Sonntag, 20. Mai 2012

Theodor Fontane / Der Stechlin 3

                                                                  
Am nächsten Morgen, nach der gesellschaftlichen Veranstaltung, erkundigt sich Dubslav bei seinem Sohn Woldemar, ob seine Freunde schon auf seien.

Fischer TB / ISBN-10: 3596901154
"Ah, Woldemar, das ist recht, dass du schon da bist. Nur nicht zu lange im Bett. Die meisten Langschläfer haben einen Knacks. Es können aber sonst ganz gute Leute sein. Ich wette, dein Freund Rex schläft bis neun."

Diese Textstelle hat mich auch ein wenig amüsiert.

An einer anderen Textstelle geht Dubslavs recht einseitige Denk- und Lebensweise hervor, der alles verabscheut, was ihm fremd ist, und zeigt auch den Menschen gegenüber, aus meiner Sicht, deutlich rassistische Züge:

Ich bin gegen Religion und Landpartie. Ich bin überhaupt gegen alle falschen Mischungen. Auch bei den Menschen. Die reine Rasse, das ist das eigentlich Legitime. Das andere, was sie noch nebenher Legitimität nennen, das ist schon alles mehr künstlich.

Menschen dürfen sich nicht vermischen, Ideen dürfen sich nicht vermischen, Lebensweisen dürfen sich nicht vermischen, so kann man sich sehr gut vorstellen, dass nicht nur Dubslavs Schloss wie eine Ruine ist, sondern auch sein Denken und seine Lebensweise nehme ich als solche wahr. Recht wacklig, brüchig und arg verstaubt... .

Szenenwechsel:

Soeben habe ich die Textstelle zu der (Kloster)Schwester Adelheid gefundenen, die sich ablehnend dem Katholizismus gegenüber verhält:

Es gibt viele Wohnungen in meines Vaters Hause. Das aber muss ich aussprechen, der Unglaube wächst, und das Katholische wächst auch. Und das Katholische, das ist das Schlimmere. Götzendienst ist schlimmer als Unglauben. (…) Der Unglauben, der ein Nichts ist, kann den lieben Gott nicht beleidigen; aber Götzendienst beleidigt ihn. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Da steht es. Und nun gar der Papst in Rom, der ein Obergott sein will und unfehlbar."

Ein Mensch mit solch einer Einstellung, da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass jemand wie Dubslav Probleme hat, mit jemand wie dieser zu verkehren. Ich kann nachvollziehen, weshalb ihm seine Schwester zuwider ist, wobei es im Buch noch nicht deutlich hervorgeht, welcher Religion Dubslav selbst angehört. Aber es lässt sich vermuten.

So, es wird nun Zeit, im Buch weiter zu lesen und hoffe, dass ich morgen neun Stoff habe, ihn hier zu bearbeiten.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen" (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Fontane: Der Stechling
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 34

Theodor Fontane / Der Stechlin 2

Fischer TB / ISBN-10: 3596901154


So, möchte mal versuchen, ein paar Gedanken zu dem Buch festzuhalten.

Zu Beginn des Romans fällt auf, dass es alles um Stechlin geht. Das Dorf nennt sich Stechlin, der See heißt Stechlin, das Herrenhaus nennt sich Schloss Stechlin ... , so dass es einen regelrecht zum Gähnen bringen kann vor lauter Stechlins, dies aber nicht bedeutungslos ist und an einigen Textstellen lässt sich´s ahnen, dass es sich um ein recht konservatives und eingefahrenes Dorf handelt, indem sich wenig Neues tut und kaum Veränderungen sich abzeichnen, und alles nach alter Gewohnheit lebt.

Der Protagonist des Romans ist auch ein Stechlin, Dubslav von Stechlin, ein Baron, der sein Schloss nicht als Schloss betrachtet wie es die anderen Bewohner des Dorfes tun, sondern er bezeichnet sein Schloss nur als "Haus Stechlin" und wegen des Alters bezeichnet er das Schloss sogar als alter Kasten.

Ja, auf seinen See war Dubslav stolz, aber desto weniger stolz war er auf sein Schloss, weshalb es ihn auch verdross, wenn es überhaupt so genannt wurde. Von den armen Leuten ließ er sich´s gefallen: " Für die ist es ein >Schloss<, aber sonst ist es ein alter >Kasten< und weiter nichts" und so sprach er denn lieber von seinem >Haus<, und wenn er einen Brief schrieb, so stand darüber >Haus Stechlin<. Er war sich auch bewusst, dass es kein Schlossleben war, das er führte.

Dubslav ist Mitte sechzig, hat eine zehn Jahre ältere Schwester Adelheid, die im Kloster Wutz, die Herrin, bzw. die Klosteraufseherin dort ist. Es scheint aber kein katholisches Kloster zu sein, sondern eher ein protestantisches, da sie dem Katholizismus gegenüber eher feindselig eingestellt ist. Den Beichtstuhl z.B. bezeichnet sie als Satanstuhl.

Dubslav schätzt den Umgang mit seiner Schwester nicht allzu sehr.

Dubslav hat noch einen jungen Sohn im erwachsenen Alter namens Woldemar, der sich mit einem Telegramm bei ihm Vater ankündigt. Wie Dubslav über Telegramme denkt, fand ich recht lustig, wenn die Gedanken auch recht ernst sind. Sie haben beides; sie sind für mich ernst und lustig zugleich und man erfährt, als sein Diener Engelke auf ihn zugeht, als ihn Dubslav sowieso schon erwartet hatte:

"Das ist recht, Engelke, dass du kommst… aber du hast ja was wie´n Telegramm in der Hand. Ich kann Telegramme nicht leiden. Immer ist einer dod, oder es kommt wer, der besser zu Hause geblieben wäre." 

Woldemar kündigt nicht nur seinen Besuch, sondern auch der zwei seiner Freunde Czako und Rex, beide Regimentskameraden, was den Vater in Aufregung versetzt, der es gewohnt ist, alleine zu leben mit wenig Gesellschaft. Um sich von dem Besuch zu zerstreuen, plant er weitere Gäste aus dem Dorf einzuladen:

Aber wen laden wir ein? So bloß ich, das geht nicht. Ich mag mich keinem Menschen mehr vorsetzen. Czako, das ginge vielleicht noch. Aber Rex, wenn ich ihn auch nicht kenne, zu so was Feinem wie Rex pass ich nicht mehr; ich bin zu altmodisch geworden."

An dieser der Textstelle wird auch deutlich, wie festgefahren und wie sehr Dubslav nach alten Gewohnheiten lebt. Nun sollen andere Gäste seinen Auftritt erleichtern. da das Dorf aber auch wie eingeschlafen ist, weiß Dubslav auf Anhieb nicht, welche Gäste er einladen soll... .

Nun gut, alles wird zu Dubslavs Gunsten arrangiert. Im Hause verbreitet sich eine kleine, noble Gesellschaft, in der politische und gesellschaftliche Gespräche geführt werden. Anwesend ist auch der Dorfpfarrer Lorenzen, sowie das Ehepaar Gundermann, die die Hauptdarsteller waren und quasi die Unterhaltungen anstimmten und sich rege daran beteiligten. Sie brachten sozusagen Stimmung in die Gesellschaft ein.

Herr Gundermann interessiert sich für Politik und ist recht zurückhaltend bei der Kandidatur bei Wahlen. Folgender Dialog fand ich auch recht spannend und weist nochmals darauf hin, nach welchen festgefahrenen Mustern das Dorf lebt und wenig Neues zulässt und selbst die Zugezogene keine Möglichkeit bekommen, sich in dem Dorf einzubringen, und sich zu entfalten. Gundermann äußert große lobende Worte über den politisch aktiven Kortschädel. Woldemar, der diese Worte relativiert, erwidert:

"Ich glaube, wir haben viele von ähnlicher Gesinnung. Und sehe nicht ein, warum nicht ein Mann wie Sie …"
"Geht nicht."
"Warum nicht?"
"Weil Ihr Herr Papa kandidieren will. Und da muss ich zurückstehen. Ich bin hier ein Neuling. Und die Stechlins waren hier schon…"
"Nun gut, ich will dieses Letztere gelten lassen, und nur was das Kandidieren meines Vaters angeht - ich denke mir, es ist noch nicht so weit, vieles kann noch dazwischen kommen, und jedenfalls wird er schwanken. (...)

Anders dagegen Frau Gundermann:

Die Gundermann war glücklich über das Tête-à-tête, denn sie hatte wegen ihres jüngsten Sohnes allerhand Fragen auf dem Herzen oder bildete sich wenigstens ein, sie zu haben. Denn eigentlich hatte sie für gar nichts Interesse, sie musste bloß, richtige Berlinerin, die sie war, reden können.

Sie ist doch wie geschaffen für das Dorf Stechlin .
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen" (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Fontane: Der Stechling
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 34

Theodor Fontane / Der Stechlin

                   

 

                                                                      Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt
                                                                      2008, 8,50 €
                                                                      Seitenzahl: 432
                                                                      ISBN-10: 3596901154

Klappentext

»Alles still hier«. Harmlos scheint das kleine Dorf, wo alles Stechlin heißt, See, Dorf, Wald und Herrenhaus samt Adelsfamilie. Aber wenn irgendwo in der Welt etwas passiert, reagiert der abgeschiedene See auf unerklärliche Weise mit einer Wasserfontäne. Und die Bewohner, konservativ bis auf die Knochen, können nicht verhindern, dass die sich ändernde Welt auch zu ihnen vordringt



Autorenportrait im Klappentext

Theodor Fontane (1819-98) ist der bedeutendste Erzähler des literarischen Realismus. Der gelernte Apotheker machte mit 30 Jahren das Schreiben zum Beruf, zunächst als Journalist und Theaterkritiker. Erst spät begann er erfolgreich Romane und Erzählungen zu schreiben. Seine Romane und Novellen, die vielfach verfilmt wurden, zählen zu den meistgelesenen Klassikern des 19. Jahrhunderts.


Gelesen habe ich von Fontane:


1. Effi Briest

2. Irrungen Wirrungen
3. Frau Jenny Treibel

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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen" (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Fontane: Der Stechling
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 34

Einleitung zu meinen Buchbesprechungen


 


Die Geburten


Ich liebe Bücher, wie ich mein Leben liebe … 

Ich gehöre zu den LeserInnen, die sich der literarischen Welt des Schöpfers so weit anzupassen wissen, als wäre sie echt, und diese betritt wie ein neugeborenes Kind, und alles, sowohl das Gute als auch das Böse, als gegeben hinnimmt. Ich gehe mit meinen Gedanken in das Buch hinein und nehme von innen heraus an dem Geschehen teil ... Was ich aber gar nicht mag, das sind Klischees und Stereotypen. Ich schätze besonders AutorInnen, die mit einer differenzierten Beobachtungsgabe gesegnet sind. In dieser Hinsicht bin ich eine kritische Leserin.

Ich lese aber nicht mit einem messerscharfen Schwert, wie das viele LiteraturwissenschaftlerInnen tun, und ich seziere auch diese Welt nicht, als läge eine riesige Leiche vor mir. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Das überlasse ich den Experten, die dafür bezahlt werden ...

Wenn ich mich für ein Buch nach dem Probelesen entschieden habe, dann gehe ich ganz in die neuen Geschehnisse ein. Es ist wie eine neue Geburt und zum Schluss erlebe ich es wie ein Hinauswachsen mit vielen neuen, unterschiedlichen Erfahrungen, indem ich mir diese erst fremde Welt vertraut gemacht habe. Demgegenüber habe ich schon recht viele geistige Geburten durchlebt und eine Vielfalt an geistigen Erlebnissen …  


Oftmals, wenn ich mich zu einem Buch nicht entschließen kann, eines von so vielen noch ungelesenen Büchern, so schließe ich meine Augen, sehe die vielen Bücher vor mir und erlebe es wie ein Kopfsprung in der Vielfalt der Bücherwelten. 

Und nun habe ich gestern ein Hemingway-Zitat gefunden, das wunderbar zu meiner Leseform passt, die manche LiteraturwissenschaftlerInnen als naiv bezeichnen, und das ich hier noch einfügen möchte:
Alle guten Bücher haben eines gemeinsam: Sie sind wahrheitsgetreuer, als wenn es wirklich passiert wäre, und nachdem man eines gelesen hat, hat man das Gefühl, dass das alles passiert ist, und dann besitzt man es für alle Zeit: das Glück und das Unglück, das Gute und das Böse, die Ekstase und den Kummer, das Essen, den Wein, die Betten, die Menschen und das Wetter. (E. Hemingway, aus Papa Hemingway - Hotchner)
Ich schreibe über die gelesenen Bücher in Form von Tagebuchfragmenten, damit ich die Szenen festhalten kann, die für mich bedeutend sind. 

Ein wenig Objektivität ist aber auch mir wichtig. Ich achte auf den Tiefgang der Handlungen und Gedanken, auf Humor und auf Charaktere, wie schon gesagt, die differenziert beschrieben werden. Wenn mindestens diese drei Kriterien in einem Buch vorhanden sind, dann ist es, unabhängig davon, ob mir das Buch gefällt oder nicht gefällt, ein gut geschriebenes Buch. 

Ich stelle erst das Buch vor in Form von Cover, Klappentext und Autorenporträt (Buchvorstellung). Die Buchbesprechung findet im darauffolgenden Posting statt. 

Meine Buchbesprechungen fallen nicht kurz aus, da ich Zitate liebe, die ich mit in meine Texte einbauen werde.  

Ich bin zu meiner Freude schon von mehreren AutorInnen angeschrieben worden, auch von einem Südamerikaner, die sich mit mir via E-Mail über meine Buchbesprechungen zu ihren geschriebenen Büchern ausgetauscht haben. War bisher immer eine interessante und bereichernde Erfahrung. Ohne meinen Blog im Internet hätte ich niemals deren Bekanntschaft gemacht.

Herkunftsländer

Ich gebe die Länder an, aus denen die AutorInnen kommen, aber auch die Länder, die in den Büchern hauptsächlich eine Rolle spielen. Es ist nicht immer eine Landsmännin, die darin erwähnt ist. Und sollten AutorInnen Eltern haben, die beide aus unterschiedlichen Ländern kommen, so gebe ich auch diese an.

Also nicht wundern. 


Mit meinen Buchbesprechungen und den vielen Zitaten habe ich immer das Gefühl, ich lese der Welt aus den Büchern vor. 


                                                                                Darmstadt,  09.05.2016

Es gibt eine kleine Änderung. Da es bei mir zwölf von zwölf Punkten auf ein Buch geben kann, habe ich mich gefragt, wie diese zwölf Punkte aufgeteilt werden könnten, und habe mir folgende Aufteilung überlegt:

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Buchtitel passen zum Inhalt
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Insgesamt zwölf Punkte


Viel Spaß beim Stöbern. 

Mirella Pagnozzi