Donnerstag, 21. November 2019

Juli Zeh / Unterleuten (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Das Buch habe ich vor drei Tagen beendet, komme erst jetzt dazu, die Buchbesprechung zu schreiben.

Mir hat das Buch recht gut gefallen, wo ich anfangs ein wenig ungeduldig war, siehe Buchvorstellung, Meine ersten Leseeindrücken. Es hat ein wenig gedauert, bis ich hinter die Fassade der Protagonist*innen eindringen konnte. Da dies als ein Gesellschaftsroman deklariert ist, kann man sich denken, dass man es mit überaus vielen Figuren zu tun bekommt. Aber Juli Zeh kommt uns Leser*innen entgegen, in dem sie hinten im Anhang zum Nachschlagen eine Personenliste erstellt hat, was ich sehr nützlich und hilfreich fand.

Wegen der Vielzahl an Leuten in Unterleuten werde ich meine Buchbesprechung dieses Mal ein wenig anders aufziehen, werde mehr über meine Eindrücke schreiben.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.


Die Handlung
Unterleuten ist ein sehr kleines fiktives Dorf aus der ehemaligen DDR, das sich nicht weit von Berlin befindet. Viele Menschen sind nach der Wende weggezogen aber andere sind der Idylle wegen hinzugezogen. Die Handlung spielt im Jahr 2010/2011. Für die Dagebliebenen ist Unterleuten eine Herausforderung. Zu DDR – Zeiten kämpften sie gegen den Kommunismus, nach der Wende kämpfen sie gegen den Kapitalismus. Richtig glücklich sind sie nie gewesen, wenn sie sich auch wieder nach alten Zeiten zurücksehnten.

Die Zugezogenen erleben in Unterleuten durch die malerische Landschaft eine Idylle. Eine Figur ist von Beruf Pferdeflüsterin und benötigt, um ihren Beruf auch ausführen zu können, dafür viel Weideland. Mit eigenen Pferden möchte sie anderen Menschen den richtigen Umgang zu den Tieren beibringen. Ein anderer ist Vogelschützer, und möchte alles tun, außergewöhnliche Vogelarten, die es in Unterleuten gibt, in ihrer Art zu erhalten. Dieser setzt sich für die Vögel, damit sie ihren gesunden Lebensraum erhalten können, wären da nicht die Windräder, die wiederum eine andere Figur unbedingt bauen möchte.

Der Roman spitzt sich zu einem Drama ab, da jede Figur andere Ziele verfolgt, die auch politisch nicht unter einem Hut zu bringen sind. Man hat den Eindruck, dass jede wie ein Band mit der anderen verbunden ist, da sie, um ihre Pläne umsetzen zu können, von den anderen Dorfbewohner*innen angewiesen ist.

Welche Szene hat mir so gar nicht gefallen?
Mir hat gar nicht gefallen, dass Gerhard Fließ, 50 Jahre alt, von Beruf Soziologe und Hochschuldozent, zusammen mit seiner jungen Frau Jule und ihrem kleinen Säugling Sophie die ganze Zeit passiv geblieben sind, als der Nachbar absichtlich Brände gelegt hat, um ihnen zu schaden. Der Nachbar hieß Schaller, den Juli Zeh aber lange Zeit nur als das Tier von nebenan bezeichnet hat. Ich war etwas irritiert. Was meinte sie mit Tier? Erst sehr viel später verriet den Namen dieser grässlichen Person, die die Luft seiner Nachbarn verpestet. Schaller ist von Beruf Automechaniker. Absichtlich verbrennt er Autoreifen und anderes, sodass die Luft der Familie Fließ einfach verpestet wird. Die Familie kann die Räume im Haus nicht mehr lüften, da sie sonst die ganzen Schadstoffe einatmen würden. Der Rasen war nicht mehr grün, sondern pechschwarz. Mich hat gewundert, dass die Familie hinter verschlossener Türe ihren Frust zollte, aber sonst lange Zeit nichts dagegen unternahmen. Erst am Ende wird Fließ gegenüber Schaller gewalttätig und schlägt den Mann krankenhausreif. Mir schien diese Szene partout nicht glaubhaft. Jeder normale Mensch würde schon viel früher etwas unternehmen, um dem Mann Einhalt zu gebieten. Und wenn es über eine Anzeige bei der Polizei auslaufen würde, wenn sonst nichts anderes greifen würde. Aber wie das Dorf eben so eingestellt ist, regeln die Menschen hier ihre Probleme selbst, und zur Not greifen sie zur Selbstjustiz. Die Zugezogenen haben sich dem Milieu der langansässigen Dorfbewohner*innen angepasst. Trotzdem fand ich es widernatürlich, dass das Paar nicht einen Versuch unternommen hat, sich beim Nachbar zu beschweren.

Für mich war zudem auffallend, dass die Autorin in der Personenbeschreibung sehr viele Vergleiche zu Tieren aufgestellt hat. Leider haben die Tiere dabei sehr schlecht abgeschnitten. Doch es gibt keine bösen Tiere und das größte Monster ist nicht das Tier, sondern ganz allein der Mensch.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Dass am Ende jede Figur das bekommen hat, was er verdient hat. Ich habe mit einem offenen Ende gerechnet.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Keine, da auf mich alle Figuren irgendwie gestört gewirkt haben, mit Ausnahme von Schallers Tochter Miriam, die sich mit Erfolg für Familie Fließ gegenüber ihrem Vater eingesetzt hat.

Welche Figur war mir antipathisch?
Ein wenig alle.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel
Beides passend. Der Vogel auf dem Cover zeigt diese besondere Vogelart, die in Unterleuten leben.

Zum Schreibkonzept
Auf den 650 Seiten besteht das Buch aus sechs Teilen und insgesamt aus 62 Kapiteln. Zu Beginn eines jeden Teils bekommt man einen kleinen einleitenden Spruch zu lesen, den ich immer gut fand. Das Buch endet mit einem Epilog. 

Meine Meinung
Wie ich eingangs schon geschrieben habe, bin ich zu Beginn schlecht in die Handlung reingekommen. Erst später nahm für mich die Spannung zu, als mir die Figuren von Seite zu Seite immer vertrauter wurden. Ich habe den Schreibstil sehr bewundert und viele tolle Gedanken, die ich mir im Buch alle markiert habe. Schade, dass ich es aus Zeitgründen nicht schaffe, sie hier herauszuschreiben, wie ich es sonst immer getan habe. Juli Zeh hat mit ihrem Buch sehr neutral die Missstände der Menschen aus der Zeit der DDR aufzeigen können, aber auch die Missstände aus dem Westen Deutschlands. Viele Westdeutsche denken, dass in der DDR alles schlecht verlief, während sie die BRD im Gegenzug idealisieren und vergessen dabei die eigene Geschichte und die eigenen Mängel im Land. Nein, auch in Westdeutschland gibt es viele Missstände. Und dies ist Juli Zeh gelungen, die Probleme beider Welten aufzuzeigen. Und das hat mir eigentlich am meisten imponiert.

Mein Fazit
Beharrlichkeit hat sich hier gelohnt. Nicht jedes Buch hat es verdient, bis zum Ende durchzuhalten. Doch hier freue ich mich sehr, dass ich dieses Buch gelesen habe, und habe es gleich meiner Freundin Anne weiterempfohlen, die das Buch auch lesen wird. Ich hoffe bald, dann können wir uns darüber noch austauschen.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen,Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zehn von zwölf Punkten.

________________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 27
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist, was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)
Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.
Es lebe die Vielfalt.
(M. P.)













Freitag, 15. November 2019

Juli Zeh / Unterleuten

Klappentext  
Der große Gesellschaftsroman von Juli Zeh
Manchmal kann die Idylle auch die Hölle sein. Wie das Dorf "Unterleuten" irgendwo in Brandenburg. Wer nur einen flüchtigen Blick auf das Dorf wirft, ist bezaubert von den altertümlichen Namen der Nachbargemeinden, von den schrulligen Originalen, die den Ort nach der Wende prägen, von der unberührten Natur mit den seltenen Vogelarten, von den kleinen Häusern, die sich Stadtflüchtlinge aus Berlin gerne kaufen, um sich den Traum von einem unschuldigen und unverdorbenen Leben außerhalb der Hauptstadthektik zu erfüllen. Doch als eine Investmentfirma einen Windpark in unmittelbarer Nähe der Ortschaft errichten will, brechen Streitigkeiten wieder auf, die lange Zeit unterdrückt wurden. Denn da ist nicht nur der Gegensatz zwischen den neu zugezogenen Berliner Aussteigern, die mit großstädtischer Selbstgerechtigkeit und Arroganz und wenig Sensibilität in sämtliche Fettnäpfchen der Provinz treten. Da ist auch der nach wie vor untergründig schwelende Konflikt zwischen Wendegewinnern und Wendeverlierern. Kein Wunder, dass im Dorf schon bald die Hölle los ist …
Mit „Unterleuten“ hat Juli Zeh einen großen Gesellschaftsroman über die wichtigen Fragen unserer Zeit geschrieben, der sich hochspannend wie ein Thriller liest. Gibt es im 21. Jahrhundert noch eine Moral jenseits des Eigeninteresses? Woran glauben wir? Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?
„Juli Zehs furchtlos vor jedem Klischee ins Herz der bundesrepublikanischen Wirklichkeit zielender Gesellschaftsroman ist ein literarischer Triumph.“


Autorenporträt
Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts, Promotion. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Schon ihr Debütroman »Adler und Engel« (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Rauriser Literaturpreis (2002), dem Hölderlin-Förderpreis (2003), dem Ernst-Toller-Preis (2003), dem Carl-Amery-Literaturpreis (2009), dem Thomas-Mann-Preis (2013), dem Hildegard-von-Bingen-Preis (2015), und dem Bruno-Kreisky-Preis (2017) sowie dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln. 2018 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde sie zur Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt.

Meine ersten Leseeindrücke

Ich habe nun 200 Seiten gelesen und die Handlung hat sich richtig gezogen, bis ich es geschafft habe, hinter die Fassade der Protagonisten zu schauen. Im ersten Kapitel lernt man das Paar Gerhard und Jule Fließ kennen, die einen gemeinsamen Säugling haben. Jule kam mir merkwürdig vor, weil sie zu sehr an dem Kind geklammert hat, und nicht bereit war, das Kind auch an ihren Mann abzutreten.

Wer ist Schaller? Die Beschreibung kam mir merkwürdig vor, bis ich später erfahren habe, wer er wirklich ist. Ein menschliches Wesen mit Persönlichkeit.

Weiter auf den folgen Seiten habe ich lange nichts mehr von Gerhard und Jule gelesen, dafür folgten jede Menge anderer Namen, die mich ein wenig überfordert hatten. Nun erst zeichnen sich mir die ersten Charaktere ab.

Viele, die das Buch schon gelesen haben, baten mich um Geduld und nicht aufzugeben. Ich glaube, sie hatten Recht. Ich bin jetzt so weit, dass mir die Handlung nicht mehr so fragwürdig fremd erscheint.

Die Sprache finde ich sehr schön, nicht zu trocken, und sehr kreativ im Ausdruck und in der Auswahl von Metaphern, wie zum Beispiel das Feuer mit Öl löschen 😱.

Weitere Informationen zu dem Buch
·         Taschenbuch: 656 Seiten
·         Verlag: btb Verlag; Auflage: 01 (11. September 2017)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3442715733

Hier geht es zu der Verlagsseite von btb,



Montag, 11. November 2019

Henning Mankell / Die schwedischen Gummistiefel (1)

@ Myriam / Pixabay
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Weiter setzt sich die Geschichte von Die italienischen Schuhe fort mit Die schwedischen Gummistiefel. Dieser Band hat mir etwas besser gefallen. Aber die Figuren waren für mich nach wie vor gestört, kalt und abweisend. Hier suchen Menschen einander Nähe, können aber mit der Nähe nicht wirklich umgehen, wenn sie diese bekommen.  

Der Schluss ist Geschmackssache, mich konnte er nicht befriedigen. Manche Episoden fand ich sehr unlogisch, und manche Sichtweisen sehr einseitig, wenig differenziert.

Ich werde mich hier wieder kurzhalten.

Damit ich nicht alles von Neuem schreiben muss, werde ich am Ende dieser Buchbesprechung sie mit dem ersten Band verlinken.

Hier geht es zum Klappentext, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Fredrik Welin wird eines Nachts in seinem Bett aus seinen Träumen gerissen, als er von einer Hitzewelle erfasst wird. Panisch sieht er, wie Flammen sein Haus abbrennen. Schnell rennt Welin aus dem Haus und wird selbst Zeuge, wie sein Haus, das er von seinen Großeltern geerbt hatte, niederbrennt. Viele Nachbarn kamen von der Insel, auch die Feuerwehr, um den Brand zu löschen, wobei das Haus nicht mehr zu retten war. Der Postillion Ture Jansson war es gewesen, der den Brand von Weitem gesehen haben soll, und schnelle Hilfe gerufen hatte.

Der Kontakt zu Welins Tochter Louise wurde weiter aufrechterhalten. Als Welins Haus abgebrannt ist, und er für einige Zeit obdachlos wurde, war er gezwungen, in Louises Wohnwagen einzuziehen. Zur Erinnerung: Louise ist im letzten Band mit dem Wohnwagen auf Welins Schären gezogen, sie aber hier nicht wohnen blieb, sondern nach Paris gezogen ist. Hier erfährt Welin von ihr, dass er Großvater wird. Welin, weiß nicht, ob es ihn freut oder ob es ihn kalt lässt ...

Die Polizei ermittelt, sucht den Brandstifter. Wobei nicht klar ist, ob es ein Brandstifter oder ein Pyromane war, der das Haus angezündet haben könnte. Die Polizei verdächtigt sofort Welin. Was könnte der Grund sein, dass Welin sein eigenes Haus anzündet?

Wie geht das, ein eigenes Haus abzufackeln, während man selbst im Bett liegt und schläft? Denn die Polizei hat durch einen Brandingenieur herausfinden können, dass der Brand nicht an irgendeinem technischen Defekt hätte ausgemacht werden können, denn sie konnten Spuren entnehmen, die besagten, dass Benzin rund um das Haus gelegt und anschließend angezündet wurde. Ohne große Anhörung wurde Welin verdächtigt, und so warfen sie ihm Versicherungsbetrug vor …

Louise kam auf die Insel, als sie hörte, dass Welins Haus abgebrannt wurde. Von der Versicherung konnte er erst dann einen Schutz erhalten, wenn geklärt wurde, wie das Haus zu Schaden kam.

Durch den Hausbrand lernt Welin die Journalistin Lisa Modin kennen. Zwischen ihnen beiden entwickelt sich eine freundschaftliche / sexuelle Beziehung. Welin verliebt sich in Lisa, leider stößt er nicht auf Gegenliebe, sodass Welins Bedürfnisse nicht erwidert werden konnten.  

Louise entpuppt sich in Paris zu einer professionellen Taschendiebin. Einmal wird sie dabei erwischt und wird eingebuchtet. Louise bittet von ihrem Handy aus Welin um Hilfe, der schnellstmöglich angereist kam ...


Welche Szene hat mir so gar nicht gefallen?
Mich konnten die meisten Szenen einfach nicht überzeugen. Die Journalistin fand ich nicht richtig authentisch. Ich habe sie hier kaum als Journalistin erlebt. Die Polizei selbst zeigte sich ebenso wenig professionell. Wie Welin die Polizei beschrieben hat, fand ich arg merkwürdig.

Aber welche Szene mich tatsächlich angewidert hat, war Großvaters Tat gegenüber einem Hirsch. Welin denkt über seine Kindheit nach, als er seinen Großvater zum Fischen hinaus auf´s Meer begleitet.
Großvater erblickte einen Rehbock, der angeschwommen kam. Ohne zu zögern ließ er das Netz fallen, das er in den Händen hielt, schob mich zur Seite und setzte sich selbst an die Ruder. Er holte das Reh ein, stand im Boot auf und schlug dem Tier mit einem der Ruder auf den Kopf. Das Ruder zerbrach und das Reh schwamm weiter. Aber Großvater warf sich halb aus dem Boot, und es gelang ihm, das Tier am Geweih zu packen. Zugleich zog er sein Moramesser und schnitt ihm die Kehle durch. (2017, 132)

Mir liefen bei dieser Szene die Tränen. Solche heftigen Tiergeschichten treten häufig bei Mankell auf. Er erinnert mich daran, dass in der realen Welt viele Menschen eine Lust haben, unschuldige Tiere zu quälen und zu töten.

Der kleine Welin war über Großvaters Tat stark irritiert, aber das Kind wird später selber zum Täter, indem es lebendigen Insekten die Flügel ausreist.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Gefallen hat mir, als bei Wiederholungsbränden sich die Menschen auf den Inseln versammelt haben, und sie sich berieten, wie sie sich gegenseitig besser schützen könnten. Es kam auch die Frage nach dem möglichen Täter auf, und die meisten suchten den Täter nicht in den eigenen Reihen, sondern bei den Ausländern. Diese Szene hat Mankell sehr gut beschrieben, wie verzerrt die Wahrnehmung vieler Menschen sein kann. Schade, dass er dieses Niveau nicht im gesamten Ablauf seines Romans hat aufrechterhalten können.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Keine.

Welche Figur war mir antipathisch?
Sie wirkten auf mich alle ziemlich gestört, wie ich oben schon geschrieben habe.

Meine Identifikationsfigur
Keine.

Cover und Buchtitel
Ich weiß immer noch nicht, für was die Gummistiefel stehen. Symbolisch betrachtet könnte es den Wunsch Welins ausdrücken, in der Welt unter dem Allwetterschutz mutiger auftreten zu können, ohne nasse Füße zu bekommen. Welin erhält erst am Ende der Geschichte seine Gummistiefel, die er in einem Laden bestellt hat. Er musste lange auf seine Lieferung warten.

Zum Schreibkonzept
Auf den 475 Seiten ist der Roman in fünf Teilen gegliedert, die Anzahl der Kapitel habe ich mir diesmal nicht gemerkt. Mal fangen die Teile mit Kapitel eins an, mal wieder nicht.

Meine Meinung
Mich hat die gesamte Geschichte nicht überzeugen können. Häufig sehr einseitige Beschreibungen, manchmal auch wieder sehr klischeehaft was die Zuordnung verschiedener Menschen betrifft. Auch den Begriff rassisch ist heute auf Menschen bezogen politisch nicht mehr korrekt. Der Duden schreibt:
BESONDERER HINWEIS In der Biologie wird der Begriff der Rasse nicht mehr auf Menschen angewendet. Wenn auf entsprechende Unterschiede Bezug genommen werden muss, sollten deshalb Ausweichformen wie Menschen anderer Hautfarbe gewählt werden.

Mein Fazit
Eine schlecht recherchierte Handlung, die mich nicht hat überzeugen können, dafür aber ein wundervoller Erzählstil.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
1 Punkte: Frei von Stereotypen,Vorurteilen, Klischees und Rassismus
1 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Sieben von zwölf Punkten.

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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 26
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Der Mensch ist mehr als nur die biologische Erbmasse.
Er ist was er innerlich denkt und fühlt.
(M. P.)


Die Herkunft eines Menschen
Die Wurzeltheorie verdammt Menschen zu ewigen Ausländer*innen, nur weil sie eine andere Hautfarbe, eine andere Religion oder einen anderen Namen tragen. Die meisten haben ihre Wurzeln dort geschlagen, wo sie geboren wurden und / oder dort, wo sie ihr ganzes Leben zugebracht haben.
Es lebe die Vielfalt.
(M. P.)

Sonntag, 10. November 2019

Wo bleibt Prousts Erbe?

Quelle Geralt / Pixaby
Weiter geht es mit den Seiten von 349 – 359  

Auf den folgenden Seiten bekommt man es mit einem frustrierten Marcel Proust zu tun, dem es stinkt, dass sein Erbanteil seines Vaters an die Mutter angefallen ist. Proust bekommt aus bestimmten Gründen lediglich einen Monatsbetrag ausgezahlt.

Er spricht sich bei einem Freund aus, sagt ihm gleich zu Beginn des Briefes, dass er von traurigen Gedanken geplagt sei. Anne und mir waren die vielen Gedanken um das Geld definitiv zu langweilig. Wir beide mögen eigentlich keine Geldgespräche. Mal schauen, was ich hierbei zusammentragen kann.

Auf jeden Fall ist der Vater vermögend gestorben. Aber den Reichtum hat er aus eigener Kraft erworben.

An Louis d´Albufera
Anfang Dezember 1903, Marcel Proust ist hier 32 Jahre alt

Schon den ersten Satz finde ich ein wenig befremdlich.
Mon petit Albu, während Sie mit mir redeten, nagte an mir der fürchterlich traurige Gedanke, dass ich keinerlei Geld habe, das Ihren teuren Geist von allen Sorgen befreien könnte. (349)

Meine Frage: Hat der Freund ihn um Geld gebeten? Nun, jedenfalls nutzt Proust die Gelegenheit, seinem Freund vorzuheulen, wie wenig Geld er selber zur Verfügung hat, da der Vater ihn von dem Erbe wenig begünstigt hat.

Zu Lebzeiten erhielt Proust schon Geld vom Vater. Also ganz so mittellos war er nicht:
Papa zahlte mir jeden Monat 500 Francs aus, dazu vierteljährig 125 Francs. (350)

Anne und ich hatten uns immer schon gefragt, wie viel Geld Proust eigentlich zum Leben zur Verfügung hat. Ich denke, dass wir hier ein wenig schlauer werden, dass er mit seinen 32 Jahren neben seinen literarischen Einnahmen noch Unterstützung von den Eltern benötigt hat.
Papa und Mama hatten sich gegenseitig als Alleinerben ihres ganzen Vermögens eingesetzt, der Überlebende sollte der Erbe des anderen sein. (Ebd.)

Dies hat Proust nicht wirklich gepasst, grübelt, was die Eltern zu solch einem Verhalten bewogen hatte. Proust findet eine Antwort, die auch für mich und Anne plausibel zu sein scheint:
Ich glaube, dass dies nicht auf wechselseitiger Zuneigung gründete, sondern auch auf der absurden Vorstellung, die sie seit jeher hatten, ich sei ein Verschwender und würde, sobald ich nur zwei Sous in der Tasche hätte, diese sogleich zum Fenster hinauswerfen. (Ebd.)

Auch fühlt er sich seinem Bruder gegenüber benachteiligt. Zu Unrecht, wie ich finde.
Und da sie wussten, dass mein Bruder eine Frau geheiratet hatte, die auf ein immenses Vermögen wartet, und dass er im Übrigen selbst, wenn er nur will, ein irrsinniges Geld mit der Chirurgie verdienen kann, (…)., hatten sie in dieser Hinsicht keinerlei Bedenken und sagten sich, dass, solange einer von beiden, Papa oder Mama, das Vermögen zusammenhielte, es am besten für mich aufbewahrt und vor meiner Verschwendungssucht gesichert wäre! (Ebd.)

Ist etwas Neid auf den Bruder herauszuhören? Man mag als Chirurg viel Geld verdienen, aber geschenkt ist das Geld nicht, sondern hart verdiente Arbeit gepaart mit einer Masse an Verantwortung.

Achtung, nun schießt er gegen seine Mutter.

Allerdings erlaubt das Gesetz nicht, dass ein Ehemann alles seiner Frau vermacht. Und ich glaube, dass mein Bruder und ich jeweils Anspruch auf ein Viertel haben. (Ebd.)

Interessant wäre für uns hier zu wissen, ob im es im umgekehrten Fall zulässig wäre, dass eine Ehefrau alles seinem Ehemann vermacht, oder ob es dem Stammhalter, das wäre hier Marcel, zugeschrieben worden wäre.

Ein Onkel der Familie, Vaters Bruder, gibt Proust folgende Ratschläge:
Deine Mutter lebt von einem Einkommen, das sich auf 80.000 Francs belief, sie hat jetzt nur noch 40.000 zur Verfügung. Dein Bruder und Du, Ihr müsst versuchen, ihr die Änderung ihrer Lage so wenig wie möglich spürbar zu machen, und auf Euer Pflichtteil verzichten, Robert, indem er sich mit dem zufriedengibt, was er schon hat, und Du, indem Du bei Deiner Mutter wohnen bleibst. (351)

Proust wartet nun ab, wie sich sein Bruder Robert verhalten wird. Dies teilt Proust alles seinem Freund mit. Weiter schreibt er:
Wenn sich diese Lösung durchsetzt, dann werde ich weiterhin kein Kapital besitzen, und auch wenn mir meine monatlichen 500 Francs erhalten bleiben, so werde ich davon womöglich eine kleine Unterhaltszahlung für verschiedene Ausgaben an meine Mutter zu leisten haben. (Ebd.)
Es stehen einige Ausgaben an, hinzu kommt noch der Umzug in eine kleinere Wohnung, sobald der Mietvertrag ablaufen werde. Wie man oben entnehmen kann, rechnet Proust damit, sich an den Kosten beteiligen zu müssen. In den späteren Zeilen ist zu entnehmen, dass Prousts Erbanteil in Aktien umgelegt wurde.
Dies alles, wenn ich es richtig ahne, immer in der Absicht, mich vor mir selbst zu schützen, wie auch der Vorschlag meines Onkels keinen anderen Zweck verfolgen dürfte.
Damit sich hier nicht alles nur ums Geld dreht, eine kurze Zusammenfassung aus dem Brief an Marie Nordlinger. Zur Erinnerung: Marie Nordlinger ist die Schwester von Robert de Montesquieou und ist Expertin in der englischen Sprache und greift Proust häufig unter die Arme, wenn er Probleme mit der Ruskin-Übersetzungsarbeit hat. Proust hat vor nichts eine Scheu, stellt der Briefpartnerin jede Menge Sinnfragen zu seiner Übersetzung.

Unsere Gedanken dazu
Ich hätte Proust nicht zugemutet, dass er sich so stark finanziell von den Eltern abhängig macht. Dass er keinen Stolz besitzt, sich auf eigene Füße zu begeben, entnehme ich aus diesen Zeilen. Ich erinnere mich noch an den kleinen Marcel, dass er schon in der Kindheit sich häufig Geld vom Großvater hat ausleihen müssen, weil er mit seinem Taschengeld nicht klar kam.

Wer bekommt schon in dem Alter jeden Monat von den Eltern 500 Frans ausgezahlt, was damals sehr viel Geld gewesen ist.

Wie viel der Vater an Vermögen hinterlassen hat, wird minutiös in der Fußnote gelistet. Wer genaue Angaben haben möchte, so verweisen wir auf das Buch. 

Dies war es für heute. Anne und ich hatten heute Morgen schon über diese Briefe gesprochen, sodass ein weiterer Austausch sich erübrigt hat, vor allem, weil wir uns bei den Zitaten einig waren, wobei Anne sehr pragmatische Fragen noch im Nachhinein gestellt hat, als wir nun soeben in einer anderen Proust- Sache doch noch telefoniert haben.

Anne hat sich im Nachhinein nicht zufriedengegeben, was Prousts Auslagen betreffen. Wie viel muss er von seinem Eltern-Gehalt für Arztkosten aufkommen? Wer bezahlt die Medikamente? Wie viel verdient Proust als Literat? Er hat jede Menge kürzere Geschichten verfasst und ein ganzes Buch mit dem Titel Santeuil schon geschrieben. Er hat dafür jeweils eine Gage bekommen, aber wie hoch sie war, darüber hat sich Proust in den Briefen noch nicht ausgelassen. Für seine Ruskin-Übersetzungsarbeit ist er auch ausbezahlt worden. Wahrscheinlich konnte er mit diesen scheinbar kleinen Honoraren nicht wirklich auskommen. Aber wie man oben aus den Briefen entnehmen kann, konnte Proust scheinbar nicht wirklich gut mit Geld umgehen. 

Anne ist erbost, denn mit welcher Selbstverständlichkeit Proust ohne eine Gegenleistung seine Hand aufhält. 

Je älter er wird, desto mehr verliert er bei mir an Sympathiepunkte.

Unser Fazit
Auch wenn Proust auf hohem Niveau klagt und weint, nicht genug zu bekommen, wissen Anne und ich nun, dass er nie Geldnot erleiden wird. Aus der Fußnote konnte entnommen werden, dass der Tod der Mutter auch nicht mehr lange auf sich warten lässt, sodass wir davon ausgehen, dass er und sein jüngerer Bruder Robert das gesamte Vermögen erben werden, da auch die Mutter viel Geld mit in die Ehe gebracht hat, und sie selbst durch ihre eigenen verstorbenen Eltern Geld geerbt hatte. Proust kann sich somit zurücklehnen. Für ihn ist gesorgt, sowohl zu Lebzeiten seiner Mutter, die ihm weiterhin jeden Monat Geld zusteckt als wäre es sein Gehalt, als auch nach ihrem Ableben.

Weiter geht es übernächstes Wochenende von 359 - 369

_______________
Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

Gelesene Bücher 2019: 26
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Mittwoch, 6. November 2019

Henning Mankell / Die schwedischen Gummistiefel

Klappentext     
Nach dem Brand seines Hauses auf einer einsamen Schäreninsel sind dem ehemaligen Chirurgen Fredrik Welin nur Wohnwagen, Zelt, Boot und zwei ungleiche Gummistiefel geblieben. Und wenige Menschen, die ihm nahestehen: Jansson, der pensionierte Postbote, die Journalistin Lisa Modin und seine Tochter Louise, die schwanger ist und in Paris lebt. Als Louise wegen eines Diebstahls in Untersuchungshaft gerät, ruft sie Fredrik zu Hilfe. Während er in Paris über ihre Freilassung verhandelt, erfährt er, dass auf den Schären schon wieder ein Haus in Flammen steht.

Autorenporträt
Henning Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, war einer der großen schwedischen Gegenwartsautoren, von Lesern rund um die Welt geschätzt. Sein Werk wurde in über vierzig Sprachen übersetzt, es umfasst etwa vierzig Romane und zahlreiche Theaterstücke. Nicht nur sein Werk, sondern auch sein persönliches Engagement stand im Zeichen der Solidarität. Henning Mankell lebte abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er künstlerischer Leiter des Teatro Avenida in Maputo war. Er starb am 5. Oktober 2015 in Göteborg. Seine Taschenbücher erscheinen bei dtv.

Meine ersten Leseeindrücke

Dieses Buch ist auch nicht besser als der Vorgänger von Die italienischen Schuhe. Ich befinde mich gerade auf den letzten 180 Seiten. Leider wieder sehr klischeehaft und eine wenig überzeugende Geschichte. Aber Mankells Erzählstil finde ich toll, sonst hätte ich das Buch abbrechen müssen. 

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Taschenbuch: 480 Seiten
·         Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (8. Dezember 2017)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3423217057

Hier geht es zu der Verlagsseite von dtv.