Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre
Die Suche nach der verlorenen Kindheit
Die Suche nach der verlorenen Kindheit
Die Leserunde
Mir
hat das Buch gut gefallen. Es hat Tiefgang, ganz nach meinem Geschmack. In
der Leserunde gibt es dazu eine ausgiebige Diskussion. Leider habe ich mit dem
Buch wegen der Zeitknappheit erst später begonnen zu lesen ... Viele schöne
Gedanken sind im Bücherforum geschrieben, dass ich nichts mehr Neues
einfügen kann, weil alles schon gesagt wurde.
Aber
Vorsicht, in der Leserunde wird viel verraten, denn anders lässt sich eine Diskussion
nicht führen. Meine Buchbesprechung versuche ich abzukürzen, verweise mit einem Link am Ende meiner Rezension auf die
Leserunde, für die LeserInnen, die gerne die Details erfahren möchten.
Zum Schreibkonzept
Die
Autorin beschäftigt sich in ihrem Stoff auch mit Themen, die in unserer
Gesellschaft tabu sind ... Z.B. mit dem Tod und mit dem Umgang damit. Einer der
Protagonisten lässt die Leiche seines Vaters aus dem Grab heben, damit diese
zusammen mit seiner etwas später verstorbenen Mutter, die Ehefrau des Verstorbenen,
eingeäschert werden kann. Meine Frage zu diesem Bild; Was geschieht im Auge des lesenden Betrachters, wenn der
Sarg geöffnet wird, um die Leiche herauszuholen? Von selbst entsteht das
Bild einer Leiche, deren Verwesungsprozess längst in Gang gesetzt war. Es
sticht außerdem in der Nase der Leserin, aber womöglich tragen die Totengräber eine
Maske vor dem Gesicht, wenn sie den gehobenen Sarg öffnen und die Leichenteile mit bedeckten Händen herausnehmen.
Das Buch behandelt einen Künstlerroman. Jedes Kapitel ist mit einer bestimmten Farbe nuanciert, dass ich erst nicht wusste, was dies zu bedeuten hat. Im Forum habe ich entnommen, dass diese bildhafte Ausdrucksweise zu einem Künstlerroman passen würde. Ein farbenfroher Roman.
Das Buch behandelt einen Künstlerroman. Jedes Kapitel ist mit einer bestimmten Farbe nuanciert, dass ich erst nicht wusste, was dies zu bedeuten hat. Im Forum habe ich entnommen, dass diese bildhafte Ausdrucksweise zu einem Künstlerroman passen würde. Ein farbenfroher Roman.
Die
Kapitel sind alle relativ kurzgehalten.
Zum Inhalt
Man
bekommt es hier mit einem symbiotischen Eltern- und Künstlerehepaar namens
August und Ada Stiegenhauer zu tun, die beruflich alles gemeinsam gemacht haben,
bis Ada einen schweren körperlichen- und geistigen Zusammenbruch
erleidet, und man ihr eine globale Aphasie diagnostiziert hat. August bekommt
es mit der Angst zu tun, das Leben ohne seine Ehefrau fortsetzen zu müssen und
nimmt sich das Leben ... Das Künstlerehepaar hat einen 26-jährigen
Sohn namens Karl, der keinen Kontakt zu den Eltern hat aufbringen können, da er sich von den Eltern vernachlässigt gefühlt hat. Karl wurde einst auf´s Internat geschickt und er wurde dort mit einem Pseudonym angemeldet.
Karl Sud, damit niemand dahinterkommen konnte, dass Karl das Kind des berühmten
Künstlerehepaars Stiegenhauer sei ..
.
.
Selbst
die Geburtstage des Jungen ignorieren die Eltern, da sie egozentrische,
berufliche Ziele nachgingen. Karl verlässt das Internat nach dem Abitur und
bricht den Kontakt zu den Eltern ab.
Gleich
auf den ersten Seiten bekommt man es mit einer Ladung heftiger Problemen zu
tun. Karl, auf dem Weg zu seinem Elternhaus, erbricht in dem ICE, als er sich
den erhängten Vater vorzustellen versucht ...
In seiner Trauerphase versucht Karl sich an das Gesicht seines Vaters zu erinnern und es gelingt ihm nicht. Für die Eltern schien nicht wirklich Platz für ein Kind gewesen zu sein. Karl bekommt einen Abschiedsbrief des Vaters zu lesen, der Karls Rückzug anspricht, den er nie verstanden hätte ...
Karl betritt sein Elternhaus, eine Villa am Leinsee.
Er
begeht eine Expedition durch dieses
Elternhaus. Dies finde ich eine wunderschöne Metapher, und sie zeigt, wie fremd
Karl in seinem Elternhaus ist. Die Eltern hatten einen Assistenten engagiert,
der das Zimmer bewohnt hatte, was einst Karls Kinderzimmer war. Karl zieht erst
mal ins Gästezimmer. Zwischen Karl und dem Assistenten entsteht ein
Rollenkonflikt …
Ein
weiterer Rollenkonflikt entsteht, als Karl seine Mutter in der Klinik besucht.
Als die Diagnose sich geändert hat, die Mutter wurde wieder ansprechbar und konnte selbst
erneut sprechen, verwechselte sie ihren Sohn mit ihrem Mann August. Ada litt an
einer partiellen Amnesie, und es war nicht sicher, ob sie sich davon erholen würde. Von dem Tod ihres Mannes wurde sie nicht unterrichtet.
Karl
kümmert sich um die Mutter und ist erstaunt, dass sie ihren Sohn nicht
wiedererkennt. Er löst dieses Missverständnis nicht auf, und schlüpft in die
Rolle seines Vaters. Scheinbar scheint er die vielen verbalen süßlichen Liebkosungen
seiner Mutter zu genießen, Zärtlichkeiten, Zuwendungen, die er als Kind beider
Elternteile vermisste ... Karl sitzt auf dem Krankenbett, als ihm die Tränen
kommen. Die Mutter tröstete ihn, August müsse nicht traurig sein, denn alles
würde wieder gut werden …
Auf der Seite 102 wird das Fremde nochmals deutlich, als es um Karls Familiennamen
geht. Karl Stiegenhauer; er habe länger ohne diesen Namen gelebt als mit ihm.
Durch den Tod seines Vaters betrachtet Karl sich gezwungenermaßen als den neuen
Stiegenhauer ...
Es
beginnt eine Bekanntschaft mit dem achtjährigen Kind Tanja, die im Garten häufig auf den Kirschbaum klettert und Karl beobachtet. Karl und das Kind fühlen sich
stark zueinander hingezogen. Wenn Tanja nicht auf dem Kirschbaum sitzt,
schmückt Karl die Äste mit verschiedenen Gegenständen, um Tanja zu beschenken. Es lässt vermuten, um durch die Geschenke auf sich aufmerksam zu machen.
Zwischen
ihnen beiden entwickelt sich eine Freundschaft, und man sich als Leserin die
Frage stellt, was bringt diese zwei Menschen zusammen, wo Welten zwischen ihnen
liegen, was das Leben und der Altersunterschied betreffen. Wer sind Tanjas
Eltern? Was halten sie von dieser Freundschaft eines erwachsenen Mannes mit
einem kleinen Kind? Sind die Eltern davon in Kenntnis gesetzt? Wird man bei dieser
Beziehung als Eltern nicht misstrauisch? Hat man nicht Angst, dass der
unbekannte Mann pädophile Neigungen haben könnte? Fragen über Fragen …
Beruflich ist Karl in die Fußstapfen seiner Eltern getreten, ohne dass er etwas von ihnen hatte, seelisch-emotional betrachtet. Geerbt hat er die
künstlerische Begabung, aber nicht deren Liebe ...
Seine Beziehung mit Mara Schlüter ist alles andere als stabil. Mara erinnert mich von ihrem Charakter und von ihren Ansprüchen her an denen von Karls Eltern. Hauptsächlich auf sich fixiert, egozentrische Ziele verfolgen, ohne an Karl zu denken. Mara strahlt eine seelische Kälte aus, die mir unangenehm war. Karl fühlt sich bei ihr unwohl. Zwischen ihm und Mara entsteht ein folgenschwerer Konflikt, der die Beziehung in Frage stellen lässt.
Seine Beziehung mit Mara Schlüter ist alles andere als stabil. Mara erinnert mich von ihrem Charakter und von ihren Ansprüchen her an denen von Karls Eltern. Hauptsächlich auf sich fixiert, egozentrische Ziele verfolgen, ohne an Karl zu denken. Mara strahlt eine seelische Kälte aus, die mir unangenehm war. Karl fühlt sich bei ihr unwohl. Zwischen ihm und Mara entsteht ein folgenschwerer Konflikt, der die Beziehung in Frage stellen lässt.
Mehr
möchte ich nicht verraten.
Meine Meinung?
Schade
fand ich, dass die gesamte Familie Stiegenhauer nichts getan hat, um die
Konflikte, die sie untereinander hatten, zu klären. Aber das findet man in vielen Familien. Karl entwickelte sich zu
einer instabilen Persönlichkeit mit depressiven Zügen, weil ihm die seelische
Wärme seiner Eltern gefehlt hat. Dadurch ist er auch nicht wirklich
beziehungsfähig gewesen. Eigentlich war er ein zu braves Kind. Er hätte
rebellieren sollen, oder als Erwachsener die Eltern für ihr Versagen zur Rede zu stellen. Man bleibt nicht ewig Kind und man kann nicht ewig unter der
Liebesarmut der Eltern leiden. Weil nichts geklärt wurde, schleppt Karl
seine psychischen Probleme mit sich herum. Das Mädchen Tanja ist für mich eine
Symbolfigur, die für innere Sicherheit und Stärke steht, sie steht auch für
Liebe und Weichheit, sie steht für eine unbeschwerte Kindheit, weshalb sich Karl
zu ihr hingezogen gefühlt hat. Tanja ist taff, sie weiß was sie will ... Und trotzdem bleiben
Fragen offen, wie ich oben schon geschildert habe. Warum hat sich Tanja zu Karl hingezogen gefühlt? Stimmt etwas mit
ihrem Vater nicht? Es gibt nur eine Szene, in der man Tanja zusammen mit ihrer
Familie auf dem Flohmarkt gesehen hat. Ist dies ein Kunstfehler oder die Absicht
der Autorin, Tanjas Eltern aus dem Spiel rauszuhalten? Ohne diese Hintergründe
bleibt für mich das Verständnis dieses Romans allerdings ein wenig unbefriedigt.
Mein Fazit?
Ein
facettenreicher Künstler- und Familienroman, über den man noch lange nachdenken
wird, und immer wieder entstehen neue Fragen und neue Gedanken.
Zum Buchcover
Das
Cover ist total gelungen. Es ist wunderschön, passend zu dem Roman.
Meine Bewertung?
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte 2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
|
12 von 12 Punkten
Weitere Informationen zu dem Buch
· Gebundene Ausgabe: 368 Seiten, 24,00 €
· Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (28. Februar 2018)
· Sprache: Deutsch
· ISBN-10: 3257070144
Gelesene Bücher 2018: 11
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86