Eine Buchbesprechung
zur o. g. Lektüre
Leider musste ich das Buch wieder abbrechen. Das Erzählmuster dieses Buches ist mir zu farblos, ein Schreibkonstrukt, das mich inhaltlich so gar nicht halten und überzeugen konnte.
Viel zu abwertend, viel zu rassistisch, viel zu stereotypisch vor allem gegenüber
den Italiener*innen. Aber auch andere Themen im Buch waren mir viel zu einseitig, zu ernst, auch wenn sich Fricke um einen humorvollen Ton bemüht hat.
Ich werde ein paar Takte zum Inhalt schreiben, werde daran belegen, was
mich gestört hat. Klischees, Stereotypen, Diskriminierung. Auch die Opferhaltung der
Hauptfiguren hat mich angewidert.
Gelesen habe ich das Buch mit Monerl, die sich parallel zu dem Hardcover
auch die audible Fassung vorgenommen hat. Am Ende meiner Buchbesprechung
verlinke ich mich einmal mit Monerls Rezension, ein anderes Mal mit einer
Rezension auf Amazon.
Anschließend möchte ich eine Seite eines Autors namens Robert Spasov auf
meinem Blog verlinken, der auch grafisch dargestellt hat, was Stereotypen sind
und wie sie entstehen. Nur nochmals zum Bewusstmachen, weil viele dieser Bilder
davon eher innerlich und unbewusst existieren.
Hier geht es zum Klappentext, zum Autor*inporträt, zu meinen ersten
Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Die Handlung
Betty, die Icherzählerin, von Beruf Schriftstellerin, ist Anfang 40 und
befindet sich mit ihrer langjährigen Freundin Martha in einer Midlifecrisis. Betty
ist eine Emanze und ohne Bindung, lebt daher als Frau ein autonomes Leben, wie sich dies
viele Frauen wünschen. Aber sie ist auch stark depressiv, und dadurch auf
Psychopharmaka angewiesen. Betty klingt sehr frustriert, sodass ich mich häufig
gefragt habe, ob ihr ein Mann nicht doch gutgetan hätte??? Die gleichaltrige Martha
ist dagegen mit Henning verheiratet. Auch sie ist frustriert, da ihr
Kinderwunsch sich nicht erfüllen konnte. Beide Frauen vermissen einen Vater,
den sie in der Kindheit verloren hatten und begeben sich rein zufällig auf
Spurensuche, die weit bis in den Süden Europas führt …
Marthas Mutter hatte ihren Vater namens Kurt verlassen. Kurt verlor
dadurch auch den Kontakt zur Tochter. Erst als der berentete Kurt an Krebs
erkrankt, meldet er sich bei Martha, mit der Bitte, ihm einen letzten Wunsch zu
erfüllen. Er möchte von ihr mit seinem Auto in die Schweiz gefahren werden, und
möchte dort über die aktive Sterbehilfe von seinem Krebs erlöst werden.
Martha nutzt nun die Gelegenheit, mit ihm einige Fronten zu klären,
weshalb er sich nicht um sie gekümmert habe, als sie noch ein Kind war und
einen Vater gebraucht hätte.
Kurt erzählt Martha von einem Leben, das vor dem Leben mit ihrer Mutter begann.
Er beschreibt sich:
Ich sah aus
wie ein Sizilianer, (…) ich hatte noch dunkle Locken, die Leute haben mich für
einen Mafioso gehalten, als ich jung war. Das war kein Vorteil. Ganz und gar
nicht. Außer eben bei Francesca. (2019, 50)
Soso, nun weiß ich Bescheid, wie die Mafiosi in Sizilien alle aussehen. Francesca ist eine Italienerin, die den ach so armen, armen Kurt hat sitzen lassen, als sie in einem Lokal einen Machoitaliener
kennenlernt. Sitzengelassen …
… für einen richtigen waschechten
Italiener. Sah aus wie aus dem Bilderbuch, Polohemd, Goldkette und ein Boot.
Der Kerl hat sich einfach an unseren Tisch gesetzt und mir die Frau
weggenommen. (51)
Dieser ach so böse Macho, nimmt ihm einfach die Frau weg. Nicht nur Betty und Martha, auch Kurt ist in seiner Opferhaltung
gefangen.
Und ich wusste bis dato noch gar nicht, dass zum Beispeil Goldketten und Polohemden nur von Mafiosi
getragen werden … Und überhaupt, was hat das mit Martha zu tun?
Die Reise mit dem Vater entpuppte sich in eine andere Richtung, die zu
Francesca nach Italien führte, in die Toskana, sodass die beiden frustrierten
Frauen Kurt mit dieser Frau alleine ließen, und sie ohne ihn weiterfuhren, um
Bettys Vater aufzusuchen, der irgendwo in Rom begraben liegt …
In Rom angelangt, flanierten sie vorbei an Dealern, Nutten und
Kleinverbrechern.
Meine Frage, woran erkennt man Kleinverbrecher?
Betty sagt dazu;
Mir kam das
alles vor wie ein Klischee. (…) Das notwendige
Gegenstück zum hübschen Italien, jede Toskana braucht eine Hafengasse in Genua.
Auch Martha schien nicht richtig beeindruckt.
>>Ah, so<<,
sagte sie, und wir fanden es ein bisschen schade, dass sie nicht versuchten,
uns die Handtasche zu klauen. (93)
Damit möchte sie wohl sagen, dass die Klischees eher Wirklichkeit sind.
Sie fahren weiter südlich, haben ihr Ziel erst mal in Rom erreicht, wo
Bettys Vater begraben liegt. Betty sucht das Grab in Bellegra auf,
eine Metropolitanstadt in Rom. Sie hatte den Vater im Alter von sechs Jahren
aus den Augen verloren, da sich die Eltern getrennt hatten.
Die Szene am Grab ihres Vaters fand ich grotesk. Nachzulesen auf Seite
121. Hier schwankte ich wieder, wollte das Buch zu machen, schließlich sorgte folgendes
Zitat für den endgültigen Abbruch:
Martha spricht zu Betty, die im Hotelzimmer im Bett liegt:
>>Der
neue Bürgermeister schmeißt eine Runde!<<>>Du
riechst komisch<<, sagte ich.
Martha zuckte
bloß mit den Schultern. >>Wir stinken eben, meinte sie. >>Wir
tragen seit Tagen dieselben Kleider. Was erwartest du? Außerdem ist das hier
nicht Venedig oder Florenz, hier stinken sie alle. Glaub mir!<<
Dass alle Menschen in Rom stinken, das gab mir nun endgültig den Rest und
so schlug ich hier das Buch endgültig zu.
Was hat mich noch gestört?
Neben dieser Dieskriminierung, die ich als rassistisch empfunden habe und den
dickaufgetragenen Klischees stört es mich, wenn (alle) deutschen Autor*innen
ihre italienischen Figuren in die Garderobe
des strengen Katholizismus` packen, mit dem Etikett traditionell und rückständig versehen. Sie werden
auch hier im Buch als naiv, abergläubisch und dumm angepriesen. Dabei vergessen
diese Autor*innen, dass auch andere europäische Länder katholisch sind, wie
z.B. Österreich, Frankreich, Ungarn, Rumänien, Polen etc. Auch in Deutschland
leben viele katholische Gläubige. Es gibt auf der Welt mehr Katholiken als Menschen anderer Konfessionen. Im Vatikan leben Priester aus aller Welt. Ratzinger war Deutscher. Nur schreibt darüber keiner. Immer sind es italienische Figuren, die streng katholisch und naiv hingestellt werden.
Die Genderfrage
Die Autorin stellt hier die deutschen Männer als fortschrittlich dar; sie
wechseln Babywindeln, füttern Milchflaschen, während italienische Männer immer noch
Machos sind. Auch wenn das hier nur wenige hören wollen. Auch italienische
Männer haben sich weiterentwickelt, ohne behaupten zu wollen, dass es den Macho
nicht mehr gibt, aber hier in Deutschland möchte ich auch nicht behaupten, dass
die traditionelle Rollenverteilung schon Geschichte ist, die abgehakt werden
kann. In einer Umfrage von 2016 ergaben 78% der deutschen Väter, die sich noch
immer in der Rolle des Ernährers sehen. Das beobachte ich auch in meinem
eigenen Umfeld … Und der Haushalt wird auch hier größtenteils von Frauen geschmissen.
Meine abschließende Frage
Wie hat dieses seicht geschriebene und wenig differenzierte Buch es
inhaltlich nur zum Buchpreis geschafft? Ich konnte leider dazu noch keine Antwort
finden. Es gibt so viele andere Bücher, die den Buchpreis verdient hätten.
Schade. Nicht nur Monerl und ich sind über die Buchpreisvergabe überrascht.
Viele andere Leser*innen auf Amazon und Buecher.de
waren es auch und stellten fest, dass bepreiste Bücher keinesfalls die besseren Bücher sind.
Zudem wundert mich, wieso es so wenige Rezensent*innen gibt, die diese
Klischees anmerken? Fallen sie ihnen nicht auf, weil sie selbst dieses antiquierte
Italienbild in sich tragen? Oder woran könnte es noch liegen? Wie würde man reagieren, wenn es in einem Buch hieße, alle Menschen in Deutschland würden stinken?
Zum Schluss habe ich mich nochmals gefragt, wie viele Bilderbücher Fricke
selbst über Italiener*innen sich betrachtet hat, bis sie ihre Geschichte
gefunden hat? Für eines sind italienische Figuren doch gut; sie lassen sich immer
wieder schön negativ darstellen und damit auf dem Buchmarkt gut Geld verdienen. Die Figuren können sich schließlich nicht wehren.
Gefragt habe ich mich zudem, ob die Italiener*innen schuld sind, dass Betty und Martha vaterlos aufgewachsen sind? (Kurts erste Freundin Francesca, die ihn verlassen hat und Bettys Vater Ernesto, der sich von der Mutter getrennt hat).
Hierzu ein Link zum Thema Vorurteil und Stereotypen. Wir sind ja alle nicht frei davon. Aber man kann sie auch nicht einfach so stehen lassen. Man muss sich damit auseinandersetzen, sonst wird man sich davon nie lösen können. Die Frage ist nur, will man das, sich von ihnen lösen, wenn man damit sogar noch Buchpreise gewinnen kann?
Da Monerl das Buch bis zum Ende gehört hat, weiß ich, dass sich bis
zum Schluss wenig am Niveau der Geschichte geändert hat. Allerdings soll es
eine kleine Abweichung zwischen dem Hörbuch und dem Printbuch geben. Nachzulesen
hier.
Hier eine Rezension aus Amazon. Ich zitiere einen Ausschnitt von dem Rezensenten Borux:
Die allesamt
maroden Figuren dieses satirischen Romans sind ziemlich konturlos, ihre Vita
bleibt weitgehend im Dunkeln, man wüsste aber gerne mehr, das würde auch das
Verständnis des Plots erleichtern. Bei der von Lebensbilanzen und Sterbensfragen
dominierten Thematik des Romans stehen den beiden Heldinnen in ihrer nicht nur
altersbedingt kritischen Lebensphase zwei lebensmüde Vaterfiguren gegenüber. In
der Dramatik dieser illusionslosen Geschichte vor zumeist malerischer Kulisse
ist allerdings ein gewisses Pathos nicht zu übersehen. Lakonisch wird immer
wieder seelisch Verschüttetes zutage fördert, bedauerlich aber ist, dass diesem
narrativen Element nicht weiter nachgegangen wird, es fehlt an gedanklicher
Tiefe. Neben einigen Ungereimtheiten werden leider auch derart viele Klischees
bedient, dass die Geschichte allzu vorhersehbar wird, sie gleitet teilweise
sogar in die Kolportage ab, das Ende ist dann nur noch purer Kitsch!
Hier geht es zur kompletten Rezension.
Mein Fazit
Ein Buch über zwei frustrierte Frauen, die keinen Humor kennen und nur
destruktiv auf andere, die sie nicht wirklich kennen, herabschauen können.
Dieses Buch lebt aus meiner Sicht ausschließlich von Projektionen, ohne diese hätte Fricke sicher
das Thema verfehlt.
Desweiteren zitiere ich:
Ich
glaube, eins der Kernprobleme einer rassistischen Gesellschaft ist die
Ignoranz derjenigen, die mit Privilegien gesegnet sind gegenüber
denjenigen, die keine haben.
(In
Fatma Aydemir, Eure Heimat ist unser Albtraum )
Meine Bewertung
1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
0 Punkte:
Differenzierte Charaktere
0 Punkte:
Authentizität der Geschichte
0 Punkte:
Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von
Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
|
Drei von zwölf Punkten.
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Es ist leichter ein Atom zu vernichten,
als ein Vorurteil.
(Albert Einstein)
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