Samstag, 27. April 2019

Lukas Hartmann / Der Sänger

Klappentext   
Seine Stimme füllte Konzertsäle, betörte die Damenwelt, eroberte in Deutschland, Europa, Amerika ein Millionenpublikum. Joseph Schmidt, Sohn orthodoxer Juden aus Czernowitz, hat es weit gebracht. 1942 aber gelten Kunst und Ruhm nichts mehr. Auf der Flucht vor den Nazis strandet der berühmte Tenor, krank, erschöpft, als einer unter Tausenden an der Schweizer Grenze. Wird er es sicher auf die andere Seite schaffen? September 1942. Joseph Schmidt, begnadeter Tenor, Liebling der Frauen, Jude, schwer krank, sitzt im Wagen eines Schleppers, der ihn aus Vichy-Frankreich über die Schweizer Grenze bringen soll. Er hat Angst vor den Nazis, Angst um sein Leben, fast so sehr aber Angst um seine Stimme, die ernsthaft angegriffen ist. Denn ihr verdankt er alles. Eine lange Odyssee über Wien, Brüssel, Südfrankreich liegt schon hinter ihm. Wird sie in der freien, demokratischen Schweiz ein gutes Ende finden? Auf der Fahrt, auf der Flucht, sucht die Vergangenheit ihn heim: seine Kindheit in der Bukowina, seine Geliebten, die Melodien seiner großen Erfolge.

Autorenporträt
Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern und schreibt Bücher für Erwachsene und für Kinder. Er ist einer der bekanntesten Autoren der Schweiz und steht mit seinen Romanen, zuletzt ›Ein Bild von Lydia‹, regelmäßig auf der Bestsellerliste.

Meine ersten Leseeindrücke

Mir gefällt das Buch sehr gut. Eine sehr authentisch geschriebene Biografie. Sie hält mich fest, dass ich Mühe habe, sie wieder loszulassen, wenn der Alltag mich draußen ruft. Aber auch ein sehr trauriges Buch, denn zu erleben, wie es ist, wenn Menschen auf ihre Gene reduziert werden, obwohl sie mehr sind als die Erbmasse, wird hier ganz plastisch gezeigt. Man wird in den Nationalsozialismus zurückversetzt, 1942, Judenverfolgung in Deutschland. Ich finde die Perspektive in diesem Buch interessant. Hier geht es um die Schweiz und darüber, wie sie sich verhält, um nicht mit Hitler anzuecken. Denn viele Juden flüchten in die Schweiz, weil die Schweiz neutral ist, steht mit keinem anderen Land im Krieg und sie möchte neutral bleiben. Wie verhält sich die Schweiz gegenüber dem Flüchtlingsstrom, wenn die Grenzen dichtgemacht werden, um nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen zu müssen und um es sich mit Hitler nicht zu verscherzen? 

Mich erinnert die Thematik an unsere heutige politische Situation. Doch dazu mehr in meiner Buchbesprechung.

Ich werde das Buch heute beenden, aber erst morgen rezensieren.

Da wir das Buch auf Whatchareadin lesen, werde ich mich dort noch an der Diskussion beteiligen.

Am Ende meiner noch folgenden Buchbesprechung verlinke ich sie wie sonst auch mit der Leserunde.

Weitere Informationen zu dem Buch

  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (24. April 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3257070527

Der Autor Lukas Hartmann hat jede Menge Preise verliehen bekommen. Hier die Auszeichnungen.

Auszeichnungen
·      ›Literaturpreis‹ Kanton Bern für Ein Bild von Lydia , 2018
·      Generationenbuchpreis ›Prix Chronos‹ für Mein Dschinn , 2016
·      ›Grosser Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern‹ für sein Gesamtwerk , 2010
·      ›Sir Walter Scott-Literaturpreis‹ für Bis ans Ende der Meere , 2010
·      Ehrenliste des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreises: Leo Schmetterling , 2001
·      Preis der Schweizerischen Schillerstiftung für Die Mohrin , 1996
·      Schweizer Jugendbuchpreis für So eine lange Nase , 1995
·      ›Luchs 108‹ von Die Zeit und Radio Bremen für Die Mohrin , 1995
·      Buchpreis der Stadt Bern für Die Seuche , 1993
·      Werkjahr der Pro Helvetia sowie von Stadt und Kanton Bern für Einer stirbt in Rom , 1988
·      Werkjahr der Pro Helvetia für Aus dem Innern des Mediums , 1983
·      Buchpreis der Schillerstiftung für Pestalozzis Berg , 1980
·      Buchpreis der Stadt Bern für Pestalozzis Berg , 1980

Hier geht es zu der Verlagsseite von Diogenes.


Freitag, 19. April 2019

Lucy Fricke / Töchter (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  

Leider musste ich das Buch wieder abbrechen. Das Erzählmuster dieses Buches ist mir zu farblos, ein Schreibkonstrukt, das mich inhaltlich so gar nicht halten und überzeugen konnte.  
Viel zu abwertend, viel zu rassistisch, viel zu stereotypisch vor allem gegenüber den Italiener*innen. Aber auch andere Themen im Buch waren mir viel zu einseitig, zu ernst, auch wenn sich Fricke um einen humorvollen Ton bemüht hat.

Ich werde ein paar Takte zum Inhalt schreiben, werde daran belegen, was mich gestört hat. Klischees, Stereotypen, Diskriminierung. Auch die Opferhaltung der Hauptfiguren hat mich angewidert.

Gelesen habe ich das Buch mit Monerl, die sich parallel zu dem Hardcover auch die audible Fassung vorgenommen hat. Am Ende meiner Buchbesprechung verlinke ich mich einmal mit Monerls Rezension, ein anderes Mal mit einer Rezension auf Amazon.

Anschließend möchte ich eine Seite eines Autors namens Robert Spasov auf meinem Blog verlinken, der auch grafisch dargestellt hat, was Stereotypen sind und wie sie entstehen. Nur nochmals zum Bewusstmachen, weil viele dieser Bilder davon eher innerlich und unbewusst existieren.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autor*inporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Betty, die Icherzählerin, von Beruf Schriftstellerin, ist Anfang 40 und befindet sich mit ihrer langjährigen Freundin Martha in einer Midlifecrisis. Betty ist eine Emanze und ohne Bindung, lebt daher als Frau ein autonomes Leben, wie sich dies viele Frauen wünschen. Aber sie ist auch stark depressiv, und dadurch auf Psychopharmaka angewiesen. Betty klingt sehr frustriert, sodass ich mich häufig gefragt habe, ob ihr ein Mann nicht doch gutgetan hätte??? Die gleichaltrige Martha ist dagegen mit Henning verheiratet. Auch sie ist frustriert, da ihr Kinderwunsch sich nicht erfüllen konnte. Beide Frauen vermissen einen Vater, den sie in der Kindheit verloren hatten und begeben sich rein zufällig auf Spurensuche, die weit bis in den Süden Europas führt …

Marthas Mutter hatte ihren Vater namens Kurt verlassen. Kurt verlor dadurch auch den Kontakt zur Tochter. Erst als der berentete Kurt an Krebs erkrankt, meldet er sich bei Martha, mit der Bitte, ihm einen letzten Wunsch zu erfüllen. Er möchte von ihr mit seinem Auto in die Schweiz gefahren werden, und möchte dort über die aktive Sterbehilfe von seinem Krebs erlöst werden.

Martha nutzt nun die Gelegenheit, mit ihm einige Fronten zu klären, weshalb er sich nicht um sie gekümmert habe, als sie noch ein Kind war und einen Vater gebraucht hätte.

Kurt erzählt Martha von einem Leben, das vor dem Leben mit ihrer Mutter begann. Er beschreibt sich:
Ich sah aus wie ein Sizilianer, (…) ich hatte noch dunkle Locken, die Leute haben mich für einen Mafioso gehalten, als ich jung war. Das war kein Vorteil. Ganz und gar nicht. Außer eben bei Francesca. (2019, 50)

Soso, nun weiß ich Bescheid, wie die Mafiosi in Sizilien alle aussehen. Francesca ist eine Italienerin, die den ach so armen, armen Kurt hat sitzen lassen, als sie in einem Lokal einen Machoitaliener kennenlernt. Sitzengelassen …

für einen richtigen waschechten Italiener. Sah aus wie aus dem Bilderbuch, Polohemd, Goldkette und ein Boot. Der Kerl hat sich einfach an unseren Tisch gesetzt und mir die Frau weggenommen. (51)

Dieser ach so böse Macho, nimmt ihm einfach die Frau weg. Nicht nur Betty und Martha, auch Kurt ist in seiner Opferhaltung gefangen.
Und ich wusste bis dato noch gar nicht, dass zum Beispeil Goldketten und Polohemden nur von Mafiosi getragen werden … Und überhaupt, was hat das mit Martha zu tun?

Die Reise mit dem Vater entpuppte sich in eine andere Richtung, die zu Francesca nach Italien führte, in die Toskana, sodass die beiden frustrierten Frauen Kurt mit dieser Frau alleine ließen, und sie ohne ihn weiterfuhren, um Bettys Vater aufzusuchen, der irgendwo in Rom begraben liegt …

In Rom angelangt, flanierten sie vorbei an Dealern, Nutten und Kleinverbrechern.

Meine Frage, woran erkennt man Kleinverbrecher?

Betty sagt dazu;
Mir kam das alles vor wie ein Klischee. (…) Das notwendige Gegenstück zum hübschen Italien, jede Toskana braucht eine Hafengasse in Genua. Auch Martha schien nicht richtig beeindruckt.
 >>Ah, so<<, sagte sie, und wir fanden es ein bisschen schade, dass sie nicht versuchten, uns die Handtasche zu klauen. (93)

Damit möchte sie wohl sagen, dass die Klischees eher Wirklichkeit sind. 

Sie fahren weiter südlich, haben ihr Ziel erst mal in Rom erreicht, wo Bettys Vater begraben liegt. Betty sucht das Grab in Bellegra auf, eine Metropolitanstadt in Rom. Sie hatte den Vater im Alter von sechs Jahren aus den Augen verloren, da sich die Eltern getrennt hatten.

Die Szene am Grab ihres Vaters fand ich grotesk. Nachzulesen auf Seite 121. Hier schwankte ich wieder, wollte das Buch zu machen, schließlich sorgte folgendes Zitat für den endgültigen Abbruch:

Martha spricht zu Betty, die im Hotelzimmer im Bett liegt:
>>Der neue Bürgermeister schmeißt eine Runde!<<>>Du riechst komisch<<, sagte ich.
Martha zuckte bloß mit den Schultern. >>Wir stinken eben, meinte sie. >>Wir tragen seit Tagen dieselben Kleider. Was erwartest du? Außerdem ist das hier nicht Venedig oder Florenz, hier stinken sie alle. Glaub mir!<<

Dass alle Menschen in Rom stinken, das gab mir nun endgültig den Rest und so schlug ich hier das Buch endgültig zu.

Was hat mich noch gestört?
Neben dieser Dieskriminierung, die ich als rassistisch empfunden habe und den dickaufgetragenen Klischees stört es mich, wenn (alle) deutschen Autor*innen ihre italienischen Figuren in die Garderobe des strengen Katholizismus` packen, mit dem Etikett 
traditionell und rückständig versehen. Sie werden auch hier im Buch als naiv, abergläubisch und dumm angepriesen. Dabei vergessen diese Autor*innen, dass auch andere europäische Länder katholisch sind, wie z.B. Österreich, Frankreich, Ungarn, Rumänien, Polen etc. Auch in Deutschland leben viele katholische Gläubige. Es gibt auf der Welt mehr Katholiken als Menschen anderer Konfessionen. Im Vatikan leben Priester aus aller Welt. Ratzinger war Deutscher. Nur schreibt darüber keiner. Immer sind es italienische Figuren, die streng katholisch und naiv hingestellt werden. 

Die Genderfrage
Die Autorin stellt hier die deutschen Männer als fortschrittlich dar; sie wechseln Babywindeln, füttern Milchflaschen, während italienische Männer immer noch Machos sind. Auch wenn das hier nur wenige hören wollen. Auch italienische Männer haben sich weiterentwickelt, ohne behaupten zu wollen, dass es den Macho nicht mehr gibt, aber hier in Deutschland möchte ich auch nicht behaupten, dass die traditionelle Rollenverteilung schon Geschichte ist, die abgehakt werden kann. In einer Umfrage von 2016 ergaben 78% der deutschen Väter, die sich noch immer in der Rolle des Ernährers sehen. Das beobachte ich auch in meinem eigenen Umfeld … Und der Haushalt wird auch hier größtenteils von Frauen geschmissen. 

Meine abschließende Frage
Wie hat dieses seicht geschriebene und wenig differenzierte Buch es inhaltlich nur zum Buchpreis geschafft? Ich konnte leider dazu noch keine Antwort finden. Es gibt so viele andere Bücher, die den Buchpreis verdient hätten. Schade. Nicht nur Monerl und ich sind über die Buchpreisvergabe überrascht. Viele andere Leser*innen auf Amazon und Buecher.de waren es auch und stellten fest, dass bepreiste Bücher keinesfalls die besseren Bücher sind.

Zudem wundert mich, wieso es so wenige Rezensent*innen gibt, die diese Klischees anmerken? Fallen sie ihnen nicht auf, weil sie selbst dieses antiquierte Italienbild in sich tragen? Oder woran könnte es noch liegen? Wie würde man reagieren, wenn es in einem Buch hieße, alle Menschen in Deutschland würden stinken?

Zum Schluss habe ich mich nochmals gefragt, wie viele Bilderbücher Fricke selbst über Italiener*innen sich betrachtet hat, bis sie ihre Geschichte gefunden hat? Für eines sind italienische Figuren doch gut; sie lassen sich immer wieder schön negativ darstellen und damit auf dem Buchmarkt gut Geld verdienen. Die Figuren können sich schließlich nicht wehren.

Gefragt habe ich mich zudem, ob die Italiener*innen schuld sind, dass Betty und Martha vaterlos aufgewachsen sind? (Kurts erste Freundin Francesca, die ihn verlassen hat und Bettys Vater Ernesto, der sich von der Mutter getrennt hat).

Hierzu ein Link zum Thema Vorurteil und Stereotypen. Wir sind ja alle nicht frei davon. Aber man kann sie auch nicht einfach so stehen lassen. Man muss sich damit auseinandersetzen, sonst wird man sich davon nie lösen können. Die Frage ist nur, will man das, sich von ihnen lösen, wenn man damit sogar noch Buchpreise gewinnen kann?

Da Monerl das Buch bis zum Ende gehört hat, weiß ich, dass sich bis zum Schluss wenig am Niveau der Geschichte geändert hat. Allerdings soll es eine kleine Abweichung zwischen dem Hörbuch und dem Printbuch geben. Nachzulesen hier.

Hier eine Rezension aus Amazon. Ich zitiere einen Ausschnitt von dem Rezensenten Borux:
Die allesamt maroden Figuren dieses satirischen Romans sind ziemlich konturlos, ihre Vita bleibt weitgehend im Dunkeln, man wüsste aber gerne mehr, das würde auch das Verständnis des Plots erleichtern. Bei der von Lebensbilanzen und Sterbensfragen dominierten Thematik des Romans stehen den beiden Heldinnen in ihrer nicht nur altersbedingt kritischen Lebensphase zwei lebensmüde Vaterfiguren gegenüber. In der Dramatik dieser illusionslosen Geschichte vor zumeist malerischer Kulisse ist allerdings ein gewisses Pathos nicht zu übersehen. Lakonisch wird immer wieder seelisch Verschüttetes zutage fördert, bedauerlich aber ist, dass diesem narrativen Element nicht weiter nachgegangen wird, es fehlt an gedanklicher Tiefe. Neben einigen Ungereimtheiten werden leider auch derart viele Klischees bedient, dass die Geschichte allzu vorhersehbar wird, sie gleitet teilweise sogar in die Kolportage ab, das Ende ist dann nur noch purer Kitsch!
         Hier geht es zur kompletten Rezension.


Mein Fazit
Ein Buch über zwei frustrierte Frauen, die keinen Humor kennen und nur destruktiv auf andere, die sie nicht wirklich kennen, herabschauen können.

Dieses Buch lebt aus meiner Sicht ausschließlich von Projektionen, ohne diese hätte Fricke sicher das Thema verfehlt.

Desweiteren zitiere ich:
Ich glaube, eins der Kernprobleme einer rassistischen Gesellschaft ist die Ignoranz derjenigen, die mit Privilegien gesegnet sind gegenüber denjenigen, die keine haben.

(In Fatma Aydemir, Eure Heimat ist unser Albtraum )

Meine Bewertung
1 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
0 Punkte: Differenzierte Charaktere
0 Punkte: Authentizität der Geschichte
0 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Drei von zwölf Punkten.

________________
Es ist leichter ein Atom zu vernichten,
als ein Vorurteil.
(Albert Einstein)

Gelesene Bücher 2019: 16
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Dienstag, 16. April 2019

Lucy Fricke / Töchter

Klappentext   
Martha und Betty kennen sich seit zwanzig Jahren. Jetzt fahren sie gemeinsam in die Schweiz, aber eher unfreiwillig. Marthas Vater sitzt auf der Rückbank und raucht und trinkt, obwohl – oder gerade weil – er todkrank ist. Was als eine finale Fahrt beginnt, ist vielmehr der Auftakt zu einem Roadtrip, der seinesgleichen sucht. Denn auch Bettys Vater, der viel zu früh aus ihrem Leben verschwand, wird zu einer weiteren Station in der Fahrt zweier Frauen, die zusammenhalten und nur schwer aufzuhalten sind. Eine groteske Reise Richtung Süden, durch die Schweiz, Italien, bis nach Griechenland, immer tiefer hinein in die Abgründe der eigenen Geschichte.

Autorenporträt
Lucy Fricke, 1974 in Hamburg geboren, wurde für ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet; zuletzt war sie Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom und im Ledig House, New York. Nach «Durst ist schlimmer als Heimweh», «Ich habe Freunde mitgebracht » und «Takeshis Haut» ist «Töchter» ihr vierter Roman. Für ihn erhielt sie den Bayerischen Buchpreis 2018. Seit 2010 veranstaltet Lucy Fricke HAM.LIT, das erste Hamburger Festival für junge Literatur und Musik. Sie lebt in Berlin.

Meine ersten Leseeindrücke
Ich bin sehr von dem Buch enttäuscht. Meine Ausgabe ist von Büchergilde, und ich dachte, dass Büchergilde nur anspruchsvolle Bücher rausbringt.
Das Buch ist sehr seicht geschrieben, sehr diskriminierend, sehr rassistisch Italiener*innen gegenüber. Sehr stereotypisch. Das Buch lebt von Projektionen.

Eigentlich wollte ich keine Bücher mehr von deutschen Autor*innen lesen, die über Italien schreiben. 

Aber dieses Buch habe ich geschenkt bekommen und ich habe den Klappentext vorher nicht gelesen, sonst hätte ich das Buch nicht angenommen. 

Ich musste es nach 127 Seiten wieder abbrechen. Und wieder hadere ich mit den Buchpreisen. Diese Autorin hat zu ihrem Werk auch noch den bayrischen Buchpreis gewonnen. Das kann ich nicht verstehen. Die Menschen aus Rom hat sie alle als stinkend beschrieben. Das war nun das i-Tüpfelchen, wo ich schon seit gestern mit mir gerungen habe, es abzubrechen. Ich werde Zitate in meiner Buchbesprechung einbringen und näher meine Einwände erörtern. Deshalb folgt eine Rezension erst in den nächsten Tagen. Der italienische Macho muss von vielen deutschen Autor*innen immer wieder neu erfunden werden, sonst können diese Autor*innen angeblich, so scheint mir, ihren Stoff nicht füllen.

Man muss nicht nach Italien fahren, um verlorene Väter aufzuspüren. Auch hierzulande gehen Familien auseinander. Statt über die Familienprobleme im eigenen Land zu schreiben, bedienen sich diese Art von Autor*innen Menschen anderer Länder. Und weil das alleine nicht ausreicht, wird noch mit alten Klischees dick aufgetragen.


Weitere Informationen zu dem Buch

Bayerischer Buchpreis 2018

Verlag Büchergilde Gutenberg, Leinen mit Schutzumschlag, farbiges Vorsatzpapier, Lesebändchen, 240 Seiten, Umschlaggestaltung von Katja Holst
Preis für Mitglieder 18,00 €

Hier geht es zur Buchbesprechung.

Sonntag, 14. April 2019

Charles Lewinsky / Der Stotterer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre    

Obwohl ich aus Mangel an Lesezeit relativ lange für dieses Buch benötigt habe, hat es mir trotzdem gefallen, wobei es im letzten Drittel ein wenig langatmig wurde. Zum Ende hin wurde es aber wieder spannend.

Ich werde mich kurzhalten müssen, da dieses Buch, das sich in der JVA abspielt, wenig Handlung bietet. Das Buch ist sehr monologisch aufgebaut, dadurch, dass der Protagonist aufgrund seiner Sprachstörung, die sich klonisches Stottern nennt, Dialoge mit anderen Menschen weitestgehend meidet.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autor*inporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Der Held dieser Geschichte ist Johannes Hosea Stärkle. Dadurch, dass Stärkle aus einer strenggläubigen katholischen Familie kommt, scheint es mir, als haben ihm die Eltern biblische Namen erteilt. Bin dem aber nicht weiter nachgegangen … Stärkle ist in Bachofens Gemeinde großgeworden. Bachofen ist der Kirchenchef, er leitet die Gemeinde, und der immer zu glauben meint, wie Störungen bei Menschen auszutreiben sind …

Stärkle leidet seit seiner Jugend an einer Sprachstörung, die er nicht in den Griff bekommt. Sowohl sein Vater als auch Bachofen möchten ihm diese Störung über körperliche Züchtigungen aus dem Leib prügeln … (S.14) Welche Rolle spielte dabei die Mutter? Sie verhielt sich passiv, hielt sich raus, wenn der Knabe mit einem Bambusstock, mit einem Gürtel, oder mit einem Tennisschläger verprügelt wurde. Frauen durften Männern hier auch nicht widersprechen. Stärkles ältere Schwester Elisabeth, auch ein biblischer Name, musste später dieselbe unterwürfige Rolle als Hausfrau und Mutter spielen, wie sie diese von ihrer eigenen Mutter vorgelebt bekommen hat ... 

Später geht hervor, wie es dazu kam, dass Stärkle plötzlich nicht mehr fließend sprechen konnte. Stress durch mehrere Schulkameraden, die ihn zum Opfer machten …

Im Laufe des Lebens entwickelte sich Stärkle zu einem Hochstapler, weshalb er im Knast sitzt. Hier lernt er den katholischen Gefängnispfarrer namens Arthur Waldemeier kennen. Die Gefängnisinsassen nennen ihn alle Padre und dieser Padre sieht in Stärkle großes geistiges Potenzial und gibt ihm den Rat, alle seine Gedanken schriftlich niederzuschreiben. Und somit schreibt Stärkle regelmäßig Briefe an den Padre, meist reflektierende Gedanken über sein bisheriges Leben und bestückt diese reichlich mit Bibelzitaten.
Stärkle ist bibelfest, kennt sämtliche Bibelzitate, über die er sarkastische Äußerungen laut werden lässt, die einen an den Rand des Zynismus treiben. Auch den Padre nimmt er mithilfe der Bibelzitate häufig auf die Schippe.

Stärkles Schreibtalent weitet sich immer mehr aus, sodass in ihm der Wunsch keimt, Schriftsteller zu werden.

Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Welche Szenen haben mir gar nicht gefallen?
Das Verhalten seiner Eltern und das des Bachofens. Bachofen entpuppte sich auch zu einem Scharlatan, der von sich überzeugt war, das sogenannte Sündige im Menschen methotisch mit Exorzismus austreiben zu können und es zu müssen.
Auch hier rächt sich Stärkle später gemeinsam mit einem Bekannten aus der Jugendzeit.

Eine weitere Szene fand ich grausam. Der Suizid von seiner Schwester Elisabeth ...

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Stärkle rächt sich an seinen Mitschüler Nils, der ihn gemobbt hat. Er musste viele Prügeleien einstecken. Die Art, wie er sich gerächt hat, fand ich sehr originell. Er schrieb an Nils mehrere anonyme Liebesbriefe und köderte ihn damit. 
Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß. Und natürlich: Gemeinheit um Gemeinheit. Nils hatte mich zum Stotterer gemacht, zum Watschemann, zur Witzfigur, hatte mich zum Opfer degradiert, lang bevor >>Opfer<< unter seinesgleichen ein gängiges Schimpfwort wurde. (2019, 52)

Ich halte nicht viel von Rache aber hier scheint ja eine andere Bewältigungstaktik unter Jungen nicht geholfen zu haben.
Stärkles Schreibtalent kam schon in seiner Schulzeit zum Einsatz, ohne dass ihm das wirklich bewusst war, denn diese erfundenen Liebesbriefe wirkten sehr authentisch. Auch später noch erfindet Stärkle Geschichten, mit deren Hilfe er sich bei verschiedenen unliebsamen Mitmenschen rächt, weshalb er sich und alle Schriftsteller als Lügner begreift. 

Interessant finde ich auch den Fragebogen, den Stärkle über sich selbst entwickelt hat. Er bezeichnet diesen Fragebogen als Der Marcel Proust Fragebogen.

Eine Frage davon lautet: Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Die der anderen. Weil man gut von ihnen leben kann.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Der Padre, der Stärkle gefördert hat, der es geschafft hat, sein Potenzial ans Licht zu rücken. Auch setzte er beim Gefängnisdirektor durch, Stärkle, der auch Bücher liebt, als Bibliothekar für die Gefängnisbibliothek zu beauftragen.

Welche Figur war mir antipathisch?
Ganz viele.

Meine Identifikationsfigur
Keine

Cover und Buchtitel            
Beides fand ich passend. Betrachtet sich Stärkle im Spiegel? Hier finde ich die Perspektive interessant. 

Zum Schreibkonzept
Man erfährt erst sehr viel später, was die Gründe sind, weshalb Stärkle im Knast sitzt. Am Anfang ist im Buch eine Widmung an Thomas abgedruckt, der sich ein anderes Buch gewünscht hätte. Auf der nächsten Seite befinden sich zwei Zitate; ein Zitat aus dem Johannesevangelium und eins von Arthur Schopenhauer. Das ganze weitere Buch ist mit Bibelzitaten und mit Zitaten von Schopenhauer verziert. Anschließend beginnt das Buch auf Seite 9, indem Stärkle an den Padre schreibt. Es gibt keine Dialoge. Alles, was man über andere Menschen erfährt, erfährt man immer über die Briefe an den Padre oder über Tagebucheintragungen. Eine Chronologie gibt es nicht. Die Struktur scheint zufällig gewählt zu sein.

Da Stärkle sich als fabulierfreudig erweist, lernt man über die Briefe, die an den Padre gerichtet sind, viele Geschichten kennen ... Dieses Buch, das arm an Dialogen ist, lebt von den Geschichten, die Stärkle schriftlich erzählt. Besonders gehaltvoll finde ich die Geschichten Der Enkeltrick; Mutter Speckmann, denke in diesem Zusammenhang an die gutgemeinte aktive Sterbehilfe. Die Geschichte mit Nils fand ich sehr spannend. Auch die Geschichte mit Bachofen und dessen Pädophilie, ein Mix zwischen Realität und Fiktion … Ich möchte nicht zu viel verraten …

Meine Meinung
Mich hat die Intellektualität des Protagonisten fasziniert, wie er versucht, auf schriftlichem Weg sein verkorkstes Leben und das seiner Mitmenschen in der Ichperspektive zu verarbeiten. Schriftlich, um nicht mit seiner Stimme reden zu müssen.
Ich liebe Worte. Ich liebe es zu lesen, und ich liebe es zu schreiben. Beim Schreiben stottere ich nicht. Win-Win. (10)

Dadurch fand ich den gesamten Schreibstil interessant. Ohne ihn hätte ich das monotone Monologisieren nicht bis zum Schluss durchstehen können. Am Ende erwartet den Leser*innen eine schöne Überraschung.

Mein Fazit
Das Durchhalten hat sich gelohnt, das Buch konnte mich in seiner Sprache und vom Inhalt her gut packen. Man hätte den Stoff allerdings ein wenig straffen können.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zwölf von zwölf Punkten.


Weitere Information zu dem Buch

Vielen herzlichen Dank an den Verlag von Diogenes für das Bereitstellen des Leseexemplars.

Vielen Dank auch an das Team von Whatchareadin für diesen tollen Buchvorschlag.

Leider konnte ich aus Zeitgründen nicht an der Leserunde teilnehmen, so wie ich es mir gewünscht hätte. Hier geht es zum regen Buchaustausch.

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Gelesene Bücher 2019: 15
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86