Sonntag, 4. Dezember 2016

Banana Yoshimoto / Lebensgeister (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch, und es hat mir recht gut gefallen. Wie ich schon in der Buchvorstellung geschrieben habe, behandelt die Thematik ein okkultes Thema. Der Umgang mit der Transzendenz, mit der viele Menschen nicht wirklich etwas anzufangen wissen. Verständlich, wenn die Grenzen von Diesseits und Jenseits sich auf einmal vermischen. Das ist auch schwer vorstellbar.

Mir selbst ist diese Thematik in der Literatur ein wenig vertraut und denke dabei an Haruki Murakami, an Isabel Allende, die sehr oft den magischen Realismus in ihren Büchern haben einfließen lassen.

Doch auch hier bei uns hat der altbekannte deutsche Autor namens Hermann Hesse sich mit diesen Themen literarisch befasst, und man diese in seinen Büchern Siddharta und Das Glasperlenspiel wieder findet. Mir haben diese Bücher auch sehr gut gefallen. Wobei seine Thematik sich eher um den Sinn des Lebens dreht, aber immer in Verbindung mit dieser außersinnlichen Welt.

Er setzte sich als Suchender mit den größten Weltreligionen auseinander, und fand seinen Frieden im Buddhistischen und im Hinduistischen, die verglichen zu anderen Religionen die spirituelle und die irdische Welt in ihren Alltag miteinbeziehen würden. Ich erinnere mich, dass er schrieb; der Mensch müsse sich eine Brücke bauen, damit er durch diese beiden Welten ein und aus gehen könne, auch, damit sie ihm vertraut und nicht mehr fremd erscheinen würden …

Zurück zum Buch, so gebe ich erneut den Klappentext rein:
Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten ist Sayoko nicht mehr sie selbst. Sie hat das Zwischenreich der Geister betreten und Geheimnisse der unsichtbaren Welt erfahren. In der Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewiss­heiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, ob man jung ist oder alt. Aber sie begreift auch, wie einmalig und geheimnisvoll das Diesseits ist.
Durch den Verkehrsunfall, den die junge Protagonistin Sayo zusammen mit ihrem Freund hatte, erlitt sie sehr schwere Verletzungen und wurde dadurch in ein Nahtoderlebnis versetzt, sodass sie sich zwischen diesseits und jenseits bewegte. Sie konnte wieder reanimiert werden, während bei ihrem Freund die Verletzungen tödlich endeten.
Durch das Nahtoderlebnis entwickelt Sayo eine übersinnliche Gabe und ist in der Lage, den Geist verstorbener Menschen zu sehen. In Japan ist das nichts, wofür man sich verstecken müsste, so scheint es mir in dem Buch. Es liest sich wie eine Selbstverständlichkeit. Das mache ich an einer Szene fest, als Sayo vor einem fremden Haus steht, und sie eine Frau am Fenster stehen sieht. Sie wusste sofort, dass diese Frau ein Geist ist, als ein junger Mann aus dem Haus kam und er Sayo fragte:
>>Sehen Sie etwa meine Mutter?<<; fragte er gar nicht verwundert. (2016, 67) 
Sayo kann ganz offen über ihre Geistererscheinungen sprechen. Auch an anderen Orten, nicht nur hier an dem Haus.
Außerdem nahm Sayo nach dem Unfall ihr Leben viel intensiver wahr und war dankbar für ihr wiedererworbenes Leben, wobei sie in tiefer Trauer steckt, und sich innerlich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen muss, weshalb nicht sie gestorben sei, sondern ihr Partner, der von Beruf Künstler ist und seine ganzen Kunststücke der Nachwelt hinterlassen hat. Die Eltern des Verstorbenen vermachen alles Sayo, die für sie wie eine Schwiegertochter ist. Die Beziehung zwischen Sayo und den Schwiegereltern hat mich sehr angesprochen und tief berührt.

Sayo besuchte einige Kneipen, denn gerade weil mich niemand behelligt und ich in Ruhe trinken konnte, nahm ich ab und zu unerwartete Dinge wahr.
Allein war man wacher, aufmerksamer als zu zweit. Es ist, als hätte man Augen auf dem Rücken und als könnten nur diese Augen gewisse Dinge sehen. Wenn man mit Freunden ausgeht und lacht und schwatzt, übersieht man sie eben – die geheimen Regungen des Herzens, die sich in kleinen unscheinbaren Zeichen äußern. 
Der Unfall und der Verlust ihres Freundes machten sie zu einem sehr weisen Menschen. Gedanken zu dem Tod:
Der Tod nimmt nicht mit dem Alter zu. Er ist immer bei dir. Ganz nah. Nur das Denken an den Tod nimmt zu und nagt an der Illusion, vor dem Unausweichlichen noch eine Weile sicher zu sein. (105) 
Die Bekanntschaft mit Ataro fand ich sehr interessant, da Sayo und er sie durch einen Todesverlust eines geliebten Menschen freundschaftlich eint. Sayo genießt die Beziehung zu diesem jungen Mann. Ataro ist männerorientiert, sodass beide ganz entspannt diese Freundschaft eingehen können, ohne sexuelle Gefühle füreinander zu empfinden.


Mein Fazit zu dem Buch?

Sayo, ein sehr selbstreflektiver Mensch ... 

Ich finde, der Autorin ist es sehr gut gelungen, diese schwierigen okkulten Themen mit in ihr Buch einzubauen, ohne dass sie kitschig oder gar sentimental wirken. Daher ist der Buchtitel Lebensgeister recht gut getroffen. Ich habe als Externe dieser vorliegenden literarischen Lebenswelt alles sehr authentisch miterlebt. Sayo hat nämlich ihre eigene Art, mit dieser Hellsichtigkeit umzugehen:
Ob es Geister gibt oder nicht, ob man sie sehen kann oder nicht, ob sie lebendig sind oder tot – diese Fragen waren mir gleichgültig. Es ist wie eine Halluzination. Es gibt hier nämlich alles. Doch die Menschen ziehen gerne Grenzen. (146)

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Dieses Rezensionsexemplar kam durch meine Lesefreundin Tina zu mir, die damit nicht richtig warm werden konnte. Dankeschön hier an Tina für den Aufwand, mir das Buch zuzuschicken.

Paperback 
160 Seiten 
erschienen am 28. September 2016 

978-3-257-30042-0 
€ (D) 15.00 / sFr 20.00* / € (A) 15.50 
* unverb. Preisempfehlung 

Und hier geht es auf die Diogenes-Verlagsseite. 

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 In der Landschaft der Herzen besitzt das Gute eine große, die Menschen ergreifende Kraft,
(Banana Yoshimoto)

Gelesene Bücher 2016: 67
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