Dienstag, 26. Januar 2016

Amos Oz / Der dritte Zustand (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich bin mit dem Buch nicht warm geworden. Oder vielmehr mit den Protagonisten. Sie waren mir nicht besonders sympathisch. Irgendwie denke ich, dass es die Chemie war, die zwischen uns nicht gestimmt hat.
Ich habe viele Zettelchen zwischen den Buchseiten kleben, aber ich werde sie nicht bearbeiten. Ich habe schon viel getan, dass ich das Buch, ohne es abzubrechen, bis zur letzten Seite durchgehalten habe.

Manche Szenen fand ich aber schon bemerkenswert, auch viele Gedanken fand ich gut. Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext ein:

Mit dem ironischen Porträt des sich selbst quälenden Intellektuellen Fima ist Amos Oz nicht nur eine Diagnose der gegenwärtigen israelischen Gesellschaft gelungen, sondern zugleich ein äußerst humor- und liebevolles Porträt der täglich mit den Fragen von Leben und Tod konfrontierten einzelnen Israelis. Denn hier werden die Hoffnungen wie Ängste der Israelis auf das genaueste dargestellt: Jerusalem erscheint als völlig verrottet, nichts funktioniert, jeder »zweite Typ ein halber Prophet und ein halber Ministerpräsident«, kurz: »ein Irrenhaus«.
Die politischen Themen sind recht interessant, die der Autor in seinem Buch mithilfe seiner Figuren behandelt. Vor allem der Protagonist Efraim Nissan, die Kurzform Fima, scheint ein Pazifist zu sein, denn nur Pazifisten sehnen sich nach Frieden ohne Gewalt. Vor allem sehnt er sich nach Frieden zwischen Israel und Palästina. Er stellt sich oft die Frage, ob die Juden genauso schlecht wären wie die Nazis, mit dem, was sie den Arabern an Gewalt zufügen würden. Fimas Vater dagegen ist anderer Meinung. Man müsse kein Mitleid mit den Arabern haben, denn schließlich würden sie über bis zu 37 (arabische) Staaten verfügen, während den Juden mit Israel nur ein einziger Staat gehört.

Fima ist Mitte fünfzig und von Beruf Historiker. Er ist journalistisch tätig, arbeitet allerdings nebenbei in einer gynäkologischen Praxis als Sprechstundengehilfe.

Fima kam mir ein wenig gestört vor. Er ist nicht in der Lage, eine freundschaftliche Beziehung einzugehen, geschweige denn eine partnerschaftliche. In seinen jungen Jahren hatte er drei Bewerberinnen. Er konnte sich nicht entscheiden und so stellte er alle drei Frauen seinem Vater vor. Der Vater wählte aus und so wurde Fima mit dieser Auserwählten vermählt. Nur leider hielt die Ehe nicht lange und sie wurde wieder geschieden. Aber der Kontakt bleibt zu den drei Frauen, auch sexuell, noch weiter bestehen. Fima heiratet nicht wieder, geht immer mal wieder Seitensprünge ein. Also nichts Festes.

Fima lebt recht einsam, einsam auch, wenn er unter Leuten ist. Nie hatte ich die Chance gehabt, ihn mal authentisch zu erleben. Mit seinen politischen Ideen steht er auch alleine da. Aus seinem Umfeld gesehen scheint er der Einzige, der sich mit der politischen Problemlage seines Landes befasst.

Neben der Politik spricht er viel über Sex, in der Frauenarztpraxis hat er oft sexuelle Visionen Frauen gegenüber. Schon allein die gynäkologische Praxis kann einen Mann dazu verleiten.

Bekanntschaft macht Fima auch in der Küche mit einer Kakerlake. Er hatte schon einen Schuh in der Hand, um auf diese zu schlagen. Aber er unterließ es schließlich und ließ die Kakerlake am Leben. Zwei Tage später lag sie tot in der Küchenecke und Fima wundert sich. Sie konnte nicht verhungert sein, da es in seiner Küche genug Lebensmittel geben würde. Er fragte sich, was er nun mit der toten Kakerlake anstellen sollte? In das Klo werfen und sie hinunterspülen? Nein, das wollte er partout nicht. Er suchte stattdessen eine Begräbnisstätte für sie. Und schon hatte er eine Idee. Er bestattete dieses Insekt in der Erde seiner Pflanze, die in einem großen Blumentopf steckte. Die Idee fand ich recht originell. Ich habe diese Szene mit Anne besprochen und sie sagte, Fima solle aufpassen, dass die Eier in der Erde nicht ausschlüpfen …

Für mich ist Fima ein Mensch, der nicht wirklich erwachsen geworden ist. Und vielleicht hat er mich deshalb ein wenig gelangweilt.
Er wirkte auf mich ein wenig pubertär, auch, dass sein Vater ihm die Frau ausgesucht hat.

Vielleicht fehlte ihm die Mutter, die an einer Gehirnembolie verstarb, als Fima gerade mal zehn Jahre alt war. Der Vater gab dem Jungen keine Zeit, über den Tod seiner Mutter zu trauern. Es wurden sämtliche Objekte aus dem Haus entfernt, die an die Mutter/Ehefrau erinnern ließen. Lediglich ein Foto ließ der Vater in der Wohnung zurück. Auf dem Foto war die Mutter als Abiturientin abgebildet. Das verrät ein wenig die Werte, die der Vater vertritt, leistungsbezogener Maßstab … Der Vater ist ein großer Unternehmer, besitzt eine Fabrik, in der Kosmetika hergestellt werden.

Der Autor lässt ein wenig an Franz Kafka erinnern. In der Tat wurde ein paar Seiten später in einem gewissen Zusammenhang Kafka erwähnt, was ich vorher aber nicht hätte wissen können. Ich habe oftmals einen recht guten Riecher. Zu dem Kafkaesken; im Folgenden ein Zitat. Es behandelt eine Szene im Krieg, in dem eine Großmutter durch die Kriegsfolgen den Verstand verloren zu haben scheint. Ihr Neffe ist derjenige, der permanent auf sie achtgibt, damit sie in ihrer Wirrheit nicht wegläuft. Das bringt die beiden Soldaten, die diese Szenen beobachten, in Erstaunen und sie erklären sich das geistige Verhalten der alten Dame mit folgender naiver Theorie:
Der Verstand im Kopf drinnen sieht aus wie ein Stück Käse. Etwas gelb, etwas weiß. Mit allen möglichen Rillen. (…) Und der Gedächtnisschwund, da wissen die Wissenschaftler heute schon, dass das von Dreck kommt. Das kommt von Würmern, die da reinkriechen und langsam den Käseverstand auffressen. Bis er faulig wird. Manchmal kann man das sogar ein bisschen riechen.
Naserümpfen.

Mein Fazit?
Sollte es ein politisches Buch werden? Das ist gelungen, doch nebenbei tauchen viele psychologische Themen auf, die ein wenig für Verwirrung sorgen. Fima ist ein sehr intellektueller und gebildeter Mensch, er trägt z.B. die gesamte Weltkarte in seinem Kopf, aber seine seelische Verfassung kommt mir im Vergleich zu seiner stark ausgeprägten kognitiven Entwicklung recht unreif vor, obwohl Fima sich schon mit seiner Psyche auseinandersetzt, indem  er sich mit seinen nächtlichen Träumen befasst. Er führt regelmäßig ein Traumtagebuch … Fimas Vater war es wichtig, den Sohn auf gute Schulen zu schicken und gute Abschlüsse zu erreichen. Doch die seelische Bildung blieb dabei auf der Strecke.

Da das nicht die Schuld des Autors ist, dass mich seine Figuren nicht faszinieren konnten, erhält das Buch von mir trotzdem neun von zehn Punkten.

Ich habe von Amos Oz noch ein weiteres ungelesenes Buch im Regal stehen. Das stimmt mich neugierig, welche Figuren er darin behandelt. Sollten mir die Figuren auch darin nicht behagen, dann war es das letzte Buch von dem Autor, das ich gelesen haben werde.

Und was hat der Buchtitel zu bedeuten? Das erfährt man in der Hälfte des Bandes.

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Wer sich im Vertrauten verirrt
oder in der Fremde verloren geht,
braucht nur eine fürsprechende Seele,
um sich gerettet zu fühlen.
(Petra Oelker)


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