Eine Buchbesprechung zur
o. g. Lektüre
Das Buch habe ich als sehr
sprachgewandt erlebt und war anfangs von den vielen Symbolen im Text recht
angetan. Doch leider flachte es nach ca. zweihundert Seiten zunehmend ab. Ich
konnte mit den Figuren partout nicht warm werden und wusste nicht, woran das
liegen könnte. Auf mich wirkte der Stoff, den die Autorin hier behandelt, recht
kühl, manchmal sogar kalt und ich merkte deutlich, dass die Autorin den
Nationalsozialismus selbst nicht miterlebt hat, aber
so manches darüber gelesen haben muss. Außerdem schreibt sie recht kopflastig
und emotionsarm. Bietet wenig psychische Reibungsfläche, zu harmonisch wurden die
verschiedenen problembehafteten Ereignisse miteinander verwoben, weshalb ich
mich schließlich durch die Seiten schleppte. Ich fing an mich zu langweilen. In
den naturwissenschaftlichen Fächern wie z.B. der Botanik, Geologie … arbeitete
die Autorin viel zu detailliert, die Details benötigte sie wahrscheinlich,
um viele, viele ihrer Seiten damit
füllen zu können, während es ihr nach meinem Empfinden nicht gelang, über die
facettenreiche Psyche eines Menschen, der den Nationalsozialismus erlebt hat,
zu schreiben … Ich hatte das Buch schon auf Facebook zu früh hochgelobt, so
wurde ich anfangs wohl zu sehr von der wunderbaren literarischen Sprache
geblendet …
Der kleine Jakob wird Zeuge, als
die Nazis 1942 seine gesamte Familie umgebracht haben. Er selbst konnte
fliehen. Im Wald wird er von einem griechischen Archäologen gefunden, der das
Kind zu sich nimmt. Er deportiert Jakob nach Griechenland. Und somit entpuppt
sich der Archäologe zum Ziehvater des Jungen ...
Zu Erinnerung gebe ich erneut den
Klappentext rein:
Der siebenjährige polnisch-jüdische Jakob wird Zeuge, wie seine Familie von deutschen Soldaten ermordet wird. Er flüchtet sich in die Ausgrabungsstätte der versunkenen Stadt Biskupin. Dort entdeckt ihn ein griechischer Archäologe, der ihn nach Griechenland schmuggelt. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebt Jakob mit Athos, der ihn alles lehrt, was er weiß: Geografie, Geologie, Dichtkunst, Botanik, Archäologie. Langsam taucht Jakob aus seiner Verstörung auf und kehrt in die Welt zurück.
Dass der Junge durch sein traumatisches Erlebnis verstört gewesen sein
soll, das kam meines Erachtens psychologisch gesehen zu wenig
rüber. Stattdessen wird man von einer Kette reflektiver
Gedanken genährt, die Jakob von sich gibt.
Ich habe trotzdem einige
Zettelchen in meinem Buch kleben und schaue nun, was ich daraus machen werde …
In Griechenland, auf der Insel
Zakynthos, findet Jakob zeitweise eine neue Heimat … Er lebt bei dem Archäologen namens Athos Roussos …
Oftmals gehen ihm schaurige Bilder
über die Nazis durch den Kopf. Er nimmt bewusst wahr, dass er verglichen mit
vielen seiner Landsleute einfach Glück hatte, und den Nazis entkommen konnte …
Während ich mich in dem strahlenden Licht von Athos´ Insel versteckte, erstickten Tausende im Dunkeln. Während ich im Luxus eines Zimmers Unterschlupf fand, wurden Tausende in Backöfen, Abflusskanälen und Mülltonnen gestopft. In den Kriechverschlägen doppelter Zimmerdecken, in Hühner- und Schweineställen. Ein Junge in meinem Alter versteckte sich in einer Kiste; nach zehn Monaten war er blind und stumm, Arme und Beine waren verkümmert. Eine Frau stand anderthalb Jahre lang in einem Schrank, ohne sich jemals setzen zu können; das gestaute Blut ließ ihre Venen platzen. Während ich mit Athos auf Zakynthos lebte, Griechisch und Englisch lernte, Geologie, Geografie und Poesie, füllten Juden alle Winkel und Spalten Europas aus, jeden zugänglichen Raum. Sie vergruben sich in fremden Gräbern. Jeder Raum, der ihren Körper aufnahm, war ihnen recht, denn ihnen wurde in der Welt gar keinen Platz mehr zugestanden.
Diese Bilder sind recht grausam,
allerdings weiß ich nicht, wie realistisch sie medizinisch betrachtet
tatsächlich sind. Wie kann sich ein Kind zehn Monate lang in einer Kiste
verstecken? Der Junge müsste schon längst verhungert sein. Ebenso die Frau in dem
Kleiderschrank, die anderthalb Jahre lang stehend darin zugebracht haben soll,
bevor ihre Venen platzten …. Auch sie müsste längst verhungert sein. Kein
Mensch hält das so lange körperlich in irgendeiner Art und Weise aus. Ist der Nationalsozialismus nicht schon grausam genug? Muss man unbedingt diese Bilder noch künstlich überspitzen?
Die Grausamkeit der Nazis ist
grenzenlos. Die Autorin beschreibt eine Krankenschwester, die versuchte unter
ihrem Kleid einen Säugling zu schmuggeln, wurde von den Nazis erwischt, die ihr
das Kind wegnahmen, es in die Luft schleuderten und es dabei abknallten, noch
bevor das Kind auf den Boden fiel. Die Krankenschwester bekam eine Kugel in den
Mund geschossen.
Einige andere Frauen waren
schwanger, bekamen Wehen, in der Gaskammer, das Kind wurde nur zu Hälfte
geboren, die andere Hälfte befand sich noch im Leib der Mutter, bis Kind und
Mutter an dem Gas erstickten. Grausame Bilder. Das kann man sich nicht
vorstellen.
Die Nazis hielten sich auch in
Griechenland auf. Es wird eine Szene beschrieben, in der sie Oliven kauten, die
Kerne ausspuckten, damit die kleinen, hungrigen Kinder diese abgelutschten
Kerne auflasen, um das letzte Restchen abgenagter Olive vom Kern abzubeißen.
Die Nazis hatten ihre Freude bei diesem Anblick …
Die Soldaten, die ihrer Pflicht nachkamen, als sie Müttern die abgetrennten Köpfe ihrer Töchter zurückgaben - mit den Zöpfen und Haarklemmen noch an ihrem Platz; hatten nichts Böses in ihren Zügen.
Das sind von mir eine
Aneinanderreihung von Gewaltszenen, die mit
wenig Tiefe von der Autorin hingeschrieben wurden.
Natürlich findet eine
Auseinandersetzung zwischen Jakob und den Nazis statt. Doch die Art und Weise,
wie er damit umgeht, war mir zu wenig authentisch. Ein seelisches Trauma, das der kleine Jakob durch eine Vielzahl an erlittenen grausamen Erlebnissen und Verluste haben muss, spielt sich ganz anders ab. Ab und zu ein paar Albträume ist mir zu wenig.
Dass die Nazis die Juden
entmenschlicht haben, sie wie Parasiten behandelten, das ist nichts Neues. Es
gibt genug AutorInnen, die über das Thema schon geschrieben haben. Neue
Literatur zur NS – Vergangenheit sollte auch neue Erkenntnisse bringen, sonst
wüsste ich nicht, welchen Sinn dieses Buch haben könnte. Angelesenes zu
reproduzieren finde ich recht langweilig und monoton.
Nichtsdestotrotz bekommt die
Autorin von mir sechs von zehn Punkten, weil mir der literarische Schreibstil
nach wie vor sehr gut gefallen hat.
_____
Ein Gedicht
in einer Übersetzung zu lesen, ist, als küsste man eine Frau durch einen
Schleier.
Wenn du ein
Buch in der Hand hältst, bist du ein Pilger an den Toren einer neuen Stadt.
(Anne
Michaels)
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