Mittwoch, 30. Januar 2013

Eowyn Ivey / Das Schneemädchen


Kindler
Hardcover, 464 S.
21.09.2012
19,95 €
978-3-463-40621-3



Klappentext
Alaska, in den 1920er Jahren: Mabel und Jack konnten keine Kinder bekommen. Um den Schmerz und die Enttäuschung hinter sich zu lassen, haben sie an der Zivilisationsgrenze Alaskas ein neues, einfaches Leben als Farmer begonnen. Doch Trauer und der harte Überlebenskampf in der erbarmungslosen Natur schaffen zwischen den beiden, die sich innig lieben, eine scheinbar unüberbrückbare Distanz. Als der erste Schnee fällt, überkommt Mabel für kurze Zeit eine fast kindliche Leichtigkeit. Eine Schneeballschlacht mit Jack entspinnt sich, und sie bauen vor ihrer Hütte zusammen ein Kind aus Schnee. Am nächsten Tag entdecken sie zum ersten Mal das feenhafte blonde Mädchen in Begleitung eines Fuchses, das sie zwischen den Bäumen des Waldes hindurch beobachtet. Woher kommt das Kind? Wie kann es allein in der Wildnis überleben? Und was hat es mit den kleinen Fußspuren auf sich, die von Mabels und Jacks Blockhaus wegführen? «Dieses Buch ist pure Magie, von Deckel zu Deckel durchwoben mit der kalten Schönheit der Wildnis Alaskas. Eowyn Ivey erzählt mit der fesselnden Zartheit des Schneefalls, den sie so wunderbar beschreibt.» Ali Shaw



Autorenportrait
Eowyn Ivey wuchs in Alaska auf, wo sie noch heute mit ihrem Mann und zwei Töchtern lebt. Sie studierte Journalismus und kreatives Schreiben an der Western Washington University und der University of Alaska und arbeitete zehn Jahre lang als preisgekrönte Redakteurin beim Frontiersman Newspaper. Heute ist sie Buchhändlerin. "Das Schneemädchen" ist ihr erster Roman. Er wurde in elf Länder verkauft.

Das Buch gefällt mir sehr gut. Habe gestern Abend meine ersten fünfzig Seiten gelesen und freue mich auf weitere.


Und hier ein Video dazu:



Sam Savage / Firmin (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat schon literarischen Anspruch, aber so richtig gefallen hat es mir nicht, wobei die Idee mit der lesenden Ratte recht originell ist.
Wie aus dem Klappentext im unteren Post zu entnehmen ist, kommt die Ratte Firmin zusammen mit ihren Geschwistern unten im Keller einer Bostoner Buchhandlung zur Welt. Es ist ein Rattenjunges zu viel geboren, da nicht genug Zitzen zum Milchsaugen zur Verfügung stehen. Firmin scheint das schwächste Neugeborene zu sein, wird von seinen Geschwistern von dem Bauch der Mutter weggestoßen. Firmin lernt Außenseiter zu sein, der nur die Reste abbekommt. Erst wenn die anderen satt sind, versucht Firmin es erneut, an Milch dranzukommen. Firmin fraß in der Bibliothek oft die Buchseiten, bis er den Wert eines Buches zu erkennen und zu schätzen lernte.

Firmin wächst zu einer ganz persönlichen Rattenpersönlichkeit heran. Er erkundet alle Räume in dem Haus, geht auf Exkursionen innerhalb der Stadt, besucht sogar ein altes Theater mit dem Flair eines Showbusiness. Er begeistert sich für Literatur, und, nachdem er autodidaktisch Lesen gelernt hat, studiert er sämtliche Bücher in der Buchhandlung. Ein Buch von mehr als vierhundert Seiten liest Firmin an einem einzigen Tag. Er entdeckt die literarische Welt der Menschen, denn selten gibt es Bücher, in denen Ratten auftauchen, mit wenigen Ausnahme, wie z.B. das Buch von Albert Camus "Die Pest", oder das Buch, geschrieben eines noch unbekannten Autors namens Jack, der Ratten gerne mag, auch reell, wie man das auf den späteren Buchseiten mitbekommt. Andererseits mag Firmin gar keine Rattenliteratur:
Die einzige Literatur, die ich nicht ausstehen kann, ist Rattenliteratur einschließlich der Mäuseliteratur. Ich verabscheue die gutmütige alte Ratte In der Wind in den Weiden. Mickey Mouse und Stuart Little finde ich zum Kotzen. Lieb sind sie, nett, niedlich-und stecken mir im Hals wie Fischgräten. 57
Etwas später wird deutlich, weshalb Firmin Rattenliteratur gar nicht mag. Er mag sich noch nicht mal als Ratte... . Durch den Bücherkonsum gerät er in eine Identitätskrise und sehnt sich danach, Mensch zu sein, da die Menschenwelt wesentlich interessanter sei als die Welt der hässlichen Ratten.
Firming - der Schädling. Doch die Einzelheiten - kein Kinn, spitze Nase, gelbe Zähne usw. - waren nichts gegen den Gesamteindruck >hässlich<. Schon damals, als mein Schönheitsbegriff über Tenniels Illustrationen, zu Alice  im Wunderland noch nicht hinausreichte, wusste ich ganz genau, dass da war hässlich. (…) Von diesem Tag an tat ich alles, um meinem Spiegelbild auszuweichen. Es war leicht, sich von Spielen fernzuhalten, Fensterscheiben und verchromten Radkappen waren etwas anderes. Wann immer ich mich in einer reflektierenden Fläche entdeckte, war ich zutiefst erschrocken, als wäre ich einem Monster begegnet. Natürlich registrierte ich im nächsten Moment, dass dieses Monster ich selbst war, und eine unbeschreibliche Verzweiflung überkam mich. Ich versuchte es mit einem kleinen Trick. In dieser Situation dachte ich ich nicht mehr: das bin ich, und wollte in Tränen ausbrechen, sondern das ist er, und rannte weg.61
Über manche Begriffe bin ich gestolpert, zum Beispiel über den Begriff Biblio-Bulimie, lol.

Firmin wundert sich, weshalb es in dem Haus nicht noch andere Ratten leben und gibt sich folgende Erklärung:
Vielleicht war das ja der Grund, weshalb keine Ratten mehr da waren. Bevor der Laden eine Buchhandlung wurde, war er womöglich ein Lebensmittelgeschäft gewesen oder eine Bäckerei, jetzt war nur noch Papier im Angebot. Doch meine geduldige, allnächtlicher Erforschung dessen, was mir wie eine Kilometer lange Röhrenanlage vorkam, trug mir Belohnungen ein, die mir wesentlich lieber waren als Lebensmittel. 37
Während des Tagesgeschäfts hält sich Firmin versteckt im Laden auf, und beobachtet die vielen Kunden, die sich für die Bücher interessieren.
Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Mit bloßen Händen wühlten sie nach Schätzen, versanken manchmal bis zu den Achselhöhlen. Fanden sie in einem Haufen Ramsch eine literarische Kostbarkeit, waren sie erheblich glücklicher, als wären sie nur kurz hereingekommen und hätten sie gekauft. 40
Diese Textstelle hat mir doch auch recht gut gefallen.  Sie nahm sich Zeit. Sie nannten das Stöbern, doch es erinnerte eher an Ausgrabungen oder den Bergbau. Mich wunderte, dass sie keine Schaufeln mitbrachten. Lol.

Während Firmin Bücher entdeckt und langsam aufgehört hat, an den Seiten zu nagen, weil er sonst nichts zu Essen hatte, nimmt man als LeserIn an der Entdeckungsfreude dieser Ratte teil. Die meisten Autoren, die Firmin findet und liest, sind mir bekannt gewesen. Firmin geht völlig auf in der Welt der Literatur auf, hat sie in sich schon quasi gespeichert.

Als die Rattenmutter nach ihrer Futtersuche wieder zurück zu ihren Kindern kam, hatte sie nicht viel Nahrung dabei. Das meiste hatte sie selber gefressen, und wenig für ihre Kinder übrig gelassen  Zumindest, dass es nicht für alle reichte. Für Firmin blieb gab es nur ein einziges Salatblatt, und es schmeckte ihm wie Jane Eyre. Lol.

Firmin findet eine Schreibmaschine und hält diese für ein Musikinstrument, (lol) und er war ziemlich überrascht. Als er herausfand, dass man mit der Maschine Wörter schreiben konnte, wurde er ziemlich aufgeregt, unruhig:
Obwohl nirgends eine Schreibmaschine stand, auf die ich meine Pfoten legen konnte, löste allein die Vorstellung eine wahre Bilderflut aus. Ich sah mich schon kluge, getippte Notizen im Laden verteilen, damit Normen sie fände und sich verstört nach der Herkunft fragen würde. In meinen Träumen entdeckte er sie, kratzte sich am Kopf und hinterließ kleine Botschaften als Antwort. 113
Wie man an seinem Traum erkennen kann, sehnt sich Frirmin danach, sich mit dem Bibliothekar Norman anzufreunden, damit sich ihm die Möglichkeit aufwies, mit Norman interessante Gespräche über Literatur zu führen. Einmal wurde Firmin von Norman ertappt, und Firmin war ganz aufgeregt und war sich sicher, dass Norman nichts gegen ihn haben würde und ihn als Mitglied seiner Buchhandlung akzeptieren würde. Doch die Ernüchterung kam kurze Zeit darauf. Norman besorgte Rattengift und stellte es in den Räumen auf. Er wusste nicht, dass Firmin lesen konnte. Und als Firmin den Sack mit Rattengift entdeckte, war er furchtbar enttäuscht. Norman wollte die Ratte vergiften, statt ihn zum Freund haben zu wollen.

Er findet einen anderen Freund, und zwar Jack, der noch unbekannte Schriftsteller, er nahm Firmin bei sich auf, als er sich an seinen Pfoten verletzt hatte. Jack wohnte im selben Haus der Buchhandlung, so dass Firmin weiterhin sich in der Buchhandlung aufhalten konnte, meist, wenn Jack nicht zu Hause war.

Ich hatte mir überlegt, welches Schicksal Firmin am Ende des Buches ereilt, als nämlich Jack lebensgefährlich erkrankt, und in Boston sämtliche alte Geschäfte heruntergerissen wurden, auch die Buchhandlung musste daran glauben und Firmin in eine Depression geriet, weil sie sich weigerte, so zu leben wie alle anderen Ratten lebten. Ich dachte, sie würde von einer Katze gejagt und aufgefressen werden, und dadurch ihr tristes Leben ein Ende setzen, da sie ja selbst auch Suizidgedanken hegte. .

Hier mache ich nun Schluss. Ich will ja nicht alles verraten.

Wie viele Punkte gebe ich dem Buch? Acht von zehn. Und für das, dass es mir nicht besonders gut gefallen hat, sind das recht viele Punkte. Mir ist der Anspruch an Literatur recht wichtig, und diesen Anspruch hat das Buch erfüllt. Dass es mir nicht sonderlich gut gefallen hat, ist ja nicht die Schuld des Autors.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 09
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 28. Januar 2013

Sam Savage / Firmin

  • Taschenbuch: 208 Seiten
  • Verlag: List Taschenbuch (9. September 2009)
  • Sprache: Deutsch, 8,95 €
  • ISBN-10: 354860921X



Klappentext
Firmin wächst im Keller einer Bostoner Buchhandlung auf und liest sich Buch für Buch durch die Weltliteratur. Er entdeckt, wie spannend das Leben der Menschen ist, und macht sich auf, ihre Freundschaft zu suchen. Sam Savage erzählt in diesem gefeierten Kultbuch die traurig-charmante Geschichte eines verkannten Außenseiters.


Autorenportrait
Sam Savage wurde in South Carolina geboren und lebt heute in Madison, Wisconsin. Er promovierte in Philosophie, unterrichtete auch kurzfristig, arbeitete als Tischler, Fischer, Drucker und reparierte Fahrräder. Dies ist sein erster Roman.

Das Buch, ei Debutroman, hat mir Sibylle aus meinem großen SuB zum Lesen ausgesucht, aufmerksam wurde ich durch Anne, die das Buch vor mir gelesen hatte, und mir ihre Eindrücke dazu recht gut gefallen haben. Anne allerdings ist durch Sibylle auf das Buch aufmerksam geworden. Hi, hi, wie klein unsere Welt doch ist.

Ich habe die ersten hundert Seiten schon durch. Bis jetzt kann ich noch nicht behaupten, dass mich das Buch fesselt. Aber manchmal weiß ich das erst nach ein paar Tagen, wenn ich ein Buch zu Ende gelesen habe.
Das Cover dagegen spricht mich voll an.



Freitag, 25. Januar 2013

Pascal Mercier / Lea (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre   

In dem vorliegenden Buch geht es um eine Erzählung, allerdings um eine durch und durch dramatische. Das ganze Buch ist recht traurig.
Es geht um Menschen, die, obwohl sie sich recht nahe sind, erkennen müssen, dass sie sich so ziemlich fremd sind, so dass man sich fragt: Wie ist das denn möglich, sich so fremd zu sein, obwohl man sich so nahe ist? obwohl mir dieser Gedanke keineswegs neu ist.

Zwei schweizer Wissenschaftler machen in der Provence einander Bekanntschaft. Der eine ist Arzt, der andere Universitätsprofessor. Beide haben eine Tochter. Die Professors Tochter heißt Lea und die des Arztes Lesli, doch hauptsächlich dreht es sich um die Tochter des Professors, der Mertijn van Vliet heißt. Martjin befindet sich in Trauer, da seine Tochter gestorben ist, und der Psychiater von Lea der Meinung sei, dass er eine Mitschuld an Leas Tod trägt. Dass Lea gestorben ist, das wird schon recht bald deutlich, indem van Vliet sich seinem neuen Bekannten zu öffnen beabsichtigt. Der Arzt allerdings nicht wirklich Lust hat, die Geschichte zu hören.

Schließlich findet er doch noch Geschmack und Interesse. Dabei stellte er Verknüpfungen an zu seiner eigenen Tochter, die in einem Internat groß geworden ist und er auf van Vliets Frage,  ob er nicht die Entwicklung  seiner Tochter verpasst habe? Wie z.B die erste Liebe u.v.m.

Beide Männer haben mit ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Adrian Herzog war einst mal ein phänomenaler Chirurg, der durch ein schlechtes Erlebnis sich in seiner Berufspraxis behindert sieht. Folgendes Zitat, das mir sehr gut gefallen hat, soll das noch unterstreichen:
Selbstvertrauen: warum ist es derart launisch? Warum ist es blind den Tatsachen gegenüber? Ein Leben lang haben wir uns angestrengt, es aufzubauen, zu sichern und zu befestigen, wir wissen, dass es das kostbarste Gut ist und unverzichtbar für Glück. Plötzlich dann und mit tückischer Lautlosigkeit öffnet sich eine Falltür, wir fallen ins Bodenlose, und alles, was war, wird zur Fata Morgana, 56
Lea, acht Jahre alt, hört gemeinsam mit ihrem Vater von weitem auf dem Bahnhof ein kleines Violinenkonzert und fühlt sich magisch von der Musik angezogen und zieht ihren Vater dort hin. Seit diesem Tag beginnt Lea, sich für das Instrument zu interessieren und beschließt, auch die Geige zu erlernen. Sie fragt ihren Vater, ob eine Geige teuer sei? Wie man auf den folgenden Seiten und recht früh erfährt, ist, dass ihr die Geige zum Verhängnis wird.

Auf Seite 80 hört man van Vliet sagen:
Ich habe mit einer Geige das Leben meiner Tochter zerstört. 
Lea ist ein Halbwaisenkind, da ihre Mutter dem Krebs erlag, und sie sich ganz in die Musik hingibt, um diese innere Leere, die Trauer, die sie seit dem Tod ihrer Mutter spürte, nicht weiter fühlen zu müssen. In der Musik findet Lea ein völlig neues Zuhause, in das sie nur sich und ihre Musiklehrerin hineinnässt.

Lea lernt schon mit vier Jahren Lesen und Schreiben, da der Bruder ihrer Mutter nicht nur Legastheniker war, sondern auch Schwächen im Rechnen aufzeigte. Leas Mutter machte sich Sorgen, dass diese Schwächen genetisch erbbar seien, und sich auf Lea übertagen könnten. Aus der Sorge heraus, und um dem entgegenzuwirken brachte die Mutter Lea schon sehr früh die Schriftsprache bei, so dass Lea im Alter von sechs Jahren schon Bücher von Agatha Christi verschlungen hatte.

Lea entwickelte schon mit acht Jahren einen besonderen Charakter. Sie wusste schon genau, was und wen sie brauchte, um eine außergewöhnliche talentierte Musikerin zu werden und so war sie in der Lage, sich eine ideale Musiklehrerin zu suchen, die sie auch in Marie fand. Zwischen der Schülerin und der Lehrerin entsteht ein inniges musikalisches Verhältnis, so dass die innere Mauer, gezogen um Lea, der Lehrerin und der Musik, immer höher wurde, hinter dieser nicht einmal ihr Vater Zutritt in diese Welt finden durfte. Ganz zum Leidwesen des Vaters, der ihr den ersten Platz in seinem Leben gab, einen Platz noch vor seinem Beruf, nachdem Beatrice gestorben war:
Wenn ich an späten Winternachmittagen manchmal vor Maries Haus stand und dem Schattenspiel hinter den Vorhängen zusah, das Marie und Lea aufführten, so fühlte ich mich ausgeschlossen und beneidete die beiden um den Kokon von Tönen, Worten und Gesten, in denen sie mir eingesponnen schienen und in dem es keine Reibung und keine Gereiztheit gab, wie sie im Institut immer häufiger vorkam, seit ich ohne viel Worte klargemacht hatte, dass es von nun an zuerst um Lea gehen würde, und dann noch einmal Lea und erst dann das Labor, 98.
Die Arbeitskollegen zeigten keinerlei Verständnis für sein neues Leben, da er aufhörte, an seine Karriere zu denken, um ganz für seine Tochter da zu sein. Und trotzdem zog sich seine Tochter von ihrem Vater immer mehr und mehr zurück und man sich fragt, wie das kommt.

Allerdings hatte sich Vater van Vliet in die Musiklerherin Marie verliebt, ohne dass es aber zu einer Konfrontation kommt, eingeschlossen in der väterlichen Fantasie:
Der erste Auftritt, von dem, ich ahnte es, so vieles abhing. Und just da bricht meine Fantasie aus und sucht sich eine Welt, eine Welt nur mit Marie. Kennen Sie das auch: dass die Fantasie im entscheidenden Augenblick appelliert und eigene, unbeherrschbare Wege geht, die verraten, dass man auch noch ein ganz anderer ist als der, für den man sich hielt? Gerade dann, wenn in der Seele alles geschehen darf, nur dieses eine nicht: Verrat durch die streunende Fantasie? 120 f.
Ohne, dass diese Verliebtheit von seiten des Vaters jemals Thema wird, scheint, so der Annahme des Erzählers, Lea diese Verliebtheit zu spüren und vermutlich sich gegen den Vater immer mehr  abgrenzt. In Marie sieht Lea unbewusst so etwas wie einen Mutterersatz, die sie ganz für sich alleine behalten möchte.

Lea wächst zu einer echten Virtuosin heran. Jede freie Minute widmet sie sich der Musik. Mit einer Ausnahme einzigen zeigt sie sich erfolgreich auf ihren öffentlichen Auftritten. Sie wird umjubelt, sie wird berühmt und erhält einen Namen.

Lea wirkt so zerbrechlich. Auch auf der Bühne, stets möchte sie die Beste sein und verzeiht sich den kleinsten Fehler nicht. Erste psychische Auffälligkeiten machen sich bemerkbar, die der Vater noch nicht wirklich wahrhaben möchte, sträubt sich, einen Experten aufzusuchen. Er sucht ihn auf, als es schon zu spät dafür ist und er von einem Psychiater ins Gewissen geredet bekommt:
"Ich will lieber üben", rief Lea aus, wenn der Vater mit ihr etwas unternehmen wollte.  Ich will lieber üben, Wort für Wort möchte ich diesen Satz in den dunklen Blick des Therapeuten hineinstoßen, um den Vorwurf, den ungeheuerlichen Vorwurf, dass ich dir die Jugend gestohlen und damit den Weg deiner Krankheit vorgezeichnet hätte, in seinen Augen immer weiter zurückzudrängen, immer weiter, bis er ganz hinten, dort, wo die Gedanken entstehen, in Bedrängnis gerieten und unter dem Gewicht der Tatsachen, die nur ich allein kenne ,schließlich erlöschen müsste. 84
Van Vliet gab sich sehr viel Mühe, eine Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen, und doch war sie ihm nicht greifbar genug. Er tat alles, um seiner Tochter nahe zu sein, doch er stellte wiederholt entsetzt fest, wie fremd sie ihm war. Er versuchte diese Fremdheit zu kompensieren, indem er ihr jeden  Wunsch von den Augen ablas. Statt sich ihr emotional zu nähern, kaufte er ihr eine Violine, die einst schon von einem Meister aus dem 18. Jahrhundert gespielt wurde. Die Violine kostete 1,8 Millionen Dollar. Natürlich hatte der Vater das Geld nicht. Und so veruntreute er Gelder aus den Projekten der Universität.

Van Vliet hatte schon als junger Mensch Probleme gehabt, seine Gefühle zu äußern, sich ihnen zu öffnen. Von seiner Frau Cécile erhielt er dazu folgenden Ratschlag:
Du musst dich mehr öffnen, Martjin, sagte sie sie oft, du kannst nicht erwarten, dass die Leute hinter dir herlaufen, um dich in deinen Gefühlen zu erraten. Auch mir musst du dich mehr öffnen, sonst geht es schief mit uns, sagte sie. Gegen Ende sagte sie es besonders oft. Als ich bei meinem letzten Besuch durch den langen Krankenhausflur auf ihr Zimmer zuging, nahm ich mir fest vor, ihr zu sagen, wie viel sie mir bedeutete. Doch dann kamen jene Worte: "Du musst mir versprechen, dass du gut auf Lea... .Nun konnte ich nicht mehr, ich konnte einfach nicht. Merde. Wo hätte ich es auch lernen sollen? Meine Mutter war Tessinerin, es gab Wutausbrüche, aber die Sprache der Gefühle, die Fähigkeit zu sagen, wie es einem geht - das hat mir niemand gezeigt. 275 f.
Auch nach diesem Zitat wird deutlich, wo van Vliet mit seiner Tochter versagt hat. Alle diese Gefühle, die Lea einst so sehr vermisst hatte, kompensierte sie durch die Musik und, wie schon einmal gesagt, in der Beziehung zu ihrer Lehrerin. Van Vliet verarbeitet durch die Erzählung zu seinem Gefährten Herzog das Leben mit seiner Tochter, das ihn belastete. Van Vliet beherrschte das Schachspiel, darin ist er Profi und wünschte sich insgeheim, die Tochter für dieses Spiel zu gewinnen, um Gemeinsamkeiten verweisen zu können, wofür Lea keinerlei Interesse aufbringen konnte. Schach ist zudem auch ein Spiel, das Gefühle ausschließt und das nur die Ratio anregt.

Zurück zu den beiden Wisenschaftlern, beide erkennen, dass sie, was die Nähe und die Distanz betrifft, wie zwei Analphabeten sich geben, zwei Analphabeten der Vertrautheit und der Fremdheit.

Hier mache ich nun Schluss  Die Erzählung endet in mehrfacher Weise tragisch, möchte aber alles Weitere zum Selberlesen offen lassen. Auch gibt es noch verschiedene und spannende andere Szenen durch einen anderen Musikleherer, zu dem Lea eine ähnliche tiefe Beziehung aufbaut, wie einst zu ihrer Marie.

Das Buch hat mir recht gut gefallen, so dass ich neugierig geworden bin, weitere Bücher von dem Autor zu lesen. Ein Buch, Nachtzug nach Lissabon, steht noch ungelesen im Regal.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 07
Gelesene Bücher 2012: 94
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Sonntag, 20. Januar 2013

Pascal Mercier / Lea


Verlag: Btb 2009
Seitenzahl: 256
Gebundene Miniausgabe, 9,99 €
ISBN-13: 9783442737468





Klappentext
Die achtjährige Lea hat sich nach dem Tod der Mutter in eine eigene Welt zurückgezogen, zu der auch der Vater keinen Zutritt hat. Erst der Klang einer Geige holt sie ins Leben zurück. Lea erweist sich als außerordentliche musikalische Begabung, und schon bald liegen ihr Publikum und Musikwelt zu Füßen. Doch während Lea von Erfolg zu Erfolg eilt, treibt es ihren anfangs überglücklichen Vater Martijn van Vliet immer tiefer in die Einsamkeit. Bei dem verzweifelten Versuch, die Liebe und Nähe seiner Tochter zurückzugewinnen, verstrickt er sich in ein Verbrechen, das alles verändert ...


Autorenportrait im Klappentext
Pascal Mercier, geboren 1944 in Bern, heißt im richtigen Leben Peter Bieri und ist Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ist ein Schweizer Schriftsteller.
Der Autor hat schon verschiedene Buchpreise erhalten. Mir ist der Autor fremd, habe aber noch einen Band von ihm ungelesen im Regal stehen, Nachtzug nach Lissabon, auf das ich mich auch schon freue. Wird im nächsten SuBspiel auch dabei sein.

Die ersten fünfzig Seiten habe ich nun durch und es gefällt mir recht gut. Bin neugierig, wie es weitergehen wird. Schön finde ich auch, dass die Musik mit  im Vordergrund steht. 



Alan Philipps John Lahutsky / Wolkengänger (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

In Russland gibt es mehrere staatliche Einrichtungen, die nicht nur elternlose Kinder beherbergen, sondern auch behinderte- und Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Es gibt das Babyhaus für Kinder bis zu fünf Jahren. In dem Babyhaus kommen alle Kinder hinein, die über eine körperliche und / oder geistige Beeinträchtigung verfügen und sei sie noch so gering.

Dann gibt es das Internat, ein viel zu schöner Begriff, geradezu euphemistisch verglichen zu dem, was es tatsächlich hergibt. In dem Internet kommen alles Kinder, die für das Babyhaus schon zu alt sind. In dem Buch wird es als eine Irrenanstalt für Erwachsene bezeichnet mit einer Kinderstation bis zu mehr als sechzig Kinder.

Dann gibt es das Kinderheim, in das gesunde Kinder eingewiesen werden, die aus einem schwachen gesellschaftlichen Milieu stammen, und die Eltern der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr gewachsen sind. In diesem Buch allerdings geht es hauptsächlich um das Babyhaus und um das Internat.

Auf den ersten Seiten dachte ich erst, dass Mütter freiwillig ihre Kinder in die staatliche Obhut geben. Aber das ist so nicht. Eltern behinderter Kinder werden von den Ärzten überredet, ihre Kinder in eine Sondereinrichtung zu geben, da eine Sondererziehung sie überfordern würde. Russland schiebt behinderte Kinder ab, sie zählen nicht zur Gesellschaft dazu. Eine Körperbehinderung wird von einer geistigen Behinderung nicht unterschieden, wobei das ja egal  ist, da geistig behinderte Kinder auch förderungsfähig sind. Heute sind die Gesetze andere, kinderfreundlicher, dennoch können die Gesetze nicht eingehalten werden, da zu wenige Fördermittel in den jeweiligen Einrichtungen fließen und die Einrichtung nach wie vor unter einer permanenten chronischen personellen Unterbelegung leidet... . Auf sechzig Kleinstkinder kommt eine Betreuerin. Aber zumindest kann man heute die Einrichtung verklagen, was aber leider zu wenig geschieht.

In dem Buch ist Wanja der Held. Wanja kam 1989 zur Welt. In dieser Autobiografie versucht er sein tristes Dasein im Babyhaus, später in dem Internat, dann wie durch ein Wunder wieder zurückverlegt in das Babyhaus, zu verarbeiten. Wanja heißt heute John Lathusky, nach dem er von einer Amerikanerin, Schulpsychologin von Beruf, adoptiert wurde.
Doch bis es zu dieser Adoption kommt, vergehen viele Jahre. Und die Hürden der Bürokratie in Russland sind recht hoch und sehr kostenaufwendig... . Wenn ein Kind für eine Adoption in Frage kommt, dann wird es wie eine Ware behandelt... .

Das Internat hat KZ-Charakter. Die Kinder leben in einem großen Raum, und jedes Kind in einem Gitterbett, 24 Stunden lang. In dem Gitterbett leben sie wie Gefangene... .
Es gibt keine Förderung, nichts richtiges zu Essen, keine Kleider, und auch an die Luft wurden sie nicht gebracht. Gefangene Straftäter  haben es in einer Strafheilanstalt besser als diese Kinder. Die Kinder, voll traumatisiert und hospitalisiert, werden abgeschrieben. Sie werden nicht richtig gepflegt, kommen nicht regelmäßig auf die Toilette, so dass sie gezwungen sind, ins Bett zu machen. Sie verlassen selten das Kinderbett. Hier wie auch im Babyhaus bekommen die Kinder dunkle Gemüsebrühen, in Babyflachen abgefüllt, zugeführt, ganz gleich, wie alt die Kinder sind. Milch gibt es keine. Die meisten Kinder kommen nie mehr aus dieser Einrichtung raus.  Mir der Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs gehen sie auf die Station für Erwachsene. Doch die meisten werden nicht erwachsen, überleben ihre Kindheit nicht. Wie im KZ werden die Kinder gehalten und kahl geschoren.

Kinder, die doch erwachsen geworden sind und vereinzelt nach ihrer Volljährigkeit aus der Einrichtung entlassen werden, geraten entweder in die Prostitution, oder sie wählen den Weg der Kriminalität, oder sie konsumieren Drogen oder dealen damit. Diese Kinder sind in der Gesellschaft nicht wirklich lebensfähig.

Wanja verbringt viele Jahre im Babyhaus. Er ist weder dumm, noch geistig zurückgeblieben. Er kam als leicht gehbehindert auf die Welt, zwei Monate zu früh, beide Elternteile waren Alkoholiker und die Ärzte waren der Auffassung, dass das Kind wegen der besonderen Förderung ins Babyhaus eingewiesen werden solle.
Eltern, die sich dafür entscheiden, ihr behindertes Kind bei sich zu Hause zu behalten, erhielten keinerlei Unterstützung von Seiten des russischen Sozialsystems. Wanjas Zukunft lag im Ausland. (…) Wie widersinnig war das alles, schließlich hatte man Wanjas Mutter gesagt, dass sie ihren Sohn abgeben solle, dass sie nichts für ihn tun könne und er die erforderliche professionelle Betreuung nur in staatlichen Einrichtungen erhalten würde. 265
Die Mutter handelte aus Liebe zu ihrem Kind, sie wollte das Beste für ihr Kind, demnach stimmte sie der Einweisung ins Babyhaus zu. Sie hatte keine Ahnung, was den Kindern in diesen Einrichtungen erwartete.

Die Chefärztin des Hauses erkennt wohl die Missstände in ihrer Einrichtung, wagte aber nicht, daran etwas zu verändern:
Sie war eine sowjetische Funktionärin, gewohnt, Befehle von oben auszuführen, und nicht, sich dagegen aufzulehnen, selbst wenn sie wusste, dass ihre Vorgesetzten einen verhängnisvollen Fehler begingen. Mir wurde klar, dass Adela im stalinistischen Russland groß geworden war, um eigenes Gedankengut für sich behielt. 88
Wanja hat Glück, durch seine Aufgeschlossenheit nimmt er Kontakt zu seinen Betreuerinnen auf. Auf diese Weise werden viele erwachsene Menschen auf ihn aufmerksam und kämpfen um seine  Zukunft, um sein Leben. Diese Menschen habe ich sehr bewundert. Wie gut, dass es auch solche Menschen gibt, Menschen, denen das Anliegen der Kinder an erster Stelle steht und für deren Rechte kämpfen.

Wanja kommt in ein Krankenhaus, um an den Beinen operiert zu werden. Für die OP haben sich seine Wohltäterinnen stark gemacht, sonst wäre nie eine Operation zustande gekommen. Nach der OP wird Wanja für die Weiterbehandlung ins Zentrum für Heilpädagogik überwiesen und nimmt an der Physiotherapie teil. Zum Erstaunen seiner amerikanischen Wohltäterinnen steht auf einem Schild geschrieben, dass kein Kind bildungsunfähig ist. Das zeigt, dass nicht alle Heil- und Fördereinrichtungen in Russland so eingerichtet sind, wie man es von den Heimen her kennt. Zumal die wenigsten wirklich wissen, an welchen Misständen die Heime leiden, da sie Fremde kaum in ihre Institutionen einlassen. Den Eltern wird empfohlen, die Kinder nicht zu besuchen, weil das ihrer Entwicklung nicht förderlich wäre.

Die neue und ambulante Einrichtung attestierte Wanja, dass er geistig nicht behindert sei und erkundigte sich über bisher erfolgte therapeutische Maßnahmen:
Während ich der Beurteilung dieses ausgemergelten sechsjährigen Jungen mit den dürren Beinchen zusah, versuchte ich mir vorzustellen, wie ein Außenstehender, der nichts über die Unart der staatlichen Betreuung in Russland wusste, wohl reagieren würde, wenn er Wanja in dieser Verfassung antreffe. Er wäre überrascht, dass keiner der Anwesenden zum Telefon griff und der Polizei einen Fall von schwerer Kindesmisshandlung meldete. Doch jeder im Raum wusste, dass hier kein Gesetzesverstoß lag, da der Staat billigte, wie mit Wanja umgegangen wurde. 157
Wanja, sowie auch die anderen Kinder, waren stark vernachlässigt und misshandelt, so dass sie sich sowohl in emotionaler als auch in entwicklungspsychologischer Hinsicht nicht altersgemäß weiter entwickeln konnten. Wenn ein Kind für das Babyhaus zu alt geworden ist, kommt eine Kommission in die Einrichtung und beurteilt das Kind als oligophren, als kretin, oder es erhält die Diagnose Idiotie, wenn es auf Prüfungsfragen falsch antwortet. Mit diesen Diagnosen wird die Überweisung ins Internat legitimiert.  Die Kinder wurden nicht auf diese Prüfung vorbereitet, da sie als unheilbar abgestempelt wurden. Behinderung galt in Russland allgemein als ein rein irreparables Defizit. Und somit haben die Kinder keine Chance, die Einrichtung vom Babyhaus ins Internat zu umgehen.
Beinahe acht Jahre lang hatte Wanja ein Leben geführt wie Oliver Twist: gezwungen, unterwürfig das an Nahrung anzunehmen, was ihm gegeben wurde, ohne je um etwas bitten zu dürfen. 218
Wanja hatte viele Potenziale in sich, dass ihm das Überleben in diesen Einrichtungen möglich machte. Es ist sowohl ihm, als auch seinen inländischen und auch den ausländischen Fördererinnen zu verdanken, dass er lebend aus den Einrichtungen wieder herausgekommen ist. In den Heimen gibt es hin und wieder ehrenamtliche Kräfte, die ein ganz anderes Auftreten zeigen, als die bezahlten Betreuer der Einrichtung. Allerdings sind die Betreuer auch dermaßen überfordert, da auf sechzig Kleinstkinder eine Betreuerin fällt. Sie übten ihren Beruf so aus, als wären die Kinder Maschinen. Im Internat war es noch viel schlimmer. Die Kinder wurden in ihren Betten alleine gelassen, die Tür wurde hinter ihnen einfach abgeschlossen. Das Personal zeigte sich erst wieder, als es Essenszeit war. Die Kinder waren verhaltensgestört, aber nicht weil sie so geboren wurden, sondern weil die Einrichtung sie so werden ließ. Spielsachen befand sich unbenutzt in den Regalen. Die Kinder waren regelrecht hungrig nach Förderung... .

Im Anhang, es gab auch ein Epilog, habe ich eine Textstelle gefunden, die mir recht gut gefallen hat.
Dieses Buch soll Menschen nicht in Gut und Böse einteilen. Es soll vielmehr die verschiedenen Stufen von Menschlichkeit aufzeigen. Wenn dieses Buch nur ein paar Gleichgültige zum Mitfühlenden werden lässt, dann hatte es sein Ziel erreicht.335
Auf den letzten Seiten ist zu entnehmen, was sich bisher in Russland verändert hat und wo es noch große Probleme gibt, trotz der Gesetzesänderung. Eltern sollen mehr angehalten werden, ihre Kinder nicht in Heimen abzugeben und ambulante Hilfe in Anspruch zu nehmen, die es damals noch nicht gab, obwohl 1990, ein Jahr nach Wanjas Geburt, sich die Kinderrechtskonvention einmischte und dazu beitrug, die Gesetze in Russland zu verändern, das jedes Kind als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu betrachten sei. Wanja und den anderen Kinder kamen diese neuen Gesetze leider nicht zugute.

Man weiß, dass Papier geduldig ist, und wie schwer es ist, die Gesetze einzuhalten, solange es keinen Kläger gibt. Obwohl die Gesetze in Russland nach Wanjas Zeit zum Wohle des Kindes nochmals geändert wurde, tut sich das Land nach wie vor schwer damit, Fördermittel für diese Kinder bereitzustellen. Die Kinder werden größtenteils nach wie vor wie Kinder minderer Klasse behandelt.

Mich hat das Buch an Emma Donaughs Buch Raum erinnert, da die Kinder sowohl im Babyhaus als auch im Internat meist nur in einem Raum gehalten wurden. Die Kinder lernten nicht was eine Sonne ist, was Wasser, etc. ist, wobei das Kind im Raum mit mütterlicher Liebe umsorgt und gebildet wurde.
Auch an Kaspar Hauser hat mich das Buch erinnert. In allen beiden Geschichten findet eine Absonderung statt, wachsen ohne Liebe und Förderung auf.

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„Musik ist eine Weltsprache“
         (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2013: 06
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 17. Januar 2013

A. P. John Lahutski / Wolkengänger


Verlag: Kiepenheuer, 2010

 348 Seiten, gebunden

ISBN-10: 3378011084

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Klappentext

Er hatte keine Chance. Bis er aufstand. Und lief. Die ergreifende Geschichte eines Waisenjungen, dem niemand eine Chance geben will und der dennoch seinen Weg ins Leben findet. Als Wanja auf die Welt kommt, prognostizieren die Ärzte, dass er nie würde laufen können. Ihm droht ein Leben in den unmenschlichen Verhältnissen russischer Fürsorgeanstalten. Doch durch seinen Mut, seine Intelligenz und seinen unbändigen Willen entkommt er diesem Schicksal.Wanja kommt als Sohn einer Alkoholikerin verfrüht und mit nur einem Kilo Gewicht zur Welt. Als die Ärzte prognostizieren, dass er nie würde laufen können, gibt die ohnehin überforderte Mutter ihn in ein Waisenhaus. Da das russische Fürsorgesystem keinen Unterschied zwischen körperlichen und geistigen Behinderungen macht, überlässt man Wanja in einer Gruppe "hoffnungsloser Fälle" sich selbst. Es herrscht Mangel an allem: menschlicher Wärme, Kleidung, Nahrung, Spielzeug. In Gitterbetten angebunden, werden die Kinder mit Medikamenten ruhiggestellt. Doch Wanja geling es, sich selbst das Sprechen beizubringen und eine Gruppe ausländischer Hilfskräfte auf sich aufmerksam zu machen. Sie erkennen bald, dass viele der Kinder mit der richtigen Betreuung ein normales Leben führen könnten, und beschließen zu helfen. Doch die Rechtslage ist komplex und die russischen Behörden gleichgültig. Erst nach langwierigen Bemühungen gelingt es, Wanjas Adoption zu ermöglichen. Heute führt er als John Lahutsky ein völlig normales Leben - und er hat öaufen gelernt. Nur einen Wunsch hat der einstige Waisenjunge noch: das Ende der russischen Heime, in denen noch heute Tausende Kinder unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen leben müssen.


Autorenportrait

John Lahutsky lebt heute bei seiner Adoptivmutter Paula Lahutsky, einer Schulpsychologin, in Pennsylvania, USA, und besucht die High School.»Es ist zuvorderst die Authentizität mit der Philps und Lahutsky ihre Leser aufrütteln. ... Dokumentarisch belegt das Buch Schicksale von Kindern, denen mit einfachen Mitteln ein erträgliches Leben hätte geschenkt werden können.« Freie Presse über: »Wolkengänger«