Sonntag, 19. Februar 2017

Leon de Winter / Geronimo (1)

Eine Buchbesprechung zu o. g. Lektüre

Das Buch hat mir recht gut gefallen, trotzdem musste ich mich fragen, was an der Geschichte real ist und was fiktiv? Vielleicht ein Mix von beidem? Wahrscheinlich hat Leon de Winter seine eigenen Theorien in dem Roman einfließen lassen. Absurd fand ich die Haltung der Amerikaner, zu wieviel Mann sie auf einen einzigen Mann losgestürmt sind, um einen Vergeltungsschlag zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auszuüben. De Winter glaubt nicht daran, dass bin Laden von den Amerikanern erschossen wurde, wie uns dies die Medien weiszumachen versuchen. Letztendlich werden wir es nicht erfahren, ob Osama bin Laden von den Saudis gekidnappt und anschließend getötet wurde, oder von den Amerikanern. Mit dieser Frage setzt sich der Autor in seinem Buch auseinander und findet darin für sich eine Antwort.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
Ehlers»Geronimo« lautete das Codewort, das die Männer vom Seals Team 6 durchgeben sollten, wenn sie Osama bin Laden gefunden hatten. Doch ist die spektakuläre Jagd nach dem meistgesuchten Mann der Welt wirklich so verlaufen, wie man uns glauben macht? Ein atemberaubender Roman über geniale Heldentaten und tragisches Scheitern, über die Vollkommenheit der Musik und die Unvollkommenheit der Welt, über Liebe und Verlust. 
Wie dem auch sei, ich habe das Buch mit Spannung verfolgt. Ich werde mich hier auf ein paar wenige Szenen beschränken.

Usama bin Laden hat mich in diesem Buch etwas an den Charakter von Adolf Hitler erinnern lassen. Der eine Terrorist, der andere ein Diktator, so haben doch beide auch ihre herzliche Seite gezeigt. Adolf Hitler hatte auch starke väterliche Seiten in sich. Er sorgte für das Wohl seiner Frauen, die für ihn arbeiteten. Wenn diese Ängste äußerten, dann fand Hitler warme, wohlwollende Worte, um ihnen die Angst zu nehmen. Bin Laden konnte ebenfalls empathisches Verständnis aufbringen. Es geht hierbei um ein Kind, ein 12-jähriges afghanisches Mädchen, das als Flüchtling in Pakistan lebte. Das Mädchen trägt eine schwere körperliche Behinderung mit sich. Sie hatte keine Hände mehr, und auch deren Ohren waren verstümmelt. Das Kind hieß Apana, als bin Laden sie eines nachts als Bettlerin auf der Straße sitzen sah und sich Gedanken über ihre Behinderung machte. 
Das Mädchen stellte keine Gefahr dar. Eine behinderte Bettlerin. Er war eine größere Gefahr für sie als sie für ihn, denn sie war seinem Mitleid ausgesetzt. Das hatte er, wie er feststellte. Ein guter Muslim kümmert sich um die Schwächeren. Wer beschützt sie, wenn sie nachts von einem Mann belästigt wurde? Oder ließ sie sich missbrauchen, und war das für sie ein Weg der Nahrungsbeschaffung? (2016, 44)
Das Mädchen hatte hellblaue Augen und hielt den Kopf stark verhüllt. Sie hatte keine Familie mehr, ihr Vater wurde von den Taliban ermordet, die Mutter starb, als sie noch ein kleines Kind war.
Bin Laden wundert sich, als er sich ihr nähert:
Er sah keinen Schmutz. Sie stank auch nicht. Irgendjemand musste für sie sorgen. Und dennoch – was für ein grauenvolles Leben, als junge Frau in der Nacht allein, ohne die Geborgenheit der Familie. Warum hatte er, der Scheich, sie all die Male ihrem Schicksal überlassen? Jetzt gab er ihr zum ersten Mal ein Almosen? Der wunderbare USB-Stick, der Auslöser für seinen nächtlichen Ausflug war, hatte ihn zu ihr geführt. War es das, was Allah, der Allbarmherzige, jetzt von ihm verlangte: Mitgefühl für dieses verlorene Geschöpf?  (46)
Bin Laden nimmt das Mädchen mit zu sich in seinen Unterschlupf. Er wollte das Kind erlösen, damit sie nicht mehr zu leiden habe. Sie umbringen. Ob er dies tatsächlich macht, oder ob er sich weiterhin väterlich gibt, lasse ich offen.

Das Mädchen ist allerdings nicht durch Geburt behindert, sondern es wurde von den Taliban gefoltert, weil sie sich für die westliche Musik interessiert hatte und sie unbedingt Pianistin werden wollte. Man ertappte sie dabei, als sie CDs von Bach hörte, weshalb man ihr auch die Ohren abhackte. Sie schwärmte für Bach, dessen Musik, insbesondere die Goldberg-Variation, sie als göttlich empfand. Mir ist ein Rätsel, wie ein Mensch solche grausamen Verstümmelungen nur überleben konnte.

Wie sie dazu kam, als eine Muslimin Bach-Musik kennenzulernen, möchte ich nicht verraten.

Dann gibt es noch Jabbar, ein 16-jähriger pakistanischer Schüler, der später unbedingt Medizin studieren möchte und als Arzt via einer Greencard nach Amerika einwandern möchte. Sein Traum, Amerikaner zu werden und unbedingt Mitglied bei der US-Army zu werden, kann ihm niemand ausreden. Er ist Christ und heißt eigentlich John, der Name seiner Mutter ist Maria. Doch diese Namen sind in Pakistan nicht erwünscht, weshalb sie noch zusätzlich pakistanische Namen tragen. Jabbar lernt Apana kennen. Er fühlt sich stark zu ihr hingezogen und zwischen ihnen entwickelt sich eine außergewöhnliche Bindung …

De Winter hinterfragt in seinem Roman die amerikanische Aktion der CIA, der auch Tom angehört, der die Bekanntschaft mit Apana und Jabbar macht. Tom möchte Apana adoptieren. Er möchte sie mit nach Amerika nehmen, er weiß nur noch nicht, wie er das Mädchen durch die strengen Einwanderungsbehörden bringen kann. Aber da ist ja noch Jabbar und dessen Mutter, die er auch nicht zurücklassen kann, da sie alle miteinander verbunden sind …

Jabbar begibt sich auf gefährliches Terrain, als er bei bin Laden, dessen Haus von den Saudis gestürmt wurde, einen alten Hocker entwendet. Er weiß noch nicht, dass dieser Hocker sein Leben und das Leben seiner Mutter in Gefahr bringt, denn in dem Hocker befindet sich der mysteriöse USB-Stick, den bin Laden in dem Tischbein versteckt hat. Der Junge ahnt noch nichts von diesem USB-Stick, auf dem geheimnisvolle Informationen von bin Laden festgehalten sind.   

Als bin Laden von den Taliban verschleppt wird, realisiert der Al-Qaida-Chef noch gar nicht, wer seine Entführer sind. Er war sich sicher, dass es die Amerikaner seien. Die Kleider und die Gesichter der Entführer bleiben bedeckt … Bin Laden kann es nicht fassen, dass so viel Wirbel um einen einzigen Mann gemacht wird, wo es doch draußen noch zig andere Mitglieder der Al-Qaida gibt. Die Medien in Amerika verkünden bin Ladens Tod, dessen Leiche in den Ozean entsorgt worden sei. Sie wissen noch nicht, dass bin Laden noch lebt. Nur Vito ahnt, dass er noch am Leben ist, aber niemand möchte ihm glauben. …

Ich mache hier nun Schluss. Es ist ein spannender Roman, wenn auch viele Episoden sehr traurig enden.


Mein Fazit?

Es fällt mir schwer, mir zu dem Roman eine Meinung zu bilden, da der Inhalt doch größtenteils fiktiver Art ist, und man das Buch schwer als einen historischen Roman betrachten kann. Aber die Ideen, die der Autor in seinem Buch hat einfließen und die sich wie einen Thriller lesen lassen, fand ich interessant. Irritierend ist halt nur, dass Osama bin Laden wiederum die einzige reale Figur in dem Buch ist. Es wäre leichter, wenn der Autor sich in einem Nachwort ein wenig dazu geäußert hätte, wie er überhaupt zu seinem Stoff gelangt ist.

Aber die Geschichte wirkt literarisch recht anspruchsvoll und authentisch.  

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

448 Seiten 
erschienen am 01. September 2016 

978-3-257-06971-6 
€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70 
* unverb. Preisempfehlung 



Und hier geht es auf die Verlagsseite von Diogenes. 

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