Lesen mit Anne
Ein Veriss …
Nun habe ich alle drei Bände zu Ende gelesen, und ich muss
sagen, dass ich ein wenig enttäuscht bin. Das Buch wimmelt geradezu von
Klischees, Stereotypen und jede Menge Vorurteilen. In Amerika und in Italien
sind es überwiegend negative Klischees, während Paris ausschließlich mit positiven Klischees
betrachtet wird.
Die junge Protagonistin Kati umschwärmt Paris dermaßen, wie
sie diese Stadt aus der Reisebeschreibung und aus belletristischen Büchern
erfahren hat. Von Italien und von Amerika waren die Beschreibungen eher negativ
besetzt, von denen Kati und ihre Freundin Eva stark beeinflusst waren, ohne wirklich die Hintergründe
eines Landes zu kennen.
Kati und Eva machen sich schon von vornherein
mit einer stark selektierten Wahrnehmung auf die Auslandseisen.
ItalienerInnen? Ein albernes, fröhliches Volk? Viele wissen
gar nicht, wie schwer es die Menschen dort unter der Führung einer ewig korrupten Regierung haben und wie hart das Leben dort in Wirklichkeit ist.
Außerdem versuche ich mir das Land Italien vorzustellen, in
dem es nur kleine Leute gibt, allesamt dunkelhäutig, fast schwarzhäutig, alle wild
gestikulierend, alle heißblütig, alle unehrlich, ItaliernerInnen, die sogar, mal ganz salopp gesagt, zu blöd sind, Spaghetti auf die Gabel zu schaufeln … Nein, so ein Italienbild ist
mir absolut fremd. Habe ich doch als Kind meine Sommerferien in Italien
zugebracht, und die Menschen waren alle sehr verschieden, sowohl vom Äußeren her, blond, braun, schwarzhaarig etc. als auch vom Auftreten her … Aber diese Klischees bekommt man einfach nicht aus
den Köpfen raus, weil sie zu sehr in den Medien verankert sind, auch in vielen
Büchern, in denen die Welt nur in Schwarz-Weiß-Facetten beschrieben wird. Und
die meisten Menschen favorisieren diese Klischees, es ist bequem, mit ihren naiven
Theorien ihr Weltbild verständlich zu machen.
In Amerika vergleicht Kati schwarze Kinder mit kleinen
Ferkelchen. In ihrer Heimat hielt sie die Ferkelchen für die süßesten Tiere,
bis sie schließlich in Amerika zum ersten Mal kleine schwarze Kinder trifft,
die sie für noch süßer hielt als die Ferkelchen. Hier hätte ich das Buch schon längst zugeklappt, wenn es eine andere Autorin geschrieben hätte …
Auch in Amerika sind nicht alle Menschen gleich. Nicht alle
sind Millionäre, nicht alle lassen sich liften, nicht alle sind Rassisten, nicht
alle sind kühl von ihrem Temperament her ... Und auch in Amerika gibt es sehr
viele Menschen, die hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Auch in Amerika ist die Obdachlosenquote
recht hoch …
Anfangs waren Anne und ich erfreut von dem Humor, den man
in den Büchern vorfand, aber schließlich verschwand unsere Begeisterung recht
schnell, weil sich der Humor hauptsächlich auf Kosten anderer Menschen belief.
Mein
Fazit zu dem Buch?
Kathi und Eva bereisen fremde Länder, wie es die meisten Menschen
tun. Sie haben im Kopf jede Menge Vorstellungen, was sie von dem fremden Land
erwarten. Viele vergleichen die fremden Länder mit den eigenen Maßstäben.
Dadurch können sie aber einem fremden Land niemals gerecht werden. Sie stehen
dem fremden eher kritisch und dem eigenen Land unkritisch gegenüber.
Damit wird die eigene Kultur verherrlicht, während die
andere Kultur, die sich erheblich von der eigenen Kultur unterscheidet,
abgewertet wird.
Es hat ein paar Tage gedauert, bis Anne und ich uns
gegenseitig eingestanden haben, von diesen Lindgren-Büchern enttäuscht zu sein.
Ich hätte das Buch längst abgebrochen, wären diese drei
Bände nicht von meiner Lieblingsautorin Astrid Lindgren geschrieben worden. In
Zukunft halte ich mich nur noch an ihre Kinderbücher. Und diese vorliegenden
Reisebände würde ich keinem Jugendlichen zukommen lassen. Können wir, Anne und
ich, nicht empfehlen.
Ich wünsche jedem Menschen, der gerne reist, sich frei zu
machen von den vielen Vorstellungen, die er im Kopf mit sich trägt. Und selbst
wenn die Erfahrungen in einem Land schlecht ausfallen sollten, sollte man nicht
alle Menschen dieses Landes für diese unschönen Erfahrungen verantwortlich
machen. In jedem Land leben verschiedene Menschen, in jedem Land gibt es schöne
Orte und weniger schöne Orte. Liegt an jedem selbst, diese differenziert zu
entdecken. Wem das nicht gelingt, der sollte am besten zu Hause bleiben. In der Psychologie sagt man, man trifft die Menschen, die zum eigenen Weltbild passen. Wenn jemand denkt, dass alle Menschen schlecht sind, dann trifft dieser auch nur Menschen, die schlecht sind, damit sein Welt- und Menschenbild jederzeit bestätigt wird. 😂
Besäße ich eine schriftstellerische Begabung, dann würde
ich mit der Feder ein buntes Italien porträtieren, so wie ich dieses Land als Kind erlebt
habe. Da ich aber diese Begabung nicht habe, möchte ich wenigstens auf diese
Missstände in den Büchern als kritische Leserin aufmerksam machen.
2
Punkte: Sprachlicher Ausdruck (Anspruchsvoll, keine saloppe Schreibweise)
0 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus
0 Punkte: Differenzierte Charaktere
2 Punkte: Authentizität der Geschichte
2 Punkte: Fantasievoll, ohne dass es kitschig oder zu sentimental wirkt
0 Punkte: Frei von Stereotypen, Vorurteilen, Klischees und Rassismus