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Montag, 13. September 2021

Amélie Nothomb / Klopf an dein Herz (1)

Bildquelle: Pixabay
Nichts ändert sich, bis man sich selbst ändert. 
Und plötzlich ändert sich alles.
(Verfasser unbekannt)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Zwei Mal habe ich das Buch gehört und einmal gelesen. Als ein Buchstaben – Junkie überwiegt bei mir das geschriebene Wort, an dem sich meine Gedanken orientieten und anlehnen können, ohne das Gefühl zu bekommen, ins Leere zu denken und zu deuten. Das Gehörte verflüchtigt sich so schnell in Richtung Nirwana

Das Buch ist sehr eindrucksvoll geschrieben. Im Brennpunkt steht das Schicksal zweier Familien, die mich sehr zum Nachdenken bewegt haben. Menschliche Probleme hinter Fassaden gepackt, bis sie einen Menschen treffen, der diese zum Bröckeln bringt.

Profane Themen wie Eifersucht und Konkurrenzdenken dominieren hier die Familiendramatik.

Ich wollte eigentlich auf alle Punkte eingehen, die mich beschäftigt haben. Aber das ist ja unmöglich. Schon alleine den Fokus auf eine einzige Figur zu setzen, würde sämtliche Seiten füllen, sodass auch dieser Punkt von mir nur fragmentarisch angerissen werden kann. Innerlich ist so viel los, dass ich es schade finde, die Figuren nur auf ihre Fakten zu reduzieren. Das liegt mir nicht. Denn es sind die vielen subtilen Vorgänge, unsichtbare Kräfte, die sich erst zu Fakten entwickeln. Fakten sind endgültige und abgeschlossene Prozesse, diese man am Ende einer Entwicklung erst abrufen kann. Diese feinen Mechanismen dagegen sind leise, aber dennoch sehr kräftig und brodelnd in der Auswirkung, die sich unbewusst und heimlich im Dunklen der Seele ganz selbständig abspielen und sind daher erst nicht seh- aber spürbar für einen selbst und aber auch für feinfühlige Menschen wie die junge Diane in diesem Buch.

Ich schaue während des Schreibens, welche Mitte und welchen Kompromiss ich mit meinen inneren Ideen schließen kann. Eigentlich ist die Hauptfigur Diane aber die beiden Mütter Marie und Olivia, die dermaßen krankhafte Züge aufweisen, dass ich verstehen möchte, warum sie sind, wie sie sind; welche psychische Kausalität sich dahinter verbirgt, zwingen mich zur näheren Betrachtung und zu einer kleinen Analyse. Sicher hat das wegen der ungleichen Geschlechterrollen auch seine Gründe, aber irgendwie nicht wirklich überzeugend genug, wie sie im Buch stellenweise nur kurz angedeutet wurden.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Marie wird mit 19 Jahren schwanger, noch ehe sie die Jugend hinter sich gebracht hat. Sie heiratet daraufhin den sanftmütigen Sohn eines Apothekers namens Oliviere. Marie flüchtet während ihrer Schwangerschaft in eine Depression. Schläft viel und tut nur das Notwendigste, bis Diane geboren wird. Der Vater Oliviere verliebt sich in sein erstes Töchterchen, während Marie Diane ablehnt, der sie unbewusst die Schuld für ihre verlorene Jugend gibt. Marie hatte sich eigentlich auf das adulte Leben gefreut, frei sein von ihren Eltern, frei von ihrer älteren Schwester Brigitte, die es geschafft hat, die gesellschaftlichen Normen und die Vorstellungen der Eltern zu erfüllen. Glückliche Ehefrau und Mutter von zwei Kindern.

Marie wollte ihre eigene Geschichte kreieren und nach ihr leben. Sie wollte etwas ganz Besonderes aus ihrem Leben machen. Anders werden als ihre Schwester. Sich von den Träumen ihrer Schulkameradinnen abheben:

Wenn die Mädchen im Unterricht über ihre Zukunft sprachen, lachte Marie heimlich über sie. Ehe, Kinder, Haus - das war ihnen genug? Wie dumm, seine Hoffnungen in Wörter zu packen, noch dazu in so klägliche. Marie gab ihrer Erwartung keinen Namen, sie genoss das Grenzenlose daran. (2019, 7)
Diane spürt die Ablehnung ihrer Mutter, die unbewusst mit ihrer Schönheit konkurriert. Schon als Säugling brillierte sie damit, angeblich noch schöner als die Mutter selbst es war, wie die Großeltern ihr dies (vielleicht scherzhaft) ausdrückten. Scherz hin oder Scherz her, für Marie waren diese Kommentare todernst.

Zwei Jahre später wird ihr Bruder Nicolas geboren, und im Alter von fünf Jahren bekommt sie eine Schwester namens Célia.

Célia wird vor Dianes Augen von der Mutter mit symbiotischer Liebe regelrecht überschüttet, von der sie sich wiederum erdrückt fühlt. Sie verbrennt innerlich schon fast in der Hitze an mütterlicher Liebe, während Diane das Gegenteil erfährt und zu erfrieren droht, würden die Großeltern und der Vater nicht für Ausgleich sorgen. Doch Cécilia erleidet durch diese übertriebene mütterliche Fürsorglichkeit ein seelisches Trauma, das fatale Folgen nach sich zieht.

Diane findet Zuflucht bei ihren Großeltern mütterlicherseits, die ihr die Liebe geben, die sie von der Mutter nicht bekommen kann. Die Großeltern kommen allerdings durch einen tragischen Verkehrsunfall ums Leben, als Diane zwölf Jahre alt ist. Sie verkraftet die Todesnachricht nicht, erlebt einen massiven seelischen Zusammenbruch und wird in eine Klinik eingewiesen ... Als sie Wochen später wieder zu Kräften kommt, kehrt sie nicht wieder nach Hause zurück. Die Familie ihrer besten Schulfreundin Elisabeth Deux nimmt sie bei sich auf und behandelt sie wie ein echtes Familienmitglied.

Die hochbegabte Diane geht nach der Schule an die Universität mit dem Ziel, Kardiologin zu werden. Dass sie die Herzen der Menschen retten möchte, ist kein Zufall …

An der Universität lernt sie die 43- jährige Dozentin Olivia Aubusson kennen. Olivia ist Doktorandin der Kardiologie.

Zwischen Diane und Olivia entwickelt sich trotz des großen Altersunterschieds und der unterschiedlichen Rollen eine außergewöhnliche Freundschaft.

Die Freundschaft ist dermaßen außergewöhnlich, dass die studentische Diane es ist, die der Dozentin zu einer Habilitation verhilft ... Zu einem Professoren - Titel hatte Olivia es bisher abgesehen. Ihre Kollegen bezeichnete sie alle als Nullen. Später stellt sich heraus, weshalb sie den Titel selbst nicht angestrebt hatte …

Diane lernt Olivias dreiköpfige Familie kennen. Ihr Mann, Stanislaf, theoretischer Mathematiker von Beruf, und die zwölfjährige Tochter namens Mariel, die unter einer massiven seelischen Vernachlässigung leidet. Auffällig ist vor allem, dass Mariel trotz hochbegabter Eltern schlechte Schulnoten nach Hause bringt, und die Eltern nichts dagegen tun ... Eine besondere Beziehung entsteht dadurch zwischen Diane und Mariel, was Olivia durch ihre Eifersucht ein Dorn im Auge ist.
In dieser Familie scheint sich in Diane ein seelisches Trauma zu wiederholen, sie aber Zeit benötigt, bis ihr die vielen Facetten dieser Familie bewusst werden, vor allem die der mittlerweile zu einer Professorin aufgestiegenen Olivia, die plötzlich durch ihre bestandene Habilitation ganz andere Seiten von sich gibt.

Diane stürzt sich in Arbeit, um dieses Trauma mit der eigenen Mutter durch Olivia und Mariel nicht noch einmal spüren zu müssen ...

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Es waren eine ganze Menge, das ganze Buch ist voll davon, und ich aufpassen muss, das Menschliche nicht aus den Augen zu verlieren mit meinem häufig perfektionistischen Anspruch auf Gerechtigkeit und Humanität.

Dass Marie mit 19 Jahren schwanger wird und sich dieses Ereignis später durch die jüngste Tochter wiederholt, lässt moralische Rätsel aufkommen. Mit 19 Jahren der 1970er-Jahren ist man eigentlich sexuell aufgeklärt genug, um eine Schwangerschaft verhindern zu können. Cecilia beginnt denselben Fehler 19 Jahre später, wobei ich mich hier frage, ob Celias Schwangerschaft unbewusst nicht auch gewollt ist, um sich an die Mutter zu rächen, denn sie gibt ihren Säugling bei ihr ab und verschwindet aus deren Leben.

Schwierige Konstellation, da erneut auf Kosten eines unschuldigen Wesens Konflikte ausgetragen und gerächt werden.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Das war der Schluss, der „süßeste“ Anteil von allen.

Doch eine von vielen anderen besonderen Szenen fällt mir noch ein: Als Diane in einer Auseinandersetzung mit Olivia Größe gezeigt hat, in dem sie sich von ihr nicht hat unterkriegen lassen, und sie sich dadurch selbst treu geblieben ist. Es entwickelte sich in Diane ein Selbstlösungs- und Heilungsprozess, durch die intensive Selbstreflektion, um auch aus Olivias Fehlern zu lernen:

Bisher war Diane der Meinung gewesen, Verachtung ergebe sich aus der Begegnung mit verächtlichen Menschen, etwa als Olivia zu Recht über den Dünkel der amtierenden Professoren gespottet hatte, bevor sie zu deren bester Freundin wurde, kaum dass sie selbst in die höhere Kaste aufgestiegen war. Jetzt wurde ihr klar, dass Olivia grundsätzlich auf andere herabsah. Verachtung lag ihr im Blut, sie suchte nach Objekten dafür und fand sie ganz leicht: dumme oder kranke Menschen, sogar ihre eigene Tochter. >In Zukunft gehöre ich bestimmt auch dazu<, dachte Diane bitter. (143)

In einer anderen Auseinandersetzung strafte Olivia Diane ab, indem sie ihr Hausverbot erteilte und auch den Kontakt zu Mariel verbot. Als Diane keinen Versuch mehr wagte, auf Olivia zuzugehen, war es Olivia, die es mit einer E-Mail tat und eine Lesebestätigung eingefordert hatte. Diane ließ die E-Mail kalt.

Und sie kannte Olivia gut, um zu wissen, wie rasend sie das machen würde.

Und denkt dabei an das Zitat von Gustave Flaubert:

>Nur die Dummheit verlangt nach einem Abschluss< (...). Das lässt sich am besten daran erkennen, dass der Dumme im Streit stets das letzte Wort haben will. (145)

Etwas traurig zurückgelassen hat mich diese Szene schon, denn Konflikte in einer Freundschaft sind natürliche Prozesse, die bei konstruktiver Auseinandersetzung befriedet werden können. Aber einer Freundin eine Chance zu geben, die durch und durch nur selbstsüchtig ist und damit sogar ihr eigen Fleisch und Blut geschadet hat, solche Menschen entpuppen sich zu einzigen Kraft- und Zeiträubern, wenn kein Ziel dahintersteckt, an den eigenen Defiziten zu arbeiten.

Diane hat den Absprung geschafft, ihren eigenen Weg gefunden und ihr Hauptziel erlangt, Medizinerin zu werden, um die Herzen der Menschen zu heilen. Denn das Herz ist nicht nur als Motor für den Körper das wichtigste Organ. Seelisch betrachtet sind die wahren Lösungen genau dort zu finden, die zur Problembewältigung beitragen können und der Mensch viel zu wenig auf seine innere Stimme, auf sein Herz hört.
Das fand ich grandios

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Diane.

Welche Figur war mir antipathisch?
Olivia und Stanislaf.
Sie bekommen ein Kind, weil die Gesellschaft das von ihnen erwartet, vor allem von Olivia, weil sie eine Frau ist. Beide Eheleute vernachlässigen das Kind, weil sie die Wissenschaft vorziehen, aber bei Olivia ist es noch mehr als bei Stanislaf. Sie ist selbstsüchtig geworden und das nicht erst seit ihrer Habilitation von einer Doktorandin zur Professorin avanciert. Stanislaf ist auf seine Weise auch selbstsüchtig, er scheint seine mathematischen Konstrukte mehr als die Tochter zu lieben. Verglichen zu Marie hätten sie mit ihrem Wissen, das sie haben, einen (jungen) Menschen nicht schaden dürfen, denn was aus Mariel wird, ist am Ende ihrer Kindheit mehr als tragisch.

Die Eltern besitzen so viel Intelligenz, die angeblich dennoch nicht ausreicht, sich gegen gesellschaftliche Konventionen zu stellen. Marie war erst 19 Jahre alt, als sie schwanger wurde, Olivia dagegen über 30, ihr Mann über 40, der das Kind gezeugt hatte. Mir ist das wichtig, nicht nur die schwangere Mutter zu erwähnen, die meist als die Alleinschuldige angeprangert wird, während man den Erzeuger häufig dabei außen vor lässt.

Bei Marie war es dagegen jugendlicher Leichtsinn, bei Olivia und Stanislaf eine bewusste Familienplanung.
Dianes Großeltern waren mir viel zu seicht. Auch Dianes Vater war zwar sanftmütig, aber er blieb genauso auf der Oberfläche haften, hinterfragte nie ernsthaft, was Diane so quälte, als sie z. B. nach dem Klinikaufenthalt in eine andere Familie zog.

Meine Identifikationsfigur
Diane, die sehr reflektiert ist und es immer wieder schafft, hinter die Fassaden ihrer Mitmenschen zu schauen, um das Konfliktmuster zu ergründen, um letztendlich den Knoten zu lösen, der zu ihrem Knoten geworden ist ... Sie ist Mensch geblieben und hat es geschafft, sich von den intellektuellen Dünkeln zu lösen, wenn man bedenkt, dass sie mit 27 Jahren selbst schon Dozentin war. Sie löste sich vor allem von Olivia und verkündet ihr, von der Universität in die Praxis zu gehen, um die Herzen der Menschen zu heilen, die aus Olivias Sicht zum Großteil aus übergewichtigen dummen und krankheitsuneinsichtigen Patienten bestehen würden. Das war Dianes erster Abnabelungsprozess von Olivia.

>>Du wirst noch deinen Studenten nachweinen, Mädchen! (...) . Noch bist du unter den intellektuellen. Aber du wirst die Herzpatienten kennenlernen: in neun von zehn Fällen kommt ihr Problem daher, dass sie zu fett sind, und deine ärztliche Tätigkeit wird darin bestehen, Ihnen eine Diät zu verschreiben. Wenn du ihn empfiehlst, auf Butter zu verzichten, werden sie dich anglotzen, als ob du sie ermorden wolltest. Und wenn sie nach drei Monaten wieder kommen und du dich wunderst, dass sich überhaupt nichts verändert hat, werden sie ohne Gewissensbisse lügen: > ich verstehe das auch nicht, Frau Doktor, dabei habe ich mich genau an ihrer Anweisung gehalten!< Kardiologie als Forschungsgebiet ist etwas Edles; als Ärztin hast du es jedoch mit Schweinen zu tun.<<  (140f)

Cover und Buchtitel
Ein wundervoller Titel, der 150 % zur Thematik passt. Ich 
musste dieses Zitat in meine Signatur aufnehmen, so wunderschön ist es.

Das Bildmotiv ist hübsch, aber viel zu erotisch für eine junge Frau, die ihr Leben nicht auf Männer und Sexualität ausgelegt hat. Habe es daher nicht unbedingt als passend empfunden. Als Botschaft allerdings, dass eine Frau mehr schön als klug sein soll???, hm, wenn dies die Botschaft sein soll, dann hätte diese mehr im Kontext herausgearbeitet werden sollen.

Zum Schreibkonzept
Auf den 151 Seiten sind die beiden Familiengeschichten in mehreren kurzen Kapiteln gesplittet. Es gibt keine numerische Chronologie, dennoch gut zusammenhängend narrativ gegliedert. Flüssiger Schreibstil vorhanden.

Meine Meinung
Diese Geschichte hat mich lange beschäftigt, vor allem die Probleme der Protagonistinnen. Aus beiden Familien der Hauptfiguren gehen keine existenziellen Nöte hervor, und dennoch wurden die Seelen junger Menschen gebrochen. Hintergründe waren wiederholte narzisstische, egozentrische Motive wie Eifersucht und Konkurrenzverhalten. Aber ein Mensch kommt nicht narzisstisch auf die Welt. Was hat ihn zu dem gemacht? Was war in Maries Kindheit los, dass sie so sehr auf banale und oberflächliche Äußerlichkeiten bedacht war? Von ihren eigenen Eltern geht nicht viel hervor, außer:

Am meisten aber verletzte sie die große Liebe ihrer Eltern für Diane. >>Dein Kind ist ja noch hübscher als du, alle Achtung!<<, sagte ihr Vater. (17)
Dass Menschen oberflächlich sein können, die meisten sind tatsächlich sehr stark nach außen orientiert, ist bekannt, aber das alleine reicht nicht aus, um die Seele eines Menschen dermaßen zu zerstören, dass sie symbolisch gedacht nicht lebensfähig ist. Hierbei muss schon mehr passiert sein, aber ich konnte keine weitere Textstelle finden, die darauf hinweist. Dass die Großeltern in den Enkelkindern sich als die besseren Eltern darstellen, als sie zu ihren eigenen Kindern waren, ist bekannt und auch erklärbar. Aber wie soll ich mir Maries Kindheit vorstellen? Ist sie permanent mit der älteren Schwester verglichen worden? Ging es hier immer nur um äußere Werte, mit denen man sich die Liebe der Eltern hat erkaufen können oder müssen? Das ist die einzige Erklärung, die ich habe finden können, um Maries gestörtes Seelenleben zu verstehen, das sie hauptsächlich auf ihre beiden Kinder Diane und Cécila, beides Mädchen, überträgt. Der Bruder Nicolas hat es am besten von den drei Geschwistern gehabt und hat ein normales und ein psychisch unauffälliges Leben führen können.

Maries Idealismus`, etwas Besonderes werden zu wollen, das dem symbolischen Bild einer Göttin gleicht, sonst konnte ich keine anderen Werte finden, ist aus meiner Sicht realitätsfremd, woran man einfach zerbrechen muss, weil man dieses Ziel niemals erreichen kann. Ihre Träume waren irgendwie inhaltsleer und unreif ...

Viel nachgedacht hat sie nicht, weint ihrer verlorenen Jugend nach, wobei man mit 19 Jahren trotz der Jugend erwachsen ist und man in diesem Alter weiß, dass die Babys nicht von Störchen geliefert werden.

Eifersüchtig auf Diane, die nicht geliebt hätte werden sollen, selbst vom eigenen Vater nicht?

>>Meine Hübsche, mein Schatz, mein Glück!<<, rief er und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Er bemerkte nicht, dass Marie daneben erbleichte. (19)

Konkurrenzdenken auch während ihrer Heirat:

Der Hochzeitsgesellschaft gefiel das junge Paar. Deshalb fand Marie trotz intensiver Suche in keinem Gesicht den Ausdruck des Neides, der ihr das Gefühl gegeben hätte, dass dies der schönste Tag ihres Lebens war. Sie hätte sich ein rauschendes Fest gewünscht mit massenhaft Gaffern, missgünstigen Lästermäulern und eifersüchtigen Mauerblümchen, die mürrisch auf ihre Robe schielte. Peinlicherweise hatte sich mit dem Hochzeitskleid ihrer Mutter begnügen müssen. (11)

Ihre eigene Mutter wundert sich über die Eifersucht zu Diane und gibt eine oberflächliche und nüchterne Erklärung ab:

Brigitte hätte Grund gehabt, eifersüchtig zu sein auf ihre kleine Schwester, die viel hübscher war als sie. Aber sie war es nie, sondern Marie war es. Ich dachte, das Problem hätte sich nun bei ihr erledigt. Immerhin wurde sie zur schönsten Frau der Stadt und hatte eine großartige Hochzeit. Aber nein! Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie eifersüchtig sie auf ihre Tochter ist. (22)

Eine absolut banale und eine sehr beschränkte und wenig kluge Sichtweise. Wenn Marie als kleines Mädchen in ihrer Eitelkeit wegen der Schönheit von den Eltern noch bestärkt wurde, ihr aber keine anderen Werte vermittelt wurden, somit wird Maries krankhafter Narzissmus deutlich. Die Werte einer Frau waren auf Schönheit, Ehe, Familie gelegt. Andere hat sie möglicherweise nicht vorgelebt bekommen. Es dreht sich alles nur um Maries Schönheit. Nirgends eine Textstelle, worüber sich die Eltern über Marie noch hätten erfreuen können. Vielleicht wegen guter Leistungen in der Schule, oder weil sie musische Begabungen hat, oder wegen besonderer Charaktereigenschaften, die sie ausgezeichnet hätte; nein, nichts dergleichen. Alles dreht sich nur um die Schönheit.

Auf der Seite 25 wird Marie von ihrem Mann in die Buchhaltung geführt, und Marie entwickelt erst dann ein besonderes Interesse für Zahlen,

(…) sobald sie Geld darstellten. Denn Geld hatte die grandiose Eigenschaft, Neid zu erwecken. Marie merkte schnell, dass sie davon mehr besaß als der Durchschnitt der Stadtbewohner, und jubiliert innerlich. Sie wusste natürlich, dass man nicht zeigen durfte, wie sehr man es liebte. Und das steigerte wiederum die Lust. (25)
Die Großmutter offeriert Diane eine Erklärung für das lieblose Verhalten der Mutter:
>>Deine Mutter ist nicht böse, mein Engel. Sie ist nur eifersüchtig. So ist das einfach, und du kannst nichts dafür, so war sie schon immer. Verstehst du, was eifersüchtig heißt?<< (30)

Diane muss noch viele Jahre älter werden, und sie musste Olivia kennenlernen, ehe sie in die Lage kommt, die Haltung ihrer eigenen Mutter zu verstehen, auch wenn sie am Ende nur triviale Erklärungen findet.

Summa summarum
Beide Familien gegenübergestellt: Marie scheint aus einem einfacheren und bildungsärmeren Elternhaus zu kommen, während Mariels Familie, Tochter von Olivia und Stanilslaf, das totale Gegenteil bildet. Man könnte sagen, dass Maries Eltern es aus Unwissenheit nicht hätten besser machen können, als die Mädchen nach traditionellen- und gesellschaftlichen Maßstäben zu erziehen, während Mariels Eltern alles Wissen zur Verfügung hatten und zerstörten dennoch ihre kleine Seele, weil der Vater besser mit Zahlen umzugehen weiß und die Mutter ähnlich wie Marie narzisstisch geprägt war. 

Nun, mit für mich dieser vierten Auseinandersetzung, zwei Mal hören, einmal lesen und einmal schreiben, hat mich die Dramatik dieser Familiengeschichten dennoch nicht ganz überzeugen können. Man bekommt hier in Marie und Olivia fertige Psychen geliefert, deren Hintergründe, zumindest bei Marie, mir definitiv zu flach gewesen sind, trotz ihrer einfachen Herkunft.

Aber mehr gefallen hat mir auf jeden Fall die Geschichte mit Olivias Familie, die bessere Hintergründe hat liefern können, als es in Maries Familie der Fall war. Wobei ich im Gegensatz zu Marie gar nichts über Olivias Kindheit habe in Erfahrung bringen können. Ihre infame Charakterschwäche zeugt eines selbstgeschaffenen Defizits über die Selbstsucht nach Geltung und Prestige, hierbei müssen nicht immer die eigenen Eltern dafür verantwortlich gemacht werden. Schon gar nicht in diesem Alter. Deshalb hat mich ihre Geschichte eher überzeugen können, während Maries Herkunftsfamilie mich trotzdem noch mit Rätseln zurückgelassen hat.

Mein Fazit
Dennoch ein sehr lesenswertes Buch, das zwar von Tiefe zeugt, aber an vielen Stellen wichtige Details entweder nur kurz angerissen sind oder gänzlich fehlen.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch meine Entdeckungsreise, die mich auf das Diogenes- Literatur - Programm geführt hat.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
1 Punkte: Authentizität der Geschichte;
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
1 Punkt: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

9 von 12 Punkten

__________________________

Gelesene Bücher 2021: 09
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich höre: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: In Swanns Welt
Rachel Joyce: Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

Klopf an dein Herz, denn dort sitzt 
das Genie!
(Alfred de Musset)

Auch Expertenwissen ist subjektiv!
(Tom Andersen / Psychiater und Syst. Therapeut)


Sonntag, 29. August 2021

Stefanie vor Schulte / Junge mit schwarzem Hahn (1)

Bildquelle: Pixabay

“Es wäre schön,
wenn die Fähigkeit, 
sich in andere hineinzuversetzen, 
nicht verloren ginge.” (2021, 229)

Ein wunderbares, märchenhaftes Buch mit deutlichen Bezügen zur realen Welt, die die Leser*in zwar fiktiv in eine andere Epoche zu führen scheint, für mich schon fast mittelalterlich; eine Handlung von Krieg, Armut, Gewalt, Aberglauben und jede Menge skurriler Figuren, doch wenn diese als Symbole betrachtet werden, konnte eine besondere Affinität zur Gegenwart hergestellt werden. Dadurch habe ich das Buch als zeitlos empfunden. 

Mich hat diese Geschichte durch die Tiefe der Sprache von der ersten bis zur letzten Seite dermaßen bewegt, dass ich diesen Martin ungewollt mit in meine nächtlichen Träume genommen habe und es sehr bedauere, mich beim Schreiben dieser Buchbesprechung zurücknehmen zu müssen, weil meine Erlebnisse wieder andere sind als die der Anderen. Die Figuren dringen, so lebendig wie sie sind, in meinen Verstand und in meine Seele ein, und ich kann nichts dagegen tun. Auf einmal sind sie in mir drin, die sich so schnell nicht mehr aus mir herausbewegen lassen, bis ich mich lange genug mit ihnen beschäftigt habe und sie von selbst wieder verschwinden.

Ich habe die Buchbesprechung in zwei Abschnitten geteilt, zwar nicht numerisch, nur mit einem Trennstrich markiert, weil ich im zweiten Abschnitt noch eine kleine Diskussion anschließen möchte. Fragen über Fragen, die sich mir gesamtgesellschaftlich durch das Buch noch aufgetan haben. 

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Protagonisten dieser Handlung sind der elfjährige Martin und sein schwarzer sprechender Hahn, der namenlos ist. Der Hahn wurde Martin in die Wiege gelegt und begleitet ihn als Freund, Helfer und vor allem als Führer auf seinem schwierigen Lebensweg.

In deinem Leben gibt es Unerklärliches, damit du zum Erklärlichen gelangst. (53)
Martin ist allein, mittellos, hat weder Eltern noch Geschwister. Doch als er noch Familie hatte, wurde er so schlecht behandelt, dass er der Meinung war, dass er ohne Familie besser dran wäre.

Es ist kein Kind der Liebe. Es ist aus Hunger und Kälte gemacht. (12)

Martin lebt in seinem Dorf, weg von seiner Familie, weg von seinem grausamen Vater, der alle seine Geschwister und die Mutter getötet hat. Die Welt wirkt hier recht düster, dunkel und trostlos. Die Menschen wenden sich von ihm ab, sind ihm gegenüber misstrauisch, weil Martin anders ist. Seine kluge und sanftmütige Art lässt die Menschen skeptisch werden. Dazu sind die meisten noch abergläubig und meiden Martin auch wegen seines schwarzen Hahns.

Den (Hahn) hat der Junge immer dabei. Auf der Schulter hocken. Oder im Schoss sitzen. Verborgen unter dem Hemd. Wenn das Vieh schläft, sieht es aus wie ein alter Mann, und alle im Dorf sagen, es wäre der Teufel. (6)

Eine besondere Beziehung sucht Martin in dem Maler, der neu in das Dorf kommt, um für die Kirche ein Altarbild anzufertigen. Martin schließt sich dem Maler an, als er schließlich weiterzieht, um nach neuen künstlerischen Aufträgen zu suchen. Im Gegensatz zu den anderen Menschen nimmt der Maler Martin und seinen tierischen Freund bei sich auf. Er bietet Martin dadurch einen gewissen Familien- und Heimersatz. Er scheint der einzige Mensch zu sein, der Martin versteht.

Wie sie einander Wärme geben, indem sie gackern und witzeln, sich das Maul zerreißen, sich miteinander wohlfühlen, wie Säue im Schlamm. Der Maler kennt diese Frauen, die schneller als ein Wiesel zu den Nachbarn rennen, um über andere zu lästern, sich lustig zu machen, über jemanden, der ihnen nicht passt, weil er allein schon durch seine Existenz, wie der Junge, ihre ganze schweinchenhafte Zufriedenheit in Frage stellt. Anmaßend sind sie. Sie lügen und schummeln. Eigentlich sind sie dumm, aber auf eine ungute Art pfiffig. Wie soll das Kind überleben, wie soll die Moral bestehen, zwischen diesen selbstgefälligen Männern und den giftigen Frauen? (60)
Doch auch der Maler hat seine Schwächen, vor allem mit dem Alkohol, und dadurch Martins Vertrauen auf die Probe stellt, bedingt auch als der Hunger des Malers die Existenz des Hahns gefährdet.

Und da weiß Martin, dass er den Maler eines Tages verlassen muss. Und es tut ihm weh. Der Maler schnarcht und schläft seinen Rausch aus, während Martin noch lange in die Nacht starrt und nun erkennt, dass erst die Liebe zu jemanden den Weg zu Schmerz und Angst ermöglicht. (88)

Auf der Reise mit dem Maler lernt Martin einen Reiter kennen, der Kinder stiehlt und sie an einen anderen mysteriösen Ort bringt. Martin möchte eines der Kinder retten. Brüskiert fällt der Maler ihm in den Rücken, und versucht es ihm auszureden. Allerdings lässt Martin sich von seinem Vorhaben nicht abbringen:

Ein gerettetes Leben ist alle Leben. (90)
Doch auch eine Liebesgeschichte spielt sich hier ab. Martin verliebt sich in ein schlagfertiges und selbstbewusstes hübsches Mädchen. Franzi, die so arm ist, dass sie trotz ihres jugendlichen Alters in einer Kneipe arbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch Martin spürt auch die Verletzlichkeit dieses Mädchens, die in ihrer Schönheit begründet liegt.

Sie ist 14, zieht sich das Tuch um die Schultern. Der Wind weht ihr das Haar in die Augen. Sie ist sehr schön, und die Männer bekommen Lust, ihr wehzutun. (7)

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Das waren jede Menge Szenen. Die Figuren habe ich größtenteils als dermaßen skurril erlebt, dementsprechend skurril waren auch deren Lebensweisen und deren Handlungen. Zusammengefasst waren das Szenen verschiedenster Figuren, die dermaßen abgestumpft in ihrer düsteren Lebenswelt gelebt haben, ohne jemals den Versuch unternommen zu haben, etwas daran zu verändern. Düsternis ist hier nicht eingegrenzt in Armut und Mittellosigkeit. Auch die gut Betuchten stellten leidliche und bemitleidenswerte Existenzen dar.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Ganz klar hat mir die Szene gefallen, in der Martin es gelungen ist, die Fürstin in ihrem Schloss auszutricksen, um die geraubten Kinder zu retten.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Martin, der schwarze Hahn, Franzi und der Maler, weil sie die eigentlichen Licht- und Hoffnungsträger darstellen.

Welche Figur war mir antipathisch?
Das Trio Henning, Seidel und Sattler, die zu eingefahren und zu träge waren, aus ihrem Leben etwas zu machen. Sie lassen sich lieber vom Skatspielen im Gasthaus ablenken und mit einem Schlüssel in der Hosentasche begraben.

Dazu noch die Fürstin. Die nach außen hin angeblich alles für ein glückliches Leben besaß; Macht, Prestige, Vermögen und ironisch gesagt; geklaute Kinder. Sie lässt sich die Reinheit in ihren Hallen bringen, weil sie seelisch selbst dermaßen unrein ist, dass man dies schon fast riechen kann. (Das meine ich ernst. Ich konnte die Fürstin riechen), während sie alle äußeren Tugenden erfüllt, ist sie innerlich ein mickriger Mensch geblieben, der irgendwann in der Entwicklung stehen geblieben ist, weil er aus meiner Sicht alle Energien in die Besitztümer und in die Macht investiert hat. Nach außen hin gewachsen, nach innen hin geschrumpft.

Meine Identifikationsfigur
Behalte ich dieses Mal für mich.

Cover und Buchtitel 
Den Buchtitel und das Cover fand ich gut und künstlerisch gelungen und ansprechend.
Der Blumenkranz auf Martins Kopf und die Blumen im Hintergrund, sehe ich hier ein Herz?, drücken etwas Weiches und Liebliches aus. Die blauen Kleider? Für mich ist Blau eine spirituelle Farbe, die für Seelentiefe steht …

Allerdings habe ich auf dem Cover den schwarzen Hahn vermisst. Auf der Schulter des Jungen wäre er gut platziert, und so komplettiere ich das Bild für mich innerlich im Stillen. 

Korrektur: Dank meiner Bloggerkollegin Petra Gleibs weiß ich nun, weshalb der schwarze Hahn auf dem Cover fehlt. Das Cover entspricht dem Gemälde von Pablo Picasso Der Junge mit der Pfeife. Ich hatte es irgendwie versäumt,  mir alle Klappentexthinweise, auch die etwas versteckten, in Augenschein zu nehmen, denn der Verlag selbst hat darauf verwiesen. Weiteres ist in den letzten Kommentaren dieser Seite zu finden. 

Auch habe ich gesehen, dass ich vergessen habe, meine Tabelle mit der Bewertung einzupflegen. Das hole ich nach, wenn ich am Rechner sitze. Aber auf jeden Fall hätte das Cover wegen des fehlendes Hahns keineswegs Punkte verloren. Dennoch lasse ich den Hahn in meiner Vorstellung auf der Schulter des Jungen sitzen.  

Zum Schreibkonzept
Die Handlung spielt sich auf 227 Seiten ab und ist in 31 Kapiteln gesplittet. Im Anschluss ist ein dreiseitiges Interview mit der Autorin abgedruckt.
Der Schreibstil; die Sätze sind manchmal recht kurz gewählt, dafür aber wie Pfeilspitzen sehr treffsicher. 

Meine Meinung
Ich habe mir am Ende die symbolische Frage gestellt, welcher Menschentyp in der Lage wäre, eine Welt von dem Bösen zu retten? Antwort? Das sind Menschen mit reinem Herzen, zu denen auch Martin zählt. Dabei musste ich an die Trilogie Herr der Ringe denken. Auch hier war es der junge Frodo Beutlin, der als einziger dazu befähigt wurde, diesen gefährlichen Ring, der dunkle Mächte anzieht, zu zerstören, während sein alter Onkel Bilbo Beutlin ihn ewig lang im Geheimen bei sich trug. Die dunklen Mächte, die an diesem Ring energetisch behaftet waren, schreckten ihn nicht ab, nicht mal dann, als Mittelerde schließlich bedroht wird. Doch auch Frodo kämpfte am Ende noch mit den Mächten dieses Ringes, hatte Schwierigkeiten, ihn in die ewige Verdammnis des Höllenfeuers zu werfen.

Zurück zu Martin. Er hatte ein schweres Leben, seine Herkunft war von schweren Schicksalsschlägen geprägt. Dennoch ist Martin ein Mensch geblieben, der die Reinheit seiner Seele nicht verloren hat. Er ist sensibel, mitfühlend und setzt sich für andere Menschen ein, in dem er z. B. gestohlene Kinder rettet, um sie den Eltern zurückzubringen. Er hat nichts, wovon der Mensch glaubt besitzen zu müssen, um ein glückliches Leben führen zu können. In seiner ganz bescheidenen Art ist Martin dennoch ein junger Mensch, der sehr viel besaß.

Martin sind die Menschen nicht gleichgültig. Er besitzt jede Menge Beobachtungsgabe, Feinfühligkeit, Weisheit und inneres Wissen, um mithilfe seines tierischen Freundes die Probleme anzugehen, anstatt wegzuschauen, während die Erwachsenen größtenteils abgestumpft sind. Sie nehmen die Ungerechtigkeit und die Nöte in der Welt in nur einer recht destruktiven Form wahr, dichten ihren eigenen Reim darauf und bringen dadurch noch mehr Dunkelheit in die Dunkelheit.

Was hat mir neben der Rettung der Kinder ganz besonders gefallen?
Die Ausgänge zwischen Martin, dem Maler und dem Hahn. Ich hatte während des Lesens schon sehr um die Existenz des Hahnes gebangt ... Und bin so glücklich über die Ausgänge, dass sich meine Hypothesen hierbei nicht erfüllt haben.

Von den Erwachsenen war der Maler der Einzige, der sein Verhalten kritisch dem Jungen und dem Hahn gegenüber durch schwierige Momente hinterfragen konnte und daraus auch konstruktive Konsequenzen hat ziehen können. Das hat ihn mir richtig sympathisch werden lassen.

Die Botschaft: Wir sind unseren Schwächen nicht hilflos ausgeliefert
Dazu habe ich die Botschaft vernommen: Dass wir Menschen unseren Charakterschwächen nicht hilflos ausgeliefert sind. Man kann an ihnen arbeiten und diese in Stärke umwandeln, um zu mitfühlenden Wesen zu werden, wie uns dies der Maler vorgelebt hat.

An der Fürstin wurde für mich deutlich, wie armselig ihre Reichtümer, ihre Macht und ihr Prestige nur waren. Sie selbst war nicht mal glücklich, sie musste Kinder stehlen lassen, Kinder, die in der Seele rein sind und sie aus meiner Sicht dadurch die Aufgaben hatten, das Leben der Fürstin zu erhellen. Ihre weltlichen Werte sind nicht wirklich die Dinge, auf die es im Leben ankommt. Sie sind nur solange wichtig, solange man sich innerlich nicht verliert und im selben Zug Mensch bleibt. Aber geht das? Sich mit großem äußeren Prunk schmücken und gleichzeitig bescheiden bleiben?

Die Parallele zur Gegenwart?
Auch wenn der Mensch heute nicht mehr diese existenziellen Nöte erleiden muss, ist er deshalb kein besserer Mensch. Heute streiten Menschen z. B. um Bagatellen. Meine Parallele, die ich sehe, ist, um nochmals auf das Anfangszitat dieser Besprechung einzugehen: Die Unfähigkeit, sich durch die Empathielosigkeit in andere Menschen und (Kulturen) hineinzuversetzen, sind häufig Streitthemen, die ich in der Gesellschaft und in den Medien beobachte. Die eigene Kultur und die eigenen Schwächen werden z. B. zu wenig hinterfragt, während die einer fremden Person und deren Herkunftskultur umso kritischer angegangen werden. 

Kinder wegsperren in der aktuellen Corona-Politik
Kinder stehlen und wegsperren sehe ich als eine Parallele in unserer Zeit bezogen auf die Corona-Politik durch die Politiker, die im Namen der Pandemie absurde Gesetze verabschieden. 

Oder Menschen, die Macht haben und noch mehr Macht haben wollen und noch mehr und noch mehr, und man nur eines bei ihnen wachsen sieht, ist deren Narzissmus, und innerlich entwickeln sie eine Seele wie die der Fürstin in diesem Buch.

Oder der Gaukler: Was gaukelt er uns vor? Dabei denke ich an die vielen suchtmachenden Computerspiele, die die Menschen von realen Problemen ablenken. Süffisante Politiker, die versuchen, uns manipulative Sichtweisen aufzudrängen ... Schließlich verwandelt sich der Gaukler in einen Henker ... Sich eine falsche Welt vorgaukeln zu lassen, kann am Ende sogar zum Verhängnis werden.

Diese sollten nur ein paar Beispiele darstellen ... 

Überwindung des Aberglaubens?
Obwohl wir längst das Mittelalter überwunden haben, existiert unbewusst noch immer dieser Aberglaube schwarzen Tieren gegenüber. Lt. Tierschutz in Tierheimen und anderswo werden schwarze Tiere nur sehr schwer vermittelt. Da müssen wir nicht über den Aberglauben anderer Länder reden, nein, hier vor unserer Haustüre kämpfen schwarze Tiere ums Überleben.

Kurzer Bezug zur Online-Talkrunde /  Gedanken der Autorin, von denen ich nur ein paar mir hierfür herausschreiben werde
Ich erinnere mich an die Online-Talkrunde vom Donnerstagabend: Martin bleibt menschlich in unmenschlichen Zeiten. Er habe einen Hang dazu, mit Schicksalsschlägen positiv umzugehen.

Erwachsene würden ihre Haltung nicht mehr überdenken. Sie glauben, mit ihrer Entwicklung abgeschlossen zu haben und haben aufgehört, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Mein Fazit
Mich hat das Buch total fasziniert. Schade, dass ich mich aus persönlichen Gründen zurücknehmen muss. Ich kann gar nicht verstehen, dass manche mit dem Schreibstil der Autorin nicht klargekommen sind oder erst später damit warm werden konnten, wenn man dies aus den Rezensionen anderer Internet-Seiten herausliest. Mich haben die Worte der Autorin von Anfang an dermaßen ergriffen, dass sie sofort wie ein Fluidum in meine Seele geflossen sind und im Stillen weitergewirkt haben.

Summa summarum
Martin bringt den Menschen die Würde zurück!!!!
Dadurch war das Buch für mich ein Licht- und Hoffnungsträger, da es Mut macht, trotz harter Schicksalsschläge ein guter Mensch zu bleiben bzw. zu werden, was aber nicht heißt, makellos durchs Leben ziehen zu müssen.

Daher. Tolles Buch. Tolle Sprache. Tolle Figuren. Tolle Botschaft.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch den Verlag bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck, Fantasievoll
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte;
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkt: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten plus 2 Highlight Punkte. / 14 Pkt.

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Telefongespräch mit Bücherfreundin Anne

Mit Anne konnte ich völlig ungeschminkt über die Erfahrungen, die mich mit diesem Buch verbunden hatten, reden. Wir haben uns über die darin beschriebene Problematik menschlicher und gesellschaftlicher Art ausgetauscht und Bezüge zur aktuellen Lage hergestellt. Dazu noch die tolle Sprache, indem ich ihr manches Zitat einfach nur vorlesen musste. Ein besonderes Erlebnis teilte ich ihr mit:

Eine wichtige und persönliche Erfahrung mit meinem eigenen Haustier durch dieses Buch / Ein Erlebnis, das einem Wunder gleicht
Ich hätte richtig Lust, mit der Autorin unter vier Augen über dieses Buch zu sprechen. Über dieses Wunder, das ich innerlich bezogen auf mein eigenes Tier über die Tierkommunikation habe erfahren können, über das ich nicht hier, sondern an anderer Stelle im Blog allerdings noch schreiben werde, wo es thematisch noch besser passt.

Menschliche Probleme nur in der literarischen Welt sichtbar?
Wir nehmen literarisch menschliche Probleme auf, im Buch sind sie uns wichtig, intellektualisieren darüber, decken uns noch mit Fremdwörtern ein, um sophisticated zu sein ... , während diese im realen Leben eher als zu persönlich, zu profan, zu trivial abgestempelt werden, sobald man versucht, auf diese aufmerksam zu machen, und dazu, wenn es noch Einzelschicksale sind. Wie entstehen diese Diskrepanzen vielerorts unter den Intellektuellen? Damit müssen nicht unbedingt die eigenen Probleme gemeint sein, sondern die, die man selbst in einer Gesellschaft sozial-politisch beobachten und ansprechen möchte, so stößt man häufig auf taube Ohren und wird mit Totschlagargumenten abgespeist.

Wir lesen meist unkritisch über sozial- und gesellschaftliche Probleme anderer Länder, und atmen unbewusst erleichtert auf, dass man nicht zu dieser zurückgebliebenen Personengruppe gehört, weil es in den eigenen Reihen fortschrittlich zuzugehen scheint. Und genau das ist nicht mein Stil des Lesens und des Umgangs. Diese stark wertenden Betrachtungsweisen maße ich mir nicht an, sie anderen aufzustülpen. Und dabei tun Menschen anderer Nationen auch nichts anderes, was wir hier tun. Uns in ein System einfügen und angepasst leben, um dazuzugehören.

Jeder Mensch kann nur mit dem klarkommen, was er bei seiner Geburt in die Wiege gelegt bekommen hat, um daraus das Bestmögliche zu machen. 

Erlaubt sind hierbei häufig nur die Themen, die aus der Presse vorgegeben sind, und diese Themen sind schon von den Journalist*innen sehr selektiert und gefiltert bearbeitet. Und das genau sind die Gründe, die mich langweilen und geistig träge stimmen lassen. Man hört überall nur noch dasselbe und über die gleichen Themen reden, und die Argumente sind auch immer die gleichen. Selbst in Bücherforen beobachtet man dieses Verhalten zunehmend. 

Einige andere, aus der nicht lesenden Bevölkerung, reden lieber in belehrender, sittenstrenger Form über die Schwächen ihrer Mitmenschen, über die anderer Länder, eigene sind schwer aushaltbar. Abweichende Gedanken und Meinungen werden verprellt. Die möchte niemand hören, und dabei merken viele nicht mal, wie abgedroschen ihre Worte klingen, weil sie nur nachgeplappert und aus ihren Mündern kommend eigentlich schon völlig verbraucht sind, ohne darüber mal selbst nachgedacht zu haben. Viele lassen denken, und benutzen Gedanken, Ideen anderer wie die der Politiker, der Zeitungen, die schnell produzierend in die Gesellschaft hineingeworfen wurden ... Abstand von der eigenen Sichtweise und den eigenen Maßstäben zu nehmen und versuchen, die Dinge aus der Sicht des anderen zu verstehen, das geht nicht immer mehr verloren, ich glaube, es ist schon verloren gegangen und hoffe, dass diese Fähigkeit zu uns zurückfinden wird. Das bedeutet, sich z. B. auch in einen Kriminellen oder in einen Attentäter hineinversetzen zu können, um zu verstehen, was diesen Menschen zu einem Kriminellen bzw. zu einem Attentäter gemacht hat.

Dankeschön
Ich danke der Autorin Stefanie vor Schulte für diese so wunderbare Lektüre und für das Interview und wünsche ihr von Herzen den Buchpreis für das beste Romandebüt. Die Daumen sind hierbei ganz feste gedrückt.

Ich danke dem Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar und für die Einladung zur tollen Online-Talk-Runde, die ich als sehr aufschlussreich erleben durfte. Gerne hätte ich mehr darüber geschrieben, aber jetzt ist bei mir die Luft raus. Doch die Talk-Runde hat mir geholfen, eigene Worte für diese Besprechung zu finden. Es war gut, damit gewartet-  und nicht gleich nach dem Lesen mit dem Schreiben losgelegt zu haben.  

Ich danke Anne-Marit Strandborg für das tolle Gespräch. 


Hierbei kann ich folgende Bücher empfehlen:
Im Grunde gut, von Rutger Bregmann (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im höheren Westen unserer Weltkarte leben gute Menschen ...).
Ian McEwan: Die Kakerlake (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im unteren Westen und anderswo unserer Weltkarte laborieren manipulative und korrupte Politiker ...).

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Gelesene Bücher 2021: 08
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Auditive Bücher: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Amélie Nothomb: Klopf an dein Herz
Marcel Proust: In Swanns Welt

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)


Montag, 29. März 2021

Paula Stern / Tage des Aufbruchs - Die Kaffeedynastie (1)

Bildquelle: Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Beste zuerst; das Buch ist groß im Herzen, was mir gut gefallen hat. Es ist gefüllt mit einer tiefen Empathie, die in großen Nöten zur wahren Menschlichkeit führt. Sowohl in der Politik, in der Freundschaft, als auch in der eigenen Verwandtschaft der Protagonistin, ohne dass es kitschig oder sentimental gewirkt hat.

Was mir nicht gefallen hat; mir war das Buch in den Zwischenetappen zu seicht. Es hat signifikant an Tiefe in den Charakteren gemangelt, sodass es definitiv zu glatt auf mich gewirkt hat, wie ich weiter unten noch besser ausführen werde. Außerdem hatte ich mir etwas ganz anderes unter dem Titel vorgestellt, und so wurden meine Erwartungen leider nicht erfüllt. Es mit dem Werk von Thomas Mann Die Buddenbrooks zu vergleichen, war ein großer Fehler. Die Kaffeedynastie ist ein reiner Unterhaltungsroman. Nicht mehr und nicht weniger.

Achtung Spoiler: Wer nicht zu viele Details erfahren möchte, so verweise ich, sich auf die Handlung zu begrenzen, auf die ersten Leseeindrücke, oder auf die allgemeine Buchbewertung am Ende dieser Besprechung.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die noch im Elternhaus lebende Hauptfigur Corinne Ahrensberg, Ende zwanzig, ist eine junge Frau, die genau weiß, was sie möchte. Als ihr Vater Günther wegen eines schweren Schlaganfalls nicht mehr rehabilitiert werden kann und zu einem Pflegefall wird, möchte die Mutter Esther, dass Corinne zusammen mit ihrem acht Jahre älteren Bruder Alexander in das Familienunternehmen Ahrensberg einsteigt. Dadurch bekommt sie zusammen mit Alexander die Verantwortung für die Firma übertragen. Corinne hat große ideelle Pläne, möchte in die Fußstapfen ihres längst verstorbenen Großvaters Eberhard Ahrensberg treten, der Neuheiten und Wagnisse liebte, während Alexander es eher in die Fußstapfen des Vaters treibt. Ihm geht es mehr um hohe Verkaufszahlen als um Qualität, und dass Altbewährtes bleibt, wie es ist. Corinne dagegen möchte mehr Qualität und Individualität in die Kaffeebranche einbringen und setzt auf Neuerungen wie z. B. die Entwicklung und die Einführung von Fairtrade - Kaffee. Dadurch gibt es Reibereien mit dem despektierlichen Verhalten ihres Bruders, dem sie sich zu widersetzen versucht und sie sich hilfesuchend externen Rat eines anderen Fachkollegen einholt, nachdem ihr von Taktgefühl getragenes Einlenken regelrecht versagt hatte.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Besonders gut hat mir gefallen, dass es Corinne mit viel Liebe und Geduld gelungen ist, ihrem Bruder sämtliche Fassaden von ihm abzulösen, sodass er die Chance bekam, sich in seiner Eigenart zu outen
.

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Eigentlich gab es gar keine Szene, die mir nicht gefallen hat, ironisch ausgedrückt. Die Protagonist*innen waren alle so verständnisvoll und gefügig. Viele Probleme wurden recht schnell gelöst, da die Figuren alles machten, was sich die zartfühlige Corinne von ihnen gewünscht hat.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Großvater Eberhard Ahrensberg. Der zartbesaitete Eberhard wurde schon im Alter von 15 / 16 Jahren widerwillig in den Krieg einberufen. Widerstand zu leisten machte keinen Sinn, da sein Vater Anhänger der NSDAP war. Eberhard hatte eine sehr weiche und gutmütige Seele, sodass er überhaupt nicht auf Kämpfen und Morden ausgelegt war.

Wenn es nach ihm ginge, würde er lieber Bücher verschlingen, statt Marschieren und Kämpfen zu üben. (40)

Man nimmt in der Retrospektive an Eberhards Träumen teil, wie der Samen einer eigenen Kaffeeplantage damit im jugendlichen Alter schon gestreut wurde.

Berichte und Geschichten von fernen Ländern faszinierte ihn. Die Farben, Geräusche und Gerüche, die darin beschrieben wurden, lösten eine Sehnsucht nach der weiten Welt in Eberhardt aus. Gerne würde er nach Südamerika reisen, um einmal eine Kaffeeplantage zu sehen. Eines Tages würde er auch genau das tun. Das hatte er sich fest vorgenommen. (...) Seit er vor Jahren in einer Zeitschrift etwas über Kaffeeanbau gelesen hatte, faszinierte ihn das. So war er auch auf sein Sehnsuchtsziel Südamerika gekommen. Mit großer Sorgfalt sammelte er seit damals alles, was er zu Kaffee an Informationen erhaschen konnte. (40f)

Welche Figur war mir antipathisch?
Eigentlich keine. Oder wen soll ich hier auswählen? Eberhards Vater, der der NSDAP verschrien war und damit viele Menschenleben gefordert hat, mitunter auch sein eigenes? Doch ihn habe ich nicht als eine Figur erlebt, sondern nur als eine Beschreibung, an der ein paar Fakten und ein paar Charakterzüge festgemacht wurden.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel  

Ich habe mir etwas ganz Anderes darunter vorgestellt. Als eine Kaffeedynastie im Untertitel habe ich das Buch nicht verstanden. Alles dreht sich um Corinne, während der Einfluss der letzten beiden Generationen viel zu kurz kam, auch wenn der Großvater Eberhard, der eigentliche Gründer dieser Dynastie, in der Lebensgeschichte zwar auftaucht, aber dennoch nur eine Nebenthematik bleibt. Im Fokus stehen eher die Lebensgeschichten der einzelnen Figuren, während die Gründung eines Großunternehmens nur peripher die Handlung widerspiegelt. Hier ging es mehr um das Nazideutschland, und um Eberhards Vater, der sich dem Geist der Nazis angeschlossen hatte. Die Kaffeedynastie kam hier überhaupt nicht zur Geltung. Es hätte, um dem Titel gerecht werden zu können, die Entwicklung eines Familienunternehmens, das aus drei Generationen besteht, mehr in den Vordergrund gerückt werden müssen, und das Nazideutschland, aus dem der Großvater kommt, eher an den Rand. Doch hier werden zwei Hauptthemen vorgestellt, wovon die erste Thematik die Existenzgründung der Corinne behandelt, während die zweite Thematik die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit dem Naziregime umfasst.

Der Hauptitel, Tage des Aufbruchs, passt lediglich in Corinnes Leben.

Das Cover selbst, von der Farbe her getragen einer Nivellierung jener Kaffeebohne, fand ich sehr ansprechend.

Zum Schreibkonzept
Das Schreibkonzept fand ich reizvoll
. Auf der ersten Seite ist eine Widmung zu entnehmen, auf den darauffolgenden Seiten findet man sämtliche Namen aller Figuren bzw. die unterschiedlichen Stammbäume und die Namen von Freund*innen einzelner Hauptfiguren. Anschließend geht es mit dem ersten Kapitel los. 22 Kapitel sind dem Buch insgesamt zu entnehmen. Quellennachweis und eine Danksagung schließen das Buch am Ende.

Die Handlung, die aus zwei Erzählsträngen besteht, wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit kapitelweise einander ab.

Für alle Kaffeeliebhaber: Es gibt auch ein großes Geschenk an die Leser*innen. Man findet am Schluss der Geschichte jede Menge Rezepte rund um Kaffee und Gebäck.

Das fand ich sehr kreativ fürsorglich. Passt zu der Feinfühligkeit, die das Buch umschließt.

Einzige Bedingung: Man muss Kaffee lieben.

Meine Meinung
Ich finde den Roman nach meinem Geschmack viel zu seicht, obwohl er durchaus supergute Ansätze und wirklich große Themen wie z. B. auch Gegen das Vergessen und Gesellschaftsprobleme aufweist, die die Interaktionen und die Ereignisse zwischen den Figuren beeinflussen. Manche Szenen waren sehr gut und authentisch beschrieben. Vor allem die Szenen mit Isabella Pelzmann, die durch die Nazidiktatur massivste irreparable posttraumatische Störungen mit schwerwiegenden Folgen entwickelt hatte ... Leider konnte die Autorin diese Ebene an Tiefsinn im gesamten Roman nicht halten, weshalb sie immer wieder in dieses Seichte und Oberflächliche abgedriftet ist.

Mit wenigen Ausnahmen verlangten hartnäckige Probleme nach zu raschen Lösungen. Außerdem wurden Beziehungen viel zu schnell geschlossen, was ich als recht künstlich und zu unrealistisch empfunden hatte. Corinne lernt Noah kennen, der selbst auch ein eigenes alternatives Öko - Café besitzt. Schnurstracks waren die beiden ein Herz und eine Seele, und im Nu ein Liebespaar und im Nu lagen alle auch in Mutters Armen.

Die Figuren waren mir alle zu vernünftig, obwohl es in dem Buch große Themen gab, die die Geschichte begleitet hat. Die Fieslinge waren weg. Der Naziurgroßvater stirbt im Krieg. Corinnes dominanter Vater, der von jedermann als der Kaffeebaron bezeichnet wird, erleidet einen schweren Schlaganfall und wird dadurch in der Handlung auch ausgebremst. Der homosexuelle Alexander wird durch die Liebe seiner Schwester gefügig .... Der eifersüchtige Sebastian, der Corinne heimlich liebt, die sich aber für einen anderen Mann entscheidet, gibt sich zufrieden, wenn er schließlich in weiter Zukunft Patenonkel ihres ersten Kindes sein darf … Vermisste Personen aus dem Naziregime werden leicht wiedergefunden. Alles läuft glatt. Das meiste löst sich in kurzer Zeit in Wohlwollen auf und genau dies hat mich nicht überzeugen können. Nein, ich liebe Figuren, die Facetten haben und authentisch sind. Die Autorin hätte mehr aus ihrem Buch machen können.

Und dennoch war ich auch froh, dass das Buch nicht aus billiger Intrige bestanden hat, wie ich in meinen ersten Leseeindrücken befürchtet hatte. Ich präferiere keine Bücher, die mit schwarz-weiß, mit gut-böse Mustern gestrickt sind. Tiefe Facetten zeichnen nämlich den Menschen nicht zu reinen gut und böse, Engel-Teufel-Wesen aus, weil jeder Mensch auf seine Weise, auch wenn es schwer fällt, sich dies vorzustellen, mit diesen Un-Tugenden innerlich behaftet ist. 

Die Kaffeedynastie
Sehr interessant, sie war aber immer nur als eine Nebenthematik erfahrbar. Das Land Brasilien und das ganze Drumherum wurde viel zu wenig in die Geschichte verwoben.

Stereotypen
Die Deutschen hatten hier mit einer Ausnahme alle blonde Haare und blaue Augen. Obwohl die Autorin Nazigegnerin ist, hat sie bewusst / unbewusst genau den Deutschen porträtiert, den Hitler in seiner Rassentheorie als Arier bezeichnet hat, obwohl Hitler mit seiner Rassentheorie gescheitert ist. Manche wollen es immer noch nicht wahrhaben, dass es viele dunkelhaarige Deutsche gibt. Viele haben sogar von Natur aus einen olivfarbenen Teint. Mich wundert das nicht, denn seit eh und je sind Menschen rund um den Globus gewandert, längst sind alle Menschen vermischt. Selbst der sog. dunkelhäutige Urdeutsche kam einst aus dem Urwald, um das mal ganz platt auszudrücken. Was uns genetisch verändert hat, ist das Klima …

Mein Fazit
Wer einen einfachen Unterhaltungsroman sucht, der kommt hier voll auf seine Kosten, dafür hätte der Roman auch seine volle Punktzahl verdient. Wer aber mehr Anspruch sucht, wird eher enttäuscht werden.  

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage beim Verlag. Aufmerksam wurde ich durch den Buchtitel und durch Brasilien, in dem Land, in dem rund um die Kaffeebohne alles begann. Ich wurde neugierig auf die Kaffeeplantage. Ich dachte, dass Brasilien in der Geschichte einen großen Raum einnehmen würde. 

Meine Bewertung

1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (einfach, fantasievoll)
0 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere; 
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur
1 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

6 von 12 Punkten

Ein herzliches Dankeschön an den Verlag von HarperCollins für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.

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Gelesene Bücher 2021: 06
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
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Gehörte Bücher 2021: 07

Ich höre gerade: Sten Nadolny / Das Glück des Zauberers
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Jane Austen: Mansfield Park
Albert Einstein: Triumph des Denkens
Geo Podgast Staffel 1 / 24 Folgen zu Reisen und Tourismus
Geo Podgast Staffel 2 / 26 Folgen zu Wissenschaft und Technik

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)