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Mittwoch, 6. März 2019

Daniela Krien / Die Liebe im Ernstfall (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir gut gefallen, allerdings waren mir die vielen Frauenfiguren zu negativ besetzt. Alle stehen zwischen Emanzipation und Tradition im Konflikt, es gibt keine gelungene Paarbindung. Die Schicksale der ersten drei Frauen fand ich anstrengend zu lesen, die letzten beiden Frauen dagegen etwas differenzierter dargestellt, wobei auch sie ihre Konflikte mit Partnerschaft haben, weshalb mir die ganze Thematik zu einseitig war. Ich werde ein wenig oberflächlich darüber schreiben, ohne viele Details zu verraten, denn der Roman lebt von den Geschichten, die alle im Geschlechterkampf auf Beziehungsproblematiken fokussiert sind. Wenn man zu viel davon berichtet, hat man keine anderen Themen, auf die man mit Spannung ausweichen könnte.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorinnenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.


Die Handlung
Die Handlung beginnt mit Paula und ihrer Jugendfreundin Judith, die beide fünf Jahre gemeinsam in einer WG gelebt hatten. Außerdem kannten sich die beiden schon von klein auf. Sie besuchten dieselben Krippen, Kindergarten, dieselben Schulen. Judith zog nach Leipzig, um Medizin zu studieren, und Paula nach Regensburg, um eine Lehre in der Buchbranche zu tätigen ...

Paula lernt Ludgar kennen, heiratet ihn, bekommen ein gemeinsames Kind, das mittlerweile 13 Jahre alt ist. Leider geht diese Ehe in die Brüche, da beide ihren Erwartungen nicht gerecht werden können.
Kein Mensch war, wie man ihn haben wollte. (2019,16)
Das zusätzlich belastende in dieser Ehe war der Tod des zweiten Kindes, den beide nicht richtig verwinden konnten.

Paula ist eine stark reflektive und eine introvertierte Persönlichkeit, die wenig von sich preisgibt. Sie ist auch uns Leserinnen wenig greifbar gewesen, siehe Berichte auf Whatchareadin.

Die zweite Figur ist Judith. Judith zeigt auf allen Ebenen ihres Berufes großen Erfolg. Sie ist sehr zielstrebig und ehrgeizig. Doch leider lässt sich der berufliche Erfolg nicht auf die Partnersuche übertragen. Sie durchforstet via Internet regelmäßig Kontaktanzeigen und zieht hauptsächlich Nieten, bis sie Gregor kennenlernt … 

Die dritte Figur ist Brida. Brida ist mit Götz verheiratet. Auch diese Ehe scheitert, da Brida Götz`Erwartungen nicht erfüllen kann. Götz ist von der alten Garde, erwartet von der Frau, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt, und sich ganz auf Familie gibt. Götz und Bride haben zwei gemeinsame Kinder. Brida ist Schriftstellerin von Beruf, und schafft es nicht, alles unter einen Hut zu bringen. Beruf, Kindererziehung, Haushalt und Ehefrau. Brida sehnt sich danach, ihre Schriftstellerinnenrolle in Ruhe ausführen zu können, mehr Zeit für sich zu haben, und sitzt häufig zwischen allen Verpflichtungen: Götz ist Schreiner und dadurch beruflich auch viel unterwegs. Vieles bleibt bei Brida hängen.

Malinka und Jorinde sind beides Schwestern mit unterschiedlichen Lebenserwartungen. Malinka sehnt sich danach, Kinder zu bekommen, und bekommt keine. Ihre Schwester bekommt Kinder und ist unzufrieden. Als Jorindes Kinder groß genug sind, fragen sie ihre Tante Malinka, weshalb sie keine Kinder haben würde, ob sie KInder nicht mögen würde? Es ist, als müsse Malinka sich für ihre Kinderlosigkeit rechtfertigen …
Die Eltern von Malinka und Jorinda sind sehr leistungsbezogen und prägen damit das Leben der beiden damaligen Mädchen nachhaltig.

Welche Szene hat mir gar nicht gefallen?
Malinka ist Musiklehrerin und spielt Violine. Da der Vater Cellist ist, sind die musischen Ansprüche in dieser Familie sehr hoch. Malinka sollte als Schulmädchen an einem Musikwettbewerb teilnehmen und wurde von der Mutter um fünf Uhr morgens geweckt, damit sie noch Zeit zum Üben hatte. Sie hatte schon öfters Erfolg, da sie  musisch sehr begabt ist. Malinka wollte aber nicht aufstehen, und kam erst später aus dem Bett. Anstatt zu üben, setzte sie sich an den Frühstückstisch und nahm genüsslich Müsli zu sich. Malinka leidet unter einer Essstörung, ist adipös, ist kein schlankes Mädchen, da sie über das Essen viel Ärger mit ihren Eltern in sich hineinfrisst. Die Mutter zieht sie noch abfällig auf, dass ihr das Essen wichtiger sei als die Musik und sie immer dicker werden würde. Malinka steht vom Frühstückstisch auf, nimmt den Violinenbogen und bricht ihn in der Mitte durch.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Mir hat gefallen, dass Malinka sich gegen die Eltern hat durchsetzen können, wobei sie in ihrem Leben nicht wirklich glücklich werden konnte, zum Teil, weil sich viele ihrer Wünsche  nicht erfüllen konnten.

Welche Figur war für mich ein Sympathieträger?
Mir standen alle Figuren neutral gegenüber.

Welche Figur war mir antipathisch?
Der von Frauen vielbegehrte Götz hat mir nicht gefallen. Und die Eltern von Malinka und Jorinde.

Meine Identifikationsfigur
Judith stand mir am nächsten.

Cover und Buchtitel
Es gibt eine Szene im Buch, die Ähnlichkeiten mit dem Foto auf dem Cover haben könnte. Den Titel Die Liebe im Ernstfall war gut verständlich, aber für mich ist die Liebe einer Paarbeziehung nie ein leichtes Spiel. Sie ist immer eine ernste Angelegenheit und sollte in ihr  stets gut bedacht sein.

Zum Schreibkonzept
Obwohl das Buch als ein Roman deklariert ist, hat es eher einen Erzählcharakter in Reihenfolge der fünf Frauen Paula, Judith, Brida, Malinka und Jorinde, die sich gegenseitig ablösen, wenn deren Geschichten erzählt werden. Judith und Paula waren später nur noch Randfiguren. Am besten haben mir die Erzählungen von Malinka und Jorinda gefallen, da sie psychologischen Tiefgang hatten und die familiäre Herkunft der beiden Frauen mitbeleuchtet wurde.
 Am Ende des Buches gibt es eine Danksagung.
Die Geschichten sind mit vielen Absätzen konstruiert.

Meine Meinung
Leider waren mir die Geschichten zu einseitig, zu negativ dargestellt, zu problembehaftet. Wie ich eingangs schon geschrieben habe, waren sie mir psychisch betrachtet zu anstrengend, was zur Folge hatte, dass ich vieles, was ich gelesen habe, wieder vergaß. Typsiche Verdrängungsmechanismen, die bei mir gut ausgestattet sind. Es gab wenig Positives in der Biografie dieser fünf Frauen, auch wenn bei Paula eine positive Entwicklung anberaumt wurde. Traurig fand ich Judith, dass sie es nicht geschafft hat, sich einen Wert als Frau auch ohne Partner zuzuschreiben. Eine hoch intellektuelle Frau scheitert an ihren eigenen und womöglich auch an den gesellschaftlichen Erwartungen. Ich würde niemals einen Partner über Zeitungsannoncen suchen. 

Den Schreibstil finde ich gut. Manche Textstellen waren sehr bildhaft ausgedrückt. Und jede Menge Weisheit konnte ich vernehmen und möchte gerne eine Textstelle dazu, zum Thema Liebe in einer Paarbeziehung, zitieren:
Die Liebe ist nicht das Miteinander zweier unabhängiger Individuen, die sich jederzeit wieder auf die Selbständigkeit zurückziehen können. Der geschützte Raum einer friedlichen Welt, in der Mann und Frau tagtäglich entscheiden, was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein, hat sie vergessen lassen, dass es darunter etwas anderes gibt. Eine alte Ordnung, deren Notwendigkeit nur vorübergehend außer Kraft gesetzt ist. Sobald Gefahr heraufzöge, würde sie sich ganz von selbst wiedereinstellen. (2019, 150)
Mein Fazit
Viele gute Gedanken, ohne Frage.
Mir waren es nur zu viele Figuren mit der gleichen Thematik im Kampf der Geschlechterrollen.

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
1 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein
Zehn von zwölf Punkten.

Weitere Information zu dem Buch
Vielen herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.

Herzliches Dankeschön auch an die Moderator*innen von Whatchareadin für ihren Einsatz. 

Hier geht es zur Leserunde von Whatchareadin, in der man viele interessante Gedanken entnehmen kann.

________________
Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 11
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 3. Februar 2019

Kent Haruf / Abendrot (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre  
  
Seit dem letzten Sonntag bin ich mit dem Buch durch. Aus Zeitmangel habe ich meine Rezension noch nicht schreiben können. Ich musste mir durch den Stress eine kleine Auszeit nehmen. Aber ich hatte den ganzen letzten Sonntag gelesen, sodass ich es zeitig ausgelesen hatte ...

… denn es hat mich dermaßen fasziniert, hat mich gefangen genommen,  sodass ich unbedingt wissen wollte, welche Entwicklung diese Geschichte samt ihren Figuren bis zum Schluss eingeschlagen hat. Einige Persönlichkeiten sind mir durch die ersten beiden Bände vertraut gewesen, andere wiederum sind neu hinzugekommen.

In diesem Buchband werden mehrere Familien behandelt, die in ihrer Lebenswelt problematisch und konfliktbehaftet aufgefallen sind. Auch die innere und äußere Einsamkeit spielt hier bei vielen, bei Jung und Alt, eine große Rolle. Oftmals hat man hier den Eindruck, dass die Kinder seelisch stärker sind als die Erwachsenen, obwohl man ihnen die unbeschwerte Kindheit genommen hat. Die Auswirkung der verlorenen Kindheit bekommen sie aus meiner Sicht häufig erst später, wenn sie erwachsen sind, zu spüren.

Da wir dieses wunderbare Buch in der Leserunde auf Whatchareadin gelesen haben, werde ich mich hier kurzhalten.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Ich beginne mal mit der mir bekannten Personengruppe, mit der Wahlfamilie:

Victoria Roubideaux und die McPheron-Brüder
Das sind die auf der Farm lebenden McPheron-Brüder, Harold und Raymond. Victoria Roubideaux und ihr Kleinkind Katie lebten noch bei ihnen. Die beiden Brüder haben sich sehr liebevoll um Victoria und Katie gekümmert. Victoria musste allerdings mit ihrer Tochter die Zelte abbrechen, um in Fort Collins ihr Studium anzutreten. Durch ein schweres Unglück eines der Brüder kommt Victoria mit ihrer Tochter wieder zurück auf die Farm, um für den zurückgebliebenen Bruder zu sorgen. Dieser tragische Unfall hat auch uns Leser*innen schwer getroffen. (Um die Spannung nicht zu nehmen, halte ich mich bedeckt, welcher McPheron verunglückt ist). Die beiden Brüder lebten von der Gesellschaft zurückgezogen und hatten nur einander. Seit dem 14. Lebensjahr lebten sie elternlos auf dieser Farm. Die Mutter verstarb recht früh, der Vater ist unbekannt. Eine eigene Familie haben beide Brüder nie gegründet ... 

Zur Erinnerung
... Bis ein junges Mädchen namens Victoria, vermittelt durch eine Bezugsperson, bei ihnen auftaucht. Die Brüder nahmen das Mädchen bei sich auf und gaben ihr bei ihnen ein neues Zuhause. Da die junge Victoria, damals noch schulpflichtig, schwanger war, wurde sie von der eigenen Mutter verstoßen und von den fremden alten Männern aber aufgenommen … 

Die sozialschwache Familie Wallace
Betty und Luther Wallace leben mit ihren beiden Kindern Richie und Joy Rae in einem Wohnwagen und werden regelmäßig von der Sozialarbeiterin Rose Tyler betreut. Beide Eltern sind kognitiv eingeschränkt und besonders Luther wirkt sehr naiv. Da die Familie nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommen kann, bekommt sie vom Sozialamt Essensmarken ausgestellt. Die Eltern haben schon ein Kind an eine Pflegefamilie verloren. Das älteste Mädchen namens Donna wurde den Eltern aus der Familie genommen, da hier eine Kindeswohlgefährdung vorgelegen hat. Besonders die Mutter, die unter massiven psychosomatischen Beschwerden leidet, vermisst ihre Tochter schmerzlichst und sie versucht immer wieder, Kontakt zu ihr aufzunehmen, obwohl sie die Erlaubnis dazu nicht hat ...

Eines Tages taucht Bettys Onkel auf, ein Versager auf allen Ebenen, verliert einen Job nach dem anderen, hat keinen festen Wohnsitz und säuft Alkohol was das Zeug hält und nistet sich in dem schon beengten Wohnwagen ein, und lebt auf den Kosten dieser armen Familie. Der Onkel ist zudem gewalttätig und gefährdet die Existenz von Richie und Joy Rae …

Familie Kephart
Der elfjährige Dj lebt bei seinem Großvater Walter Kephart. Auch Dj verlor seine Mutter recht früh, sodass er seitdem bei dem Großvater lebt, was Dj zu schätzen weiß. Er übernimmt sämtliche Verantwortung für den kränklichen Großvater, der rau wirkt und niemals ein liebes Wort für den Jungen übrighat. Neben der Schule schmeißt Dj den Haushalt, kocht, putzt und geht anderen Nebenjobs nach. Auch hier erlebt das Kind keine unbeschwerte Kindheit.

Familie Wells
Die mittlerweile alleinerziehende Mary Wells wurde von ihrem Mann verlassen, der in den hohen Norden gezogen ist. Mary hofft, dass ihr Mann wieder zurückkommt. Sie leidet psychisch massiv unter dem Verlust ihres Mannes. Eine neue Beziehung mit einem anderen Mann zog sie noch weiter in die Tiefe, da auch diese zum Scheitern verurteilt war …  Die beiden Mädchen Dena und Emma sind dadurch häufig auf sich allein gestellt …

Dies sind für mich die wichtigsten Figuren, wobei andere, die ich nun nicht erwähnt habe, auch bedeutend sind, siehe Diskussion aus der Leserunde.
 
Cover und Buchtitel
Gefällt mir gut, das Cover sieht wie ein Gemälde aus. Auf dem Bild könnte die Ranch von den McPheron-Brüdern abgebildet sein. Über den Buchtitel muss ich noch ein wenig nachdenken.

Zum Schreibkonzept
Eine Widmung auf der ersten Seite und ein religiöser Dichtvers auf der folgenden, geschrieben von Henry F. Lyte, der mir sehr gut gefallen hat. Hier bittet jemand um den Beistand Gottes für die Hilflosen. Passt wunderbar zu dem Buch.
Das Buch ist auf den 416 Seiten in vier Teilen gegliedert. Die Anzahl der Kapitel sind fortlaufend, insgesamt 46. Auf der letzten Seite befindet sich eine Danksagung.

Meine Meinung
Wie die beiden anderen Bände fand ich auch den vorliegenden sehr authentisch und sehr empathisch geschrieben. Kent Haruf schafft es immer wieder, sich seelisch und mental in seine Figuren hineinzufühlen und für sie zu sprechen. Er verurteilt niemand, er beschreibt die Dinge und die Menschen so wie sie sind. Das hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn man hier den Eindruck gewinnen kann, dass es zu viele Verlierer*innen gibt, so muss ich sagen, Nein, das tut es nicht, es gibt bei vielen der Figuren positive Wandlungen, die so wohltuend sind, weil der Autor auch an das Gute im Menschen glauben lässt. Demnach ist es auch ein Buch über Freundschaft.

Mein Fazit
Ein Autor, den ich gerne bei mir auf meinem Blog stehen habe. Leider ist Kent Haruf nicht mehr am Leben. Neue Bücher kann er daher keine mehr schreiben. Insgesamt aber hat er sechs Bücher geschrieben, drei davon sind im Diogenes Verlag erschienen, und ich hoffe, dass der Verlag die anderen drei Bände auch noch vom Amerikanischen ins Deutsche übersetzen wird. Dadurch, dass man schlecht aufhören kann zu lesen, hat dieses und die beiden anderen Bücher Lied der Weite und Unsere Seelen bei Nacht, absolutes Suchtpotenzial. 

Meine Bewertung
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Sehr gute Übersetzung
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein
12 von 12 Punkten

Hier geht es zur Leserunde von Whatchareadin.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars und auch an Whatchareadin ein großes Dankeschön für das Auswählen dieses wunderbaren Buches.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2019: 05
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 24. Dezember 2018

Benedict Wells / Die Wahrheit über das Lügen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

Diese zehn Geschichten habe ich gemeinsam mit Tina gelesen und mich mit ihr rege ausgetauscht. Wir hatten fast zu jeder Erzählung dieselben Gedanken und Eindrücke, lediglich mit der siebenten Geschichte war ich schier überfordert, da ich über keinerlei Hintergrund zu Star Wars verfüge. Ich mag keine Science-fiction, weshalb ich mich für diese Filme nie begeistern konnte.

Die Fliege hat uns beiden nicht gefallen, auch wenn sie uns vom Verständnis her zugänglich war. Uns war durchaus bewusst, dass die Fliege eine Metapher darstellen sollte. Sie hat uns aber trotzdem nicht überzeugen können. Zu flach, zu oberflächlich …

Unsere Buchbesprechung beschränken wir auf jeweils zwei Geschichten, die Tina und ich gemeinsam abgesprochen haben. Sie schreibt über Die Wanderung und über Das Franchine. 

Mich haben die beiden Erzählungen Richard und
Die Nacht der Bücher richtig beeindruckt, über die ich schreiben werde. 

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu meinen ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung

Richard
Mich hat diese Geschichte sehr betroffen gestimmt. Es geht um eine ältere Dame, die im Park auf einer Bank sitzt und sich mit einem Herrn unterhält, obwohl dieser Mann mit seinem Handy beschäftigt ist. Sie erzählt ihm, dass sie gerne am Markt Hähnchenbrust beim Händler kauft, weil Richard sie so gerne mögen würde.

Sie berichtet detailfreudig dem fremden Mann, wie Richard auf das Fleisch reagiert, wenn sie nach Hause kommt, und dass sie erst seine, dann ihre Bedürfnisse befriedigen würde. Bei ihrem Gatten, als er noch gelebt hatte, war sie immer die Erste …

Der fremde Mann, als er seine letzte Nachricht in sein Handy getippt hat, steht auf, wünschte ihr einen schönen Tag und ging fort.

Die alte Dame betrachtet in der Ferne ein junges Paar und denkt dabei an ihren eigenen Mann. Das Leben mit ihm spulte sie jeden Tag in ihrem Hirn wie ein Kopfkino ab.
Wenn ihre Erinnerung ein Kino war, dann waren die Jahre mit ihm ein Klassiker, der noch immer jeden Abend lief. Vielleicht war er nicht mehr ganz so spannend, weil sie jeden Satz aus der Handlung mitsprechen konnte, und vielleicht war auch das Bild inzwischen etwas unscharf geworden und die Tonspur verwaschen, aber das machte nichts. Der Film endete, kurz bevor seine Krankheit begann. (2018, 92)

Plötzlich kamen zwei sprechende Mädchen an die Bank und setzten sich zu der alten Dame. Die Dame lauschte etwas an dem Gespräch der beiden Mädchen. Als sie ihre Bluse glattstrich, holte sie ein Foto ihres Richards heraus, der zu dieser Zeit noch ein Welpe war. Sie zeigte die Fotografie den Mädchen und erklärte ihnen, weshalb sie dem Kater den Namen Richard gegeben habe … Die alte Dame erzählt und erzählt und bemerkt gar nicht, dass die Mädchen sich bedrängt fühlten …
Das eine Mädchen stieß das andere an.>>Ja, also, wir müssen dann mal …<<, sagte es schnell. Sie verabschiedeten sich, und kaum, dass sie einige Schritte entfernt waren, prusteten beide los.<< (97)

Damit endet die Erzählung noch nicht, so lasse ich den Ausgang offen.

Als ich die Geschichte anfangs zu lesen begonnen hatte, dachte ich, dass Richard ihr Mann sei. Aber es klärte sich schnell auf, dass mit Richard ihr Kater gemeint war.

Ich fand diese Erzählung dermaßen authentisch, dass sie mich lange noch beschäftigt hat. Jede Figur wirkte real. Der Mann mit dem Handy, die beiden Mädchen, sie alle waren mit ihrem Leben beschäftigt, und hatten keinen Platz, das Leben der alten und sehr vereinsamten Dame für eine Weile in sich einzulassen ... 

Die Nacht der Bücher
Eine Weihnachtsgeschichte

Das war für mich von allen die allerschönste Geschichte. Hier wird Bezug genommen zu Wells Roman Vom Ende der Einsamkeit, die Figur daraus namens Jules, der dieses Märchen verfasst hat Weitere Details sind dem Buch zu entnehmen.

Der 58-jährige Mister Stanley hatte in einer staatlichen Bibliothek am Heiligabend Nachtwache, obwohl er kein Mensch war, der gerne Bücher liest. Die Bibliothek, eine ziemlich alte, die auf mich einen nostalgischen Eindruck hinterlassen hat, befand sich in Marylborne, ein Vorort von London. Als Mr. Stanley seinen Rundgang macht, und durch die Gänge und Flure zieht, hört er Geräusche, die er nicht einzuordnen wusste. Nach dem Störenfried Ausschau haltend staunte er über die Vielzahl an Büchern, die nicht zu zählen waren.
Die gesamte Bibliothek war nichts als ein gigantischer Bahnhof voller Figuren und Geschichten. (…) Schon eigenartig. Immer an Weihnachten war ihm, als würde es in der Bibliothek spuken, als hörte er seltsame Geräusche, die sofort verschwanden, wenn er die Tür aufmachte. (105)

Er blickte auf die vollgestopften Regale, wo er glaubte, müssten die Geräusche zu lokalisieren sein. Es war aber ganz ruhig. Und so ging Stanley wieder zurück in sein Dienstzimmer.
Lange Zeit blieb es in der großen Halle still. Die Bücher wollten auf Nummer sichergehen. Dieser alte Mister Stanley war ein misstrauischer alter Knochen, da musste man auf der Hut sein. Dann aber konnte man ein leises Rascheln hören. Ganz vorsichtig hatte sich Jules Verne umgedreht. Es war in 80 Tagen um die Welt. (ebd)

Die vielen bekannten Autor*innen kamen ins Gespräch, viele alte und neue Klassiker, und so entstand langsam Leben in den Regalen. Werke von Tolstoi, von Flaubert, Shakespeare, sogar die Buddenbrooks von Thomas Mann regten sich. Sie alle wunderten sich über Mr. Stanley. Carson McCullers hatte Mitleid mit dem Nachtwächter, Dostojewski hielt ihn für einen traurigen Narren, da er jedes Jahr zu Weihnachten Dienst habe, und fragt sich, wieso er das macht? Doch auch unter den Büchern fanden erst mal keine hochtrabenden Gespräche statt, sie führten Small Talk, bis sie sich einigen konnten, eine Weihnachtsgeschichte vorgelesen zu bekommen. Der Name Dickens fiel, doch Dickens konnte sich nicht rühren, da er, wie jedes Jahr zu Weihnachten auch, ausgeliehen wurde.
>>So ein Pech, das ist jetzt schon das dritte Jahr hintereinander!<<Ein hundertfaches Aufstöhnen ging durch die Halle, denn nichts hätte in dieser Nacht die Bücher mehr gefreut, als wenn ihnen Dickens endlich wieder die Geschichte des alten Ebenezer Scrooge erzählt hätte. (108)

Ein Hin und Her an Stimmen, die aus den Buchseiten fielen, machten sich breit. Es rührte sich Marcel Proust, der sich über den Lärm beschwerte, und er aus den Träumen gerissen wurde und machte sich bei den anderen unbeliebt. >>Halt die Schnauze, Marcel, auf dir liegt eh schon Staub!<< Ruft Hemingway ihm lakonisch zu …
.
Hier mache ich Schluss, um nicht alles zu verraten. Aber ich könnte die ganzen Dialoge zitieren, die so perfekt und so natürlich konstruiert sind. Die ganze Geschichte war total authentisch. Man spürte, dass die Bücher und deren Autor*innen mit demselben Geist beseelt waren, wie man sie aus den Büchern heraus kannte. Besser hätte es ein Walter Moers auch nicht ausdrücken können. Jede Menge bekannte Autor*innen sind hier vertreten, auch Harry Potter, auf den neidvoll geblickt wurde, da er verglichen mit Shakespeare ein Jüngling sei und weltweiten Ruhm genoss, während Shakespeare über eine Schullektüre nicht hinauskommen würde …   

Unbedingt selber lesen.

Cover und Buchtitel
Das Cover gefällt mir sehr, sehr gut, weil es wie ein Kunstgemälde ausschaut. Und es lässt jede Menge Spielraum zu für eigene Interpretationen. Den Buchtitel finde ich auch gelungen, hilft, die Geschichten besser einzuordnen.

Meine Meinung
Benedict Wells kann wirklich supergut schreiben. Lange habe ich mich mit Tina ausgetauscht, und wir finden beide, dass er aber sein Potenzial in Romane stecken sollte.

Die Geschichte mit den sprechenden Büchern fand ich noch besser als die von Walter Moers. Richtig genial. Schade, dass sie so schnell geendet hat.
Die Richard-Geschichte war mir wichtig, sie hier auf meinem Blog vorzustellen, um die Leser*innen mit dieser Thematik ein wenig zu sensibilisieren. Bei 200 bis 300 Besucher*innen pro Tag möchte ich mithelfen, sie ein wenig zu verbreiten.

Mein Fazit
Mit den zehn Kurzgeschichten der letzten zehn Jahre bedient sich Wells verschiedener Genres. Das macht sie so spannend. Klare Leseempfehlung.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover, Titel und Klappentext stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkten

Hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.

Ein herzliches Dankeschön an den Diogenes Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.
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Vertraue auf dein Herz.
Denn dann gehst du niemals allein.
(Temple Grandin)

Gelesene Bücher 2018: 58
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86