Samstag, 31. August 2013

Thomas Hardy / Die Woodlanders (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Es ist ein gesellschaftskritischer Liebesroman gewesen, den ich mit Spannung verfolgt habe. Hat mich ein wenig an Die Buddenbrooks erinnert, in der Beziehung zwischen Toni Buddenbrook und dem Medizinstudenten, den sie auf Travemünde kennenlernt. Der Vater Buddenbrook war gegen diese Verbindung, da der Medizinstudent nicht in seine Kreise passte. Toni wurde zu der Heirat eines wohlhabenderen jungen Mannes angehalten. Mit väterlicher Liebe sprach der Vater stark auf Tonis Gewissen ein und sie dadurch manipulierte, als sie schließlich die Heirat zu dem Mann, den sie nicht liebte, zustimmte, um es ihrem Vater recht zu machen. 

Nicht anders auch in diesem Buch. Zur Erinnerung noch einmal der Klappentext:

Als die junge Grace Melbury nach der Schulausbildung heimkehrt aufs Land, ist sie für ihre einstige Liebe, den einfachen Waldarbeiter Giles Winterborne, eine Nummer zu groß. Zudem fühlt sich Grace zu dem feinen Dr. Edred Fitzpiers hingezogen – darin nach Kräften von ihrem Vater unterstützt. Giles beginnt um sie zu kämpfen. Thomas Hardys Roman von 1887, vielgerühmt in seiner englischen Heimat, ist für die deutschen Leser noch zu entdecken. Er schildert eine scheinbar wohlgeordnete kleine Welt, die zwischen leidenschaftlichem Begehren und sozialen Schranken in Aufruhr gerät.

Wobei ich nicht alles, was im Klappentext steht, unterschreiben könnte... . Grace Melbury fühlt sich nicht wirklich zu Dr. Edred Fitzpiers hingezogen. Sie liebt eigentlich seit ihrer Jugend Giles Winterborn, wird aber von ihrem Vater beeinflusst, lieber den Doktor zu heiraten. Grace lässt sich beeinflussen und zeigt wenig Widerstand, auf ihre Jugendliebe zu verzichten, nur damit sie in bessere Kreise gerät. Mr. Melbury liebt seine Tochter über alles, erst recht, nach dem er seine erste Frau, die Mutter von Grace, durch einen Todesfall schon recht früh verloren hatte. 

Als Grace die höhere Mädchenschule beendet, geht sie wieder aufs Land zurück und hofft, sich mit Giles zu verloben. Das war auch das Anliegen ihres Vaters, bis schließlich ein vornehmer Herr, Arzt von Beruf, sich beruflich auf Little Hintock niederlässt. Graces Vater ist von der Vornehmheit des Mannes so völlig angetan, und versucht nun seine Tochter die Verlobung mit Giles auszureden, als er schließlich zu Graces Stiefmutter spricht: 
Ich weiß, Grace wird nach und nach wieder auf unsere Ebene herabsinken und unsere Manieren und Redeweise annehmen und eine schläfrige Zufriedenheit fühlen, Giles Frau zu sein. Aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sich ein so hoffnungsvolles Mädchengeschöpf, wie es nur je gelebt hat, auf diese alte Ebene herabzerren soll - wo sie eine Zierde für jeden Palast wäre und ich mir so viel Mühe gegeben habe, sie emporzuheben. Stell dir vor, wenn ihre weißen Hände jeden Tag älter werden und ihre Zunge beim Reden ihren hübschen binnenländlichen Schnörkel verliert und ihr hüpfender Gang zu dem üblichen Hintocker Schlurf- und Torkelschritt wird! (98)
Grace geht nicht in die Offensive, und beugt sich den Wünschen ihres Vaters, lässt sich verlocken, eine vornehme Dame zu werden, einmal durch die Schulbildung, die sie erfahren hat und ein weiteres Mal durch die Heirat mit einem Gentleman, der auf einer höheren Leiter der Gesellschaftsordnung steht. 

Die erste Enttäuschung, die der Vater erfährt, als er zusammen mit seiner Tochter im Wald im Spaziergang unterwegs ist und sie einen Jäger treffen, der ein wenig grob zu Grace sich verhält, als sie in den Wald hineinruft und nicht mit gebührendem Respekt behandelt wurde. Daraufhin der empörende Vater, als er sich wieder alleine mit seine Tochter befindet:
"Er hätte nicht so zu dir sprechen dürfen!" sagte der alte Mann im Ton eines ins Herz getroffenen Mannes, wenngleich es nicht an dem auf ihn selbst angewendeten Attribut lag. "Und das hätte er auch nicht getan, wenn er ein Gentleman wäre. So redet man nicht mit einer Frau, die einigermaßen auf sich hält. Du bist so belesen und kultiviert - wie konnte er von dir erwarten, dass du Hussa schreist wie ein Bauerntrampel! Hat es mich nicht fast hundert im Jahr gekostet, dich aus dem allem herauszuheben, und der Nachbarschaft ein Beispiel zu zeigen, was eine Frau werden kann? Grace, soll ich dir das Geheimnis verraten? Es lag daran, dass ich bei dir war. Wäre statt meiner ein Gutsbesitzer oder Pfarrer im schwarzen Rock mit dir gegangen, hätte er nicht so gesprochen. (104)
Es kommt noch dicker. Mr. Melbury verlangt von seiner Tochter, wenn sie den Gentleman zum Manne genommen habe, dass sie ruhig auf der Straße ihren eigenen Vater verleugnen solle, um ihre Herkunft nicht zu verraten. Der Vater ist zwar wohlhabend, aber von Beruf ist er "nur" ein Holzhändler:
"Wir sind genauso lange in Hintock" erwiderte Grace zu ihrem Vater, "wie die in Oackbury waren; so ist es doch? Du sagst, unser Name taucht ständig in alten Dokumenten auf."
" O ja - als Freisassen, Lehnbesitzer und dergleichen. Aber denke doch, wie viel besser das hier für dich ist. Du lebst dann ein vornehmes, studierliches Leben, wie es für dich jetzt ganz natürlich geworden ist; und wenn der Doktor hier auch bloß eine kleine Praxis hat, sobald er richtig in Übung ist, zieht er bestimmt in eine elegante Stadt und hält eine flotte Kutsche, und du lernst eine ganze Menge Damen von bester Gesellschaft kennen. Wenn du mir dann einmal begegnen solltest, Grace, kannst du ruhig an mir vorbeifahren und wegsehen. Ich würde da nicht erwarten, dass du mit mir spricht, und es auch gar nicht wollen - es sei denn, es wäre zufällig eine einsame versteckte Stelle, wo es dich nicht herabwürdigen würde. Halte bloß nicht Menschen wie Nachbar Giles für deinesgleichen."(194)
Grace stimmt der Vermählung mit dem Doktor schließlich zu und Giles findet sich damit ab. Auch er geht nicht in die Offensive. Ich bin nicht der Meinung, Giles habe um seine Grace gekämpft, doch was hätte ein Kampf bewirkt, wo Graces Vater alle Fäden in der Hand hält? 
Und nun ist es auch der vornehme Arzt und Gentleman, der von Grace erwartet, ihre Herkunft in seinen Kreisen zu vertuschen.
"Nun möchte ich dich gern behutsam, so behutsam wie möglich, darauf hinweisen, wie wenig ratsam es wäre, so viel Aufsehen zu erregen, wenn wir Hintock verlassen und ich mich in die Praxis einkaufe, die ich zu kaufen vorhabe, in Budmouth - knapp 20 Meilen von hier. Verzeih mir, wenn ich sage, dass es viel besser ist, wenn niemand dort genau weiß, wo du her kommst, und auch nichts von deinen Eltern. Deine Schönheit und Bildung und Lebensart trägt dich überall, wenn dich nicht solche rückgreifende Kritik behindert." (200) 
Wie der Roman weitergeht und wie er enden wird, möchte ich nicht weiter verraten. Wer den Roman von Thomas Mann Die Buddenbrooks kennt, kann vielleicht ahnen, wie der von Thomas Hardy in den Abläufen sich weiter entwickeln könnte, wenn auch der Schluss ein ganz anderer ist. . 

Thomas Hardy ist es mit seinem Roman wieder einmal gelungen aufzuzeigen, wie Moral und  gesellschaftliche Zwänge das Schicksal der Menschen bestimmen. ´Die Kälte, die dadurch entsteht, wenn Menschen versuchen, diesen gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, kommt in seinem Werk recht deutlich zur Geltung. 

Ich gebe dem Buch zehn von zehn Punkten. 

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Im Leben kommt man nirgends an, man geht nur!
(Isabel Allende)


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