Mittwoch, 21. Mai 2014

Maarten ´t Hart / Das Wüten der ganzen Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ich fand das Buch recht interessant. Hat eine Menge gezeigt zu der niederländischen Gesellschaft aus dem Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit zu den späten 1950er Jahren.

Es ist ein Krimi, liest sich aber nicht unbedingt wie ein Krimi. Hat nämlich den Vorteil, dass sämtliche Ereignisse im Buch authentisch wirken und nicht so gekünstelt und gestelzt aufgebaut sind, wie ich sie aus einigen anderen Krimis kenne ...

Auffallend und interessant war für mich das Leben der gläubigen Menschen, das sich hier durch das ganze Buch hindurchzieht. Wie die Menschen damals ihren Glauben gelebt hatten, kenne ich eher aus dem Katholizismus. Ich entnehme dem Buch verschiedene Formen der Konfessionen. Damit meine ich nicht Protestanten und Katholiken. Nein, innerhalb der Protestanten gibt es noch andere Gruppierungen, wie z. B. die Reformierten und die Evangelischen und sich mir die Frage gestellt hat, ob denn nicht alle Protestanten durch Luther reformiert sind?
Der Protagonist und Icherzähler dieses Romans nennt sich Alexander Goudveyl, der als Einzelkind in einer etwas konservativen Familie aufwächst. Wie aus dem Kontext zu entnehmen ist, sind Alexanders Eltern recht einfache Leute. Zudem leben die bibelfesten Eltern streng gläubig, und der Sohn hinterfragt sehr oft die religiösen Theorien seiner Eltern.

Ich gebe noch einmal den Klappentext rein:
Maarten ’t Hart schildert in seinem Roman die kleine Welt eines südholländischen Städtchens. Dort, in der President Steynstraat, ist der Komponist Alexander Goudveyl als Sohn eines Lumpenhändlers aufgewachsen, großgezogen mit Gebeten und den alten Geschichten vom Krieg. 30 Jahre später erinnert er sich an diese Zeit, vor allem an den 22. Dezember 1956, einen regennassen Samstagnachmittag, an dem der Polizist Vroombout ermordet wurde.
Ein wenig perfide zeigten sich Alexanders Eltern anderen Menschen gegenüber, die über eine andere Lebensweise verfügen. Sie warnten ihren Sohn vor allem vor Menschen, die weder einen Glauben, noch Gebot und Gott kennen würden. Wiederum andere Menschen mieden Alexanders Eltern, da sie Blutwurst aßen, und Blutwurst, so stehe es in der Bibel, sei zum Verzehr strikt verboten, da die Wurst nicht blutfrei sei.

Der Autor schafft es, diese rigiden religiösen Anschauungen ein wenig mit Humor zu behandeln, was mir auch gut gefallen hat. Im Folgenden geht es um die Reinwaschung von Sünden und welche Funktion die Taufe hat. Der junge Alexander tritt dabei beobachtend in seiner kindlich-naiven-kritischen Form auf:
>>Ist denn das äußere Wasserbad selber die Reinwaschung von Sünden? Es heißt nein; denn nur das Blut von Jesus Christus und der Heilige Geist reinigen uns von aller Sünde.>>
>>Dass man von Blut sauber werden könne, scheint mir fragwürdig. Blutflecken, sagt meine Mutter immer, sind gerade die gemeinsten Flecken.<< (106)
Über diese Textstelle musste ich laut lachen.

Zu den Kirchensteuern zeigt sich der sparsame Vater Goudveyl recht genervt:
>>Feste kirchliche Beiträge! Feste kirchliche Beiträge! Die sind nicht ganz bei Trost, wie können sie es wagen! Also, wenn es jemanden gibt, der kein Geld nötig hat, dann Gott. Wofür sollte es denn ausgeben?<< (41)
Weitere Szenen sind dem Buch zu entnehmen.

Alexander war ein begabtes Kind, vor allem in der Musik. Er bringt sich die Grundkenntnisse des Klavierspielens autodidaktisch bei. Erst später erhält er privaten Musikunterricht. Er hat Glück, denn zu Hause steht ein altes Klavier, auf dem er üben kann. Das Klavier, der Marke Blüthner, hatte allerdings für die Eltern so gar keinen Wert, bis eines Tages ein Interessent erscheint, und viel Geld für das alte Stück hinlegt. Alexander ist schwer enttäuscht und der Vater versucht den Sohn zu trösten, hat beim Kirchenorganist durchsetzen können, dass er auf der Orgel spielen darf. Alexander zeigt sich entsetzt:
>>... aber ich bin doch kein Kirchenorganist. (…) Ich weiß überhaupt nicht, wie man diese Pedale…<<
>>Mit den Füßen, das machst du mit deinen Füßen.<<
Noch ein Lacher ...
In dem ganzen Buch dreht sich vieles um die Musik. Das hat mir sehr gut gefallen, da ich Musik selbst auch sehr schätze. Es wurden viele Bachkantaten rezitiert. Alexander hegt den tiefen Wunsch, Komponist zu werden. Doch sein Freund, der Apotheker, auch sehr musikalisch, warnt ihn davor:
>>Wenn du in der Musik etwas erreichen willst, musst du unglaublich gut sein, du hast so viele Konkurrenten, die alle dasselbe wollen. Wenn du die Musik wirklich liebst und sie auch weiterhin lieben willst, musst du sie zu deiner Geliebten machen. Du darfst sie niemals heiraten.<< (153)
Das fand ich eine so schöne Metapher. Sie ging in mir auf wie eine Blüte. Fantastisch.

Wer Bach liebt, dem empfehle ich dringend zu diesem Buch. Im Schlussteil ist ein kleines Brevier beigefügt, in dem die Werke verschiedener deutscher Komponisten zum Nachhören aufgelistet sind. 

Über das Kriminalistische möchte ich nicht viel sagen, außer, dass zu der Zeit, als Alexander auf der Orgel seine Stücke einübte, ein Mord verübt wurde und er angeblich der einzige indirekte Zeuge war … Er nahm den Schuss lediglich akustisch wahr, aber ohne am Tatort gewesen zu sein.

Alexanders Vater hatte seinen Sohn einmal wöchentlich mit dem Knallen einer Papiertüte erschrecken wollen. Alexander gewöhnte sich an dieses Ritual, aber um seinem Vater die Freude nicht zu vergönnen, tat er immer so, als würde er von dem Tütenknallen erschrecken. Dieses Knallen der Tüte war so stark verinnerlicht, dass Alexander den Pistolenschuss mit dem lauten Knall der Tüte verwechselte … Alexander begibt sich selber auf Spurensuche, um den Täter ausfindig zu machen, der den pädophilen Freund getötet hat, weil er sich selbst bedroht fühlt.

Mehr verrate ich nicht. Aber diese Szene zwischen Vater und Sohn hatte mich schon sehr nachdenklich gestimmt. Da scheint das Kind reifer zu sein als der Vater selbst, passt sich aber dem widernatürlichen Spiel an. Was ein Kind so alles leistet.
Da ich beruflich hauptsächlich mit Menschen zu tun habe, ist es für mich selbstverständlich, dass ich solche Szenen nicht überlese ... Außerdem ist mir diese Art von Interaktion, natürlich ohne den Pistolenschuss, zwischen dem Kind und dem Erwachsenem aus eigener Erfahrung bekannt. Mein eigener Großvater hatte damals zu uns Kindern immer Fratzen geschnitten. Ich fand die Fratzen gar nicht lustig, habe aber so getan, als müsste ich darüber lächeln. Auch ich wollte ihm die Freude nicht nehmen, sich als Komiker darzustellen.
Maarten ´t Hart hat es einfach gut drauf, das Allzumenschliche in seinen Büchern wiederzuspiegeln. Und da ist es völlig egal, aus welchem Land diese Menschen kommen.
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Musik ist eine Weltsprache
(Isabel Allende)

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