Montag, 23. September 2019

Meine literarische Reise nach Stockholm (1)

Meine literarische Reise nach Schweden von Dienstag, den 17.09.2019 bis Sonntag, den 22.09.2019   

Ich werde jeden Tag einen Bericht schreiben. Seit gestern Abend bin ich von der Reise zurück, und bin innerlich noch ganz in Stockholm. Es war eine wunderschöne Reise. Das wollte ich schon mal ganz am Anfang benennen. Ich bin gestern Abend mit Gedanken zu Stockholm ins Bett gegangen, und mit Gedanken zu Stockholm wieder aufgestanden.

Ein zweites Mal in Folge habe ich aus meiner Reise eine literarische Reise gemacht. Nichts interessiert mich mehr, als auf den Spuren meiner Lieblingsautor*innen zu wandeln. Es war Astrid Lindgren, die mich hierher nach Stockholm gelockt hat, auch wenn für mich die Türe zu dem Museum doch geschlossen geblieben ist. Doch dazu später mehr.

Für die ganz Ungeduldigen, die noch gar nichts von meinen Reiseeindrücken gelesen und gesehen haben, hier schon mal ein Video.





Mein erster Tag, 17.09.2019
Wie hat alles begonnen? Ich werde bei der Hinreise alle Details erwähnen, weil es so schön ist, gedanklich diesen ganzen Weg step by step nochmals zurückzuverfolgen. Es ist, als würde ich diese Reise ein zweites Mal angehen. Ich bin nämlich von meinem Naturell her ein Menschentyp, der alles aus der Tiefe betrachten muss.

Ich bin recht früh aufgestanden, obwohl mein Flug erst um 12:05 Uhr starten sollte. Aber  ich war sehr aufgeregt. Ich kalkulierte drei Stunden früher am Flughafen  sein zu wollen. Also fuhr ich schon recht früh los. Ich nahm den Airliner um 08:04 Uhr vom Luisenplatz. Ich bin lange nicht mehr mit dem Airliner gefahren, und so fragte ich mich, ob der Bus auch wirklich pünktlich kommt. In Darmstadt und Umgebung bewegen sich die öffentlichen Verkehrsmittel lange nicht mehr so pünktlich, wie sie einmal waren. Als ich die vielen Reisende an der Haltestelle gesehen habe, war ich beruhigt. Und der Bus kam auch sehr pünktlich.
Am Flughafen ohne Stau oder sonstige Behinderungen angekommen, blieb ich erst mal vor der großen Leinwand stehen, und beguckte mir alle Flüge. Ich bekam Fernweh und war froh, mich unter den Fluggästen mischen zu dürfen. 




Ich begab mich nun schon auf den Weg, mein Gate aufzusuchen. Europäische Flüge starten immer vom Terminal 1. Diesmal flog ich nicht mit der Lufthansa, sondern mit der SAS, Skandinavian Airline System. Die schwedische Airline hat sich mit Dänemark und Norwegen zusammengetan, und eine skandinavische Airline gegründet mit dem Hauptsitz in Schweden.




Nun war ich an meinem Gate gut angekommen und war froh, den Flug auf dem Monitor abgedruckt zu sehen. Kurze Zeit darauf wurde eine Ansage gemacht, dass der Flieger voll sein wird, und jeder Passagier kein Handgepäck mitnehmen darf, das mehr als acht Kilo wiegen würde. Die Fluggesellschaft scheint auch Ausnahmen zu machen. Darauf würde ich nichts geben, wäre mir zu riskant. Aber, ich wusste gar nicht so genau, wie voll mein Rucksack war. Meinen Koffer von acht Kilo hatte ich am Schalter aufgegeben. Passagiergäste, die es betroffen hatte, hätten ihr Handgepäck am Gate-Schalter abgeben müssen. Bin dem aber nicht weiter nachgegangen, war für mich nur wichtig zu wissen, sich doch an die Bestimmungen zu halten.
Als wir alle im Flugzeug saßen, freute ich mich auf den Flug. Nun konnte nichts mehr dazwischenkommen. Meine ganze Aufregung war verflogen. Ich hatte auf den Weg hierhin keinen Stress, weil ich für alles genug Zeit eingeplant hatte. Ich hatte schon im Reisebüro eingecheckt, sodass ich mir den Weg dahin habe sparen können.

Ich hatte mir ein Fensterplatz ausgewählt. Aber was sieht man schon? Wolken, nichts als Wolken, die wie Zuckerwatten aussehen und immer wieder fällt mir dabei das Lied von Reinhard Mai Über den Wolken muss die Freiheit grenzenlos sein, ein. Wo soll diese Freiheit nur sein?, fragte ich mich.

1,5 Stunden später lief alles reibungslos. Habe superschnell meinen Koffer von dem Rollband bekommen und so machte ich mich auf. Ich befand mich im Terminal 5, Stockholm Arlanda, und ging Richtung Zug, um in die Stadt zu kommen. Ich kaufte mir ein Ticket, und verließ anschließend das Terminal. Alle halbe Stunde würde ein Zug, ein Arlanda Express, kommen, was ich sehr praktisch fand, um nach Stockholm zu gelangen.

Nach der ca. zwanzigminütigen Fahrt mit dem Zug stieg ich in Stockholm an der Zentralstation aus. Es war ca.15:00 Uhr, und ich beschloss, mithilfe von Google Maps ins Hotel zu laufen. Ich hatte genug gesessen und wollte nun meine ersten Eindrücke dieser Stadt im Laufen erkunden. Mir fiel sofort der süßliche Duft dieser Stadt auf. Überall roch es nach Apfeltaschen. Ich konnte den Geruch nicht ausmachen, was es genau war. Später war mir klar, woher dieser wohlwollende süßliche Geruch herkam. Das waren keine Apfeltaschen, sondern Zimtschnecken. Überall gab es Zimtschnecken zu kaufen. Überall roch es danach, die sich als ein Nationalgebäck herausgestellt hatten. Ich werde in meiner fünften Beschreibung ein Foto dazu reinstellen, da ich erst am fünften Tag mir eine Zimtstechnecke gegönnt hatte.

Mein Elite Hotel Arcadia, diesmal war es ein Dreisternehotel, war von der Haltestelle 45 Fußminuten entfernt. Er war schön, dieser Spaziergang, weil mir die ganze Gegend neu war, und ich vieles entdecken wollte. Es ergaben sich mir zahlreiche interessante Eindrücke. Mein Google Navi hatte mich etwas im Kreis geführt, den ich schließlich unterbrechen musste. Gut, dass ich mir das Hotel zu Hause im Internet angeschaut hatte, als ich es schließlich aus der Ferne schon erkennen konnte. Ich lief auf dem Gebäude zu, bis ich die Schrift des Hotels vernahm. Ich war richtig. Endlich war ich angekommen. An der Rezeption wurden nochmals die Personalien vernommen, danach erhielt ich meine Zimmernummer und die Zimmerkarte. Ich wurde im ersten Stock, Zimmer 115, einquartiert. Das Zimmer war sehr bescheiden eingerichtet, das Badezimmer etwas ältlich und sehr spartanisch ausgestattet. Aber super sauber. 










Während meines Gangs ins Hotel beobachtete ich wunderschöne Häuser, die sich mir ins Blickfeld rückten. Häufig auch mit rundem Dach. Ich liebe alles, was rund ist. 

Nachdem ich mich im Hotel ein wenig ausgeruht hatte, verließ ich das Zimmer, und wollte ein paar Alltäglichkeiten überprüfen. Ich habe mir in Darmstadt extra eine Kreditkarte anfertigen lassen, weil sowohl meine Bank als auch mein Reiseführer darauf hingewiesen hätten, dass die Schweden kein Bargeld mehr im Umlauf hätten. Anderseits las ich aber auch, dass erst bis 2030 das Bargeld abgeschafft werden soll. Und außerdem gab es in Stockholm jede Menge Wechselstuben, und auch Bettler habe ich gesehen, die am Fußende einen Becher stehen hatten. 

Ich testete den ersten Geldautomaten aus, und ich konnte neben meiner Kreditkarte auch mit meiner Giro Card Geld abheben. Gewöhnungsbedürftig ist, dass die Schweden im Alltag mit großen Zahlen hantieren. Alles kostet über hundert Schwedische Kronen. Lediglich Süßigkeiten kosten mindestens 25 Kronen. Aber was stimmt, ist, dass die Meisten wirklich mit Karte zahlen. Auch Minibeträge. 

Also Leute, sich nicht kirre machen lassen, wenn ihr mit Bargeld nach Schweden verreisen wollt, dann könnt ihr das beruhigt tun. Ein Mix zwischen Bargeld und Plastikkarte finde ich immer gut als Bezahlungsinstrument. Jedes Geschäft hatte hier eine Kasse mit Bargeld in der Schublade. Warum wird so viel Schrott an Informationen verbreitet? Ich finde Bargeld schon wichtig, weil man besser kontrollieren kann, was man ausgegeben hat. Schweden ist wahnsinnig teuer. Eine Waffel kostet zum Beispiel umgerechnet sieben Euro. 

Am Abend suchte ich ein Lokal auf, um ein Abendessen einzunehmen. Ich fand kein schwedisches Lokal, und bin bei einem Italiener eingekehrt, in dem ich eine vegetarische Pizza gegessen habe. Nichts Besonderes, vielleicht war ich auch zu müde, etwas Besseres zu finden. Und von Goggle Map hatte ich erst mal genug.

So, dies war nun mein erster Tag in Stockholm. Ich habe die Gegend ein wenig erkundet, die sich im Hotelviertel für mich aufgetan hat. Kein sooo schönes Viertel aber auch nicht unschön. Am nächsten Tag wollte ich dann mit meinen Exkursionen á la Plan losziehen, und nutzte die Abendstunden, mich ein wenig darauf noch besser vorzubereiten.

Morgenabend folgt der Reisebericht des zweiten Tages. 

Sonntag, 15. September 2019

Marcel Proust und Leonardo da Vinci

Weiter geht es mit Proust-Briefen von Seite 280 - 301. 

Da ich am kommenden Dienstag, 17.09.19, für sechs Tage verreise, und ich mich nächstes Wochenende in Stockholm befinde, haben Anne und ich die zehn Seiten noch vorgezogen, sodass wir uns mit zwanzig Seiten befasst haben. Nach dem Lesen hatten wir uns Gesternabend schon rege am Telefon ausgetauscht.

Auf diesen Seiten sind recht lange Briefe abgedruckt und wieder jede Menge geistreiche Gespräche waren zu entnehmen. Dadurch, dass uns die Schriftsteller, über die gesprochen wird, unbekannt sind, kamen uns die Gespräche sehr abstrakt vor, weshalb ich über diese Briefe nicht so viel schreiben werde. Die Details sind dadurch dem Buch zu entnehmen.

Schön fanden wir, dass der Schriftsteller Fernand Gregh in seinem Gedichtband in Prosa ein Gedicht geschrieben hat, das er Proust gewidmet hat, worüber er sich sehr gefreut hat. Das geht aus einem Brief vom Ende November 1901 hervor. Mon amitié avec Marcel Proust, meine Freundschaft mit Marcel Proust, (Anm. M. P.)

Aus der Fußnote geht hervor:
Gegen Ende des Bandes (…) findet sich unter den Prosagedichten eines mit dem Titel >Les Cloches sur la mer< [Glocken über dem Meer], das mit der Widmung >á Marcel Proust< versehen ist. Gregh widmete Proust diese kleine Arbeit in Erinnerung an einem gemeinsamen Aufenthalt in der Villa >Les Fremonts< (…) im September 1892, als sie eines Abends genau zur Stunde des Angelus-Gebets die alte Kirche Sainte-Catherine in Honfleur betreten hatten. (282)
In einem anderen Brief geht es um ein Synonym für die Homosexualität, das ich herausschreiben möchte, damit man die späteren Briefe vielleicht besser verstehen kann. Anne und ich hatten schon vor längerer Zeit den Verdacht geschöpft, dass Proust sich mit seinen sexuellen Partnern über einen Code austauschen würde.

An Antoine Bibeso
April 1902, Proust war hier 31 Jahre alt

In diesem Brief erfährt man, dass Leonardo da Vinci, (*1452, gest. 1519)  Prousts Lieblingsmaler war. Und auch Leonardo da Vinci soll ein Homosexueller gewesen sein. Weiter unten habe ich dazu aus der Fußnote ein Zitat hinzugefügt.

Entnommen haben wir auch, dass der Begriff >>Saläismus<< ein Synonym für Homosexualität stehen würde, wandelnd auf den Spuren von Leonardo da Vinci, wie auch aus der Fußnote hervorgeht. Proust schreibt:
Ich habe mir zum Saläismus recht profunde Gedanken gemacht, die ich Ihnen bei einem unserer nächsten metaphysischen Gespräche unterbreiten werde. Unnötig, Ihnen zu sagen, dass sie äußerst streng ausfallen. Aber es bleibt eine philosophische Neugier gegenüber den Menschen. Dreyfusard, Anti-Dreyfusard, Saläist, Antisaläist, das sind ungefähr die einzig interessanten Dinge, die man über einen Dummkopf wissen muss. (284)
Aus der Fußnote geht hervor:
>Saläismus< (sowie >Saläist< bzw. >saläistisch<): Im Sprachgebrauch Prousts und seiner Freunde Antoine Bibesco, Bertrand de Fénelon, und anderer ein Synonym für >Homosexualität<. (…) Eine andere interessante, aber weniger wahrscheinliche Geschichte schlug erst Alan Garric in seinem Blog >Libellules< auf der Internetseite der Zeitung Le Monde vor (…). Jean-Paul und Raphäel Enthoven habe sie in ihrem Dictionaire amoureux de Marcel Proust, Paris 2013, (…) übernommen. Demzufolge ließe sich die Spur zurückverfolgen bis zu Gian Giacomo Caprotti, genannt >Saläi< oder auch >Andrea Saläi< (ca. 1480-1524), einem Schüler (seit seinem 15. Lebensjahr) – und wohl auch Geliebten – Leonardo da Vincis. Dass Proust mit biographischen Details aus dem Leben Leonardos vertraut war, darf angenommen werden (Leonardo war der Lieblingsmaler des jungen Proust). Aber Sala scheint hier doch – buchstäblich näher zu liegen als Saläi. (285f)

Im nächsten Brief hat uns erneut Prousts Krankheit beschäftigt.
Marcel Proust lässt in jedem Brief verkünden, wie krank er war, sodass ich darüber nicht mehr schreiben wollte. Seine Krankheiten aufzuzählen finde ich langsam langweilig, auch wenn er mein Mitgefühl hat. Aber in dem folgenden Brief, der an die Mutter gerichtet war, brachte er mich und Anne erneut zum Nachdenken, denn nun war es auch die Mutter, die Prousts Erkrankungen infrage gestellt hat, so scheint uns, und jede Menge Druck auf ihn ausgeübt haben muss, ohne es vielleicht zu wollen. Aber der Sohn ist versiert, weiß sich zu wehren. Er schreibt:

An Jeanne Proust
August 1902, Proust ist 31 Jahre alt
Du sagst mir hierzu, dass andere Leute genauso viel Beschwerden haben und dabei arbeiten müssen, um ihre Familien zu ernähren. Das weiß ich wohl. Auch wenn dieselben Beschwerden nicht unbedingt dieselben Leiden bedeuten. Denn bei alldem muss man zwei Dinge beachten: die Materialität des Faktums, welches die Leiden auslöst. Und die seiner jeweiligen Natur geschuldete Leidensfähigkeit eines Menschen. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die genauso und noch mehr leiden und dennoch arbeiten. Aber man hört auch von anderen, die diese oder jene Krankheit hatten und denen man jede Arbeit untersagt hat. Zu spät, während ich es lieber zu früh getan habe. Und ich habe recht daran getan. Denn es gibt diese Arbeit und jene Arbeit. Die literarische Arbeit ruft ständig die Empfindungen ab, die mit dem Leiden verknüpft sind (>Wenn mit so viel anderen Fesseln Du an Deinen Schmerz dich kettest<). (299)
Aus der Fußnote geht hervor, dass Proust aus dem Gedicht Don Paez zitiert hat. Details sind dem Buch zu entnehmen.

Meine Gedanken 

Ich freue mich immer, Neues durch Proust zu lernen. Dass Leonardo da Vinci sexuell auch männerorientiert gelebt hat, das hatte ich bis dato nicht gewusst.

Was Prousts lebensbedrohliche Erkrankung betrifft, hat mich zudem erschreckt, dass Jeanne Proust ihren Sohn dermaßen unter Druck gesetzt haben muss, dass er anfing, auch der Mutter seine Erkrankungen mit Rechtfertigungen zu erklären. Was diese Vergleiche mit anderen Menschen immerzu sollen, leuchtet mir einfach nicht ein. Man kann Menschen nicht mit anderen Menschen vergleichen. Und doch tut man dies immerzu. Selbst in unserer heutigen Zeit. Man wird dem allerdings niemals gerecht werden können, denn jeder Mensch ist nur mit sich selbst vergleichbar, weil jeder Mensch durch seinen eigenen Charakter und durch seine Herkunft ein anderer ist. Und Proust hat recht getan zu sagen, ich höre lieber früher auf zu arbeiten, bevor es zu spät ist. Wie ich schon andernorts geschrieben habe, haben Asthmatiker mit jedem neuen Anfall permanent den Tod vor Augen …

Wir werden sehen, wie sich Proust noch weiter entwickeln wird. Wir sind gespannt.

Hier mache ich nun Schluss und freue mich, nach meinem Urlaub wieder mit Anne weiter zu lesen. Anne dagegen freut sich auf eine Proust-Pause, was ich durchaus verstehen kann, denn sie hat auch noch andere Projekte am Laufen, denen sie sich an den Wochenenden widmen möchte. Aber Anne macht Proust auch Freude, so wie mir.

Übernächstes Wochenende geht es weiter von der Seite 301 bis 312.

Bis dahin gibt es bei mir nun eine kleine Blog Pause. 
_________________
Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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Dienstag, 10. September 2019

Astrid Lindgren / Ronja Räubertochter

Klappentext  
In neuem Gewand: Ronja Räubertochter! Die Geschichte der Freundschaft zwischen Ronja, Tochter des Räuberhauptmanns Mattis, und Birk, dem Räubersohn aus einer verfeindeten Sippe, erschien 1982 und wurde seitdem in 41 Sprachen übersetzt und weltweit über 10 Millionen Mal verkauft. Jetzt erscheint der Klassiker in einer modernen Anmutung mit farbigen Illustrationen von Katsuya Kondo.

Autorenporträt
Oetinger schreibt über die KinderbuchautorinAstrid Lindgren wurde am 14. November 1907 als Astrid Anna Emilia Ericsson auf dem Hof Näs nahe der Kleinstadt Vimmerby in Småland geboren. Mit ihren drei Geschwistern Gunnar (1906-1974), Stina (1911-2002) und Ingegerd (1916-1997) verlebte sie eine glückliche Kindheit auf dem Bauernhof ihrer Eltern Hanna und Samuel August Ericsson. 
Nach ihrem Schulabschluss 1924 begann sie ein Volontariat bei der Tageszeitung "Vimmerby Tidningen". Während dieser Ausbildung wurde sie, 18 Jahre jung und unverheiratet, schwanger - zur damaligen Zeit ein Skandal. Trotzdem weigerte sie sich, den Vater des Kindes, den Chefredakteur der Zeitung, zu heiraten, und zog daraufhin nach Stockholm. Eine Zeit der Einsamkeit brach für sie an. Ihren Sohn Lars gebar sie, wie viele Schwedinnen es in ähnlicher Situation taten, in einer Kopenhagener Klinik, die keine offiziellen Meldungen über Geburten weitergab. In den nächsten drei Jahren wuchs der Junge in einer dänischen Pflegefamilie auf, während sie selbst eine Ausbildung zur Sekretärin absolvierte.
In diesem Beruf trat sie 1928 eine Stellung im "Königlichen Automobilclub" an, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, den späteren Direktor Sture Lindgren kennenlernte. Kurz bevor die beiden 1931 heirateten, holte Astrid Lindgren ihren Sohn Lasse zu sich nach Stockholm, der zuvor ein Jahr bei ihren Eltern in Näs gelebt hatte. Nach der Hochzeit zog die kleine Familie in die Vulcanusgatan mit Ausblick auf den Vasapark in Stockholm. Nach der Geburt ihrer Tochter Karin 1934 blieb Astrid Lindgren zunächst einige Jahre zu Hause, bis sie 1937 als Stenografin eines Kriminologen wieder in das Berufsleben einstieg. Das dort erworbene Fachwissen brachte sie später, ab 1946, in die drei Detektiv-Romane über Kalle Blomquist ein.
Astrid Lindgrens erstes Buch entstand jedoch schon viel früher. Als ihre Tochter Karin 1941 einmal krank zu Bett lag, bat sie ihre Mutter, sie solle ihr von "Pippi Langstrumpf" erzählen, einem außergewöhnlichen Mädchen, dessen Namen sich Karin spontan ausgedacht hatte. Weitere drei Jahre sollten vergehen, bis Astrid Lindgren das Manuskript zu diesen Geschichten fertiggestellt hatte und 1944 dem ersten Verlag, dem Bonniers Verlag, anbot. Prompt kam es zurück. Jahre später gab der dafür verantwortliche Verleger zu: "Ich hatte selbst kleine Kinder und stellte mir mit Entsetzen vor, was passieren würde, wenn sie sich dieses Mädchen zum Vorbild nähmen." Die Autorin hatte jedoch ihren Spaß am Schreiben entdeckt und beteiligte sich gleich darauf mit ihrem nächsten Buch am Wettbewerb des Verlages "Rabén & Sjögren" und erhielt den zweiten Preis. Daraufhin versuchte Astrid Lindgren bei diesem Verlag ihr Glück mit Pippi Langstrumpf, bekam den ersten Preis eines erneut ausgeschriebenen Wettbewerbs und erreichte im Nu eine immense Leserschaft. Es folgten weitere Preise sowie eine Anstellung als Lektorin im Kinderbuchbereich, den sie bis 1970 leitete. 
In Deutschland erschien das Buch "Pippi Langstrumpf" erstmals 1949 und bildete den Anfang und Durchbruch des Kinderbuchprogramms des Verlags Friedrich Oetinger. In den darauffolgenden Jahren entstand eine besondere Freundschaft zwischen dem Verlegerpaar Friedrich und Heidi Oetinger und der Schriftstellerin, die ihre gesamten Werke in Deutschland über den Hamburger Verlag verbreiten ließ.
Dazu gehören Bücher wie die über die Kinder aus Bullerbü, Michel und Madita, die das idyllische Leben ihrer schwedischen Kindheit beschreiben, aber auch Geschichten mit gewagten Themen wie Tod und Sterben. "Die Brüder Löwenherz" zum Beispiel lösten nach Erscheinen eine große Diskussion über die Angemessenheit dieses Themas für Kinderbücher aus. Nichtsdestotrotz feierten gerade dieses Buch und auch seine Verfilmung besonders bei den Kindern große Erfolge.
Astrid Lindgren hat rund 90 Bücher, Drehbücher und Theaterstücke verfasst, die in in rund 100 Sprachen übersetzt wurden. Längst gehören ihre Märchen, Erzählungen, Romane und Bilderbücher zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Alle zeugen von dem besonderen psychologischen Einfühlungsvermögen der Autorin in die Welt eines Kindes und treten für positive Werte wie Toleranz und Mitgefühl ein. Für ihr Werk erhielt Astrid Lindgren im Laufe der Zeit unzählige Preise, unter anderem den Alternativen Nobelpreis, den Deutschen Jugendbuchpreis (heute: Jugendliteraturpreis), den UNESCO Book Award, die Große Goldmedaille der Schwedischen Akademie und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Darüber hinaus wurde sie, basierend auf einer Volksumfrage, von der Tageszeitung Aftonbladet zur Schwedin des Jahrhunderts gekürt.
Neben ihrer Tätigkeit als Autorin und Lektorin engagierte sie sich intensiv für die Rechte der Kinder, Gewaltlosigkeit und den Tierschutz. So schrieb sie über eine neue Steuergesetzgebung der Sozialdemokraten als literarischen Protest das Märchen "Pomperipossa in Monismanien". Damit trug sie 1976 maßgeblich, nach 40 Jahren Macht, zur Abwahl der sozialdemokratischen Regierung bei. Auch 1985 führte ihr großer Einsatz zum Erfolg: Nach heftigen Debatten wurde in Schweden ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet. Einen nicht unmaßgeblichen Anteil daran hatten die Zeitungsartikel, die sie zusammen mit der Tierärztin Kristina Forslund veröffentlichte und die in dem Buch "Meine Kuh will auch Spaß haben" (deutsche Übersetzung bei Oetinger 1991) zusammengefasst wurden.
Mit ihrem Alters- und Abschlusswerk "Ronja Räubertochter", das 1981 in Schweden erschien, beendete Astrid Lindgren ihre aktive Karriere als Schriftstellerin. Ihren Lebensabend verbrachte sie in ihrer Wohnung in der Dalagatan 46 im Vasaviertel in Stockholm, wo sie seit 1941 lebte und am 28. Januar 2002 verstarb. Heute trägt ihr Wohnhaus das Hinweisschild: Astrid Lindgrens Hem 1941-2002.
           (Renate Kusche/gm)

Mehr über Astrid Lindgren: www.astrid-lindgren.de

Weitere Informationen zu dem Buch
·         Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
·         Verlag: Oetinger Verlag; Auflage: 61 (1. Februar 1981)
·         Sprache: Deutsch
·         ISBN-10: 9783789129407

Hier geht es zur Verlagsseite von Oetinger.


Meine Leseerfahrung

Ich fand dieses Märchen nicht schlecht, obwohl es mich erst zum Ende hin richtig gepackt hat. Da ich dieses Buch mit Anne gelesen habe, verlinke ich meine Seite mit Annes Buchbesprechung. Sie hat eigentlich alles Wichtige benannt, sodass ich den Inhalt nicht wiederholen möchte und mache es kurz, indem ich nur ein paar Eindrücke von mir niederschreiben werde.

Ich fand viele Märchenfiguren für uns so untypisch, aber typisch für die nordigen Länder wie Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark.

Aber trotzdem hat mich die Thematik an Romeo und Julia erinnert. Die beiden Räuberbanden Mattis und Borka waren verfeindet, während das Mattismädchen Ronja und der Borkajunge Birk Freunde wurden, begann auf beiden Seiten der elterliche Druck, weshalb ich an Romeo und Julia gedacht habe, nur etwas kindlicher im vorliegenden Märchen. Die Freundschaft dieser beiden Kinder brachte doch eine ganz wichtige Veränderung hervor … Ich möchte nicht zu viel verraten, weshalb ich nur in Andeutung schreibe.

Wie Ronja es schafft, dass beide Räuberbanden zusammen kommen, ist dem Buch zu entnehmen.

Was mir gar nicht gefallen hat, ist, dass die Kinder Tierfelle wie z. B. Eichhörnchenfell  trugen. Das ist für mich ein No-Go. Man könnte ja sagen, die Tiere leben in Freiheit und sterben auf der Jagd der Menschen, besser als im Schlachthaus zu sterben, aber mir geht es gar nicht mal um die Menschen, die im Wald leben und vielleicht keine andere Wahl haben, als Tiere zu erlegen, um sich mit den Tierhäuten einzukleiden. Aber diese Räuber bestehlen Menschen, sie würden auch Kleider stehlen, dadurch müssten sie nicht den Tieren das Fell abzuziehen. Ich weiß, dass die nordigen Länder sehr viel Fleisch konsumieren. Sie essen sogar Bären. Tja, am kommenden Dienstag begebe ich mich nach Schweden, und habe so Manches im Reiseführer gelesen.

Kindern würde ich das Töten von Tieren und das Tragen von Tierfellen niemals vorleben. Dieses Blutvergießen wird wohl nie aufhören. 

Ansonsten fand ich das Märchen nicht schlecht.

Wer mehr wissen möchte, hier der Link zu Annes Blogbeitrag.  Sie hat eine gesamte Buchbesprechung zustande gebracht. 
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Montag, 9. September 2019

Prousts Lebenskrise

Weiter geht es mit den Proust-Briefen von Seite 271 – 280  

Auf den folgenden Seiten erfährt man, welche Erfahrung Proust als Übersetzer mit John Ruskin macht und dass er die Absicht hat, mit seiner Mutter Ende April 1900 nach Venedig zu reisen. Ich kann mich erinnern, dass es in der Recherche auch eine Szene gibt, in der der fiktive Marcel mit seiner Mutter nach Venedig gereist ist und dort mit einem italienischen Kellner eine peinliche Situation erlebt hat. Sicher eine reale Begebenheit, die Proust in seiner imaginären Autobiographie hat einfließen lassen.

Auch hat sich herausgestellt, welche Form von Asthma Proust erleidet. Er ist Pollenallergiker. Zitiert wird aus der Fußnote aus einem Brief von Marie Nordlinger.
Proust plante mit seiner Mutter die Abreise nach Venedig für das Ende des Monats April. (…) Dort auch der Hinweis darauf, dass ihm Florenz wegen seines Heuschnupfens und der Baumblüte untersagt bleibt. Proust blieb mit seiner Mutter ca. bis Ende Mai (1900) in Venedig. Im Oktober (…) brach er, diesmal ohne seine Mutter, zu einem zweiten, gut zweiwöchigen Venedig-Aufenthalt auf. (273)

Zu Venedig habe ich weiter unten noch Zitate eingefügt.

An Pol Neveux
Februar 1900, Proust ist hier 28,5 Jahre alt

Proust befindet sich von der Bibliothek Mazarine am Ende des fünften Beurlaubungsjahrs. Aufgrund seines labilen Gesundheitszustands erbittet Proust Nevoux um ein weiteres Beurlaubungsjahr.
Cher Monsieur, wie es scheint, ist das letzte (das fünfte) Jahr meiner Beurlaubung abgelaufen, und ich müsste nun wieder in der Mazarine antreten, was mir, leider Gottes, mein Gesundheitszustand nicht erlaubt. Muss ich also meine Entlassung ersuchen, oder gibt es einen anderen Ausweg, eine Verlängerung der Beurlaubung, einen Aufschub meines Dienstantritts, eine unbefristete Beurlaubung oder was auch immer? (271)

Ich bin über den Satz gestolpert, als Proust auch eine unbefristete Beurlaubung in Erwägung gezogen hat. Was genau soll ich mir darunter vorstellen? Kein Arbeitgeber würde darauf eingehen. Anne ist der Meinung, dass er solange beurlaubt sein möchte, solange der Bedarf vorliegen würde.

Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass Proust gebeten wurde, seinen Dienst unverzüglich am 14.02.1900 wieder aufzunehmen. Scheinbar ist er dieser Forderung nicht nachgekommen und so wurde er ab dem 01.03.1900 vom Dienst suspendiert.

Im nächsten Brief erfährt man etwas über Prousts Arbeit als Übersetzer von John Ruskins Werken. Scheinbar habe er Übersetzungsfehler begangen, auf die Proust peinlichst berührt reagiert.

An Robert de La Sizzerane
April 1900
Monsieur,(…) Ich habe von einem Herrn aus England einen Brief erhalten, dem Sie meine Artikel zu Ruskin geschickt hatten. Das hat mich erstaunt, in Verlegenheit gebracht und vor allem mehr gerührt, als ich es vielleicht zum Ausdruck bringen kann. Ihr Freund weist mich auf eine Sinnwidrigkeit in der Übersetzung einer Passage der „Biblie d´Amiens“ hin. Ich möchte ihm gerne schreiben, um mich für seinen Brief zu bedanken, und ihn um Rat bei anderen Stellen bitten, die mir Kopfzerbrechen bereiten.

Aus der Fußnote ist zu entnehmen, dass Prousts Englischkenntnisse nicht überragend gewesen wären, auch die seiner Mutter nicht. Ich zitiere aus der Fußnote.
Die seiner Mutter, auf deren Hilfe er angewiesen war, waren auch nicht über alle Zweifel erhaben, wodurch sich in der „Bible d´Amiens“ eine Reihe von Fehlern einstellte, auf die schon Henri Lemaitre 1944 hingewiesen hat in seinem in Toulouse erschienenen Buch „Proust et Ruskin“. (273)

1944 hatte Proust nicht mehr gelebt, weshalb er das Buch von Lemaitre selbst nicht hat lesen können. Aber wenn er es hätte lesen können, so bin ich sicher, wäre ihm das Buch sicher mehr als peinlich gewesen.

Dennoch wurde Prousts Übersetzung schließlich im Verlag Mercure de France abgedruckt. Ganz so schlecht können seine Übersetzungen doch nicht gewesen sein.

Weiter schreibt er:
Sie haben mir gesagt, dass es nach Ihrer Kenntnis mehrere unveröffentlichte Ruskin-Übersetzungen gibt. Wissen Sie, ob sich darunter auch die „Steine von Venedig“ finden? Ich habe die Absicht, nach Venedig zu reisen, und da ich dort Ruskin-Übersetzungen abschließen muss, die ich einem Verleger versprochen habe, wäre es eine große Erleichterung für mich, wenn ich vor Ort die „Steine von Venedig“ auf Französisch lesen könnte. Natürlich würde ich keine Übersetzung der „Steine von Venedig“ lesen, wenn ich sie selbst zu übersetzen hätte. Aber die „Steine von Venedig“ gehören nicht zu den Werken, die ich übersetzen muss, und ich hätte keinerlei Skrupel, sie auf Französisch zu lesen, um mich von meinen diversen Übersetzungen auszuruhen. (272f)

Ich bin neugierig geworden, und habe auf Amazon nach diesem Werk gesucht, und tatsächlich, das Buch die Steine von Venedig ist auch ins Deutsche übersetzt worden und käuflich zu erwerben. 

Wer ist John Ruskin? Siehe obiges Foto. Darüber hatte ich schon in der letzten Besprechung geschrieben. Kurz nochmals ein paar wenige Fakten zur Wiederholung. John Ruskin ist am 08.02.1819 in London geboren und ist ein englischer Schriftsteller, Maler und Kunsthistoriker. Gestorben ist er am 20.01.1900.

In einem anderen Brief spürt man wieder Prousts Depression. Er leidet, dass er auch als Übersetzer nicht den Erfolg einbringt, den er sich erhofft hat. Außerdem beklagt er wieder seine angeschlagene Gesundheit und freut sich über jede freundschaftliche Zuneigung, die man Proust in Zeiten seiner Nöte entgegenbringt.

An Constantin Brancovan
Januar 1901, hier ist Proust 30,5 Jahre alt.
Cher ami,  
ich wage nicht zu glauben, dass die geistigen Wellen, von denen das neue Institut für Psychologie spricht und die große Entfernungen überwinden können, um die Person zu erreichen, an die man gerade gedacht hat, real genug sind, um Ihnen zugetragen zu haben, dass ich, seit dem Neujahrstag an einer Grippe leidend, auf einen beschwerdefreien Tag wartete, um Ihnen zu sagen, wie traurig ich über Ihre Abwesenheit bin und wie dankbar über die Zeichen der Zuneigung, mit denen Sie mich liebenswerterweise zu Trost und Stärkung bedacht haben. All jene, die wissen, was Freundschaft ist, werden Ihre Liebenswürdigkeit zu schätzen wissen.

Immer wieder liest man, wie sehr dieser junge Mensch unter seinen Erkrankungen leidet, was mich sehr betroffen stimmt. Noch mehr, als er seine beruflichen Ziele einfach nicht zu erreichen scheint, und glaubt, auch seine Eltern damit enttäuschen zu müssen.
Aber wenn Sie bedenken, dass ich, stets krank, ohne jegliches Vergnügen, ohne Ziel, ohne Beschäftigung, ohne Ambition, mein abgeschlossenes Leben vor mir und bedrückt von dem Kummer, den ich meinen Eltern bereite, wenig Freuden habe, werden Sie verstehen, welche Bedeutung freundschaftliche Gefühle für mich haben können und wie stark in meinem der Welt abgewandten Herzen die Sympathien sind, die ich für meine Freunde empfinde, und wie dankbar ich denen bin, die mir, wie Sie, mit so viel feinfühliger Zuneigung und Liebenswürdigkeit begegnen. (275)

Hier erfolgt noch ein interessanter Link von der Frankfurter Allgemeine: 
Proust in Venedig. Wo ist seine Reisegruppe? Ein Artikel von Konrad Heumann. 

Zum Schluss hat auch Anne ein Zitat finden können, das ihr zugesagt hat. Ihr Schwerpunkt sind kritische Frauenthemen, und sie neugierig auf Proust ist, welchen Umgang er zu seinen weiblichen Zeitgenossinnen zu pflegen scheint.

Anne schreibt:
Wie erfrischend zu lesen, wie ein Künstler das Werk einer Künstlerin lobt. Und nicht, wie es heute oft der Fall ist, sich an deren Äußerlichkeiten abarbeitet, sodass Frauen gezwungen sind, auf ihre besondere Art darauf zu reagieren. Ich empfehle da die Aktion #dichterdran, die auf Twitter Blüten treibt: 

Hier thematisch eine Verlinkung zu Twitter.

An Anna de Noailles
Mittwoch, ein ½ Stunde nach Mitternacht (I.? Mai 1901)
Madame,ich erwarte Ihre Verse mit der ängstlichen Gewissheit dessen, der neuer Wunderwerke der Schönheit harrt. Ich war deren so sicher wie der Prinz im Märchen, dem die arbeitsamen Bienen die Rosenstöcke bestäuben, sicher sein durfte, Honig und Rosen zu bekommen. Denn ein geniales Naturell handelt unfehlbar wie die Natur. Und was Ihrem Hirn entspringt, wird immer so wertvoll sein, wie der Duft der Weißdornblüten immer köstlich sein wird…“ (277)

Dies ist wirklich ein schönes Zitat, liebe Anne, das du Dir herausgesucht hast.

Meine Gedanken

Obwohl Marcel Proust keinen leichten Lebensweg hat, bleibt er im Austausch mit seinen Briefpartner*innen immer sehr höflich, dankbar, wertschätzend und zuvorkommend. Mir hat es gefallen, dass er die Freundschaft zu wertschätzen weiß, denn unter vielen seiner Freund’innen darf er sein, wie er ist, mit all seinen Schwächen. So wirken zumindest die Briefe auf mich. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie das ist, wenn man seinen Begabungen nicht so nachgehen kann, wie man möchte, weil einem durch die verschiedenen Hindernisse die Kraft dazu genommen wird. Doch auch hier muss ich sagen, ganz erfolglos ist Proust auch diesmal nicht, denn immerhin wurden seine Ruskin-Übersetzungen veröffentlicht, wie ich oben schon geschrieben habe. Aber er hat auch Glück, denn er findet immer ein verständiges Ohr unter den Freund’innen, wo er es sich erlauben kann, sich über seine Nöte auszusprechen. Und hier muss ich Proust auch recht geben; es ist nicht selbstverständlich, Verständnis bei anderen Menschen zu finden. Vielleicht verlieh ihm dies Kraft und Mut, weiter zu machen, um nicht aufzugeben.

Telefongespräch mit Anne

Anne und ich haben uns auch sehr ausführlich über Prousts Werdegang ausgetauscht. Dass er als Übersetzer in seinen Texten viele Fehler begangen hat, kann nicht nur Proust angelastet werden. Heute dürfen nur Menschen sich als Übersetzer ausgeben, die neben der Fremdsprache auch die Ausbildung dazu vorzuweisen haben. Anne ist der Meinung, dass die Menschen früher so geschrieben haben, wie sie gesprochen hätten. Ich erinnere mich, dass Proust mit mehreren Sprachen aufgewachsenen ist. Deutsch und Französisch als Erst- und Zweitsprache, später kamen Englisch und Italienisch hinzu. Arm ist er in seiner Multilingualität nicht, aber reichen diese Kenntnisse auch aus, um fremdsprachige Bücher in die Muttersprache zu übersetzen? Ich bin gespannt, wie sich Proust noch weiterentwickelt, und ob er einen anderen Weg, als den des Übersetzers, finden wird.

Weiter geht es nächstes Wochenende von Seite 280 – 290.
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Unser aller Schicksale sind vermutlich geschaffen, 
um gelebt, nicht aber um verstanden zu werden.
(Marcel Proust)

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