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Mittwoch, 25. Januar 2017

John Fante / 1933 war ein schlimmes Jahr (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wenn man 1933 liest, dann denkt man automatisch an das Dritte Reich Deutschlands. Nein, hier ist nicht das Dritte Reich Deutschlands gemeint, denn der Roman führt uns nach Amerika, wo zu dieser Zeit auch die Weltwirtschaftskrise grassierte.

Der Roman behandelt die Geschichte eines 17-jährigen Schülers namens Dominic Molise, dessen Eltern recht einfache Leute sind und die schon in der dritten Generation in Amerika leben. Schon Doms Großeltern wanderten nach Amerika aus. Der Großvater ist mittlerweile verstorben. Seine Großmutter Bettina lebt mit Doms Familie im Haus. Eine recht engstirnige, geizige alte Dame, die nicht viel von Amerika hält, und an ihren Sehnsüchten Italiens hängen geblieben ist. Doms Vater ist selbständiger Maurer und ist von Armut gezeichnet, da er als Maurer nicht wirklich gut verdient, und hoch verschuldet ist. Die Weltwirtschaftskrise erschwert die finanzielle Lage um Weiteres. Der Vater wirkt ein wenig schräg, hält an Idealen fest, mit Dom eine Vater/Sohn-Maurerfirma zu gründen, sobald Dom die Schule hinter sich gebracht hat. Dom möchte aber kein Maurer werden, er träumt stattdessen von einer Karriere als Baseballspieler. Der Vater hält nicht viel von dieser Sportart ... Irgendwie wirkt der Vater recht unsympathisch. Vielleicht auch altmodisch. Außerdem begeht er Seitensprünge, verbringt die meiste freie Zeit im Billardclub, während Doms Mutter wie ein Opfer allein zu Hause sitzt und sich die beste Mühe gibt, ihm noch zu gefallen, da der Vater für sie kaum noch emotionales und sexuelles Interesse zeigt. Dom durchschaut seinen Vater, er weiß um die Seitensprünge …

Ich fand das erste Kapitel total gut. Der Sarkasmus, die bildhafte Sprache und die Selbstreflexionen fand ich sehr bemerkenswert. Dies hat mich etwas an meine Jugendzeit erinnert. Mit 14 und 17 Jahren hatte auch ich komplett mein anerzogenes religiöses und gesellschaftlichen Weltbild auf den Kopf gestellt.

Domenic hält Selbstgespräche:
Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, wieso es so viel Böses gibt, wo Gott doch so gütig ist, oder wieso unser allwissender Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschafft, um sie doch in die Hölle zu schicken. (...) Dann kannst du dich zurücklehnen und dir den Kopf darüber zerbrechen, wie Gott wohl aussieht und wieso verkrüppelte Babys zur Welt kommen und wer Hunger und Tod geschaffen hat. (2016,10) 
Zu seiner Grübelei hat mir dieses Bild gefallen, als er sich auch über das Sterben und über Tote Gedanken gemacht hat:
Warum wälze ich solche Gedanken und machte die Welt zu einem Friedhof? Fiel ich von meinem Glauben ab? Oder war es, weil ich arm war? Unmöglich. Alle großen Baseballspieler waren Kinder armer Leute gewesen. (11)
Und auf Seite 19 nimmt er die ganzen Klischees auf die Schippe. Interessant, wenn Menschen fraglos Klischees, die es in einer Gesellschaft gibt, übernehmen und damit sich selbst und andere diskriminieren. Das fand ich ganz klasse. Kennen wir ja auch von uns hier in Deutschland, Vorurteile anderen gegenüber. Für alles gibt es eine Schublade. Die Mutter des Jungen, die nie in Kalabrien und Sizilien gewesen ist, spricht so abfällig über diese Menschen. Da musste ich an Astrid Lindgrens Buch denken, die klischeehaft über Amerika, Italien und Paris geschrieben hat.

Hierzu Doms Gedanken, der sich ein wenig über diese klischeehafte Denkweise seiner Großmutter und seiner Mutter belustigen tut:
Nach Grandma Bettinas Ansicht waren die Leute aus Potenza gleich nach den Amerikanern die lächerlichsten Leute der Welt. Nicht, dass Grandma jemals selber in Potenza gewesen wäre und den Ort mit eigenen Augen gesehen hätte, aber sie hat ihr ganzes Leben wilde Geschichten über die Potenzesi gehört. Weil die Abbruzzer jemanden brauchten, auf den sie hinabschauen konnten, hatten sie sich auf Potenza geeinigt; genauso, wie die Kalabresen die Sizilianer verachteten und die Neapolitaner alles südlich von Neapel verhöhnten, während die Römer sich erhaben über die Neapolitaner fühlten und die Florentiner über die Römer die Nase rümpften. Für die Abruzzen waren die Leute aus Potenza nationale Witzfiguren, als würden dort nur Zwerge in schiefen Häusern wohnen. Mein Vater grinste jedes Mal herablassend, wenn die Rede auf Potenza kam. Er hatte, Gott stehe ihm bei, versehentlich die Tochter eines Mannes aus Potenza geheiratet, aber er trug es mit Fassung und war guten Willens, ironisch über den Streich zu lächeln, den ihm das Schicksal da gespielt hatte; auch hatte er jederzeit die Größe, seiner Gattin ihre Eltern zu verzeihen (…) Mama hielt ein Ohr an Grandma Bettinas Tür, dann schnalzte sie nachsichtig mit der Zunge - denn die Leute aus Potenza schauten ihrerseits auf die Abbruzzer hinab. 
>>Sie meint es ja gut, das arme alte Ding<<, sagte Mama. >>Sie hat so ein schweres Leben gehabt … Alle diese Leute.<<
>>Was für Leute?<<
>>Die aus den Abbruzzen. Kein Wunder, dass sie so grob und schlecht gelaunt sind. Dort gibt es nichts als Felsen und ein paar Ziegen und kein elektrisches Licht. Wie in Kalabrien und Sizilien und all die armen Gegenden.<<
Meine Mutter war nie dort gewesen. War niemals irgendwo gewesen außer in einem Mietshaus am Rand von Chicago. (19)
Diese Textstellen fand ich höchst interessant.


Mein Fazit?

Es ist mir bekannt, dass Italien ein Land ist, in dem die ItalienerInnen Rassimus gegen die eigenen Landsleute hegen. Ich kenne kein anderes Land mit solch einem Rassismus, wie er in Italien "zelebriert" wird. Aber es stellt sich mir die Frage, wenn schon Doms Mutter Italien noch nie gesehen hat, was ist da schief gelaufen, dass sie die Identität als Italienerin übernommen hat? Kulturunreflektierte Menschen hinterfragen das Welt- und Menschenbild nicht in komplexer Form, sie übernehmen somit die Identität ihrer Eltern, die Identität, die ihnen anerzogen wurde. Dies ist aber bei den meisten Menschen, was die Identitätsentwicklung betrifft, nicht anders …

Den Schluss, der für Überraschungen sorgt, mit denen man partout nicht gerechnet hat, fand ich genial. Und auch das Nachwort habe ich mit großem Interesse gelesen, weil Alex Copus wichtige Informationen über die Entstehung und weitere Hintergründe dieses Romans gegeben hat.


2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Die Klischees und die Vorurteile gehören zu dem Inhalt dieses Romans.

Zehn von zehn Punkten.

Und hier geht es zu der Leserunde auf der Seite von Watchareadin.


Weitere Information zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich beim Forumsbetreiber des Watchareadin für sein Engagement bedanken, durch den wir im Forum dieses Buch erhalten haben. Das Buch wird derzeit in der Leserunde gelesen, an der ich auch beteiligt bin, aber aufgrund unvorgesehener privater Missstände fehlt es mir gerade an Zeit, mich stärker an der Leserunde zu beteiligen. Werde mich aber morgen anschließen können.

Ich werde später hier auf dieser Seite eine Verlinkung zu dem Forum und der Leserunde vornehmen.

Aber ich pflege auch gerne Gedanken, die andere nicht haben. Ich werde also nicht alles, was ich hier geschrieben habe, in die Leserunde übertragen. 

Einen kurzen telefonischen Austausch hatte ich auch wieder mit meiner Lesefreundin Tina, die ebenfalls an der Leserunde beteiligt ist. Auch Tina ist von dem Buch recht angetan gewesen, und ich habe es wieder genossen, mich mit ihr auszutauschen. Unsere Beobachtungen waren recht ähnlich. 

Ein großes Dankeschön auch an den Aufbau-Verlag, der uns dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. 

Und hier geht es per Mausklick auf die Verlagsseite von Aufbau.

Übersetzt von Alex Capus
Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 144 Seiten
Blumenbar, erschienen 14.11.2016
978-3-351-05031-3 
16,00 € *)Inkl. 7% MwSt.
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Gelesene Bücher 2017: 04
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86





Sonntag, 22. Januar 2017

Amos Oz / Judas (1)

Internationaler Literaturpreis 2015

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch von Amos Oz sehr gut gefallen. Zwischen den Seiten haften wieder mal jede Menge Blättchen, und ich muss mich noch entscheiden, welche ich bearbeiten möchte. Amos Oz hat nicht nur den Literaturpreis von 2015 verdient, nein, er hätte auch den Friedensnobelpreis bekommen sollen. Der Autor beschreibt in diesem Buch die religiösen und die territorialen Problematiken zwischen Juden und Arabern, die zum sinnlosen Blutvergießen führen. Beide Parteien hätten das Recht auf Grund und Boden, doch beide Parteien lassen von ihrem Glauben nicht ab, ein alleiniges Vorrecht für dieses Land zu haben. Was mir sehr gut gefallen hat, ist, dass der Autor hier nicht die Partei für die Juden oder für die Araber ergreift. Mit Hilfe seiner Figuren setzt er sich mit dieser Thematik in verschiedenen Perspektiven kritisch auseinander. Es gibt Figuren, die Argumente aus der Sicht der Juden anbringen, die im Glauben sind, ihnen stehe der Boden zu für die Bildung eines jüdischen Staates. Verschiedene Bürgerkriege werden im Buch aufgezeigt. 1948 findet der Nahostkrieg statt, in dem Walds Sohn umgekommen ist, und zeigt die Sinnlosigkeit des Krieges auf, der wie alle anderen (Bürger)-Kriege auch, viele Opfer fordert. Dieses sinnlose Blutvergießen und dieses sinnlose Sterben und die Unfähigkeit, sich für die Gleichheit aller Menschen einzusetzen, macht der Autor immer wieder in seinem Buch deutlich. Es gibt Figuren, die sehr wohl diese Sinnlosigkeit einsehen, weshalb sie für die Gründung eines gemeinsamen Staates sind, in dem sowohl Juden als auch Araber brüderlich und freundschaftlich zusammenleben können. Aber das sind eher die Ausnahmen.

Das Buch beinhaltet auch eine interessante Liebesgeschichte zwischen dem jungen Schmuel Asch und der viel älteren Atalja Abrabanel, die unter den Folgen des Bürgerkrieges von 1948 leidet. Atalja gibt sich Schmuel gegenüber sehr geheimnisvoll. Ich persönlich fand Atalja eine sehr interessante Persönlichkeit, die auf mich trotz ihrer kühlen Art sehr sympathisch wirkte. Auch sie äußert ihre persönlichen politischen/religiösen Ansichten, die ich mir unbedingt rausschreiben muss. Die Geschichte in diesem Roman spielt sich im Winter 1959 / 1960 ab. Atalja ist gezeichnet, da sie ihren Mann 1948 im Unabhängigkeitskrieg, im Nahostkonflikt verloren hat. Sie bekundet Schmuel schließlich ihre Trauer, aus der ersichtlich wird, weshalb sie sich Männern gegenüber reserviert gibt.
Jeden Tag sehe ich ihn. Jede Nacht. Jeden Morgen. Ich mache die Augen zu und sehe ihn. Ich mache die Augen auf und sehe ihn. Ich habe weiter hier gelebt, mit den beiden Großvätern, die nie Großväter werden würden, und ich habe beide gepflegt. Was war mir sonst geblieben? Männer zu lieben, das ist unmöglich. Ihr habt schon seit Tausenden von Jahren die Macht über die Welt, und ihr habt sie in ein Ort des Schreckens verwandelt. In ein Schlachthaus. Vielleicht kann man euch wirklich nur benutzen. Manchmal sogar Mitleid mit euch haben und versuchen, euch ein bisschen zu trösten. Wofür? Ich weiß es nicht. Vielleicht wegen eurer Unfähigkeit. (2015, 207)
Schmuels Liebe konnte von Atalja nicht erwidert werden. Je mehr sie sich Schmuel gegenüber abweisend verhält, desto mehr fühlte sich Schmuel zu ihr hingezogen. Bis auf wenige Nachtspaziergänge und Kinobesuche blieb diese Liebe recht einseitig. Was Männer beträfe, so habe Atalja nach dem Tod ihres Mannes keinerlei Wünsche.
Wozu auch? Männer kämen ihr fast immer kindisch vor und trieben in einem ständigen Strom von Erfolgen und Siegen, ohne die sie versauerten oder verwelkten. (98)
Atalja nahm kein Blatt vor dem Mund, wenn es darum geht, Schmuel den Spiegel vorzusetzen. Atalja gelingt es immerzu, hinter die Fassade eines Menschen zu schauen.
Du (…) bist entweder ein begeisterter, lauter Hund, der herumtobt und sich anschmiegt, sogar, wenn du im Sessel sitzt, scheinst du immerfort deinem Schwanz hinterher zu laufen, oder du bist das Gegenteil, du liegst tagelang im Schlafzimmer herum wie eine ungelüftete Zudecke. (Ebd)
Atalja und ihr Schwiegervater Wald waren gegen den Krieg und gegen die Gründung eines israelischen Staates. Jüdische Menschen dieser Art machen sich bei ihren Landsleuten zu Feinden, da sie als die Verbündeten der Araber bezeichnet werden.

Interessant fand ich auch die Figur Wald, ein älterer Mann, der mittlerweile pflegebedürftig ist. Schmuel bricht aufgrund verschiedener ungünstiger Umstände seine Zelte ab, folgt einer Annonce, die zu Wald und Atalja führt. Atalja ist Walds Schwiegertochter. Schmuels Aufgabe ist es, mit Wald Diskussionen zu führen. Kritische Diskussionen. Eigentlich sollte Schmuel Asch Wald immerzu widersprechen, damit Wald sich nicht langweilen würde. Auch hier findet man interessante Argumente.
Wenn wir die Welt nur einen Tag lang von allen Religionen und allen Revolutionen befreien könnten – von allen, ohne Ausnahme -, dann würde es weniger Kriege auf der Welt geben, das verspreche ich Ihnen. Immanuel Kant hat geschrieben: >Aus so krummem Holz, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.<
Wir sollten nicht versuchen, ihn zu schleifen und zu hobeln, damit wir nicht bis zum Hals im Blut stehen. (77f)
Im Buch wird zudem Jesus aus der Sicht der Juden behandelt. Jesus sei aus Fleisch und Blut gemacht, sei ein Mensch wie jeder andere auch. Kein Prophet, wie ihn die Christen feiern. Auch hier werden verschiedene Perspektiven behandelt.


Mein Fazit?

Man bekommt es hier mit recht vielen Sichtweisen zu tun, sodass man als Leserin nicht in eine Ecke gedrängt wird, nein, man wird gefordert, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Aber nicht nur die vielen tollen Gedanken haben mir gut gefallen, auch den Schreibstil finde ich sehr bemerkenswert, den ich als recht fantasievoll erlebt habe, siehe auch obiges Zitat. Schmuel, eine rastende Figur, die schwer zur Ruhe kommt, weil sie sich von ihren Schicksalsschlägen getrieben fühlt, beschreibt sich Atalja gegenüber als einen Menschen, der sich selbst hinterherrennen würde. Dieses Bild hat mir so gut gefallen.
Des Weiteren ist hier das Wissen mit Weisheit gepaart ...

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus


Zehn von zehn Punkten. 


Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich beim Suhrkamp - Verlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken.

Gebunden: 22,00 € 
Erschienen: 07.03.2015
Suhrkamp 332 Seiten
ISBN
3518424793 
Auch als eBook erhältlich

DIeses Buch ist am 11.04.2016 auch als Taschenbuch erschienen.

Und hier geht es auf die Verlagsseite vom Suhrkamp / Insel.

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Gelesene Bücher 2017: 03
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 16. Januar 2017

Morten A. Stroksnes / Das Buch vom Meer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Irgendwie bin ich von dem Buch ein wenig desillusioniert. Ich habe eigentlich mit einer literarischen Abenteuergeschichte gerechnet á la Ernest Hemingway Der alte Mann und das Meer. Oder mit Moby Dick von Herman Melville. Nein, das war es nicht. Das Buch entpuppte sich eher zu einem Tatsachenbericht, in dem viele kleinere Geschichten über das Meer und seine  Bewohner beschrieben werden. Ein Mix zwischen Tatsachenbericht und Sachbuch. Andererseits aber war ich froh, mich dieser Tötungsjagd verschont zu haben.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen. Ein Sehnsuchtsbuch - über die Freiheit und das Glück, die Naturgewalten zu spüren. Zwei Freunde in einem kleinen Boot, die sich einen lang gehegten Traum erfüllen: Aus den Tiefen des Nordatlantiks wollen sie einen Eishai ziehen, jenes sagenumwobene Ungeheuer, das sich nur selten an der Oberfläche zeigt. Während sie warten, branden wie Wellen die Meeresmythen und Legenden an das Boot, und Morten A. Strøksnes erzählt von echten und erfundenen Wesen, von Quallenarten mit dreihundert Mägen, von Seegurken und Teufelsanglern. Von mutigen Polarforschern, Walfängern und Kartografen und natürlich vom harten Leben an arktischen Ufern, vom Skrei, der vielen Generationen das Überleben auf den Lofoten sicherte, von der Farbe und dem Klang des Meeres. Eine salzige Abenteuergeschichte über die Freiheit und das Glück, den Naturgewalten zu trotzen – und ein atemberaubendes Buch, das uns staunen lässt über die unergründlichen Geheimnisse des Meeres. 
Der Klappentext ist recht ausführlich, sodass ich nichts zu ergänzen habe.
Viele Bilder über den Fang der Fische fand ich grauenvoll. Ich erspare mir die Details. Ich habe mich immer wieder bei der Frage ertappt, wieso Mann so wild darauf ist, Tiere zu töten? Ich denke dabei an die Jäger auf dem Festland und die Jäger auf dem Wasser. Weshalb machen sich die beiden Protagonisten auf, einen Eishai zu fangen, um ihn anschließend umzubringen? Des reinen Abenteuers wegen? Nein, nicht nur. Weil die Neugier so groß ist, einen Eishai aus der Nähe zu betrachten. Diese Neugier könnte ich noch verstehen, aber weshalb muss der Eishai getötet werden? Weil diese Mordlust wohl zum Abenteuer dazugehört. Doch der Erzähler dieser Geschichten ergreift dann schließlich doch die Partei für diese Meeresbewohner, weshalb der Schluss nicht ganz so dramatisch geendet hat. Auf den folgenden Seiten stellt sich der Autor selbst die Frage, wer denn nun das Seeungeheuer ist? Der Mensch oder der Haifisch? Es seien wesentlich mehr Haifische von den Menschen gefangen und getötet worden als Menschen von Haifischen.

Auch wenn das Buch meinen Erwartungen nicht entsprochen hat, habe ich es dennoch mit großem Interesse gelesen. Vieles war mir zwar nicht neu was die Evolution unseres Planeten betrifft,  aber vieles kannte ich auch nicht, weshalb ich dem Buch neun von zehn Punkten vergebe.

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
1 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus


Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich recht herzlich für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim DVA-Bücherverlag, Randomhouse München, bedanken. 

Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger, Sylvia Kall 
Originaltitel: Havboka - eller Kunsten å fange en kjempehai fra en gummibåt på et stort hav gjennom fire årstider
Originalverlag: Forlaget Oktober, Oslo
Gebundenes Buch, Leinen, 368 Seiten, 13,5 x 19,0 cm, 2 s/w Abbildungen
ISBN: 978-3-421-04739-7
€ 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 26,90* (* empfohlener Verkaufspreis)

Erschienen: 29.08.2016
Des Weiteren gibt es hier auf der DVA-Verlagsseite ein interessantes Interview zu dem Buch.

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Gelesene Bücher 2017: 02
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86





Sonntag, 11. Dezember 2016

Sasa Stanisic / Fallensteller (1)


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Zwölf Kurzgeschichten, auf die ich mich gefreut hatte. Die Sprache wirkt grandios, sehr metaphorisch, oftmals recht surreal, wie zum Beispiel als die denkenden Gardinen eines Nachbarn sich fragen, ob sich jemand heimlich im Internet eine Bauanleitung Sprengstoff herunterlädt … Die Gardinen würde ich als eine sehr wichtige Metapher des Ausspionierens begreifen … Gibt es überhaupt noch eine Privatsphäre?

Es werden politische und gesellschaftliche Themen behandelt, Themen wie z. B. Rassismus, Vorurteile, die Flüchtlingsproblematik, heimlich werden terroristische Anschläge geplant, und dass das Wahlverhalten der Wähler dadurch sich verändert habe; dies alles wird kurz angedockt, dann springt der Autor wieder zu anderen Themen über. Alltagsthemen, wie zum Beispiel das Schicksal eines Bäckers, der sein Raucherbein verloren hat, und der Icherzähler der Meinung ist, dass man sich über diesen Verlust nicht in Selbstmitleid suhlen sollte, stattdessen sollte der Bäcker den Verlust eher positiv sehen, denn immerhin habe er ja noch sein zweites Bein.

Mit schwarzem Humor, wie der Icherzähler manche Schicksalsschläge betrachtet, hat mich wiederum trotz ernster Thematik zum Lachen gebracht. Davon gibt es im Buch noch einiges mehr zu lesen.

Ein Sammelsurium an Themen? Ich hätte mir eher eine Fokussierung gewünscht.

 … Deshalb haben mich persönlich die Art und Weise, wie der Autor die Themen literarisch angegangen ist, nicht ansprechen können. Diese ließ mich weiterhin kalt.

Und der Fallensteller? Der Fallensteller bekommt verschiedene Aufträge; nicht nur Tieren, sondern auch bestimmten Menschen sollen Fallen gestellt werden. Wobei die Tiere manchmal, besonders der Wolf, auch bildhaft gemeint sind.

Dann sind da noch surreale Fallen, die gestellt werden müssen. Eine Frau, die unter Albträumen leidet, bittet den Fallensteller darum, ihren Albträumen Fallen zu stellen. Dieses Bild hat mir sehr gefallen. Oder ein ganzes Rudel von Mäusen in einer Backstube, und man ihnen wegen der vorhandenen Lebensmittel nicht mit Gift nachkommen könne und vermehren sich weiterhin. Diese Mäuse werden auch nachts aktiv, dringen in die Träume der Bäckersfrau ein und schaben dort eifrig weiter. Fiktion und Realität vermischen sich auch hier …  

Der Autor nimmt so manches auf die Schippe. Auch Journalisten ist nicht zu trauen, die die Gefühle ihrer Leserschaft mittels Wortwahl ein klitzekleines Bisschen aufstacheln, um sie in diese oder jene Richtung zu lenken, je nachdem, in welche Richtung sich die eigenen Vorurteile und Ressentiments bewegen.(2016, 204)

Diese und andere mehr sind Gedanken, die mich sehr angesprochen haben.
Weshalb konnte ich trotzdem nicht warm werden, vor allem mit all den Figuren? Nach wie vor blieb der Inhalt in mir einfach abgeflacht und nicht haften. Ich habe darauf schon in meiner Buchvorstellung hingewiesen.

Auch wenn mich das Buch recht kalt gelassen hat, kann ich es trotzdem weiterempfehlen. Wer die deutsche Sprache liebt, kommt hier zu seinem Genuss. Deshalb bin ich nicht ganz leer ausgegangen, denn ich mag solche bildhaften, verspielten Vergleiche sehr.

Ich hoffe, dass andere LeserInnen mit den Figuren dieser Erzählungen mehr Erfolg ernten werden ... 

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
1 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Und so erhält allein die Kurzgeschichte der Fallensteller von mir neun von zehn Punkten.

Weitere Informationen zu dem Buch

Ich bedanke mich recht herzlich bei Luchterverlag für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar.

€ 19,99 [D] inkl. MwSt.
€ 20,60 [A] | CHF 26,90* 

(* empf. VK-Preis) 
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-630-87471-5
Erschienen: 09.05.2016 

 Und hier geht es per Mausklick auf die Verlagsseite von Luchterhand.
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Gelesene Bücher 2016: 69
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Montag, 5. Dezember 2016

Philipp Winkler / Hool

Deutscher Buchpreis 2016

Leserunde mit dem Bücherforum 
Watchareadin


 Klappentext
Jeder Mensch hat zwei Familien. Die, in die er hineingeboren wird, und die, für die er sich entscheidet. HOOL ist die Geschichte von Heiko Kolbe und seinen Blutsbrüdern, den Hooligans. Philipp Winkler erzählt vom großen Herzen eines harten Jungen, von einem, der sich durchboxt, um das zu schützen, was ihm heilig ist: Seine Jungs, die besten Jahre, ihr Vermächtnis. Winkler hat einen Sound, der unter die Haut geht. Mit HOOL stellt er sich in eine große Literaturtradition: Denen eine Sprache zu geben, die keine haben.
Einen so knallharten, tieftraurigen und todkomischen Debütroman hat es seit Clemens Meyers „Als wir träumten“ in Deutschland nicht mehr gegeben. Thomas Klupp
Winkler schreibt bewegend, kraftvoll und mit feinem Gespür für die Welt der Außenseiter. Denn eigentlich ist Heiko Kolbe ein hoffnungsloser Romantiker und seine Gewalt ein stummer Schrei nach Liebe. Moritz Rinke
Woher kommt die Wut, was tust du, wenn dir nichts geblieben ist? Verzweifelt, knallhart und voller Herz. HOOL leuchtet aus allen Wunden. Lucy Fricke

Autorenporträt
Philipp Winkler, 1986 geboren, aufgewachsen in Hagenburg bei Hannover. Studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim. Lebt in Leipzig. Auslandsaufenthalte im Kosovo, in Albanien, Serbien und Japan. Neben Veröffentlichungen in Literaturmagazinen und -anthologien, erhielt er 2008 den Joseph-Heinrich-Colbin-Preis und 2015 für Auszüge aus Hool den Retzhof-Preis für junge Literatur des Literaturhauses Graz. „HOOL“ ist sein Debütroman.

Auf der Verlagsseite ist auch ein Foto des Autors hinterlegt. Ich finde, er sieht sehr sympathisch aus. Ähnelt ein wenig der Romanfigur Heiko Kolbe …


Meine ersten Leseeindrücke? 

Ich befinde mich gerade erst auf der Seite 35 und es gefällt mir ganz gut.

Zwar muss ich mich an die Boxerei dieser Hooligans noch gewöhnen, aber sie passt zum Kontext, hoffe aber nicht, dass diese Kampfaktionen den ganzen Raum einnehmen ... Interessant finde ich Heiko Kolbes Familie, die auf mich innerhalb der Familienmitglieder recht gestört wirkt, auch wenn Heikos Schwester Manuela das Ganze runterspielt und auf Harmonie macht. Bin echt neugierig auf diese Familie ….

Merkwürdig ist der Vater, der nicht mal einen Blickkontakt zu Heiko sucht und nur die Zigarettenschachtel anstarrt, als er ihn dann schließlich um eine Zigarette bittet.


Weitere Informationen zu dem Buch:

Gebunden mit Schutzumschlag, 310 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-351-03645-4 

19,95 € *)
Inkl. 7% MwSt.

Und hier geht es zur Verlagsseite.

Und hier geht es zu unsere Leserunde auf Watchareaadin.













Sonntag, 4. Dezember 2016

Banana Yoshimoto / Lebensgeister (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch, und es hat mir recht gut gefallen. Wie ich schon in der Buchvorstellung geschrieben habe, behandelt die Thematik ein okkultes Thema. Der Umgang mit der Transzendenz, mit der viele Menschen nicht wirklich etwas anzufangen wissen. Verständlich, wenn die Grenzen von Diesseits und Jenseits sich auf einmal vermischen. Das ist auch schwer vorstellbar.

Mir selbst ist diese Thematik in der Literatur ein wenig vertraut und denke dabei an Haruki Murakami, an Isabel Allende, die sehr oft den magischen Realismus in ihren Büchern haben einfließen lassen.

Doch auch hier bei uns hat der altbekannte deutsche Autor namens Hermann Hesse sich mit diesen Themen literarisch befasst, und man diese in seinen Büchern Siddharta und Das Glasperlenspiel wieder findet. Mir haben diese Bücher auch sehr gut gefallen. Wobei seine Thematik sich eher um den Sinn des Lebens dreht, aber immer in Verbindung mit dieser außersinnlichen Welt.

Er setzte sich als Suchender mit den größten Weltreligionen auseinander, und fand seinen Frieden im Buddhistischen und im Hinduistischen, die verglichen zu anderen Religionen die spirituelle und die irdische Welt in ihren Alltag miteinbeziehen würden. Ich erinnere mich, dass er schrieb; der Mensch müsse sich eine Brücke bauen, damit er durch diese beiden Welten ein und aus gehen könne, auch, damit sie ihm vertraut und nicht mehr fremd erscheinen würden …

Zurück zum Buch, so gebe ich erneut den Klappentext rein:
Nach einem schweren Unfall und dem Verlust ihres Geliebten ist Sayoko nicht mehr sie selbst. Sie hat das Zwischenreich der Geister betreten und Geheimnisse der unsichtbaren Welt erfahren. In der Tempelstadt Kyoto lernt sie allmählich das Leben so zu akzeptieren, wie es ist: voller Ungewiss­heiten und Rätsel, dem Tod immer nahe, ob man jung ist oder alt. Aber sie begreift auch, wie einmalig und geheimnisvoll das Diesseits ist.
Durch den Verkehrsunfall, den die junge Protagonistin Sayo zusammen mit ihrem Freund hatte, erlitt sie sehr schwere Verletzungen und wurde dadurch in ein Nahtoderlebnis versetzt, sodass sie sich zwischen diesseits und jenseits bewegte. Sie konnte wieder reanimiert werden, während bei ihrem Freund die Verletzungen tödlich endeten.
Durch das Nahtoderlebnis entwickelt Sayo eine übersinnliche Gabe und ist in der Lage, den Geist verstorbener Menschen zu sehen. In Japan ist das nichts, wofür man sich verstecken müsste, so scheint es mir in dem Buch. Es liest sich wie eine Selbstverständlichkeit. Das mache ich an einer Szene fest, als Sayo vor einem fremden Haus steht, und sie eine Frau am Fenster stehen sieht. Sie wusste sofort, dass diese Frau ein Geist ist, als ein junger Mann aus dem Haus kam und er Sayo fragte:
>>Sehen Sie etwa meine Mutter?<<; fragte er gar nicht verwundert. (2016, 67) 
Sayo kann ganz offen über ihre Geistererscheinungen sprechen. Auch an anderen Orten, nicht nur hier an dem Haus.
Außerdem nahm Sayo nach dem Unfall ihr Leben viel intensiver wahr und war dankbar für ihr wiedererworbenes Leben, wobei sie in tiefer Trauer steckt, und sich innerlich immer wieder mit der Frage auseinandersetzen muss, weshalb nicht sie gestorben sei, sondern ihr Partner, der von Beruf Künstler ist und seine ganzen Kunststücke der Nachwelt hinterlassen hat. Die Eltern des Verstorbenen vermachen alles Sayo, die für sie wie eine Schwiegertochter ist. Die Beziehung zwischen Sayo und den Schwiegereltern hat mich sehr angesprochen und tief berührt.

Sayo besuchte einige Kneipen, denn gerade weil mich niemand behelligt und ich in Ruhe trinken konnte, nahm ich ab und zu unerwartete Dinge wahr.
Allein war man wacher, aufmerksamer als zu zweit. Es ist, als hätte man Augen auf dem Rücken und als könnten nur diese Augen gewisse Dinge sehen. Wenn man mit Freunden ausgeht und lacht und schwatzt, übersieht man sie eben – die geheimen Regungen des Herzens, die sich in kleinen unscheinbaren Zeichen äußern. 
Der Unfall und der Verlust ihres Freundes machten sie zu einem sehr weisen Menschen. Gedanken zu dem Tod:
Der Tod nimmt nicht mit dem Alter zu. Er ist immer bei dir. Ganz nah. Nur das Denken an den Tod nimmt zu und nagt an der Illusion, vor dem Unausweichlichen noch eine Weile sicher zu sein. (105) 
Die Bekanntschaft mit Ataro fand ich sehr interessant, da Sayo und er sie durch einen Todesverlust eines geliebten Menschen freundschaftlich eint. Sayo genießt die Beziehung zu diesem jungen Mann. Ataro ist männerorientiert, sodass beide ganz entspannt diese Freundschaft eingehen können, ohne sexuelle Gefühle füreinander zu empfinden.


Mein Fazit zu dem Buch?

Sayo, ein sehr selbstreflektiver Mensch ... 

Ich finde, der Autorin ist es sehr gut gelungen, diese schwierigen okkulten Themen mit in ihr Buch einzubauen, ohne dass sie kitschig oder gar sentimental wirken. Daher ist der Buchtitel Lebensgeister recht gut getroffen. Ich habe als Externe dieser vorliegenden literarischen Lebenswelt alles sehr authentisch miterlebt. Sayo hat nämlich ihre eigene Art, mit dieser Hellsichtigkeit umzugehen:
Ob es Geister gibt oder nicht, ob man sie sehen kann oder nicht, ob sie lebendig sind oder tot – diese Fragen waren mir gleichgültig. Es ist wie eine Halluzination. Es gibt hier nämlich alles. Doch die Menschen ziehen gerne Grenzen. (146)

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus

Zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch

Dieses Rezensionsexemplar kam durch meine Lesefreundin Tina zu mir, die damit nicht richtig warm werden konnte. Dankeschön hier an Tina für den Aufwand, mir das Buch zuzuschicken.

Paperback 
160 Seiten 
erschienen am 28. September 2016 

978-3-257-30042-0 
€ (D) 15.00 / sFr 20.00* / € (A) 15.50 
* unverb. Preisempfehlung 

Und hier geht es auf die Diogenes-Verlagsseite. 

_______
 In der Landschaft der Herzen besitzt das Gute eine große, die Menschen ergreifende Kraft,
(Banana Yoshimoto)

Gelesene Bücher 2016: 67
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86











Mittwoch, 30. November 2016

Zelda la Grange / Good Morning, Mr. Mandela (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Am Anfang fand ich die Lektüre richtig spannend. Bis zur Mitte des Buches konnte ich mein Interesse noch gut aufrechterhalten, doch dann ebbte es immer weiter ab. Mittlerweile denke ich, es wäre besser, eine echte Biografie zu Nelson Mandela zu lesen. Einerseits. Andererseits hat mich die Autorin Zelda la Grange im Zusammenhang mit Rassismus tief beeindruckt.

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die Wertschätzung, die die Autorin allen Menschen entgegengebracht hat, wobei sie diesen Respekt und diese Wertschätzung auch erst hat lernen müssen. Und sie hat es gelernt, nicht durch Erziehung, sondern durch Nelson Mandela, der ihr diese Menschlichkeit vorlebte.
Präsident Mandela hat es geschafft, all meine Vorurteile gegenüber Schwarzen zu beseitigen. Er lag mir so sehr am Herzen, wie einem die eigenen alten Großeltern am Herzen liegen. (220)
Zelda la Grange ist eine Weiße, die 1970 geboren und in Südafrika unter dem Apartheid-Regime aufgewachsen ist. Die Weißen in Südafrika bezeichnet man als AfrikaanerInnen. Zelda la Grange hatte zuvor noch nie ihr anerzogenes Weltbild hinterfragt und wuchs mit vielen rassistischen Vorurteilen auf. Es war sehr interessant zu lesen, wie sie es schaffen konnte, politisch, sozial und gesellschaftlich ein anderer Mensch zu werden. Hierzu habe ich vor dieser Frau große Hochachtung.
Man lebt dieses Leben, ohne dass einem klar wird, dass es jenseits davon auch noch Leben gibt: Themen, Politik Weltgeschehen und Trends, die Einfluss auf die eigene Welt haben. Wenn man behaglich lebt, stellt man keine Fragen, ich hatte keinen Grund, in Frage zu stellen, was außerhalb unserer vier Wände vor sich ging. Kein Mensch wird als Rassist geboren. Man wird erst durch die Einflüsse um einen herum zum Rassisten. Und ich war mit dreizehn Jahren zur Rassistin geworden. Dieser Rechnung zur Folge hätte ich niemals zu der Assistentin werden dürfen, die dann am längsten für Nelson Mandela tätig geworden ist. Doch genau das geschah. (29)
Die junge Zelda la Grange wollte ursprünglich Schauspielerin werden, doch ihr Vater war dagegen, da die Schauspielerei keine sichere berufliche Aussicht darstellen würde. Und so ging Zelda auf’s College, um Sekretärin zu werden. Nach ihrer Ausbildung fand sie recht schnell eine Stelle. Sie nahm eine Tätigkeit als erste ministerielle Schreibkraft im Präsidentenamt auf. Bis sie schließlich erfuhr, dass sie für Schwarze arbeitete. Erst war sie Assistentin für eine Schwarze namens Mary Mxadama. 
Da ich noch nie zuvor für eine Schwarze gearbeitet habe, widerstrebte es mir, meine Deckung schon zu bald aufzugeben. Zwischen Schwarzen und Weißen herrschte eine Art oberflächliches Vertrauen. Wir wussten noch immer nicht, was wir voneinander zu erwarten hatten. Ich war bereit, für Mary zu arbeiten, doch an meinen politischen Überzeugungen hielt ich fest. Dass ich in diesem Amt arbeitete, hatte für mich rein pragmatische und finanzielle Gründe. (49)
Zelda blieb nicht lange Marys Assistentin, bis sie schließlich recht bald im Amt Nelson Mandela kennenlernte, der sich sehr schnell zu Zelda hingezogen fühlte und er sie zu seiner persönliche Assistentin machte. Für die junge Angestellte war dies eine große Herausforderung. Zelda war erst Anfang zwanzig.
Nelson Mandela, der wegen der Weißen siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis saß, verspürte keinerlei Hass den Weißen gegenüber. Er konnte vergeben.
Welche Fehler ein Mensch auch begeht, wenn man selbst nicht gewillt ist zu vergeben, kann man nicht erwarten, dass einem auch einmal vergeben wird. (238)
Anfangs war dies für Zelda befremdlich, auch, als sie ihn ihr gegenüber respektvoll erlebte. Er sprach mit ihr in ihrer Muttersprache. Zelda war dies sehr peinlich.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil dieser gütig sprechende Mann mit den sanften Augen und der großzügigen Denkweise mit mir in meiner eigenen Sprache redete, nachdem „mein Volk“ ihn so viele Jahre ins Gefängnis gesteckt hatte. In diesem Augenblick bereute ich, in dem Referendum mit „Nein“ abgestimmt zu haben. (Hier ging es um das Abstimmen für oder gegen das Wahlrecht für Schwarze, Anm. der Rezensentin). Wie korrigiert man all die Vorurteile innerhalb von fünf Minuten? Auf einmal wollte ich mich entschuldigen. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, wie es wäre, siebenundzwanzig Jahre im Gefängnis zu sitzen, schließlich war ich noch nicht einmal siebenundzwanzig Jahre alt. Ich war erst dreiundzwanzig, wurde demnächst vierundzwanzig … und ein ganzes Leben im Gefängnis war einfach unvorstellbar. (53)
Mandela war ein so weiser Mann, immerzu demutsvoll Menschen gegenüber, auch Zelda gegenüber, die seine Angestellte war.
Dass Nelson Mandela sich mit einem auf Afrikaans unterhielt, war das Letzte, womit ein Afrikaaner gerechnet hätte. Die Sache wurde klar, als er mir viel später einmal erklärte: >>Wenn man mit einem Menschen redet, spricht man seinen Kopf an, aber wenn man in seiner Sprache mit ihm redet, spricht man zu seinem Herzen.<< (54)
1994 wurde Mandela nach der Amtseinführung Präsident, aber die politische Lage hatte sich noch immer nicht verändert. Vor allem einfache, schwarze Menschen waren weiterhin benachteiligt.

Mandela setzte sich auch für Schulen und Kindergärten ein. Bildung für alle sei ein Menschenrecht, da man nur mit Bildung die Armut bekämpfen könne. In Südafrika war der Schulbesuch für Schwarze verboten. Und außerdem für sie noch unbezahlbar.

Zeldas Aufgabengebiet wuchs immer mehr. Die Beziehung zwischen Mandela und ihr wurde immer vertraulicher. Sie schaffte es, durch Mandelas Vorbild, nicht durch Belehrung, sich von dem Rassenhass zu befreien. Mandela war die Zusammenarbeit mit Zelda sehr wichtig, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Schwarz und Weiß sehr gut harmonieren können, soweit gegenseitiger Respekt und Achtung mit im Spiel sind.

Zelda begleitete Mandela zu allen Auslandsreisen. Selbst in islamische Länder, wo Frauen nochmals anders behandelt werden. Sie musste sich der Kleiderordnung fügen und verhüllte sich aus Respekt vor der muslimischen Kultur, blieb ihnen gegenüber aber auf Distanz.

Die Reise führte auch nach Israel, und sowohl Zelda als auch Mandela setzten sich mit dem Konflikt zwischen Israel und dem Palästina aus dem Jordanland auseinander und entwickelten dabei eine ziemlich neutrale Haltung und sind in der Lage, die politischen Schwächen beider Staaten zu sehen, die von einem Frieden noch weit entfernt seien.
1.Israel musste Palästina als ein unabhängiges Land anerkennen. 2. Palästina musste Israel innerhalb seiner klar definierten Grenzen anerkennen. 3. Die Parteien mussten einen Vermittler finden, dem beide Seiten vertrauen konnten. (196)
Zudem besuchten sie in Israel das Museum zur Geschichte des Holocausts. Mandela wurde von Journalisten befragt, was er von dem Museum halten würde und welche Stellung er zu dem Genozid den Juden gegenüber habe? Mandela gab eine perfekte Antwort. Mir hat sie gefallen, weshalb ich sie unbedingt festhalten möchte:
Hierbei handelt es sich um eine Tragödie, die dem jüdischen Volk widerfahren ist, doch man sollte niemals aus den Augen verlieren, dass diese Bürde auch vom deutschen Volk mitgetragen wird. Die gegenwärtige Generation an Deutschen leidet, um sich von dem Stigma zu befreien, mit dem sie aufgrund dieser Ereignisse behaftet sind und für die sie heutzutage nicht mehr selbst verantwortlich gemacht werden können. (Ebd)
Dies schien den Israelis nicht zu gefallen. Aus Zeldas Sicht:
Die Israelis schätzten diese Bemerkung nicht. Ich spürte Feindseligkeit, mir wurde unbehaglich zumute. (ebd)
Mandela war häufig unerwünschten Interviews ausgesetzt, musste immerzu penetrante Fragen von Journalisten beantworten.
>>Was sind Ihrer Meinung nach die Eigenschaften eines guten politischen Führers?<< beantwortete er mit: >>Ein Mensch, der seinem Volk dient.<< Und dann ging er ins Detail. >>Verspüren Sie keine Verbitterung oder kein Bedauern, so viel Zeit im Gefängnis verbracht zu haben?<< beantwortete er mit: >>Bedauern ist ein völlig sinnloses Gefühl, denn man kann nichts ändern. Ich habe die Entscheidung getroffen, die ich getroffen habe, weil sie zu dem Zeitpunkt meiner Seele zusagten.<< (215)
Wie lebt es sich denn als Weiße in Südafrika, frei von Rassismus und Vorurteilen? Welche Erfahrung hat Zelda gemacht?
Es ist etwas, das mir unerträglich wurde. Und nicht nur die Verwendung dieses Wortes, sondern auch die Verallgemeinerungen von Urteilen der Leute, was Schwarze betraf. Diese Verallgemeinerungen entbehrten jeder Grundlage und waren nicht zu rechtfertigen. Oft geriet ich mit Weißen in hitzige Debatten zum Thema Respekt. Schwarze wies ich auf Social-Media-Seiten auf das Gleiche hin, wenn Sie ebenfalls abfällige Begriffe zu Weißen benutzten, doch das konnte leicht außer Kontrolle geraten, da ich als Weiße für Aufruhr sorgte, indem ich Schwarze zurechtweisen wollte, was vom ursprünglichen Streitpunkt ablenkte. (229)
Dies alles fand ich sehr spannend. Aber später ließ mein Interesse nach. Ich glaube, das lag daran, dass vieles, was die Autorin über Mandela weiterhin berichtete, nicht wirklich wichtig war. Zu sehr detailliert, was das Alltägliche betrifft. Ich fing an, mich zu langweilen. Deshalb wäre ich bestrebt, eine echte Mandela-Biografie lesen zu wollen.


Mein Fazit?

Insgesamt fühle ich mich von dem Buch sehr bereichert. Mandela ist ein sehr demütiger und weiser Mensch gewesen.

Und die Autorin? Vor ihr habe ich ebenso viel Respekt. Die Wandlung, die sie innerhalb der zwanzig Dienstjahre mit Präsident Mandela vollzogen hat, ist mehr als vorbildlich, weshalb ich dem Buch neun von zehn Punkten vergebe. So viel Weisheit hat sie widergeben können, die ich unbedingt aufschreiben musste. Zelda la Grange habe ich hier als eine sehr sympathische, engagierte Frau erlebt, der es gelungen ist, Menschen, ganz gleich welcher ethnischer und kultureller Herkunft, mit Achtung zu begegnen. Ihr ist bewusst, dass sie diese Wesensveränderung auch Mandela zu verdanken habe, aber, aus meiner Sicht, auch in erster Linie sich selbst, da sie dazu auch bereit war, ihr Leben ohne Rassenhass und Vorurteile fortzusetzen.
Anlässlich des Mugabe-Interviews fühlte ich mich für diese Wahrnehmung, Nelson Mandela habe Weiße gut behandelt, irgendwie verantwortlich. Er hat mich tatsächlich gut behandelt, doch ich möchte glauben, dass er stolz darauf war, wie er dieses unbedeutende Leben veränderte. Des Öfteren sagte er, wenn man nur einen Menschen zum Besseren bekehre, habe man bereits seine Pflicht getan. (9)
Ein Buch, das Menschlichkeit vorlebt, und ich hoffe, mir ist es gelungen, etwas davon in meiner Buchbesprechung festzuhalten, für mich, um sie immer wieder nachlesen zu können und für andere, die in Sachen Menschenrechte nach Vorbilder suchen, oder anderweit interessiert sind. Politische Schlagzeilen kann man tagtäglich aus der Presse entnehmen, die oftmals sehr einseitig sind, da die Welt darin meist auch nur in gut- und böse-Bilder dargestellt wird.

Weitere Informationen zu dem Buch

Ich möchte mich recht herzlich für das zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim btb-Verlag, Randomhouse München, bedanken.

Und hier geht es per Mausklick auf die Verlagsseite.


€ 22,99 [D] inkl. MwSt.
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(* empf. VK-Preis) 
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-442-75607-0
Erschienen: 27.04.2015 
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Ein Heiliger ist ein Sünder, der sich weiter bemüht.
(Nelson Mandela)

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