Lesen mit Tina
Alles, was man zum Glück braucht, ist Vertrauen und ein Fahrrad
Und hier geht es zu Tinas Buchbesprechung.
Alles, was man zum Glück braucht, ist Vertrauen und ein Fahrrad
Eine
Buchbesprechung zur o. g. Lektüre
Das Buch hat
mich auf den ersten Seiten ein wenig kritisch gestimmt. Ich dachte erst, da
sind schon wieder die Engländer, die Indien besetzen und sie von ihren Rechten
berauben. Die westliche Welt, die in anderen Ländern mit gehobenem Zeigefinger
zeigt, was an deren Kultur falsch ist. Warum meint die westliche Welt immer zu wissen, was richtig ist?
Aber um die
Engländer ging es in dem Buch nur peripher. Es gab einen Großvater, der von einem
Engländer angetan war, weil der den unterdrückten Indern, die aus der unteren
Kaste, die Hand gab. Und so haben sich meine Befürchtungen in Wohlgefallen
aufgelöst. In dem Buch werden viele Kulturen in Frage gestellt, auch die der
westlichen Welt …
Ich hatte
anfangs, als das Buch noch im Buchladen stand, noch eine ganz andere
Vorstellung zu dem Buch. Ich dachte, es hätte so etwas Ähnliches wie Der Mann, der aus dem Fenster stieg …,
und nicht nur ich hegte diesen Verdacht. Nein, man kann dieses Buch keinesfalls
mit dem anderen Buch vergleichen. Diesen jungen Inder, der mit dem Fahrrad nach
Schweden fuhr … den gab es tatsächlich.
Ein studierter Künstler, der mich doch ein wenig amüsierte, ohne ihn abwerten
zu wollen. Denn er hatte gar keine Ahnung, wo Europa liegt, und er fuhr einfach
drauf los, ohne zu wissen, auf welcher Seite der Landkarte sich Schweden
befand. Er hatte noch nie eine Landkarte gesehen. Er war es gewohnt, von einen
Tag auf den anderen zu leben, ohne große Vorbereitungen, wie wir das hier im
Westen kennen, dass wir uns immer dick mit Reiseführern und Landkarten
eindecken. Doch bevor es zu dieser Reise kam, erfährt man recht viel über die
Hintergründe dieses Landes und vieles über den jungen Inder namens Pikay und
dessen Familie. Pikay kommt eigentlich aus einer relativ weisen Familie, eine
Familie, in der die Frauen nicht diskriminiert wurden. Sein Vater lebte anders
als seine Eltern, denn Pikays Großmutter hatte ihre Schwiegertochter aus der
Familie verstoßen, als sie mit dem vierten Kind ein Mädchen gebar. Pikay, seine
Brüder und der Vater durften bleiben … Pikays Vater hielt die Trennung zu seiner
Frau und seiner kleinen Tochter allerdings nicht aus, und sah zu, dass er mit einfachen
Mitteln ein Haus für seine Familie baute, in dem er mit ihr leben wollte.
Schließlich verließ der Vater seine Herkunftsfamilie und tat sich mit seiner
eigenen Familie zusammen. Das fand ich sehr mutig. Der Vater zeigte Respekt vor
den Frauen. Er gab Pikay mit auf den Weg, er dürfe niemals eine Frau zum Weinen
bringen …
… Und wenn doch einmal Tränen über ihre Wangen laufen, dann lass nicht zu, dass diese Tränen auf den Boden fallen<<, fuhr sein Vater vor, was heißen sollte, dass er immer zugegen sein müsse, um seine Frau zu trösten. (2015, 183)
Pikays
Herkunft ist kastenlos. Er und seine Familie werden in der indischen
Gesellschaft, vor allem von den Brahmanen, als Dschungelmenschen bezeichnet,
die man nicht berühren dürfe, sonst würde man sich beschmutzen. Deshalb die
Bezeichnung die Unberührbaren.
Dschungelmenschen,
das sind die Ureinwohner Indiens gewesen, denen eigentlich das Land gehörte,
bis Fremde kamen, und ihnen das Land wegnahmen. Diese Fremde bezeichnet man
heute als Indo-Germanen.
Ziemlich
absurd. Als der kleine Pikay in die Schule kam, durfte er sich nicht in den
Klassenraum setzen, neben seinen Mitschülern. Nein, er musste auf dem Boden der
Terrasse sitzen. Völlig isoliert, wo Pikay sich auf seine Mitschüler gefreut
hatte, um neue Freundschaften zu schließen. Seine Schulkameraden stammten alle
aus der höheren Kaste. Es waren alles Brahmanenkinder.
Pikay
schafft es auf die höhere Schule. Seine Eltern sind stolz auf ihn, und sein
Vater machte schon Pläne, sah seinen Sohn schon auf der Universität. Allerdings
hatte Pikay Probleme mit den naturwissenschaftlichen Fächern. Aber er war
künstlerisch veranlagt, sodass die Lehrer ihn auf eine Künstlerschule verweisen.
Und so wird Pikay Maler. Doch leicht hat Pikay es nicht. Er bekommt zwar ein
Stipendium, aber das Geld reicht nicht. Das Stipendium wurde außerdem wegen der
Korruption für mehrere Monate ausgesetzt. Oftmals musste er unter der Brücke
schlafen …
Er konnte
seinen Unterhalt aber ein wenig mit seiner Kunst aufbessern. Er lebte von
seinen Bleistiftzeichnungen, Porträts und Miniaturen.
Und hier ist
noch Lotta, eine junge Schwedin, die eine Weltreise nach Indien macht. Sie fühlt
sich zu Asien hingezogen. Lotta ist auch eine recht kritische Persönlichkeit,
was ihre Herkunftskultur betrifft, vor allem, als sie ihre Religion mit der der
Inder vergleicht:
Die Christen scheinen vor allem daran interessiert, Grenzen zu anderen zu ziehen. Alle Menschen, ganz gleich, ob man gläubig war oder nicht, wurden vor derselben Lebensenergie getrieben. Das Herz, dachte sie, schlägt aus demselben Grund in allen Menschen, ganz gleich, was man glaubt. (47)
Pikay lernt
Lotta kennen, und beide fühlen sich zueinander hingezogen. Pika wusste, dass er
Lotta kennenlernen und sie heiraten würde. Das entnahm er aus seinem Lebenshoroskop.
Sie lernen
sich kennen und philosophieren über das Leben. Pikay fragt Lotta, wie der
Mensch glücklich werden könne, wenn die Menschen einander so rassistisch behandeln
würden?
Sie spürte, dass sie unmöglich eine Ideologie annehmen könnte, die von jemand anderem fertig ausgedacht war. Und sie konnte nicht mit ganzem Herzen sagen, dass sie Christin, Hindu oder Buddhistin war, konservativ, liberal oder sozialistisch.Ich nehme mir von allem etwas, dachte sie.Trotz der christlichen Mutter und ihrer eigenen Neugier auf Yoga und die asiatischen Lebensphilosophien stand sie den Religionen kritisch gegenüber. Sie war Humanistin. Das musste genügen. Alle Menschen hatten dieselbe Lebensenergie, ganz gleich, woher sie stammten und wie ihre Hautfarbe war. Wenn man so denkt, ist es unmöglich, rassistisch zu sein, meinte Lotta. (127f)
Durch Lotta
erfährt Pikay, dass es in Europa auch ein ähnliches Kastensystem gibt, das die
Menschen voneinander trennt. Dieses würde man nur anders nennen.
Pikay musste
lernen, mit dem Rassismus seines Landes fertigzuwerden, und geriet immer wieder
in eine suizidale Identitätskrise. Er meinte, als sogenanntes Dschungelkind
keinen Platz in der Gesellschaft zu haben. Ein höherer Lehrer konfrontierte ihn
mit seinem Lebenssinn. Er musste lernen, sich gegen den Rassismus und gegen
Vorurteile zu kämpfen. Nicht nur innerhalb seiner ethnischen Gruppe, sondern
auch in den verschiedenen hierarchisch geordneten Kastenwelten.
Pikay lernte, dass man Gott nicht nur benutzen konnte, um die Armen zu unterdrücken, sondern auch, um dem Hochmut ein Ende zu setzen und die Welt zu verändern. (144)
Der Rat
seiner Mutter:
Handle so, dass du hinterher für deine Taten geradestehen kannst und dich nicht dafür schämen musst. Und tue niemals einem Menschen etwas Böses. (157)
1975 bekommt Pikay die Erlaubnis seines älteren
Bruders und seines Vaters, Lotta zu heiraten. Lotta befand sich allerdings wieder
in Schweden, Pikay machte sich auf den Weg, ihr später mit dem Fahrrad
nachzureisen. Pikay lernt auf seine Weise Europa kennen, mit einem etwas naiven
Blick. Europa war in seiner Vorstellung ein paradiesischer Kontinent. Sauber
und geordnet … Er idealisierte auch die dort lebenden Menschen.
Er lernt in Österreich Silvia kennen, die ihn
vor seiner Naivität warnt:
>>Die Menschen hier sind nicht so gut wie in Asien. Die Europäer sind Individualisten und sich selbst am nächsten<<, mahnt sie und fügt hinzu, dass es guten und gutgläubigen Menschen in Europa übel ergehen könne. (273)
In Europa
wird Pikay mit Klischees konfrontiert, die er als Inder zu erfüllen hatte …
Mein Fazit zu dem Buch?
Ich bin über
den Autor sehr erstaunt, der in der Lage war, differenziert über Indien zu
schreiben. Frei von Klischees und Stereotypen ... Der Erlebnisroman ist recht authentisch geschrieben. Man hat als
Leserin das Gefühl bekommen, in Indien zu sein und an den Reisen teilzunehmen. Auch
die Wertschätzung zu vielen Ländern und deren Kulturen war zu spüren, dass
überall die Menschen Menschen, aber alle Menschen verschieden sind.
Zum Schluss
wurden auch die europäischen Kulturen hinterfragt. In dem Buch steckt so viel
Wissen und so viel Weisheit.
Der
Rassismus. Kein Land ist davon wirklich frei. Ich war froh, als auch der Autor
am Ende diese Ansicht vertrat. Kommen die Engländer nach Indien und mahnen den
dortigen Rassismus, ohne dass sie mit ihrem eigenen Rassismus fertigwerden.
Es gibt
wenige AutorInnen, die es schaffen, über andere Länder so zu schreiben, dass mein
Bedürfnis nach Differenziertheit erfüllt ist. Und ich selbst möchte auch nicht zu den Menschen gehören, die andere Menschen in Klischees und Stereotypen packen. Ein guter Autor ist frei davon und geht nicht mit fertigen Bildern an sein Werk.
2 Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe
Schreibweise)
2 Punkte: Differenzierte Charaktere 2 Punkte: Authentizität der Geschichte 2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt 2 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus |
Zehn von zehn Punkten.
Weitere Informationen zu dem Buch
Broschiert: 336 Seiten
Verlag: KiWi-Paperback (2. April 2015)
14,99 €
ISBN-10: 3462047477
Und hier geht es auf die Verlagsseite von Kiwi.
Telefongespräch mit Tina
Tina und ich
waren uns beide einig, dass es ein gutes Buch ist. Auch Tina war der Meinung,
dass der Autor sehr differenziert und mit viel Weisheit geschrieben hat. Ein bisschen
gelächelt haben wir über die Reiseform des Protagonisten. Das schon, aber er
wirkte trotz allem sehr sympathisch und auch sehr kompetent. Auf den letzten Seiten sind ein paar Fotos
von ihm, seiner Familie und von Lotta abgebildet.
Tina und ich
können beide das Buch weiterempfehlen. Vor allem an Leserinnen und Leser, die
gerne durch die Welt reisen.
____
Es ist ganz gleich, ob man reich oder arm ist,
Es ist ganz gleich, ob man reich oder arm ist,
alle
hungern nach etwas.
(Per J.
Andersson)
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