empfehlen, aber man darf nicht allzu viel erwarten.

Intuitiv betrachtet bekommt das Buch von mir sieben von zehn Punkten. Die Dialoge waren recht authentisch und fantasievoll geschrieben.

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Wie können die Toten wirklich tot sein, solange sie noch durch unser Herz wandern?
(C. McCullers zitiert aus einer alten Indianerlegende).


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Donnerstag, 22. Mai 2014

Andrea De Carlo / Als Durante kam

Klappentext
Als Durante ins Val di Poggio kommt, verändert sich alles. Denn er sagt, was er denkt, und er tut, was er sagt. Faszinierend, finden die Frauen. Irritierend, finden die Männer.Pietro und Astrid leben in den Hügeln östlich des Apennins, weben Stoffe von Hand und verkaufen sie an Privatkunden oder kleine Geschäfte. Ein einfaches, gutes Leben – das ist es, was sie schon immer wollten und nun seit einigen Jahren führen. Ganz allein sind sie nicht in der Gegend: Das Val di Poggio ist ein zeitgeistiger Mikrokosmos – manch einer ist hierher gezogen, um einen Hof zu restaurieren, ein kleines Hotel mit Reitstall zu betreiben oder um naturnah zu leben. An einem heißen Nachmittag im Mai erscheint ein Fremder vor dem Haus von Pietro und Astrid. Seltsam: Der Hund, der sonst immer bellt, lässt sich streicheln. Astrid ist fasziniert, Pietro irritiert. Durante fragt die beiden bloß nach dem Weg zu einem Hof. Doch das allein reicht, um das Paar zutiefst zu verstören. Wie schon in ›Zwei von zwei‹ prallen in diesem Roman unterschiedliche Welten und Vorstellungen aufeinander. Wobei gerade dadurch auch wundersame Freundschaften entstehen.


Autorenporträt
Andrea De Carlo, geboren 1952 in Mailand, lebte nach einem Literaturstudium längere Zeit in den USA und in Australien. Er war Fotograf, Maler und Rockmusiker, bevor ihm 1981 mit seinem ersten Roman, ›Creamtrain‹, der Durchbruch gelang – sein Mentor damals: Italo Calvino. Acht Jahre später legte er den Roman ›Zwei von zwei‹ vor, der zum Kultbuch einer ganzen Generation wurde. Andrea De Carlo lebt in Mailand und in Ligurien.
Der Autor ist mir noch unbekannt und bin recht neugierig auf das Buch, das ich eher bei Jokers entdeckt habe.




Mittwoch, 21. Mai 2014

Maarten ´t Hart / Das Wüten der ganzen Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ich fand das Buch recht interessant. Hat eine Menge gezeigt zu der niederländischen Gesellschaft aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit zu den späten 1950er Jahren.

Es ist ein Krimi, liest sich aber nicht unbedingt wie ein Krimi. Hat nämlich den Vorteil, dass sämtliche Ereignisse im Buch authentisch wirken und nicht so gekünstelt und gestelzt aufgebaut sind, wie ich sie aus einigen anderen Krimis kenne ...

Auffallend und interessant war für mich das Leben der gläubigen Menschen, das sich hier durch das ganze Buch hindurchzieht. Wie die Menschen damals ihren Glauben gelebt hatten, kenne ich eher aus dem Katholizismus. Ich entnehme dem Buch verschiedene Formen der Konfessionen. Damit meine ich nicht Protestanten und Katholiken. Nein, innerhalb der Protestanten gibt es noch andere Gruppierungen, wie z. B. die Reformierten und die Evangelischen und sich mir die Frage gestellt hat, ob denn nicht alle Protestanten durch Luther reformiert sind?
Der Protagonist und Icherzähler dieses Romans nennt sich Alexander Goudveyl, der als Einzelkind in einer etwas konservativen Familie aufwächst. Wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, sind Alexanders Eltern recht einfache Leute. Zudem leben die bibelfesten Eltern streng gläubig, und der Sohn hinterfragt sehr oft die religiösen Theorien seiner Eltern.

Ich gebe noch einmal den Klappentext rein:
Maarten ’t Hart schildert in seinem Roman die kleine Welt eines südholländischen Städtchens. Dort, in der President Steynstraat, ist der Komponist Alexander Goudveyl als Sohn eines Lumpenhändlers aufgewachsen, großgezogen mit Gebeten und den alten Geschichten vom Krieg. 30 Jahre später erinnert er sich an diese Zeit, vor allem an den 22. Dezember 1956, einen regennassen Samstagnachmittag, an dem der Polizist Vroombout ermordet wurde.
Ein wenig perfide zeigten sich Alexanders Eltern anderen Menschen gegenüber, die über eine andere Lebensweise verfügen. Sie warnten ihren Sohn vor allem vor Menschen, die weder einen Glauben, noch Gebot und Gott kennen würden. Wiederum andere Menschen mieden Alexanders Eltern, da sie Blutwurst aßen, und Blutwurst, so stehe es in der Bibel, sei zum Verzehr strikt verboten, da die Wurst nicht blutfrei sei.

Der Autor schafft es, diese rigiden religiösen Anschauungen ein wenig mit Humor zu behandeln, was mir auch gut gefallen hat. Im Folgenden geht es um die Reinwaschung von Sünden und welche Funktion die Taufe hat. Der junge Alexander tritt dabei beobachtend in seiner kindlich-naiven-kritischen Form auf:
>>Ist denn das äußere Wasserbad selber die Reinwaschung von Sünden? Es heißt nein; denn nur das Blut von Jesus Christus und der Heilige Geist reinigen uns von aller Sünde.>>
>>Dass man von Blut sauber werden könne, scheint mir fragwürdig. Blutflecken, sagt meine Mutter immer, sind gerade die gemeinsten Flecken.<< (106)
Über diese Textstelle musste ich laut lachen.

Zu den Kirchensteuern zeigt sich der sparsame Vater Goudveyl recht genervt:
>>Feste kirchliche Beiträge! Feste kirchliche Beiträge! Die sind nicht ganz bei Trost, wie können sie es wagen! Also, wenn es jemanden gibt, der kein Geld nötig hat, dann Gott. Wofür sollte es denn ausgeben?<< (41)
Weitere Szenen sind dem Buch zu entnehmen.

Alexander war ein begabtes Kind, vor allem in der Musik. Er bringt sich die Grundkenntnisse des Klavierspielens autodidaktisch bei. Erst später erhält er privaten Musikunterricht. Er hat Glück, denn zu Hause steht ein altes Klavier, auf dem er üben kann. Das Klavier, der Marke Blüthner, hatte allerdings für die Eltern so gar keinen Wert, bis eines Tages ein Interessent erscheint, und viel Geld für das alte Stück hinlegt. Alexander ist schwer enttäuscht und der Vater versucht den Sohn zu trösten, hat beim Kirchenorganist durchsetzen können, dass er auf der Orgel spielen darf. Alexander zeigt sich entsetzt:
>>... aber ich bin doch kein Kirchenorganist. (…) Ich weiß überhaupt nicht, wie man diese Pedale…<<
>>Mit den Füßen, das machst du mit deinen Füßen.<<
Noch ein Lacher ...
In dem ganzen Buch dreht sich vieles um die Musik. Das hat mir sehr gut gefallen, da ich Musik selbst auch sehr schätze. Es wurden viele Bachkantaten rezitiert. Alexander hegt den tiefen Wunsch, Komponist zu werden. Doch sein Freund, der Apotheker, auch sehr musikalisch, warnt ihn davor:
>>Wenn du in der Musik etwas erreichen willst, musst du unglaublich gut sein, du hast so viele Konkurrenten, die alle dasselbe wollen. Wenn du die Musik wirklich liebst und sie auch weiterhin lieben willst, musst du sie zu deiner Geliebten machen. Du darfst sie niemals heiraten.<< (153)
Das fand ich eine so schöne Metapher. Sie ging in mir auf wie eine Blüte. Fantastisch.

Wer Bach liebt, dem empfehle ich dringend zu diesem Buch. Im Schlussteil ist ein kleines Brevier beigefügt, in dem die Werke verschiedener deutscher Komponisten zum Nachhören aufgelistet sind. 

Über das Kriminalistische möchte ich nicht viel sagen, außer, dass zu der Zeit, als Alexander auf der Orgel seine Stücke einübte, ein Mord verübt wurde und er angeblich der einzige indirekte Zeuge war … Er nahm den Schuss lediglich akustisch wahr, aber ohne am Tatort gewesen zu sein.

Alexanders Vater hatte seinen Sohn einmal wöchentlich mit dem Knallen einer Papiertüte erschrecken wollen. Alexander gewöhnte sich an dieses Ritual, aber um seinem Vater die Freude nicht zu vergönnen, tat er immer so, als würde er von dem Tütenknallen erschrecken. Dieses Knallen der Tüte war so stark verinnerlicht, dass Alexander den Pistolenschuss mit dem lauten Knall der Tüte verwechselte … Alexander begibt sich selber auf Spurensuche, um den Täter ausfindig zu machen, der den pädophilen Freund getötet hat, weil er sich selbst bedroht fühlt.

Mehr verrate ich nicht. Aber diese Szene zwischen Vater und Sohn hatte mich schon sehr nachdenklich gestimmt. Da scheint das Kind reifer zu sein als der Vater selbst, passt sich aber dem widernatürlichen Spiel an. Was ein Kind so alles leistet.
Da ich beruflich hauptsächlich mit Menschen zu tun habe, ist es für mich selbstverständlich, dass ich solche Szenen nicht überlese ... Außerdem ist mir diese Art von Interaktion, natürlich ohne den Pistolenschuss, zwischen dem Kind und dem Erwachsenem aus eigener Erfahrung bekannt. Mein eigener Großvater hatte damals zu uns Kindern immer Fratzen geschnitten. Ich fand die Fratzen gar nicht lustig, habe aber so getan, als müsste ich darüber lächeln. Auch ich wollte ihm die Freude nicht nehmen, sich als Komiker darzustellen.
Maarten ´t Hart hat es einfach gut drauf, das Allzumenschliche in seinen Büchern wiederzuspiegeln. Und da ist es völlig egal, aus welchem Land diese Menschen kommen.
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Musik ist eine Weltsprache
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2014: 35
Gelesene Bücher 2013: 81
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