Montag, 16. März 2015

Lilly Lindner / Bevor ich falle (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich am Samstagnachmittag ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Eine große Wortspielerei, mit der die junge Autorin ihr Thema geschmückt hat. Dieser Schreibstil hat mir sehr zugesagt.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
»Ich war neun Jahre alt, als meine Mutter beschlossen hat, dass sie das Leben nicht mehr mag. Sie hat mich hochgehoben und ganz fest in ihre Arme geschlossen, dann hat sie mir einen Gutenachtkuss gegeben und mich in mein Bett gelegt. Meine gelbe Giraffe lag neben mir und die bunte Kuscheldecke auch. Ich weiß das noch so genau, als wäre es heute gewesen. Dabei sind Jahre vergangen, seit diesem letzten Tag in meinem Leben.« 
Durch dieses traumatische Erlebnis entwickelte die Protagonistin Cherry Tiefeis eine bulemische Essstörung und massive Autoaggressionen, indem sie sich mit den Rasierklingen in ihren Armen wiederholt lebensbedrohlich verletzte. Ein sehr ernstes Thema, trotzdem nicht aussichtslos. Der Schluss hat mir sehr gut gefallen, hatte etwas Aussöhnendes mit dem gestörten Vater, dem alle seine Gefühle   eingefroren zu sein scheinen. Der Familienname Tiefeis ist von der Autorin sicher nicht zufällig gewählt  ...

Es liegen viele Zettelchen in dem Buch, sodass ich schauen muss, wie ich sie hier einbauen kann.

Die Wortspielereien haben diese ernste Thematik ein wenig aufgelockert wie z.B. auch in der Angelegenheit, dass Cherry ihrem Vater überhaupt nicht ähnlich sein wollte, und schon gar nicht buchstabenverwandt wollte sie mit ihm sein. Ihr Vater leitet einen Buchverlag, den er widerwillig von seinem Vater nach dessen Tod übernommen hat. Er wurde gezwungen, beruflich in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, obwohl er diesen Beruf mehr als verachtete. Cherrys Vater nahm mit der Zeit durch den Beruf immer mehr negative Charakterzüge an, dass seine Frau und seine Tochter psychisch darunter leiden mussten.

Mit vierzehn Jahren, es war Weihnachten, gibt es zwischen Cherry und ihrem Vater einen massiven verbalen Zusammenstoß, dass Cherry aus dem Elternhaus fliehen musste, so sehr war sie von ihrem Vater angewidert. Der Vater hielt sie nicht einmal zurück.

Unterwegs trifft sie ihren ehemaligen Schwimmlehrer namens Landon, der die Kleine bei sich aufgenommen hat, nachdem er eine volle Ladung aggressiver Worte und Sätze an den Kopf geknallt bekommen hat. Landon hegt eine besondere Zuneigung zu dem Mädchen. Er kennt sie seit vielen Jahren und ihm war das Mädchen schon immer besonders sympathisch. Als er mit Cherrys Vater telefoniert, um ihm mitzuteilen, dass seine Tochter sich bei ihm befindet und er sich keine Sorgen zu machen brauche, erwidert dieser, dass er sich keine Sorgen machen würde, sie solle bloß nicht wieder zurückkommen. Landon war sprachlos …

Landon übernahm die Fürsorge für Cherry, allerdings ohne Bürokratie, ohne das Eingreifen des Jugendamts. Cherry zieht bei Landon ein. Eine schwere Aufgabe hat er dadurch übernommen. Nicht nur, dass er mit dem eruptiven Wortrausch fertig werden musste, Cherry selbst bezeichnet diese Form der Kommunikation als eine Sprachkriminalität.  Nein, auch die psychischen Erkrankungen musste Landon mit auffangen. Landon gilt als ein selbstloser Mensch mit einem riesengroßen Herzen, der dem seelisch heimatlosen Mädchen ein neues Zuhause schenkt.

Auch wenn Landon einen Großteil der Aggressionen abbekommt, die eigentlich dem lieblosen Vater gelten, gibt er das Mädchen nicht auf und hilft, wo er nur kann:
Du musst begreifen, dass du einen Wert besitzt, und dieser Wert ist zu groß, als dass man ihn auf einen Grabstein drucken könnte. Cherry, das ist dein Leben, du entscheidest, was für ein Mensch du sein möchtest. Du allein! Also reiß dich zusammen und übernimm Verantwortung für dich. 
Cherry vermisst auch nach Jahren noch ihre Mutter, hat große Sehnsucht, fühlt sich schuldig, dass sie sich das Leben genommen hat. Ihr Vater machte sie für diese Tat verantwortlich. In Wirklichkeit hat sich die Mutter wegen des Vaters suizidiert. Sie hielt den seelischen Druck nicht mehr aus, mit einem Mann weiterhin verheiratet zu sein, der überwiegend zu Destruktionen neigt. Scheidung durch den Tod …

Cherry ist ein sehr sensibler und fantasiebegabter junger Mensch ... Mit den Jahren entwickelt sich aus einem Trauma eine  Persönlichkeitsstörung mit psychotischen Tendenzen.

Ihren Namen Cherry, Kirsche, bezeichnet sie selbst als Fallobst. In fast jedem Wort findet sie ein Bild, dermaßen stark ist ihre verbale Kreativität.

Cherry wird erwachsen, mit ihr auch die psychische Erkrankung, obwohl sie sehr erfolgreich ist in ihrem Leben. Die Sucht, sich mit der Rasierklinge zu zerstückeln, nimmt immer mehr zu ... Cherry beendet die Schule ohne großen Aufwand mit Bravour und findet eine Musikgruppe, in der sie die lyrischen Songs zu der Musik schreibt.

Ihr Vater riet ihr damals, als sie noch ein Kind war, vom Schreiben ab:
„Überlege dir genau, was du später für einen Beruf ergreifst! Überlege es dir haargenau! Und wo auch immer deine eingeschränkten Gedankengänge enden, werde bloß keine Schriftstellerin, denn dann kannst du genauso gut gleich in die Klapse ziehen."

Dazu aus Cherrys Sicht:
Ich war damals noch zu klein, um Worte wie Klapse zu verstehen, aber ich habe sofort begriffen, dass es ein großes Verbrechen oder zumindest eine schreckliche Schande sein muss, Bücher zu schreiben. Und ich wusste auch, dass meine Mutter immer nur heimlich gelesen hat, auf dem Dachboden. Dort hatte sie einen Karton mit Büchern versteckt, denn mein Vater hat immer felsenfest behauptet, dass er allergisch gegen Buchstabenfussel und Wortmilben sei. (…)
Vater:  
"Ich dulde in meinem Haus keine Wortschäden vom psychotischen Weltumseglern! Literatur ist etwas für schwergewichtige Satzfresser! Ich hasse Poesie! Und was ich noch viel mehr hasse als Poeten, sind die schleimigen Danksagungen, die diese Idioten verzapfen.“  
Was sind Worte? Für die suchende Cherry lebende Laute, befreiender oder aber auch zerstörender Art. Sie sucht in ihnen Halt, Stabilität: 
Du wirst schon sehen. Irgendwann.
Hinter der Nacht, in deiner Stille.
Irgendwo. Findet dich ein Wort.
An das du dich halten kannst. 
Cherry experimentiert mit ihrem Leben, erleidet aber immer wieder Rückschläge, vor allem auch, als sie nicht mehr bei Landon wohnt und in einer eigenen Wohnung lebt. Sie sehnt sich nach Familie zurück. Doch Landon bleibt im Hintergrund präsent. Hilft ihr immer wieder auf die Beine. Manchmal mit Druck, aber oft mit Liebe, mit Ausdauer und mit Beistand. Er ist es, der sie hält, bevor sie fällt ...

In dem Wort versuchsweise entdeckt Cherry, dass Versuchen weise ist. Mit dieser Einstellung zieht sie durchs Leben.

Den Vater bezeichnet Cherry als buchstabenbetrunkenen Vollidioten. In der Arbeit im Verlagswesen hat er natürlich mit Manuskripten, Autoren und mit Büchern zu tun.

Als Cherry acht Jahre alt war, befand sich der Vater wegen eines Lungenbruchs im Krankenhaus. Dazu die Gedanken des Vaters:
Wenigstens ist dieses Krankenhaus nicht so wortverseucht wie das buchstabeninfizierte Verlagsgebäude! Hier kann man in aller Seelenruhe herumliegen, ohne dass irgendwer mit einem vergessenen Punkt, oder einem gottverdammten Apostroph angerannt kommt. Und hier gibt es auch keine nervtötenden Schriftsteller, die ihre Lebenskrisen in Form von autobiografischen Texten verarbeiten und anschließend an ihren eigenen Aussagen scheitern!
Der Vater ist ebenfalls mit viel Wortfantastereien gesegnet, und Cherry erkennt, dass sie ihrem Vater ähnlicher ist als sie glauben möchte.

Cherry geht ihren Weg, doch sie hatte auch Glück, dass sie einem Menschen wie Landon begegnet ist, der ihr väterlich zur Seite steht, unabhängig davon, wie belastend die Psyche dieses jungen Menschen auch ist.

Ich kann dieses Buch vor allem auch jungen Mädchen empfehlen, da es neben der Destruktivität auch sehr viel Aufbauendes und Hoffnungsvolles in dem Buch gibt.

Relative Heilung findet Cherry vor allem auch in ihren Selbstreflexionen. Sie hat so viel Bewusstheit, die es ihr  ermöglicht, ihr Verhalten zu hinterfragen. Ehrlich zu sich selbst zu sein ist auch ein Schritt zum genesenden Leben. 

Viele junge Mädchen, die aus einem instabilen Elternhaus kommen, entwickeln ähnlich wie Cherry dieselben Symptome. Selbstverletzendes Verhalten verbunden mit einer Essstörung ist nicht gerade selten, weshalb ich zu diesem Buch aufmuntern möchte.

Z.B. zählt die Vergebung in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der psychischen Erkrankung mit zum Heilungsprozess ...

Lediglich die Psychotherapie, in die sich Cherry begibt, kommt mir ein wenig unseriös vor. Nicht, dass das unrealistisch ist. In der Landschaft der Psychotherapeuten gibt es genug inkompetente Helfer.  

Das Buch erhält von mir wegen der Art, wie die Autorin das Thema bearbeitet hat und wegen der  fantasievollen und der kreativen Sprachgewandtheit zehn von zehn Punkten.

Ich freue mich auf das nächste Buch von der Autorin.

_________
Das Leben ist zu kurz für Nebensätze.
(Lilly Lindner)

Gelesene Bücher 2015: 13
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Donnerstag, 12. März 2015

Lilly Lindner / Bevor ich falle


Klappentext
»Ich war neun Jahre alt, als meine Mutter beschlossen hat, dass sie das Leben nicht mehr mag. Sie hat mich hochgehoben und ganz fest in ihre Arme geschlossen, dann hat sie mir einen Gutenachtkuss gegeben und mich in mein Bett gelegt. Meine gelbe Giraffe lag neben mir und die bunte Kuscheldecke auch. Ich weiß das noch so genau, als wäre es heute gewesen. Dabei sind Jahre vergangen, seit diesem letzten Tag in meinem Leben.«


Autorenporträt
Lilly Lindner wurde 1985 in Berlin geboren. Bereits mit fünfzehn begann sie autobiographische Texte und Romane zu schreiben. Viel Zeit verbringt sie heute mit der Arbeit mit Kindern.

Das ist das erste Buch von der Autorin, das ich lese. Auf meinem kleinen ungelesenen Stapel befindet sich noch ein anderes Buch von ihr. Das vorliegende Buch gefällt mir ganz gut. Habe die ersten hundert Seiten durch und bin zuversichtlich, dass die folgenden Seiten weiter interessant sein werden.

Mal schauen.


Mittwoch, 11. März 2015

Mohammad, der Prophet (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ich habe das Buch am letzten Montag beendet und es hat mich mehr als bereichert. Ich kann immer besser verstehen, weshalb der Autor aus seiner Heimat fliehen musste.

Ich habe mir viele Zettelchen in das Buch gelegt, ich werde aber nicht alle bearbeiten können. Während des Lesens fragte ich mich immer wieder, ob Mohammad tatsächlich so gelebt hat? Ein fiktiver Roman? Nein, nicht ganz. Eine fiktive Biografie. Ich werde gleich den Anhang des Buches voranstellen.
Der vorliegende Roman über Mohammads Leben, eigentlich ein Roman über die Entstehung einer Biografie, verdankt sich Abdolahs langjähriger Beschäftigung mit dem Koran, der in den Niederlanden in Abdolahs Übertragung erschien, und zwar gleichzeitig mit dem Roman. Während seiner Übersetzungsarbeit am Koran wuchs in Abdolah die Überzeugung, das heilige Buch des Islam sei nicht zu verstehen für den, der vom Propheten und seinem Leben nichts wisse. Also erfand er Zayd, den Prototyp des getreuen Diener, der seinem Herrn rückhaltlos folgt, zugleich aber seine Arbeit als Chronist ernst nimmt und gewissenhaft aufschreibt, was ihm andere berichten. Und so entstand das facettenreiche Bild eines Menschen, in dessen Entwicklung sich auch heutige Leser hineinversetzen können. In der Einleitung zu seiner Übersetzung schreibt Abdolah, eigentlich sei es unmöglich, den Koran zu übersetzen. Die Schönheit von Mohammads Sprache geht dabei verloren, und da jede Sure unendlich vieldeutig sei, könne man sie auch auf sehr unterschiedliche Weise übersetzen. Fehler seien dabei unumgänglich. Und wenn an seiner Interpretation etwas nicht stimme, so liege das eben an seiner Unwissenheit wie an seiner Liebe zu Mohammads Prosa.Er bedauere es, dem (...) Leser den ursprünglichen Geschmack von Mohammads Suren nicht wirklich vermitteln zu können. Es sei ihm aber vielleicht gelungen, so hoffe er, >ein Loch in die Mauer< zu schlagen, durch das der Leser wenigstens einen Blick>>in Mohammads Gärten<< werfen kann.
Damit ist Abdolahs Hauptanliegen bei seiner Koranübersetzung benannt. Um dem westlichen Leser den Zugang zu erleichtern, hat er die Suren neu, und zwar chronologisch geordnet, vielen eine kurze historische Erläuterung vorangestellt und manche beträchtlich gekürzt. Die dichterische Freiheit ist dabei unübersehbar, aber immer von tiefem Respekt vor der >>göttlichen Prosa<< des Propheten getragen.In der fiktiven Biografie Mohammads, die das Pendant zur Koranübersetzung bildet, kommen natürlich ständig Suren vor, die der Chronist Zayd aus dem Gedächtnis zitiert oder andere zitieren lässt. Auch im Umgang mit diesen Zitaten lässt Abdolah dichterische Freiheit walten, hin und wieder weicht er sogar von seiner eigenen Koranübersetzung ab. Als ich ihn nach dem Grund dieser Variation fragte, antwortete der Autor lächelnd: >>Als Zayd Zeugnisse für sein Buch sammelt und eigene Erinnerungen wachruft, zitiert er Suren aus dem Gedächtnis, die erst viel später in ihrer endgültigen Form festgelegt wurden. Wer kann denn behaupten, alles genauso zu behalten, wie er es gehört hat!<<
Das heißt auch, die fiktiven Teile im Text, bzw. auch  Figuren, wie z.B. der Chronist Zayd, waren dem Autor wichtig, um uns LeserInnen Mohammads Leben verständlicher zu machen.

Allerdings muss ich sagen, dass mir die Verse nicht wirklich zugesagt haben. Ich kann mir vorstellen, dass die dichterische Schönheit durch die Übersetzung viel Einbußen hat hinnehmen müssen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Zayd, der Adoptivsohn des Propheten, erhält nach dessen Tod von den Anführern des Islam eine ehrenvolle Aufgabe: Er soll Allahs Offenbarungen an Mohammad sammeln, indem er alle befragt, die sie gehört haben. Ein Jahr lang reist und arbeitet er, bis der Koran fertig ist. Doch das Buch wird abgelehnt - starke Gegner unter den Muslimen wollen eine andere Lehre. Da begreift Zayd, dass er der Einzige ist, der das Leben Mohammads aufzeichnen kann, ohne dass die Erinnerung an den Propheten umgedeutet und verändert wird. Erneut macht er sich auf die Reise und redet mit denjenigen, die Mohammad kannten: seiner Familie, seinen Dienern, den Wissenschaftlern und den Dichtern, seinen Freunden und Feinden. Ein Reigen aus Geschichten entsteht, in farbenfrohen Szenen schildert Zayd das Leben des Propheten von der Geburt bis zum Tod. Und dieses Leben erweist sich als der Schlüssel zum Koran: Als Zayd im Licht seiner Erfahrungen auf der Reise den Koran neu ordnet, wird das Buch als die wahre Lehre angenommen.
Da wir vor ein paar Tagen den Internationalen Frauentag gefeiert haben, kam mir das Buch zur rechten Zeit. Denn Mohammad war ein Prophet, der sich auch für die Rechte der Frauen eingesetzt hatte. Er fand eine Bibelstelle, aus der er Pharaos Weisungen entnahm:
Da gebot Pharao allem seinem Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft ins Wasser, und alle Töchter lasst leben.
Mohammad beobachtete an seinen Landsleuten die schlechte Behandlung an den Frauen. Er bereiste die Welt und kam weise wieder zurück und sprach zu Zayd: 
Die Welt ist in Bewegung, wir aber stehen still. In den Nachbarländern achten die Männer ihre Frauen, während wir uns ihrer schämen und unsere neugeborenen Töchter töten. In diesen Ländern werden Kinder mit Liebe behandelt, aber wir stecken sie wie Hunde in Käfige und verkaufen sie auf dem Markt. Alle anderen haben einen neuen Propheten gehabt und ein heiliges Buch, nur wir haben keins von beiden.  
Mohammad machte sich bei seinen Landsleuten unbeliebt, wurde als Frauenheld beschimpft, doch Mohammad ließ nicht locker:
TÖCHTER waren nichts wert, und die Väter schämten sich ihrer. Mohammad verkündet: Haltet ein! Haltet ein mit der Demütigung eurer Frauen. Das Paradies liegt zu Füßen der Mütter! (…) Allah hat mich beauftragt, euch hier zusammenzurufen und euch Folgendes zu sagen: Eine mächtige Armee, Allahs Armee, steht hinter diesem Berg und wird euch bestrafen für das, was ihr euren Sklaven antut, was ihr euren Frauen antut, was ihr euren neugeborenen Töchtern antut.
Die Frauen sollten auch am Erbe beteilig werden, indem sie die Hälfte von dem bekommen, was ihre Männer erben. Mohammad machte sich bei den Herrschenden immer unbeliebter. Sein Leben geriet immer mehr in Gefahr …

Noch bevor Mohammad Botschaften von oben erhalten hatte, war er anders als alle anderen. Er sah in den Menschen, in der Natur, in den Tieren den Schöpfer. Diese galten für ihn schon als Beweis genug für die Existenz Gottes. Später, als Mohammad sich als Prophet erkenntlich zeigte, verlangten die Menschen von ihm Beweise und lachten ihn aus, als er die Natur als Gottesbeweis deklarierte:
Warum denken die Menschen nicht nach? Warum fragen sie sich nicht, wer die Himmel, die Meere, die Berge, die Bienen und die Frauen erschaffen hat? Wer lässt das Wasser vom Himmel fallen? Er muss doch jemand sein. Ein Gott, der Gott, der Moses gesandt hat, der Gott, der Jesus gesandt hat, der Gott, der Ibrahim gesandt hat. Es gibt nur einen Schöpfer. Er ist Einer und es gibt nichts außer ihm...
Doch Mohammad haderte auch sehr mit Allah. Er verglich sich mit anderen Propheten, z.B. mit Jesus, Dawud …, die aus seinem Empfinden näher bei Gott standen als er. Er zweifelte an sich, und stellte sich die Frage, weshalb  Gott gerade ihn zu seinem Gesandten gemacht hat, Mohammad, der nur ein Waisenjunge war?  In seiner Not fühlte er sich nicht gehört, doch das änderte sich recht bald. Mohammad zog sich in die Berge zurück, wo er in aller Stille, in aller Zurückgezogenheit Gottes Botschaften empfing, was ihn mit Freude und Dankbarkeit erfüllte.

Auf Seite 103 geht es um den Begriff des Islams, der durch den Propheten neu eingeführt wurde, und Unterwerfung bedeutete. Interessant. Wusste ich vorher nicht. Die Machthaber des islamischen Glaubens sind alles andere als unterwürfig. In der Demut liegt die Kraft des Glaubens, doch die Herrscher sind alles andere als demutsvoll.

Mohammads sehr junge und hübsche Frau Aischa geriet in Verruf und man bezichtigte sie der Untreue, als sie länger ausblieb, als beabsichtigt. Mohammad stand selbst unter Druck der lästernden Mäuler, er hatte Angst, dass an dem Gerücht etwas dran sein könnte, und konfrontiert Aischa mit vorwurfsvollen Fragen. Als er merkt, dass ihr Unrecht getan wurde, verkündet Mohammad:
Denjenigen, die ehrbaren Frauen Untreue vorwerfen, jedoch nicht vier Zeugen beibringen können, verabreicht achtzig Peitschenhiebe. Nehmt von ihnen nie mehr eine Zeugenaussage an. Es sind ruchlose Menschen.Diejenigen, die nichtsahnenden ehrbaren Frauen Ausschweifungen vorwerfen, sind verflucht in diesem Leben und im Jenseits. (…) An jedem Tag wird Gott ihnen die gebührende Strafe zukommen lassen. Und sie werden erkennen, dass Allah die lautere Wahrheit ist.Mohammad, sag den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Keuschheit bewahren. Das ist lauterer für sie. Allah weiß alles.
Damit die Frauen in Zukunft vor falschen Verleumdungen geschützt sind, und   auch vor sexistischen Männern, wurde der Schleier eingeführt: 
Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Keuschheit bewahren, ihren Schmuck nicht offen zeigen, mit Ausnahme dessen, was auch sonst sichtbar ist. Sie sollen ihre Tücher über ihre Brüste ziehen und ihre Reize vor niemandem enthüllen als vor ihren Ehegatten, ihren Vätern, den Vätern ihrer Ehegatten … Und von da an mussten Frauen in der Öffentlichkeit einen Schleier tragen, sie durften fremden Männern ihre Schönheit nicht mehr zeigen.
Von da an begannen die Leute, ihre Haustüren mit Türklopfer zu versehen. Wenn die Frauen das Klopfen hörten, zogen sie sich in ihre Zimmer zurück.
Nun, soviel zur Einführung der neuen Kleiderordnung.
Mohammad verhielt sich zwar gerechter zu den Frauen, doch auch er lebte polygam. Aber er behandelte seine Frauen wie Königinnen …

Wer mehr zu dem Buch wissen möchte, immerhin gibt es noch Thesen zu dem Propheten Jesus, der als Sohn Gottes von Mohammad nicht anerkannt werden konnte, denn Allah sei ein EINZIGER und habe keinen Sohn. Allah würde nicht zeugen, und Allah selbst wurde nicht gezeugt. Lest selbst.

Mein Fazit:
Ich habe nun ein besseres Verständnis zu dem Propheten Mohammad und seinem Leben erhalten, was dem Autor ja wichtig ist, diesen den Menschen aus der westlichen Welt nahezubringen. Sein Ziel hat er erreicht. Ich hege aber nicht den Anspruch, mit diesem einen Buch alles von Mohammad zu kennen.

Dennoch, wenn man sich in die damalige Zeit zurückversetzt, war der Islam alles andere als rückständig.

Für mich sind die Fundamentalisten keine gläubigen Menschen. Es geht ihnen nur um Macht und um Besitztümer, weniger um Gott selbst, sie benutzen Gott, und führen in dessen Namen den heiligen Krieg.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

_________
Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 12
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Samstag, 7. März 2015

Kader Abdolah / Mohammad, der Prophet

Klappentext
Zayd, der Adoptivsohn des Propheten, erhält nach dessen Tod von den Anführern des Islam eine ehrenvolle Aufgabe: Er soll Allahs Offenbarungen an Mohammad sammeln, indem er alle befragt, die sie gehört haben. Ein Jahr lang reist und arbeitet er, bis der Koran fertig ist. Doch das Buch wird abgelehnt- starke Gegner unter den Muslimen wollen eine andere Lehre. Da begreift Zayd, dass er der einzige ist, der das Leben Mohammads aufzeichnen kann, ohne dass die Erinnerung an den Propheten umgedeutet und verändert wird. Erneut macht er sich auf die Reise und redet mit denjenigen, die Mohammad kannten: seiner Familie, seinen Dienern, den Wissenschaftlern und den Dichtern, seinen Freunden und Feinden. Ein Reigen aus Geschichten entsteht, in farbenfrohen Szenen schildert Zayd das Leben desPropheten von der Geburt bis zum Tod. Und dieses Leben erweist sich als der Schlüssel zum Koran: Als Zayd im Licht seiner Erfahrungen auf der Reise den Koran neu ordnet, wird das Buch als die wahre Lehre angenommen.


Autorenporträt
Kader Abdolah, 1954 im Iran geboren, studierte Physik in Teheran und war in der Studentenbewegung aktiv. 1988 floh er aus politischen Gründen mit seiner Familie nach Holland, wo er heute in der Nähe von Amsterdam lebt. Kader Abdolah zählt zu den bedeutendsten iranischen Exilschriftstellern und ist in den Niederlanden ein Bestsellerautor.
Mal ein ganz exotisches Buch. Nach ein paar wenigen Seiten wurde mir schon klar, weshalb dieser iranische Autor im Ausland im Exil lebt.

Zu diesem Buch ist mir die Buchbesprechung verloren gegangen. Ich habe keine Ahnung, wie dies passieren konnte, da hier im Blog normalerweise nichts verloren geht. Merkwürdig ...

Ich füge sie nun hier ein, kopiert aus meinen Unterlagen, den Literaturmappen. Ich habe sie am 11.03.2015 geschrieben:


Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Ich habe mir viele Zettelchen in das Buch gelegt, ich werde aber nicht alle bearbeiten können. Während des Lesens fragte ich mich immer wieder, ob Mohammad tatsächlich so gelebt hat? Ein fiktiver Roman? Nein, nicht ganz. Eine fiktive Biografie. Ich werde gleich den Anhang des Buches voranstellen.

Der vorliegende Roman über Mohammads Leben, eigentlich ein Roman über die Entstehung einer Biografie, verdankt sich Abdolahs langjähriger Beschäftigung mit dem Koran, der in den Niederlanden in Abdolahs Übertragung erschien, und zwar gleichzeitig mit dem Roman. Während seiner Übersetzungsarbeit am Koran wuchs in Abdolah die Überzeugung, das heilige Buch des Islam sei nicht zu verstehen für den, der vom Propheten und seinem Leben nichts wisse. Also erfand er Zayd, den Prototyp des getreuen Diener, der seinem Herrn rückhaltlos folgt, zugleich aber seine Arbeit als Chronist ernst nimmt und gewissenhaft aufschreibt, was ihm andere berichten. Und so entstand das facettenreiche Bild eines Menschen, in dessen Entwicklung sich auch heutige Leser hineinversetzen können. In der Einleitung zu seiner Übersetzung schreibt Abdolah, eigentlich sei es unmöglich, den Koran zu übersetzen. Die Schönheit von Mohammads Sprache geht dabei verloren, und da jede Sure unendlich vieldeutig sei, könne man sie auch auf sehr unterschiedliche Weise übersetzen. Fehler seien dabei unumgänglich. Und wenn an seiner Interpretation etwas nicht stimme, so liege das eben an seiner Unwissenheit wie an seiner Liebe zu Mohammads Prosa.Er bedauere es, dem (...) Leser den ursprünglichen Geschmack von Mohammads Suren nicht wirklich vermitteln zu können. Es sei ihm aber vielleicht gelungen, so hoffe er, >ein Loch in die Mauer< zu schlagen, durch das der Leser wenigstens einen Blick>>in Mohammads Gärten<< werfen kann.
Damit ist Abdolahs Hauptanliegen bei seiner Koranübersetzung benannt. Um dem westlichen Leser den Zugang zu erleichtern, hat er die Suren neu, und zwar chronologisch geordnet, vielen eine kurze historische Erläuterung vorangestellt und manche beträchtlich gekürzt. Die dichterische Freiheit ist dabei unübersehbar, aber immer von tiefem Respekt vor der >>göttlichen Prosa<< des Propheten getragen.In der fiktiven Biografie Mohammads, die das Pendant zur Koranübersetzung bildet, kommen natürlich ständig Suren vor, die der Chronist Zayd aus dem Gedächtnis zitiert oder andere zitieren lässt. Auch im Umgang mit diesen Zitaten lässt Abdolah dichterische Freiheit walten, hin und wieder weicht er sogar von seiner eigenen Koranübersetzung ab. Als ich ihn nach dem Grund dieser Variation fragte, antwortete der Autor lächelnd: >>Als Zayd Zeugnisse für sein Buch sammelt und eigene Erinnerungen wachruft, zitiert er Suren aus dem Gedächtnis, die erst viel später in ihrer endgültigen Form festgelegt wurden
. Wer kann denn behaupten, alles genauso zu behalten, wie er es gehört hat!<<

Das heißt auch, die fiktiven Teile im Text, bzw. auch  Figuren, wie z.B. der Chronist Zayd, waren dem Autor wichtig, um uns LeserInnen Mohammads Leben verständlicher zu machen.

Allerdings muss ich sagen, dass mir die Verse nicht wirklich zugesagt haben. Ich kann mir vorstellen, dass die dichterische Schönheit durch die Übersetzung viel Einbußen hat hinnehmen müssen.

Da wir vor ein paar Tagen den Internationalen Frauentag gefeiert haben, kam mir das Buch zur rechten Zeit. Denn Mohammad war ein Prophet, der sich auch für die Rechte der Frauen eingesetzt hatte. Er fand eine Bibelstelle, aus der er Pharaos Weisungen entnahm:

Da gebot Pharao allem seinem Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft ins Wasser, und alle Töchter lasst leben.

Mohammad beobachtete an seinen Landsleuten die schlechte Behandlung an den Frauen. Er bereiste die Welt und kam weise wieder zurück und sprach zu Zayd: 

Die Welt ist in Bewegung, wir aber stehen still. In den Nachbarländern achten die Männer ihre Frauen, während wir uns ihrer schämen und unsere neugeborenen Töchter töten. In diesen Ländern werden Kinder mit Liebe behandelt, aber wir stecken sie wie Hunde in Käfige und verkaufen sie auf dem Markt. Alle anderen haben einen neuen Propheten gehabt und ein heiliges Buch, nur wir haben keins von beiden.  

Mohammad machte sich bei seinen Landsleuten unbeliebt, wurde als Frauenheld beschimpft, doch Mohammad ließ nicht locker:

TÖCHTER waren nichts wert, und die Väter schämten sich ihrer. Mohammad verkündet: Haltet ein! Haltet ein mit der Demütigung eurer Frauen. Das Paradies liegt zu Füßen der Mütter! (…) Allah hat mich beauftragt, euch hier zusammenzurufen und euch Folgendes zu sagen: Eine mächtige Armee, Allahs Armee, steht hinter diesem Berg und wird euch bestrafen für das, was ihr euren Sklaven antut, was ihr euren Frauen antut, was ihr euren neugeborenen Töchtern antut.

Die Frauen sollten auch am Erbe beteilig werden, indem sie die Hälfte von dem bekommen, was ihre Männer erben. Mohammad machte sich bei den Herrschenden immer unbeliebter. Sein Leben geriet immer mehr in Gefahr …

Noch bevor Mohammad Botschaften von oben erhalten hatte, war er anders als alle anderen. Er sah in den Menschen, in der Natur, in den Tieren den Schöpfer. Diese galten für ihn schon als Beweis genug für die Existenz Gottes. Später, als Mohammad sich als Prophet erkenntlich zeigte, verlangten die Menschen von ihm Beweise und lachten ihn aus, als er die Natur als Gottesbeweis deklarierte:

Warum denken die Menschen nicht nach? Warum fragen sie sich nicht, wer die Himmel, die Meere, die Berge, die Bienen und die Frauen erschaffen hat? Wer lässt das Wasser vom Himmel fallen? Er muss doch jemand sein. Ein Gott, der Gott, der Moses gesandt hat, der Gott, der Jesus gesandt hat, der Gott, der Ibrahim gesandt hat. Es gibt nur einen Schöpfer. Er ist Einer und es gibt nichts außer ihm...

Doch Mohammad haderte auch sehr mit Allah. Er verglich sich mit anderen Propheten, z.B. mit Jesus, Dawud …, die aus seinem Empfinden näher bei Gott standen als er. Er zweifelte an sich, und stellte sich die Frage, weshalb  Gott gerade ihn zu seinem Gesandten gemacht hat, Mohammad, der nur ein Waisenjunge war?  In seiner Not fühlte er sich nicht gehört, doch das änderte sich recht bald. Mohammad zog sich in die Berge zurück, wo er in aller Stille, in aller Zurückgezogenheit Gottes Botschaften empfing, was ihn mit Freude und Dankbarkeit erfüllte.

Auf Seite 103 geht es um den Begriff des Islams, der durch den Propheten neu eingeführt wurde, und Unterwerfung bedeutete. Interessant. Wusste ich vorher nicht. Die Machthaber des islamischen Glaubens sind alles andere als unterwürfig. In der Demut liegt die Kraft des Glaubens, doch die Herrscher sind alles andere als demutsvoll.

Mohammads sehr junge und hübsche Frau Aischa geriet in Verruf und man bezichtigte sie der Untreue, als sie länger ausblieb, als beabsichtigt. Mohammad stand selbst unter Druck der lästernden Mäuler, er hatte Angst, dass an dem Gerücht etwas dran sein könnte, und konfrontiert Aischa mit vorwurfsvollen Fragen. Als er merkt, dass ihr Unrecht getan wurde, verkündet Mohammad:

Denjenigen, die ehrbaren Frauen Untreue vorwerfen, jedoch nicht vier Zeugen beibringen können, verabreicht achtzig Peitschenhiebe. Nehmt von ihnen nie mehr eine Zeugenaussage an. Es sind ruchlose Menschen.Diejenigen, die nichtsahnenden ehrbaren Frauen Ausschweifungen vorwerfen, sind verflucht in diesem Leben und im Jenseits. (…) An jedem Tag wird Gott ihnen die gebührende Strafe zukommen lassen. Und sie werden erkennen, dass Allah die lautere Wahrheit ist.Mohammad, sag den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Keuschheit bewahren. Das ist lauterer für sie. Allah weiß alles.

Damit die Frauen in Zukunft vor falschen Verleumdungen geschützt sind, und   auch vor sexistischen Männern, wurde der Schleier eingeführt: 

Und sag den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Keuschheit bewahren, ihren Schmuck nicht offen zeigen, mit Ausnahme dessen, was auch sonst sichtbar ist. Sie sollen ihre Tücher über ihre Brüste ziehen und ihre Reize vor niemandem enthüllen als vor ihren Ehegatten, ihren Vätern, den Vätern ihrer Ehegatten … Und von da an mussten Frauen in der Öffentlichkeit einen Schleier tragen, sie durften fremden Männern ihre Schönheit nicht mehr zeigen.
Von da an begannen die Leute, ihre Haustüren mit Türklopfer zu versehen. Wenn die Frauen das Klopfen hörten, zogen sie sich in ihre Zimmer zurück.

Nun, soviel zur Einführung der neuen Kleiderordnung.
Mohammad verhielt sich zwar gerechter zu den Frauen, doch auch er lebte polygam. Aber er behandelte seine Frauen wie Königinnen …

Wer mehr zu dem Buch wissen möchte, immerhin gibt es noch Thesen zu dem Propheten Jesus, der als Sohn Gottes von Mohammad nicht anerkannt werden konnte, denn Allah sei ein EINZIGER und habe keinen Sohn. Allah würde nicht zeugen, und Allah selbst wurde nicht gezeugt. Lest selbst.

Mein Fazit:
Ich habe nun ein besseres Verständnis zu dem Propheten Mohammad und seinem Leben erhalten, was dem Autor ja wichtig ist, diesen den Menschen aus der westlichen Welt nahezubringen. Sein Ziel hat er erreicht. Ich hege aber nicht den Anspruch, mit diesem einen Buch alles von Mohammad zu kennen.

Dennoch, wenn man sich in die damalige Zeit zurückversetzt, war der Islam alles andere als rückständig.

Für mich sind die Fundamentalisten keine gläubigen Menschen. Es geht ihnen nur um Macht und um Besitztümer, weniger um Gott selbst, sie benutzen Gott, und führen in dessen Namen den heiligen Krieg.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

_________
Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

Gelesene Bücher 2015: 12
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86









Freitag, 6. März 2015

Erik Fosnes Hansen / Das Löwenmädchen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Lesen mit Anne ...

Das Buch habe ich noch gestern Abend ausgelesen und nun warte ich, bis meine Bücherfreundin Anne auch damit durch ist. Es besteht durchaus Gesprächsbedarf.
Das Buch hat mir recht gut gefallen. Auch liest es sich schön flüssig und die Idee ist mehr als originell. Und trotzdem bin ich mir mit meiner Meinung noch nicht ganz schlüssig ...

Ich habe mal ein wenig recherchiert und die Erkrankung bzw. vielmehr die Anomalie, unter der die Protagonistin Eva Arctander leidet, gibt es tatsächlich. Also keine reine Fiktion?
Ursachen gibt es viele. Es können auch hormonelle Störungen für diese Erscheinung verantwortlich gemacht werden.
Eva Arctander kommt mit einem hellen Fell zur Welt, das an ein Tier wie z.B. einer Katze denken lässt, weshalb wohl auch das Buch mit Das Löwenmädchen betitelt wurde. Der Autor hat sich allerdings nicht festgelegt, was die Ursache dieser Anomalie letztendlich ist, obwohl ein ganzer Schwarm von medizinischen Fachleuten an dem Mädchen zugange waren.

Diese Form der Körperbehaarung wird in der Fachsprache als  Hirsutismus bezeichnet. Zu dick aufgetragen? Eine tierische Körperbehaarung am menschlichen Körper? Ich kann mir schon vorstellen, dass es Menschen gibt, die mit einer stärkeren Behaarung geboren werden als der Durchschnittsmensch. Aber jemand mit Katzenfell?

Bin noch immer am Grübeln, was der Autor eigentlich mit seinem Buch sagen möchte. Etwa, dass Normalität schwer zu definieren - und alles nur relativ ist? Zum Ende des Buches wird man als LeserIn noch mit vielen weiteren Kreaturen konfrontiert, die körperlich völlig anders geartet sind. Es existiert in der Aufzählung auch ein Echsenmensch. Ein Mensch, dessen Haut mit Schuppen bedeckt ist. Diese Menschen in dem Buch sind zwar anders, trotzdem sind sie im Leben erfolgreich, nachdem sie es geschafft haben, eine Welt zu finden, die ihrer ähnlich ist. Sie blieben keineswegs partnerlos und auch Nachwuchs wurde gezeugt und sie reisten querbeet durch die Welt …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Am 13.12.1912 kommt in einem kleinen Dorf in Norwegen ein Kind zur Welt, das über und über mit feinem, hellblondem Haar bedeckt ist. Die Mutter stirbt bei der Geburt, und der Vater, Stationsmeister Arctander, ein harter und pflichtbewusster Mann, will zunächst nichts von seiner Tochter wissen. Eva, die der Leser sofort ins Herz schließt, leidet an einer seltenen Krankheit, einem Gendefekt, durch den ihr ganzer Körper behaart ist. Ein interessanter Fall für die Wissenschaft, doch zunächst ein Problem für Stationsmeister Arctander und eine Handvoll Eingeweihter, die sich um das Baby sorgen. Arctander, in tiefer Trauer um seine geliebte Frau, ekelt und schämt sich, und das Kind wird versteckt. Gleichwohl verbreitet sich die Kunde des seltsamen Mädchens wie ein Lauffeuer im Dorf. Eine Amme wird gefunden, die sich liebevoll kümmert, und auch Apothekerin Birgerson und der Arzt Dr. Levin stehen dem Kind zur Seite. So wächst Eva heran: Abgeschottet von den neugierigen Blicken der Dorfbewohner und ohne Kontakt nach draußen schafft sie sich eine eigene Welt, bis sie, zunächst schüchtern, doch dann mit großer Durchsetzungskraft, der Enge ihres Zimmers immer mehr zu entfliehen beginnt.
Es gab eine Szene, die mich ein wenig zu Tränen gerührt hat und ich am Überlegen bin, ob ich diese Szene aufschreiben möchte, denn sie beschäftigt mich noch immer. Die Szene mit dem Telegrafenamt. Eva bekommt von dem Beamten namens Funke das Morsen beigebracht ... Und die Szene, als Eva in der Apotheke der Birgersons ein Buch über die Elefanten liest, indische und afrikanischer Art, während sie liest, morst sie auf dem Tisch spielerisch Mein Vater ist ein Elefant ... Und die Reaktion des Vaters, der selbst auch diese Form des Telegrafierens beherrscht, und der gemeinsam mit den Birgersons ihr gegenüber saß und sich unterhielt, fand ich interessant. 

Obwohl die sog. normalen Leute andersgeartete Menschen eher aus der Gesellschaft verstoßen, sind sie andererseits besessen darauf, diese Kreaturen zu begaffen. Ein wenig schizophren ihr Verhalten. Sie suchen eine Veranstaltung auf, ähnlich wie ein Zirkus, in der diese besonderen Menschen reihum vorgeführt werden. Auch siamesische Zwillinge befinden sich darunter, und ein Kleinwuchs, der noch kleiner ist als ein gewöhnlicher Kleinwuchs, der Autor bezeichnet ihn als Liliputaner. Im heutigen Sprachgebrauch gilt dieser Begriff eher als diskriminierend. 1912 galt diese Bezeichnung als normal ... Da bekommt man den Eindruck, dass der Autor selbst ganz süchtig danach ist, diese Wesen seinen LeserInnen der Reihe nach vorzuführen, die letztendlich nicht nur dem Ottonormalverbraucher zur Unterhaltung dienen sollen. 
Die Leute haben sich amüsiert, (…). Sie wurden unterhalten, zerstreut, erschreckt, aufgerüttelt für längere Zeit. Sie wurden bewegt, überrascht, vielleicht auch erschüttert oder schockiert oder erbost - nun gut; doch niemand stand dem Geschehenen gleichgültig gegenüber. (…) Die Leute wollen so etwas; (…) die Leute wollen es. Sie mögen es. Durch manches mag ein zartbesaitetes oder schöngeistiges Gemüt wohl erschüttert werden, oder auch die Moralapostel, doch auch diese Erschütterung ist ein Teil der Unterhaltung. So nämlich hält man Schöngeister und Moralisten und Akademiker beschäftigt: Man verschafft ihnen Anlass zur Empörung. Das ist deren Form von Unterhaltung. Tief im Grunde lieben sie es, denn so haben sie endlich wieder einen Grund zur Empörung.  
Auf Seite 361 werden Rassentheorien, man muss sich in die Zeit 1912 zurückversetzen, entworfen, die ein wenig an die von Hitler erinnern lassen.
Dort werden z.B. die Volksgruppen der Ungarn, Lappen ... der romanischen als minderwertige Rassen beschrieben. Es werden z.B. die Schädel gemessen und miteinander verglichen...
Diese exotischen Kreaturen, wie sie oben im Zitat aufgeführt sind, heben diese Theorien wieder auf, wobei ich keinen Menschen benötige, der mit Katzen- oder mit Echsenfell auf die Welt kommt, um diese Rassentheorien kritisch zu hinterfragen.

Mein Fazit:
Alles, was anders ist, stellt für viele Menschen ein Problem dar. Da muss man nicht solche Extrembeispiele rauspicken. Es reicht schon, dass man aus einem anderen Land kommt, eine andere Hautfarbe hat, oder weil man behindert ist, oder weil man arm ist, oder weil man anders denkt ... Der Beispiele gibt es noch unendlich viele.

Wieviele Sterne? Da warte ich noch auf den Austausch mit Anne, da mir ein paar wenige Fragen noch offen geblieben sind.

Wer mehr erfahren möchte, der sollte das Buch lesen. 

Nachtrag aus dem Telefongespräch mit Anne: 
Anne und ich waren derselben Meinung, dass das Buch ein wenig flach gewesen ist. Irgendwie haben wir mehr erwartet, denn wenn man so den Klappentext liest, wie hochgelobt das Buch wurde, können wir uns dem nicht ganz anschließen. Wie kommt der Autor zu diesen Exoten? Rein fiktiver Natur oder gibt es sie in der medizinischen Wissenschaft tatsächlich? ...

Die Protagonistin Eva war zu brav, zu fügsam ihrem Vater gegenüber. Keine Rebellion in der Pubertät, kein Hadern mit ihrem Schicksal, wo man dem doch weisgesagt hatte, dass seine Tochter später viele Probleme im Leben haben werde ... Der Schluss war ein wenig nebulös, zu glatt, auch wenn man sich gleich zu Beginn der Geschichte denken konnte, dass Eva ihr Elternhaus verlassen wird, um sich dieser exotischen Gruppe anzuschließen. Waren diese Menschen wirklich so erfolgreich? Eigentlich nicht. Der Autor hat das zu sehr beschönigt. Sie waren innerhalb der normalen Gesellschaft nicht wirklich überlebensfähig. Nur in der Welt mit anderen Exoten hatten sie eine Chance zu überleben. Das ist dasselbe, als würden z.B. behinderte Menschen nur unter behinderten Menschen leben können, oder Ausländer nur mit Ausländern. Ist das wirklich als Erfolg anzusehen? Meiner Meinung nach nicht. Und auch nach Annes Meinung nicht. Das hieße ja fast, dass alle Normalos unter sich sein müssten, und andere unter ihresgleichen...
Ein schöner Mensch verbringt mit sehr zeitaufwendigen Pflegeritualen seine gesamte Lebenszeit damit, schön zu bleiben. Ist das Leben lebenswert, wenn ein Mensch nichts anderes tut, als sich schön zu machen? Diese Frage stellt man sich anhand einer Szene in dem Buch.

Also, auch ich bin der Meinung, dass der Autor zu dick aufgetragen hat. Diese Exoten gibt es meiner Meinung nach nicht. Wenn ja, dann hätte Hansen im Anhang darauf hinweisen sollen.

Dennoch erhält das Buch von mir sieben von zehn Punkten, da ich es gerne gelesen habe, auch wenn es hauptsächlich der Unterhaltung gedient hat. Aber das weiß man vorher nicht.

Und hier zu Annes Blog


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Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

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Sonntag, 1. März 2015

Jim Knipfel / Blindfisch (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Also, vom Hocker hat mich das Buch nicht gerissen. Ich bin auch nicht wirklich der Typ, der Brigitte-  oder Elke Heidenreich-Empfehlungen nachgeht.           

Besonders von Interesse ist das Buch sicher für LeserInnen, die unter derselben Problematik leiden, wie es der Autor tut. Mich hat das Thema eigentlich schon angesprochen, denn sonst hätte ich es mir nicht zugelegt. Bin selbst extrem kurzsichtig in der Form, dass ich oftmals trotz Sehhilfe auf den Straßen auch bei kürzeren Entfernungen bekannte Personen nicht erkenne, oder ich zum Lesen viel Licht benötige. Als Kind hatte ich mich im Leben auch irgendwie durchgeschlagen, da ich die damaligen hässlichen kassengestellte Kinderbrillen nicht aufsetzen wollte, um in der Grundschule nicht weiter als Brillenschlange verspottet zu werden … aber von der Blindheit bin ich wohl noch weit entfernt. Der Autor hat eben Pech, da er unter einer besonderen Augenerkrankung leidet, die sich Retinitis pigmentosa nennt.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext ein: 
Jim Knipfel leidet an einer unheilbaren Krankheit, die ihm langsam das Augenlicht raubt. Aber er lamentiert nicht - er lacht. Über die überforderten Eltern und Freunde und teilnahmslosen Therapeuten. Das Leben des jungen Mannes aus gutem Hause gerät aus den Fugen - bis er das Schreiben entdeckt. Mit schwarzem Humor und einzigartigem Blick lässt Knipfel die Leser teilhaben: an seinem Leben, seiner Angst und seiner Hoffnung. 
Mal schauen, was ich aus dem Buch herausholen kann.

Als Knipfels Augenleiden immer bedrohlicher zu werden schien, begibt er sich in therapeutische Hände. Auch einen Suizidversuch hatte er hinter sich. Der Therapeut empfiehlt Knipfel folgende Vorgehensweise im Umgang mit seiner Wut: 
Sie müssen der Wut, den ganzen Hass, der in Ihnen steckt, eine andere Richtung geben. Sie müssen aufhören, sich selbst zerstören zu wollen. Kehren Sie diesen Wunsch nach außen und versuchen Sie, stattdessen die Welt zu zerstören.  
Diese Wut und den Hass spürt man über das ganze Buch hindurch. Wenn man nur ganz langsam zu erblinden droht, innerhalb von dreißig Jahren, ist es auch nochmals schwer, zu lernen, die Erkrankung anzunehmen und zu akzeptieren. Ich kann mir vorstellen, dass man diesen Prozess der Auseinandersetzung aufschiebt. Das ist in der Tat auch kein einfaches Los.

Der Autor lebt recht gesellschaftskritisch, gerät aber auch immer mit Personen in Kontakt, die ihn zu einer kritischen Haltung bewegen. Das Krankenhauspersonal zum Beispiel würde mittellose Menschen eher zweitrangig und völlig unprofessionell behandeln.

Knipfel wird Universitätsprofessor, und seine Erfahrung  als Akademiker mit anderen Akademikern hat mich ziemlich erstaunt. Knipfel steigt durch ein bestimmtes Erlebnis aus diesem Kreis aus, denn er wollte sich diesem Spießertum nicht weiter unterwerfen:

Der Direktor der Universität zu Knipfel: 
>>Im Grunde genommen sind alle zufrieden mit Ihrer Arbeit hier. John hat Ihr Eraserhead-Papier sehr gefallen, und alles, was Sie bei mir abgegeben haben, ist wirklich erstklassig.<<
>>Jaaaa …? Das >>Aber was?<< danach konnte ich mir sparen. Das beantwortete er schon von selbst. >>Aber wir fanden, dass Ihr … Lebensstil … einem Akademiker einfach nicht angemessen ist.<< 
Als die Erblindung immer weiter fortschreitet, wendet sich Knipfel an den Blindenverein, den er auch ein wenig für korrupt hält. Er bekommt eine Mindestförderung statt eine Vollförderung wie z. B. die Bereitstellung von Trainingspersonen, Blindenstock, Einweisung in die Blindenschrift-Braille, Anschaffung von Lesegeräten etc.

Die TrainingspartnerInnen wirkten ein wenig skurril und absurd in ihrer Handlungsweise. Der Alltagstrainer gibt andere Tipps als die Trainerin mit dem Stock:
>>Sie leben nun in einer ganz neuen Welt. Alles ist anders, und Sie werden alles mit den Fingern sehen.<< 
Dazu denkt sich Knipfel:
Aber die Stockfrau hat gesagt, ich würde alles mit den Ohren sehen und solle nicht so sehr die Finger benutzen, weil die dann verletzt werden und brechen könnten.
Traurig fand ich, als Knipfel sich von seiner Homebibliothek trennt. Als blinder Mensch würden ihm die Bücher wie Ballast vorkommen.
Im Angesicht des Unausweichlichen beschloss ich, meine Bibliothek wegzugeben. Auf sie war ich immer sehr stolz gewesen, daher wollte das genau überlegt sein. Aber ich musste sie loswerden, so schmerzhaft es auch sein würde.Mit den Jahren war meine Bibliothek für die wenigen, die ich meine Freunde nenne, zu einer festen Bezugsgröße geworden. Sie fragten mich etwas, und auch wenn ich die Antwort nicht gleich parat hatte, wusste ich doch, dass sie irgendwo in den Regalen zu finden war, und meistens wusste ich auch, wo. Wann genau wurde Bruno Hauptmann hingerichtet? Das haben wir gleich. Wie sind diverse Übersetzer mit Nietzsches unangenehmeren Zeiten umgegangen? Hier steht´s. Wenn ich nicht mehr sehen und lesen konnte, ging das nicht mehr. Die Bücher würden mich nur noch verhöhnen. Die Erstausgaben, die Bücher mit Widmung, das alles würde mich nur noch tieftraurig stimmen. 
Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Dieser Verlust, der nicht nur auf die Bücher, sondern  auch auf die Musik zu übertragen ist. Kaum vorstellbar, wenn ich nicht mehr musizieren könnte.

Knipfel hadert mit seinem Schicksal. Boykottiert z. B. Hilfsmittel wie den Blindenstock:
Indem ich den Stock aus der Tasche zog und aufflappern ließ, veränderte sich die Lage von Grund auf. Ich verkehrte die Regeln. Während der Jahre davor war ich mit der ganzen Anmut eines verkrüppelten Lammes die Straße entlanggeschlürft, immer in Abwehrhaltung, immer in Angst davor, gegen wen oder was ich beim nächsten Schritt laufen würde. Ich wich Schatten aus, donnerte aber gegen einen Mülleimer. Ich trat auf Tiere, ich trat auf Menschen und musste mich dann rechtfertigen. Ich wurde angebrüllt und ausgelacht. Alles nur, weil mein Stolz mich hinderte zuzugeben, dass ich eine Hilfe benutzen musste. Ich weigerte mich sozusagen, einen Hammer zu benutzen, um einen Nagel einzuschlagen, und beharrte darauf, dass es mit der Stirn genauso gut ging. Na schönen Dank auch. 
Knipfel geht oft mit Galgenhumor an sein Problem heran. Sein Ausdruck ist dominant verbalaggressiv. Und doch lässt er sich nicht unterkriegen, auch wenn  dieser Lernprozess recht lange andauern wird. Wahrscheinlich wird er niemals abgeschlossen sein.

Wer mehr wissen möchte, so verweise ich auf das Buch.
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Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)


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Erik Fosnes Hansen / Das Löwenmädchen

Lesen mit Anne ...

Nun ist es wieder soweit. Der erste eines Monats. Anne hat für unsere Leserunde das folgende Buch aus unserem gemeinsamen SuB ausgesucht. Habe mich darüber sehr gefreut. Nun bin ich gespannt, wie unsere Eindrücke sich entwickeln werden, nachdem unsere letzte Wahl doch eher ein Fehlgriff war. Im Februar hatten wir von Hermann Kant die Aula begonnen, und wir beide sind mit dem Buch nicht zurandegekommen. Wir mussten es wieder abbrechen. Ein Buch über die ehemalige DDR.

So, nun wieder zurück zur aktuellen Lektüre:


Klappentext
Am 13.12.1912 kommt in einem kleinen Dorf in Norwegen ein Kind zur Welt, das über und über mit feinem, hellblondem Haar bedeckt ist. Die Mutter stirbt bei der Geburt, und der Vater, Stationsmeister Arctander, ein harter und pflichtbewusster Mann, will zunächst nichts von seiner Tochter wissen. Eva, die der Leser sofort ins Herz schließt, leidet an einer seltenen Krankheit, einem Gendefekt, durch den ihr ganzer Körper behaart ist. Ein interessanter Fall für die Wissenschaft, doch zunächst ein Problem für Stationsmeister Arctander und eine Handvoll Eingeweihter, die sich um das Baby sorgen. Arctander, in tiefer Trauer um seine geliebte Frau, ekelt und schämt sich, und das Kind wird versteckt. Gleichwohl verbreitet sich die Kunde des seltsamen Mädchens wie ein Lauffeuer im Dorf. Eine Amme wird gefunden, die sich liebevoll kümmert, und auch Apothekerin Birgerson und der Arzt Dr. Levin stehen dem Kind zur Seite. So wächst Eva heran: Abgeschottet von den neugierigen Blicken der Dorfbewohner und ohne Kontakt nach draußen schafft sie sich eine eigene Welt, bis sie, zunächst schüchtern, doch dann mit großer Durchsetzungskraft, der Enge ihres Zimmers immer mehr zu entfliehen beginnt.
Ein recht langer Klappentext, den ich noch um einges kürzen musste. Ein bisschen muss ja für mich als Leserin zum Entdecken und für die Entwicklung eigener Gedanken auch noch übrig bleiben. Meistens gebe ich den Klappentext bei der Buchvorstellung rein, nachdem ich den Klappentext nur oberflächlich gelesen habe. Dadurch vergesse ich recht schnell, was im Klappentext steht. Meist lese ich ihn dann erst, wenn ich mit der Lektüre durch bin.


Autorenporträt
Erik Fosnes Hansen wurde 1965 in New York geboren. Er wuchs auf in Oslo, wo er heute lebt. Zwei Jahre studierte er in Stuttgart (und spricht hervorragend Deutsch), arbeitet als Rezensent und Literaturkritiker für die Zeitung Aftenposten und schreibt derzeit an einem neuen Roman.
Seinen ersten Roman Falkenturm schrieb er im Alter von 18 Jahren, - das Buch wurde gleich nach seinem Erscheinen 1985 in Norwegen als literarisches Ereignis gefeiert. In den Ländern, in denen dieser Mittelalter-Roman erschien (u.a. in Deutschland, Holland und Schweden), waren die Kritiker derselben Meinung wie ihre norwegischen Kollegen.
Choral am Ende der Reise erschien in Norwegen 1990 und wurde sofort zum größten Kritiker- und Publikumserfolg seit Jahrzehnten.
Gelesen habe ich von dem Autor Choral am Ende der Reise. Hat mir recht gut gefallen.

Dienstag, 24. Februar 2015

Jim Knipfel / Blindfisch

Klappentext
Jim Knipfel leidet an einer unheilbaren Krankheit, die ihm langsam das Augenlicht raubt. Aber er lamentiert nicht - er lacht. Über die überforderten Eltern und Freunde und teilnahmslosen Therapeuten. Das Leben des jungen Mannes aus gutem Hause gerät aus den Fugen - bis er das Schreiben entdeckt. Mit schwarzem Humor und einzigartigem Blick lässt Knipfel die Leser teilhaben: an seinem Leben, seiner Angst und seiner Hoffnung. 

Zum Autor
Jim Knipfel, Jahrgang 1965, ist ein amerikanischer Autor und Journalist und lebt in Brooklyn.

Das Buch habe ich schon zur Hälfte durch. Ein Erfahrungsbericht mit der Augenerkrankgung, mit dem Leben und mit der amerikanischen Gesellschaft, die auch in diesem Buch als sehr versnobt beschrieben wird.








Montag, 23. Februar 2015

Renate Feyl / Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich gestern Nachmittag ausgelesen und es hat mir recht gut gefallen. Renate Feyl schreibt über die Protagonistin Caroline von Wolzogen, Schillers Schwägerin, als sei sie selbst diese Person. Das ist ihr sehr gut gelungen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Caroline von Wolzogen, geboren 1763, ist Autorin und Mitglied des Weimarer Intellektuellenkreises. Als sie Friedrich Schiller kennenlernt, ist dieser ein mittelloser Dichter. Sie finden ebenbürtige Gesprächspartner ineinander und kommen sich näher. Trotzdem heiratet Schiller Carolines jüngere Schwester Lotte. Nach seinem frühen Tod schreibt Caroline eine Biografie über ihren Schwager. Was sie in ihrer Biografie aber mit Rücksicht auf Zeitgenossen verschweigen musste, wird in diesem Buch erzählt.
Caroline v. W. ist die Icherzählerin dieses Werkes. Ihr Leben fand ich sehr interessant, nicht nur literarisch recht versiert und kundig, nein, sie konnte auch als eine emanzipierte Frau gut durchs Leben gehen, ebenso im Kreise der Dichter und Denker.

Caroline hatte mit der Wahl ihres ersten Mannes kein gutes Los gezogen, da die Ehe von der Mutter arrangiert wurde. Der Mutter war es wichtig, einen gut betuchten Ehemann für ihre ältere Tochter zu finden. Doch Caroline fühlte sich in der Ehe mit diesem reichen Mann Herrn von Ursus Beulwitz sehr einsam. Ein Mann, der geistig recht arm zu sein schien ...
Sicherlich konnte man keiner Mutter vorwerfen, ihre Töchter gut versorgt zu wissen. Aber was nützte das ganze Geld, wenn man sich darüber hinaus in der Ehe nichts zu sagen hatte. Bis heute konnte ich ihr nicht verzeihen, mir den Ursus aufgebürdet zu haben. Mir war einfach nicht gelungen, ihr klarzumachen, dass reich und geistreich nicht das Mindeste miteinander zu tun hatten und selten in einer Person zu finden waren. Meine Mutter jedoch vergötterte ihren Schwiegersohn. Mich in diese Ehe gepresst zu haben, war auch der Grund, weshalb ich mich ihr gegenüber sehr reserviert verhielt, ja sogar Distanz zu ihr wahrte.
Bis Schiller auftauchte, der Caroline die geistige Langeweile nahm. Schiller galt aber, verglichen mit dem reichen Adel, als recht ärmlich. Caroline machte das nichts, denn in Schiller fand sie eine tiefe seelisch-geistige Verwandtschaft. In der Seele Schillers fühlte sich Caroline zu Hause, ebenso Schiller in der Seele Carolines.

Schiller zeigte auch Interesse für Carolines jüngere Schwester Charlotte. Eine attraktive junge Frau, aber sehr still und introvertiert. Lotte verliebte sich in Schiller, und nun lag es an ihr, ihn der Mutter nahe zu bringen. Nicht mehr lange, so hielt er um Lottes Hand an. Allerdings gibt er ihr in einer Depesche bekannt: 
Caroline ist näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unserer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht, als du meine Lotte - aber ich wünschte nicht um alles, dass dieses anders wäre, dass du anders wärst, als du bist. Was Caroline vor dir voraushat, musst du von mir empfangen - deine Seele muss ich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf musst du sein, deine Blüte muss in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest du mir diese schöne Freude weggenommen, die ich für mich aufblühen zu sehen.
Das fand ich ein wunderschönes Zitat, wie sensibel Schiller diese Andersartigkeit zwischen Lotte und Caroline zur Sprache bringt. Ehrlich und authentisch.

Als Lottes Mutter die Heiratsabsichten mit Schiller mitgeteilt wurden, zeigte sie daraufhin folgende Reaktion:
Dieser Herr Schiller mochte ja ein ganz netter, umgänglicher und unterhaltsamer Mensch sein, aber er war doch kein Mann für die Ehe! >>Einen Dichter bewundert man aus der Ferne, aber man heiratet ihn doch nicht. Schließlich ist es bekannt, dass Dichter immer um ihre Existenz zu kämpfen haben und schnell verblühen. Mag sein, dass Herrn Schiller noch ein paar Stücke gelingen, aber von den Gütern der Fantasie lässt sich auf die Dauer nicht leben.<< Nein, er war nicht in der Lage, Charlottes standesgemäßes Leben zu sichern. Sie war an Diener und Personal gewöhnt. Sollte sie ihm nun etwa wie eine Magd hinterher putzen müssen? Das hatte ihre Tochter weder nötig noch verdient. Außerdem kam Herr Schiller aus ganz gewöhnlichen Verhältnissen, und wenn Lotte ihn heiratete, verlor sie den Adel. Das war doch eine Blamage und gab Anlass zu allgemeinem Gelächter! >>Und überhaupt - was für ein tollkühnes Stück, in eine so alte, wenn auch nicht reiche, aber doch eher würdige Familie einheiraten zu wollen - ohne alles, ohne Rang, ohne Vermögen. Mit nichts als ein paar Ideen im Kopf.<< 
Schließlich sei der Geist Schillers, so Caroline, auch eine Form von Adel …

Über gewisse literarische Gedanken hatte ich mich richtig gefreut, als der Literaturkreis sich über die griechische Mythologie Orpheus und Eurydike ausgelassen hatte. Ich liebe dieses Stück ebenso sehr, komponiert von Christoph Willibald Gluck, und ich ein Musikstück dieser Szene selbst auf meiner Flöte gespielt habe. Wunderschöne Melodie. Wunderschöne Sage. Wunderschöne Metaphern.

Ein wenig gibt es auch zu der Freundschaft zwischen Schiller und Goethe zu lesen. Als Goethe Schiller kennenlernte, ignorierte er Schiller völlig. Zu groß waren die Standesunterschiede. Schiller lernte Goethe durch Caroline kennen. Es hat ein wenig Zeit gebraucht, bis Goethe Schiller als einen bedeutenden Dichter anerkennen konnte. Auch zwischen diesen beiden Dichtern bestand eine tiefe geistige Verwandtschaft. Goethe verfiel nach Schillers Tod in einer tiefen Trauer, die er auf seine Weise im Stillen auslebte.

Caroline ließ sich von ihrem Ursus scheiden und heiratete neu, auch einen Literaten, zur Verwunderung der Mutter, die mittlerweile die Ansicht vertrat, dass ihre Töchter geboren wurden, um sich mit Poeten zu vermählen ...

Literarisch verfasste sie den Roman Agnes von Lilien, der in der Öffentlichkeit für Furore sorgte. Sie wurde als weibliche Schriftstellerin anerkannt. Alle drängten, auch Schiller und Goethe, Caroline solle sich nun schnellstens an das nächste Werk heranmachen, aber sie fand keine Ruhe zum Schreiben, da viele familiäre Verpflichtungen auf sie zukamen.

Nach Schillers Tod wollte sie zusammen mit ihrer Schwester und mit Goethe als Nachruf Briefe von Schiller herausbringen, damit der Dichter nicht in Vergessenheit geriet. Doch das Publizieren dieser Briefe zeigte sich als problemhaft; wie konnten die Menschen, die in den Briefen auftauchten, vor der Öffentlichkeit geschützt werden?

Caroline schrieb auch eine Autobiografie mit dem Titel Schillers Leben.

Sie verfasste zusätzlich verschiedene Werke wie z. B. Romane, Erzählungen, und vereinzelt Theaterstücke.

Sehr nachdenklich hat mich auch Schillers Begräbnis gestimmt, der am neunten November 1805 mit knapp sechsundvierzig Jahren verstarb. Er wurde um Mitternacht des zwölften Mai auf dem ältesten Friedhof Weimars in ein Gemeinschaftsgrab bestattet. Zehn Jahre später fand die Ausgrabung statt, um die Gebeine Schillers in der Fürstengruft beizusetzen. Laut einer DNA-Analyse eine recht umstrittene Angelegenheit. Da Schiller mit anderen Toten beigesetzt wurde, war es schier unmöglich, die Gebeine Schillers, vielmehr den Schädel, den Goethe in seinen Händen wegen der Größe zu halten glauben schien, von den Gebeinen anderer Leichen deutlich abzuheben. Ein großer Dichter, ein großer Schädel. Aber das lest selbst.

Mein Fazit: Ich kannte bisher wenig von Schillers Schwägerin. Ich fühle mich nun mit diesem Buch mehr als bereichert. Caroline v. Wolzogen war mir sehr sympathisch. Mit ihrer Intelligenz schaffte sie es, sich von gesellschaftlichen Normen und Pflichten zu lösen. Für die damalige Zeit war sie sehr mutig. Wie und in welcher Form, könnt ihr dazu noch mehr im Buch selbst nachlesen. Es ist nicht die Scheidung alleine …

Und wie weit die Recherchen zu den von Wolzogenschwestern mit der Realität übereinstimmen, kann ich leider nicht beurteilen. 

Renate Frey erhält von mir zu dem Band trotzdem zehn von zehn Punkten.
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Die Welt ist eine Metapher.
(H. Murakami)

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Dienstag, 17. Februar 2015

Renate Feyl / Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit

Klappentext
Caroline von Wolzogen, geboren 1763, ist Autorin und Mitglied des Weimarer Intellektuellenkreises. Als sie Friedrich Schiller kennenlernt ist dieser ein mittelloser Dichter. Sie finden ebenbürtige Gesprächspartner ineinander und kommen sich näher. Trotzdem heiratet Schiller Carolines jüngere Schwester Lotte. Nach seinem frühen Tod schreibt Caroline eine Biografie über ihren Schwager. Was sie in ihrer Biografie aber mit Rücksicht auf Zeitgenossen verschweigen musste, wird in diesem Buch erzählt.


Autorenporträt
Renate Feyl wurde 1944 in Prag geboren. Nach dem Studium der Philosophie begann sie, sich mit Essays und Romanen einen Namen zu machen. Bekannt wurde sie durch ihr 1981 in der DDR, 1983 in der BRD erschienenes Buch »Der lautlose Aufbruch. Frauen in der Wissenschaft«. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Berlin. Ihr Spezialgebiet sind biografische Romane über bedeutende historische Persönlichkeiten, so »Aussicht auf bleibende Helle«, »Die profanen Stunden des Glücks« und »Idylle mit Professor«.
Wieder einmal ein gut erhaltenes und preiswertes gebundenes Buch aus dem Bücher-Oxfam.

Mich hat der Klappentext angesprochen, weshalb ich es mir angeschafft habe. Das Buch wird derzeit als Taschenbuch von dem Diana-Verlag angepriesen.
Nach dem ich nun ein paar Seiten gelesen habe, gefällt es mir recht gut. Mal schauen, wie es sich weiterentwickeln wird.


Montag, 16. Februar 2015

Maarten ´t Hart / Das Paradies liegt hinter mir (1)

 Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Habe die Autobiografie soeben beendet und sie hat mir recht gut gefallen.

Viele für mich interessante Zitate habe ich mir angestrichen, und werde schauen, ob ich sie alle hier einbauen kann. Bevor der Autor über seine Kindheit spricht, erfährt man über die große Anzahl seiner Namensvettern Maarten `t Hart. Erfreut ist er darüber nicht, denn dieser Maarten ´t Hart wäre lieber eine Persönlichkeit, die anderen nicht gleicht, und wenn es auch nur der Name ist. Doch eine Persönlichkeit wie keine andere ist er trotzdem allemal geworden …

Gleich auf der ersten Seite bin ich auf ein sehr schönes Zitat gestoßen, in dem vom Autor Friedrich Nietzsche zitiert wird:
Man muss also gewissen Menschen ihr Alleinsein gönnen und nicht so albern sein, wie es häufig geschieht, sie deswegen zu bedauern.
Dieses Zitat spricht mir aus der Seele, was mein Leben betrifft, und so wurde ich neugierig, was dieses Zitat mit dem Autor selbst zu tun hat.
Maarten ´t Hart ist ein Mensch, der keinesfalls mit der Masse schwimmt. Er ist gern mit sich alleine, um zu lesen und um seinen Gedanken nachzugehen. Er lehnt alles ab, was mit Gesellschaften zu tun hat, wie z.B. Vereine, Studentenvereinigungen und anderes mehr. Auf der Seite 226 erhält man die Antwort, die zu Nietzsches Zitat passt:
Während der Infotage an der Universität hörte ich die Worte >>Persönlichkeitsbildung<< und >>Vereinsamung<< immer wieder. Wer nicht bei einer Studentenvereinigung mitmache, vereinsame hoffnungslos, erklärte mir ein Vorsitzender nach dem anderen. Nun, hoffnungslos zu vereinsamen schien mir so ziemlich das Angenehmste zu sein, was einem Menschen widerfahren konnte. Vor allem, wenn man bedachte, was man in der Vereinigung so zu tun hoffte, und dieser hoffnungslosen Vereinsamung zu entgehen. (…). Tief im Herzen wusste ich ganz genau, dass es die seltsam hartnäckige Neigung der Menschen, sich in Gruppen zu organisieren und zusammenzutun, einzig und allein gab, weil alle Angst vor dem Alleinsein hatten. Niemand will der Tatsache ins Auge sehen, dass die menschliche Seele unheilbar einsam ist, und nur deshalb klumpt man zusammen, hockt beieinander, versucht, jede Gelegenheit zu ergreifen, um - in welchem Zusammenhang auch immer - beim Genuss von Speis und Trank miteinander zu schwätzen, zu plaudern und zu albern. Ich hatte jedoch entdeckt, dass die besten Stunden meines Lebens die gewesen waren, in denen ich ganz allein die Maaskant entlangspazierte; ich wusste, dass man, wenn man die schlichte Tatsache unserer unheilbaren Einsamkeit einfach akzeptierte, daraus eine göttliche Kraft zur Zufriedenheit entwickeln konnte.
Die Autobiografie behandelt die Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter. Auf den ersten Seiten lernt man den kleinen, vierjährigen Maarten ´t Hart kennen, der für den Kindergarten angemeldet war und der darauf bestand, am ersten Tag nicht von der Mutter dorthin begleitet zu werden. Der kleine Maarten schaffte es tatsächlich, sich alleine auf den Weg zu machen und ist dort heil angekommen. Natürlich blieb die Mutter unauffällig im Hintergrund.

Als Nächstes erzählt der Autor über seine frühen Schuljahre, gerade die ersten beiden Jahre wären nicht gerade freundlich verlaufen.

Er hatte eine biestische Lehrerin, die versuchte, Maarten körperlich und geistig zu züchtigen. Er musste sich des Öfteren aus nichtigen Gründen sinnlose Gewalttaten über sich ergehen lassen. Maarten wendet sich an den Vater, der sich für seinen Jungen einzusetzen wusste, was mich sehr berührt hatte:
Wenn du meinen Sohn noch ein einziges Mal mit dem Lineal schlägst, dann verprügele ich dich mit diesem Stemmeisen.
Im darauffolgenden Grundschulljahr wurde seine Lehrerin von einem Lehrer abgelöst, der einen sehr guten Draht zu dem Musterschüler Maarten hatte.
Auch Maarten entwickelte eine gewisse Zuneigung zu dem Lehrer, indem er sich in ihn verliebte:
Ich liebte ihn, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt hatte. Augenblicklich lernte ich auch ein mir damals noch rätselhaftes Phänomen kennen: dass ich nämlich meine Liebe zu ihm nur äußern konnte, indem ich ihn quälte. Dass wahre Liebe gehässig ist und zum Quälen neigt, wurde mir erst viel später bewusst. (…) Aber ich versuchte sehr wohl, ihm das Leben so sauer wie möglich zu machen, obwohl ich genau wusste, dass er mich ebenso mochte wie ich ihn. Vom ersten Tag an nahm er mich vor meinen rachsüchtigen Klassenkameraden in Schutz.  
Ich erfuhr ein ähnliches Ereignis. Auch ich verliebte mich in der fünften Klasse in meine Klassenlehrerin, die es noch in den folgenden Schuljahren noch blieb, und der ich das Leben zu dieser Zeit recht schwer machte und erst später im Studium wurde mir bewusst, weshalb ich das tat und warum ich für diese Lehrerin eine tiefe Zuneigung empfand. Ich wollte nicht, dass sie die Gründe erfuhr, weshalb ich sie äußerlich so ablehnte. So ziemlich erstaunt bin ich von Maarten gewesen, als er von dieser Liebe berichtete. Ich dachte, dass nur mir so etwas passieren konnte. Nun bin ich doch sehr erleichtert zu lesen, dass ausgerechnet Maarten, eine sehr intelligente Persönlichkeit, ebenso von diesem Erlebnis ergriffen wurde und sogar in der Lage war, diese in seiner Autobiografie mitzuteilen. Doch nichts Peinliches? Manchmal wünschte ich mir allerdings, dass meine damalige Lehrerin den Grund erfahren würde, weshalb ich ihr das Leben im Unterricht so schwer machte.

Maarten kommt aus einem ärmlichen Elternhaus. Sein Vater war Totengräber von Beruf. Die Verwandten waren Bauern und Handwerker. Maarten war der einzige in seiner Klasse, der ein Gymnasium besuchte. In dieser Schule waren die Schüler recht gut betucht. Als Maarten sich mit einem Klassenkameraden angefreundet hatte, lud er diesen zu sich nach Hause ein. Der Klassenkamerad war ziemlich schockiert über die ärmliche Wohneinrichtung und über die einfache Lebensweise der ´t Harts.

Voller Abscheu äußerte er Maarten seine Frage:
„Hier wohnst du doch nicht etwa?“ Nach diesem ersten Besuch wollte er nichts mehr von mir wissen. Meinen Klassenkameraden erzählte er, ich sei ein Habenichts. Ich war verletzt und wagte es nie wieder, Freunde mit nach Hause zu nehmen. 
Maarten war ein Büchernarr. Jede freie Minute brachte er mit dem Lesen zu. Selten, dass er auf Menschen trifft, die seine Zuneigung zu Büchern mit ihm zu teilen vermochten. Nicht einmal unter den StudentInnen traf er Gleichgesinnte. Die StudentInnen seiner Zeit waren eher mit dem lustigen Studentenleben beschäftigt, das aus Feiern bestand und weniger mit dem Studium selbst.  Es klingt recht merkwürdig, wie die Professoren die Leistungen ihrer StudentInnen zensierten. Die Prüfungen erwiesen sich alles andere als seriös.

Für Maarten waren die Bücher auch aus dem Grund wichtig, weil sie ihm Lebenserfahrungen boten. Für einen anderen waren Bücher der belletristischen Sorte nur Gefühlsduseleien:
„Lebenserfahrung?", warf der andere ein. "Ach Mann, diese ganze Gefühlsduselei, das soll Lebenserfahrung sein? Nein, wenn du Lebenserfahrung willst, dann fahre zehn Jahre zur See."
„Wenn du meinst", sagte ich, "aber immerhin lernt man aus den Büchern, wie man mit Sprache umgeht, und man kann den guten Stil genießen."
"Den guten Stil?", sagte er, "ich habe gerade Vestdijik gelesen, und ich sage dir, der kann gar nicht schreiben, er versucht, alles so kompliziert wie möglich zu sagen, er hasst die Einfachheit und Klarheit schlichter Sprache. Guter Stil? Düsterer Stil, gediegener Stil, gekünstelter Stil willst du wohl sagen." 
So wie Marteen sich hier beschreibt, muss er ein Multitalent, ein Genie gewesen sein, nicht nur, was das Lesen an Büchern betraf, s. unten. Er war in der Lage, in seiner Freizeit geistig bis zu fünf Bücher am Tag zu verzehren:

Seine Mutter äußert sich recht besorgt über den Rückzug mit den Büchern:
"Du kannst doch nicht immer lesen", meinte sie, und da war ich durchaus ihrer Meinung.Wenn ich im Sommer an einem ganz normalen Ferientag morgens um sechs aufstand, hatte ich um neun bereits ein erstes Buch aus, um zwölf das zweite, um drei das dritte und noch vor dem Abendessen das fünfte. Für nach der Mahlzeit hatte ich mir da noch ein ordentlich dickes Buch mit rund vierhundert Seiten aufbewahrt, und das reichte so gerade bis zur Schlafenszeit. Aber fünf Bücher am Tag, davon wird man mit der Zeit doch ziemlich rammdösig. 
Fünf Bücher am Tag? Ich muss gestehen, das fällt mir schwer, zu glauben. Ich lese in drei Stunden ca. siebzig Seiten, da schafft Maarten ein ganzes Buch. Schwer vorstellbar. Ich könnte so viel auf einen Schlag geistig gar nicht wirklich verarbeiten.

Man erfährt auch ein wenig über Maartens Sicht zur Schriftstellerei. Maarten bezeichnet den Schriftsteller als jemand, der, verglichen zu anderen Berufen, am wenigsten beschäftigt ist. Auch diese Sichtweise stimmt mich kritisch:
Ein Schriftsteller ist jemand, der nur selten schreibt. Ich denke, es gibt keinen anderen Beruf, der einen am Tag so wenig beschäftigt ist. (…) Der merkwürdigste Aspekt des Schreibens ist, dass die Außenwelt alles tut, um den Schreibprozess zu unterbrechen. Nie ruft jemand an oder schickt einen Brief und teilt mit, er wünsche sich nichts mehr, als dass man weiter schreibe. Nein, man möchte etwas anderes als das Schreiben selbst: eine Lesung, ein Interview, eine Ausstellungseröffnung, eine Signierstunde, ausführliche Antworten auf Fragen wie >>haben Sie Mozart persönlich gekannt?<< oder >>Warum haben Sie das Buch Schwärmen für einen Regenbrachvogel geschrieben?<< Man könnte diese Dinge zur literarischen Arbeit zählen, würde man davon nicht immer wieder derart aus der Konzentration gerissen, dass eben diese literarische Arbeit behindert wird. 
Maarten schreibt über seine Erlebnisse mit eigenen Texten. Nur nach wenigen Zeilen bricht er das Schreiben ab, legt das Blatt in die Schublade, und lässt es für einen gewissen Zeitraum darin, damit der Stoff noch weiter in seinem Geiste reifen konnte. Kann man aber diese Art des Schreibens auf alle AutorInnen schließen? Es gibt durchaus Schriftsteller, die sehr wohl mit dem Schreiben über viele Stunden am Tag beschäftigt sind.

Ich komme nun so langsam zum Ende, habe mir viel über das Lesen … rausgeschrieben. Natürlich gibt es in der Autobiografie noch vieles Andere, wie z.B. die Glaubenssuche, damit verbunden das kritische Hinterfragen der verschiedenen Konfessionen der Christen und der Bibel. Politische Gedanken zum Nationalsozialismus bekommt man zu lesen.
Auch zu seinen Erfahrungen an der Universität im Fachbereich Biologie und Verhaltensforschung waren recht interessant, sowie seine starke Liebe zur Musik, weshalb ich t´Hart als Multitalent bezeichne. ´t Hart promovierte später, als er schließlich seine Karriere als Schriftsteller begann. Das alles und mehr lest selbst.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. 
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Die Welt ist eine Metapher
(H. Murakami)

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