Das Buch hat mir recht gut gefallen und freue mich so
richtig, über meine Eindrücke zu schreiben. Beate Klepper liefert mit diesem Werk biographisches Material, doch der Inhalt ist nicht chronologisch aufgebaut. Mal gibt
es Sprünge in der Zeit nach vorne, mal nach hinten … Mich hat das jetzt nicht
gestört, ist trotzdem gewöhnungsbedürftig. Gerade als ich mit einem Thema des
jeweiligen Jahres vertraut war, wurde ich schon wieder in eine andere Zeit
versetzt.
Ich gebe zur Erinnerung erneut den Klappentext rein. Der
Klappentext ist auch ungewöhnlich lang, aber das Buch fordert es einfach
heraus, sich schriftlich länger damit zu befassen:
Im November 1831 bezog Georg Büchner in Straßburg Logis im Haus von Pfarrer Jaeglé. Die Tochter Wilhelmine, genannt Minna, verliebte sich in diesen seltsamen Medizinstudenten, der tolles Zeug sprach und umstürzlerische Ideen hatte, und da auch er an der verständigen, beherzten Frau Gefallen fand, verlobten sie sich 1832 heimlich. An Heirat war noch lange nicht zu denken, aber während der kommenden Jahre, in denen Büchner ein unstetes Leben führen musste, standen sie in vertraulichem Briefwechsel. Wie es Büchner in Gießen erging, dass er revolutionäre Schriften und erstaunliche Stücke verfasste, polizeilich verfolgt wurde und schließlich nach Zürich ging, erfuhr Minna oft nur von Freunden oder aus den Briefen. Als er Anfang Februar 1837 an Typhus erkrankte, eilte Minna trotz aller Widerstände zu ihm. Sie war es, die seine Manuskripte rettete und später – argwöhnisch gegenüber allzu privater Neugier - deren Veröffentlichung zu überwachen suchte. Aus Erinnerungen und Briefen speist sich diese Romanbiographie einer unabhängigen Frau, die die „ewige Braut“ blieb. Gleichzeitig sehen wir einen der bedeutendsten Dichter deutscher Sprache mit ihren Augen. Die berührende Romanbiographie der Verlobten Büchners bringt zugleich sein Leben und Werk aus ihrem Blickwinkel nahe.
Büchner war Medizinstudent und er lässt die LeserInnen in den Präparationskursen teilhaben an der praktischen Erforschung toter Menschenkörper, die mit Hilfe von
chemischen und alkoholischen Zusätze, wie z. B. Spiritus, konserviert werden. (Ich
war selbst einmal Zeuge dieses Prozedere von zwei meiner Freundinnen, die ebenso Medizin studiert hatten.) Während mir dabei speiübel wurde, findet Büchner darin
seine poetische Phase:
O, ich werde jeden Tag poetischer. Alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus. (Lol)
In diesem Buch ist nicht Büchner die Hauptperson, nein, es
ist seine Verlobte, eine Pfarrerstochter namens Minna Jaeglé, die drei Jahre
älter als Büchner ist. Für eine Frau der damaligen Zeit war sie recht
fortschrittlich. Mich erinnert Minna von ihrem emanzipierten Denken her ein wenig an Jane Austen …
Und trotzdem kommt Büchner auch nicht zu kurz, denn durch
Minna konnten wichtige Schriftstücke von Büchner an die Nachwelt überliefert
werden. Minna selbst schrieb auch Tagebuch.
Ich werde schauen, wie ich den Spagat ziehe zwischen Minna
in der Rolle als Frau und Büchner als Dichter, aber mehr als ein politischer
Aktivist.
Büchner war nämlich nicht nur ein Poet, er war auch ein
Revolutionär. Im Untergrund entwickelte er mit anderen Kameraden Flugschriften,
die die Regierung als Volkshetze deklarierte. Sie ließen Büchner daraufhin steckbrieflich
suchen …
Büchner sehnte sich nach einer menschlicheren und
gerechteren Regierungsform wie die der Republik, die für alle Menschen des
Landes geschaffen sein sollte und die geprägt sei von Freiheit, Gleichheit und
Gerechtigkeit.Vorbilder fand Büchner in den Franzosen, obwohl er die Französische
Revolution nicht erleben konnte. Aber er erlebte die Franzosen auch zu seiner
Zeit politisch weitaus aktiver, als dies seine Landsleute waren, die er polisch anders eingeschätzt hatte. Doch leider wurde Büchner
enttäuscht, denn er fand im deutschen Volk nicht die KämpferInnen, die sich für
eine bessere Gesellschaftsform hätten einsetzen sollen. Schon damals erkannte Büchner
den mangelnden Kampfgeist seiner Landsleute. Selbst Minna verlor das Interesse an der Politik, da
Büchner durch seine Aktivitäten nichts erreichen konnte:
Seine Ideen und Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Büchner hatte recht, die Menschen sind nicht reif für große Republiken, Gemeineigentum, Wahlrecht für alle, Bauern und Frauen eingeschlossen. Alles stockt. (237)das Volk zieht noch geduldig den Karren, auf dem die Herrschaften ihre Komödien spielen. (200)
Ein Freund beklagte:
Welch eine Verblendung, (…), zu glauben, die Deutschen seien ein zum Kampf bereites Volk. Ich zweifle wirklich daran. Und dabei diese Stümperhaftigkeit! Die Sache war verloren, bevor sie begann. (199)
Minna erkannte nicht, dass ein einziger Mensch keine
Revolution herbeiführen kann. Man würde dafür die Masse benötigen.
Ist das heute, nach mehr als zweihundert Jahren, so viel
anders? Aus meiner Sicht wohl kaum …
Ein Staat sollte daran gemessen werden, wie er mit seinem Volk umgeht. (129) Wenn ein Staat die menschliche Natur missbrauche, sei es das kleinere Übel, diesen Staat zu zerstören! Wer sein Volk missbraucht, begeht Unrecht gegen Gott! (103)
Ein Gedicht aus Büchners politischer Tafel:
Wer für des Volkes Ehre fällt
Und würd er auch gehangen
Der hat auf dieser Erdenwelt
Das schönste Los empfangen.
Bücher war auch sehr sozial, spürte die ungerechte
Verteilung an Gütern zwischen den reichen und den ärmeren Leuten, obwohl er
selbst aus einem wohlhabenden Haus stammt.
Es ist leicht, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen hat. (275)
Büchner, der steckbrieflich gesucht wurde, flüchtete in die
Schweiz und lebte dort als Exilant. Ihm gefiel es in der Schweiz, denn die Schweizer hätten die Republik, die
Büchner sich für sich selbst und für seine Landsleute gewünscht hatte. Leider muss ich
hier widersprechen, denn das Wahlrecht für Frauen wurde in der Schweiz erst in den Anfängen
der 1970er Jahre eingeführt.
In den banalsten Dingen schaffte Büchner es, weltliche
Gedanken zu entwickeln, die in meinen Ohren wunderschön klingen. Er liegt z. B.
in seinem Bett und stellt fest, dass er zu groß dafür ist, als er mit seinen
Fußzehen an das Bettende anstößt:
Ich bin zu groß für das Bett, (…). Oder das Bett zu klein für mich. Weiß Gott, mag sein, die ganze Welt ist zu klein für mich. Hoffentlich wachse ich nicht noch. Es muss unerträglich sein in einer Welt, in der alles zu klein ist, wenn man über das normale Maß hinauswächst, wie bedrängt man von den kleinen Dingen und Menschen sein muss. (91)Mir sind diese vielen politischen Zitate sehr wichtig. Zeigt doch immer wieder auf, wie politisch träge der deutsche Mensch war, und aus meiner Sicht noch immer ist.
Nun habe ich viel über Büchners politische Leben geschrieben und kaum etwas zu seiner Verlobten.
Minna war, wie gesagt, für ihre Zeit als Frau schon sehr weit
voraus.
Nach dem Tod Büchners litt sie darunter, ihren
gesellschaftlichen Status als Frau nicht wiederherstellen zu können. Sie war in
der damaligen Zeit, mit ihren 26 Jahren, aus dem heiratsfähigen Alter schon heraus. Des Weiteren war sie die Braut Büchners, ohne dass es jemals zu einer Vermählung
kommen konnte, um Ehefrau zu werden. Dadurch, dass
sie zu Büchners Eltern den Kontakt aufrechthielt, waren auch die Erwartungen der trauernden Eltern nicht zu übersehen.
Hier würde kein neues Leben beginnen. Hier war sie eine freundlich beachtete Verwandte, die die Hand eines Toten hielt. Wie sollte sich um ihre Hand ein anderer bemühen?
Sie war keine Witwe,
sie war keine Mutter und auch keine Ehefrau. Minna versuchte trotzdem aus ihrer
Lage das Beste zu machen. Ihren Unterhalt verdiente sie sich als Gouvernante und
als Lehrerin. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, sich ihrem um zwei Jahre
jüngeren Bruder, der beruflich nach London emigriert ist, anzuschließen, doch
sie entschied sich dagegen. Sie wollte von ihrem Bruder nicht abhängig sein …
Minna ist im Alter von siebzig Jahren gestorben. Nach
Büchners Tod gab es keine Gelegenheit mehr, sich neu zu verlieben, selbst dann nicht, als der Todestag Büchners schon längst verjährt ist. Und so blieb Minna indirekt
ein Leben lang die Braut eines Verstorbenen.
Ich mache hier nun Schluss. Das Buch ist sehr
empfehlenswert. Wer Büchner für sich noch nicht entdeckt hat, kann es in diesem
Buch hier tun, bevor man sich an seine Dichtkünste heranmacht.
Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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Man kann in den Dreck
fallen, aber man muss nicht darin liegenbleiben.
(Hans Fallada)
Gelesene Bücher 2014: 65
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