Montag, 22. Oktober 2012

Alissa Walser / Am Anfang war die Nacht Musik


  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (1. April 2012)
  • Miniformat gebunden: 10,00 €
  • ISBN-10: 3492273874

Klappentext

Wien, 1777. Franz Anton Mesmer, der wohl berühmteste Arzt seiner Zeit, soll das Wunderkind Maria Theresia Paradis heilen, eine blinde Pianistin und Sängerin. In ihrer hochmusikalischen Sprache nimmt Alissa Walser uns mit auf eine einzigartige literarische Reise. Ein Roman von bestrickender Schönheit über Krankheit und Gesundheit, über Musik und Wissenschaft, über die fünf Sinne, über Männer und Frauen oder ganz einfach über das Menschsein. 



Autorenportrait im Klappentext

Alissa Walser, geboren 1961, studierte in New York und Wien Malerei. Seit 1987 lebt sie als Übersetzerin und Malerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung »Geschenkt« wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina-von-Arnim-Preis verliehen. 1994 erschien ihr Buch »Dies ist nicht meine ganze Geschichte«, im Frühjahr 2000 folgte der Erzählband »Die kleinere Hälfte der Welt«. Als Übersetzerin hat Alissa Walser außerdem die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke unter anderem von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. 2009 erhielt sie für Ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Ihre eigenen Erzählungen wurden in englischer Übersetzung unter anderem in literarischen Zeitungen wie Open City und Grand Street veröffentlicht. Nach ihrem Roman »Am Anfang war die Nacht Musik«, für den sie den Spycher-Literaturpreis-Leuk 2010 erhalten hat, erschien zuletzt ihr Erzählungsband »Immer ich«.

Entdeckt habe ich das Buch in der Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt Main, die super gut sortiert ist. Die Autorin ist mir unbekannt.



Sonntag, 21. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Buch hat mich gepackt, wie immer bei Fallada, der zu meinen Favoriten zählt, weil ich seine Menschlichkeit so sehr schätze, die er in seinem Leben (Politik und Gesellschaft) so sehr vermisste. 

Ich habe nicht die Absicht, mich besonders lange über das Buch auszutauschen, weil man es irgendwie selbst gelesen haben sollte. Da ist jede Seite wichtig, von Seite eins bis zur letzten Seite. Ich habe mir ein paar wenige Textstellen markiert, die ich gerne besprechen möchte, aber trotzdem wird es so sein, als würde ich diese Textstellen aus dem Zusammenhang herausreißen. Das ist ja eigentlich bei jedem Buch so, aber bei diesem schmerzt es mich besonders... .


Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, beginnt der Ich-Erzähler und Protagonist namens Erwin Sommer von seinen Eheproblemen und von der Zeit, in der die Ehe gut funktionierte, zu berichten. Eine negative Veränderung, besetzt durch Streitereien über belanglose Dinge, brachte die Ehe ins Wanken. Seine Frau Magda sucht für die Eheprobleme die alleinige Schuld bei ihrem Mann. Desweiteren stellten sich schlechte Geschäfte ein. Erwin Sommer war selbständig und betrieb ein Landesproduktgeschäft, das durch einen selbstverschuldeten Fehler rote Zahlen schreiben ließ.


Erwin Sommer litt schwer unter diesem Fehler, desweiteren klagte er über ein mangelndes Selbstbewusstsein. Mit seiner Frau über die schlechten Geschäfte zu sprechen wagte er nicht, aus Angst, es könnten schwere Vorwürfe hageln. Er sehnt sich nach Geborgenheit, nach Liebe, nach einem Schutzraum, und so verflüchtigte er sich in den Alkoholgenuss, und verfällt immer mehr dem Alkohol bis es zur Sucht ausartete. Jeder merkt ihm seine Suchterkrankung an, nur er selber nicht. Er bagatellisiert sie eher.


Seine Frau Magda wird von einem Mitarbeiter ihres Mannes, ein Kaufmann,  über die schlechten Geschäfte unterrichtet, und so nimmt Magda das Geschäft in die Hände und bucht später Erfolge ab... . 


Erwin Sommer selbst gerät immer mehr in den Strudel des Alkohols und dadurch in die Kriminalität. Flieht von zu Hause, sucht sich in einem Russenviertel eine Bleibe, wo er selbst auch hinterlistig betrogen und beraubt wird... . Erwin Sommer kommt in den Knast, da er seiner Frau einen Mord angedroht hatte und sie diese zur Anzeige brachte. Erwin dagegen hatte eine Mordswut auf seine Frau, die ihm Ärzte und Psychiater auf den Hals hetzte, die ihn wegen der Alkoholkrankheit in eine Heilanstalt einliefern wollten. Doch Erwin konnte fliehen... . 


Erwin Sommer wird kurze Zeit darauf von der Polizei gefasst und kommt in Untersuchungshaft wegen Mordandrohung an seine Frau. Hier in den Gefängnishallen hört die Menschlichkeit auf... . Hier wird Erwin Sommer nur noch SOMMER gerufen, den HERR verschluckten die Wärter und das medizinische Personal. Erwin gibt sich große Mühe, versucht sich im Knast zu bewähren, damit er wieder rauskommt, damit sie ihn in die Heilanstalt einweisen, die er als das kleinere Übel glaubte, bis ihn ein Gefängnisinsasse eines Besseren belehrte:

"Was geschieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wochen in die Anstalt zur Beobachtung auf deinen Geisteszustand. Denkst du, die Anstalt ist besser als ein Kittchen? Schlechter ist sie! Alles Drum und Dran ist genau wie hier, Fressen und Arbeit und Wachtmeister, aber du bist nicht mehr mit vernünftigen Menschen zusammen, sondern mit lauter Idioten! Und dann gibt der Arzt sein Gutachten ab, und du kriegst den Paragraphen 51, und das Verfahren gegen dich wird eingestellt. Aber du wirst für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt und deine dauernde Unterbringung solcher Heilanstalt angeordnet, und da sitzt du, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, kein Hahn kräht nach dir, und langsam bist du unter all den Idioten auch ein Idiot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wollen. Wie du mir erzählt hast, hat deine Alte viel fürs Geschäft übrig; dann tut sie das Geschäft und alles, was dir gehört. Du bist dann bloß noch ein armer entmündigter Trottel, und wenn sie dir zu Weihnachten ein Stück Kuchen und eine Rolle Priem schickt, so ist das schon viel…"

Erwin Sommer bekommt es mit der Angst zu tun und bemüht sich nun nicht mehr um Positivpunkte. Er will im Knast bleiben, doch es gelingt ihm nicht, und wird in die Pflege- und Heilanstalt eingewiesen. Was sein Gefängsniskamerad über diese Einrichtung erzählte, stellte sich später als Wahrheit heraus. Von 56 Insassen gibt es keine sechs, die wieder in die Freiheit entlassen werden sollten. 

Mich hat besonders dieser Bereich interessiert. Glücklicherweise hat sich ja mittlerweile viel geändert. Aber ein Alkoholismus wurde damals mit Diebstahl... gleichgesetzt. Die Menschen wurden entmündigt, und selbst Ärzte hatten starke Vorbehalte gegenüber den Insassen, die immer im Unrecht zurückgelassen wurden. Erwin Sommer bettelt seinen behandelten Klinikarzt an:
"Immer war ich anständig, Herr  Medizinalrat, lassen Sie mich wieder unter anständigen Menschen leben. Geben Sie mir eine Chance…"
Die damalige Einrichtung ist mit der heutigen Forensik zu vergleichen, aber die Inhalte, Konzepte haben sich zu Gunsten der Insassen verbessert. Früher gab es keine Sozialarbeiter und Psychologen, die diese Menschen in Haft / auf Station begleitet hatten.
Viele Insassen glaubten, nach der Strafe in die Freiheit zurückkehren zu können, aber man brachte sie in dieses Krankenhaus mit Strafanstaltscharakter (...). Ihre Zurechnungsfähigkeit war vermindert, es fehlten ihnen die notwendigen Hemmungen, sie waren eine Gefahr für die Gemeinschaft: Die Pforten der >Heil< Anstalt schlossen sich hinter ihnen für immer. Hier gibt es Mörder, Diebe, Sittlichkeitsverbrecher, Urkundenfälscher, religiös Wahnsinnige. Die meisten von ihnen verbüßten erst eine längere oder kürzere Strafe ehe sie hierherkamen.

Die Patienten wurden unterernährt und dadurch brachen viele Krankheiten aus. Ich bekam auch als Leserin den Eindruck, dass man diesem Teil der Gesellschaft keine hohe Lebenserwartung gönnte. Viele Patienten erkrankten tatsächlich schwer durch die Mangelernährung. Viele erlagen ihrer Krankheit. Diese Leute wurden nicht mehr wie Menschen behandelt, sondern eher wie unreife Wesen, die entmündigt wurden:



Ich habe auch beobachtet, dass meine Mitkranken, auch die stumpferen, gerne auf dieses >Sie< reagierten. Es gemahnte sie an die Zeit, dass sie noch Menschen waren, wenn niemand ihnen jeden Schritt befahl, jeden Bissen zuteilte, sich am frühen Abend wie kleine Kinder ins Bett schickte. (…) Irgendwelche Gefühle wurden an einem Erkrankten oder Sterbenden nicht verschwendet, und soviel ist richtig, dass unser Oberpfleger ein harter Mann war, der Sentimentalitäten nicht kannte. Die meisten Kranken schienen ihm unnütze Geschöpfe, die doch zu nichts mehr gut waren. Es war schon besser, sie verschwanden von dieser Erde. Und leider hatte er damit nicht einmal  Unrecht.

Erwin Sommer vermisste bei der Anrede das Sie. Als ein Mitpatient ihn Mit Herr Sommer anredete, fühlte er eine Wohltat:

Herr Sommer und >Sie<, das tut mir gut.
Haben wir es auch Falladas Bücher zu verdanken, dass sich hier im Laufe der Zeit auch eine deutliche Wende abzeichnen konnte? (Psychiatrie Ènquete 1970er Jahre).

Zu dem Krankheitsbild eines Alkoholikers möchte ich nicht allzuviel sagen, Fallada kann darüber besser schreiben als ich... . Aber es ist ziemlich differenziert und so ist es vielfach auch in der Realität. Auch Erwin Sommer brauchte lange Zeit, ehe er sich eingestehen konnte, dass er tatsächlich süchtig ist. Seine widrigen Umstände suchte er mehr im Außen als bei sich selbst. Und auch unter seinen Mitpatienten, so waren alle anderen die Kranken, nur er selbst nicht. Völlige Fehleinschätzung, völlige Verzerrung der Selbstwahrnehmung, keinerlei Krankheitseinsicht:



Ich war etwas anderes als die andern Kranken, ich war völlig gesund und hatte alle Aussicht, bald wieder in die Freiheit zu kommen - dieses kleine Wort >Sie< war wie eine letzte Erinnerung an das bürgerliche Leben, in das bald zurückzukehren ich so ersehnte. (…) Schuld-?! Dachte ich. Was habe ich denn Für eine Schuld?! Die bisschen Bedrohung-(...) Für eine Bedrohung kriegt man höchstens ein Vierteljahr! Das ist gar nichts, das kann man überhaupt nicht rechnen! Sie aber machen sie ein Riesensums daraus, sie schleppen mich ins Gefängnis und Heilanstalt, sie neben mir das > Herr< vor meinem Namen Sommer, Wasser geben sie dir als Fraß, und sie veranstalten Verhöre mit mir, als sei ich ein Muttermörder und der letzte der Menschen!
Seine Frau Magda dagegen zeigte auch keinerlei Einsicht, was sie in der Ehe falsch gemacht haben könnte, und schiebt alles in Form einer Tirade auf ihren Mann ab, der sowieso recht labil ist und kaum Selbstwertgefühl besitzt.

Die Gesellschaft, tja auch dort findet Erwin Sommer keinen Halt, auch nicht in seine Alkohol-Göttin aus einer Kneipe, die er regelmäßig besucht, meist wenn er Stütze sucht.


Die Justiz selbst und das Personal der verschiedenen Einrichtungen zeigten sich auch voller Vorbehalte, so nach dem Motto, einmal Täter immer Täter. Einmal Trinker, immer Trinker. 


So, ich mache jetzt hier Schluss. Was den Trinker angeht, so kommen mir keinerlei Gedanken auf, dass Erwin Sommer recht geschieht... , denn so etwas kann wirklich jedem passieren.  

Wegen der Authentizität, die echt gelungen ist, gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Auch deshalb zehn, weil die Schilderungen und Personenbeschreibungen recht differenziert dargestellt wurden und es nicht nur einen Täter oder ein Opfer gab. Irgendwie waren sie alle Täter und manche waren beides, Opfer und Täter zugleich:



  1. Erwin Sommer
  2. Magda Sommer
  3. Die Justiz
  4. Die Gesellschaft
  5. Wächter und weiteres Gefängnispersonal
  6. Die Anstalten
__________________
„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 75
Gelesene Bücher 2011: 86




Freitag, 19. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker


  • Taschenbuch: 291 Seiten
  • Verlag: Aufbau Taschenbuch; Auflage: 2 (23. Mai 2011)
  • 9,99 €
  • ISBN-10: 3746627915




Klappentext
Untergang eines KleinbürgersIn gut zwei Wochen, bis zum 21. September 1944, schrieb Fallada seinen persönlichsten Roman nieder. Zu der Zeit lebte er auf richterlichen Beschluss für dreieinhalb Monate in der Strelitzer Landesanstalt. Vorangegangen war ein Streit mit seiner geschiedenen Frau, bei dem Fallada einen ungezielten Schuss aus seinem Terzerol abgab. „Solange ich schreibe, vergesse ich die Gitter vor dem Fenster“, teilte er seiner Mutter in einem Brief mit. Umgeben von kranken Kriminellen, Wärtern und Pflegern, selten ungestört, schrieb Fallada nicht nur den Roman, sondern noch fünf Erzählungen und seine Sicht auf die Nazizeit nieder. Um das Manuskript zu schützen, tarnte er es durch Unleserlichkeit: fertige, eng beschriebene Manuskriptblätter stellte er auf den Kopf und schrieb in den Zwischenräumen zurück. Mitunter wiederholte er den Vorgang, so dass die Seiten wie mit einer Geheimschrift bedeckt erschienen. In monatelanger Entzifferungsarbeit wurde der Roman nach Falladas Tod im Aufbau-Verlag rekonstruiert. In dieser Fassung erschien er als Lizenzausgabe 1950 im Rowohlt-Verlag, 1953 im Aufbau-Verlag.


Autorenportrait
RUDOLF DITZEN alias HANS FALLADA (1893–1947), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit "Der junge Goedeschal“. Der vielfach übersetzte Roman "Kleiner Mann – was nun?" (1932) machte Fallada weltberühmt. Sein letztes Buch, „Jeder stirbt für sich allein“ (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: »Bauern, Bonzen und Bomben« (1931), »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« (1934), »Wolf unter Wölfen« (1937), »Der eiserne Gustav« (1938). 
»Alles in meinem Leben endet in einem Buch.«
Mit dem letzten Zitat fühle ich mich in meiner Beobachtung bestätigt, dass alle Falladas Bücher starke autobiografische Züge aufwiesen. Nur bei den Kinderbüchern möchte ich mir kein Urteil erlauben.

Von Fallada habe ich einige Bücher gelesen und viele aber auch noch nicht. Der Aufbau Verlag hat Fallada wieder neu entdeckt, indem er nach und nach immer mehr Fallada - Bücher aufgelegt hat. Einige Bücher hatte ich vor einem Jahr noch nicht bekommen, mittlerweile, wie mir dies aus der Bestellliste im aufbau Verlag deutlich geworden ist, sind sie wieder zu erwerben. Na, dann werde ich meine Fallada-Liste noch weiter ergänzen.


Sándor Márai / Die Glut (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre 

Ich habe das Buch nun durch, und ich habe es als ein wenig langatmig empfunden von den Gedanken des Protagonisten Henrik, der auch zugleich ein Monologist für mich ist. Er stellt Fragen, beantwortet sie sich auch selbst, dazu zählen auch Fragen, die andere Personen betreffen. Beim Lesen dieser Monologe bekam ich das Gefühl, ich besteige einen Berg. Viele Gedankengänge wiederholten sich.

Es sind viele Fragen gewesen, die den Sinn des Lebens betreffen, die Treue einer Freundschaft, über Gut und Böse, Einsamkeit und Fragen über die Wahrheit. Zum Schluss fand ich eine Antwort, was das Wesentliche im Leben ist. Es ist die universelle Liebe, die gelebt werden will.

Zu Beginn des Romans erfährt man viel über die Kindheit des Protagonisten namens Henrik, der aus einer Adelsfamilie stammt und in einem Schloss lebt. Henrik schien mir ein recht sensibles Kind zu sein, das viel Liebe benötigte, und nur seine Amme Nini in der Lage war, sie ihm zu schenken, obwohl man Henriks Eltern nicht als Rabeneltern bezeichnen kann. Im Gegenteil, sie waren sehr um ihr Kind wohlwollend bemüht. Der Vater, z.B. schien mir recht sympathisch, als Henrik später, im Alter von zwölf Jahren, einen Kameraden im Internat kennengelernt, mit dem er eine feste Freundschaft eingeht. Er berichtet seinem Vater von dem Freund Kónrad und der Vater erwiderte ihm:
"Wenn Kónrad dein Freund ist, Henrik, dann ist er auch mein Freund".
Das fand ich sehr schön.

Obwohl zwischen den beiden Knaben ein Standesunterschied besteht, sind diese beiden Jungen die Freundschaft eingegangen. Konrád kommt aus einer ärmeren Schicht. Die Eltern mussten jeden Cent zusammensparen, damit Kónrad eine gute Ausbildung erhält...

Und trotzdem schien mir zwischen den beiden Jungen etwas Unheimliches und Geheimnisvolles zu geben, was sich im Fortlauf des Romans auch bestätigen ließ. Selbst Henrik nahm an der Freundschaft etwas Geheimnisvolles wahr:
Und wären wir keine Freunde gewesen, wäre ich nicht anderntags in deine Wohnung gegangen, in die du mich nie eingeladen hattest, wo du das Geheimnis wahrtest, das Böse, unverständliche Geheimnis, das unsere Freundschaft vergiftete.
Kónrad gab sich nicht ganz der Freundschaft hin, was Henrik ihm später, nach fünfundvierzig Jahren des Wiedersehens, vorwirft. Zum Beispiel gab Kónrad Henrik den Standesunterschied deutlich zu spüren... .

Nach 45 Jahren sucht Henrik Konrad wieder auf und so beginnt hier ein aufklärendes Gespräch für Henrik...Kónrad ist eher der aktive Zuhörer.

Im erwachsenen Alter lernt Henrik Christina kennen, eine Musikerin. Auch Konrad ist musisch begabt. Ebenso Henriks Mutter. Manchmal spielten sie zu dritt und Henrik fühlte sich ausgeschlossen, und beneidete Konrad, dass er ein Musikinstrument beherrschen würde und in Sphären abtauchen könne, die ihm verschlossen bliebe. Auch Henrik verhielt sich ein wenig geheimnisvoll, neidete seinem Freund die Musik.

Und so glaubt Kónrad, nicht zu den Adligen dazuzugehören und schließt sich selber aus, während Henrik sich ausschließt, weil er keinen Zutritt in die Musikwelt fnden kann, und empfindet nur noch Hass für die Musik.

Christina wurde Henriks Frau... . Aber aus dem Monolog geht hervor, dass Kónrad auch in Christina verliebt war, Christina sogar Henrik mit Kónrad betrogen hatte, und Konrad diese Affaire in die Flucht schlug, wanderte aus in den Tropen, weit weg von Christina. Er hatte sich von Henrik nicht mal verabschiedet.

Ob Christina ihn tatsächlich betrogen hatte, wird später nicht wirklich bestätigt, ist aber sehr wahrscheinlich. Kónrad beantwortet die Frage nicht und auch das Tagebuch von Christina, in dem die Wahrheit stehen könnte, und das sie nach ihrem Tode zurückgelassen hatte, blieb verschlossen und wurde dem Feuer übergeben, da auch hier Kónrad keinen Einblick darin wünschte, als Henrik ihn angeboten hatte, das Tagebuch gemeinsam mit ihm zu lesen, um die Wahrheit zu erfahren. Da Kónrad ablehnte, lehnte auch Henrik ab, weshalb das Tagebuch schließlich mit dem Geheimnis im Feuer vernichtet wurde.

Nachdem sein Freund das Land verlassen hatte, zog sich in Henrik die Einsamkeit zurück. Die Freundschaft mit Kónrad erlebte er als etwas Besonderes, die man mit einer Frau nicht eingehen könne.
In meinem Haus gibt es kein Telefon, nur der Verwalter im Büro unten hat eins, und ein Radio hab ich auch nicht, denn ich habe verboten, dass man den dummen, schmutzigen Lärm der Welt in die Zimmer lässt, in denen ich wohne. Mir kann die Wahrheit nichts mehr anhaben. Neue Weltordnung mögen die Lebensform aufheben, in der ich geboren wurde und gelebt habe, aufrührerische, aggressive Kräfte mögen die Freiheit und Leben nehmen. Es ist alles gleichgültig. Wichtig ist, dass ich mit der Welt, die ich erkannt und auf meinem Leben ausgeschlossen habe, nicht feilsche.
Kónrad wird dagegen von Henrik als ein Feigling bezeichnet, der Weltflucht betreibt, und sich nicht den Problemen stellt, und stattdessen wichtige Tugenden, wie z.B. die Freundschaft, aufgibt. Zeigte sich enttäuscht darüber, von dem Freund verlassen geworden zu sein. Er stellt sich auch hier die Frage, was Freundschaft letztendlich sei und  denkt an seinen Vater zurück, der die Freundschaft mit Ehre und Dienst gleichsetzen würde.
Gemeinsame Interessen können zwischenmenschliche Situationen schaffen, die der Freundschaft gleichen. Und auch um der Einsamkeit zu entfliehen, lassen sich die Menschen gern zu Vertraulichkeiten hinreißen, die sie später allerdings bereuen, die ihnen aber eine Zeitlang als Spielarten der Freundschaft erscheinen mögen. Das alles ist natürlich nicht das Wahre. Vielmehr stellt man es sich so vor - mein Vater tat es noch; dass die Freundschaft ein Dienst ist. Wie der Liebende, so erwartet auch der Freund keinen Lohn für seine Gefühle. Er will keine Gegendienste, er sieht den Menschen, den er als Freund erwählt hat, nicht in einem illusorischen Licht, er sieht seine Fehler und akzeptiert ihn mitsamt allen Folgen. Das wäre die Idee. Und hätte es ohne eine solche Idee einen Wert zu leben, Mensch zu sein? Und wenn ein Freund versagt, weil er kein richtiger Freund ist, darf man dann seinen Charakter, seine Schwäche anklagen? Was ist eine Freundschaft wert, in der man den anderen für seine Tugenden, seine Treue, seine Beständigkeit liebt? Was sind die Arten von Liebe wert, die mit Treue rechnen? Ist es nicht unsere Pflicht, den treulosen Freund genauso zu akzeptieren wie den treuen, der sich aufopfert? Ist nicht das der wahre Gehalt einer jeden menschlichen Beziehungen, diese Selbstlosigkeit, die vom anderen nichts, rein gar nichts fordert und erwartet? Umso weniger er erwartet, je mehr er selbst gibt? Und wenn er dem anderen das Vertrauen einer ganzen Jugendzeit schenkt und dann die Opferbereitschaft eines ganzen Mannesalters und am Schluss das höchste, das ein Mensch dem anderen geben kann, nämlich das blinde, bedingungslose, leidenschaftliche Vertrauen, und wenn er dann sehen muss, dass der andere treulos und gemein ist, darf er dann aufbegehren und Rache wollen?
Mir gefällt dieses Zitat recht gut, aber es ist voller Anklage gegen den Freund, weshalb ich es verwunderlich finde, dass Kónrad darauf kaum reagiert, hat doch auch er seine Versionen über sein Leben.
Was die Theorie zur Liebe betrifft, so fokussieren die meisten Menschen ihre Gedanken meist auf die partnerschaftliche Liebe. Ich finde es schön, dass die zwischenmenschliche Liebe in diesem Buch auch ihren Platz bekommen hat.

In dem Monolog wird auch viel von der Wahrheitssuche gesprochen und habe dazu eine Textstelle markiert, die ich auch gerne festhalten möchte:
Die Tatsachen sprechen, wie man zu sagen pflegt; gegen Lebensende schreien die Tatsachen ihre Geständnisse lauter heraus als die Angeklagten auf der Folterbank. Am Ende ist alles geschehen, und das lässt sich nicht missverstehen. Doch zuweilen ist die Tatsachen nur armselige Folgeerscheinung. Man macht sich nicht mit dem schuldig, was man tut, sondern mit der Absicht,  die hinter diesem Tun steckt. (...) Ein Mensch kann  eine Treulosigkeit, eine Gemeinheit, ja auch das Schlimmste, einen Mord, begehen und dabei schuldlos bleiben. Die Handlung ist noch nicht die Wahrheit. Sie ist immer nur eine Folge, und wenn man eines Tages als Richter auftreten und ein Urteil sprechen muss, darf man sich nicht mit den Tatsachen auf dem Polizeirapport begnügen, man muss auch das kennen, was die Juristen das Motiv nennt.
Teilweise ist das Buch ein wenig abstrakt, aber es ist Stoff genug, um den Gedanke im Stillen weiterzudenken. Der Mensch muss Erfahrungen machen, und diese Erfahrungen sind letztendlich wertneutral. Ich denke, dass Henrik mit seiner Philosophie seinen wirklichen Frieden gefunden hat.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 74
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Sándor Márai / Die Glut





Gebunden, Miniformat
224 Seiten
10,00 €
ISBN: 9783492272773


Klappentext
Darauf hat Henrik über vierzig Jahre gewartet: Sein Jugendfreund Konrád kündigt sich an. Nun kann die Frage beantwortet werden, die Henrik seit Jahrzehnten auf dem Herzen brennt: Welche Rolle spielte damals Krisztina, Henriks junge und schöne Frau? Warum verschwand Konrád nachjenem denkwürdigen Jagdausflug Hals über Kopf? 


Autorenportrait
Sándor Márai wurde 1900 in Kaschau (heute Košice, Slowakei) geboren. »Die Schwester«, 1946 verfasst und publiziert, war der letzte Roman, der in seiner Heimat erschien. 1948 verließ Márai Ungarn, exilierte nach Italien und lebte zwischen 1952 und seinem Freitod im Jahre 1989 im amerikanischen San Diego. Zuletzt erschienen auf Deutsch seine Romane »Befreiung« und »Die Schwester«.
Nur ein kurzer Kommentar, eine Buchbesprechung liefere ich im separaten Link nach dem Lesen der Lektüre:

Ich habe nun das Buch bald durch, und kann mich eigentlich mit dem, was im Klappentext steht, nicht wirklich anfreunden. Eigentlich geht es hier um die wahre und unwahre Freundschaft zwischen zwei Jungen, später Männer, doch der Klappentext hat den Fokus auf eine Liebesgeschichte gesetzt. Die gibt es zwar auch, aber sie steht nicht primär im Vordergrund. 





Dienstag, 16. Oktober 2012

Anchee Min / Madame Mao (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Ich habe das Buch soeben beendet und es hat mir ganz gut gefallen. Hauptsächlich auch weil ich von Maos Frau so noch gar nichts wusste. 

Ich habe Mao in der Familie nicht so brutal erlebt wie in der Gesellschaft. Er hatte durchaus warme und väterliche Züge, aber die hatte Hitler ja auch... . Maos Politik wurde viel von Hitlers Politik abgeguckt... . Erstaunlich, dass Politiker dieser Art nicht nur etwas Abschreckendes haben, sondern für manch Andere gelten diese als Vorbild, weil sie selbst mit solchen zerstörerischen inneren Potentialen behaftet sind. 


Das Buch beginnt mit einem Prolog, endet aber nicht mit einem Epilog. 


Der Prolog wird in der Ich-Perspektive von Madame Mao gesprochen, siehe dazu weiter unten im Blog - Post  "Buchvorstellung".


Nach dem Prolog wechseln sich ErzählerIn und Protagonistin ab, um das Leben der Madame Mao darzustellen.

Diesen Schreibstil fand ich nicht uninteressant aber doch gewöhnungsbedürftig, weil man immer wieder springen musste, von der Madame Mao zur Erzählerin und umgekehrt.

Ich nenne sie hauptsächlich Madame Mao, da sie schon so viele Namen gewechselt hat, was in China üblich ist, Identitäten zu wechseln. Vor Mao nannte sie sich Lan Ping.


Auf den ersten einhundertfünfzig Seiten erfährt man ausschließlich über die Kindheit und Jugendzeit der Protagonistin, die alles andere als rosig war. Schon das Leben ihrer Mutter war dermaßen vorbelastet und trist, was sich in ihr Leben quasi fortsetzte. Die Mutter war nicht mehr als eine Konkubine, eine Geliebte des Vaters des Mädchens, der sie verließ und das Kind  ihn nicht einmal kannte. Hätte die Mutter einen Sohn geboren, wäre die Wahrscheinlichkeit größer gewesen, von dem Mann nicht verstoßen zu werden. Und so wurde es schwierig für die Mutter, für sich und für das Kind zu sorgen.


Das Leben einer Frau in China war keineswegs einfach. Viele Männer rächten sich an ihren Frauen, wenn sie ihnen keinen Sohn geboren haben, so auch die Mutter von der Madame Mao. In China gibt es ein Sprichwort, das sich hauptsächlich Frauen zu Herzen nehmen. Frauen sind wie Gras und nur dazu da, damit man auf sie drauf tritt. 


Lan Ping, die 1919 zur Welt kam, war schon als Kind irgendwie etwas Besonderes, indem sie anfing, sich gegen sinnlose Bräuche und Traditionen aufzulehnen. Im Alter von zwei Jahren bereitete ihre Mutter sie vor, ihre kleinen Mädchenfüße in ein für Mädchenfüße vorgesehenes, schmerzehaftes Raster zu stecken, um das Wachstum zu verhindern. Die Kinderfüße waren über mehrere Wochen quasi eingesperrt. Das Mädchen wehrte sich und befreite sich eigenmächtig von der Qual. Die Tortour sollte die Füße klein halten und Symbol dafür sein, dass die zukünftige Frau bereit sei auf ein demutsvolles Laben als Ehefrau, und als Mutter ... .


Lan Ping verlor nach ein paar Jahren den Kontakt zur Mutter, da sie nicht mehr in der Lage war, sich und das Kind zu ernähren. Das Kind wurde den Großeltern übergeben, während die Mutter die Familie verließ.


Als das Kind über die Art und Weise erfährt, wie ihre Mutter ihr Geld verdient, denkt sie recht abfällig von ihr. Erst Jahre später entwickelt sie der Mutter gegenüber Mitgefühl, als sie selbst an der eigenen Haut zu spüren bekommt, wie schwer es Frauen in der chinesischen Gesellschaft haben zu existieren.



Ich weine mitten in einem Akt. Was unterscheidet mich von den Prostituierten auf der Straße.? Solche Gedanken kommen mir dabei. Ich habe meiner Mutter Unrecht getan. Ich dachte immer, ihr Leben sei verpfuscht, weil sie etwas falsch gemacht hat. Jetzt weiß ich, dass eine Frau alles richtig machen kann, und ihr Leben ist trotzdem verpfuscht.

Nach dem etwas aus der Kindheit geschildert wurde, erfahre ich recht viel über ihr Liebesleben. Sie ging vier Ehen ein, die vierte war die mit Mao. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, nach Wertschätzung und nach Anerkennung:


1930 fühlt sie sich als Pfau unter Hühnern. Ihr Leben ist der Beweis. Manchmal, sagt sie sich, muss man sich in einen Hühnerstall stecken lassen, um Wertschätzung und Anerkennung zu finden.

Ich finde diese Bilder so schön, diese Vergleiche empfinde ich als recht ausdrucksstark. 

Die junge Frau möchte Schauspielerin werden und gibt alles, was sie nur geben kann. Sie erhält kurzfristig die Hauptrolle von Ibsen Nora oder Ein Puppenhaus. Sie identifiziert sich mit Nora, spielt dadurch ihre Rolle ausgezeichnet. Sie vergleicht China mit Torvald, sieht jede Menge Parallelen. Torvald, der Ehemann von Nora. Er infantilisiert Nora, liebt sie nicht wie eine Ehefrau, sondern mehr wie eine Tochter. Er verniedlicht sie oft und macht sie von sich abhängig  Nora will sich von dieser Abhängigkeit befreien, und sehnt sich danach, gleichberechtigt als Frau neben ihm zu stehen. Wenn man das Theaterstück kennt, kann man diesen Vergleich Torvald zu China ziemlich gut nachvollziehen, und ich finde, dass der Vergleich tatsächlich gut gewählt ist. 


Bald ist "Nora oder Ein Puppenhaus" Stadtgespräch in Shanghai. Das Stadtgespräch des Jahres 1935. Lan Ping lässt sich von der Woge ihres Ruhms tragen und beginnt sich der Filmindustrie anzunähern. Aber sie ist dort nicht erwünscht. Es ist ein anderer Kreis, eine andere Clique. Sie muss wieder bei Null anfangen. Tagsüber sieht sie sich nach Möglichkeiten beim Film um, abends spielt sie die Nora. Das Publikum wächst, und die Regierung fühlt sich durch die politische Wirkung des Stücks bedroht. Nach vier Wochen wird der Theaterintendant von der Zensurbehörde aufgefordert, die Aufführung zu entpolitisieren. Als er die Truppe zum Protest aufruft, wird das Stück abgesetzt.In einem offenen Brief kritisiert die Truppe das Vorgehen der Regierung. Lang Pings Unterschrift steht an erster Stelle. Mit gleicher Leidenschaft, im gleichen Ton wie auf der Bühne spricht sie im Rundfunk und auf Kundgebung. Sie nennt die Regierung "Torvald".

Später werden diese Vergleiche noch weiter bekräftigt, als Lan Ping  Mao Zedong zu ihrem Mann nimmt. Noch immer war Lan Ping auf der Suche nach Liebe und Anerkennung und sehnte sich nach der Macht ihres Mannes, wollte als politische Frau neben ihm stehen und mitagieren, doch außer väterliche Gefühle konnte er sie nicht zu seiner politischen Partnerin machen. Doch diese väterliche Gefühle reichten ihr vorerst voll und ganz aus, später dagegen fühlte sie sich nicht mehr wirklich befriedigt und als Frau ignoriert. 


Er ist eine Vaterfigur für mich. Er ist alles, was ich mir immer von einem Mann gewünscht habe. Als Vater ist er weise, liebevoll und Respekt einflößend. Als ich ihn fragte, warum er sich entschlossen hat, mich zu heiraten, lautete seine Antwort, dass ich einen Hahn dazu bringen könnte, Eier zu legen. (…) Später, viele Jahre später wird mir klar, dass er lieber mit der Fälschung lebt als mit dem Original. Als junge Frau aber war ich schlicht und begeisterungsfähig. Ich muss nicht alles verstehen diesen Gott, dessen Wesenskern außerhalb meiner Reichweite liegt.

Die Manipulationen an das Volk verstärken sich immer mehr. Wenn ein Gefolterter stirbt und die Wächter nicht haben das erwartete Geständnis herauspressen können, so hieß es, den Geist des Toten zu weiter foltern.
Bei den Lebenden war Maos Ziel, den Geist des Volkes zu tätowieren. Auch hier finde ich die Vergleiche recht ausdrucksstark. 

Eigentlich ist die Philosophie Maos gar nicht so schlecht,  nur wenn sie dogmatisch und diktatorisch wird, ist es kriminell. Der Hintergrund seiner Ideen war nichts anderes, als Bauern und Arbeiter mit den Reichen gleichzustellen und ihnen die gleichen Rechten zugestehen. Sie sollten für ihre harte Knochenarbeit gegenüber den Akademikern auf Lohnebene nicht weiter benachteiligt werden.



Mao startet eine Kampagne mit Hilfe der Medien. Die Kulturrevolution muss ein Seelen-Reinigungsprozess sein (...). Die alte Ordnung muss abgeschafft werden. Ein Arbeiter sollte kostenlos in die Oper gehen können; der kranke Sohn eines Bauern sollte  die gleiche medizinische Behandlung bekommen wie sein Provinzgouverneur; ein Waisenkind sollte die beste Ausbildung erhalten; Alte und Behinderte sollten in den Genuss kostenloser ärztlicher Versorgung kommen.

An an diesen Ideen finde ich nichts Anstößiges auszusetzen. Nur leider hat sich Mao verkalkuliert und Akademikern zu seinen Feinden gemacht. 

Doch sowohl die Bauern, als auch die Arbeiter wurden durch seine Macht immer ärmer und Akademiker hat er versucht auszurotten, wenn sie  in Arbeitslagern nicht umzuerziehen waren. Große Vorurteile herrschte zwischen den Arbeitern, Bauern zu den Akademikern. Die Arbeit der Akademiker wurde nicht als Arbeit verstanden. Diese Vorurteile findet man noch heutzutage auch in europäischen Gefilden. Geistige Arbeit wird auch heute noch von vielen Menschen nicht als Arbeit verstanden. Maos Vater war selbst Bauer und sehr autoritär. Mao besuchte nicht lange die Schule und eignete sich später vieles autodidaktikisch an. Neidisch auf die Bildung der Gebildeten? Neidisch auf deren Löhne und Gehälter? Große Vorbilder fand Mao in Marx und Lenin... . Im Folgenden ein Beispiel, wie Mao zu Büchern steht:



Ich nehme solche Bücherwürmer nicht all zu ernst (…). Was kennen solche Leute schon? Wörterbücher? Was ist ein Wörterbuch anderes als eine Ansammlung von Seiten voller toter Wörter? Können sie Reisschößlinge von Unkraut unterscheiden? Bücherwurm kann jeder werden, aber Koch oder Metzger nicht! Ein Buch hat keine Beine, man kann es jederzeit auf- oder zuklappen. Ein Schwein hat Beine, mit denen es laufen, und eine Stimme, mit der es schreien kann. Der Metzger muss es einfangen und Schlachten. Der Koch muss aus dem stinkenden Fleisch einen leckeren Braten machen. Das sind echt Talent.

Madame Mao bezeichnet den Diktator als ein wissenschaftlicher Analphabet. Auch dieser Vergleich finde ich gut.
Nach ein paar Jahren fühlt sich Lan Ping (Madame Mao) in der Ehe mit Mao nicht mehr ausgefüllt. Sie hungert nach Macht. Sie sehnt sich danach, Chinas stärkste Frau zu sein. Mao verweigert sich noch immer, sie als politisierende Partnerin dem Volk vorzustellen. 


Er liegt mit geschlossenen Augen da. Sie redet weiter. Beschreibt ihre Gefühle - dass sie sich vorkommt wie unter Wasser; ihr Herzschlag bildet Ringe an der Oberfläche. Dass sie nicht weiß, was aus der Liebe geworden ist, für die sie lebt. Sie redet und redet, als müsste sie zusammenbrechen, wenn sie aufhört. Ich bin ein sterbender Same in einer Frucht. Alle sind höflich zu mir, weil ich deine Konkubine bin. Eine Konkubine - keine Revolutionärin, keine Soldatin, nichts dergleichen. Deine Leute haben keinen Respekt vor mir. Ich bin alles, und doch bin ich nichst. Ich bin dir wie ein Hund gefolgt. Mehr habe ich nicht zu bieten. Mein Körper und meine Seele sind dein Rastplatz.

Madame Mao war an sich kein böser Mensch, denn auch sie brachte einige Menschen in die Folterklammer, wenn bestimmte Personen sie als ihre Rivalen sah... Rivalen, die ihr das Glück zerstören hätten können, etwas, was sie nie besaß. Autorität und Anerkennung. Macht. Macht setzte sie mit Liebe gleich. Sie war ein Leben lang auf der Suche nach Liebe, und ist niemals gesättigt worden. Sie hat die Erziehung ihrer Tochter vernachlässigt  weil sie selbst als ein bedürftiges Wesen zu sehr mit sich beschäftigt war. Auch vom Volk wollte sie geliebt werden, da Geliebtsein für sie gleichgesetzt war mit Gefühlen der Anerkennung und der Wertschätzung. Liebe hatte einen hohen Preis, den man nicht selbstlos erhielt, aber sie erhielt die Liebe auch nicht durch Kampf, den sie ein Leben lang führte.


Menschen, die als Kinder nicht mit Liebe genährt wurden, bleiben größtenteils ein Lebenlang suchende Wesen. Viele verlagern ihre Suche nach außen hin, suchen unbewusst einen Mutter- oder Vaterersatz. Die wenigstens gehen nach innen, um sich selbst Mutter oder Vater zu werden, auch um im Inneren eine eigene Quelle der Liebe zu finden. Wer diese Quelle im  Inneren  findet, wird nicht mehr enttäuscht werden, während die Liebe im anderen Menschen gesucht keine Garantie für Beständigkeit ist. Der liebende Mensch im Außen bleibt immer unberechenbar. 
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 73
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 14. Oktober 2012

Mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse Oktober 2012


Ich habe es tatsächlich geschafft, heute, nach ca. zehn Jahren, mich mal wieder auf der Buchmesse blicken zu lassen. Ich habe gelernt, dort schon strukturiert zu erscheinen, sozusagen mit einem Plan in der Tasche, um die verschiedenen Foren und Säle abzuklappern. Ich habe trotzdem nicht mal die Hälfte bewältigen können... . Ich tröste mich damit, dass die Buchmesse jedes Jahr neu auftreten wird.

Um diesen Andrang ein wenig vorzubeugen, wollte ich schon recht früh aus dem Haus, was mir nicht gelungen ist, da ich verschlafen hatte. Hatte gestern Abend schon auch eine wichtige Veranstaltung besucht, an der viele Leute anwesend waren.

Schon auf dem Bahnsteig in Darmstadt kamen mir ein paar skurrile Gestalten entgegen. Konnte noch nicht ahnen, dass diese Gestalten etwas mit der Buchmesse zu tun hatten.

Viele junge Leute waren kostümiert, als befänden wir uns in der Fastnachtszeit, doch spätestens in der Buchmesse wurde mit klar, dass diese Gestalten nichts anderes als bunt gemixte Literaturfiguren darstellen sollten. Manche Figuren waren gut gelungen, doch viele eher nicht. Lila, blaue, grüne Haare, die Körper waren in Kostümen gesteckt. Eher hippiemäßig aus einer Zeit, wo es den Hippie noch gar nicht gab. Die Kostüme passten ins 17. Jahrhundert. Einige haben mir total gut gefallen. Als ich meine Kamera auspackte, musste ich traurigerweise feststellen, dass sie just beim Fotografieren der einen Figur, die mich so faszinierte, den Geist aufgegeben hat. Bin sehr traurig darüber, bin nun gezwungen, diese schöne Figur in Worten zu kleiden..

Die Figur hatte etwas Surreales. Sie war kopflos, männlich und trug einen schwarzen Anzug mit weißer Krawatte. Sie war trotzdem selbstsicher unterwegs und trug einen schwarzen offengespannten Regenschirm. Eigentlich erinnert sie mich weniger an literarische Figuren, stattdessen jedoch an Gemälde aus dem Dadaismus.

Eine andere Figur konnte ich noch knipsen, etwas verschwommen zwar, aber immerhin. Diese hatte mir auch recht gut gefallen und könnte in die Zeit Jane Austen Romanen passen, vor allem in Stolz und Vorurteil.







Und im Folgenden eine weitere Figur:






Tja, zu Hause stellte sich heraus, dass die Kamera nicht defekt war, sondern der Chip erwies sich als nicht mehr brauchbar.

Als erstes besuchte ich das Gastland Neuseeland (F). Die Veranstaltung dort  war so wunderschön, traumhaft schön, fantasievoll-poetisch und vielseitig gestaltet. So viele Inputs, möchte ein paar wenige aufschreiben. Man stand in dem Saal, alles war dunkel, die Mitte des Saales musste frei gehalten werden, sah aus wie ein Fluss in der Nacht. Es brannten kleine Lichter. Oben drüber der Mond. Vollmond. und wir wurden quasi in viele verschiedene Welten Neuseelands geführt und mit vielen, auch hier recht surrealen Bildern, inspiriert. Jede Menge Leinwände, auf denen ähnlich eines drei D-Kinos viele Kurzfilme dargestellt wurden. Buchstaben, die aus der Tiefe des Flusses an die Oberfläche "fliegen", für mich hat sich das wie Fliegen angefühlt, bis plötzlich das Wasser, als etwas hineingeworfen wird, wie Glas zerbricht, und sich die fliegenden Buchstaben auflösen. Boa, ich finde diese so wunderschönen Bilder. Wasser, das wie Glas zerbricht, finde ich eine super Idee.

In recht kleinen Räumen, die zu kleinen Dreiecken gestaltet wurden, hangen viele, viele Bücher aus Neuseeland.






Zum Schluss der Veranstaltung, sie lief in einem dreißig Minutentakt, befand sich ein Mann auf einem Bett mitten auf dem Wasser und las aus einem Buch vor und er das Ende mit einer kurzen Geschichte eingeleitet hatte. 

Danach habe ich mir ein Buch gekauft, von Barbara EWING Die Seelenheilerin.



Naja, so richtig weiß ich nicht, ob das Buch etwas für mich ist, da es doch auch in die Richtung der Esoterik geht, ist aber als ein historischer Roman deklariert. Werde es einfach ausprobieren.

Als nächstes begab ich mich in das Forum Literatur 3.0. Es war dermaßen viel los, dass man quasi nur mit Trippelschritten vorwärts kam. Ein absolutes Gedränge, dass ich gezwungen war, mich hauptsächlich an den Verlagen aufzuhalten, die zu meinen Favoriten zählen. Piper, Rowohlt, dtv, aufbauverlag, LangenMüller ...Doch glücklicherweise habe ich auch neue Autoren entdeckt aus Verlagen, die mir nicht bekannt waren, wie z,B. der A1 Verlag. An den anderen Verlagen bin ich eher dann stehengeblieben, wenn mir Interessantes ins Auge schoss. Bei dem Gedränge war es eher mühsam, etwas zu entdecken.

Von Piper habe ich gekauft:



Interessiere mich immer für das Italienbild, das an das deutsche Volk herangetragen wird. Wenn es mir zu klischeehaft wird, was ich oft in der Reiseliteratur auch zu anderen Ländern erfahren habe, trage ich es mit Humor oder aber ich schlage es wieder zu, wenn es ganz zu heftig wird.

Von Rowohlt habe ich gekauft, s. o. das Buch von einer Neuseeländerin.


Vom dtv:




Das Buch gibt es in mehreren Auflagen. Einmal noch in der Miniausgabe und eine Jugendausgabe, s. u.:



Das Buch wurde verfilmt und startet Mitte Dezember in den deutschen Kinos. Bis dorthin möchte ich das Buch gelesen haben. Herr der Ringe hat mir super gut gefallen, aber das Buch hatte ich nicht gelesen. Überlege, ob ich es nachholen soll, aber dadurch, dass so viele Kämpfe stattgefunden hatten, wollte ich mir das Buch nicht antun.

Vom aufbauverlag:



Eine Autobiografie: Die beiden Bände gab es zehn Euro billiger als im Buchhandel. Ich musste zugreifen, aber nicht, weil sie billiger waren, sondern weil mir Mark Twain zum Zugreifen so nahe stand. Habe ja schon einiges von Mark Twain gelesen, und weiß noch immer nicht genug über sein eigenes Leben.

Von LangenMüller:




Von der Autorin habe ich alle Bücher gelesen. Der vorliegende Band ist wohl neu und autobiografisch geschrieben, wobei mir die anderen Bände auch biografische Züge aufwiesen. 


Und nun zu dem neuen Verlag A1:




Literatur aus Pakistan, ein für mich, was Literatur betrifft, absolutes Neuland. Zudem haben mich auch die Covers total angesprochen. Habe beide Bände von dem Autor gekauft, nachdem das kurze Porbelesen mir inhaltlich beides Mal zugesagt hat. Im nächsten der Folgeband:


Solche Bücher findet man nicht einfach in den Buchläden, sondern hauptsächlich auf Messen. 
Ich freue mich immer, neue Länder auch auf der Ebene der Literatur kennenzulernen. 

So, nun habe ich meine Schätze vorgestellt. Noch unerwähnt ist eine Lesung geblieben, von der ich auch berichten möchte. Leider kam ich ein wenig spät, so dass ich nur noch das Ende mitbekommen konnte aber dafür habe ich das ganze Interview mitverfolgen können. 

Gelesen hat Iris Hanika:




Mich hat das Interview richtig gepackt, auch war mir die Autorin total sympathisch. Kein bisschen hochnäsig oder arrogant. Nein, total natürlich und trotzdem interessant. Die Autorin wurde 2010 schon mit einem Buch ausgezeichnet- sie erhielt den EU Price. Mir ist sie bis heute noch unbekannt gewesen. Leider konnte ich kein Buch von ihr mitnehmen, da sie in einem anderen Forum (Forum.4.0)  ihre Lesung hielt, und nicht dort, wo ihre Bücher vom Verlag vorgestellt wurden, (3.0). Muss wohl an dem mir unbekannten Verlag vorbei gelaufen sein. Manchmal wird man auf ein Buch erst durch eine Lesung aufmerksam. Ich hatte nicht die Kraft, wieder zurück ins Forum 3.0 zu gehen. Ich werde es mir im Buchhandel kaufen. Und wenn ich es dann habe, assoziere ich damit automatisch meine Erlebnisse auf der Buchmesse 2012.

Das in Auszügen gelesene Buch lautet: 



Das Buch greift die gegenwärtige Frauenemanzipation auf, und speziell die Frauenprobleme in der Gesellschaft, und man sich fragt, ob es diese Frauenprobleme in der westlichen Welt tatsächlich noch gibt. Ja, die gibt es... . Es zeigt auf, wie diese von der Protagonistin bewältigt werden.. Ich meine mich zu erinnern, dass die Autorin einige Inspirationen aus Russland erwarb. Mir hat auch ihr Sprachstil gut gefallen.

 Das Buch als Romangenre gekennzeichnet, obwohl es lt. der Autorin nicht wirklich wie ein richtiger Roman zu lesen sei, aber der Verlag  Bedenken hatte, dass das Buch im Buchladen in die Rubrik Ratgeber landen würde, und an falsche Leserinnen geraten könnte.

So, das war mein Tag auf der Buchmesse. Ich ärgere mich noch immer über die verlorenen Bilder. Auch meine Handycamera hatte ich nicht dabei, weil ich so wenig Ballast wie nur möglich mit mir herumschleppen wollte. Nächstes Mal bin ich schlauer. 

Ich bin um kurz nach zehn Uhr aus dem Haus und war um ca. 16:00 Uhr wieder zu Hause.



Freitag, 12. Oktober 2012

Anchee Min / Madame Mao




Gebundene Ausgabe: 347 Seiten

Verlag: Scherz (2002)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3502104719





Klappentext



Im Gedächtnis vieler Menschen ist sie die weißknöchrige Teufelin, ehrgeizig, unversöhnlich und grausam. Wer Madame Mao wirklich war, bleibt Phantasie und Geheimnis. Dieser Roman erzählt auf unvergleichlich brillante Weise die Geschichte einer Frau, die wie keine andere in China eine ganze Generation geprägt hat und zu den faszinierendsten Frauen des 20. Jahrhunderts gehört. Anchee Min blickt tief in Madame Maos Seele und verleiht einer überaus talentierten, leidenschaftlichen, zornigen Frau eine Stimme.»Liebesgeschichte und politisches Epos zugleich. Die Geschichte der Madame Mao, einer stolzen Schönheit, die zur mächtigsten, meist gefürchteten und schließlich geächteten Frau in China wurde.« (ELLE) 

 Das Buch habe ich bei Oxfam für 3,50 € entdeckt und musste es unbedingt mitnehmen. Viel habe ich schon gelesen über den Diktator Mao Zedong, und seine Kulturrevolution in China aber noch gar nichts über seine langjährige Frau. Ich habe den Prolog schon mal gelesen und ich finde es interessant  dass Maos Frau 38 Jahre lang gebraucht hat, bis sie ihn durchschaut hatte. Eigentlich erst nach seinem Tod.


Madam Mao, die gerade im Gefängnis sitzt, und der das Todesurteil wiederholt hinausgeschoben wurde mit der Hoffnung, sie werde über ihre Straftat Reue zeigen. Sie bat stattdessen ihre Tochter darum, eine Biografie über ihr Leben zu schreiben, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wer sie wirklich war und wie sie die Lügen ihres Mannes noch durchschauen konnte. Doch die Tochter, die ihre Mutter als Feindin sieht, verweigerte sich.

Es hat sich jemand anderes gefunden, Anchee Min, die diese Aufgabe übernahm. 

Das wird nun meine neue Wochenendlektüre. Ich habe zwar am Wochenende ausnahmsweise wenig Zeit zum lesen, habe aber dafür bis Dienstag Abend Zeit, das Buch durchzubekommen. 



Donnerstag, 11. Oktober 2012

Aldous Huxley / Schöne Neue Welt (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Mir hat das Buch partout nicht gefalten. Das sage ich gleich zu Beginn dieser Buchbesprechung.

Es drückt meine  Stimmung so runter, deshalb habe ich das Buch nicht bis zum Schluss durchhalten können.

Eine Gesellschaft, die von einem totalitärem Staat gelenkt und genetisch manipuliert wird. Der Staat nennt sich BUND und die Menschen stammen hauptsächlich aus ausgebrüteten, entkorkten Flaschen, hinein geboren in eine genormte Welt.
Die Embryoproduktion entsteht durch ein Bokanowskyverfahren: Ein bokanowsskyei bringt Knospen und Sprossen hervor, für jede Sprosse und Knospe entsteht ein Embryo, während ein natürliches Ei nur ein Embryo hervorbringt.

Das "Bokanowskyverfahren", schloss der BUND, besteht im wesentlichen aus einer Reihe von Unterbrechung des Entwicklungsverlaufs. Wir hemmen das normale Wachstum, und, so paradox es klingt, das Ei reagiert darauf mit Knospung.."

Die Geschichte beginnt mit einer Führung, mit einem Rundgang durch das gesamte Forschungsgebiet. Es sind StudentInnen, denen das gesamte Institut, die Arbeits- und Forschungsmethoden nahegebracht werden soll. Und Einweisung, wie die Gesellschaft mit jenen Menschen funktioniert.
Zu diesem Zeitpunkt wurden aus dem ursprünglichen Ei bereits acht bis sechsundneunzig Embryos-gewiss ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der Natur! Völlig identische Geschwister, aber nicht lumpige Zwillinge oder Drillinge wie in den alten Zeiten des Lebendgebärens, als sich ein Ei manchmal zufällig teilte, sondern Dutzendlinge, viele Dutzendlinge auf einmal.
Das "Bokanowskyverfahren" ist eine der Hauptstütze für eine stabile Gesellschaft. Menschen einer einzigen Prägung, in einheitlichen Gruppen. Ein einziges Ei lieferte die Belegschaft für eine kleine Fabrik.Sechsundneunzig völlig identische Geschwister bedienen sechsundneunzig völlig identische Maschinen!" (…)" Da weiß man doch wirklich, woran man ist! Zum ersten Mal in der Weltgeschichte!" (...) Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Unbeständigkeit. Wenn sich das Verfahren unbegrenzt fortführen ließe, wäre das ganze Problem gelöst.Gelöst durch gleiche Gamma, identische Delta, einheitliche Epsilons. Millionenlinge. Massenproduktion, endlich auch in der Biologie.
Es herrscht hier auch ein Kastensystem. In der niederen Kaste wurden Menschen produziert mit einer geringen Intelligenz, die für monotone Arbeiten an Fabrikmaschinen eingesetzt werden. Menschen, die gerne diese Arbeiten verrichten und glücklich dabei sind.
Ein Student hob den Finger: Er sehe ja ein, dass es nicht gehe, Angehörige der niederen Kasten ihre der Allgemeinheit gehörende Zeit mit Büchern vergeuden zu lassen, ganz abgesehen von der Gefahr, dass sie etwas lesen könnten, das unerwünschter Weise einen ihrer an genormten Reflexe beeinflussen könnte (…).
Dieser Student wunderte sich ein wenig, weshalb die Menschen der niederen Kaste auch kein Interesse zur Natur habe. Sie besitzen keinerlei Naturempfinden. Ihr Empfinden reichte aus nur für Maschinen...  und künstlich hergestellte Werkzeuge.
Die Liebe zur Natur halte keine Fabrik in Gang. Man hat daher beschlossen, die Liebe zur Natur abzuschaffen, wenigstens bei den niederen Kasten, nicht aber den Hang, die Verkehrsmittel zu benutzen. Denn es war natürlich unerlässlich, dass sie auch weiterhin ins Grüne fuhren, selbst wenn es ihnen zum Hals herauswuchs. Das Problem lag darin, einen triftigeren wirtschaftlichen Grund für die Benutzung der Verkehrsmittel zu finden als bloßes Wohlgefallen an Priemeln und Landschaft. 
Oft wird die natürliche Welt mit der künstlichen Welt gegenübergestellt, während die natürlich Welt eher als primitiv und die künstliche Welt als hochentwickelt bezeichnet wird.

" Die Menschen pflegten damals (…) Sie pflegten die Kinder auszutragen

Was früher als natürliche Geburt galt, finden die Geburten in der hochentwickelten Welt über Entkorkungen der Flaschen statt.  Die Babys wurden nicht mehr geboren, sondern entkorkt. Das muss man sich mal vorstellen. Auch die Kindererziehung wurde als primitiv bewertet, da sie in den Händen der Eltern lag, während sie in der künstlichen Welt in den Händen des Systems liegt. Die Kindererziehung wird ersetzt durch eine Normzentrale.

Das ganze spielt sich in Berlin ab. Der Übersetzer hat den Ort zu Deutschland angepasst... .

Familienleben, trautes Heim, leibliche Mutter kannten die aus entkorkten Flaschen geborenen Menschen alles nicht.

Eine säugende Mutter galt ebenfalls als primitiv. Unästhetisch und unrein.
Das Traute Heim war ein Drecknest, und Körper wie Seele waren gleichermaßen davon betroffen. Ein seelischer Kaninchenstall, ein Misthaufen, dampfend von der Reibung zusammengepferchten Lebens, stinkend von Gefühlen. Diese ersticke Nähe, diese gefährlichen, ungesunden, obszönen Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Die Mutter, diese Wahnwitzige, säugt ihre Kinder, ihre eigenen Kinder, wie eine Katze ihre Jungen, aber wie eine Katze, die sprechen kann, die ohne Unterlass "mein Kleines, mein Süßes" sagen kann.
So ungefähr denken wir heute von den Naturmenschen in ihren Wäldern.

Einen allmächtigen Gott gibt es auch nicht mehr, Religionen wurden abgeschafft, allmächtiger Ford ist die neue Bezeichnung. Der allmächtige Ford ersetzt Familien und Religionen. Familien erfahren eine starke Abwertung, angelehnt an Freuds Theorien:
Ford der Herr - oder Freud der Herr, wie er sich in seinem unerforschlichen Ratschluss nannte, wenn er von psychologischen Dingen sprach-, Freud der Herr hatte als erster die entsetzlichen Gefahren des Familienlebens enthüllt. Die Welt war voller Väter - also voll von Elend; voller Mütter-also voll von jeder Art von Perversion, vom Sadismus bis zur Keuschheit; voller Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten-voll von Wahnsinn und Selbstmord.
Abwertend standen diese neuen Menschen auch der damaligen Kultur gegenüber. Belustigten sich über das Christentum, über das Abendland, über die Römer und seine Gladiatoren, über die Ägypter und deren als  merkwürdig empfundene Pyramiden und vieles andere mehr.

Es gibt eine Figur namens Sigmund, die sich gegen das System auflehnt. Scheinbar ist bei diesem die Vernormung ein wenig misslungen. Dieser Mensch sehnt sich nach dieser primitiven Welt... und versucht sich bei seiner Bekannten Lenina auszusprechen. Lenina dagegen versteht ihn nicht und empfiehlt ihm stattdessen das Mittel Soma einzunehmen, das seinen Geist manipuliert und ihn ruhiger stimmt..Alle diese hochentwickelten Menschen besitzen dieses Mittelchen. Das System selbst versucht nun Sigmund auf eine Insel zu versetzen... .

So, ich mache hier Schluss, obwohl ich nicht alle Zettelchen in dem Buch ausgewertet habe. Wie oben schon gesagt, geht mir die Thematik recht nahe. Natürlich verstehe ich das Buch als einen Appell, nicht zu sehr in die Natur einzugreifen und ich halte auch den Autor als recht weitblickend. Er war aus meiner Sicht stark seiner Zeit voraus. Befinden wir uns gerade nicht in den Anfängen der Stammzellenforschung?

Von daher sind solche Bücher sehr wichtig aber mich muss man nicht erst überzeugen, ich bin schon vor dem  Lesen dieses Buches überzeugt gewesen, dass man nicht zu sehr in die Natur eingreifen solle.

Und wer liest diese Art von Büchern? Wahrscheinlich hauptsächlich die, die wie auch ich schon längst gegen diese Art von Gesellschaft überzeugt sind.

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 72
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 8. Oktober 2012

Aldous Huxley / Schöne Neue Welt


Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt
Sonderausgabe 2012. Gebunden, 11,00 €
Miniausgabe, Seitenzahl: 352
ISBN 978-3-596-51228-7


Klappentext
Aldous Huxleys Schöne neue Welt ist einer der berühmtesten Zukunftsromane des 20. Jahrhunderts. Im Unterschied zu George Orwells 1984 besteht das Totalitäre bei Huxley nicht in der brutalen Unterdrückung eines Überwachungsstaates, sondern im genormten Wohlfühlglück einer hoch entwickelten Gesellschaft, in der alle Menschen am Luxus teilhaben, in der Unruhe, Elend und Krankheit überwunden, in der aber auch individuelle Freiheit, Kunst und Solidarität auf der Strecke geblieben sind. "Damals", schrieb Huxley selbst über seinen Roman, "verlegte ich diese Utopie sechshundert Jahre in die Zukunft. Heute scheint es durchaus möglich, daß uns dieser Schrecken binnen eines einzigen Jahrhunderts auf den Hals kommt."
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.


Autorenportrait im Klappentext
Aldous Huxley wurde 1894 in Godalming / Surrey geboren. Er wurde in Eton erzogen und studierte in Oxford. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er als Journalist und Kunstkritiker. Unter dem Einfluß der buddhistischen Lehre und der politischen Ereignisse in Europa entwickelte er sich in den dreißiger Jahren vom amüsiert beobachtenden Satiriker zum leidenschaftlichen Reformator, der die Welt durch eine universale mystische Religion zu heilen versucht. Huxley starb im Jahre 1963.
Sowohl das Buch als auch der Autor sind mir unbekannt und habe es in Frankfurt in der Bahnhofsbuchhandlung entdeckt. Habe gestern Abend ein paar Seiten gelesen, das Vorwort, kann aber noch keine Eindrücke nennen. Möchte mich heute richtig reinlesen. Diese Lektüre soll mich die Woche über begleiten (Werktagslektüre).