Montag, 24. Dezember 2018

Benedict Wells / Die Wahrheit über das Lügen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Diese zehn Geschichten habe ich gemeinsam mit Tina gelesen und mich mit ihr rege ausgetauscht. Wir hatten fast zu jeder Erzählung dieselben Gedanken und Eindrücke, lediglich mit der siebenten Geschichte war ich schier überfordert, da ich über keinerlei Hintergrund zu Star Wars verfüge. Ich mag keine Science-fiction, weshalb ich mich für diese Filme nie begeistern konnte.

Die Fliege hat uns beiden nicht gefallen, auch wenn sie uns vom Verständnis her zugänglich war. Uns war durchaus bewusst, dass die Fliege eine Metapher darstellen sollte. Sie hat uns aber trotzdem nicht überzeugen können. Zu flach, zu oberflächlich …

Unsere Buchbesprechung beschränken wir auf jeweils zwei Geschichten, die Tina und ich gemeinsam abgesprochen haben. Sie schreibt über Die Wanderung und über Das Franchine. 

Mich haben die beiden Erzählungen Richard und
Die Nacht der Bücher richtig beeindruckt, über die ich schreiben werde. 

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung

Richard
Mich hat diese Geschichte sehr betroffen gestimmt. Es geht um eine ältere Dame, die im Park auf einer Bank sitzt und sich mit einem Herrn unterhält, obwohl dieser Mann mit seinem Handy beschäftigt ist. Sie erzählt ihm, dass sie gerne am Markt Hähnchenbrust beim Händler kauft, weil Richard sie so gerne mögen würde.

Sie berichtet detailfreudig dem fremden Mann, wie Richard auf das Fleisch reagiert, wenn sie nach Hause kommt, und dass sie erst seine, dann ihre Bedürfnisse befriedigen würde. Bei ihrem Gatten, als er noch gelebt hatte, war sie immer die Erste …

Der fremde Mann, als er seine letzte Nachricht in sein Handy getippt hat, steht auf, wünschte ihr einen schönen Tag und ging fort.

Die alte Dame betrachtet in der Ferne ein junges Paar und denkt dabei an ihren eigenen Mann. Das Leben mit ihm spulte sie jeden Tag in ihrem Hirn wie ein Kopfkino ab.
Wenn ihre Erinnerung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klassiker, der noch immer jeden Abend lief. Vielleicht war er nicht mehr ganz so spannend, weil sie jeden Satz aus der Handlung mitsprechen konnte, und vielleicht war auch das Bild inzwischen etwas unscharf geworden und die Tonspur verwaschen, aber das machte nichts. Der Film endete, kurz bevor seine Krankheit begann. (2018, 92)

Plötzlich kamen zwei sprechende Mädchen an die Bank und setzten sich zu der alten Dame. Die Dame lauschte etwas an dem Gespräch der beiden Mädchen. Als sie ihre Bluse glattstrich, holte sie ein Foto ihres Richards heraus, der zu dieser Zeit noch ein Welpe war. Sie zeigte die Fotografie den Mädchen und erklärte ihnen, weshalb sie dem Kater den Namen Richard gegeben habe … Die alte Dame erzählt und erzählt und bemerkt gar nicht, dass die Mädchen sich bedrängt fühlten …
Das eine Mädchen stieß das andere an.>>Ja, also, wir müssen dann mal …<<, sagte es schnell. Sie verabschiedeten sich, und kaum, dass sie einige Schritte entfernt waren, prusteten beide los.<< (97)

Damit endet die Erzählung noch nicht, so lasse ich den Ausgang offen.

Als ich die Geschichte anfangs zu lesen begonnen hatte, dachte ich, dass Richard ihr Mann sei. Aber es klärte sich schnell auf, dass mit Richard ihr Kater gemeint war.

Ich fand diese Erzählung dermaßen authentisch, dass sie mich lange noch beschäftigt hat. Jede Figur wirkte real. Der Mann mit dem Handy, die beiden Mädchen, sie alle waren mit ihrem Leben beschäftigt, und hatten keinen Platz, das Leben der alten und sehr vereinsamten Dame für eine Weile in sich einzulassen ... 

Die Nacht der Bücher
Eine Weihnachtsgeschichte

Das war für mich von allen die allerschönste Geschichte. Hier wird Bezug genommen zu Wells Roman Vom Ende der Einsamkeit, die Figur daraus namens Jules, der dieses Märchen verfasst hat Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Der 58-jährige Mister Stanley hatte in einer staatlichen Bibliothek am Heiligabend Nachtwache, obwohl er kein Mensch war, der gerne Bücher liest. Die Bibliothek, eine ziemlich alte, die auf mich einen nostalgischen Eindruck hinterlassen hat, befand sich in Marylborne, ein Vorort von London. Als Mr. Stanley seinen Rundgang macht, und durch die Gänge und Flure zieht, hört er Geräusche, die er nicht einzuordnen wusste. Nach dem Störenfried Ausschau haltend staunte er über die Vielzahl an Büchern, die nicht zu zählen waren.
Die gesamte Bibliothek war nichts als ein gigantischer Bahnhof voller Figuren und Geschichten. (…) Schon eigenartig. Immer an Weihnachten war ihm, als würde es in der Bibliothek spuken, als hörte er seltsame Geräusche, die sofort verschwanden, wenn er die Tür aufmachte. (105)

Er blickte auf die vollgestopften Regale, wo er glaubte, müssten die Geräusche zu lokalisieren sein. Es war aber ganz ruhig. Und so ging Stanley wieder zurück in sein Dienstzimmer.
Lange Zeit blieb es in der großen Halle still. Die Bücher wollten auf Nummer sichergehen. Dieser alte Mister Stanley war ein misstrauischer alter Knochen, da musste man auf der Hut sein. Dann aber konnte man ein leises Rascheln hören. Ganz vorsichtig hatte sich Jules Verne umgedreht. Es war in 80 Tagen um die Welt. (ebd)

Die vielen bekannten Autor*innen kamen ins Gespräch, viele alte und neue Klassiker, und so entstand langsam Leben in den Regalen. Werke von Tolstoi, von Flaubert, Shakespeare, sogar die Buddenbrooks von Thomas Mann regten sich. Sie alle wunderten sich über Mr. Stanley. Carson McCullers hatte Mitleid mit dem Nachtwächter, Dostojewski hielt ihn für einen traurigen Narren, da er jedes Jahr zu Weihnachten Dienst habe, und fragt sich, wieso er das macht? Doch auch unter den Büchern fanden erst mal keine hochtrabenden Gespräche statt, sie führten Small Talk, bis sie sich einigen konnten, eine Weihnachtsgeschichte vorgelesen zu bekommen. Der Name Dickens fiel, doch Dickens konnte sich nicht rühren, da er, wie jedes Jahr zu Weihnachten auch, ausgeliehen wurde.
>>So ein Pech, das ist jetzt schon das dritte Jahr hintereinander!<<Ein hundertfaches Aufstöhnen ging durch die Halle, denn nichts hätte in dieser Nacht die Bücher mehr gefreut, als wenn ihnen Dickens endlich wieder die Geschichte des alten Ebenezer Scrooge erzählt hätte. (108)

Ein Hin und Her an Stimmen, die aus den Buchseiten fielen, machten sich breit. Es rührte sich Marcel Proust, der sich über den Lärm beschwerte, und er aus den Träumen gerissen wurde und machte sich bei den anderen unbeliebt. >>Halt die Schnauze, Marcel, auf dir liegt eh schon Staub!<< Ruft Hemingway ihm lakonisch zu …
.
Hier mache ich Schluss, um nicht alles zu verraten. Aber ich könnte die ganzen Dialoge zitieren, die so perfekt und so natürlich konstruiert sind. Die ganze Geschichte war total authentisch. Man spürte, dass die Bücher und deren Autor*innen mit demselben Geist beseelt waren, wie man sie aus den Büchern heraus kannte. Besser hätte es ein Walter Moers auch nicht ausdrücken können. Jede Menge bekannte Autor*innen sind hier vertreten, auch Harry Potter, auf den neidvoll geblickt wurde, da er verglichen mit Shakespeare ein Jüngling sei und weltweiten Ruhm genoss, während Shakespeare über eine Schullektüre nicht hinauskommen würde …   

Unbedingt selber lesen.

Cover und Buchtitel
Das Cover gefällt mir sehr, sehr gut, weil es wie ein Kunstgemälde ausschaut. Und es lässt jede Menge Spielraum zu für eigene Interpretationen. Den Buchtitel finde ich auch gelungen, hilft, die Geschichten besser einzuordnen.

Meine Meinung
Benedict Wells kann wirklich supergut schreiben. Lange habe ich mich mit Tina ausgetauscht, und wir finden beide, dass er aber sein Potenzial in Romane stecken sollte.

Die Geschichte mit den sprechenden Büchern fand ich noch besser als die von Walter Moers. Richtig genial. Schade, dass sie so schnell geendet hat.
Die Richard-Geschichte war mir wichtig, sie hier auf meinem Blog vorzustellen, um die Leser*innen mit dieser Thematik ein wenig zu sensibilisieren. Bei 200 bis 300 Besucher*innen pro Tag möchte ich mithelfen, sie ein wenig zu verbreiten.

Mein Fazit
Mit den zehn Kurzgeschichten der letzten zehn Jahre bedient sich Wells verschiedener Genres. Das macht sie so spannend. Klare Leseempfehlung.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.

Ein herzliches Dankeschön an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
______________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2018: 58
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 23. Dezember 2018

Vera Buck / Das Buch der vergessenen Artisten


Lesen mit der Leserunde auf Whatchareadin. Begnn: 23.12.2018  

Klappentext
Die wundersame Welt des Jahrmarkts, dramatische Zeiten und eine Liebe, die auch die größte Dunkelheit erhellt …Deutschland, 1902. Mathis ist der dreizehnte Sohn eines Bohnenbauern, sein Leben zwischen Äckern und Feldern scheint vorherbestimmt. Erst als der Jahrmarkt im Dorf Einzug hält, bekommt Mathis eine Ahnung von der großen, weiten Welt jenseits der Hügel, die den Ort umgeben. Eine Welt, in der elektrische Wunder, Kuriositäten und schillernde Showbühnen auf ihn warten und in der auch er einen Platz haben will. Zusammen mit den Schaustellern begibt sich Mathis auf eine außergewöhnliche Reise.
Nach über dreißig Jahren als Röntgenkünstler lebt Mathis mit seiner Partnerin, der Kraftfrau Meta, in einer Wohnwagensiedlung am Rande Berlins. Es sind düstere Zeiten für die Artisten: Auftrittsverbote werden verhängt, Bühnen dichtgemacht. Doch in geheimen Clubs und Künstlertreffs lebt die Vergangenheit weiter. Genau wie in dem Buch, an dem Mathis schreibt – einem Buch, das Geheimnisse birgt und unter keinen Umständen in die falschen Hände geraten darf …»Vera Buck lässt sie [Jahrmarktartisten] wieder auferstehen, 750 prall gefüllte Seiten lang, mit liebevollen Worten für ihre kleinen Helden und lakonisch-süffisanten Bemerkungen …«


Autorenporträt
Vera Buck, geboren 1986, studierte Journalistik in Hannover und Scriptwriting auf Hawaii. Während des Studiums schrieb sie Texte für Radio, Fernsehen und Zeitschriften, später Kurzgeschichten für Anthologien und Literaturzeitschriften. Nach Stationen an Universitäten in Frankreich, Spanien und Italien lebt und arbeitet Vera Buck heute in Zürich. Ihr Debütroman »Runa« wurde von der Presse hochgelobt und für den renommierten Glauser-Preis nominiert.

Meine ersten Leseeindrücke
Das Buch gefällt mir ganz gut.  Die Sprache ist einfach, aber dafür ist die Thematik eine spannende und interessante. Die junge Autorin scheint ziemlich versiert über ihren Stoff recherchiert zu haben. Es gibt hierzu auch ein Interview, das ich in meiner späteren Buchbesprechung von Yputube hochladen werde. Später werde ich auch meine Besprechung mit der Leserunde verlinken. Da dies ein recht umfangreiches Buch ist, wird es dort im Bücherforum reichlich viel zu lesen geben.

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Gebundene Ausgabe: 752 Seiten
·         Verlag: Limes Verlag (10. September 2018)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 3809026794

Und hier geht es auf die Verlagsseite von Limes.


Freitag, 21. Dezember 2018

Benedict Wells / Die Wahrheit über das Lügen

Lesen mit Tina  

Zehn Geschichten

Klappentext
Es geht um alles oder nichts in diesen Geschichten. Sie handeln vom Unglück, frei zu sein, und von einer Frau, die vor eine existenzielle Entscheidung gestellt wird. Von einem Ort, an dem keiner freiwillig ist und der dennoch zur Heimat wird. Von einem erfolglosen Drehbuchautor der Gegenwart, der in das New Hollywood des Jahres 1973 katapultiert wird und nun vier Jahre Zeit hat, die berühmteste Filmidee des 20. Jahrhunderts zu stehlen. Und nicht zuletzt eine Erzählung aus dem Universum von ›Vom Ende der Einsamkeit‹, die Licht auf ein dunkles Familiengeheimnis wirft.

Zwei junge Männer spielen Tischtennis, um ihr Leben. Eine Schriftstellerin mit Schreibblockade muss sich zwischen Kunst und Liebe entscheiden, als sie von der Muse geküsst wird. Das berührende Porträt einer verschworenen Gemeinschaft in einem Grundschulheim. Ein erfolgloser Drehbuchautor der Gegenwart wird in das New Hollywood des Jahres 1973 katapultiert und hat somit vier Jahre Zeit, George Lucas die Idee zu ›Star Wars‹ zu stehlen. Die Überschreitung des magischen Kilometerstands 100 000 bei einem Oldtimer wird Anlass für eine bewegende Aussprache zwischen Vater und Sohn. Ein erfolgreicher Manager bricht zu einem Berggipfel auf; als er zu seinem Ferienhaus zurückkehrt, hat sich sein Leben verändert. Und eine unveröffentlichte Geschichte aus ›Vom Ende der Einsamkeit‹ erzählt von zwei französischen Brüdern und der Heimsuchung ihrer Jugend.Zehn höchst unterschiedliche Geschichten aus einer Welt, in der Lügen, Träume und Wahrheit ineinanderfließen. Mal berührend, mal komisch, überraschend und oft unvergesslich.


Autorenporträt
Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Nach dem Abitur zog er nach Berlin und widmete sich dem Schreiben, seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vierter Roman ›Vom Ende der Einsamkeit‹ stand mehr als anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste, er wurde u.a. mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet und bislang in 27 Sprachen übersetzt. Wells lebt in Berlin und Bayern.

Meine ersten Leseeindrücke

Drei Geschichten habe ich gelesen. Ja, sie gefallen mir recht gut, wenn auch Kurzgeschichten anders gelesen werden, als Romane. Man kann mit den kürzeren Geschichten keine wirkliche Beziehung aufbauen. Wenn man sie aber trotzdem aufgebaut hat, kommt einem das Ende zu abrupt vor. Auch die Figuren werden einem nicht richtig warm, weil sie einen schnell wieder verlassen.Benedict Wells, bitte schreiben Sie wieder Romane …

Ich freue mich auf den Austausch mit Tina ... 

Weitere Informationen zu dem Buch

·         Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
·         Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (29. August 2018)
·         Sprache: Deutsch, 22,00 €
·         ISBN-10: 9783257070309

Auszeichnungen
·      ›Euregio-Schüler-Literaturpreis‹ für Vom Ende der Einsamkeit , 2018
·      ›Literaturpreis der Europäischen Union‹ Deutschland an Benedict Wells für Vom Ende der Einsamkeit , 2016
·      ›Lieblingsbuch der Unabhängigen‹ anlässlich der Woche unabhängiger Buchhandlungen (WUB) in Deutschland für Vom Ende der Einsamkeit , 2016
·      ›DER LESERPREIS‹  Bronze-Auszeichnung bei Lovelybooks.de für Vom Ende der Einsamkeit , 2016
·      ›Buchpreis Familienroman‹ der Stiftung Ravensburger Verlag für Vom Ende der Einsamkeit , 2016
·      ›Bronze‹-Auszeichnung in der Kategorie ›Buch des Jahres‹ für Vom Ende der Einsamkeit, gewählt von den Buchmarkt-Lesern , 2016
·      ›Bayerischer Kunstförderpreis‹ in der Sparte Literatur u. a. an Benedict Wells für seinen Debütroman Becks letzter Sommer , 2009

Hier geht es zur Verlagsseite von Diogenes.

Sonntag, 16. Dezember 2018

Clemens Ettenauer / Therapeutische Cartoons


Klappentext  
Wie sieht Psychoanalyse beim Werbepsychologen aus? Woran erkennt man einen Psychiater beim Blind Date? Und was machen eigentlich Löffel bei der Sexualberatung? Diesen und anderen Fragen gehen die besten Cartoonisten des deutschen Sprachraums (und zwei Gastzeichner aus den USA) in dem Buch nach. Damit hätte wohl auch Sigmund seine Freud‘ gehabt…

Autorenporträt
Herausgeber ist Clemens Ettenauer. Die zahlreichen Namen der Cartoonisten und deren Kurzbiografien sind im hinteren Buchteil angegeben.

Buchbesprechung
Ein wunderbares Buch. Aber wer von Haus aus nicht mit dieser Sparte vertraut ist, wird die Cartoons vom Verständnis her schwer zuordnen können. Aber es sind nicht alle kompliziert.

Ich stehe nach dem Lesen wieder vor der Entscheidungsfrage, welche haben mich nun besonders angesprochen? Wie immer werde ich auch hier eine Auswahl treffen müssen. Fast auf jeder Seite klebt ein Blättchen.

Und wieder jede Menge Wortspielereien …

Seite 10, Seite 35: Der Psychoanalytiker, der gerade einen Patienten therapiert, er aber im Rücken seine Mutter stehen hat, und diese sogar erwähnt. Man hört ja so oft, dass viele, die andere therapieren, selbst von ihren eigenen Geschichten nicht befreit sind. Was geht dem Patienten die Mutter des Analytikers an? Der Therapeut, der selber unter einer Neurose leidet bzw. unter einem ungelösten Mutterkomplex … 

Seite 11: Geniales Coverbild, das keiner weiteren Worte bedarf. Ich möchte nur auf dieses Cartoon aufmerksam machen.

Seite 16: Nein, hier geht es nicht um die Anonymen Alkoholiker. Diese Selbsthilfegruppe nennt sich Selbsthilfegruppe der anonymen Harmoniesüchtigen. Die Gruppenmitglieder kloppen sich, dass die Fetzen fliegen. An der Tür steht zusammen mit der Sekretärin der Therapeut, und beide beobachten schaulustig diese Szene und sind sichtlich zufrieden, dass die Gruppenteilnehmer*innen sich nun schlagen und sehen durch das Ausleben unterdrückter Emotionen den Erfolg ihrer Arbeit.

Seite 17: Klangschalentherapie:  Wie könnte diese wohl aussehen? Eine Ehefrau schmeißt dem zeitungslesenden Gatten die Klangschale ins Gesicht und fühlt sich wohl dabei, ist stolz, dass diese Methode, die sie aus der Therapie mitgebracht zu haben scheint, wirkt, als der Gatte fast vom Stuhl fällt … Sie scheint wohl nicht verstanden zu haben, was eine Klangschalentherapie ist. 

Seite 18: Die Komplechse: Eine kleine grüne Echse liegt auf der Couch und leidet unter massiven MinderwertigkeitskomplEchsen. Niemand würde sich für sie interessieren. Alle würden viel lieber süße Tiervideos, Hunde und Katzen, betrachten.

Seite 19: Ein Ehepaar in einer Paartherapie. Das Ehepaar sollte getrennt voneinander ihre Konflikte aufschreiben, die sie mit dem Partner’in haben. Der Ehegatte kommt mit einem einzigen Blatt Papier, die Ehefrau mit einem ganzen Stapel. Einziges Problem des Gatten? Zu wenig Sex. 

Seite 24: Die Arche Noah? Nein, alles Archetypen á la Carl Gustav Jung.

Seite 28: Soll das der Trump sein? Das Problem sei nicht die Krankenversicherung, sondern sein Geisteszustand, stellt der Arzt fest. Ein Mann, der ein Volk regiert.

Seite 32: Klimt und der Phalluskomplex/Penisneid. Doch kein Phalluskomplex? Eher eine Freudsche Fehlleistung, sagt Klimt, der Sigmund Freud auf der Leinwand porträtiert und ihm als Nase einen langen erigierten Penis gezeichnet hat  

Seite 38: Ein Hypochonder bekommt von seinem Therapeuten gesagt, dass seine hypochondrische Erkrankung nur Einbildung sei 

Seite 39: Der psychische Apparat. Alle drei werden therapiert. Das Es, das Ich und das Übei-Ich liegen in der Dreier-Konstellation von unten nach oben auf einem Hochbett. Der Therapeut weiß noch nicht, wer von den Dreien zuerst therapiert werden soll. Das Es und das Ich sind nackt, das Über-Ich geordnet gekleidet ... 

Und jede Menge andere Cartoons zur Übertragung und Gegenübertragung, und verweise diese und sonstige Themen auf das Buch.

Mein Fazit
Ein ideales Weihnachtsgeschenk für Leser*innen, die beruflich selbst mit den Studien der Psychoanalyse zu tun haben. Über Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse und seine Patient*innen, oder die es werden wollen... :-) 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Literaturwissenschaftliches, gut recherchiertes Buch
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten.

Weitere Informationen zu dem Buch
Clemens Ettenauer (Hg.): Therapeutische Cartoons
96 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-902980-76-2

Hier geht es zur Verlagsseite von Holzbaum.
Vielen Dank an den Holzbaum Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2018: 57
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Samstag, 15. Dezember 2018

Matteo Righetto / Das Fell des Bären (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Dieses Buch hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen. Dieser Autor passt wunderbar in mein Leseprojekt Italienische Autor*innen. Frei von Stereotypen und Klischees, dafür aber mit psychologischem Tiefgang. Auch die äußere Beschreibung der Figuren hat gepasst. Rothaarig, blond, schwarzhaarig und hellhäutig, so wie ich es von meinen eigenen Familienmitgliedern väterlicher und mütterlicherseits her kenne, die sogar noch aus dem Süden Italiens kommen. In der deutschen Literatur werden die Italiener*innen immer als schwarzhaarig und dunkelhäutig beschrieben. Eine total verzerrte Wahrnehmung. 

Anfangs hatte mich die Geschichte etwas an die von Paolo Cognetti Acht Berge erinnert, denn auch hier geht es um die Vater-Sohn-Beziehung. Und beide Geschichten stammen aus der Bergregion Veneto.

Hier geht es zum Buchcover, Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Auf den ersten Seiten bekommt man es mit einem kleinen Jungen zu tun, den zwölfjährigen Domenico, der zu Hause nach der Schule den Haushalt schmeißt und das Abendessen für sich und seinen Vater zubereitet, auf dem Feld mithilft, und die Tiere versorgt. Domenico ist eine Halbwaise, seine Mutter kam in der Arbeit auf dem Feld durch einen Unfall ums Leben. Domenicos Vater Pietro Sieff hat diesen Verlust nicht verwinden können, und verfällt seit diesem Unglück jeden Abend in einer Kneipe dem Alkohol und kommt betrunken nach Hause. Die Beziehung zu seinem Sohn kühlt merklich ab. Er lässt seine miese Stimmung an dem Sohn aus, nicht selten versetzt er ihm auch Ohrfeigen, wenn der Junge nicht spurt, wie er es gerne hätte. Domenico vermisst schmerzlichst seine Mutter, aber auch den Vater, der sich verändert hat.

Domenico langweilt sich. Der Alltag nach der Schule kommt ihm monoton vor, verbringt ihn meist allein und träumt von den Abenteuern Tom Sawyers. Verliebt ist der Junge in Maria aus seiner Klasse, die ein Jahr älter ist und nur Augen für ältere Jungen hat. Er träumt davon, mit ihr zusammen an den Fluss zu gehen und mit ihm Fische zu angeln.

Domenico besucht die siebte Klasse einer Mittelschule und wünscht sich, danach auf eine weiterführende Schule zu gehen, um eines Tages Abitur machen zu können, damit er studieren kann. Bis zum
Ende der achten Klasse besuchen die Kinder alle die Mittelschule. Danach ist die Schulpflicht erfüllt. Domenico gehört zu den Besten in seiner Klasse, nur der Vater durchkreuzt seine schulischen Pläne, und honoriert ihm die guten schulischen Leistungen nicht an. Er wartet, bis Domenico die Schulpflicht erfüllt hat, um ihn anschließend von der Schule zu nehmen.

Der Vater ist von Beruf Tischler und betreibt eine eigene Werkstatt.

In dem Dorf wird die Gemeinde von einem Dolomitenbraunbären heimgesucht, der die Bewohner*innen in Angst und Schrecken versetzt. Sie bezeichnen den Bären als einen Sohn des Teufels, da er kein gewöhnlicher Bär sei. Wer ihm über den Weg laufen würde, dem würde er Unglück bringen.

In der Kneipe wird rege über diesen sogenannten satanischen Bären gesprochen, als Pietro sich breitschlagen ließ, in die Berge zu ziehen, um den Bären eigenständig zu erlegen.

Der Lebensmittelhändler Mario Crepaz bot im Beisein von Zeugen an, Pietro eine Million Lire auszuzahlen, sollte er es tatsächlich schaffen, das Raubtier zu töten.

Tags darauf begibt sich Pietro zusammen mit seinem Filius auf eine mehrtägige Wanderschaft in die Wälder der Berge. Ausgerüstet auch mit zwei Gewehren und Munition. Während dieser Wanderschaft bringt Pietro seinem Sohn das Schießen bei und spricht ihm Mut zu.

Auf den Bergen verbringt auch ein alter deutscher Eremit namens Pepi Zelger seine Lebenszeit, hat sich vor vielen Jahren von der Gesellschaft abgewendet. Pepi Zelger ist mit Pietro befreundet. Der Freund weiß, wo sich der Bär aufhält, rät aber Pietro ab, ihn zu jagen, da er damit sein eigenes Leben und das Leben seines Jungen gefährden würde ...

Die Handlung spielt sich im Herbst des Jahres 1963 ab.

Eine Szene, die mir besonders gefallen hat
Es waren mehrere Szenen, die mich beeindruckt haben. Mich hat im Laufe der Geschichte die Beziehung zwischen Vater und Sohn berührt. Aber auch die Freundschaft des Eremiten, wie er dem Jungen gegenübergetreten ist, hat mir imponiert. Warm und herzlich, unterstützend, hilfsbereit. (Leider kann ich diese Begebenheiten nur andeuten, um nicht zu viel zu verraten).

Eine Szene, die mir nicht gefallen hat
Es gibt keine. Jede Szene war gut und keine zu viel. Sie waren alle gut in die Geschichte gepackt.

Zum Schreibkonzept
Auf den 169 Seiten ist die Handlung in 63 Kapiteln gegliedert. Auf der ersten Seite ist ein wunderschönes Zitat von Ernest Hemingway abgedruckt. Dieses Zitat muss man nach dem Lesen des Buches nochmals lesen, denn erst dann ergibt dieser Vers einen Sinn, wenn man die Hintergründe kennt.

Der Schreibtstil ist genial, mit dem mich der Autor gepackt hat. Keine Zeile ist zu viel, keine zu wenig. Er hat es sehr gut drauf, Spannung zu erzeugen und sie bis zur letzten Seite zu halten.

Cover und Buchtitel 
Eine sehr schöne Berglandschaft der Dolomiten. Und den Buchtitel finde ich auch passend.

Meine Identifikationsfigur
Mir hat die Geschichte trotzdem gut gefallen, auch wenn ich jetzt keine Figur hatte, mit der ich mich identifizieren konnte. Aber Domenico erinnerte mich hier in Deutschland an mein eigenes Schulerlebnis mit meinem Vater. Wenn ich eine gute Note, eine Zwei, nach Hause brachte, und ich sie meinem Vater zeigte, dann fragte er mich, ob es in der Klasse auch Einser gab? Ich bejahte. Dann sagte er, ich solle auf die schauen, die besser seien als ich, und nicht auf die, die schlechter seien ...
Eine weitere Ähnlichkeit mit Domenico: Ich war auch ein Kind mit vielen Tagträumen.

Meine Meinung
Sich einen Bären aufbinden lassen, das waren die Gedanken, die ich anfangs hatte, als die Bewohner*innen von dem Satans-Bären sprachen, und sie ihn dadurch töten mussten, weil sie einen bösen Fluch fürchteten. Armer Bär, arme Tiere, die von den Menschen aus den verschiedensten Gründen getötet werden. Ich denke dabei auch hier bei uns an den Bären namens Bruno zurück, der in Bayern 2006 ganz real von den Jägern erschossen wurde.

Mein Fazit
Eine sehr spannende, bewegende und sehr nachdenklich machende Lektüre.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten

Vielen Dank an den Verlag von Blessing für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2018: 56
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86