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Ein wundervolles Buch, ausgesprochen gute Reden / Texte, was mich nach dem Lesen weiterhin inspiriert hat, eine Biografie von Gandhi unbedingt lesen zu wollen, da ich noch mehr Hintergründe zu seiner Kindheit und zu seiner Herkunftsfamilie in Erfahrung bringen möchte. Dass Gandhi in jeder Form ein gewaltfreies Leben präferiert hatte und er Vegetarier war, diese Details scheinen allgemein bekannt zu sein. Aber wer war Gandhi als Junge? Er wurde schon sehr früh mit einem gleichaltrigen Mädchen verehelicht. Leider gab das Buch darüber keine weiteren Auskünfte preis, sodass ich online ein wenig habe eruieren müssen. Angeblich sei Gandhi mit sieben Jahren verheiratet worden. Ich konnte mir das so schwer vorstellen, da beide Kinder aufgrund ihres Alters noch unmündig waren. Ist das wirklich zu glauben? Das fand ich ein wenig schade, dass eine genaue Zahl darüber im vorliegenden Buch explizit nicht zu entnehmen war.
Ansonsten fand ich in dem Buch alles eindrucksvolle Texte aus Gandhis politischem, gesellschaftlichen und religiösen Leben, wie ich weiter unten noch beschreiben werde.
Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.
Innerlich konnte ich mich mit vielen der Reden, die Gandhi verfasst hatte, außerordentlich gut identifizieren, wobei ich mich keineswegs als eine Weltverbesserin halte. Aber die vielen Gedanken, die ich mir im Stillen über mein Weltbild mache, habe ich in Gandhis Texten wiedergefunden, und er macht Mut, dran zu bleiben, sich nicht an die gesellschaftlichen Vorgaben, die der allgemein üblichen Denkweisen entsprechen, anzupassen, wenn sie anderen direkt und oder indirekt damit schaden.
Doch Gandhi war nicht nur ein großer Denker und Redner, er war auch Praktiker. Er hat es geschafft, in verschiedenen indischen Dörfern Grundschulen zu gründen, um viele Kinder von der Straße und von der Kinderarbeit zu entlasten.
Gandhi war auch fähig, Menschen alle gleich zu betrachten. In seiner Rede Gleichheit für alle Menschen fand ich Folgendes zu lesen:
Durch das Zusammenspiel vielfältiger Ereignisse in meinem Leben kam ich mit Menschen vieler Glaubensrichtungen und Gemeinschaften in engen Kontakt, und nach meinen Erfahrungen mit all diesen Menschen darf ich wohl sagen, dass ich nie zwischen Verwandten und Fremden, Landsleuten und Ausländern, Weißen und Farbigen, Hindus und Indern anderen Glaubens - seien sie Muslime, Parsen, Christen oder Juden - unterschieden habe. (2019, 41)
Dieses Zitat fand ich persönlich genial, gerade wir Menschen aus der westlichen Welt schauen sehr oft herablassend auf Kulturen, die nicht der eigenen entsprechen, und bezeichnen diese häufig als rückständig. Ohne zu bedenken, dass jeder Mensch in jedem Land, in das er hineingeboren wird, andere Voraussetzungen vorfindet. Jeder Mensch findet andere Vorgaben, andere Instrumente vor, mit denen er sein Leben bestmöglich gestalten muss. Als DeutscheR ist es leicht zu sagen, dass z. B. Frauen aus den muslimischen Ländern, die Kopftücher tragen, mittelalterlich seien, ohne selbst dort aufgewachsen zu sein. Noch nie sind so viele Menschen um die Welt gereist wie heute, aber noch nie waren die Missverständnisse zwischen den Kulturen so groß wie heute.
Schon die Medien verbreiten Halbwahrheiten und sorgen für große Divergenzen, wo ich häufig innerlich dem widerspreche, weil mich vieles kritisch stimmt. Gandhi lebt die Botschaft der Liebe und der Empathie vor. Nur mit Empathie ist es möglich, Wissen im Umgang mit anderen Menschen unabhängig der Kultur und der Glaubensrichtung umzusetzen.
Der Kongress glaubt nicht an die Vorherrschaft einer Gruppe oder Gemeinschaft. Er glaubt an eine Demokratie, in der Muslime, Hindus, Christen, Parsen und Juden den gleichen Rang einnehmen-alle Religionsgemeinschaften, die dieses weite Land bewohnen. (52)
Allerdings bezieht Gandhi, wie aus seinen anderen Texten hervorgeht, diese Sichtweise nicht nur auf die Unterschiede der Religionsgemeinschaften, sondern auch auf die Unterschiede der Lebensweisen verschiedener Länder.
Die Botschaft der Liebe richtet er an seine eigenen Landsleute, die durch die britische Kolonialisierung viel Leid und Gewalt erlitten hatten.
Ich möchte, dass ihr die Botschaft Asiens versteht. Sie kann nicht durch die westliche Brille gesehen werden oder durch die Nachahmung der Atombombe. Wenn ihr dem Westen eine Botschaft bringen wollt, muss es die Botschaft der Liebe und der Wahrheit sein. Ich möchte, dass ihr von hier weggeht mit dem Gedanken, dass Asien den Westen durch Liebe und Wahrheit erobern muss. Ich möchte nicht bloß an euren Verstand appellieren, ich möchte euer Herz gewinnen. (...) Selbstverständlich glaube ich an die >eine Welt<. Wie könnte ich auch anders, da ich die Botschaft der Liebe, die diese großen, unbesiegbaren Lehrer uns hinterlassen haben, geerbt habe? In diesem Zeitalter der Demokratie, in diesem Zeitalter des Erwachens der Ärmsten der Armen könnt ihr diese Botschaft mit dem größten Nachdruck erneuern. Ihr werdet die Eroberung des Westens vollenden, nicht durch Vergeltung dafür, dass ihr ausgebeutet worden seid, sondern mit wirklichem Verständnis. Ich vertraue darauf, wenn ihr alle eure Herzen vereinigt - nicht bloß eure Köpfe -; um das Geheimnis der Botschaft zu verstehen, die diese weißen Männer des Ostens uns hinterlassen haben, und wenn wir uns dieser großen Botschaft wahrhaftig würdig erweisen, wird die Eroberung des Westens vollendet sein. Selbst der Westen wird die Eroberung lieben. (53)
Der Umgang mit anderen Religionen
Bei >Toleranz< mag die unbegründete Annahme mitschwingen, andere Glaubensrichtungen seien der eigenen unterlegen, und Respekt lässt auf ein gönnerhaftes Verhalten schließen, während Ahimsa (Gewaltlosigkeit, Anm. der Autorin) uns lehrt, der Religion der anderen dieselbe Achtung entgegenzubringen, wie wir sie unserer eigenen gegenüber empfinden. Auf diese Weise räumen wir die Unvollkommenheit unserer eigenen Religion ein.
Die Religion unserer Vorstellung - unvollkommenen, wie sie ist - ist stets einem Prozess der Entwicklung und Neuinterpretation ausgesetzt. Nur so ist es möglich, in Richtung Wahrheit, in Richtung Gott fortzuschreiten. Und wenn alle von Menschen entworfenen Glaubensvorstellungen unvollkommen sind, stellt sich die Frage, ob die eine oder die andere besser ist, überhaupt nicht. Alle Religionen sind eine Offenbarung der Wahrheit, doch sind alle zugleich unvollkommen und dem Irrtum unterworfen. Die Verehrung für andere Religionen muss uns nicht blind machen für ihre Fehler. Ebenso müssen wir uns der Fehler unserer eigenen Religion voll bewusst sein, es dabei aber nicht bewenden lassen, sondern versuchen, diese Fehler zu überwinden. Bei einer unvoreingenommenen Betrachtung aller Religionen würden wir nicht nur nicht zögern, sondern es für unsere Pflicht erachten, in unseren Glauben jeden annehmbaren Zug der anderen Religionen aufzunehmen. (107)
Wobei wir in einem Zeitalter leben, in der die Religionen in unserem eigenen Land immer mehr in den Hintergrund treten. Größtenteils gibt es in unserer kulturellen Entwicklung keine göttliche Instanz mehr. Dennoch ist es hilfreich, Achtung anderen Glaubensrichtungen einzuüben, bezogen aber auch auf die unterschiedlichen Kulturen. Auch unsere gesellschaftlichen Normen und Bestimmungen sind nicht perfekt, sondern immer weiter verbesser- und ausbaubar. Auch bei uns sind, anders als in anderen Ländern, z. B. die Geschlechterrollen noch immer ungleich verteilt, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen.
Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Gandhi wurde von den Engländern aufgefordert, sein
vegetarisches Essverhalten aufzugeben, da nur Fleisch aus einem Mann einen
starken Mann machen könne. Noch nie in seinem Leben hatte Gandhi Fleisch
gegessen und hat sich dennoch dazu bringen lassen, es zum ersten Mal mit
Ziegenfleisch zu probieren. Die Erfahrung damit fand ich zwiespältig.
Einerseits traurig, dass Gandhi von den Engländern dazu gedrängt wurde,
andererseits musste ich über die folgende Auswirkung so sehr lachen:
Das Ziegenfleisch war zäh wie Leder, ich konnte es einfach nicht hinunterschlucken. Mir wurde übel, und ich musste mit dem Essen aufhören.
Danach hatte ich eine schlechte Nacht. Furchtbarer Albtraum quälte mich. Jedes Mal, wenn ich gerade eingeschlafen war, meinte ich, eine lebendige Ziege in mir meckern zu hören, und schreckte voller Schuldgefühle hoch. (134)
Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Dass Gandhi auch Tiere achtet und sie nicht unter die
Menschen stellt, sondern sie gleichrangig behandelt.
Für mich ist das Leben eines Lamms nicht weniger wertvoll als das eines Menschen. Ich wäre nicht bereit, dem leiblichen Bedürfnis zuliebe das Leben eines Lamms zu opfern. Je hilfloser ein Geschöpf ist, umso mehr Anspruch hat es nach meiner Überzeugung darauf, vom Menschen vor der Grausamkeit des Menschen geschützt werden. (138)
Dieses Zitat finde ich sehr schön. Wir essen Fleisch, weil es alle tun, ohne uns bewusst zu machen, wie viel Leid z. B. in einer Wurst steckt, die einmal Tier gewesen ist.
Meine Identifikationsfigur
Ich habe mich mit allen Texten Gandhis
identifizieren können. In allen seinen Reden konnte ich mich innerlich wiederfinden,
nur dass ich das nicht so sehr nach außen trage, außer dass ich darüber schreibe.
Beides finde ich sehr ansprechend. ... denn der Frieden ist der Weg, ist allerdings auch eine Entwicklung, die wir Menschen uns erst erarbeiten müssen.
Zum Schreibkonzept
Auf den 176 Seiten ist das Buch in mehreren kurzen
Kapiteln unterteilt. Es beginnt mit einer Einleitung und endet mit
interessanten Aphorismen. Die Kapitel / Themen sind kurzgehalten und wenig
ausschweifend. Manchmal ist auch eine Jahreszahl hinzugefügt. Die Texte
beinhalten verschiedene Vorträge zu Menschenrechten, zu den unterschiedlichen
(Welt)religionen, zum Weltfrieden sowie auch zur Ernährung und zur gesunden Lebensweise,
um nur ein paar zu nennen.
Meine Meinung
Auch wenn ich mit dem Kastensystem der Hindus wenig
anzufangen weiß, finde ich die Haltung Tieren gegenüber sehr vorbildlich und
gerecht. Während im Christentum Tiere für die Sünden der Menschen durch Töten geopfert
werden, finden diese Riten bei den Hindus definitiv nicht statt. Wer den Hinduismus achtet, lässt auch kein Tier für den Fleischverzehr schlachten. Dennoch lebte Gandhi gesund, wie dies im Kapitel Ernährung und Gesundheit zu entnehmen ist.
Fazit
Sehr eindrückliche und nachdenkenswerte Texte. Ein recht dünnes Werk zwar, aber jede Seite habe ich als sehr gehaltvoll empfunden. Es hat mir viel Freude bereitet, diese Texte zu
lesen, da sie von der Entstehung bis heute noch immer zeitgemäß geblieben sind.
Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Zufälligerweise habe ich das Buch durch ein
anderes Buch im Internet entdeckt. Auf jeden Fall möchte ich nach dieser Gandhi-Lektüre
eine Biografie hinzuziehen.
Meine Bewertung Sachbuch
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck und Verständlichkeit
2 Punkte: Sehr gute Umsetzung der Thematik.
2 Punkte: Sehr gute aufklärerische und kritische Verarbeitung
2 Punkte: Logischer Aufbau, Struktur und Gliederung vorhanden.
2 Punkte: Anregung zur Vertiefung, zum weiteren Erforschen und zur Erkundung
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkte
Zwölf von zwölf Punkten.
Vielen herzlichen Dank
an den Kösel Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.
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Wo Toleranz, Nächstenliebe und Wahrheit herrschen,
können selbst Unterschiede lehrreich sein.
(Mahatma Gandhi)
Gelesene Bücher 2020: 21
Gelesene Bücher 2019: 34
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86
Der Mensch ist mehr
als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er
innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines
Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt
Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur, weil sie eine andere Hautfarbe, eine
andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln
dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben
zugebracht haben.
Es lebe die menschliche Vielfalt in
Deutschland und überall.
(M. P.)