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Sonntag, 23. Januar 2022

Anthony Doerr / Wolkenkuckucksland (1)

 Fremder, wer immer du bist, öffne dies, und siehe, was dich erstaunen wird.
(Ein Schatz aus Anthony Doerrs Geschichte, ein Schatz, der magisch bis in die Hände der Leser*innen reicht.)

Ein sehr außergewöhnliches und mitreißendes Buch. Ein sehr wichtiges Buch. Ein Buch, das aus verschiedenen Zeitebenen zusammensetzt ist; Vergangenheit, Gegenwart, nahe Zukunft und fernere Zukunft.

Zeitweise, in einer bestimmten Geschichte, habe ich das Buch ein kleinwenig als dystopisch erlebt ... Zu Recht, denn wenn man sich die Gegenwart mit der katastrophalen Umweltproblematik anschaut, bekommt man tatsächlich das flaue Gefühl, dass der Mensch sich selber abschafft, weshalb sich eine Crew von Menschen in ein Raumschiff begibt, um nach weiteren bewohnbaren Planeten zu suchen.

Warum? Um andere Planeten auch noch auszulöschen?

Die Menschen sollte man am besten als Ausrotter verstehen, (...). Jeden Lebensraum, in den wir vordringen, zerstören wir, wir haben die ganze Erde überrannt, und als Nächstes rotten wir uns selbst aus. (365)
Haben wir nicht jetzt die Möglichkeit, unseren Planeten zu retten, statt nach neuen zu suchen?

Aber nein, nicht ganz so trist, denn das Buch ist gleichzeitig auch ein Wachrüttler und ein Hoffnungsträger zugleich, so wie ich eigentlich Anthony Doerr als Literat und Buchautor auch kenne. Es liegt an uns, ob wir seine Warnungen ernst nehmen möchten oder ob wir sie mit dem Schließen der letzten Buchseite einfach nur ignorieren.

Ein wunderbares, opulentes Kunstwerk, das man zwei Mal hintereinander lesen müsste.

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten. Hierbei ist ein interessantes Video persönlich vom Autor zu seinem neusten Werk hinzugefügt.

Die Handlung
Die Handlung besteht aus vier Erzählsträngen. Wolkenkuckucksland ist eine mythologische Geschichte, die einst von Antonius Diogenes verfasst wurde. Der Protagonist dieser Erzählung ist der arme und unzufriedene Schäfer Aethon, der von einem besseren Leben träumt. Seine einfache Existenz empfindet er als monoton und eintönig, und sehnt sich nach Höherem, bis er sich auf eine Reise begibt, als er von dem Wolkenkuckucksland hört, in welches er unbedingt hinfliegen möchte. Aber wie, wo er doch keine Flügel besitzt, um dahin zu gelangen? Denn zu vergleichen wäre diese Zauberstadt mit dem Land von Arkadien, wo Milch und Honig in den Mund fließen. Aethon erzählt:

Als ich das Tor des Dorfes passierte, kam mich an einem garstigen alten Weib auf einem Baumstumpf vorbei. Die alte sagte: >> Wohin, Dummkopf, es wird bald dunkel, es ist keine Zeit, um draußen auf der Straße unterwegs zu sein <<. Ich sagte: >> Ich habe mich mein ganzes Leben danach gesehnt, mehr zu sehen, meine Augen mit neuen Dingen zu füllen, aus dieser vermatschten, stinkenden Stadt herauszukommen, weg von den ewig blökenden Schafen. Ich reise nach Thessalien, dem Land der Magie, um einen Zauberer zu finden, der mich in einen Vogel verwandelt, einen starken Adler oder eine kluge, kräftige Eule. << 

Sie lachte und sagte: >> Aethon, du Trottel, alle wissen, dass du nicht bis fünf zählen kannst, und doch glaubst du, die Wellen des Meeres zählen zu können. Du wirst deine Augen nie mit etwas anderem als deine eigene Nase füllen. <<

>> Sei still, Alte, sagte ich, >> denn ich habe von einer Stadt in den Wolken gehört, wo dir die Drosseln gebraten in den Mund fliegen, Wein in Rinnen entlang der Straßen fließt und immer ein warmer Wind weht. Sobald ich ein mutiger Adler oder eine kluge, kräftige Eule geworden bin, werde ich dort hinfliegen. << (2021, 64)

Spätes Mittelalter
In Konstantinopel bekommen wir es mit zwei Waisenkindern zu tun, die bei den Nonnen untergebracht sind. Anna und Maria, zwei Schwestern, müssen im Kloster harte Handarbeit verrichten, um ihren Unterhalt zu verdienen, während die kleine Anna sich eher zu Büchern hingezogen fühlt. Auf eigene Faust sucht sie sich heimlich einen Lehrer, Licinius, der ihr die Schriftsprache beibringen soll. Sie ist für die Handarbeit einfach nicht geschaffen. … Später rettet Anna mit einem Freund namens Himerius in einer alten Grotte auf einem Berg uralte, teilweise vergammelte Bücher, die von italienischen Sammlern abgekauft und restauriert werden …

Parallel dazu lernt man den Zeitgenossen Omeir kennen, der mit einer Lippen-Gaumenspalte auf die Welt kommt, und er dank seines Großvaters am Leben bleiben durfte, und nicht in einem Fluss ertränkt wurde.

Omeir ist ein ganz besonderer Mensch. Fein- und sanftmütig von seinem Wesen her. Er ist nicht nur menschen-, sondern auch tierliebend und setzt sich für misshandelte Ochsen ein.  Omeir führt insgesamt ein recht bescheidenes und ein demutvolles Leben. Er weiß sein Leben als ein Mensch mit einem entstellten Gesicht mehr als zu schätzen …

Viele politische Unruhen finden über mehrere Jahre durch den Sultan statt, der Konstantinopel erobern wollte; Kriege, Schlachten, ganze Dörfer werden ausgeplündert.

Anna begibt sich auf die Flucht, und ihre Fluchtwege führen sie zu Omeir …

Die Gegenwart findet 2020 in einer Bibliothek in Lakeport statt. Eine Schulklasse studiert darin unter der Leitung von Zeno Nini das Theaterstück von Wolkenkuckucksland ein ... In dieser Bibliothek findet ein Amoklauf eines jungen Attentäters namens Seymour statt, der eine schwere Kindheit zu verwinden hatte. Aber auch die Kindheit von Zeno Nini, mittlerweile über 80 Jahre alt, ist von Leid und Verlust geprägt ...

Die nahe und weite Zukunft führt uns bis ins Jahr 2064 nach Argos.
Die Hauptfigur ist hier die junge Konstanze, die in Argos aufwächst. Eine computergesteuerte Lebenswelt im All auf der Suche nach einem bewohnbaren Planeten findet man hier vor. Selbst die Mahlzeiten sind computergeneriert. Konstanze reist virtuell und dreidimensional durch den Atlas und lernt darin den Planeten Erde kennen, der ihr lediglich von ihrem Vater überliefert wurde. In Argos bricht ein Virus aus, Omikron, und die Mannschaft wird auf unbestimmte Zeit in Quarantäne verfrachtet.

(Na, woher kennen wir das wohl????)

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Es waren jede Menge Szenen.
Ich höre noch die Schläge, die die kleine Anna von der Ordensschwester auf ihren Fußsohlen bezogen hat. Sie sind dermaßen massiv, dass ich sie regelrecht spüren konnte, als würden sich mir die Schwielen nur allein vom Lesen unter meinen Füßen bilden.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Auch recht viele. Dass Omeirs Leben gerettet wurde. Dass Anna ihren eigenen Weg hat finden können. Dass Zenos Vater alles getan hat, trotz seiner Mittellosigkeit, für seinen Jungen bestmöglich zu sorgen ... 

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Es waren fast alle Figuren. Am meisten aber Omeir,  Anna und Zeno. Aber auch Zenos Vater, der schicksalsbedingt nur kurz in der Geschichte wirkte, stellte sich für mich rückblickend nicht einfach nur als eine Nebenfigur heraus. Auch er hat mich innerlich beeindruckt. Sie alle zusammen entpuppten sich für mich zu wertvollen Lichtträgern.

Welche Figur war mir antipathisch?
Die Ordensschwestern, die die Kinder mit heftigen Prügelstrafen gezüchtigt haben. Auch wenn dieser Erziehungsstil zur damaligen Schwarzen Pädagogik gezählt hat, reicht es mir als Entschuldigung nicht aus und bleibt für mich ein unverzeihliches und nicht wieder gut zu machendes Vergehen. Die Verletzungen heilen äußerlich, innerlich bilden sich unsichtbare Narben.
 
Zu jeder Zeit gab es Menschen, die Kinder gut und liebevoll behandelt haben. Unabhängig davon, wie die Gesetzeslage bestimmt war. Man benötigt kein Gesetz, das einem eine gute Behandlung an schwachen Mitgeschöpfen vorschreibt. Man spürt auch ohne Gesetze, wenn wehrlosen Wesen Schmerz zugefügt wird. Und aus diesem Grund war mir der junge Omeir so sympathisch, der sich gegen die Tiergewalt eingesetzt hat. Dasselbe hätten die Ordensschwestern, erwachsene Frauen, die Recht von Unrecht unterscheiden hätten sollen, auch tun können. Gerade die Ordensschwestern, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als die Liebe in ihren Gebeten zu zelebrieren. Welch eine Diskrepanz und welch eine abgebrühte Heuchelei.

Für Menschenrechte, Tierrechte und Kinderrechte benötigt man eigentlich keine vorgegebene Legitimation. Man spürt den Schmerz des Anderen, wenn man emotional nicht abgestumpft ist, auch ohne juristische Vorschriften. Und das bezieht sich nicht nur auf das Mittelalter. Auch heute gibt es Gesetze, die bestimmte schutzlose Mitseelen nicht ausreichend vor Gewalt schützen ... Wir sind heute auch keine besseren Menschen, wenn ich an die vielenTierqualen denke. 

Meine Identifikationsfigur
Anna.

Cover und Buchtitel
Das Cover fand ich persönlich sehr ansprechend, passend 
zum Buchtitel, der uns in die griechische Mythologie führt und damit auch ins Reich der Lüfte, in denen sich diese symbolträchtige Zauberstadt befinden soll. Darüber und über Aethon könnte ich eine ganze Interpretation samt einer Charakteranalyse schreiben. 

Zum Schreibkonzept
Die o. g. Geschichten sind auf satte 532 Seiten in 22 Kapiteln gepackt. Jede Menge Kopf- und Seelennnahrung bekommt man hier serviert.

Auf der ersten Seite ist eine Widmung an alle Bibliotheken gewidmet. An die vorhanden Bibliotheken und an die, die noch kommen werden. Dass die Bücher niemals aussterben, habe ich durch die Geschichten als einen Appell empfunden.

Auf der folgenden Seite gibt es einen kleinen Vorspann, der sich auf die mythologische Erzählung dieses Buchtitels bezieht.

Weiter geht es mit dem Prolog, der an die Nichte des Autors gewidmet ist.
Daraufhin folgen die o. g. Geschichten, die in einem wechselnden Sprechkanon ausgestattet sind.

Das Buch endet mit der üblichen Danksagung.

Meine Meinung
Meine Meinung fülle ich mit wichtigen Zitaten, damit ich sie nachlesend immer griffbereit habe, wenn ich sie als Zitate noch anderweitig benötigen sollte.

Trotz der großen, von Menschen verursachten Umweltproblematik, hat mich dieses Buch verzaubert. So viele schöne Geschichten, wenn auch sehr traurige, aber ein Mix verschiedener Variationen, ein Mix zwischen Realität und Fiktion, die durch Aethons surreale Lebensgeschichte bis tief ins Magische triften. Sich vorzustellen, wie Aethon sich in einen Vogel verwandeln möchte, um seinem Alltag zu entrinnen, um in eine bessere Welt fliegen zu können, hat mich tief berührt. Aber das sind typische griechische Mythologien, die mich immer wieder von Neuem faszinieren.

Das gesamte Buch stimmt dermaßen nachdenklich, dass man damit nicht wirklich abschließen kann. Zerstörung des eigenen Planeten durch Umweltprobleme; eigentlich sind uns ja diese Probleme bewusst. Aber warum machen wir trotzdem weiter wie bisher? Betroffen hat mich gestimmt, als die junge Generation auf die Zerstörung unseres Planeten die ältere Generationen mit folgenden Worten damit konfrontiert:

Ihr sterbt an Altersschwäche, wir an der Zerstörung des Planeten. (Leider habe ich mir die Seitenzahl nicht gemerkt.)
Diesen Satz muss man mal auf sich wirken lassen.

Drei weitere Zitate mit Seitenzahl:

Ein Beispiel einer zehnten Klasse, die im Englisch-Unterricht die Aufgabe bekam, etwas Lustiges aus den Sommerferien aufzuschreiben. Daraufhin die Reaktion der Schüler*innen mit einer leisen Protestreaktion:
Sie sagten, wir sollten was Lustiges aufschreiben, was wir im Sommer gemacht haben, um unsere Grammatik-Muskeln zu dehnen, also okay, Mrs Tweedy, in diesem Sommer haben Wissenschaftler verkündet, dass die Menschen in den letzten 40 Jahren 60 Prozent der wildlebenden Säugetiere, Fische und Vögel auf dieser Welt getötet haben. Ist das lustig? Und in den letzten 30 Jahren haben wir 95 Prozent des ältesten, dicksten Eises in der Arktis zum Wegschmelzen gebracht. Wenn wir alles Eis in Grönland zum Schmelzen bringen, nur das in Grönland, nicht vom Nordpol, nicht das in Alaska, nur das in Grönland, (...), wissen Sie, was dann passiert? Dann steigen die Meeresspiegel um 7 Meter an. Damit gehen Miami, New York, London und Shanghai unter, dann können Sie mit ihren Enkeln aufs Schiff, Mrs Tweedy, und Sie sagen, wollt ihr was essen, und die so, Grandma, kuck mal da, unter Wasser, da ist die Freiheitsstatue, da ist Big Ben, da sind die toten Leute. Ist das lustig? Dehne ich da meine Grammatik-Muskeln? (303)

Zwei Seiten später eine weitere Szene junger Menschen:

Wir haben bereits die meisten Tiere umgebracht, die Ozeane aufgeheizt, der CO2-Gehalt der Atmosphäre ist der höchste seit achthunderttausend Jahren. Selbst wenn wir sofort alles stoppten, so als würden wir heute Mittag alle sterben - keine Autos mehr, kein Militär, keine Hamburger - wird es noch über Jahrhunderte wärmer werden. Wenn wir alle mal fünfundzwanzig sind? Dann wird sich der CO2-Gehalt noch mal verdoppelt haben, was heißere Feuer bedeutet, schwerere Stürme, schwere Überschwemmungen. Getreide zum Beispiel wird in zehn Jahren nicht mehr so gut wachsen. 25 Prozent von dem, was Kühe und Hühner fressen; ist, ratet mal, was? Getreide. (...) und was noch, wenn mehr CO2 in der Luft ist? Dann können Menschen nicht mehr so gut denken. Wenn wir also 25 sind, werden viel mehr Menschen hungern, Angst haben und auf der Flucht aus brennenden oder überfluteten Städten im Verkehr feststecken. Glaubt ihr, dass wir dann da in unseren Autos die Klimaprobleme lösen? Oder wenn wir aufeinander einschlagen, einander ausplündern, vergewaltigen und gegenseitig auffressen? (305) 

Weiter geht es mit jungen Umweltaktivisten, die sich protestierend an die Reichen wenden:

Sie nennen uns militant und Terroristen. Sie sagen, dass Wandel Zeit braucht. Aber wir haben keine Zeit mehr. Wir können nicht länger in einer weltweiten Kultur leben, in der es den Reichen erlaubt ist, zu glauben, dass ihre Lebensweise ohne Folgen ist, dass sie benutzen können, was immer sie wollen, und wegwerfen können, was immer sie wollen, dass sie gegen Katastrophen immun sind. Ich weiß, es ist nicht einfach, sich die Augen öffnen zu lassen, es macht keinen Spaß. (365)

Mich stimmt nachdenklich, dass selbst Eltern, viele von ihnen ihr Verhalten nicht hinterfragen. Menschen, die Kinder haben. Sie fahren ihre Kinder z. B. überall hin mit dem Auto etc. und ich mich frage, was sie ihren Kindern für Werte vorleben? Haben sie keine Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und die ihrer Kindeskinder?

Aber der Autor maßregelt nicht. Ich wiederhole nochmals. Das Buch ist auch ein Licht- und Hoffnungsträger. Es liegt ganz alleine an uns, ob wir diese nutzen.

Jede Menge Weisheit ist zudem noch in den Geschichten zu finden.

Und das Besondere: Das Buch ist in allen Geschichten ein Buch über Bücher. Wer dieses Genre liebt, ist damit auch wunderbar beraten.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage des Verlages an mich. Und dafür danke ich sehr, denn von mir aus hätte ich mich in meiner Zeitnot an diesen dicken Schmöker selbst nicht herangewagt. Danke an den C.H.Beck-Verlag für diesen so genialen Stoß.

Wie kam der Autor zu seinem Stoff?
Anthony Doerr hat aus Literatur Literatur gemacht.

Am meisten verdankt dieses Buch eine mehr als tausendachthundert Jahre alten Roman, den es nicht länger gibt: Wunderdinge jenseits von Thule von Antonius Diogenes. Nur ein paar Papyrusfragmente sind von ihm geblieben, aber eine im neunten Jahrhundert vom byzantinischen Patriarchen Photios I. verfasste Zusammenfassung und zeigt, dass es sich bei den Wunderdingen um eine wahrhafte Globetrotter-Erzählung handelte, voller miteinander verbundener Sub-Plots und aufgeteilt in vierundzwanzig Bücher. Offenbar arbeitete Diogenes` Roman mit gelehrten wie fiktionalen Quellen, vermischte bestehende Genres, spielte mit Realität und Fiktionalität und enthielt womöglich die erste literarische Reise in den Weltraum. (559)

Mein Fazit
Ein sehr empfehlenswertes Buch, das neugierig stimmt und Lust macht, immer wieder in die verschiedene Welten einzutauchen, die, trotz der großen Zeitabstände, alle miteinander verwoben sind. Die Verknüpfungen zueinander soll allerdings jeder selbst herausfinden.

Ein Buch, das mich sowohl mental als auch seelisch nicht wieder losgelassen hat. Ich hätte eigentlich noch etwas Zeit verstreichen lassen sollen, um diese Besprechung zu schreiben, weil ich noch nicht ganz durch bin mit der innerlichen Verarbeitung der vielen tiefen, tiefen, tiefen Eindrücke. Wäre dies nun ein TV-Film gewesen, dann hätte ich ihn mir sicher drei mal hintereinander angeschaut, wie ich das häufig mit guten Filmen mache. Und ein paar Tage später nochmals schauen. 

Fremder, wer immer du bist, öffne dies, und siehe, was dich erstaunen wird.

Herzlichen Dank nochmals an den C.H.Beck-Verlag für das geniale Rezensionsexemplar. ich bin total beglückt. 

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

Zwei Zusatzpunkte wegen des Lesehighlights.

14 von 12 Punkten

 _______________

Gelesene Bücher 2022: 01
Gelesene Bücher 2021: 17
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich höre:
Benedict Wells: Hard Land
Ovid - Metamorphosen
Rachel Joyce: Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
Paolo Coelho: Schutzengel

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

Klopf an dein Herz, denn dort sitzt 
das Genie!
(Alfred de Musset)

Auch Expertenwissen ist subjektiv!
(Tom Andersen / Psychiater und Syst. Therapeut)


Sonntag, 28. November 2021

Peter Hunt / Die Erfindung von Alice im Wunderland - Wie alles begann (1)

Bildquelle aus obigem Buchband
Nun, endlich komme ich dazu, die langersehnte 
Buchbesprechung zu schreiben, nach dem ich das Buch längst ausgelesen habe.

Ein interessantes und imposantes Sachbuch über die Entstehungsgeschichte der Protagonistin namens Alice im Wunderland. Total spannend zu lesen, wo diese ihren Ursprung hat, wie jene Alice von einer wahren Wirklichkeit in eine fiktive Wirklichkeit den Weg in die surreale Bücherwelt hat finden können. Es gibt ein Double an Alice, das allerdings von ihrer äußerlichen Form nicht unterschiedlicher sein kann.

Hier geht es zum Klappentext, Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.  

Die wichtigsten Fakten
Der Vater dieser märchenhaften Figur ist der britische Mathematikdozent Charles Ludwige Dogsen, 1832 bis 1898, nahm 1856 seinen Künstlernamen Lewis Carrol an.

Ein Londoner Verleger namens McMillian brachte das erste Kinderbuch Alice im Wunderland (Alice`s Adventures in Wonderland) 1865 heraus, das sich inhaltlich in seiner exorbitanten Größe gänzlich von allen anderen Kinderbüchern unterschied. 1872 fand eine Fortsetzung mit dem Titel Alice hinter den Spiegeln (Through the Looking-Glass) statt.

Auf den ersten Blick alles Nonsens - Geschichten, weshalb es wie ein Wunder ist, dass Caroll einen Verleger hat finden können, der sich von diesen märchenhaften, skurrilen Figuren, die hauptsächlich den Erwachsenen widerspiegeln, nicht abschrecken ließ. Die einzig Normale schien für mich die kleine abenteuerlustige und fantasiebegabte Alice zu sein, der dadurch kein Problem unlösbar erschien, während im Umkehrschluss, sozusagen aus der Sicht der Erwachsenen, sie als normal galten und Alice als die Verrückte.

Der Unterschied zu den herkömmlichen Kinderbüchern war, dass dieser Kinderband keinen moralischen, erzieherischen und auch keinen religiösen Auftrag zu erfüllen hatte. Alles durfte sein, nichts war verboten … Das Kindermärchen wurde noch durch den Satiriker John Tenniel illustriert. Allerdings war Tenniel nicht der einzige Künstler, der sich an diesen Bänden kreativ beteiligte. Man will es nicht glauben, aber es sollen über hundert weitere Künstler gewesen sein, die sich an dem Bildband betätigt hatten. Dass der Autor dies so großzügig zulassen konnte, finde ich erstaunlich. Und doch passt alles gut zusammen, als würden die vielen unterschiedlichen Maler alle über ein und dieselbe Handschrift verfügen.

Es war nicht nur ein Kinderbuch, sogar Erwachsene bedienten sich der Geschichten. Selbst Politiker zitierten 153 Jahre später daraus.

Die “Alice”- Bücher gehören zu den meistzitierten, am häufigsten angeführten, bekanntesten Büchern in englischer Sprache, (...) denen zudem nachgesagt wird, sie hätten den Lauf der Kinderliteratur geändert - durch eine bis zur Anarchie reichende Parteiname für den kindlichen Leser und die kindliche Leserin. Aber das ist es nicht, was für die Fans so faszinierend macht und für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Tausende von Artikeln und Hunderte von Büchern darüber hervorgebracht haben. Sie unterscheiden sich von den meisten Kinderbüchern, die vor ihnen (und den meisten, die nach ihnen kamen) durch ihre schiere Dichte: Es gibt kaum einen Satz, der nicht mehrere Bedeutungen, vielerlei Scherze, zu, verschlüsselte Anspielung auf intellektuelle, politische und persönliche Dinge transportieren würde. Da gibt es keine Überlänge, kein Beiwerk, keine Nebensächlichkeiten, kaum irgendeine Abweichung von einer auf das Kind ausgerichteten Erzählstimme: Wir haben viel mit Büchern zu tun, in denen ein erstaunlich beweglicher, komplexer und spielerischer Geist unmittelbar und empathisch mit seinem Publikum kommuniziert. (2020, 9)
Alice im viktorianischen Zeitalter
Die Alice – Bücher entstanden alle im viktorianischen Zeitalter, eine Zeit, die geprägt war von sozialen und religiösen Gegensätzen, aber auch eine Zeit, dominiert von hohen moralischen und sittenstrengen Maßstäben, dazu noch ein Land, das primär als  kinderunfreundlich galt. Da passte Alice als ein absoluter Kontrast in dieses Zeitgeschehen rein, völlig konträr und dazu noch in provokativer Form adäquat zu einer Queen Viktoria, die an bürgerlichen Traditionen und Konventionen regelrecht festhielt, und die absolut auch in diesen Büchern gespiegelt wird. Die Queen lehnte sogar die Frauenrechte ab, während Alice für mich für die damalige Zeit eine durchaus emanzipierte Figur darstellte. Für ein Mädchen frech, selbstbewusst, autonom, intelligent und abenteuerlustig zugleich. Alles Tugenden, die eher Jungen vorbehalten waren ...

Erstaunlich, dass die fiktive Alice es dennoch in die fantastische Welt der Bücher schaffen konnte, ohne den Autor politisch mit Ausschluss zu sanktionieren.

Wer ist Alice?
Alice Liddell und Alice im Wunderland
Man bekommt es mit der realen und der fiktiven Alice zu tun. Der Autor war sehr kinderlieb und pflegte eine tiefe und langjährige Freundschaft mit der kleinen sechsjährigen Alice Liddell, die von 1852 bis 1934 gelebt hat.

Alice Liddell hat allerdings von ihrem äußerlichen Porträt gar nichts mit der fiktiven Alice gemein, aber recht viel mit der inneren Alice. Alice Liddell hat kurze dunkle Haare, während der Satiriker Teniell die fiktive Alice mit langen, blonden Haaren illustriert hatte. Dieser pflegte nämlich die Vorstellung eines modischen präraffaelitischen Mädchentyps, entstammt aus einer modischen Kunstform (Mitte des 19. Jahrhunderts), die bekannt ist für ihre leuchtenden und lebendigen Farben.

Denn obwohl die Bücher für die “echte” Alice geschrieben waren, war Alice Liddell nicht die einzige “kindliche Freundin” in Dogdsons Leben - und nicht einmal die einzige namens Alice. Wie bei fast allen Aspekten dieser Bücher haben wir es mit etwas Vielschichtigem zu tun. (27)
Doch Alice Liddell wusste, dass sie die Alice aus dem Buch war. Im Alter von zwölf Jahren bekam sie das erste Exemplar, ein handgeschriebenes- und illustriertes Buch, in dem sie selbst als die Hauptfigur dargestellt wurde. Vieles, was sie an Gedanken und Fantasien ihrem Freund Dogson heraussprießen ließ, fand sie in den gedruckten Werken wieder.
Und ich wollte, ich könnte euch auch nur die Hälfte von dem erzählen, was bei Alice alles mit den Worten anfing “Tun wir doch so, als ob”. Erst gestern hatte sie sich mit ihrer Schwester verzankt, weil sie gesagt hatte: “Tun wir doch so, als ob wir Könige und Königinnen wären!” Aber ihre Schwester, die immer alles sehr genau nahm, hatte eingewandt, das könnten sie nicht, weil sie nur zu zweit seien, und da blieb schließlich Alice keine andere Antwort mehr als: “Gut, dann bist Du eben einer davon und ich alle übrigen”. (57)

Dem Autor war es wichtig, seine junge Leserschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Unabhängig davon, ob seine symbolträchtigen Geschichten entschlüsselt werden konnten oder nicht. 

Alice identifizierte sich sogar mit einigen anderen Figuren aus den Bänden. 

Cover und Buchtitel  

Das Cover finde ich wunderschön, das supergut zum Buchtitel passt. Was mag sich nur hinter dem Vorhang verstecken? Wohin führt diese winzige rote Türe? Und man kann weiter spinnen, dass Alice´ kindliche Neugier keine Ruhe findet, bis sie es herausgefunden hat. Keine Tür ist zu klein, kein Objekt zu hoch, sie kann sich allen widrigen Umständen gegenüber magisch verwandelnd spielerisch hingeben, um Antworten zu finden. 

Zum Schreibkonzept
Dieser von Peter Hunt sehr gut recherchierter Bild- und Buchband ist neben einer Einleitung auf 127 Seiten in sechs Kapiteln gepackt. Im Anschluss daran ist ein Anhang zu entnehmen, bestehend aus einer Anmerkung, weiterführender Literatur, Abbildungsnachweis und aus einem Register. Auf jeder Seite sind wunderschöne Illustrationen abgebildet, gemixt mit Fotografien verschiedenster Personen aus der Lebenswelt des Autors, die an dem Kinderbuch mitgewirkt haben. Auch findet man mehrere Fotos von der kleinen, sechsjährigen Alice begonnen, bis hin zu der älteren und reifen Alice als Dame.

Meine Meinung
Ein fulminantes Entstehungsbuch, das in mir die Lust wecken konnte, diese Jugendbücher aus meinen Kindertagen nochmals lesen zu wollen. Ich wäre dazu wahnsinnig interessiert, da mich die vielen Archetypen an C. G. Jung denken lassen, der sich über das kollektive Unbewusste in seinen Büchern ausgelassen hat. Symbole, die mit unterschiedlichen Hintergründen aber bei jedem Menschen dieselbe Bedeutung haben, unabhängig von geografischer und kultureller Herkunft. Unsere nächtlichen Träume scheinen auf den ersten Blick ähnlich wie die Alice-Bände auch sinnlos zu wirken, weil sie häufig schräg, dadurch abstrus und wenig realitätskonform erscheinen, aber tiefenpsychologisch sind sie durchaus nicht als Unsinn zu betrachten, wenn man sich die Mühe macht, die Symbole zu entschlüsseln. Und so stelle ich mir auch die Bilder in den Alice - Büchern vor, die in Wirklichkeit alles andere als bedeutungslos sind. Ich 
werde mir diese Bücher demnach auf jeden Fall nachbestellen. 
Was wusste ich damals als Kind schon von Archetypen und deren tieferen Bedeutung? Aber ich erinnere mich, dass ich alles Schräge liebte und alles Brave und Angepasste nur langweilig und fad fand. Ich bewunderte damals die Alice, die so sein durfte, wie sie war, ohne jedes Mal abgestraft zu werden. Alice lebte absolut autonom; in ihrer Welt gab es keinen Erwachsenen, der sie in ihrem Wirken aufhalten und beschränken konnte. 
Außerdem hege ich ein großes Faible für die Kunst, die surrealistisch geformt ist.

Mein Fazit
Ein Muss für alle Fans dieses Genres. Sehr bereichernd und sehr aufschlussreich, was die Alice in doppelter Form betrifft. Es gibt darin noch viel Faktisches zu entnehmen, das ich zum Selberentdecken nicht erwähnt habe.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage des Verlages an mich, sonst wäre ich wohl gar nicht auf dieses Buch gestoßen. Ich habe es bisher in noch keiner Buchhandlung liegen gesehen.

Meine Bewertung 

Sachbuch

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck und Verständlichkeit
2 Punkte: Sehr gute Umsetzung der Thematik.
2 Punkte: Sehr 
gute aufklärerische und kritische Verarbeitung
2 Punkte: Logischer Aufbau, Struktur und Gliederung vorhanden.
2 Punkte: Anregung zur Vertiefung, zum weiteren Erforschen und zur Erkundung
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 Punkte plus zwei Zusatzpunkte wegen des Lesehighlights.
Daher 14 Punkte

Vielen herzlichen Dank an den wbgTheiss - Verlag für das Bereitstellen des Leseexemplars.

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Gelesene Bücher 2021: 16
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich höre:
Ralf Hungerland: Seelenreisende - Mediale Reisen in die Welt der Seele
Benedict Wells: Hard Land
Eva Marquez: DNA-Aktivierung durch die Sprache des Lichts
Ovid - Metamorphosen
Rachel Joyce: Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
Eva Marquez: Kontaktaufnahme mit der kosmischen Familie
Lewis Caroll: Alice im Wunderland
Lewis Caroll: Alice hinter den Spiegeln - Ein Hörspiel

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

Klopf an dein Herz, denn dort sitzt 
das Genie!
(Alfred de Musset)

Auch Expertenwissen ist subjektiv!
(Tom Andersen / Psychiater und Syst. Therapeut)

Montag, 11. Oktober 2021

Louise Brown / Was bleibt, wenn wir sterben - Erfahrungen einer Trauerrednerin (1)

Bildquelle: Pixabay
Dass der Tod uns dazu bringen kann, in der Hektik unseres 
Alltags innezuhalten und genauer hinzuschauen. Und wir erst dann die Einmaligkeit einer Person entdecken, die sich weniger in den großen Taten als in den kleinen Details zeigt. Die Details, die sich oft im Alltäglichen verbergen. (2021, 13)

Ein wunderbares, fulminantes Buch, das mich trotz meiner schon vorhandener Kenntnisse zum wieder Nachdenken anregen konnte. Ich habe das Buch schon vor einer Woche ausgelesen und freue mich jetzt auf den schriftlichen Part und hoffe aber, mich an wichtige Details erinnern zu können.

Am Ende der Besprechung gebe ich ein paar Fragen aus dem Interview aus der Diogenes  Talk - Zoomrunde wieder.  

Zwischendrin, je nach Thematik, habe ich vereinzelt eigene Beispiele angedockt, weil es aus meiner Sicht so schön gepasst hat.

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Um was geht es in diesem Buch?
Auf jeden Fall geht es nicht nur um den Tod an sich, sondern auch um das Leben. Und die Verarbeitung aus beidem, was bleibt, wenn wir sterben.

Die Autorin bringt jede Menge Beispiele aus ihrer Berufspraxis als Trauerrednerin, aber auch Beispiele als Betroffene, als sie ihre eigenen Eltern in kurzen Zeitabständen verabschieden musste.

Diesen Mix zwischen Professionalität und persönlicher Erfahrung ist Louise Brown in dieser außergewöhnlichen Thematik wunderbar gelungen, ohne sentimental zu wirken, ohne den roten Faden in einem Dschungel von belastender Traueremotionen verloren zu haben.

Und jede Menge symbolträchtige Weisheiten waren zu entlocken:

Freut euch an jedem Tag eures Lebens, die Jahre enteilen wie ein Sturmwind, wie eine aufgeblühte Rose, die morgens noch duftet und am Abend verblüht. Ich habe Brot bekommen, und man hat mir Rosen geschenkt - wie glücklich war ich, beides in meinen Händen zu halten. (35)

Vieles, in dem, was die Autorin geschrieben hat, habe ich mich selbst widerspiegeln können. Mir ist mein Leben in doppelter Weise bewusst, einmal, dass wir leben und einmal, dass es aber eines Tages zu Ende ist. Trotzdem versetzt es einen immer wieder in einen Schockzustand, wenn der Tod einer nahestehenden Mitseele ereilt. Und ich mich immer wieder dabei fragen muss, ob es nicht einen Weg gibt, sich besser darauf vorzubereiten?

Wie tief muss es denn erst Menschen treffen, die nicht so bewusst durchs Leben gehen? Ich habe keine bessere Vorbereitung auf diese Thematik finden können, als die Bewusstheit selbst, trotzdem ist es jedes Mal schmerzvoll.

Wie sollte ich mich darauf vorbereiten? Auch das verstand ich in diesem Moment: Selbst wenn in den Ärzteberichten steht, dass ein Mensch bald sterben wird, auch wenn wir es an einem Sterbebett spüren: Wir sind nie wirklich darauf vorbereitet, wenn der Moment dann tatsächlich da ist. (70)
Aber den Tod als einen zum Leben dazugehörigen Prozess zu betrachten, kann dennoch hilfreich sein.
Es ist schon paradox, dass wir in den Nachrichten täglich mit Geschichten von Leid und Verlust konfrontiert werden, in unserem Alltag aber nie wirklich dafür gewappnet zu sein scheinen, dass ein geliebter Mensch eines Tages sterben könnte. Es hat bei mir lange gedauert, bis ich das Leid weniger als eine Störung, sondern vielmehr als einen Teil des Lebens akzeptieren konnte (…). Bis ich gelernt habe, Verlust und Schmerz als das zu sehen, was sie sind: Bestandteil des Lebens. Bis ich das Schicksal besser annehmen konnte, anstatt mich dagegen aufzulehnen und im eigenen Leid zu versinken. (38)
Damit möchte die Autorin aber keineswegs ausdrücken, dass man das Leid und den Trauerschmerz ignorieren muss, ihn sozusagen verdrängen, was ja die übliche Form bei vielen Menschen der modernen Industrienationen ist.
Ich will das Leiden keinesfalls schönreden. Sprüche wie > Was mich nicht umbringt, macht mich stärker < mochte ich noch nie. Denn was uns nicht umbringt, bringt uns manchmal fast um. Und was uns fast umbringt, kann tiefe Risse und Narben hinterlassen. Narben, die nicht immer gut verheilen und uns für immer prägen. (Ebd)
Wie also geht man mit der Trauer angemessen um, damit man für andere nicht als Last empfunden wird?

Denn was ich diesbezüglich als Tabu in unserer Gesellschaft empfinde, ist genau dieser Satz:
Natürlich kann ich nachvollziehen, wie anstrengend es für Freunde, Verwandte oder Kolleginnen sein kann, einen emotional instabilen Menschen um sich herum zu haben. Ich selbst war so ein Mensch, der in den Monaten nach dem Tod der Eltern immer wieder die Tränen kamen. Dennoch finde ich Sätze wie: >> Jetzt ist es aber auch gut mit der Heulerei << respektlos: Ein Satz, den mir ein nahestehender Mensch drei Monate nach der Beerdigung meiner Eltern an den Kopf geworfen hat. Niemand sollte das Gefühl haben, versagt zu haben, weil er nicht so souverän sein kann, wie die Gesellschaft es erwartet. Niemand sollte sich dafür schämen, nicht mehr so sein zu können, wie er vor dem Verlust war. Oder weil sich das Zusammensein mit anderen in einem Raum so anfühlt, als stünde man auf einer Bühne vor Publikum und hätte den Text vergessen. (108)
Dies waren auch meine Erfahrungen mit dem Tod meines eigenen Vaters. Ich hätte Lust, am Ende dieser Besprechung über ein kurzes Beispiel zu schreiben, damit wir alle voneinander lernen können, achtsamer mit uns selbst und den anderen umzugehen. Menschen, die leichter verdrängen können als andere, gehen allerdings in erster Linie mit sich selbst nicht achtsam um, was sich sehr wahrscheinlich irgendwann mit negativen Auswirkungen zeigen wird. Und wer mit sich gut umgeht, kann auch gut mit anderen umgehen. Wer anderen eine wertfreie, hohe Toleranzgrenze entgegenzubringen weiß, der kann es auch sich selbst gegenüber.
Tatsächlich scheint heute die Frage, wie man mit seinem Verlust klarkommt, daran gemessen zu werden, wie wenige Emotionen man als Trauernder offenbart. Auch habe ich beobachtet, dass es eine Art unsichtbare Zeitmarke zu gehen scheint - ungefähr nach sechs Monaten -, nach der man von Kollegen und Nachbarn so behandelt wird, als wäre man die Gleiche, die man vor dem Verlust war. Tatsache ist aber, dass man nie mehr der Mensch sein wird, der man einmal war. Die Einsamkeit in einem bleibt und das weit über die ersten Monate hinaus. Und wer trauert, ist oft doppelt einsam, denn man verliert häufig nicht nur eine geliebte Person, sondern muss auch damit rechnen, dass Bekannte sich von einem abwenden, aus Furcht, einen mit falschen Kommentaren zu belasten. (109)

Manche wissen tatsächlich nicht, wie sie sich aufgrund ihrer Befangenheit in so einem Fall dem Trauernden gegenüber verhalten sollen. Die Autorin geht auch darauf ein, dass es nicht darum geht, jemanden mit großen Worten zu betüdeln. Nein, kleine und aufrichtige Worte tun es auch. Die eigene Befangenheit ruhig zeigen, dass man z. B. unsicher ist …

Es gibt eine Textstelle, die hat mir ganz besonders gefallen. Gedanken, die ich mir als Jugendliche häufig gemacht habe,  viele (philosophische) Gedanken über den Tod:

Poesie der Geschichte, die in der wundersamen Tatsache liegt, dass einst, auf diesem bekannten Flecken Erde, andere Männer und Frauen gingen, genauso wie wir heute, in ihren Gedanken vertieft und von ihren Leidenschaften beeinflusst, aber jetzt sind sie alle fort, eine Generation entschwindet nach der anderen - sowie auch wir bald entschwinden werden, wie Geister im Morgengrauen.  (115)

Der Umgang mit der Vergänglichkeit?
Viele Menschen verbringen sehr viel Zeit damit, sich mit Anti - Aging Produkten zu verjüngen, und verlieren dadurch ihre Endlichkeit aus dem Bewusstsein. Aber geht das? Kann man dem wirklich entfliehen, selbst wenn man es geschafft hat, sich mit chirurgischer oder konventioneller Kosmetik jünger zu machen?
Mir persönlich würde etwas fehlen. Die Erfahrung, die Gedanken und die Gefühle, was das Älterwerden ausmachen und zwar eines Tages bestmöglich wissend gehen zu können. Ich bin sicher, dass wir alle lernen könnten, philosophisch mit unserer Endlichkeit umzugehen, würden wir uns nicht von den Werbespots, die uns ewige Jugendlichkeit (Jugendwahn) suggerieren, in dem kein Älterwerden erlaubt ist, beeinflussen ließen. Die Autorin bietet hierbei schöne und sinnfindende Impulse, die Mut machen können, …

mit der Einsicht, dass das Älterwerden eine Chance sein kann: dass ich auch ohne die Rüstung meiner Jugendlichkeit liebenswert bin. Dass ich ohne meinen Schutzschild aus Disziplin einzigartig bin. Diese Erkenntnis war für mich einschneidend und tröstlich: dass mein Wert nicht von meinem Aussehen oder meiner Leistung abhängt, sondern etwas ist, das tief in mir steckt; etwas Eigenes, das ich nicht ständig optimieren muss. Ich bin ein Mensch mit Hoffnungen und Träumen und, wie alle anderen auch, mit Fehlern. Vielleicht kann ich lernen, großzügiger und mitfühlender mit mir selbst zu sein und damit auch mit meinen Mitmenschen. Denn wir alle kennen die Einsamkeit, die Verlust und Vergänglichkeit mit sich bringen. Die Geschichte, die von mir bleibt, ist noch nicht zu Ende geschrieben. (166)

Das fand ich eine so schöne Textstelle. Die Geschichte, die am Ende bleibt ... wird von einem anderen weitergeschrieben. Das drückt so viel Hoffnung und Weiterleben aus.

Auch im Radio, Fernsehen und in der Zeitung wende ich mich dem Tod zu. Eines Morgens hörte ich mir ein Interview mit einer britischen Paralympics - Sängerin im Radsport an, die mit einer seltenen und unheilbaren Krebsart lebt. Mit ihrer bescheidenen und fröhlichen Art erzählt sie, wie schön sie es finden würde, wenn man sich als gesunder Mensch nicht über ein einzelnes graues Haar aufregen würde, da man froh sein könne, überhaupt grau werden zu dürfen. (137)

Meine eigenen prägnanten Erfahrungen mit dem Tod
In meinem Leben gab es drei sehr einschneiende Ereignisse, von denen mich zwei davon ziemlich viel Zeit gekostet haben, diese zu überwinden. Das letzte begann vor vier Jahren, während ich eine andere, mein erstes Ereignis, zu überspielen versucht hatte und es zügig aus meinem Bewusstsein geworfen habe ....

Und als Jugendliche verhielt ich mich einmal recht großkotzig einem Schulkameraden gegenüber, als dieser seine Großmutter verloren hatte und er mir seine Trauer bekunden wollte. Und so tröstete ich ihn mit philosophischen Floskeln, dass die Oma doch nun ein langes Leben gehabt habe ...

Dass man eine Mitseele aber trotzdem vermisst, unabhängig vom Alter, das weiß ich mittlerweile und bedauere meine juvenile kaltschnäuzige Bemerkung immens, trotz der Jahre, die seit dem vergangen sind.

Diskrepanzen von außen
Ich selbst habe eine Form gefunden, mit der Trauer umzugehen, denn ich wollte mich niemals trauernd der Gesellschaft aufdrängen, die nichts davon wissen wollte, und machte viel mit mir alleine aus. Tränen liefen mir nur im stillen Kämmerlein. Einige Erfahrungen allerdings habe ich bei der Autorin im Buch wiederfinden können. Als mein eigener Vater gestorben ist, und ich mich auf der Arbeit nach zwei Monaten seines Todes krankmelden musste, meinte eine Kollegin, wieso mir denn der Tod noch so viel ausmachen würde? Es sei doch nun reichlich Zeit vergangen ...
 Ich weiß mich nicht mehr zu entsinnen, was ich darauf erwidert hatte. Das war ihre Interpretation, da ich den Grund meiner Erkrankung noch nicht einmal erwähnt hatte.

Zur selben Zeit fragte mich eine andere Bekannte nach dem Befinden meines Vaters, und ich antwortete, dass er nicht mehr leben würde. Sie war ganz erstaunt und inspizierte mich von oben bis unten und meinte, dass man mir die Trauer nicht ansehen würde. Was sollte ich nun darauf erwidern? Das war das andere Extrem.

Die Details sind wichtig und nicht nur nebensächlich
Was mir persönlich ganz wichtig ist, sind die Details bei Mensch und Tier, weil diese es sind, die uns an sie erinnern lassen, wenn sie den Planeten vor uns verlassen.

Manchmal ist das, was in einem Gespräch über einen Verstorbenen erzählt wird, wie aus einem Roman: Eine Figur oder Situation wird Umrissen, und den Rest darf man sich ausmalen. Oft fehlten die Details, weil sie von den Verstorbenen zu Lebzeiten nicht preisgegeben wurden. Weil man als Angehöriger nicht danach gefragt hat. Weil wir zu selten unseren Eltern, Großeltern oder Geschwistern die Frage stellen, die nach deren Tod in uns brennen. Warum hast du das getan? Was macht dich glücklich? Wie waren deine Lebensträume? Wovor hattest du Angst? (77)

Ich selbst beschränke das nicht nur auf Angehörige. Es ist bei jeder Mitseele schön, sich an Details zu erinnern.

Was hat mir besonders gefallen?
Ich finde leider die Textstelle nicht mehr. Dass es Bestattungen gibt, in denen zur Lärmdämpfung Stroh auf den Sarg geworfen wird, statt schwere Erdklumpen.

Was hat mir nicht gefallen?

In Corona  - Zeiten Abschied zu nehmen ist für die Familie noch schwerer, als es das ohnehin ist. Wenn ich sehe, wie die Familienmitglieder bei den Trauerfeiern mit dem vorgeschriebenen Abstand voneinander entfernt sitzen, erscheinen mir diese Meter wie Gräben. Und es bricht mir das Herz, wenn ich in einem Trauergespräch dem lieben Witwer gegenübersitze, der seine krebskranke Frau, die drei Wochen im Krankenhaus lag, aufgrund der Ansteckungsgefahr nicht mehr besuchen durfte. Kurz nachdem ihm dann doch noch ein Besuch ermöglicht wurde, starb sie. (249)
Hat mich sehr traurig und betroffen gestimmt, wie unmenschlich, empathielos und undifferenziert Gesetze verabschiedet werden.

Cover und Buchtitel 

Hat mir beides sehr gut gefallen. Das Diogenesbuch hat hierbei die Farbe von weiß zu grün gewechselt. Steht das Grün für die Hoffnung und für das Leben über die Natur und der Photosynthese? Und die Vögel, Tauben?, für Frieden und Freiheit?

Zum Schreibkonzept
Der Schreibstil ist prosaisch und sachlich zugleich, und gleichzeitig empathisch, menschlich und verständnisvoll.

Auf den 251 Seiten ist das Buch in drei Teilen gegliedert. Es beginnt mit einer Einleitung und endet mit einem Interview zwischen der Autorin Louise Brown und der Verlagsmitarbeiterin Kerstin Beaujean.  

Meine Meinung
Das ganze Buch trägt meine Meinung in sich. Sowohl von den Kenntnissen als auch in persönlicher Hinsicht.

Vorsoge: Den eigenen Tod vorbereiten 
Ich selbst habe schon für meinen eigenen Tod vorgesorgt, beim Bestatter meines Vertrauens. Ich möchte eines Tages leise und friedlich gehen, d. h. ohne große Zeremonien, ohne große Trauerfeier, ohne Todesanzeige. Verabschiedung nur im engsten Kreise. Ich wollte noch nie im Mittelpunkt stehen und möchte es danach auch nicht. Deshalb alles in Stille und Ruhe selbst unter den Anwesenden. Nur ruhige, besinnliche Musik darf laufen. Denn die Musik ist es, die über eine universale Sprache, über einen Code verfügt, der alles und jeden verbindet; den gesamten Kosmos; Zwischen Himmel und Erde; Tier, Pflanze, Mensch ... . Den Studien zufolge verstehen auch die Pflanzen musische Rhythmen. 

Eine Teilnehmerliste der Besucher*innen ist noch in Arbeit. Es wird auch kein Grab von mir geben. Meine Asche wird in der Schweiz verstreut, weil es dort legal ist. Hier in Deutschland leider nicht. Aber die Schweiz ist doch ein wunderschöner Ort mit ihren Alpen, den Weidetieren und den Seen. Bin doch sowieso ein Weltmensch. Und wer mich zu Lebzeiten nicht verstehen konnte oder wollte, der würde es an meinem Grab erst recht nicht können. Deshalb verzichte ich gerne auf leeres und affektiertes Gefasel, wie ich dies so häufig bei anderen vor mir erlebt habe, und ich so manchesmal dabei Gänsehaut bekam. Außerdem solidarisiere ich mich mit meinen tierischen FreundInnen, deren Körper nach dem Tod auch ohne Klimbim und ohne Tam-Tam entsorgt wird. 

Mein Fazit
Ein sehr lesenswertes Lebe- und Trauerbuch, das ich jedem ans Herz legen möchte. Nicht nur Betroffenen.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch die Anfrage vom Diogenes – Verlag.

Zu der Zoomrunde vom 5.10.21
Es war sehr eindrucksvoll, die Autorin persönlich kennenzulernen, nach dem man ihr kürzlich erschienenes Buch gelesen hat. Ich habe mir jede Menge Notizen gemacht, aber ich werde nicht alles hier reinsetzen.

Louise Brown von Haus aus Journalistin
Die Autorin ist studierte Journalistin, wobei ihr Jugendtraum Kinderärztin gewesen sei. Da sie aber kein Blut sehen könne, musste sie von diesem Berufswunsch absehen. Den Journalistenberuf ergriff sie, weil sie es liebte, gesellschaftliche und politische Dinge zu erfragen und zu erforschen.

Wie kam die Autorin zu dem Berufswechsel von einer Journalistin zu einer Trauerrednerin?
Den Einstieg fand sie als Quereinsteigerin. Sie reichte ihre Bewerbung bei einem Bestattungsunternehmen ein. In diesem Beruf sei es ihr möglich, das Handwerk einer Journalistin –  den Menschen etwas zurückgeben zu wollen – anwenden zu können.

Der Berufsalltag einer Trauerredner*in:  
Der Gesprächsinhalt würde meistens 30 Minuten über den Tod und zwei bis drei Stunden über das Leben umfassen .

Wie entstand dieses Buch?
Den Anstoß zu diesem bekam sie von ihren Eltern. Der Vorgang einer Trauer habe denselben Platz wie die Liebe im Herzen.
Sie wünscht sich, dass das Buch den Menschen Kraft und Mut macht, sich mit der Trauer zu befassen.

Ziel
Offen über dieses Thema sprechen, damit würde man auch anderen helfen, sich dafür zu öffnen.
Über den Tod und die Trauer zu sprechen betrachtet die Autorin nicht als ein Tabu, es würden lediglich Räume fehlen, sich darüber auszutauschen. Wer eigene Trauergeschichten erzählt, würde andere ermutigen, selbst über ihre Trauer zu erzählen. Der Wunsch, natürlich sein zu dürfen, so wie man ist.

Fazit / Der Wunsch der Autorin 

Ein Lebensbuch – Wenn meine Kinder meine Umarmungen dann noch spüren können, wenn ich nicht mehr da bin.

Meine Bewertung

Sachbuch

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck und Verständlichkeit im Prosastil
2 Punkte: Sehr gute Umsetzung der Thematik
2 Punkte: Sehr gute aufklärerische, empathische und differenzierte Verarbeitung
2 Punkte: Logischer Aufbau, Struktur und Gliederung vorhanden
2 Punkte: Anregung zur Vertiefung, zum weiteren Erforschen und zur Erkundung
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein

12 von 12 Punkte

Herzlichen Dank an den Diogenes Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar und für die tolle Zoom  - Talkrunde mit Louise Brown und der Moderation. 

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Gelesene Bücher 2021: 10
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Ich höre: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: In Swanns Welt
Rachel Joyce: Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus

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Partnerschaft zwischen
Wissenschaft und Intuition!

Lesen mit Herz und Verstand!
Um die Welt, Menschen und Tiere
besser zu verstehen.

Mitgefühl für alle Mitseelen / Mitgeschöpfe
Deine Probleme könnten meine Probleme sein,
und meine Probleme könnten Deine Probleme sein.
Mein Schmerz, Dein Schmerz
Dein Schmerz, mein Schmerz.
Wir sind alle fühlende Wesen.
(Den Tieren eine Stimme geben)

Klopf an dein Herz, denn dort sitzt 
das Genie!
(Alfred de Musset)

Auch Expertenwissen ist subjektiv!
(Tom Andersen / Psychiater und Syst. Therapeut)

 

Sonntag, 29. August 2021

Stefanie vor Schulte / Junge mit schwarzem Hahn (1)

Bildquelle: Pixabay

“Es wäre schön,
wenn die Fähigkeit, 
sich in andere hineinzuversetzen, 
nicht verloren ginge.” (2021, 229)

Ein wunderbares, märchenhaftes Buch mit deutlichen Bezügen zur realen Welt, die die Leser*in zwar fiktiv in eine andere Epoche zu führen scheint, für mich schon fast mittelalterlich; eine Handlung von Krieg, Armut, Gewalt, Aberglauben und jede Menge skurriler Figuren, doch wenn diese als Symbole betrachtet werden, konnte eine besondere Affinität zur Gegenwart hergestellt werden. Dadurch habe ich das Buch als zeitlos empfunden. 

Mich hat diese Geschichte durch die Tiefe der Sprache von der ersten bis zur letzten Seite dermaßen bewegt, dass ich diesen Martin ungewollt mit in meine nächtlichen Träume genommen habe und es sehr bedauere, mich beim Schreiben dieser Buchbesprechung zurücknehmen zu müssen, weil meine Erlebnisse wieder andere sind als die der Anderen. Die Figuren dringen, so lebendig wie sie sind, in meinen Verstand und in meine Seele ein, und ich kann nichts dagegen tun. Auf einmal sind sie in mir drin, die sich so schnell nicht mehr aus mir herausbewegen lassen, bis ich mich lange genug mit ihnen beschäftigt habe und sie von selbst wieder verschwinden.

Ich habe die Buchbesprechung in zwei Abschnitten geteilt, zwar nicht numerisch, nur mit einem Trennstrich markiert, weil ich im zweiten Abschnitt noch eine kleine Diskussion anschließen möchte. Fragen über Fragen, die sich mir gesamtgesellschaftlich durch das Buch noch aufgetan haben. 

Hier geht es zum Klappentext, zum Autorenporträt, zu den ersten Leseeindrücken und zu den Buchdaten.

Die Handlung
Die Protagonisten dieser Handlung sind der elfjährige Martin und sein schwarzer sprechender Hahn, der namenlos ist. Der Hahn wurde Martin in die Wiege gelegt und begleitet ihn als Freund, Helfer und vor allem als Führer auf seinem schwierigen Lebensweg.

In deinem Leben gibt es Unerklärliches, damit du zum Erklärlichen gelangst. (53)
Martin ist allein, mittellos, hat weder Eltern noch Geschwister. Doch als er noch Familie hatte, wurde er so schlecht behandelt, dass er der Meinung war, dass er ohne Familie besser dran wäre.

Es ist kein Kind der Liebe. Es ist aus Hunger und Kälte gemacht. (12)

Martin lebt in seinem Dorf, weg von seiner Familie, weg von seinem grausamen Vater, der alle seine Geschwister und die Mutter getötet hat. Die Welt wirkt hier recht düster, dunkel und trostlos. Die Menschen wenden sich von ihm ab, sind ihm gegenüber misstrauisch, weil Martin anders ist. Seine kluge und sanftmütige Art lässt die Menschen skeptisch werden. Dazu sind die meisten noch abergläubig und meiden Martin auch wegen seines schwarzen Hahns.

Den (Hahn) hat der Junge immer dabei. Auf der Schulter hocken. Oder im Schoss sitzen. Verborgen unter dem Hemd. Wenn das Vieh schläft, sieht es aus wie ein alter Mann, und alle im Dorf sagen, es wäre der Teufel. (6)

Eine besondere Beziehung sucht Martin in dem Maler, der neu in das Dorf kommt, um für die Kirche ein Altarbild anzufertigen. Martin schließt sich dem Maler an, als er schließlich weiterzieht, um nach neuen künstlerischen Aufträgen zu suchen. Im Gegensatz zu den anderen Menschen nimmt der Maler Martin und seinen tierischen Freund bei sich auf. Er bietet Martin dadurch einen gewissen Familien- und Heimersatz. Er scheint der einzige Mensch zu sein, der Martin versteht.

Wie sie einander Wärme geben, indem sie gackern und witzeln, sich das Maul zerreißen, sich miteinander wohlfühlen, wie Säue im Schlamm. Der Maler kennt diese Frauen, die schneller als ein Wiesel zu den Nachbarn rennen, um über andere zu lästern, sich lustig zu machen, über jemanden, der ihnen nicht passt, weil er allein schon durch seine Existenz, wie der Junge, ihre ganze schweinchenhafte Zufriedenheit in Frage stellt. Anmaßend sind sie. Sie lügen und schummeln. Eigentlich sind sie dumm, aber auf eine ungute Art pfiffig. Wie soll das Kind überleben, wie soll die Moral bestehen, zwischen diesen selbstgefälligen Männern und den giftigen Frauen? (60)
Doch auch der Maler hat seine Schwächen, vor allem mit dem Alkohol, und dadurch Martins Vertrauen auf die Probe stellt, bedingt auch als der Hunger des Malers die Existenz des Hahns gefährdet.

Und da weiß Martin, dass er den Maler eines Tages verlassen muss. Und es tut ihm weh. Der Maler schnarcht und schläft seinen Rausch aus, während Martin noch lange in die Nacht starrt und nun erkennt, dass erst die Liebe zu jemanden den Weg zu Schmerz und Angst ermöglicht. (88)

Auf der Reise mit dem Maler lernt Martin einen Reiter kennen, der Kinder stiehlt und sie an einen anderen mysteriösen Ort bringt. Martin möchte eines der Kinder retten. Brüskiert fällt der Maler ihm in den Rücken, und versucht es ihm auszureden. Allerdings lässt Martin sich von seinem Vorhaben nicht abbringen:

Ein gerettetes Leben ist alle Leben. (90)
Doch auch eine Liebesgeschichte spielt sich hier ab. Martin verliebt sich in ein schlagfertiges und selbstbewusstes hübsches Mädchen. Franzi, die so arm ist, dass sie trotz ihres jugendlichen Alters in einer Kneipe arbeiten muss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch Martin spürt auch die Verletzlichkeit dieses Mädchens, die in ihrer Schönheit begründet liegt.

Sie ist 14, zieht sich das Tuch um die Schultern. Der Wind weht ihr das Haar in die Augen. Sie ist sehr schön, und die Männer bekommen Lust, ihr wehzutun. (7)

Welche Szene hat mir nicht gefallen?
Das waren jede Menge Szenen. Die Figuren habe ich größtenteils als dermaßen skurril erlebt, dementsprechend skurril waren auch deren Lebensweisen und deren Handlungen. Zusammengefasst waren das Szenen verschiedenster Figuren, die dermaßen abgestumpft in ihrer düsteren Lebenswelt gelebt haben, ohne jemals den Versuch unternommen zu haben, etwas daran zu verändern. Düsternis ist hier nicht eingegrenzt in Armut und Mittellosigkeit. Auch die gut Betuchten stellten leidliche und bemitleidenswerte Existenzen dar.

Welche Szene hat mir besonders gut gefallen?
Ganz klar hat mir die Szene gefallen, in der Martin es gelungen ist, die Fürstin in ihrem Schloss auszutricksen, um die geraubten Kinder zu retten.

Welche Figur war für mich eine Sympathieträgerin?
Martin, der schwarze Hahn, Franzi und der Maler, weil sie die eigentlichen Licht- und Hoffnungsträger darstellen.

Welche Figur war mir antipathisch?
Das Trio Henning, Seidel und Sattler, die zu eingefahren und zu träge waren, aus ihrem Leben etwas zu machen. Sie lassen sich lieber vom Skatspielen im Gasthaus ablenken und mit einem Schlüssel in der Hosentasche begraben.

Dazu noch die Fürstin. Die nach außen hin angeblich alles für ein glückliches Leben besaß; Macht, Prestige, Vermögen und ironisch gesagt; geklaute Kinder. Sie lässt sich die Reinheit in ihren Hallen bringen, weil sie seelisch selbst dermaßen unrein ist, dass man dies schon fast riechen kann. (Das meine ich ernst. Ich konnte die Fürstin riechen), während sie alle äußeren Tugenden erfüllt, ist sie innerlich ein mickriger Mensch geblieben, der irgendwann in der Entwicklung stehen geblieben ist, weil er aus meiner Sicht alle Energien in die Besitztümer und in die Macht investiert hat. Nach außen hin gewachsen, nach innen hin geschrumpft.

Meine Identifikationsfigur
Behalte ich dieses Mal für mich.

Cover und Buchtitel 
Den Buchtitel und das Cover fand ich gut und künstlerisch gelungen und ansprechend.
Der Blumenkranz auf Martins Kopf und die Blumen im Hintergrund, sehe ich hier ein Herz?, drücken etwas Weiches und Liebliches aus. Die blauen Kleider? Für mich ist Blau eine spirituelle Farbe, die für Seelentiefe steht …

Allerdings habe ich auf dem Cover den schwarzen Hahn vermisst. Auf der Schulter des Jungen wäre er gut platziert, und so komplettiere ich das Bild für mich innerlich im Stillen. 

Korrektur: Dank meiner Bloggerkollegin Petra Gleibs weiß ich nun, weshalb der schwarze Hahn auf dem Cover fehlt. Das Cover entspricht dem Gemälde von Pablo Picasso Der Junge mit der Pfeife. Ich hatte es irgendwie versäumt,  mir alle Klappentexthinweise, auch die etwas versteckten, in Augenschein zu nehmen, denn der Verlag selbst hat darauf verwiesen. Weiteres ist in den letzten Kommentaren dieser Seite zu finden. 

Auch habe ich gesehen, dass ich vergessen habe, meine Tabelle mit der Bewertung einzupflegen. Das hole ich nach, wenn ich am Rechner sitze. Aber auf jeden Fall hätte das Cover wegen des fehlendes Hahns keineswegs Punkte verloren. Dennoch lasse ich den Hahn in meiner Vorstellung auf der Schulter des Jungen sitzen.  

Zum Schreibkonzept
Die Handlung spielt sich auf 227 Seiten ab und ist in 31 Kapiteln gesplittet. Im Anschluss ist ein dreiseitiges Interview mit der Autorin abgedruckt.
Der Schreibstil; die Sätze sind manchmal recht kurz gewählt, dafür aber wie Pfeilspitzen sehr treffsicher. 

Meine Meinung
Ich habe mir am Ende die symbolische Frage gestellt, welcher Menschentyp in der Lage wäre, eine Welt von dem Bösen zu retten? Antwort? Das sind Menschen mit reinem Herzen, zu denen auch Martin zählt. Dabei musste ich an die Trilogie Herr der Ringe denken. Auch hier war es der junge Frodo Beutlin, der als einziger dazu befähigt wurde, diesen gefährlichen Ring, der dunkle Mächte anzieht, zu zerstören, während sein alter Onkel Bilbo Beutlin ihn ewig lang im Geheimen bei sich trug. Die dunklen Mächte, die an diesem Ring energetisch behaftet waren, schreckten ihn nicht ab, nicht mal dann, als Mittelerde schließlich bedroht wird. Doch auch Frodo kämpfte am Ende noch mit den Mächten dieses Ringes, hatte Schwierigkeiten, ihn in die ewige Verdammnis des Höllenfeuers zu werfen.

Zurück zu Martin. Er hatte ein schweres Leben, seine Herkunft war von schweren Schicksalsschlägen geprägt. Dennoch ist Martin ein Mensch geblieben, der die Reinheit seiner Seele nicht verloren hat. Er ist sensibel, mitfühlend und setzt sich für andere Menschen ein, in dem er z. B. gestohlene Kinder rettet, um sie den Eltern zurückzubringen. Er hat nichts, wovon der Mensch glaubt besitzen zu müssen, um ein glückliches Leben führen zu können. In seiner ganz bescheidenen Art ist Martin dennoch ein junger Mensch, der sehr viel besaß.

Martin sind die Menschen nicht gleichgültig. Er besitzt jede Menge Beobachtungsgabe, Feinfühligkeit, Weisheit und inneres Wissen, um mithilfe seines tierischen Freundes die Probleme anzugehen, anstatt wegzuschauen, während die Erwachsenen größtenteils abgestumpft sind. Sie nehmen die Ungerechtigkeit und die Nöte in der Welt in nur einer recht destruktiven Form wahr, dichten ihren eigenen Reim darauf und bringen dadurch noch mehr Dunkelheit in die Dunkelheit.

Was hat mir neben der Rettung der Kinder ganz besonders gefallen?
Die Ausgänge zwischen Martin, dem Maler und dem Hahn. Ich hatte während des Lesens schon sehr um die Existenz des Hahnes gebangt ... Und bin so glücklich über die Ausgänge, dass sich meine Hypothesen hierbei nicht erfüllt haben.

Von den Erwachsenen war der Maler der Einzige, der sein Verhalten kritisch dem Jungen und dem Hahn gegenüber durch schwierige Momente hinterfragen konnte und daraus auch konstruktive Konsequenzen hat ziehen können. Das hat ihn mir richtig sympathisch werden lassen.

Die Botschaft: Wir sind unseren Schwächen nicht hilflos ausgeliefert
Dazu habe ich die Botschaft vernommen: Dass wir Menschen unseren Charakterschwächen nicht hilflos ausgeliefert sind. Man kann an ihnen arbeiten und diese in Stärke umwandeln, um zu mitfühlenden Wesen zu werden, wie uns dies der Maler vorgelebt hat.

An der Fürstin wurde für mich deutlich, wie armselig ihre Reichtümer, ihre Macht und ihr Prestige nur waren. Sie selbst war nicht mal glücklich, sie musste Kinder stehlen lassen, Kinder, die in der Seele rein sind und sie aus meiner Sicht dadurch die Aufgaben hatten, das Leben der Fürstin zu erhellen. Ihre weltlichen Werte sind nicht wirklich die Dinge, auf die es im Leben ankommt. Sie sind nur solange wichtig, solange man sich innerlich nicht verliert und im selben Zug Mensch bleibt. Aber geht das? Sich mit großem äußeren Prunk schmücken und gleichzeitig bescheiden bleiben?

Die Parallele zur Gegenwart?
Auch wenn der Mensch heute nicht mehr diese existenziellen Nöte erleiden muss, ist er deshalb kein besserer Mensch. Heute streiten Menschen z. B. um Bagatellen. Meine Parallele, die ich sehe, ist, um nochmals auf das Anfangszitat dieser Besprechung einzugehen: Die Unfähigkeit, sich durch die Empathielosigkeit in andere Menschen und (Kulturen) hineinzuversetzen, sind häufig Streitthemen, die ich in der Gesellschaft und in den Medien beobachte. Die eigene Kultur und die eigenen Schwächen werden z. B. zu wenig hinterfragt, während die einer fremden Person und deren Herkunftskultur umso kritischer angegangen werden. 

Kinder wegsperren in der aktuellen Corona-Politik
Kinder stehlen und wegsperren sehe ich als eine Parallele in unserer Zeit bezogen auf die Corona-Politik durch die Politiker, die im Namen der Pandemie absurde Gesetze verabschieden. 

Oder Menschen, die Macht haben und noch mehr Macht haben wollen und noch mehr und noch mehr, und man nur eines bei ihnen wachsen sieht, ist deren Narzissmus, und innerlich entwickeln sie eine Seele wie die der Fürstin in diesem Buch.

Oder der Gaukler: Was gaukelt er uns vor? Dabei denke ich an die vielen suchtmachenden Computerspiele, die die Menschen von realen Problemen ablenken. Süffisante Politiker, die versuchen, uns manipulative Sichtweisen aufzudrängen ... Schließlich verwandelt sich der Gaukler in einen Henker ... Sich eine falsche Welt vorgaukeln zu lassen, kann am Ende sogar zum Verhängnis werden.

Diese sollten nur ein paar Beispiele darstellen ... 

Überwindung des Aberglaubens?
Obwohl wir längst das Mittelalter überwunden haben, existiert unbewusst noch immer dieser Aberglaube schwarzen Tieren gegenüber. Lt. Tierschutz in Tierheimen und anderswo werden schwarze Tiere nur sehr schwer vermittelt. Da müssen wir nicht über den Aberglauben anderer Länder reden, nein, hier vor unserer Haustüre kämpfen schwarze Tiere ums Überleben.

Kurzer Bezug zur Online-Talkrunde /  Gedanken der Autorin, von denen ich nur ein paar mir hierfür herausschreiben werde
Ich erinnere mich an die Online-Talkrunde vom Donnerstagabend: Martin bleibt menschlich in unmenschlichen Zeiten. Er habe einen Hang dazu, mit Schicksalsschlägen positiv umzugehen.

Erwachsene würden ihre Haltung nicht mehr überdenken. Sie glauben, mit ihrer Entwicklung abgeschlossen zu haben und haben aufgehört, ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Mein Fazit
Mich hat das Buch total fasziniert. Schade, dass ich mich aus persönlichen Gründen zurücknehmen muss. Ich kann gar nicht verstehen, dass manche mit dem Schreibstil der Autorin nicht klargekommen sind oder erst später damit warm werden konnten, wenn man dies aus den Rezensionen anderer Internet-Seiten herausliest. Mich haben die Worte der Autorin von Anfang an dermaßen ergriffen, dass sie sofort wie ein Fluidum in meine Seele geflossen sind und im Stillen weitergewirkt haben.

Summa summarum
Martin bringt den Menschen die Würde zurück!!!!
Dadurch war das Buch für mich ein Licht- und Hoffnungsträger, da es Mut macht, trotz harter Schicksalsschläge ein guter Mensch zu bleiben bzw. zu werden, was aber nicht heißt, makellos durchs Leben ziehen zu müssen.

Daher. Tolles Buch. Tolle Sprache. Tolle Figuren. Tolle Botschaft.

Wie ist das Buch zu mir gekommen?
Durch den Verlag bin ich auf dieses Buch aufmerksam geworden.

Meine Bewertung

2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck, Fantasievoll
2 Punkte: Differenzierte, facettenreiche Charaktere 
2 Punkte: Authentizität der Geschichte;
2 Punkte: Erzähl-und Schreibstruktur, Gliederung: Ungebunden
2 Punkt: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
2 Punkte: Cover und Titel stimmen mit dem Inhalt überein.

12 von 12 Punkten plus 2 Highlight Punkte. / 14 Pkt.

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Telefongespräch mit Bücherfreundin Anne

Mit Anne konnte ich völlig ungeschminkt über die Erfahrungen, die mich mit diesem Buch verbunden hatten, reden. Wir haben uns über die darin beschriebene Problematik menschlicher und gesellschaftlicher Art ausgetauscht und Bezüge zur aktuellen Lage hergestellt. Dazu noch die tolle Sprache, indem ich ihr manches Zitat einfach nur vorlesen musste. Ein besonderes Erlebnis teilte ich ihr mit:

Eine wichtige und persönliche Erfahrung mit meinem eigenen Haustier durch dieses Buch / Ein Erlebnis, das einem Wunder gleicht
Ich hätte richtig Lust, mit der Autorin unter vier Augen über dieses Buch zu sprechen. Über dieses Wunder, das ich innerlich bezogen auf mein eigenes Tier über die Tierkommunikation habe erfahren können, über das ich nicht hier, sondern an anderer Stelle im Blog allerdings noch schreiben werde, wo es thematisch noch besser passt.

Menschliche Probleme nur in der literarischen Welt sichtbar?
Wir nehmen literarisch menschliche Probleme auf, im Buch sind sie uns wichtig, intellektualisieren darüber, decken uns noch mit Fremdwörtern ein, um sophisticated zu sein ... , während diese im realen Leben eher als zu persönlich, zu profan, zu trivial abgestempelt werden, sobald man versucht, auf diese aufmerksam zu machen, und dazu, wenn es noch Einzelschicksale sind. Wie entstehen diese Diskrepanzen vielerorts unter den Intellektuellen? Damit müssen nicht unbedingt die eigenen Probleme gemeint sein, sondern die, die man selbst in einer Gesellschaft sozial-politisch beobachten und ansprechen möchte, so stößt man häufig auf taube Ohren und wird mit Totschlagargumenten abgespeist.

Wir lesen meist unkritisch über sozial- und gesellschaftliche Probleme anderer Länder, und atmen unbewusst erleichtert auf, dass man nicht zu dieser zurückgebliebenen Personengruppe gehört, weil es in den eigenen Reihen fortschrittlich zuzugehen scheint. Und genau das ist nicht mein Stil des Lesens und des Umgangs. Diese stark wertenden Betrachtungsweisen maße ich mir nicht an, sie anderen aufzustülpen. Und dabei tun Menschen anderer Nationen auch nichts anderes, was wir hier tun. Uns in ein System einfügen und angepasst leben, um dazuzugehören.

Jeder Mensch kann nur mit dem klarkommen, was er bei seiner Geburt in die Wiege gelegt bekommen hat, um daraus das Bestmögliche zu machen. 

Erlaubt sind hierbei häufig nur die Themen, die aus der Presse vorgegeben sind, und diese Themen sind schon von den Journalist*innen sehr selektiert und gefiltert bearbeitet. Und das genau sind die Gründe, die mich langweilen und geistig träge stimmen lassen. Man hört überall nur noch dasselbe und über die gleichen Themen reden, und die Argumente sind auch immer die gleichen. Selbst in Bücherforen beobachtet man dieses Verhalten zunehmend. 

Einige andere, aus der nicht lesenden Bevölkerung, reden lieber in belehrender, sittenstrenger Form über die Schwächen ihrer Mitmenschen, über die anderer Länder, eigene sind schwer aushaltbar. Abweichende Gedanken und Meinungen werden verprellt. Die möchte niemand hören, und dabei merken viele nicht mal, wie abgedroschen ihre Worte klingen, weil sie nur nachgeplappert und aus ihren Mündern kommend eigentlich schon völlig verbraucht sind, ohne darüber mal selbst nachgedacht zu haben. Viele lassen denken, und benutzen Gedanken, Ideen anderer wie die der Politiker, der Zeitungen, die schnell produzierend in die Gesellschaft hineingeworfen wurden ... Abstand von der eigenen Sichtweise und den eigenen Maßstäben zu nehmen und versuchen, die Dinge aus der Sicht des anderen zu verstehen, das geht nicht immer mehr verloren, ich glaube, es ist schon verloren gegangen und hoffe, dass diese Fähigkeit zu uns zurückfinden wird. Das bedeutet, sich z. B. auch in einen Kriminellen oder in einen Attentäter hineinversetzen zu können, um zu verstehen, was diesen Menschen zu einem Kriminellen bzw. zu einem Attentäter gemacht hat.

Dankeschön
Ich danke der Autorin Stefanie vor Schulte für diese so wunderbare Lektüre und für das Interview und wünsche ihr von Herzen den Buchpreis für das beste Romandebüt. Die Daumen sind hierbei ganz feste gedrückt.

Ich danke dem Diogenes-Verlag für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar und für die Einladung zur tollen Online-Talk-Runde, die ich als sehr aufschlussreich erleben durfte. Gerne hätte ich mehr darüber geschrieben, aber jetzt ist bei mir die Luft raus. Doch die Talk-Runde hat mir geholfen, eigene Worte für diese Besprechung zu finden. Es war gut, damit gewartet-  und nicht gleich nach dem Lesen mit dem Schreiben losgelegt zu haben.  

Ich danke Anne-Marit Strandborg für das tolle Gespräch. 


Hierbei kann ich folgende Bücher empfehlen:
Im Grunde gut, von Rutger Bregmann (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im höheren Westen unserer Weltkarte leben gute Menschen ...).
Ian McEwan: Die Kakerlake (Mein Fazit hierzu: Nicht nur im unteren Westen und anderswo unserer Weltkarte laborieren manipulative und korrupte Politiker ...).

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Gelesene Bücher 2021: 08
Gelesene Bücher 2020: 24
Gelesene Bücher 2019: 29
Gelesene Bücher 2018: 60
Gelesene Bücher 2017: 60
Gelesene Bücher 2016: 72
Gelesene Bücher 2015: 72
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Auditive Bücher: Sten Nadolny /Weitlings Sommerfrische
Aljoscha Long u. a. / Mit dem Herzen siehst du mehr
Leo Tolstoi: Wo Liebe ist, da ist auch Gott
Marcel Proust: Der geimnisvolle Briefeschreiber
Amélie Nothomb: Klopf an dein Herz
Marcel Proust: In Swanns Welt

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