Montag, 16. Februar 2015

Maarten ´t Hart / Das Paradies liegt hinter mir (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Habe die Autobiografie soeben beendet und sie hat mir recht gut gefallen.

Viele für mich interessante Zitate habe ich mir angestrichen, und werde schauen, ob ich sie alle hier einbauen kann. Bevor der Autor über seine Kindheit spricht, erfährt man über die große Anzahl seiner Namensvettern Maarten `t Hart. Erfreut ist er darüber nicht, denn dieser Maarten ´t Hart wäre lieber eine Persönlichkeit, die anderen nicht gleicht, und wenn es auch nur der Name ist. Doch eine Persönlichkeit wie keine andere ist er trotzdem allemal geworden …

Gleich auf der ersten Seite bin ich auf ein sehr schönes Zitat gestoßen, in dem vom Autor Friedrich Nietzsche zitiert wird:
Man muss also gewissen Menschen ihr Alleinsein gönnen und nicht so albern sein, wie es häufig geschieht, sie deswegen zu bedauern.
Dieses Zitat spricht mir aus der Seele, was mein Leben betrifft, und so wurde ich neugierig, was dieses Zitat mit dem Autor selbst zu tun hat.
Maarten ´t Hart ist ein Mensch, der keinesfalls mit der Masse schwimmt. Er ist gern mit sich alleine, um zu lesen und um seinen Gedanken nachzugehen. Er lehnt alles ab, was mit Gesellschaften zu tun hat, wie z.B. Vereine, Studentenvereinigungen und anderes mehr. Auf der Seite 226 erhält man die Antwort, die zu Nietzsches Zitat passt:
Während der Infotage an der Universität hörte ich die Worte >>Persönlichkeitsbildung<< und >>Vereinsamung<< immer wieder. Wer nicht bei einer Studentenvereinigung mitmache, vereinsame hoffnungslos, erklärte mir ein Vorsitzender nach dem anderen. Nun, hoffnungslos zu vereinsamen schien mir so ziemlich das Angenehmste zu sein, was einem Menschen widerfahren konnte. Vor allem, wenn man bedachte, was man in der Vereinigung so zu tun hoffte, und dieser hoffnungslosen Vereinsamung zu entgehen. (…). Tief im Herzen wusste ich ganz genau, dass es die seltsam hartnäckige Neigung der Menschen, sich in Gruppen zu organisieren und zusammenzutun, einzig und allein gab, weil alle Angst vor dem Alleinsein hatten. Niemand will der Tatsache ins Auge sehen, dass die menschliche Seele unheilbar einsam ist, und nur deshalb klumpt man zusammen, hockt beieinander, versucht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um - in welchem Zusammenhang auch immer - beim Genuss von Speis und Trank miteinander zu schwätzen, zu plaudern und zu albern. Ich hatte jedoch entdeckt, dass die besten Stunden meines Lebens die gewesen waren, in denen ich ganz allein die Maaskant entlangspazierte; ich wusste, dass man, wenn man die schlichte Tatsache unserer unheilbaren Einsamkeit einfach akzeptierte, daraus eine göttliche Kraft zur Zufriedenheit entwickeln konnte.
Die Autobiografie behandelt die Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter. Auf den ersten Seiten lernt man den kleinen, vierjährigen Maarten ´t Hart kennen, der für den Kindergarten angemeldet war und der darauf bestand, am ersten Tag nicht von der Mutter dorthin begleitet zu werden. Der kleine Maarten schaffte es tatsächlich, sich alleine auf den Weg zu machen und ist dort heil angekommen. Natürlich blieb die Mutter unauffällig im Hintergrund.

Als Nächstes erzählt der Autor über seine frühen Schuljahre, gerade die ersten beiden Jahre wären nicht gerade freundlich verlaufen.

Er hatte eine biestische Lehrerin, die versuchte, Maarten körperlich und geistig zu züchtigen. Er musste sich des Öfteren aus nichtigen Gründen sinnlose Gewalttaten über sich ergehen lassen. Maarten wendet sich an den Vater, der sich für seinen Jungen einzusetzen wusste, was mich sehr berührt hatte:
Wenn du meinen Sohn noch ein einziges Mal mit dem Lineal schlägst, dann verprügele ich dich mit diesem Stemmeisen.
Im darauffolgenden Grundschulljahr wurde seine Lehrerin von einem Lehrer abgelöst, der einen sehr guten Draht zu dem Musterschüler Maarten hatte.
Auch Maarten entwickelte eine gewisse Zuneigung zu dem Lehrer, indem er sich in ihn verliebte:
Ich liebte ihn, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt hatte. Augenblicklich lernte ich auch ein mir damals noch rätselhaftes Phänomen kennen: dass ich nämlich meine Liebe zu ihm nur äußern konnte, indem ich ihn quälte. Dass wahre Liebe gehässig ist und zum Quälen neigt, wurde mir erst viel später bewusst. (…) Aber ich versuchte sehr wohl, ihm das Leben so sauer wie möglich zu machen, obwohl ich genau wusste, dass er mich ebenso mochte wie ich ihn. Vom ersten Tag an nahm er mich vor meinen rachsüchtigen Klassenkameraden in Schutz.  
Ich erfuhr ein ähnliches Ereignis. Auch ich verliebte mich in der fünften Klasse in meine Klassenlehrerin, die es noch in den folgenden Schuljahren noch blieb, und der ich das Leben zu dieser Zeit recht schwer machte und erst später im Studium wurde mir bewusst, weshalb ich das tat und warum ich für diese Lehrerin eine tiefe Zuneigung empfand. Ich wollte nicht, dass sie die Gründe erfuhr, weshalb ich sie äußerlich so ablehnte. So ziemlich erstaunt bin ich von Maarten gewesen, als er von dieser Liebe berichtete. Ich dachte, dass nur mir so etwas passieren konnte. Nun bin ich doch sehr erleichtert zu lesen, dass ausgerechnet Maarten, eine sehr intelligente Persönlichkeit, ebenso von diesem Erlebnis ergriffen wurde und sogar in der Lage war, diese in seiner Autobiografie mitzuteilen. Doch nichts Peinliches? Manchmal wünschte ich mir allerdings, dass meine damalige Lehrerin den Grund erfahren würde, weshalb ich ihr das Leben im Unterricht so schwer machte.

Maarten kommt aus einem ärmlichen Elternhaus. Sein Vater war Totengräber von Beruf. Die Verwandten waren Bauern und Handwerker. Maarten war der einzige in seiner Klasse, der ein Gymnasium besuchte. In dieser Schule waren die Schüler recht gut betucht. Als Maarten sich mit einem Klassenkameraden angefreundet hatte, lud er diesen zu sich nach Hause ein. Der Klassenkamerad war ziemlich schockiert über die ärmliche Wohneinrichtung und über die einfache Lebensweise der ´t Harts.

Voller Abscheu äußerte er Maarten seine Frage:
„Hier wohnst du doch nicht etwa?“ Nach diesem ersten Besuch wollte er nichts mehr von mir wissen. Meinen Klassenkameraden erzählte er, ich sei ein Habenichts. Ich war verletzt und wagte es nie wieder, Freunde mit nach Hause zu nehmen. 
Maarten war ein Büchernarr. Jede freie Minute brachte er mit dem Lesen zu. Selten, dass er auf Menschen trifft, die seine Zuneigung zu Büchern mit ihm zu teilen vermochten. Nicht einmal unter den StudentInnen traf er Gleichgesinnte. Die StudentInnen seiner Zeit waren eher mit dem lustigen Studentenleben beschäftigt, das aus Feiern bestand und weniger mit dem Studium selbst.  Es klingt recht merkwürdig, wie die Professoren die Leistungen ihrer StudentInnen zensierten. Die Prüfungen erwiesen sich alles andere als seriös.

Für Maarten waren die Bücher auch aus dem Grund wichtig, weil sie ihm Lebenserfahrungen boten. Für einen anderen waren Bücher der belletristischen Sorte nur Gefühlsduseleien:
„Lebenserfahrung?", warf der andere ein. "Ach Mann, diese ganze Gefühlsduselei, das soll Lebenserfahrung sein? Nein, wenn du Lebenserfahrung willst, dann fahre zehn Jahre zur See."
„Wenn du meinst", sagte ich, "aber immerhin lernt man aus den Büchern, wie man mit Sprache umgeht, und man kann den guten Stil genießen."
"Den guten Stil?", sagte er, "ich habe gerade Vestdijik gelesen, und ich sage dir, der kann gar nicht schreiben, er versucht, alles so kompliziert wie möglich zu sagen, er hasst die Einfachheit und Klarheit schlichter Sprache. Guter Stil? Düsterer Stil, gediegener Stil, gekünstelter Stil willst du wohl sagen." 
So wie Marteen sich hier beschreibt, muss er ein Multitalent, ein Genie gewesen sein, nicht nur, was das Lesen an Büchern betraf, s. unten. Er war in der Lage, in seiner Freizeit geistig bis zu fünf Bücher am Tag zu verzehren:

Seine Mutter äußert sich recht besorgt über den Rückzug mit den Büchern:
"Du kannst doch nicht immer lesen", meinte sie, und da war ich durchaus ihrer Meinung.Wenn ich im Sommer an einem ganz normalen Ferientag morgens um sechs aufstand, hatte ich um neun bereits ein erstes Buch aus, um zwölf das zweite, um drei das dritte und noch vor dem Abendessen das fünfte. Für nach der Mahlzeit hatte ich mir da noch ein ordentlich dickes Buch mit rund vierhundert Seiten aufbewahrt, und das reichte so gerade bis zur Schlafenszeit. Aber fünf Bücher am Tag, davon wird man mit der Zeit doch ziemlich rammdösig. 
Fünf Bücher am Tag? Ich muss gestehen, das fällt mir schwer, zu glauben. Ich lese in drei Stunden ca. siebzig Seiten, da schafft Maarten ein ganzes Buch. Schwer vorstellbar. Ich könnte so viel auf einen Schlag geistig gar nicht wirklich verarbeiten.

Man erfährt auch ein wenig über Maartens Sicht zur Schriftstellerei. Maarten bezeichnet den Schriftsteller als jemand, der, verglichen zu anderen Berufen, am wenigsten beschäftigt ist. Auch diese Sichtweise stimmt mich kritisch:
Ein Schriftsteller ist jemand, der nur selten schreibt. Ich denke, es gibt keinen anderen Beruf, der einen am Tag so wenig beschäftigt ist. (…) Der merkwürdigste Aspekt des Schreibens ist, dass die Außenwelt alles tut, um den Schreibprozess zu unterbrechen. Nie ruft jemand an oder schickt einen Brief und teilt mit, er wünsche sich nichts mehr, als dass man weiter schreibe. Nein, man möchte etwas anderes als das Schreiben selbst: eine Lesung, ein Interview, eine Ausstellungseröffnung, eine Signierstunde, ausführliche Antworten auf Fragen wie >>haben Sie Mozart persönlich gekannt?<< oder >>Warum haben Sie das Buch Schwärmen für einen Regenbrachvogel geschrieben?<< Man könnte diese Dinge zur literarischen Arbeit zählen, würde man davon nicht immer wieder derart aus der Konzentration gerissen, dass eben diese literarische Arbeit behindert wird. 
Maarten schreibt über seine Erlebnisse mit eigenen Texten. Nur nach wenigen Zeilen bricht er das Schreiben ab, legt das Blatt in die Schublade, und lässt es für einen gewissen Zeitraum darin, damit der Stoff noch weiter in seinem Geiste reifen konnte. Kann man aber diese Art des Schreibens auf alle AutorInnen schließen? Es gibt durchaus Schriftsteller, die sehr wohl mit dem Schreiben über viele Stunden am Tag beschäftigt sind.

Ich komme nun so langsam zum Ende, habe mir viel über das Lesen … rausgeschrieben. Natürlich gibt es in der Autobiografie noch vieles Andere, wie z.B. die Glaubenssuche, damit verbunden das kritische Hinterfragen der verschiedenen Konfessionen der Christen und der Bibel. Politische Gedanken zum Nationalsozialismus bekommt man zu lesen.
Auch zu seinen Erfahrungen an der Universität im Fachbereich Biologie und Verhaltensforschung waren recht interessant, sowie seine starke Liebe zur Musik, weshalb ich t´Hart als Multitalent bezeichne. ´t Hart promovierte später, als er schließlich seine Karriere als Schriftsteller begann. Das alles und mehr lest selbst.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. 
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Die Welt ist eine Metapher
(H. Murakami)

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