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Samstag, 11. Juni 2016

Michael Degen / Nicht alle waren Mörder (1)

Eine Kindheit in Berlin


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Auch dieses Buch von Michael Degen hat mir recht gut gefallen. Der Erfahrungsbericht war sehr glaubwürdig und authentisch geschrieben. Eine wirklich sehr spannende Lebensgeschichte, die schön zu lesen ist, die Mut macht und hoffnungsvoll ist, trotz der sehr traurigen Verluste wichtiger Bezugspersonen. Tut gut zu wissen, dass es viele Deutsche gab, die die Juden nicht ausgeliefert haben, sondern sie zeitlich bei sich aufnahmen, obwohl ihnen bewusst war, dass sie ihr Leben dadurch in Gefahr brachten. Es ist nicht nur ein historisches Buch über den Nationalsozialismus, nein, es ist auch ein Buch über Freundschaften ...

Es ist ein sehr wichtiges Buch, das nie sterben darf …

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
Mit elf Jahren musste Michael Degen zusammen mit seiner Mutter vor den Nationalsozialisten fliehen. Es folgte ein Leben im Untergrund, mit der ständigen Angst entdeckt und deportiert zu werden. Aber in dieser Welt, die aus den Angeln gehoben war, gab es Menschen, die sie versteckten, bis der Krieg vorbei war. Freunde und Fremde, Menschen, die nicht fragten, sondern wortlos halfen. 
Die vierköpfige Degenfamilie bestand nur noch aus zwei Personen. Der vier Jahre ältere Bruder, namens Adolf, flüchtete nach Israel, der Vater starb an den Folgen des KZ´.

Warum hat der Vater seinem älteren Sohn den Namen Adolf gegeben, fragt sich Michael.
Als mein Bruder zur Welt kam, hatte es ja schon viel Geschrei um Hitler gegeben. Ich hätte ihn auch so gerne fragen wollen, weshalb er eine Zeit lang so eine kleine Bartbürste unter der Nase trug. Sollte das eine Art Anpassung oder Tarnung bedeuten? (List 2015, 126)
Schwierig, darauf eine Antwort zu bekommen, wenn man den Vater nicht mehr fragen kann. Adolf Degen legte den Namen in Israel ab, und eignete sich einen anderen Namen an. Aber das wusste Michael zu der Zeit noch nicht. Michael assoziiert mit Adolf den Führer und gleichzeitig seinen Bruder. Welch eine diskrepante Vorstellung.

Michael ist gerade mal elf Jahre alt, als er mit seiner Mutter über mehrere Jahre im Untergrund lebt. Beide waren schwerem, seelischem Druck ausgesetzt, rappelten sich aber immer wieder hoch ...

Auch Michael und seine Mutter mussten eine neue Identität einstudieren und schlüpften in den Namen Gemeberg. Aus Michael wurde Max Gemeberg. Neue Namen, neue Wohnadresse, neue Herkunft, neuer Beruf, etc. Sie mussten diese  Personenbeschreibung auswendig lernen und tief verinnerlichen. Jede Veränderung, wie z. B. den Wohnraumwechsel, musste neu angepasst werden.

Sehr oft begaben sie sich in die Höhle des Löwen, mussten immer wieder persönliche Fragen beantworten und hatten jedes Mal Glück, da sie glaubwürdig erschienen.

Deutsche, die mit ihnen ihren Lebensraum teilten, stellten ihnen politische Fragen, weshalb die Juden sich so unpolitisch verhalten würden, und sich aus allem heraushalten?

Was für eine Kindheit hatte die Jugend im Nationalsozialismus? Michael sammelte mit seinem Freund Granatsplitter, etc. Selbst im Spiel blieb den Kindern permanent der Krieg vor Augen.

Dazu hat mir noch besonders die Freundschaft gefallen, die Michael mit seinem arischen Kameraden Rolf geknüpft hat. Natürlich mussten die beiden erstmal eine Kraftprobe bestehen, die sie über ihre Fäuste austrugen ...

Als Rolf Michael nach Hause einlud, stellte er ihn seinem Vater vor. Doch dieser durchschaute Michael recht schnell, spürte, dass er nicht arisch war, aber er lieferte Michael und dessen Mutter nicht aus ... Im Gegenteil, er nahm die beiden für eine bestimmte Zeit bei sich zu Hause auf. Die Freundschaft der beiden Kinder schweißte sie immer mehr zusammen, doch leider erlitt Rolf beim Granatsplittersuchen einen tödlichen Unfall … Der Tod war allgegenwärtig, er konnte jeden treffen, und machte auch vor Kindern nicht Halt.

Als kurz vor Ende des Krieges die Russen einmarschierten, mussten Michael und seine Mutter die erlernte arische Identität wieder aufgeben. Nun waren sie gezwungen, wieder auf ihre alte Identität zurückzugreifen, wollten sie nicht von den Russen ermordet werden. Russische Soldaten hatten Mühe, Juden, die nicht in die Fänge Hitlers geraten sind, als Juden anzuerkennen. Sie glaubten, dass alle Juden ermordet wurden. Schließlich nahm ein Soldat ihnen die jüdische Herkunft ab. Die Degens machten die Bekanntschaft mit einem weinenden, russischen Soldaten, selber auch Jude, der die Morde an den Juden schwer fassen konnte. Der Soldat war Pianist, der sich mit deutschen Komponisten auskannte:
>>Wie kann ein solches Volk so gute Komponisten haben<<, pflegte er immer zu sagen. Er spielte wie ein Gott, und am liebsten hatte ich, wenn er Bach oder Händel spielte und es fertigbrachte, auf dem Klavier ein Cembalo zu imitieren. (2015, 287)
Mein Fazit?

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Man kennt viele Bücher, in denen die Juden von den Deutschen verraten wurden. Aber dieses Buch ist anders, zeigt die andere Seite der Realität, dass nicht alle Menschen gleich sind. Nicht alle sind böse, nicht alle waren Fieslinge, nicht alle waren Mörder, wie schon der Buchtitel sagt …

Und hier meine neuste Art, ein Buch zu bewerten:

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Kreativ, fantasievoll, humoristisch
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und/oder Rassismus

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

Weitere Informationen zu dem Buch

  • Taschenbuch: 336 Seiten
  • Verlag: List Taschenbuch (2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3548609104
  • ISBN-13: 978-3548609102
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Gelesene Bücher 2016: 34
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Sonntag, 22. Mai 2016

Michael Degen / Mein heiliges Land (1)

Auf der Suche nach meinem verlorenen Bruder 


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Dieses Buch hat mir ebenso gut gefallen, wie die letzten drei Degen-Bücher auch, die ich bisher gelesen habe. Allerdings wurde es mir ab der Mitte hin etappenweise ein wenig langweilig. Innerhalb kurzer Zeit konnte der Bruder gefunden werden, Erlebnisse mit zuvor unbekannten Verwandten, deren Geschichten mir gefallen haben, bekam man zu lesen, doch dann kam die Phase, in der die Schauspielerei in den Fokus getreten ist. Das fand ich nicht wirklich spannend, schließlich bin ich nicht vom Fach. Es hätte gereicht, diese Art von Lebensspanne im Buch deutlich abzukürzen.

Doch zurück zur Hauptthematik; mich hat es schon immer mal interessiert, wie deutsche Juden, gezwungen durch den Nationalsozialismus, nach Israel ausgewandert sind, und wie sie ihr Leben dort eingerichtet haben. Wie leicht ist es ihnen gefallen, sich dort eine neue Heimat aufzubauen? Was ist mit der deutschen Identität; konnte sie abgelegt werden wie einen alten Hut? Es gab sehr viele Juden, die nur auf dem Papier Juden waren, ohne dass sie in Deutschland ihren Glauben zelebriert hatten.

Viele Antworten habe ich in dem Buch gefunden. Das ist das einzige Buch, das ich bisher dazu gelesen habe. Bekannt waren mir eher Zufluchtländer, wie z. B. Afrika, Amerika, Türkei … Aber nach Israel flüchten? Dazu hatte ich bisher noch gar nichts gelesen.

Das Buch ist einerseits sehr traurig, Michael trauert zusammen mit seinem Bruder um den durch die Nazis umgekommenen Vater, andererseits hat es auch viel Humor, und auch viel Weisheit, ohne diese hätten die deutschen Juden, die den Nationalsozialismus überlebt haben, nicht durchgestanden.

Mein Verdacht, der Titel Mein heiliges Land könnte ironisch gemeint sein, konnte nicht erhärtet werden. Die ersten Seiten haben mich dazu verleiten lassen, als der junge Michael, 17 Jahre alt, 1949 mit dem Schiff nach Israel einreist, um seinen Bruder Adolf zu suchen. Dort angekommen, wurde er von den Grenzbeamten festgehalten; sie wollten ihn gleich als Rekrut fürs Militär ausrüsten, für den Krieg gegen die Araber einsetzen. Er kam dann doch davon los, und die Erfahrungen im Landesinneren waren eher wohlwollend …

Michaels Vorstellung, dass Israel ein Land sei, in dem Milch und Honig fließen, wird von einem seiner Mitpassagiere auf dem Schiff ironisch aufgefasst, denn er möge gar keinen Honig; das fand ich recht humoristisch.

Interessant fand ich auch die komplizierte Beziehung, die Michael zu seiner Mutter hatte und man erfuhr erst viel später, weshalb die Mutter ihren minderjährigen Sohn so ganz allein nach Israel schickte ...

Recht nachdenklich hat mich auch gestimmt, mit wie viel deutschen Juden Michael in Israel zu tun bekam. So viele mit deutschem Namen, und sie sprachen alle die Landessprache mit deutschem Akzent. Oftmals konnte der deutsche Akzent nochmals eingegrenzt werden, z. B. jüdisch mit sächsischem, oder mit berlinerischem Akzent, etc. … Man spürte deutlich den Riss dieser Menschen in ihrer Identität.

Michael wundert sich, wie viele Juden er trifft, die blaue Augen haben, blonde Haare, und fragt, wie Hitler nur zu seiner Rassentheorie kam? Schließlich war er selber schwarzhaarig. Aber dies wurde von den Deutschen nicht hinterfragt. Noch heute bestehen stereotype Vorstellungen darüber, wie Menschen anderer Länder, SüdländerInnen, von AutorInnen beschrieben werden.

Michael bleibt länger in Israel, als ich geahnt habe. Er bewarb sich dort sogar am israelischen Theater. Er bestand sogar auch dort die Schauspielprüfung und bekam eine Stelle im Kammertheater.

Sein Bruder reiste nach Deutschland, um endlich seine Mutter wiederzusehen …

Ich möchte nicht noch mehr verraten und verweise auf das Buch.

Lesen werde ich demnächst das Buch Nicht alle waren Mörder.


Mein Fazit?

Auch wenn mich die Theaterszenen weniger interessiert haben, spürte man aber deutlich, dass diese dem Autor wichtig waren, darüber zu schreiben. Sie gehören immerhin zu seinem Leben, und ich fand es überhaupt toll, dass er die Schauspielprüfung sogar in einem fremden Land hat bestehen können. Das versuchte ich mir vorzustellen, wie schnell er die Sprache dort gelernt hat, und wie bemüht er war, seinen deutschen Akzent abzulegen. Weil dies alles zu Michael Degen gehört, bekommt das Buch von mir zehn von zehn Punkten.

© Mirella 

Weitere Informationen zu dem Buch 

Ich möchte mich recht herzlich beim Rowohlt-Bücherverlag für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar bedanken. 

Taschenbuch: 320 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag; Auflage: 3 (2. Mai 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3499621843

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Gelesene Bücher 2016: 28
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86


Donnerstag, 28. April 2016

Janne Mommsen / Zwischen den Bäumen das Meer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Selten schaffe ich es, nach einem langen Arbeitstag hundert Seiten am Stück zu lesen. Bei diesem Buch war dies eine Leichtigkeit. Ich hatte es schon nach zwei Tagen durch. Es ist in einer sehr saloppen, seichten Sprache geschrieben, die ich eigentlich so gar nicht gewöhnt bin.
Oftmals war mir die Sprache sogar ein wenig zu trivial, und manchmal zu sentimental. Verschiedene Tiere im Wald, die zum Beispiel zwischen den Stämmen hindurch huschten, und jede Neuigkeit weitertrugen. Brrrr. Da rollen sich mir die Fußnägel hoch.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Die Geschichte von Tom und Annkathrin. Von lustig bis traurig. Von der Ostsee bis nach Föhr. Auf einem gefrorenen See in Ostholstein zieht Annkathrin auf Schlittschuhen ihre Kreise, als ihr ein Mann auffällt, der sich offenbar ins Eiswasser stürzen will. Beim Versuch, ihn zu retten, stürzt sie schwer. Der Mann rettet nun sie. Wie immer hat ihm das Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein paar Monate später treffen sie sich wieder und erleben zusammen einen wunderschönen Sommer. Doch Toms Schwermut ist nicht so einfach mal aus der Welt zu schaffen, und auch über ihrem Leben liegt ein dunkler Schatten. Kann es eine Zukunft für sie beide geben.
Auch die Themen, die darin behandelt wurden, teilweise sehr schwermütige Themen, waren nach meinem Geschmack sehr oberflächlich dargestellt. Probleme wurden immer recht schnell gelöst ...
Leider hielt das Buch für mich keine Überraschungen bereit. Alles war für mich so leicht vorherzusehen, obwohl sich der Autor bemüht hat, seine Inhalte spannend aufzuziehen, wie man das ganz besonders am Schluss sehen kann.
Auch sein Witz berührte mich nicht. Das war nicht meine Art von Humor. Ein Beispiel:

Annkathrin befindet sich in einem ungemütlichen Gespräch mit den Bankern, die ihre Eltern gut kannten und die Banker dies nochmals zum Ausdruck brachten. Daraufhin Annkathrins Gedanken:
Noch einen Satz über meine Eltern, dann grille ich dich.
Muss man das lustig finden?


Mein Fazit?

Das Buch wirkte auf mich sehr realitätsfern und wenig authentisch, auch was das Auftreten der Figuren betrifft …

Daher weiß ich schon jetzt, dass ich mir keine Bücher mehr von Mommsen zulegen werde. Für mich war er ein absoluter Fehlgriff.

Und trotzdem habe ich heute auf meiner Dienststelle eine Leserin finden können, für die dieser Schreibstil genau der richtige ist. Ich hatte das Buch dabei, es vorgestellt, ein wenig darüber berichtet, und die Leserin wurde daraufhin neugierig. Sie hat sich Autor und Buchtitel notiert, und wird sich das Buch unbedingt zulegen.

Und so soll es auch sein, finde ich. Jede Autorin und jeder Autor finden genau die Leserinnen und Leser, die zu ihnen passen.

Dazu fällt mir Kurt Tucholsky ein, dessen Zitat gestern auf unserer Facebook-Literaturseite herumkursierte:
Der Leser hat´s gut: Er kann sich seine Schriftsteller aussuchen.

Weitere Informationen zu dem Buch:

Ich möchte mich nochmals recht herzlich für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Bücherverlag bedanken.

Broschiert: 272 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 
Auflage: Originalausgabe (26. März 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3499271311
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Gelesene Bücher 2016: 21
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Montag, 25. April 2016

Michael Degen / Der traurige Prinz (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch fand ich sehr spannend. So viele interessante Themen und Gedanken wurden darin angeschnitten und besprochen. Als es allerdings um die Schauspielerei ging, zwei Profis, die sich über ihr Metier austauschen, war ich ein wenig überfordert, ich konnte diesbezüglich so gar nicht mitreden …

Zwei Schauspielkollegen verbringen die ganze Nacht zusammen mit reichlich viel Wein in der Wohnung von Oskar Werner und betreiben dort Konversation, wobei Michael Degen eher dazu gezwungen wurde, die Nacht mit dem schroffen und leidigen Werner dialogisch und monologisch auszuharren ...

Allerdings die Lebensbeschreibungen, wenn auch eher in Fragmenten, fand ich zu beiden recht interessant. Wobei Michael Degen sich eher bedeckt hielt. Ihm war es wichtig, sich über seinen Kollegen auszutauschen, aber manchmal brachte O. W. ihn doch dazu, etwas von sich zu offenbaren, und so gab Degen von sich ein paar wenige, aber sehr bedeutende Lebensereignisse preis.

Ich habe die Buchvorstellung auf Facebook, in unseren Literaturkreis, gepostet. Eine Userin machte mich daraufhin auf den Film Fahrenheit 451 aufmerksam, in dem Oskar Werner die Hauptrolle spielt. Ich kannte den Film bisher nicht, habe aber das Buch von Ray Bradbury vor langer Zeit gelesen. Ich habe mir sogleich auf Amazon die DVD bestellt und freue mich sehr darauf.

Ein paar Seiten später sprechen die beiden Schauspieler sogar selbst über diese Buchverfilmung. War ja eigentlich zu erwarten.

Oskar Werner war in seinem Beruf als bedeutender österreichischer Film- und Bühnenschauspieler recht erfolgreich. Mit fünfzehn Jahren bekam er seine erste Rolle im Wiener Burgtheater. Aber er wirkte in dem Gespräch mit Michael Degen ein wenig verbittert, und er schien ein schwer umgänglicher Zeitgenosse gewesen zu sein. Am Leben gescheitert? Oskar Werner hatte keine besonders schöne Kindheit. Er ist kein Wunschkind gewesen, was ihm schwer zu schaffen machte. Seine suizidgefährdete Mutter hätte ihn abgetrieben, würde es ihre Konfession zulassen. Die Eltern, die keine glückliche Ehe führten, trugen ihren Zwist vor dem Jungen aus. Das Kind verkroch sich unter den Tisch, während sie sich stritten … Auch der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg hinterließen zusätzlich Spuren in Werners Seele. Er wurde 1922 geboren, ein Jahr vor Hitlers Putschversuch ... Das Leben bezeichnete er selbst als die reine Hölle und zitiert Dantes Inferno, das im Vergleich dazu nichts dagegen sei.

Während des Zweiten Weltkriegs, als er noch ein junger Mann war, sah er sich als Nazigegner gezwungen, zu desertieren, auch wenn er damit sein Leben riskierte. Gefangengenommene Deserteure wurden von den Nazis kurzerhand niedergeknallt, wie dies aus den Gesprächen zu entnehmen war. Aber Werner hatte Glück, er und seine junge Familie konnten diese schweren Zeiten überleben … Psychisch gesehen hatte aber Oskar Werner durch die vielen schlechten Lebensumstände einen Schaden genommen und um diesen nicht zu spüren, griff er zum Alkohol, mit dem er bis zu seinem Tod, 1984, sein Leben ein wenig erleichtern wollte ... Beruflicher Erfolg kann zum inneren Frieden beitragen, ersetzt aber keine anderen inneren Werte, die der Mensch braucht, um zu einem glücklichen Leben zu kommen.

Oskar Werner bedeutete seine Schauspielerei alles. Mit dem Theater sei er verheiratet, der Film aber sei seine Geliebte. Diese Vergleiche fand ich sehr schön und sie zeigen, wie sehr er mit seinem Beruf verbandelt war.

Probleme hatte er mit seinem Familiennamen Bschließmayer, mit dem er sich keine Karriere als Schauspieler vorstellen konnte:
Wie beginnt man denn sein Leben, wenn man mit dem Namen Oskar Josef Bschließmayer auf die Welt kommt? Wenn ich heute darüber nachdenke, wäre ich am liebsten gleich wieder in den Mutterleib zurückgekrochen. Was für eine Karriere hätte man mit einem solchen Namen schon machen können, wenn man, einmal angenommen, kein Komödiant hätte werden wollen? 
Dieses Zitat musste ich unbedingt rausschreiben. Die Sehnsucht, wieder zurück in den Mutterleib zu kehren, ist für mich psychologisch gesehen sehr prägnant und zeigt die innere Not, die dieser Mensch ein Leben lang erlitten hat.

Oskar Werner sollte also sein Künstlername werden. 1946 wurde der Name amtlich beglaubigt. Wie er zu dem Namen Werner kam, das lasse ich offen, da ich nicht zu viel verraten darf. Hat aber etwas mit Werner Kraus zu tun …

Auch wenn mir manche Gespräche über die Schauspielerei zu hoch waren, konnte ich doch auch für mich Interessantes finden, vor allem als Oskar Werner sich gedanklich zu anderen SchauspielerInnen äußert. Zum Beispiel sei Werner Kraus Schauspieler geworden, um nicht er selbst zu sein. Das fand ich irgendwie psychologisch interessant. Ein Mensch, der nicht er selbst sein möchte, und permanent in andere Identitäten flüchtet. Ich versuchte, mir so eine Persönlichkeit vorzustellen. Anders bei O. W., der nur eine Rolle wirklich gut spielen konnte, wenn er einige ihrer Charakterzüge bei sich selbst wiederfinden konnte.

Außerdem bezeichnete O. W. Werner Kraus politisch als einen Nazimitläufer … Vielleicht aber hatte Werner Kraus keinen Mut, diese antisemitischen Rollen zu boykottieren … Ein Mensch, der vor sich selber flieht, ist nicht stabil genug, sich gegen Autoritäten zu widersetzen. Und schon gar nicht gegen so eine Verbrecherregierung, wie das Nazideutschland sie war, in dem alle Menschen eliminiert wurden, die nicht in dieses System passten. Vielleicht ist Werner Kraus doch kein Antisemit gewesen, er hatte eben nur Angst vor einer Hinrichtung …

Ein weiteres Zitat, das zu meinem obigen Gedanken passt, möchte ich unbedingt festhalten. Gedanken aus der Sicht von O. W.:
Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent ist, dann ist er kein Nazi. 
Richtig spannend fand ich auch zusätzlich die vielen provokativen Fragen, die O. W. an seinen Gesprächspartner Michael Degen gestellt hat. Ich musste so schmunzeln, als er fragte, ob Michael Degen nicht neidisch auf ihn gewesen sei, wegen der besseren Rollen, die ihm zugewiesen wurden? Oder wegen seiner erfolgreichen Filme in Hollywood? Ich fand, dass Degen sehr souverän diese Fragen beantworten konnte …

Ja, zwischen diesen beiden Schauspielern schien O. W. der Erfolgreichere gewesen zu sein, aber der Glücklichere war für mich nach meiner Beobachtung durch dieses Buch auf jeden Fall Michael Degen. Er wirkte viel gelassener und ausgeglichen. Ein jüdisches Kind, das den Nationalsozialismus überlebt hat. Auch er war Opfer seiner Zeit. Aber Degen kommt aus einem stabileren Elternhaus, in dem er sich geliebt gefühlt hat ...

Hier mache ich nun Schluss. Jedem Fan von Michael Degen und Oskar Werner kann ich zu diesem Buch raten. Ein paar wenige Gedanken habe ich herausgeschrieben, aber zu entdecken gibt es noch jede Menge weitere.


Mein Fazit?

Mich stimmt das Buch noch immer sehr nachdenklich. Traurig fand ich, als O. W. seine Schauspielkarriere durch den Alkohol beenden musste. Er schaffte es nicht, seinen inneren Frieden zu finden. Eine große Blamage auf der Bühne führte durch verschiedene geistige Aussetzer zu seinem letzten Auftritt ... Ich hatte tiefes Mitgefühl, als sich die Zuschauer über ihn lustig machten und ihn auf der Bühne auslachten. Andere Besucher ergriffen in der Pause regelrecht die Flucht ...

Michael Degen ist es sehr gut gelungen, diese Konversation zwischen ihnen beiden zu porträtieren. Ich bin auf seine weiteren Werke gespannt. Hauptsächlich autobiografische.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.


Weitere Informationen zu dem Buch:


Ich möchte mich recht herzlich für dieses zur Verfügung gestellte Rezensionsexemplar beim Rowohlt-Bücherverlag bedanken.

  • Taschenbuch: 256 Seiten
  • Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag (22. April 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3499242052
  • ISBN-13: 978-3499242052

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Ich hätte zwei Leben gebraucht,
doch ich habe nur eines gehabt.
(Spruch auf einem Grabstein)
(Bernardo Atxaga)

Gelesene Bücher 2016: 20
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86