Dienstag, 13. August 2013

Stefanie Zweig / Nirgendwo war Heimat (1)

_________________________________________________________________________________________
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe das Buch nun durch und bin ganz angetan davon. Das Buch besitzt so viel Seele, dass ich nur staunen kann. Das Kind Stefanie Regina Zweig hat mich von ihrer Persönlichkeit her stark an Anne Frank erinnert... . Das Buch hat mich tief bewegt. So viel Liebe, so viel Intelligenz, so viel Achtung sich und anderen Menschen und Kulturen gegenüber, so viel Mut, so viel Fantasie und so viel Menschlichkeit, zusammengefasst so viel innerer Reichtum war in der ganzen Familie Zweig zu finden, trotz der vielen existentiellen Umstände und der traumatischen Erlebnisse, die ihnen der Nationalsozialismus bescherte. Doch besonders die kleine Regina war eine Besonderheit an Kind... .

In dem Buch sind alle Korrespondenzen festgehalten, die die Familie Zweig während ihres Exils in Afrika durchlaufen sind. Zur Erinnerung hier noch einmal der Klappentext:




»Ich bin fest entschlossen zu vergessen, wer ich war, was ich gelernt habe und was ich kann«, schreibt Walter Zweig am 3. Januar 1938 seiner Frau Jettel. »Ich verspreche Dir, ich werde keine Chance ungenutzt lassen, um Fuß zu fassen in einem Land, von dem ich im Augenblick nur weiß, dass die Menschen dort schwarz sind.« Als Jettel diesen Brief liest, ist sie in Breslau und in Todesangst, ihr Mann unterwegs nach Mombasa. Im letztmöglichen Moment gelingt es ihm, seine Frau und seine fünfjährige Tochter Steffi nach Kenia zu holen. Stefanie Zweig hat die Menschen, die Farben, die Düfte und Tiere, die ihre Kindheit zu einem Erlebnis machten, nie vergessen können, aber auch nicht die Härte, Hoffnungslosigkeit und Not, die das Leben ihrer Eltern belasteten. Die Großeltern und Tanten, die nicht rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, hat sie nie wiedergesehen. Tortz aller Verfolgung kehrt Walter Zweig 1947 in das Land zurück, das er immer noch als Heimat empfindet. Er wird in Frankfurt am Main zum Richter berufen und ein Jahr später Rechtsanwalt. Es ist die Zeit von Trümmern, Hunger und Not, aber auch von Hilfsbereitschaft, Hoffnung und Träumen. Steffi ist nach einem Jahr in Frankfurt so unterernährt, dass sie in die die Schweiz geschickt wird. Ihre Gasteltern, deren Kunstsinn und Bilder bestimmen ihr Leben ebenso wie in ihrer Kindheit die Farm am Fuße des Mount Kenya. Ihrem Vater hat sie, der Liebe wegen, nie gestanden, dass ihr Herz in Afrika geblieben ist. In einem bewegenden Epilog schildert Stefanie Zweig die Zeit von 1948 bis heute. Sie erzählt mit Humor, Distanz und Leidenschaft von Liebe und Schmerz, vom Journalismus, der für sie berufliche Erfüllung wurde, von späten Erfolgen und frühen Erkenntnissen, von den Rosen und Dornen des Lebens.
Flüchtlinge wurden in Afrika als Refugees bezeichnet. Die noch dreiköpfige Familie Zweig waren somit keine Deutschen mehr, sondern Refugees.

In Kenia hat die Familie versucht, sich als Farmer eine neue existentielle Grundlage zu schaffen. Für einen Juristen, der es gewohnt ist mit dem Kopf zu arbeiten, kein leichtes Unterfangen. Aber immer mit der zurückgelassenen Familie wie Eltern und Geschwister im Herzen.
Unser Deutschland ist tot. Es hat unsere Liebe mit Füßen getreten. Ich reiße es mir jeden Tag aufs Neue aus dem Herzen. Nur unser Schlesierland will nicht weichen. Wilhelm Kohler würde hier Karriere machen. Mechaniker nennen sich Ingenieure und finden schnell Arbeit. Wenn ich jedoch behaupten würde, ich sei zu Hause Justizminister gewesen, würde mich das auch keinen Schritt weiter bringen. Dafür habe ich meinen Boy Owuor beigebracht, "ich hab´ mein Herz in Heidelberg verloren" zu singen. Wenn einer so viel Mühe mit jedem Wort hat wie er, dauert das genau viereinhalb Minuten und eignet sich wunderbar als Eieruhr." :). (94) Brief von Walter Zweig an seine Frau Jettel.
Humor haben die Zweigs nicht verloren, hat ihr Überleben auf einem anderen Kontinent mit möglich gemacht, wie man noch im folgenden Zitat nachlesen kann. Es geht um Jettel, Walter Zweigs Frau, die sich auf der Farm erst ordentlich eingewöhnen musste. Keine Abendveranstaltungen, keine Abendkleider mehr, sondern das Leben total auf das Einfachste reduziert, so beschreibt ihr Mann Walter brieflich an seine FreundInnen Ruth und Heini die Problematik seiner Frau:
Liebe Ruth! Lieber Heini! Habt Ihr nicht Lust, uns wieder mal zu besuchen? Es wäre ein Euphemismus zu behaupten, dass Jettel die Decke auf den Kopf fällt, denn bekanntlich hat mein Arbeitgeber mir das Holz für die Zimmerdecken in unserer Villa verweigert. Also haben wir nur ein Dach, und durch das regnet es, sobald die erste Wolke pinkelt. (186)
Die kleine Steffi Zweig, erst acht Jahre alt, geht auf ein englisches Internat, da es weit und breit in der Hausnähe keine andere Schule gibt und lernt mit den schweren schulischen Bedingungen umzugehen. Judenkinder wurden zwar toleriert, waren aber nicht wirklich willkommen. Die Engländer bezeichnenden die Juden als Anhänger Hilters. Welch eine bittere Ironie. Denn wegen Hitler mussten die Refugees ihr Land verlassen, wenn sie überleben wollten. Stefanie schafft es trotzdem, sich dort zu sozialisieren und wird Klassenbeste. Regelmäßig schreibt sie nach Hause an die Eltern und umgedreht die Eltern an das Kind. Steffi ist von ihrer neuen Lehrerin ganz angetan:
Wir haben eine neue Klassenlehrerin. Sie heißt Miss Blandford fort und ist sehr schön. Sie mag Kinder (auch Juden). Leider ist die schon dreißig und wird also bald sterben. (164)
Wie man sehen kann, ist Alter doch sehr relativ... .

Über den Radiosender trifft den Zweigs die traurige Nachricht zu dem Suizid von Stefan Zweig, der sich in Brasilien das Leben genommen hat, obwohl er dort als Schriftsteller angesehen und beliebt war. Ein Brief eines guten Freundes an das Ehepaar Zweig:
Ich vermute, ihr habt durch den so informativen Schweizer Sender, der auf eurer Farm ja so besonders klar ist, mitbekommen, dass sich Stefan Zweig in Brasilien mit Schlafmitteln das Leben genommen hat. Seine Frau - es war seine zweite - ebenfalls. Und das, obwohl die Brasilianer ihn so geehrt und gefeiert haben und er in ausgezeichneten finanziellen Verhältnissen lebte. Wenn wir alle unsere Sehnsucht nach der verlorenen Heimat nachgeben würden, in dem wir uns bei Nacht und Nebel aus dem Leben stehlen, hätte Hitler sein Ziel erreicht. Wenigstens zu einem großen Teil. (180)
Das Ehepaar Zweig haben sich ihre Ideale bewahrt, auch in dem fremden Land, in einer völlig anderen Kultur, in der sie zehn Jahre lebte. Sie hat gelernt, über andere nicht zu urteilen, sondern alles und jeden Menschen  von zwei Seiten aus zu betrachten. Die Tochter Stefanie Zweig war mit einem reichen Innenleben gesegnet, und die Eltern besaß, die ihr Ideale vorlebten. Stefanie war kein gewöhnliches Kind, sie wirkte wie ein Kind mit einer erwachsenden Seele... , obwohl ihre Eltern schwere Krisengespräche nicht vor dem Kind besprachen, um es zu schonen, dennoch war das Kind sensibel genug, um die Nöte ihrer Eltern wahrzunehmen, das ihr Denken und Fühlen nachhaltig prägte.
Wer noch einem anderen hilft, Gutes zu tun, tut selbst Gutes.
Aus einem Brief eines Freundes an das Ehepaar Zweig. Mir hat dieser Spruch sehr gut gefallen.

Es existieren noch mehr so schöner Gedanken in den Briefen, beschränke mich aber und verweise auf das Buch, die Briefe selbst zu lesen.

Mir hat besonders gut gefallen, wie die Familie zusammengehalten hat und sie sich alle drei gegenseitig unterstützt haben. Die Unmenschlichkeit in Deutschland hat ihre Menschlichkeit bewahrt, obwohl sie Grund gehabt hätten, Menschenhass zu entwickeln.
Gute Menschen muss man besonders beschützen. Die Bösen sorgen für sich selbst (208)
In keiner Zeit, wie die Zeit einer Diktatur, war das so klar und deutlich zu definieren, was gut und was böse ist.

Hier mache ich nun Schluss und gebe dem Buch aus den oben genannten Gründen zehn von zehn Punkten.

________
Man kann selbst dann anderen Menschen etwas schenken, wenn man nichts zu verschenken hat.
(Walter Zweig an seine Tochter)

Gelesene Bücher 2013: 52
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Keine Kommentare: