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Sonntag, 11. November 2018

Juli Zeh / Neujahr (1)

Stein, Kies, Lanzarote, Strand, LavaEine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Über ein frühkindliches Trauma

Gleich vorneweg gesagt: Das Buch war super. Es hat mir vom Inhalt und vom Aufbau her sehr gut gefallen.

Hier geht es zum Klappentext, Autor*inporträt und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Handlung behandelt eine gut situierte vierköpfige deutsche Familie, die aus Göttingen kommt und die in Spanien, auf Lanzarote, ihr Neujahr verbringt. Eine einsame Gegend, in Fémes, wo Henning als Kind schon mit seinen Eltern Urlaub gemacht hat. Das wird ihm aber erst sehr viel später bewusst …
Ein emanzipiertes Ehepaar, in dem die Aufgaben zwischen den Eheleuten in der Familie und im Haushalt gleichberechtigt verteilt sind. Henning und Theresa gehen beruflich einer Halbtagsbeschäftigung nach. Allerdings ist Theresa diejenige, die mehr verdient als Henning ... Im Vordergrund glaubt man es mit einer perfekten und harmonierenden Familie zu tun zu bekommen.

Henning ist bemüht, ein guter Ehemann und Vater zu sein, aber ihm ist neben den Familien- und beruflichen Pflichten auch wichtig, außerhalb dieser Einrichtungen ein autonomes Leben zu führen, ganz allein für sich Dinge zu tun, die ihm guttun. Er möchte innerlich unabhängig sein. Zur reinen Entspannung fährt er gerne alleine Fahrrad, umrundet damit die Insel auf Lanzarote, viele aufsteigende Straßen, und sich ihm dabei viele Episoden seiner Kindheit aufgetan haben. Auch geht er häufig Sinnfragen auf den Grund.
Auf Lanzarote schließt die Kleinfamilie 2017 das alte Jahr ab. Beide hoffen, dass das neue Jahr besser wird als das alte.

Henning ist in einem linkslastigen Sachbuchverlag tätig, Theresa in einem Steuerbüro.

Trotz aller Bemühungen bekommt Hennig den Familienalltag nicht so gut hin wie Theresa. Oftmals scheint er überfordert zu sein. Er leidet an einer psychischen Störung, Theresa tippt auf einen Burnout, als Henning ihr von seinen Beschwerden berichtet, und empfiehlt ihm dringend einen Psychologen aufzusuchen. Theresas Stimmung ist oft gereizt, wenn die Kinder immerzu nach der Mutter rufen und an ihrem Rockzipfel hängen. Die Kinder spüren, wenn der Vater mit ihnen überfordert ist. Hennig ist der Meinung, dass die emanzipierten Geschlechterrollen nicht einfach umzusetzen sind. Theresa wirft Henning vor, dass er eine mangelnde Bereitschaft mitbringen würde, seine Vaterrolle auszufüllen. Henning sieht das anders:
Kinder sind, was sie sind. Seit frühester Kindheit spielt Jonas mit Baggern, Bibbi mit Puppen, obwohl weder Henning noch Theresa dem klassischen Geschlechtermodell entsprechen. Und sie schreien nach Mama. Bibbi und Jonas interessieren sich nicht für die Regeln der modernen Emanzipation. (2018, 45)

Theresa zeigt für Hennings psychische Labilität wenig Verständnis, da er damit die ganze Familie überfordern würde.
Sei ein Mann! Einer, den ich lieben kann. (66)

Man lernt auch Luna kennen, Hennings Schwester, die ihr Leben als eine erwachsene, junge Frau noch nicht wirklich im Griff hat. Derzeit lebt sie übergangsweise in Göttingen bei seinem Bruder und dessen Familie. Theresa stinkt es, dass Henning eine Beschützerrolle für seine Schwester übernommen hat ...  

Henning leidet dazu noch an einer massiven Spinnenphobie ...

Im nächsten Abschnitt verlässt man die Gegenwart und kommt in die Vergangenheit. Hier wird man in die Herkunftsfamilie von Henning und seiner Schwester Luna versetzt. Beide noch sehr klein, zwei und vier Jahre alt. Henning ist das ältere Kind. Er befindet sich mit seinen Eltern und Luna auf Lanzarote, auch in Sémes. Man bekommt auch hier den Eindruck, dass die Familie harmoniert und glücklich ist. Aber der Schein trügt. Zwischen den Eltern kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung, die eine solch große Auswirkung hat, dass eines Morgens beide Elternteile nicht zu Hause sind, als die beiden Kinder aufwachen. Wo sind die Eltern? Henning sucht sie überall, die aber nirgends zu finden sind. In seiner kindlichen Fantasie findet er Erklärungen, wo die Eltern sein könnten. Nun muss er sich um sich selbst und um seine kleinere Schwester kümmern und übernimmt bestmöglich die elterliche Verantwortung, mit der er schier überfordert ist ... Hier wird nun deutlich, weshalb Henning seiner Schwester gegenüber eine Beschützerrolle übernommen hat ... Man kann hier nun verstehen, woher Henning seine Spinnenphobie hat ... 

Im dritten Abschnitt verlässt man Hennings und Lunas Kindheit und man ist zurück in der Gegenwart. Der Urlaub auf Lanzarote ist vorbei und die Familie befindet sich wieder in Göttingen. Auch wenn das nicht explizit aus dem Kontext hervorgeht, bekommt man mitgeteilt, dass Henning und Luna sich nach dem Urlaub mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben, und haben die Mutter dadurch zur Rede gestellt ... 

Zum Schreibkonzept
Der Roman ist weder in Teilen noch in Kapiteln gegliedert. Trotzdem ist eine Struktur lesend deutlich erkennbar. Die Familiengeschichte besteht aus drei Teilen. Auf den ersten 92 Seiten befindet man sich im ersten Teil, in der Gegenwart, Neujahrsurlaub auf Lanzarote. Von der Seite 93 bis 175 befindet man sich im historischen Bereich, in der Kindheit von Henning und Luna, die sich im Sommerurlaub auch in Lanzarote aufhalten. Der dritte Teil, von der Seite 176 bis zur Seite 192, führt die Autorin ihre Leser*innen wieder zurück in die Gegenwart.

Ich habe im zweiten Teil richtig mit den Kindern mitgebangt und konnte den Schluss kaum abwarten. Als man sich wieder  in der Gegenwart befand, ohne dass irgendeine Aufklärung stattgefunden hat, hatte ich befürchtet, die Autorin habe den Schluss offengehalten. Aber nein, erst auf den letzten Seiten erfährt man, was den Eltern von Henning und Luna in ihrer Kindheit widerfahren ist. Die mittlerweile erwachsenen Kinder stellen die Mutter zur Rede, warum sie damals alleine gelassen wurden … Erst in Sémes bekommt Henning eine Ahnung, dass er schon mal hier gewesen sein muss, ohne sich wirklich an die Fakten erinnert zu haben …

Cover und Buchtitel?
Beides fand ich passend. Der Käfer auf dem Cover hatte mich beschäftigt, denn noch vor dem Lesen hatte ich mich gefragt, was dieser Käfer bedeuten könnte. In der Geschichte bekommt man es sogar mit zwei Käfern zu tun. Mit einem Tausendfüßler und mit einem Skarabäus. Diese Käfer hatten damals die Kinder auf den Steinen gemalt. Der erwachsene Henning hatte diese Steine auf der Insel wiedergefunden, die ihn zum Nachdenken brachten.

Meine Identifikationsfigur
Theresa

Meine Meinung
Erst dachte ich, dass Henning mit den Familienpflichten überfordert ist, und er nicht einsehen konnte, weshalb es an ihm liegen sollte, dass das Familienmodell nicht 1:1 umzusetzen war. Wenn man allerdings Hennings Kindheit in Betracht zieht, dann war es klar, weshalb er in seiner eigenen Familie psychische Probleme hatte. Er und Luna sind mit einem schweren Trauma groß geworden, das nicht aufgearbeitet wurde.
Aber ich teile nicht Hennings Meinung, dass Kinder per se sich zur Mutter hingezogen fühlen. Auch nicht, dass Jungen nur mit Bagger und Mädchen nur mit Puppen spielen. Hierzu fällt mir das Buch Typisch Mädchen von der Juristin Marianne Grabrucker ein, die ein Tagebuch zu ihrer kleinen Tochter geführt hat. Marianne Grabrucker hat ihre Tochter ganz bewusst geschlechtsneutral erzogen. Das heißt, das Mädchen durfte alles machen, was auch Jungen machen. Sie ist mit ihrer Erziehung dennoch gescheitert, weil an der Erziehung ihres Kindes noch andere Menschen beteiligt waren, wie zum Beispiel die Großeltern, der Kindergarten, Werbeplakate, etc … Im Alter von drei Jahren wusste die Kleine schon, was Männer und was Frauen für Beschäftigungen nachgehen. Das Buch hat deutlich machen können, dass man als Eltern nicht alleine die Kinder großzieht, sondern dass ein gesamtes System von Gesellschaft an der Erziehung beteiligt ist. 

Was mir nicht gefallen hat?
Ich fand die Übergänge vom  ersten Teil bis zum dritten Teil nicht fließend, zu hauruckartig von einer Familiengeschichte in die nächste geworfen worden zu sein.  Und ob die Haltung vom kleinen Henning authentisch war, aus dessen kindlichen Perspektive mit diesen Nöten fertigzuwerden, wage ich zu bezweifeln. 

Mein Fazit?
Ich hätte so richtig Lust, das Buch ein weiteres Mal zu lesen. Ein wunderbares Buch, das mich einfach nicht mehr loslassen konnte und ich keine Ahnung hatte, wie die Geschichte weitergehen könnte. Die Ausgänge waren nicht vorhersehbar. Ich konnte das Buch nicht genießen, weil ich zu schnell von einer Seite zur nächsten gerast bin. Nicht nur den zweiten Teil fand ich spannend, auch der erste Teil stimmte mich sehr neugierig. Und im dritten Teil hoffte ich sehnsüchtig auf die Auflösung der Probleme von Henning und Luna aus den Kindertagen. Und ich hätte mir noch mehr Transparenz gewünscht .

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
1,5 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
11,5 von 12 Punkten

Weitere Informationen zu dem Buch

Hier geht es zu einem Interview aus der Frankfurter Buchmesse 2018, ARD-Forum.

Hier geht es zur Website von Juli Zeh.



Dienstag, 9. Oktober 2018

Tommi Kinnunen / Wege, die sich kreuzen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Es war schön, endlich mal wieder einen Finnen zu lesen. Man liest in der Presse nur Positives und ich mich häufig frage, ob die nordischen Länder keine Probleme zu wälzen haben? Natürlich haben sie welche, nur weil die hiesigen Medien Länder in gut und böse einteilen, und ich auch von Kind an mit solchen Bildern groß geworden bin, glaube ich mittlerweile nicht mehr an diese Schwarz-weiß-Facette, da die südlichen Länder eher eine Abwertung erfahren und sie als die sogenannten bösen Länder abgestempelt werden. Gutes wird hier verschwiegen, das Schlechte hochgekocht, während das Böse aus den nordischen Ländern wiederum verschwiegen wird und das Gute hochgelobt. In diesem Buch reist man nach Finnland, in die Wohnzimmer einer Familie, die aus mehreren Generationen besteht. Hier wird man mit Problemen konfrontiert, und ich mir sage, dass auch den Finnen viele Probleme nicht erspart bleiben. Es ist menschlich, Konflikte gesellschaftlicher, politscher, kriminalistischer und familiärer Art zu wälzen. Nur nimmt man aus der Tagespresse davon nichts wahr, weil sie darüber nichts schreibt. Damit ich mit meiner Beobachtung nicht alleine dastehe, zitiere ich aus einem Buch eines Isländers namens Jon Kalman Stefánsson:

Gedanken über Berge und den Staatlichen Schulbuchverlag
Hier sitze ich mit einem zwanzig Jahre alten Schulatlas und darin sind Staaten verzeichnet (...) und irgendwo ragt der Eiserne Vorhang eiskalt in den Himmel und teilt die Welt in eine gute und in eine böse Hälfte. (...) Man reist mit einer Landkarte von gestern durchs Leben. (2006, 35) Aus: Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit.
Hier geht es zum Klappentext und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Eine Familienchronik, die aus vier Generationen besteht. 1. Maria, 2. Lahja, 3. Anna, Helena und Johannes. 4. Kinder von Johannes und Kaarina.

Man bekommt es hier mit vier Protagonist*innen zu tun, die familiär zusammengehören bzw. zusammenfinden. Der Erzähler dieses Buchbandes beginnt mit der jungen Maria, die eine Ausbildung zur Hebamme gemacht hat. Man wird in die Zeit von 1895 versetzt. Maria ist nicht irgendeine Frau. Auf mich wirkt sie emanzipiert, kann sich gleich zu Beginn ihrer beruflichen Karriere alleine durchschlagen. Um Zeit für ihre Klientel zu gewinnen, kauft sie sich ein Fahrrad, damit sie schneller an ihr Zielort gelangen kann. Obwohl sie noch kein Fahrrad fahren kann. Sie bringt es sich selber bei. Eigentlich wollte sie ein Männerrad, so richtig eins mit einer Stange in der Mitte. Aber der Verkäufer bestellte ihr ein Damenrad, was sie anfangs ärgerlich stimmte, sie aber schließlich nachgibt und sich mit dem Damenrad anfreunden musste, nachdem der Verkäufer ihr die Vorteile eines Damenrads aufzählte. Maria ist stolz, dass sie es zu was gebracht hat. Als eine angesehene und patente Hebamme könne sie sich eine Arbeit als Küchenmagd, als Wäscherin … nicht mehr vorstellen. 
Maria musste durch ihren neuen Beruf keine existenziellen Nöte mehr erleiden. Sie brachte es zu Geld, mit dem sie sich ein Haus bauen ließ, das mit der Zeit durch Erweiterungen immer größer wurde ... Später bekommt Maria eine Tochter namens Lahja. Sie ist alleinerziehend. Wer der Vater von Lahja ist, wird nicht direkt benannt, aber durch aufmerksames Lesen kommt man dahinter … Dieser spielt nur im Hintergrund eine kurze Rolle …

Die Jahre vergehen zügig, Lahja ist mittlerweile ein junges Mädchen und befindet sich in den Anfängen einer Schwangerschaft. Der Mutter, der durch ihren professionellen Blick nicht entgeht, dass die Tochter schwanger ist, stellt Lahja liebevoll vor vollendeten Tatsachen ... Lahja bekommt ein Mädchen, das den Namen Anna erhält.

Die zweite Protagonistin ist Lahja
Auch Lahja hat wie ihre Mutter Maria ein uneheliches Kind auf die Welt gebracht. Es gibt keinen Mann, der sie beide ernährt. Aber Lahja wollte sich nicht von der Mutter aushalten lassen. Sie betreibt ein Fotoatelier und lernt einen anderen Partner kennen. Onni, ein sehr liebenswürdiger Mann, der Kinder liebt und Gewalt verabscheut. Ein Mann mit einem sehr weichen Charakter, was Lahja stört, denn sie sehnt sich nach einem richtigen Mann, der, wenn es darauf ankommt, mit der Faust auf den Tisch hauen kann. Onni lernt die kleine Anna zu lieben, als sei sie seine eigene Tochter. Später folgten noch zwei andere Kinder. Die von Geburt an blinde Tochter Helena und einen Sohn namens Johannes. Doch auch Lahja wird älter, die Kinder werden erwachsen und verlassen allesamt das Elternhaus. Der Sohn Johannes heiratet die junge Kaarina und bekommt mit ihr Kinder.

Kaarina wäre nun die dritte Protagonistin
Sie darf ihre Schwiegermutter nicht duzen. Kaarina muss lernen, ihre an Charakter unbequeme Schwiegermutter zu ertragen, da sie über vierzig Jahre zusammen in einem Haus leben. Lahja behält hier bis ins hohe Alter die Oberhand. Doch auch für Lahja ziehen die Jahre ins Land und so wird aus einer mächtigen Frau eine kleine gebrechliche Dame, die pflegebedürftig und dadurch von Kaarina abhängig wird.

Der vierte Protagonist ist Kaarinas Mann Onni
Onni ist psychisch instabil, da er an einer versteckten Depression leidet und ihn heimlich die Angst quält, psychiatrisch zwangseingewiesen zu werden. Onni ist eine sehr sensible Persönlichkeit, der die Probleme in der Familie, in die er hineingeheiratet hat, sehr deutlich wahrnimmt, über die nicht gesprochen wird. Er wundert sich.
Doch wenn Lasten nicht geteilt und Nöte nicht einmal erwähnt werden, können dafür auch keine Lösungen gefunden werden. Onni wundert sich, wie die anderen so ruhig lächelnd vor sich hin leben können. Er sitzt nachts auf seinem Bett und erlaubt seinen Händen zu zittern, da niemand es sieht. (2018; 274)

Richtig glücklich mit Lahja ist Onni nicht, aber Lahja mit Onni auch nicht. Onni schreibt Briefe an eine andere Person, da er eine Verbindung sucht zu einem Menschen, der ähnlich gestrickt ist wie er selbst. Er möchte ihm von seinen Wünschen und Sehnsüchten erzählen, die man sich zu der damaligen Zeit nicht wünschen durfte ...

Um nicht zu viel vorwegzunehmen, gehe ich hier nicht auf die Art der Wünsche ein und auch nicht auf die Person, mit dem Onni Briefkontakt hält …

Eine Szene, die mich negativ berührt hat
Mich hat eine Szene sehr schockiert. Als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist, mussten die Finnen das Dorf verlassen. Sie wurden 1944 zwangsevakuiert. Maria lockte ihre Katze zu sich. Als sich die Katze ihr genähert hat, setzte Maria sie auf ihren Schoß, packte sie schließlich an den hinteren beiden Beinchen und schlägt den Katzenkörper heftigst gegen die Hausmauer ... Ich war so tief betroffen, dass ich dieses Bild nicht mehr aus meinem Kopf herausbekomme. Diese Szene hat mich sehr erschüttert, sodass ich mich fragen musste, warum der Autor eine so grauenvolle Szene hat erfinden müssen? Gibt es nicht schon genug Gewalt auf dieser Erde? Oder hat er diese Szene nicht erfunden? Vielleicht selbst erlebt? Ich weiß es nicht, und werde es auch nie herausbekommen. Man kann denken, dass Maria die Katze vor den Hungersnöten hat befreien wollen, denn wer sollte sich um die Katze kümmern, wenn die Menschen aus ihrem Dorf vertrieben wurden? Es ist nicht gesagt, dass die Katze verhungert wäre … Tja, wie Onni schon bemerkt hat, es wurde nicht darüber gesprochen … Eigentlich war mir Maria anfangs sympathisch, aber diese Szene mit dem eiskalten Mord und Totschlag ihrer Katze hat sie meine gesamte Sympathie eingebüßt, die ich für sie anfangs empfunden hatte. Menschen, die Tiere so grausam totschlagen können, sind in der Lage, auch Menschen zu töten, wenn es legal wäre. Seit dieser Episode habe ich mich innerlich von Maria stark distanziert.

Eine Szene, die mich positiv berührt hat
Lahja hat sich immer wieder gewundert, dass ihr Mann Onni ihre Tochter Anna ohne Probleme als das eigene Kind angenommen hat.
Manchmal fragte noch jemand, wer der Vater des Kindes sei, aber das interessierte Onni nicht. Er hatte nie danach gefragt. Am Tag ihrer ersten Begegnung hatte er ihr einen Antrag gemacht. Und lachend gesagt, er habe nur eine Frau gesucht und zwei gefunden. Dass er eine fertige Familie bekommen habe. Und als Helena geboren war, nannte Onni sie niemals seine Erstgeborene, sondern erzählte allen, dass er jetzt drei schöne Mädchen habe und mit der ältesten verheiratet sei, (110).

Das Schreibkonzept
Dieses Schreibkonzept ist Geschmackssache. Wie ich oben schon beschrieben habe, werden die vier Protagonisten im Wechsel vorgestellt, die in mehreren Kapiteln gegliedert sind. Man erfährt von jeder Figur verschiedene Geschichten, verschiedene Lebensweisen, und jede Figur zeigt eine besondere Art, ihr Glück zu finden. Das Auffällige: Wenn ein Problem am Ende eines Kapitels auftaucht, dann folgt keine Klärung dazu. Dann wechselt quasi die Perspektive mit jedem neuen Kapitel. Und es gibt jede Menge große Zeitsprünge, die mir persönlich zu gewaltig waren ... Auf der ersten Seite ist ein Zweizeiler abgedruckt, der darauf hinweist, dass man es in diesem Roman mit vielen Geschichten zu tun bekommen wird. Auf den folgenden Seiten ist ein Dreizeiler zu finden, der auf die Problemtik der Figuren hinweist, nach dem Motto Zähne zusammenbeißen und durch und bloß keine Schwäche zeigen, und bloß keine Tränen fließen lassen. Und bevor es mit Maria losgeht, gibt es ein einleitendes Buchkapitel Gesundheitszentrum, das ich nach dem Ende des Buches ein zweites Mal lesen musste, da mir anfangs die darin vorkommenden Figuren noch fremd waren. Die letzten Seiten des Schlusskapitels knüpfen an die ersten Seiten des Vorkapitels an. Auf der Seite 329 und folgende ist ein Glossar abgedruckt. Hilft ein wenig, geschichtliche Daten Finnlands und länderspezifische Eigenarten einzuordnen.
Was mir an der Konzeption sehr gut gefallen hat, war das Inhaltsverzeichnis. Vor jedem Kapitel ist die Jahreszahl abgedruckt, sodass man immer wieder nachschlagen kann, wann sich wo etwas ereignet hat.

Cover und Buchtitel
Finde ich beides passend. Was mir ganz besonders ins Auge geschossen ist, ist, dass Maria auf dem Cover schwarze Haare trägt. Meistens werden die Figuren nordischer Länder mit hellen Haaren abgebildet, auch, wenn die/der Protagonist im Buch dunkel ist. Umgedreht verfahren viele Verlage mit den Figuren südlicher Länder, die auf den Covers dunkel abgebildet sind, obwohl sie in der Geschichte als blond beschrieben werden. 

Identifikationsfigur
Onni war meine Identifikationsfigur.

Meine Meinung
Schneller Wechsel der Kapitel, nach dem ein Problem geschildert wurde. Ich hätte gerne mehr über die politischen Auswirkungen erfahren, wie z. B. in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs ... Die Menschen wurden zwangsevakuiert. Danach war das Kapitel beendet und es ging dann mit einem neuen Kapitel weiter, zeitversetzt, neun Jahre später, als der Krieg längst schon vorbei war. Man bekommt erst nachher weitere Details zu lesen. Als unsympathisch war mir Lahja. Mit ihr unter einem Dach zu leben hätte auch ich meine Probleme. Warum sie wurde, wie sie war, kam psychologisch nicht richtig rüber. Weil sie vielleicht ohne Vater aufgewachsen ist? … Außerdem habe ich mich immer wieder gefragt, was Glück ist? Alles eine Relation. Frauen, die zum Beispiel einen Mann wie Onnu hätten, würden sich mega reich fühlen ...  

Mein Fazit?
Mir haben alle Geschichten relativ gut gefallen. Aber ich konnte mit einer Ausnahme mit den Figuren nicht warm werden. Zwischen ihnen und mir entstand innerlich eine ziemlich große Kälte und Distanz.
Was mich noch gestört hat, waren diese großen Zeitsprünge. Ich hätte die fehlenden Details gerne zeitnah beieinandergehabt, der Wechsel von Kapitel zu Kapitel erwies sich mir als zu radikal. Vermisst habe ich auch historische Bezüge und Hintergründe … Gewünscht hätte ich mir auch mehr psychologischen Tiefgang der Figuren. Ansonsten erwies sich das Buch für mich als sehr lesenswert.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte, Schreibkonzept
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
10 von 12 Punkten

Vielen Dank an den DVA-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.
_____________
Gelesene Bücher 2018: 43
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 11. Dezember 2017

Isabel Allende / Der japanische Liebhaber (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Dieses Buch von Isabel Allende hat mich arg überrascht.

Mir hat es sehr gut gefallen, womit ich nicht gerechnet habe, nach dem ich so viele negative Kritiken gehört / gelesen habe. Ich selbst hatte damit auch nicht gerechnet, da ihr Schreibstil so nachgelassen hat. Ich weiß nicht mehr, welches Buch es war, das mich total enttäuscht hatte. Eines von den Letzten, weshalb ich mir mit der Anschaffung des vorliegenden Buches so viel Zeit gelassen habe.

Allende beschäftigt sich in diesem Buch mit historischen Themen wie dem Zweiten Weltkrieg und dem Nationalsozialismus, mit einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte, die bis in die Gegenwart reicht. Und man bekommt es mit mehreren unterschiedlichen Familien zu tun ...
Man benötigt demnach gute Synapsen, wenn man immer wieder von der einen Familie in die nächste gerät, von der Vergangenheit in die Gegenwart, nicht immer chronologisch geordnet, und die vielen unterschiedlichen Figuren haben mich herausgefordert.

Deshalb bin ich in die Geschichte am Anfang schwer reingekommen, als mir die vielen Figuren noch fremd waren und ich mich an dieses Hin- und Herspringen von einer Familie in die nächste gewöhnt habe. Als ich schließlich in dem Geschehen angekommen war, ging es dann recht zügig mit dem Lesen, wobei ich mir mit dem Verarbeiten dieser Themenvielfalt etwas Zeit gelassen habe.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Für Irina ist der neue Job ein Glücksfall. Die junge Frau soll für die Millionärin Alma Belasco als Assistentin arbeiten. Mit einem Schlag ist sie nicht nur ihre Geldsorgen los, sondern gewinnt auch eine Freundin, wie sie noch keine hatte: extravagant, überbordend, mitreißend und an die achtzig. Doch bald spürt sie, dass Alma verwundet ist. Eine Wunde, die nur vergessen scheint, wenn eines der edlen Kuverts im Postfach liegt. Aber wer schreibt Woche um Woche diese Liebesbriefe? Und von wem stammen all die Blumen? Auch um sich von den eigenen Lebenssorgen abzulenken, folgt Irina den Spuren, und es beginnt eine abenteuerliche Reise bis weit in die Vergangenheit. 

Fast jede Figur in dem Buch bringt eine interessante Lebensgeschichte mit, selbst die unscheinbare 23-jährige Irina Bazili, die ursprünglich aus Moldawien kommt und als Opfer mit Kinderpornografie und Pädophilie zu tun bekommen hat. Irina Bazili ist eigentlich nicht ihr richtiger Name, sie hat den richtigen abgelegt, um diese sexuellen Missbräuche zu vergessen, und um eine neue Identität zu erwerben. Allerdings ist Irina dadurch nicht wirklich beziehungsfähig ... Irina beschäftigt sich lieber mit den Problemen anderer Leute …

Doch bevor sie Alma Belasco kennenlernt und für sie arbeiten wird, ist sie im Lark House beschäftigt. Lark House ist ein recht großes Seniorenheim mit einer Pflegestation. Irina ist  bei den Bewohnern beliebt, sie zeigt sich recht kompetent in der Arbeit mit den alten Leuten. Ihr guter Ruf reicht bis zur Heimbewohnerin Alma Belasco, die sie bei sich als Assistentin einstellt.

Alma, die eigentliche Heldin des Romans, ist jüdischer Abstammung, und sie wird im Alter von acht Jahren von der Familie aus Warschau in Begleitung ihrer Kindererzieherin nach Amerika zu Onkel Isaac und Tante Lillian geschickt, die selbst drei Kinder haben. Alma erleidet dadurch ein schweres Trauma, als sie von ihrer Familie getrennt wird. Eine Zeit lang versteckt sie sich weinend im Kleiderschrank, bis sie lernt, ihre Tränen zu schlucken. Zutrauen findet sie von Anfang an in ihrem jüngsten Cousin Nethaniel. Und dieses Vertrauen bleibt bis ins hohe Alter. Alma vertraut ihm alle Sorgen an, selbst ihre intimsten aus der Zeit ihrer körperlichen und pubertären Entwicklung. Auch Nethaniel ist eine sehr interessante Figur, die mir eigentlich von allen Figuren am sympathischsten war, da er sehr sensibel und fürsorglich sich Alma gegenüber gegeben hat … Und er besitzt sehr viel Weisheit. Erst am Schluss erfährt man mehr aus seinem recht außergewöhnlichen Leben.

Bei den Belascos war ein japanischer Gärtner eingestellt namens Takao Fukuda, der einen Sohn, Ichimei, hat. Ichimei war so alt wie Alma. Zwischen den beiden Kindern entwickelt sich eine außergewöhnliche Liebe, die außergewöhnliche Wege geht ...

Die Familie Fukuda wird im Zweiten Weltkrieg interniert, als sich Amerika mit Japan im Krieg befand. Alle in Amerika lebende Japaner, auch die mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, wurden nach Topaz überführt und in ein Internierungslager gesteckt, das mit den Konzentrationslagern in Europa Ähnlichkeit hatte. Erst als Japan kapituliert, werden die Inhaftierten aus den Lagern wieder entlassen. Nicht auszudenken, was die amerikanische Regierung mit diesen Menschen gemacht hätte, wenn das Land den Krieg mit Japan verloren hätte. Und wieder erlebe ich ein Amerika, das Menschen einer ethnischen Gruppe politisch unter Generalverdacht stellt ...

Alma und Ichimei kommen wieder zusammen, aus der Kinderliebe entwickelt sich eine erwachsene Liebe entgegen aller Konventionen. Dies macht die Beziehung außerordentlich kompliziert ... 

Irina wandelt auf den Spuren von Alma. Sie sortiert alle Fotos, Briefe und sonstige Schreiben ihrer Chefin, die so nach und nach zu einer Freundin wird. Doch auch Irina ist gefordert an ihr Trauma zu arbeiten, als Seth, der Lieblingsneffe von Alma, sich in sie verliebt.

Mehr möchte ich nicht verraten.

Mein Fazit?

Eigentlich mag ich keine Liebesromane, aber es gibt Ausnahmen. Allendes Liebesromane sind keine typischen Liebesromane; nicht schnulzig und auch nicht so billig, was das Niveau betrifft. Man bekommt es mit sehr interessanten Persönlichkeiten zu tun … Auch den historischen Teil fand ich hochinteressant.

Auch wenn ich ein paar Fakten verraten habe, bleibt in dieser Romanwelt noch genug anderes zu entdecken und zu erleben. Vieles, was nicht vorhersehbar ist.


Meine Bewertung?

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Zwölf von zwölf Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

  • Taschenbuch: 335 Seiten
  • Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 2 (11. September 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3518467301

Und hier geht es auf die Vderlagsseite von Suhrkamp/Insel.

Auf der Verlagsseite findet man noch jede Menge nützliche Informationen zu der Autorin. 
___________
Das Herz ist groß, man kann mehr als einen Menschen lieben.
(Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2017: 55
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Sonntag, 12. November 2017

Ian McEwan / Abbitte (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Gleich vorneweg gesagt; was für ein schönes Buch. Ich habe es soeben beendet. Ich liebe Abläufe, die nicht vorhersehbar sind. Davon gibt es in diesem Buch jede Menge. Auch das Ende ist für mich nicht vorhersehbar gewesen. Den Anfang und das Ende hat der Autor sehr ideenreich und gekonnt zusammengefädelt. Viele AutorInnen bemühen sich um diesen Stil, ihre LeserInnen zu überraschen, doch bei den meisten ist der Stil leicht zu durchschauen, sodass das Unvorhersehbare doch vorhersehbar wird. Ganz anders bei McEwan …

Damit diese Überraschungseffekte auch für andere LeserInnen erlebbar bleiben, möchte ich aufpassen, dass ich meine Besprechung so gestalte, dass ich nicht zu viel verraten muss. Leider kann ich nicht alles bedeckt halten ... 

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Die Abgründe und die Macht der Leidenschaft und der Phantasie: An einem heißen Tag im Sommer 1935 spielt die dreizehnjährige Briony Tallis Schicksal und verändert dadurch für immer das Leben dreier Menschen.

Briony Tallis ist eine kleine Künstlerin, eine Dichterin, die schon mit zehn Jahren angefangen hat, erste fiktive Texte zu schreiben. Mit 13 Jahren verfasste sie ihr erstes Theaterstück, das den Titel Die Heimsuchung Arabellas bekam. Sogar Brionys Mutter Emily war von dem Theaterstück angetan gewesen …

Die Familie Tallis hatte Besuch. Für eine unbestimmte Zeit lebten drei Cousinen von Briony bei ihnen. Mit ihnen zusammen wollte sie das Theaterstück zu Hause vorführen, um damit den älteren und schon erwachsenen Bruder Leon, der nicht mehr zu Hause wohnt, für willkommen heißen. Leon sollte mit seinem Freund zu Besuch kommen ...

Die drei Cousinen, zwei zehnjährige Zwillinge namens Jackson und Pierrot und die fünfzehnjährige Lola, sollten mit dem Theaterstück vertraut gemacht werden. Dabei gab es Rollenkonflikte, sodass Briony das Theaterstück wieder abblasen ließ, und es somit nicht mehr aufgeführt werden konnte.

Im Klappentext steht, dass Briony das Schicksal dreier Menschen beeinflusst. Eine ganze Weile dachte ich, dass es das Schicksal ihrer Cousinen sei, das sie durch bestimmte Ereignisse in andere Bahnen lenken würde. Diese drei Cousinen hatten derzeit durch die Trennung ihrer Eltern eine seelische Erschütterung zu verwinden. Vor allem für die Zehnjährigen verlief der Aufenthalt bei der Verwandtschaft als recht schwierig, da sie sich nach dem Heim und nach ihren Eltern zurücksehnten.

Emily konnte sich auch nicht wirklich um ihre kleinen Neffen kümmern, da sie eigene Probleme psychosomatischer Art zu bewältigen hatte, denn auch ihr Mann Jack war mehr abwesend als anwesend. Es schien mir, dass selbst sie beiden in einer Ehekrise schwelgen, die allerdings verdrängt wird. Jack scheint sich in Arbeit zu stürzen, man aber auch den Verdacht hegt, dass er eine Affäre mit einer anderen Frau hat. Emily ahnt zwar etwas, aber sie möchte eigentlich die Wahrheit gar nicht wissen und entwickelt eben psychosomatische Symptome wie die Migräne und zieht sich dadurch auch ins Schlafzimmer zurück, um mit damit fertig zu werden.

Diese Szenen haben mich schon sehr tief berührt. Und auch welchen Umgang die Kinder ohne die Erwachsenen untereinander pflegen. Manches an Fragen hat aber der Autor auch offengelassen; hatte nun Jack eine Affäre oder nicht?, wenn ja, wie lange wollte Emily noch wegschauen und ihre Migränenanfälle noch weiter ertragen? … Dies waren alles nur Nebenrollen, trotzdem spannend …

Die fantasiebegabte Briony lebt manchmal in ihrer Fantasiewelt, sodass sie oftmals nicht merkt, wie sie das eine vom anderen nicht auseinanderzuhalten weiß …

Die eigentlichen Protagonisten waren Cecilia, Brionys ältere Schwester, die Cousinen Lola und Robbie Turner, der Sohn der Haushälterin der Tallis. Robbie war in Cecilias Alter. Sie besuchten gemeinsam dieselbe Schule und machten danach an der Uni denselben Abschluss in Literaturwissenschaft. Allerdings bestand der viel begabte Robbie mit Auszeichnung. Cecilia mochte Robbie nicht besonders. Vielleicht  deshalb nicht, weil Robbie so erfolgreich war. Er hegte noch weitere ehrgeizige Pläne. Er hatte vor, im Anschluss seines Literaturstudiums unbedingt noch Medizin zu studieren. Das Medizinstudium wollte Brionys Vater finanzieren, da seine alleinerziehende Mutter als Hauswirtschafterin dafür das Geld nicht zur Verfügung hatte. Es kann sein, dass Cecilia darauf neidisch war, weshalb sie auf Robbie nicht gut zu sprechen war. Trotzdem ließ sie sich in der Bibliothek ihres Vaters mit Robbie auf eine sexuelle Bindung ein. Briony wird in der dunklen Bibliothek heimliche Zeugin dieses sexuellen Aktes, reimt sich dazu ihre eigene Wahrheit, was fatale Folgen für drei Personen dieses Romans haben wird, über die ich leider nicht sprechen kann.


Mein Fazit?

Es gab schon auch Szenen, die ich hinterfragt habe, speziell was die juristischen Vorfälle betreffen, dass ein kriminalistischer Fall nicht ausreichend untersucht wurde, was zur Folge hat, einen unschuldigen Menschen einzusperren. Es gab nur einen Zeugen, und dieser Zeuge war ein Kind. Die Zeugenaussage dieses Kindes wurde nicht auf die Richtigkeit hin überprüft.
Das war für mich nicht wirklich glaubwürdig … Oder hat es vielleicht etwas mit dem sozialen Rassismus zu tun, weshalb weder ein Verteidiger noch ein Richter gewillt war, das Verbrechen ausreichend zu untersuchen, selbst dann nicht, als nach fünf Jahren die Zeugin ihre Aussage wieder rückgängig machen wollte?

Auf diese Frage werde ich wohl keine Antwort erhalten.  

Meine Bewertung?


2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein


Zwölf von zwölf Punkten.



Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar bedanken.

Diogenes Taschenbuch 
544 Seiten 
erschienen am 26. März 2004 

978-3-257-23380-3 
€ (D) 13.00 / sFr 17.00* / € (A) 13.40 

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes.

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