Montag, 15. Dezember 2014

Isabel Allende / Paula (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich habe recht lange für das Buch gebraucht. Just eine Woche habe ich daran gelesen. Obwohl Allende recht flüssig schreibt, konnte ich das Werk, das mit autobiografischem Material und Lebensbericht/Selbsterfahrung ausgefüllt ist, nur im Schneckentempo lesen. Viele schwer verdauliche und gehaltvolle Themen erwarten den LeserInnen in diesem Buch wie z. B. die unheilbare und lebensbedrohliche Erkrankung der Tochter Paula. Allende schreibt auch viel über die Politik Chiles aus der Zeit Pinochet und Salvador Allende, der Großvater von ihr. Dazu erfährt man auch vieles zu ihrem ganz persönlichen Leben, s. unten. Das Buch ist sehr lesenswert. Allende hatte wohl, mittlerweile 72 Jahre alt, ein sehr, sehr bewegtes Leben.

Wer sich näher mit ihren Büchern befassen möchte, dem empfehle ich, mit den autobiografischen Bänden, s. unten, zu beginnen:

  1. Mein Leben, meine Geister
  2. Paula
  3. Das Siegel der Tage  
Folgende Romane würde ich im Anschluss zu diesen oberen Büchern lesen, empfohlen von Isabel Allende selbst:

  1. Das Geisterhaus
  2. Liebe und Schatten
  3. Eva Luna
Ich habe erst von den oberen Büchern erfahren, dass diese drei Romane zusammen passen. Da ich das Wissen noch nicht hatte, so habe ich querbeet gelesen.
Die drei Romane beziehen sich viel auf das Leben der Autorin. Es gibt nichts, worüber die Autorin schreibt, was sie nicht selbst auch erlebt hat.

Weiter zu dem Buch Paula. Doch zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein.
»Hör mir zu, Paula, ich werde dir eine Geschichte erzählen, damit du, wenn du erwachst, nicht gar so verloren bist.« Das Unfassbare geschah im Dezember 1991, als lsabel Allendes Tochter Paula plötzlich schwer erkrankte und kurz darauf ins Koma fiel. Eine heimtückische Stoffwechselkrankheit hatte die lebensfrohe junge Frau jäh niedergeworfen, im Herbst 1992 starb sie. Das Schicksal ihrer Tochter wurde für lsabel Allende zur schwersten Prüfung ihres Lebens. Um die Hoffnung nicht zu verlieren, schrieb sie, der Tochter zur Erinnerung und sich selbst zur Tröstung, »das Buch ihres Lebens – in doppelter Hinsicht« (Bayerischer Rundfunk), ihr persönlichstes und intimstes Buch, »eine Hymne auf das Leben« (Stern). 
Es ist tatsächlich ein sehr persönliches und intimes Buch, in dem sie viel über ihre Liebesbeziehungen und ihr Sexualleben schreibt. Diese Themen gehören wie selbstverständlich dazu und werden von ihr nicht ausgeklammert. Ganz schön mutig, der Welt so viel von sich preiszugeben. Aber warum nicht? Die Themen, die Allende hierin behandelt, könnten auf jeden Menschen zutreffen. Es sind sehr menschliche Themen, über die man sich nicht zu genieren braucht.

Allende hat nur durch das Schreiben ihr schweres, schicksalhaftes Leben überwinden können. Eine Tochter zu verlieren, dies erfordert schon sehr viel Lebenskraft:
Dieses Buch rettete mir das Leben. Das Schreiben ist eine tiefgehende Innenschau, es ist eine Reise bis in die größten Winkel des Bewusstseins, es ist eine gemächliche Meditation. Ich schreibe auf Geratewohl in der Stille, und unterwegs entdecke ich Teilchen der Wahrheit, kleine Kristalle, die in die Mulde einer Hand passen und meinen Weg durch diese Welt rechtfertigen. 
Tochter Paula leidet an einer Stoffwechselerkrankung, die in der Medizin als Porphyrie bezeichnet wird. Paula erwacht nicht mehr, liegt seit dem Zusammenbruch im Koma und wird künstlich ernährt. Eine schwere Prüfung für die ganze Familie. Paula, 28 Jahre alt, war mit Ernesto verheiratet und sie lebten beide in Spanien, wo die Krankheit über viele Monate erstmals behandelt wird, bis die Mutter schließlich, auch gegen den Willen der Ärzte, Paula mit dem Flugzeug in die Heimat verfrachtet. 

Die Mutter sitzt am Krankenbett und erzählt ihrer Tochter von ihrem Leben, ein Gemisch aus allen Lebensphasen. Sie erzählt ihr aus ihrer Kindheit, dass sie keinen Vater hatte und der Onkel Pablo in die Familie Allende hineingeheiratet hat. Onkel Pablo verhielt sich den Kindern gegenüber wie ein richtiger Vater. Durch ihn begannen für Isabel die ersten Erlebnisse mit den Büchern:
Im Schlafzimmer meines Onkels standen Regale voller Bücher vom Boden bis zur Decke und in der Mitte eine Einsiedlerlagerstatt, auf der er den größten Teil der Nacht lesend verbrachte. Er hatte mich überzeugt, dass im Dunkeln die Gestalten aus den Büchern die Seiten verlassen und durch das Haus wandern; ich versteckte den Kopf unter dem Bettzeug aus Angst vor dem Teufel in den Spiegeln und vor dieser Menge Gestalten, die durch die Zimmer wandelten und ihre Abenteuer und Leidenschaften neu belebten: Piraten, Kurtisanen, Banditen, Hexen und Jungfrauen. Um halb neun musste ich das Licht löschen und einschlafen, aber Onkel Pablo schenkte mir eine Taschenlampe, um unter der Bettdecke zu lesen; seitdem habe ich eine abartige Neigung zu heimlicher Lektüre.
Isabel ist auch heute im Alter von über siebzig Jahren noch reichlich mit Fantasie ausgestattet. Das ist auch der Grund, weshalb mich ihre Bücher so sehr anziehen.
So wie ich die schönsten Bücher meiner Kinderzeit, versteckt im Keller von Großvaters Haus, verschlungen hatte, so las ich heimlich Tausendundeine Nacht mitten in der Pubertät, als Körper und Geist zu den Geheimnissen des Geschlechts erwachten. Dort im Schrank verlor ich mich in zauberhaften Märchen von Prinzen, die sich auf fliegenden Teppichen fortbewegten, von Geistern, die in Öllampen eingeschlossen waren, von sympathischen Räubern, die sich als alte Frauen verkleidet in den Harem des Sultans einschließen, um unermüdlich mit den Frauen ihre Spiele zu treiben, den verbotenen Frauen mit den Haaren schwarz wie die Nacht, den ausladenden Hüften und den Brüsten wie Äpfel, nach Moschus duftend und sanft und immer zur Lust bereit. Auf diese Seiten hatten die Liebe, das Leben und der Tod spielerischen Charakter; die Beschreibungen von Mahlzeiten, Landschaften, Palästen, Märkten, Gerüchten, Geschmäckern und Stoffen waren von solchem Reichtum, dass für mich die Welt niemals wieder dieselbe wurde. 
Isabel war als junge Frau journalistisch tätig und war bei einer Zeitung angestellt, obwohl sie über kein politikwissenschaftliches Studium verfügte. Sie hatte Glück, aus ihrer Sicht würde sie heute ohne Studium so eine Stelle niemals bekommen. Isabel zeigte Probleme, Berichte objektiv zu schreiben, vor allem in den Anfangsjahren. Sie hielt Interviews, doch nicht jeder stellte sich ihr, es kam auch vor, dass es Leute gab, die Angst vor ihren Interviews hatten. Erste Erfahrungen mit einem Dichter:

Der Dichter:
>>Mit mir ein Interview? Niemals würde ich zulassen, dass man mich einer solchen Folter unterwirft!<< sagte er lachend. >>Sie müssen die schlechteste Journalistin dieses Landes sein. Sie sind außerstande, objektiv zu sein, stellen sich bei allem in den Mittelpunkt, und ich vermute, Sie lügen ziemlich viel, und wenn Sie keine Neuigkeit haben, erfinden Sie eine. Warum setzen Sie sich nicht lieber hin und schreiben Romane? In der Literatur sind diese Mängel echte Tugenden.<<. 
Wie wahr, wie wahr, wobei ich diese Theorie eher relativieren würde. Auch Romane sind nicht immer nur rein fiktiv. Und jede Fiktion trägt außerdem psychoanalytisch gesehen den Wahrheitsgehalt im Bereich des Unbewussten … Doch Schriftstellerin wurde Isabel erst viele Jahre später. Ihr Debütroman Das Geisterhaus brachte sie mit Anfang vierzig heraus. Relativ spät für eine Schriftstellerin. Entdeckt wurde sie in Europa durch eine spanische Literaturagentin, während die Verlage in ihrem Lande das Manuskript gar nicht mal angesehen hätten, so ihren Vermutungen zufolge.

Ihre Erfahrungen mit dem Schreiben ihrer Bücher, bezogen auf die Techniken, nahmen auch nicht gerade übliche Formen an, eher recht außergewöhnliche und stark mit ihrer Seele und meditativ arbeitend verbunden:
Durch eine geheime Zeremonie mache ich Geist und Seele bereit, den ersten Satz in Trance zu empfangen, dadurch öffnet sich eine Tür einen Spaltbreit, und ich kann hindurchspähen und die verschwommenen Umrisse der Geschichte erblicken, die auf mich wartet. In den folgenden Monaten werde ich die Schwelle überschreiten, um diese Räume zu erkunden, und nach und nach werden, wenn ich Glück habe, die Gestalten Leben gewinnen, werden immer deutlicher und wirklicher werden, und die Geschichte wird sich mir offenbaren. Ich weiß nicht, wie ich schreibe und weshalb ich schreibe, meine Bücher werden nicht im Kopf geboren, sie werden im Bauch ausgetragen, es sind launische Geschöpfe, die ihr Eigenleben haben und immer bereit sind, mich zu verraten. Nicht ich entscheide über das Thema, das Thema wählt mich aus, meine Arbeit besteht lediglich darin, ihm genügend Zeit, Einsamkeit und Disziplin zu widmen, damit es sich von allein schreibt. 
Isabel brachte nicht nur zwei Kinder zur Welt, nein, auch ihre Bücher trug sie wie echte Geburten aus, natürlich nur symbolisch gesehen.

Nun habe ich viel über ihr Scheibtalent geschrieben und Paula ausgelassen.

Natürlich habe ich auch Gedanken zu Isabel im Umgang zu ihrer sterbenden Tochter. Da ich nicht zu viel vorwegnehmen möchte, hierin nur ein paar Sätze.

Isabel und ihr Schwiegersohn Ernesto litten enorm unter der tödlichen Erkrankung Paulas. Paula lag über viele, viele Monate im Koma. Sie konnte nicht sterben, weil die Angehörigen sie nicht loslassen konnten. Mit viel Liebe und Pflege konnte der Körper am Leben erhalten bleiben, während das Gehirn nicht mehr reagierte ... Mir fallen dabei die von Elisabeth Kübler-Ross` entworfenen fünf Trauerphasen ein, angelehnt an die fünf Sterbephasen, auf die ich aber nicht näher eingehen möchte, um den Rahmen nicht zu sprengen. Die Trauerphasen helfen, die Angehörigen besser zu verstehen. Wer sich dafür interessiert, so verweise ich auf die Bücher von Kübler-Ross oder auf das Internet …
In der Auseinandersetzung mit dem Leben und Tod Paulas fanden hierbei auch viele transzendente Formen im Bereich der Spiritualität statt, in denen die Seelen miteinander kommuniziert und zu Lösungen gefunden haben. Das war ein schwerer Lernprozess für die Angehörigen, die viel Achtung verdienen.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.
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Das Einzige, was man besitzt, ist die Liebe, die man gibt.
(Isabel Allende)

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