Lesen mit Monerl
Identifikationsfigur
Keine
Meine Meinung
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Was für ein gutes
Buch. Ein historischer Roman über die Kriegsjahre zwischen 1940 und 1945. Hier
wird der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland behandelt.
Wenn ich mir das
Geburtsjahr des Autors betrachte (1973), dann bin ich erstaunt, dass ein
Mensch so gekonnt über diese brisante Thematik schreiben konnte, ohne in dieser
Zeit selbst gelebt zu haben.
Anthony Doerr hat historisch
sehr gut über seinen Stoff recherchiert und ist gleichzeitig wahnsinnig
empathisch seinen Figuren gegenüber gewesen; er kennt seine Figuren, er weiß,
was sie im Naziterror und im Widerstand durchleben und durchzustehen
haben.
Hier geht es zum
Klappentext und zu den Buchdaten.
Die Handlung
Man bekommt es hier mit zwei parallel laufenden Erzählsträngen zu tun. Im
ersten Erzählstrang geht es um ein 16-jähriges französisches Mädchen namens
Marie-Laure LeBlanc. Marie-Laure ist Halbwaise, da ihre Mutter im Kindbett
verstorben ist. Ihr Vater kümmert sich sehr liebevoll um sein Kind. Nicht nur,
dass das Mädchen ihre Mutter verlieren musste, so erleidet es im Alter von
sechs Jahren den nächsten Schicksalsschlag, indem es sein Augenlicht verliert,
da es an einem angeborenen grauen Star erkrankt ist. Der Vater weiß, was zu tun
ist und fördert die Tochter in der Blindenschrift (Braille), kauft ihr jede
Menge literarisch wertvolle Bücher in Blindenschrift. Mit einem Blindenstock
ausgestattet hilft er ihr, mit der Behinderung selbstständig zu werden. Marie-Laure
liebt Literatur, besonders liebt sie die Bücher von Jules Verne, 20000 Meilen
unter dem Meer. Sie liebt das Meer und ganz besonders Schnecken und Muscheln,
die hier eine metaphorische Bedeutung bekommen.
Ihr Vater arbeitet in Saint-Malo als Angestellter im "Muséum National d'Histoire
Naturelle" . Marie begleitet den Vater jeden Tag ins Museum.
Damit sie die Stadt Saint-Malo nicht vergisst, fertigt der Vater ihr die Stadt
im Miniatur-Stil an. Als könnte er schon ahnen, dass Saint-Malo den Nazis zum Opfer
fallen wird. Als die Nazis einmarschiert sind, fliehen Vater und Tochter aus dem
besetzten Paris zu ihrem Großonkel namens Etienne in die Stadt am Meer. Der Großonkel
schein psychotische Züge zu haben; er hat den Ersten Weltkrieg nicht richtig verkraftet,
und so glaubt er fremde Stimmen aus den Wänden zu hören. Etienne lebt
zurückgezogen in seinem großen Haus. Es kümmert sich eine liebevolle Haushälterin
um ihn, Madame Manec, die ein so großes Herz hat, in das sie auch Marie-Laure
schließen wird. Mit im Gepäck führt Maries Vater einen besonderen und wertvollen
Stein, auf den auch die Nazis später scharf sein werden, da sie in dem Stein einen hohen materiellen Wert sehen. Marie-Laure sieht in dem Stein eher einen ideellen Wert. Hat der Stein
tatsächlich magische Kräfte, wie sie aufgrund einer Geschichte, einem Märchen, zu
glauben meint? Marie-Laure betrachtet sich immer wieder den Stein, besonders,
als der Vater von den Nazis festgenommen wird, als er mit einer bestimmten
Absicht nochmals zurück nach Saint-Malo gefahren ist, und der Tochter ganz feste
versprochen hat, zeitnah wieder zurückzusein …
Der zweite Erzählstrang schildert das Leben der beiden Vollwaisenkinder Werner
und Jutta Hausner. Jutta ist zwei Jahre jünger als der Bruder. Sie leben im
Kinderhaus, als der Vater in der Kohlemine durch einen Arbeitsunfall getötet
wird. Der Autor lässt offen, woran die Mutter der beiden Kinder verstorben ist. Das Waisenhaus
befindet sich 500 Kilometer nordöstlich von Paris. Werner ist technisch sehr
begabt, er kann Radios reparieren und zusammenbauen, was sich auch schon in der
Ortschaft herumgesprochen hat. Immer wenn irgendwo ein Radio defekt ist, wird
Werner gerufen. Der gute Ruf dringt bis zu den Nazis, die Interesse für den
Jungen aufbringen. Werner musste einige Tests über sich ergehen lassen, defekte
Radios reparieren, bis auch die Nazis von seiner Begabung überzeugt waren.
Werner möchte nicht wie sein Vater im Kohlebau enden, und tut alles, diesen
Beruf nicht ergreifen zu müssen. Als Waisenkinder haben die Jungen keine Wahl.
Dadurch, dass sie elternlos sind, werden sie wie Gegenstände zum Besitz des
NS-Regimes gemacht. Für die Begabtesten unter ihnen gibt es einen Ausweg. Die
Nazis bilden junge Männer aus, und so besteht Werner eine weitere Prüfung für die
nationalpolitsche Erziehungsanstalt.
Was Werner zusammen mit seinen Anstaltskameraden mit den nationalsozialistischen
Lehrern und Erziehern erlebt, hat mich sehr betroffen gestimmt. Die Nazis machten
alle Menschen zu ihren Opfern, die nicht in ihr Bild passten. Kleinste
Schwächen, wie zum Beispiel das Tragen einer Brille, konnte einem Schüler zum
Verhängnis werden. Der Schüler Frederick, Werners bester Freund, versuchte,
seine Sehschwäche zu kaschieren ... Werner und Frederick geraten in Loyalitätskonflikte.
Die Nazis haben den Kindern die Jugend geraubt. Werner wurde mit 16 Jahren
schon zur Wehrmacht geschickt. Ihm wurde unterstellt, er habe sein Alter manipuliert
und so wurde er in purer Willkür zwei Jahre älter gemacht.
Das Schicksal, das Werners Freund Frederick in diesem Internat durch die Erzieher ereilt, ist dermaßen grausam, weil der Junge mutig genug war, Widerstand zu zeigen, als es darum ging, einen anderen Schwachen aus der Schule zu schikanieren … Die Kinder wurden zu Monstern erzogen, sie wurden auf ihre Kameraden gehetzt, die nicht in ein Schema gepasst haben. Je brutaler ein Kind war, desto beliebter wurde es bei den Erziehern und den Lehrern.
Das Schicksal, das Werners Freund Frederick in diesem Internat durch die Erzieher ereilt, ist dermaßen grausam, weil der Junge mutig genug war, Widerstand zu zeigen, als es darum ging, einen anderen Schwachen aus der Schule zu schikanieren … Die Kinder wurden zu Monstern erzogen, sie wurden auf ihre Kameraden gehetzt, die nicht in ein Schema gepasst haben. Je brutaler ein Kind war, desto beliebter wurde es bei den Erziehern und den Lehrern.
Ich selbst habe mir die Frage gestellt, wie ich mich in so einem Regime
verhalten würde? Würde ich mein Leben aufs Spiel setzen, wenn ich dabei mehrere
Menschenleben retten könnte? In diesem Buch sind nicht nur Werner, Jutta,
Marie-Laure und Frederick die Helden. Nein, auch unter den Erwachsenen gibt es sie. Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.
Das Schreibkonzept
Ein sehr kompliziertes Schreibkonzept, aber nicht uninteressant. Schon auf der allerersten Seite, noch bevor die vielen Kapitel beginnen, ist in einem
kleinen Prosa Vers zu entnehmen, dass die Stadt Saint-Malo brennen wird. Einen
zweiten Vers von Joseph Goebbels, der sich auf die Kriegsereignisse bezieht.
Anschließend beginnt das Buch numerisch mit dem Kapitel Null und endet
mit dem dreizehnten Kapitel und jedes Kapitel beinhaltet mehrere Unterkapitel.
Kapitel Null beginnt mit dem Datum 07. August 1944, erstes Kapitel 1934, das zweite
Kapitel knüpft dem Kapitel Null an, setzt sich fort mit dem 08. August 1944. Es
gibt immer wieder Sprünge von der einen Zeitebene zur nächsten, prospektivisch
und retrospektivisch und dies alles ohne chronologische Reihenfolge. Im zwölften Kapitel geht es in die
Zukunft, 1974 und endet mit dem dreizehnten Kapitel im Jahr 2014, das die
Gegenwart der Überlebenden beschreibt. Diesen Schreibstil habe ich als ziemlich
akrobatisch erlebt. Dass der Autor dabei seine Fäden nicht verloren hat, ist
schon eine wahre Kunst.
Die beiden Erzählstränge verlaufen in den letzten Kapiteln zu einem
Erzählstrang, als sie kunstvoll miteinander verwoben werden.
Manchmal sprechen die Figuren französisch, ohne ins Deutsche übersetzt zu haben. Für mich war es in Ordnung, da ich dadurch meine Französischkentnnisse ein wenig auffrischen konnte.
Die Unterkapitel sind recht kurz gehalten und leicht verständlich.
Manchmal sprechen die Figuren französisch, ohne ins Deutsche übersetzt zu haben. Für mich war es in Ordnung, da ich dadurch meine Französischkentnnisse ein wenig auffrischen konnte.
Die Unterkapitel sind recht kurz gehalten und leicht verständlich.
Das Cover passt sehr gut. Abgebildet ist hier die Stadt Saint-Malo. Der
Buchtitel stimmt nach wie vor sehr nachdenklich. Ich bin noch nicht fertig,
darüber nachzudenken.
Identifikationsfigur
Keine
Meine Meinung
Wie die Nazis mit den Kindern in der Erziehungsanstalt umgegangen sind,
das hat mich innerlich sehr unruhig gestimmt. Bei so viel Gewalt setzt es bei
mir aus. Ich schalte ganz unbewusst während des Lesens ab. Sehr grauenvoll.
Nicht nur die Juden waren Opfer. In diesem Buch ging es nicht mal um die Juden.
Opfer waren hier Kinder- und Jugendliche, Menschen, die Widerstand geleistet
haben, Menschen mit irgendwelchen Schwächen; sie alle wurden Opfer der
Nationalsozialisten. Mich hat die Frage erneut beschäftigt, was wäre,
wenn Hitler den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte? Alle Juden vergast, dann alle
Menschen mit bestimmten Erkrankungen, Menschen mit einer Sehschwäche; der Kreis
würde immer kleiner werden, da es keinen Menschen gibt, bei dem alles perfekt ausgelegt
ist. Am Ende würde sich das Böse selber abschaffen. Aber die Guten zuerst.
Mein Fazit?
Mit Ausnahme der Nazis sind mir in diesem Buch alle Figuren ans Herz gewachsen. Mein
Blick zum Nationalsozialismus wurde noch weiter geschärft. Sehr interessant,
auch mal die Perspektiven der Franzosen literarisch zu erleben.
Geschichtlich ein sehr beeindruckendes Buch.
Ein Zitat, das ich unbedingt herausschreiben möchte. Was ist der Mensch, wenn er gegen einen anderen Menschen kämpft? Wer sind die Guten? Wer sind die Bösen? Woher kommt der Mensch? Hier der biochemische Prozess in der Entstehung:
Wir alle entstehen aus einer einzigen Zelle, kleiner als ein Staubkorn. Viel kleiner. Dividiere. Multipliziere. Addiere und subtrahiere. Materie wechselt den Besitzer, Atome verbinden und lösen sich, Moleküle drehen sich, Proteine fügen sich zusammen, Mitochondrien senden ihre oxidativen Weisungen aus. Wir beginnen als mikroskopischer elektrischer Schwarm. Die Lunge, das Gehirn, das Herz. Vierzig Wochen später werden sechs Billionen Zellen durch den Geburtskanal der Mutter gepresst, und wir stoßen unseren ersten Schrei aus. Die Welt nimmt uns auf. (2014, 461)
Gemeinsames Lesen mit Monerl
Ich warte, bis Monerl durch ist, dann werden wir uns gemeinsam telefonisch austauschen. Ich hatte Urlaub, weshalb ich das Buch so schnell ausgelesen habe.
Und wie schön, wir haben nun ein Buch von unserem SuB befreit :).
Und hier geht es zu Monerls Buchbesprechung.
Und wie schön, wir haben nun ein Buch von unserem SuB befreit :).
Und hier geht es zu Monerls Buchbesprechung.
Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte 2 Punkte: Literaturwissenschaftliches, gut recherchiertes Buch 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
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12 von 12 Punkten.
Gelesene Bücher 2018: 33
Gelesene Bücher 2016: 72
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Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
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