Donnerstag, 19. September 2013

Ursula Krechel / Shanghai fern von wo (1)

__________________________________________________________________________________________
Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Inhaltlich und sprachlich ist es recht anspruchsvoll geschrieben. Nicht nur die Recherchen zur deutschen Geschichte sind gut gelungen dargestellt. Die Autorin konnte diese in eine wunderschöne, fantasievolle und poetische Sprache verpacken. Eine Kunst... .

Der Roman behandelt das Leben mehrerer deutsch -.jüdischer Exilanten fern von Europa, im Osten von China, in der Hafenstadt Shanghai.

Zur Erinnerung hier noch einmal der Klappentext:

Shanghai am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Für Tausende Juden ist es das letzte Schlupfloch. Sie kamen ohne Visum und Illusionen mit einem Koffer und zehn Reichsmark in der Tasche: Anwälte, Handwerker, Kunsthistoriker, und wenn sie in dieser überfüllten Stadt und dem feucht drückenden Klima zurechtkommen wollten, dann waren Erfindungsgabe und Tatkraft gefordert. 

Mich haben diese vielen deutschen Flüchtlinge betroffen gestimmt. Sie sind alle dem Nationalsozialismus zwar entkommen, wurden aber in dem fremden Land anderen schweren Belastungen ausgesetzt. Es ging um das nackte Überleben. Ein Visum wurde für die Einreise zwar nicht verlangt, aber ihre (berufliche) Fähigkeiten wurden abgefragt. Während ein erfahrener Jurist, der viele Jahre eine hohe gesellschaftliche Stellung inne hatte, verliert im fremden Land diesen Status. Berufliche Fertigkeiten lassen sich im Ausland nicht anwenden. Diese u.a. Akademiker durchlaufen dadurch eine Identitätskrise und kommen sich auf einmal nutzlos vor. Was will ein deutscher Jurist im Ausland mit deutschen Gesetzen? Eine Hausfrau dagegen konnte es deutlich leichter haben, in Shanghai eine Arbeit zu finden, um den Lebensunterhalt für sich und für ihren Mann ein wenig aufzustocken. Es waren praktische Fertigkeiten aus dem Alltag gefragt... .  Die existentielle Grundlage war auf ein Minimum beschränkt. Die meisten Juden genossen in Deutschland einen wohlhabenden Standart, und mussten nun lernen, in China mit dem Wenigsten auszukommen. Oftmals blieben die Grundbedürfnisse unerfüllt, was vielen das Leben kostete...
 Die deutschen Juden bekamen in Shanghai durch das deutsche Konsulat die deutsche Staatsbürgerschaft abgesprochen. Sie wurden nicht mehr als deutsche Flüchtlinge bezeichnet, sondern nur noch als Juden... .

Einen Protagonisten gibt es nicht in dem Buch, da alle Romanfiguren sich wie Hauptfiguren lesen lassen. Jede Person mit ihrem eigenen Schicksal wird beleuchtet... . Und sie waren alles Helden... .

Als Hitler den Krieg verloren hatte, ging es nun darum, wieder nach Deutschland zurückzureisen, was für viele Überlebende nicht sehr leicht war, auch weil sie quasi als staatenlos zählten. Es hieß, die deutsche Staatsbürgerschaft zurückzuerlangen und einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen. Dabei wurden viele zurückgekehrte Juden erneut Diskriminierungen ausgesetzt, und bei vielen dadurch eine Retraumatisierung ausgelöst wurde.

Weitere Aspekten zu dem Thema sind dem Buch zu entnehmen.

Doch es gab auch eine Textstelle, die mich ein wenig schmunzeln ließ. Es ging um die Haltung von Haustieren der europäischen Flüchtlinge, wofür die Chinesen wenig Verständnis aufbringen konnten, was mich aber nicht wundert, wenn man bedenkt, was die Chinesen alles an Tierfleisch auf ihrem Speiseplan stehen haben. Hunde- und Katzenfleisch wird dort als Delikatesse angepriesen und die Tiere bekommen bei lebendigem Leib größtenteils ihr Fell abgezogen.
Ein kleiner Hund war damals in China eine Sensation, die Kinder lachten, wenn sie einen weißen Hundebesitzer und sein Tier sahen, sie krähten vor Vergnügen und zeigten mit dem Finger auf ihn. Warum ließ sich ein Weißer von einem Tier an einem Strick zerren? Warum besaß und behielt er ein Tier, das er auch jederzeit schlachten und aufessen konnte? Warum fütterte er es mit Brocken, die jedem Kind auch Freude gemacht hätten? Diese Weißen waren rätselhafte Leute. (448)
Da ich eine große Tierfreundin bin, ist es klar, dass ich solche tierische Ereignisse nicht einfach überlesen werde.

Das Buch erhält von mir aus den oben genannten Gründen zehn von zehn Punkten.
________
Du musst überleben, auch wenn es dich umbringt.
(Jidisches Sprichwort, zitiert von Ursual Krechel)

Gelesene Bücher 2013: 57
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


2 Kommentare:

Anne hat gesagt…

Liebe Mira,

Du hast mich richtig neugierig auf das Buch gemacht. Werde es mir kaufen :-)
Mir ist es bisher so gegangen, dass ich gar nicht weiter darüber nachgedacht habe, wie es den Juden nach ihrer Flucht aus Deutschland ergangen ist. Ja gut, ich kann mir vorstellen, dass sie zwar froh waren, dem Terror entgangen zu sein, aber Deutschland war für viele ja auch zur Heimat geworden. Von einigen wenigen bekannten Leuten hat man erfahren, dass sie Selbstmord begangen haben, aber ansonsten?
Ich werde Montag mal gleich in den Buchladen gehen :-)

Mirella Pagnozzi hat gesagt…

Das freut mich Anne, wenn Du das Buch auch lesen wirst. Dann können wir noch mal darüber reden.